Die wirkliche Randale fand diesmal nicht auf der Straße, sondern im Web statt: Digg-User ringen Digg nieder. Die Botschaft: Zensur, nicht mit uns! Mit einem Digg-Teaser plus Link zu einem Code, der das Aushebeln von AACS-Sperren bei HD-DVDs möglich macht, begann es. Die Story wurde schnell hoch bewertet, dann zog Digg die Reissleine und schmiss den Beitrag raus. Schwerer Fehler! In kurzer Zeit entbrannte ein Rennen um das Einstellen und Wiederrausschmeissen des Codes aus Digg — der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Zeitweise war Digg offline.
Zerknirscht wirft Digg-Geschäftsführer Jay Adelson um 21 Uhr Ortszeit das Handtuch:
Heute war ein schwieriger Tag für uns. Wir mussten entscheiden, ob wir Beiträge entfernen, die einen bestimmten Code enthalten — auf Grundlage einer Beendigungs- und Unterlassungserklärung. Wir mussten einen Anruf machen [die AACS-Anwälte anrufen?], und im Wunsch einen Szenario zu vermeiden, bei dem Digg unterbrochen oder geschlossen wird, entschieden wir uns, dem nachzukommen und den Beitrag mit dem Code zu entfernen.
Aber nun, nach dem wir hunderte von Beiträge gesehen haben und tausende von Kommentaren, habt ihr uns es klar gemacht. Ihr wollt es lieber sehen, dass Digg hingeht und kämpft als sich einem größeren Unternehmen zu beugen. Wir haben euch gehört und mit sofortiger Wirkung werden wir keine Beiträge oder Kommentare mehr löschen, die den Code enthalten, und wir werden mit den Konsequenzen umgehen wie auch immer die ausehen werden.
Wenn wir verlieren, dann zum Teufel, sterben wir wenigstens kämpfend.
Pathetisch, pathetisch. Was lehrt das? Das Massen doch weise sind? Eines auf jeden Fall: DRM ist langfristig nicht durchsetzbar. Doch es gibt sorgenvolle Gemüter, die Digg schon in der Pleite sehen. Ziemlich daneben fand ich den Kommentar in einem Spreeblick-Beitrag:
Ich bekomme aber langsam ein ungutes Gefühl dabei, wenn ich aufgebrachte Online-Massen dabei beobachte, wie sie für ihre Sicht der Dinge ohne Rücksicht auf möglicherweise dauerhaft schmerzhafte Verluste kämpfen, und zwar oft dann am heftigsten, wenn es darum geht, etwas umsonst zu bekommen. Die Motor der Revolution scheint der gleiche zu sein wie der der herrschenden Produzentenklasse: Gewinnmaximierung.
Öh, hallo? Umsonst = Gewinnmaximierung? Und hat das vielleicht damit zu tun, dass universelle Güter nun mal nicht vor den Usern wegzusperren sind?
[Update:] Mehr lesen bei SpiegelOnline, Netzpolitik, BBC-News
Kommentar von johnny
#1 2. Mai 2007, 17:29 Uhr |
Es ist ein Gewinn, wenn du etwas kostenlos erhältst, wofür andere bezahlen müssen, oder?
Ich halte ja Kopierschutz auch für Schwachsinn, aber seit wann ist denn eine Filmproduktion ein universelles Gut?
Kommentar von StefanMz
#2 2. Mai 2007, 17:48 Uhr |
Seit wann hab ich einen Gewinn, wenn andere zahlen? Ist das BWL-Logik?
Richtig, Filmproduktion kostet unter unseren Bedingungen, aber das Gut, was das raus kommt, hat unabhängig davon einen universellen Charakter. Diese zwei Paar Schuhe müssen getrennt werden. Stattdessen argumentierst (nicht nur) du umgekehrt: Weil Filmmachen kostet, ist das digitale Produkt kein Universalgut mehr. Und eigentlich kannst du nicht mehr wirklich begründen, warum der Kopierschutz “Schwachsinn” ist.
Kommentar von johnny
#3 2. Mai 2007, 18:00 Uhr |
Ich halte Kopierschutz auch ökonomisch für Unsinn, denn das Geld wäre an anderen Stellen, nämlich bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, sinnvoller angewandt und Kopierschutz wird einfach nie funktionieren, ein Kampf gegen Windmühlen eben.
Das mit dem universellen Gut: Demnach wäre jedes Produkt ein universelles Gut?
Kommentar von StefanMz
#4 2. Mai 2007, 18:23 Uhr |
Nein, das gilt nur für Informationsgüter, digitale zumal. Die Schwierigkeit das einzusehen (da hab ich mich bis vor kurzem auch geweigert), beruht auf dem gewohnten, aber hier falschen Rückschluss von Preis auf Werthaltigkeit. Informationsgüter sind wie Wissen: Das verbraucht sich nicht und wird durch Verbreiten nicht weniger, sondern mehr (ist nicht-rival und nicht-exklusiv). Grundsätzlich. Pythagoras ist wertlos. Jetzt kann ich DRM oder Patent drankleben, dann bekommt es vielleicht einen Preis, ist aber immer noch nichts wert, weil sich am Gut selbst nichts geändert hat. Das ist etwas, was das Patentrecht übrigens noch berücksichtigt: Nur die technische Realisierung ist geschützt, nicht die Idee. Noch. — Ok, sind noch ein Bündel mehr Argumente, die ich mal aufschreibe. Stay tuned.
Kommentar von johnny
#5 2. Mai 2007, 21:33 Uhr |
Ok, jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst und bin gar nicht so weit weg, wie das scheinen mag. Auch hier: Stay tuned, weil zu wenig Zeit gerade…
Kommentar von Christian
#6 2. Mai 2007, 21:56 Uhr |
Wow, sogar der Spiegel-Artikel verlinkt den Blog, der das Ganze ins Rollen brachte. Und die setzen ja extrem selten Links, egal wie unproblematische. Langsam glaube ich auch, dass die Idee “Kopierschutz” (die Vorstellung, dass Content effektiv kopiergeschützt werden kann) 2007 faktisch zu Grabe getragen werden könnte…
Das ist zwar noch nicht gerade die Revolution, aber schlecht ist’s jedenfalls auch nicht
Kommentar von holger
#7 3. Mai 2007, 05:54 Uhr |
Stefan, ich finde ja schade, dass Du Dich nicht mehr weigerst, falsche Dinge über die Werthaltigkeit von Informationsgütern zu erzählen
Ein Wertbegriff, der Informationsgüter wegen ihrer stofflichen Qualität ausschließt, ist aus meiner Sicht nicht in der Lage, die Vermittlung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (unter kapitalistischen Bedingungen) sinnvoll zu fassen: Die Informationsgüter produzierenden Branchen würden einfach aus der Vermittlung des Wertgesetzes rausfallen, die für Informationsgüter gezahlten Preise müssten über Angebot und Nachfrage erklärt und als Abzug vom in anderen Sektoren produzierten Wert verstanden werden (so dass die Wertproduktion in anderen Sektoren die Expansion des IP-Sektors begrenzen würde). Das leuchtet mir nicht ein.
Ja, es gibt hier zwei Paar Schuhe, die getrennt werden müssen: Die Produktion und die Reproduktion von Informationsgütern. Die Produktion von Informationsgütern setzt ganz ebenso wie die Produktion von Brötchen gesellschaftlich notwendige Arbeit voraus. Diese Arbeit ist daher ganz ebenso wie jene prinzipiell wertbildend. Das spezifische an Informationsgütern ist, dass ihre Reproduktion keinen nennenswerten Arbeitseinsatz erfordert. Relevant ist diese Eigenschaft insofern, als sie eine spezifische Problematik bezügl. der Realisation des Werts schafft: Sofern der produzierte Wert häppchenweise über den Verkauf von Kopien realisiert werden soll, muss das Eigentum am Produkt auch nach dem Verkauf beim Anbieter verbleiben und entsprechend geschützt werden, um sicherzustellen, dass das Produkt nicht durch freie Reproduktion entwertet wird. Siehe den Anlass für diesen Blog-Artikel Darüber hinaus führt diese Notwendigkeit natürlich zu einer spezifischen Ineffizienz von kapitalistischer Privatproduktion, weil Räder ggf. neu erfunden werden müssen; aber für die Wertfrage ist das irrelevant.
Ja, Pythagoras ist wertlos, wie alles frei verfügbare Wissen, wie überhaupt jedes frei verfügbare Gut. Wertlos zu sein liegt aber ebensowenig in der Natur der Pythagoras-Sache, wie es in der Natur eines Brötchens liegt, einen Wert zu haben. »Wert« ist ein gesellschaftliches Verhältnis, keine stoffliche Qualität von Dingen. Zwar ist richtig, dass Wissen ohne Eigentumsschutz wertlos ist und dass die praktisch kostenlose Reproduzierbarkeit wie gesagt einen Eigentumsschutz erfordert, der sich vom Eigentum des Bäckers am Brötchen u.U. darin unterscheidet, dass er sich auch auf die verkaufte Kopie bezieht. Die spezifische Problematik des Eigentumsschutz bei Informationsgütern liegen aber auf einer anderen Ebene als Deine Behauptung, es sei dem Informationsgut inhärent, wertlos zu sein. Freie Verfügbarkeit macht wertlos, prinzipielle Reproduzierbarkeit nicht.
Kommentar von StefanMz
#8 3. Mai 2007, 09:02 Uhr |
@Holger: Hm, ich möchte die Diskussion gerne verschieben, aber trotzdem noch was schreiben. Na ja, es geht nicht alles auf im Leben. Also lass ich mal die grundsätzlichen Sachen weg, und schreib nur einzeln was zu deinen Argumenten.
Das Herstellen von Einzelexemplaren (Kopien) ist Teil der Produktion. Das ist nicht anders als bei Brötchen.
Das ist dann nicht der Fall, wenn es sich um allgemeine Arbeit handelt. Ein anderes Beispiel dafür ist die Wissenschaft.
Aber nicht als Ding-Eigenschaft, sondern als gesellschaftliches Verhältnis. Dazu müsste ich mehr sagen, muss ich aber aufschieben.
Wäre das zutreffend, dann würden Ding-Eigenschaften wie der (geknackte) Kopierschutz über die Werthaltigkeit entscheiden. “Wert” ist jedoch ein gesellschaftliches Verhältnis - das Argument ist auf meiner Seite:-)