http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/Texte/imhof1.html Das Ferne liegt os nah ... Dies ist ein Ausschnitt aus der Onlineversion vom 10.10.2000

Werner Imhof

Das Ferne liegt so nah ...

Über kommunistische Produktion als praktische Möglichkeit oder mögliche Praxis


Original

...

Die "genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit"

Die Blindheit für die gesellschaftliche Teilung und Kombination der Arbeit ist eine der hartnäckigsten Denkschranken der Linken. Bei Robert Kurz führt sie dazu, daß er mit dem "Wert" gleich auch die "abstrakte Arbeit" (wie er sie grundsätzlich nur bezeichnet) abschaffen, sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten möchte. Er begreift nicht, daß alle Arbeit immer doppelt bestimmt ist als qualitativ besondere Arbeit, die auf einen bestimmten Nutzeffekt gerichtet ist, und zugleich als quantitativ allgemeine Arbeit, weil sie Teil eines bestimmten, begrenzten Arbeitsvolumens ist. Daher begreift er auch nicht, daß gerade die im "Wert" verborgene Reduktion der verschiedenen besonderen Arbeiten auf "abstrakte" oder gleiche menschliche Arbeit den gesellschaftlichen Zusammenhang der arbeitsteiligen Privatproduzenten als Glieder einer übergreifenden Gesamtarbeit ausdrückt. Folgerichtig ist er mit seinem Feldzug gegen die "abstrakte Arbeit" schließlich auch bei der Ablehnung jeder Form gesellschaftlicher Arbeit gelandet, beim "Manifest gegen die Arbeit". Immerhin hat Kurz das Verdienst, die Wertform der Arbeitsprodukte gegen die sogenannte und angeblich von Marx stammende "Arbeitswerttheorie" und gegen die Verewigung der "alle Werte schaffenden Arbeiterklasse" überhaupt erst wieder zum Gegenstand der Kritik gemacht zu haben.

Zu ganz anderen Schlußfolgerungen als bei Kurz führt das Unverständnis für die gesellschaftliche Arbeitsteilung bei Daniel Dockerill und Karl-Heinz Landwehr von der Zeitschrift "Übergänge zum Kommunismus": zur Vorstellung einer Vorausplanung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit mit Hilfe einer "kommunistischen Arbeitszeitrechnung", die mit "gesellschaftlich notwendigen" (d.h. durchschnittlichen) Arbeitsmengen für die Herstellung der verschiedenen Gebrauchswerte operiert und aus einem (wie immer auch) "bestimmten Konsumtionsbedarf" den Umfang der Gesamtarbeit und ihre "Verteilung auf die einzelnen Wirtschaftszweige" ermittelt. Diese Vorstellung läuft hinaus auf die Installation einer monströsen, über der Gesellschaft thronenden, "allwissenden" und "allmächtigen" Planungsinstanz. Mit den Ideen der holländischen Rätekommunisten, an die die "Übergänger" anzuknüpfen meinen, hat das nichts mehr zu tun; denn die verstanden die "kommunistische Arbeitszeitrechnung" nur als Instrument einer "leistungsgerechten" Verteilung, nicht aber einer zentralen und damit zwangsläufig bürokratischen Produktionsplanung.

Die Gleichsetzung von kommunistischer oder sozialistischer Produktion mit zentraler Planwirtschaft hat allerdings eine lange Tradition, an der Engels nicht unschuldig war. Berühmt und folgenreich war seine Darstellung des "Grundwiderspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung", der sich darstellt als "Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft". Als Hebel zur Überwindung dieser Anarchie galt ihm die zunehmende Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die Entstehung von Trusts und Monopolen, eine Entwicklung, die für ihn gleichbedeutend war mit der Zunahme und dem Wachstum industrieller Groß- und Riesenbetriebe. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung würdigte er (anders als z.B. Lenin!) mit keinem Wort. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals aber ist die Form, in der das Privateigentum seine Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit organisiert, während deren eigene Organisation sich als fortschreitende Spezialisierung der Teilarbeiten entwickelt, die längst einhergeht mit der Schrumpfung und Zerlegung der traditionellen Riesenbetriebe.

Unmittelbar gesellschaftliche Produktion ist mit zentraler Planung der Gesamtarbeit ebenso unvereinbar wie mit der Aufrechterhaltung von Markt- und Geldbeziehungen. Sie kann nur bestehen in der Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die "assoziierten Produzenten" (die immer zugleich auch produktive und/oder individuelle Konsumenten sind), indem sie die Produktionsmittel in gemeinsamen Besitz und ihre wechselseitigen, bisher geld- und konkurrenzvermittelten Beziehungen bewußt, plan- und verantwortungsvoll in die eigenen Hände nehmen und vollenden, was die kapitalistische Produktionsweise selbst schon begonnen bzw. vorbereitet hat – die Kooperation mit den "Zulieferern", den bisherigen Konkurrenten, den betrieblichen "Kunden" wie den privaten und öffentlichen "Verbrauchern".

Natürlich nicht, um die vom Kapitalismus überkommene Organisation der gesellschaftlichen Arbeit einfach nur fortzusetzen. Eine kommunistische Revolution würde – wenn sie denn einmal Realität werden sollte – sicher ein Aufstand nicht nur gegen die private Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit sein, sondern auch gegen die damit verbundene Verteilung, Zusammensetzung und Intensität der Arbeit. Und doch müßte sie vom gegebenen Zusammenhang der Arbeit ausgehen, um ihn überhaupt planvoll umgestalten zu können. Gegenstand der Planung wären dann aber "nur" Veränderungen des bisherigen Arbeitsvolumens, der Produktions- und Infrastruktur, der Produktionstechnik, der Energiebasis usw., nicht die Gesamtarbeit als solche. Und die Formen dieser Planung würden der Assoziationsform der Produzenten selbst entspringen (müssen), die verrückt wären, wenn sie ihre gerade gewonnene Freiheit wieder an eine zentrale Planungsbehörde abträten. Denn das wäre – ich zitiere aus der "Nachlese zur 48. Woche 1998" – "die 'Negation der Negation', die Auflösung des 'Vereins freier Menschen' in die Vereinzelung unfreier Menschen, ein Rückschritt noch hinter die Vergesellschaftungsform der Warenproduzenten, die immerhin aus eigenem Antrieb produzierende Individuen sind, aber keine bloß ausführenden Organe eines fremden Willens. Die Konzeption einer zentralen Planwirtschaft kann überhaupt nur aufkommen, wo und wenn die Menschen zu bewußter, plan- und verantwortungsvoller Kooperation nicht fähig oder nicht willens sind (oder für dazu unfähig und unwillens gehalten werden), unter Bedingungen also, die die Planwirtschaft entweder zum Scheitern verurteilen oder nur als despotisches Regime zulassen. Tatsächlich kann die gesellschaftliche Arbeit um so weniger zentral geplant werden, je entwickelter die Teilung oder Kombination der gesellschaftlichen Arbeit ist, je komplexer und intensiver die Beziehungen der Teilproduzenten untereinander sind, je höher die Qualifikation und Vielseitigkeit der gesellschaftlichen Individuen, je reicher und vielfältiger ihre Bedürfnisse usw. Andersrum gesagt: Wo die gesellschaftliche Gesamtarbeit zentral 'geplant' wird, muß ihre Entwicklung gehemmt werden und die zentrale 'Planung' ihr Gegenteil produzieren – dezentrale Planlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Passivität, Verschwendung, Ineffizienz und kompensatorische 'Schattenwirtschaft'..."

So wenig "assoziierte Produktion" (Marx) mit zentraler Planwirtschaft zu tun haben kann, so wenig auch mit "sozialistischer Marktwirtschaft". Denn wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist, kann es auch keinen "Markt" mehr geben, auf dem die Produkte durch Kauf und Verkauf ihre Eigentümer wechseln, also auch kein Geld und keine in Preisen ausgedrückten "Kosten". Der Aufwand an Arbeit, Material und Energie könnte in ihren natürlichen, physischen Einheiten gemessen und verbucht werden statt in der, wie Engels ausdrückte, "schielenden" Abstraktion des "Werts". Die Produkte könnten nicht getauscht, sondern nur geliefert und bezogen, d.h. an den Ort ihrer Konsumtion transportiert werden. Jedes Produkt wäre von vornherein Verkörperung eines Bruchteils der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Gleichartige Produkte von Teilproduzenten mit unterschiedlicher Arbeitsproduktivität könnten daher auch nicht als Verkörperung ungleicher Arbeitsmengen in Erscheinung treten und miteinander konkurrieren. Die An- oder Ausgleichung von Produktivitätsunterschieden wäre, wie die Entwicklung der Produktivkräfte überhaupt, nicht auf das Wirken eines verselbständigten "Wertgesetzes" angewiesen, sondern durch Kooperation und öffentlichen Austausch von Informationen und Know-how zu regeln. Denn wenn es kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr gibt, werden auch Betriebsgeheimnisse, Patentrechte, Konkurrenzängste und sonstige private Vorbehalte gegenstandslos. Auch das gesellschaftliche "Mehrprodukt" zur Erweiterung und Rationalisierung der Produktion wäre unmittelbar Teil des Gesamtprodukts, ohne die Form eines monetären Betriebsgewinns annehmen zu können.

Auch die Mittel der individuellen Konsumtion müßten nicht getauscht werden, auch nicht gegen "Stundenzettel", die die geleistete Arbeitszeit bescheinigen. Eine derartige "Verteilung nach der Leistung" wäre ein Rückfall hinter die bürgerliche Sozialpolitik; schließlich wären auch die nicht arbeitsfähigen Gesellschaftsmitglieder zu berücksichtigen. Die Konsumtionsmittel könnten durchaus "unentgeltlich" zur individuellen Aneignung zur Verfügung stehen. Bei den Mitteln des öffentlichen Konsums, wie dem Bildungswesen und anderen "öffentlichen Diensten", liegt das auf der Hand. Aber auch der Zugang zu den Mitteln des privaten Verbrauchs könnte großenteils frei sein, weil es ökonomisch keinen Sinn macht, kurzlebige Produkte zu horten und langlebige Produkte täglich zu wechseln. Zugangsbeschränkungen oder Formen der Rationierung würden nur bei solchen Gütern und Dienstleistungen nötig sein, die tatsächlich (noch) knapp sind oder bewußt (z.B. aus ökologischen Gründen) knapp gehalten werden sollen. Welche Methoden dazu am zweckmäßigsten wären, muß uns heute aber nicht unbedingt Kopfzerbrechen bereiten. Wenn der Übergang zu einer kommunistischen Produktionsweise tatsächlich einmal zu einem Massenbedürfnis werden sollte, dann werden die "Massen" selbst auch die Art und Weise der Verteilung diskutieren und praktikable wie akzeptable Lösungen hervorbringen.

Die "Internet-Revolution"

Robert Schlosser hat die kommunistische Produktionsweise auch als "kommunikativen Prozeß der Selbstregulierung" umschrieben. Die technischen Mittel dazu werden derzeit perfektioniert durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik, vor allem des Internet. Die Kommerzialisierung des Internet ist dabei, auch den "Kommerz" selbst, d.h. die kapitalistische Produktionsweise, zu verändern. In welchem Umfang und mit welchen Konsequenzen, das ist bisher noch kaum abzusehen. Der globale, dezentrale und öffentliche Charakter des Internet macht es aber auf jeden Fall zu einem Kommunikationsmedium, das auch für eine unmittelbar gesellschaftliche Produktionsweise als "kommunikativem Prozeß der Selbstregulierung" geeignet wäre. Schon die kommerzielle Nutzung des Internet läßt ahnen, welche Möglichkeiten es bieten könnte.

Ein Beispiel ist die Logistik, die Organisation und Kontrolle von Güterströmen. Auch bisher schon ermöglichten Bar- oder Strichcodes (die z.T. bereits durch zweidimensionale Codes oder durch Chips ersetzt werden) die Erfassung individuell identifizierbarer Güter von der Produktion bis zur Ladenkasse. Das Internet eröffnet hier neue Dimensionen.

"So richtig interessant werden die Strichcodes ... erst, wenn man sie in unternehmensweite Prozesse, globale Handelsstrukturen und Warenströme integriert. Mercedes-Benz verschafft sich den aktuellen Überblick seiner über die Weltmeere schippernden Warenwerte, der UPS-Kunde kann online übers Internet den aktuellen Standort seiner Paketsendung rund um den Kontinent nachvollziehen, und Airbus Industries sorgen mit Datenfunk- und Barcodegestützter Lagerhaltung dafür, daß die Airbusflieger möglichst lange in der Luft und nicht unnötig am Boden bleiben. Auch unter dem Blickwinkel der Produkthaftung kann sich die Investition in Barcode-Systeme lohnen. Die Wege von Gütern – man denke an die komplexe Nahrungsmittelkette – lassen sich besser nachvollziehen... Die Wirksamkeit der Rückrufaktionen etwa der Automobilhersteller ruht ganz wesentlich auf der Informationsquelle Barcode, die dort die Rückverfolgung fehlerhafter Chargen bis tief in die weltweiten Zuliefer- und Vertriebsnetze hinein ermöglicht." (FAZ vom 5.7.99)

Ein anderes Beispiel ist die "kundenindividuelle Massenfertigung", die eine Entwicklung fortsetzt, welche gerade von der "Wertkritik" ignoriert wird, die nur die "Diktatur des Tauschwerts über den Gebrauchswert" (Kurz) sieht. Die kapitalistische Produktionsweise ist ja tatsächlich eine "Selbstzweckbewegung", Produktion um der Produktion willen, weil Produktion von Mehrwert. Doch während sie, wo immer möglich, die Bindung des Tauschwerts an den Gebrauchswert der Produkte zu überlisten oder zu vernachlässigen sucht (durch eingebauten Verschleiß, beschleunigte Produktinnovation, schlichten Schund oder einkalkulierte Gebrauchsrisiken), kann sie doch nicht verhindern, daß gleichzeitig die Bedeutung des Gebrauchswerts (Produktqualität, Service, Kundenberatung und -betreuung) für die Realisierung des Tauschwerts und damit auch des Mehrwerts zunimmt, bedingt durch die Entwicklung der Technik, des gesellschaftlichen Bewußtseins und – der Regreßrisiken. Durch das Internet wird dieser Trend noch verstärkt.

"Die Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern werden sich ... im kommenden Jahrhundert grundlegend ändern... Was produziert wird, entscheidet in Zukunft unmittelbar der Kunde. Konsumenten bestimmen zahlreiche Merkmale ihrer Produkte selbst. Die Produkte werden entsprechend den Kundenwünschen hergestellt, wie es zuvor nur im Handwerk möglich war... Die Massenproduktion für anonyme Käufergruppen wird so zu einer für den einzelnen Kunden maßgeschneiderten Massenfertigung. Möglich wird dies durch den Einsatz moderner Informationstechnologien in Vertrieb, Entwicklung und Herstellung. Der Kunde ... gestaltet etwa per Internet sein zukünftiges Auto: Verschiedene Modellvarianten und individuelle Ausführungen kann er 'durchklicken', sich das selbstgestaltete Auto dreidimensional anschauen und per Internet bestellen... Individuell konfigurierte Waschmaschinen sowie maßgenaue Armlängen maschinell hergestellter Strickpullover sind weitere Beispiele..." (FAZ vom 26.5.98)

"BMW-Käufer können sich ihr Traumauto bereits im Internet zusammenstellen und dabei aus einer Million Gestaltungsoptionen aussuchen. Bestellen müssen die Käufer aber noch beim Händler – aus Rücksicht auf deren Gewinnmargen... Doch die Internet-Anwendung beschränkt sich nicht auf den Verkauf: In wenigen Jahren werden Autos erst nach einer Internet-Bestellung gebaut – ohne Lagerkosten, ohne Unsicherheit über den tatsächlichen Absatz und ohne teure Marktforschung. Diese kundenindividuelle Massenproduktion steckt noch in den Anfängen, aber alle Hersteller arbeiten in diese Richtung." (FAZ vom 12.11.99)

Man darf sich von der Euphorie über die "schöne neue Welt" des "E-Commerce" natürlich nicht blenden lassen. Was sich hier ändert, ist zunächst mal nur die Distributionsweise; die Distributionsverhältnisse bleiben weiterhin bestimmt durch die bornierten Produktionsverhältnisse. Und doch liegt in dieser Entwicklung ein subversives Potential, das sich gegen die Produktionsverhältnisse selbst richten (lassen) könnte. Die begriffliche Fassade des "Marktes", die eine grundsätzlich unbestimmte und unbestimmbare Nachfrage vorgaukelt, verliert hier ihren letzten Halt. Die "kundenindividuelle Massenproduktion" ohne "Absatzunsicherheit" und "Marktforschung" macht sichtbar, was technisch sowieso längst möglich und im Bereich der Produktionsmittelindustrien (und der Luxusgüterindustrien!) auch realisiert ist: daß die Produktion unmittelbar den qualitativen und quantitativen Anforderungen des gesellschaftlichen Bedarfs folgen könnte, auch im Bereich der Konsumtionsmittel. Was hier die Produktion hemmt, stört und krisenanfällig macht, ist nicht die "unberechenbare" und "launische" Natur des "Marktes", sondern einzig und allein die Fesselung der Nachfrage an die Zahlungsfähigkeit, also an die Warenform der Arbeitskraft und an die Kapitalform der Produktions- und Lebensmittel.

Das Beispiel der "kundenindividuellen Massenproduktion" zeigt auch, daß sich die Bedeutung des Internet nicht in seiner Rolle als technisches Medium kommunikativer und kommerzieller Beziehungen erschöpft. Es verändert auch die Beziehungen selbst, nicht nur die zwischen Produzenten und individuellen Konsumenten, sondern auch die zwischen den Teilarbeiten in der Produktionssphäre selbst. Die fortschreitende Integration der Teilarbeiten zwecks Optimierung des Verwertungsprozesses bereitet dessen eigene Aufhebung vor, weil sie das Privateigentum an den Produktionsmitteln immer absurder macht.

"In der Fabrik der Zukunft verschwinden die Grenzen zwischen Zulieferern und Unternehmen. Die Extremform ist das virtuelle Unternehmen, das sich abhängig vom einzelnen Auftrag aus mehreren Unternehmen bildet und nach der Auftragserfüllung wieder zerfällt. Die Lieferanten verfügen mittels Kommunikationstechnologien über alle notwendigen Informationen eines Auftrags. Sie liefern ihre Produkte zeitgenau an und werden so zu einem integrierten Teil der Produktionsprozesse..." (FAZ vom 26.5.98)

Schließlich noch ein erstaunliches Beispiel dafür, wie das Internet Initiativen freisetzen und beflügeln kann, die die Autorität des Privateigentums und seine angebliche Unverzichtbarkeit und Effizienz regelrecht blamieren:

"Es zählt zu den revolutionären Vorteilen des Internets, daß es die Bildung von weltweiten virtuellen Gemeinschaften ermöglicht. Jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen und das Geschehen aktiv mitzugestalten. Ein Beispiel ist die Verbreitung sogenannter Open-Source-Software. Open Source bedeutet nicht nur freien Zugang zum Quellcode zusammen mit dem Recht, daß jeder diesen verändern kann, sondern auch die Pflicht, daß diese Veränderungen der Gemeinschaft wieder zur Verfügung gestellt werden. Linux, jenes erfolgreiche Open-Source-Betriebssystem, zeigt sehr deutlich, daß eine solche virtuelle Internet-Gemeinschaft mit viel Spaß an der Sache durchaus ernstzunehmennde Software entwickeln kann... Durch das Internet und das Open-Source-Konzept wurde es möglich, daß viele einzelne Entwickler im Rahmen einer virtuellen Gemeinschaft in rasantem Tempo Software weiterentwickeln – unabhängig voneinander und doch gemeinsam.

Das Open-Source-Konzept führt zunächst zum Chaos. Doch gerade dadurch können Assoziation, Intuition und Kreativität ihre volle Kraft entfalten. Wie aber kann aus diesem Sammelsurium von Ideen, Vorschlägen und Änderungen ein Produkt reifen? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt im offenen Wettbewerb zwischen diesen Ideen. Die virtuelle Gemeinschaft entscheidet über die Akzeptanz und damit den Erfolg einer Idee. Die künstliche Protektion von Irrtümern ist ausgeschlossen, das Beste setzt sich auf evolutionäre Weise durch." (FAZ vom 24.8.99)

Selbst die FAZ mußte einräumen, daß Open-Source-Produkte "proprietärer Software" deutlich überlegen sind...

Die Veränderungen der Arbeitsorganisation auf gesellschaftlicher Ebene sind nicht zu trennen von den Veränderungen der betrieblichen Arbeitsorganisation, die seit einem Jahrzehnt als Lean Management und Lean Production auf dem Vormarsch sind. Auch Gruppenarbeit, KVP, Qualitätsmanagement, Kundenorientierung, Just-in-time-Anlieferung usw. enthalten progressive Momente, die über den bornierten Zweck der Produktion hinausweisen, dem sie dienen sollen, die die Abschottung der betrieblichen Arbeit von ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen aufbrechen und die den Produzenten bisher unterdrückte Fähigkeiten und Kompetenzen abverlangen. Joachim Bischoff von den SOST ist so weit gegangen, von einer "neuen gesellschaftlichen Betriebsweise" zu sprechen. Ich halte das für eine beschönigende Übertreibung. Einer, der es wissen muß, sieht das ganz anders:

"Wenn heutzutage in Automobilunternehmen den inneren Marktkräften mehr freier Lauf gelassen wird und Entscheidungsbefugnisse an operative Einheiten abgegeben werden, dann geschieht das ... in erster Linie (zu) dem Zweck, Gemeinkosten zu sparen und Abläufe zu beschleunigen. Durch die Verschärfung des internen Konkurrenz- und Erfolgsdrucks, durch kurzfristige Ergebniserwartungen und die Politik der kurzen Berichtswege wird darüber hinaus versucht, die operativen Einheiten wieder besser unter zentrale Kontrolle zu bringen, den Zentralismus also wirkungsvoller zu gestalten. Diese provokanten Thesen stammen von Roland Springer, dem Leiter der Arbeitsorganisation und des Verbesserungsmanagements der Daimler-Chrysler AG... Der neue Zentralismus ist nach Springers Aussagen mit der Gewährung von größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen in operativen Einheiten durchaus kompatibel, solange sich diese mit ihren Entscheidungen im Korridor zentraler Erwartungen, beispielsweise den vorgegebenen Kapitalrenditen, bewegen. Die heute in den Automobilunternehmen praktizierte Dezentralisierung sei keine Alternative zum Zentralismus, sondern eine Methode seiner Erneuerung, seiner Modernisierung. Unmittelbar sichtbar werde das am Instrument der Zielvereinbarung, das heute in allen Automobilunternehmen in Deutschland eingesetzt werde." (FAZ vom 19.4.99)

Denn natürlich stehen alle Zielvereinbarungen unter dem Diktat der Kapitalverwertung und des Konkurrenzkampfes. Aber die fortschreitende und (wenn man denn sehen will) sichtbare Vergesellschaftung der Arbeit bis hinein in die Betriebsabläufe macht eben dieses verselbständigte Ziel mehr und mehr angreifbar, weil widersinnig. Dazu reicht es allerdings nicht, das Kapital bloß als Kapital zu bezeichnen und den Profit bloß als Profit. Das ist ohnmächtiges Kapitulieren vor der Erscheinungsform. Dazu muß man endlich wieder das beim Namen nennen und in Frage stellen, was das Kapitalverhältnis erst konstituiert: das Privateigentum an Produktionsmitteln, und imstande sein, die Möglichkeit unmittelbar gesellschaftlicher oder kommunistischer Produktion konkret aufzuzeigen.