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1. Territorialisierung vs. Potlach

Seit den Anfängen der agrarischen Gesellschaft ist der Mensch baumartig verzweigten top-down Strukturen wie dem Staat unterworfen. Hingegen praktizieren polynesische Stämme die Zirkulation von Geschenken, durch die Menschen zu Stämmen zusammengefaßt und die Kooperation zwischen den Stämmen ermutigt wird. Diese Geschenksökonomie der Stämme zeigte, daß Individuen erfolgreich zusammenleben konnten, ohne den Staat oder den Markt zu benötigen.

Geschenkökonomie in archaischen Kulturen. Malinowski, Mauss, Sahlins, Bourdieu und viele andere nehmen die Geschenkökonomie archaischer aber noch existenter Kulturen auseinander. Bei den archaischen Gesellschaften tritt das Phänomen offener zu Tage. Die Geschenkwirtschaft ist noch nicht durch eine dominante Geldwirtschaft überlagert, sondern oft selbst die bedeutendste Güteraustauschform. [1]

Das Potlatsch war historisch eine Vorform des Warentauschs bei einigen indigenen Stämmen an der nördlichen Pazifikküste der heutigen USA. Ein Würdenträger lud einen anderen ein und überhäufte ihn mit Geschenken. Was dem Gast nicht gefiel - egal ob Sklaven oder andere Reichtümer - wurde zerstört. Der Ruhm des Gastgebers stieg mit dem Maß von Veräußerung, das er "zu Ehren"des Besuchers initiierte. Der "Sinn" lag darin, daß der Gast, durch diese Orgie des Gebens gedemütigt, nun seinerseits selbst ein solches Potlatsch veranstalten mußte,das keinesfalls hinter dem des Herausforderers zurückbleiben durfte, um sein Ansehen wieder herzustellen. Potlatch steht als Versprechen für eine Welt des Überflusses, des überbordenden Reichtums, der unbekümmerten 'Verschwendung' und des Spiels, für die Aufhebung warenförmiger Verkehrsformen; jenseits der Ökonomie, der Zweckgebundeheit und des kleinlichen Aufrechnens von Geben und Nehmen. Potlach

2. Schenken in modernen Gesellschaften.

In der ersten zentralen Kampfschrift für die heraufziehende Marktwirtschaft, in Adam Smiths Wohlstand der Nationen, wird der Geschenkverkehr als etwas primitives, eigentlich animalisches, verworfen. Unser System heute basiert darauf, daß jeder Tauschakt im Prinzip abgeschlossen ist: Der Gebende bekommt die Gegenleistung sofort: Geld, einen Tauschgegenstand, Schecks, Schuldscheine oder einklagbare Forderungen. Die Öffentlichkeit braucht damit nichts zu tun zu haben und die beiden Akteure müssen keine wie auch immer geartete Beziehung zueinander eingehen. In der Industriegesellschaften wird das Geschenk in Randbereiche verdrängt (als Kommunikationsform innerhalb von engen, persönlichen Beziehungen).

3. Situationismus

In den 20ern perfektionierten die Surrealisten die Fusion künstlerischer Kreativität mit sozialer Rebellion. Ihr bohemienhafter Lebensstil würde die langweile Konformität des täglichen Lebens im Kapitalismus herausfordern.

Bei den Situationisten wird Potlatch das Synonym für die niemals endenwollende Fete an der die kommende Revolution zu messen sein wird. Es ist ein Organ der L.I., mittels dessen sie von 1954-57 "die kollektive und bewußte Etablierung einer neuen Zivilisation" anstrebte. Die in der Potlatch verteilten "unverkäuflichen Güter", bestanden aus den bislang unveröffentlichten Wünschen und Fragen der Lettristen. Deren gründliche Analyse durch andere Menschen stellte ein Gegengeschenk dar. [WWW]http://machno.hbi-stuttgart.de/~hk/si/si_allg.htm

Die Situationisten treten dafür ein, eher den sozialen Kontext kultureller Produktion zu verändern, als die Ästhetik der Kunst. Anstatt der Avantgarde-Elite zu folgen, sollte jeder die Möglichkeit haben, sich selbst auszudrücken.

4. Die Ideale des Mai 1968

Mit dem Auftreten der Konsumgesellschaft schien die traditionelle Linke Politik der uneingeschränkten Modernisierung ihre Grenzen erreicht zu haben. Sobald beinahe jeder jährliche Einkommenszulagen bekam, und die Massenarbeitslosigkeit beseitigt war, gewannen die Probleme des täglichen Lebens an Wichtigkeit, wie zum Beispiel Einschränkungen sexueller oder kultureller Freiheit.

5. Die Idee des Anarcho-Kommunismus

Junge Militante entdeckten als Reaktion auf diese historisch spezifischen Umstände den Anarcho- Kommunismus wieder und modernisierten ihn nicht nur als eine Theorie, sondern auch als Praxis. Anarcho-Kommunismus war die radikalste Form der 60er Jahre Politik und bezeichnet sowohl die Vernichtung staatlicher Macht, als auch des Marktkapitalismus, die Umformung der Gesellschaft in eine direkte Demokratie und Geschenksökonomie. Anarcho-Kommunismus ist keine neue Produktionsform; es ist die Bestätigung einer neuen Gemeinschaft.

Die Sozialbewegungen formten auf dieselbe Weise Hippie-Stämme, die unabhängig von allen zentralisierenden und hierarchischen Tendenzen waren, insbesondere von denen, die von der Mainstream Linken unterstüzt wurden. Die Situationisten um Guy Debord treten dafür ein, eher den sozialen Kontext kultureller Produktion zu verändern, als die Ästhetik der Kunst. Vor allem suchten die Situationisten nach Lebensweisen, die frei von der Korruption der Konsumgesellschaft sind. Trotz ihrem Hegelianischem Modernismus behaupteten sie, daß das Potlatch - die Geschenksökonomie polynesischer Stämme - ein Vorläufer des Anarcho-Kommunismus gewesen sei. Nach der sozialen Revolution würde das Potlatch die Waren vollkommen ersetzen. [WWW]Richard Barbrook: Die heiligen Narren, High Tech Geschenkökonomie

Anarcho-kommunistischen Revolution (Guattari, Deleuze) bei der die Unterdrückten aus der Kontrolle des Staates in autonome Rhizome fliehen, die von den Sozialbewegungen gebildet werden. Die Vorläufer des neuen Typus eines menschlichen Wesens, das nach dieser anarcho-kommunistischen Revolution auftauchen würde: ein Hippie-Äquivalent zu Nietzsches Übermensch. Für Deleuze und Guattari war Anarcho- Kommunismus also nicht nur die Realisation der direkten Demokratie und der Geschenksökonomie. In ihrer "Schizo-Politik" würde die Revolution die bürgerliche Rationalität zerstören und jedes Individuum ein heiliger Narr werden.

[WWW]Kommunikationsguerilla

6. Hi Tech Geschenkökonomie

Nach dem Mai '68 glaubten viele Anhänger der Neuen Linken, daß die effektivste und unterhaltsamste Form, ihre Revolution in die Praxis umzusetzen, die Produktion alternativer Medien wäre. Während der 70er griffen kulturelle Aktivisten der Neuen Linken dieses Monopol durch die Einrichtung von Piratenradiostationen an. Emanzipatorische Medien konnten angeblich nur innerhalb dieser Geschenksökonomie produziert werden. Während der späten 70er wurden pro-situ Einstellungen durch die Punk Bewegung noch popularisiert. Seit damals bis heute beruht das cutting edge der Musik auf dem Prinzip der Teilnahme. Zentral ist, daß jeder Benutzer des Netzes jetzt also an einer Geschenksökonomie teilnimmt. Ohne überhaupt daran zu denken, zirkulieren Menschen andauernd gratis Informationen untereinander. Sie kooperieren ohne den direkten Einfluß von Politik oder Geld miteinander. Weit davon entfernt, ein Privileg für Intellektuelle zu sein, ist der Anarcho- Kommunismus eine ganz normale Betätigung von gewöhnlichen Menschen im Cyberspace. [WWW]Richard Barbrook: Die heiligen Narren, High Tech Geschenkökonomie

7. Geschenkökonomie im informationellen Bereich der Wissenschaft

Das Initationsgeschenk eines Wissenschaftlers, mit dem er in die Gemeinde eintritt, ist oft seine Dissertation. Meist bekommt er wenig oder keine Mittel dafür. Er wird von den Institutionen der Gemeinde auf eine sehr archaische Weise belohnt: Sie verleihen ihm einen Namen. Mit weiteren Publikationsakten akkumuliert der Wissenschaftler - je nach Wert seiner Veröffentlichung - Ansehen. Eine knappe Ressource in der Wissenschaft ist der Veröffentlichungsraum. Das Netz löste den Teil des Knappheitsproblems, der technisch bedingt ist: Was zunächst entstand, war ein riesiger Marktplatz für graue Literatur [...] Das e-print-Archiv in Los Alamos wächst jeden Monat um ca. 1600 Pre-Prints.

8. Unix Szene

Erst die Existenz einer intellektuell und machtmäßig qualifizierten Rezipienten-Gemeinde macht eine extrinsische nichtmonetäre Belohnung und einen strategischen Reward möglich.

9. Technolinke

Die ehemalig einflussreichste Online-Community, das WELL, ein Mailboxsystem, das allerdings erst später mit dem Internet verbunden wurde, ist eine Gründung von Ex-Landkommunarden und Herausgebern alternativer Zeitschriften. John Perry Barlow, der Verfasser der Cyberspace Independence Declaration [1996], das eins der wichtigsten und weitrezipiertesten Dokumente zum Selbstverständnis der Gemeinde ist, war ein Texteschreiber der Grateful Dead - eine Hippierockband, die kein Copyright auf ihre Stücke geltend macht, sondern diese durch Konzertmitschnitte der Besucher veröffentlichen lässt. Das Internet wurde von Anfang an durch gesellschaftliche Gruppen benutzt, innerhalb derer der Geschenkverkehr bereits dominierte [Grateful Dead]

9.1. Kalifornische Ideologie

Heutzutage kann sich kultureller Elitismus leicht in stillschweigende Sympathie für den Neo-Liberalismus verwandeln. Die Revolution wird digitalisiert.

Wired benutzt die Neue Ökonomie als ein Synonym für seine neo-liberalen Phantasien über die digitale Zukunft. [WWW]aus: Telepolis

10. Perl Gemeinde

Ein Beispiel für die neuen Formen der Geschenksökonomie ist die Perl-Szene. Sie haben eine einzigartige Ideologie und Einstellung gegenüber ihrer Sprache, das Initialgeschenk wurde zum Teil aus religiösen Gründen gegeben und die Belohnung für ihre kostenlose Arbeit wird von den Perl-Hackern oft in Altmedien realisiert. Andererseits werden hier grundlegende Muster der Produktion und des Güterverkehrs sichtbar.

11. Party/Szene Kultur

Wie wollen wir leben? Wir werfen zusammen, was zusammen gehört, das Beste aus Leben und Kultur: Erfahrungen, Gefühle und Phantasien. Nur Geben ist Leben. partyflyer tempodrom berlin [WWW]http://www.members.partisan.net/sds/ruck/ruckpk1.html

12. Zukunft

Wie kann die Geschenksökonomie weiter die dominierende Verkehrsform im Netz bleiben?

12.1. Szenario1

Es wäre denkbar, daß nach einer Anfangsphase, in der verschiedene Akteure durch ein Initationsopfer in Form eines Geschenkes die nötige Aufmerksamkeit, das Vertrauen und Zutrauen potentieller Käufer sowie einen gewissen Marktanteil mit ihren Produkten gefunden haben, sich eine normale Geldwirtschaft zunehmend ausbreitet: Die einst freien Angebote werden kostenpflichtig oder finanzieren sich über Werbung.

12.2. Szenario2

Obwohl das Netz weiterhin wächst und eine immer bedeutendere Rolle unter den Kommunikationsmedien einnimmt, bleibt die Geschenkökonomie dominant und gewinnt dadurch an gesellschaftlicher Relevanz, weil breitere Bevölkerungsschichten von dieser Verkehrsform profitieren. Irgendwann ist es normal, alle Inhalte frei zu bekommen.

12.3. Blade Runner

Vision zwischen Platons Staat und Ridley Scotts Blade Runner. WAS ALS PERFEKTE GESELLSCHAFT GEPLANT WAR, IST EIN TOTALITÄRES GEMEINWESEN GEWORDEN. Es gibt keine Regierenden und Regierten. Die horizontale Organisationsform ist Wirklichkeit geworden.

12.4. GPL Gesellschaft

13. Ästhetische Wahrnehmung und Poesie

Was tun, nachdem der Hype des Internet und der New Economy vorbei ist? Verbreitet ist ein traditionalistischer Gestus der Distanzierung, und oft werden die immer schon verdächtigen subkulturellen Haltungen gleich mit erledigt. Bifo plädiert dagegen für eine Kritik des Alltagslebens, der die Wirkungen informatischer Netzwerke und die Verhältnisse intellektualisierter Arbeit nicht egal sind.

Richard Barbrook ist ganz sympathisch; er lebt in London und leitet dort das so genannte Hypermedia Research Centre. Das Institut ist der Universität von Westminster angegliedert und selbstverständlich auch im Web präsent (www.hrc.westminster.ac.uk).

Vielleicht ist es intellektuelle Penibilität, die Barbrook dazu bringt, immer dann Teufelswerk zu vermuten, wenn die Welt anders erklärt wird, als es im aufgeklärt-progressiven Katechismus steht. Als ein fanatischer Verteidiger der Tugenden, die der moderne Sozialstaat gebracht hat, verwünscht Barbrook alle und jeden, denen es an Respekt für seinen Gott mangelt. [WWW]Franco Berardi Bifo in Jungle World

14. Weitere Links



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