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06.08.2005
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Interview: Wolfgang Pomrehn |
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»Unsinn läßt sich mit wenigen Klicken beseitigen« |
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In Frankfurt a. M. tagt der erste internationale Kongreß der Internet-Enzyklopädie Wikipedia. 400 Gäste aus aller Welt beraten über Weiterentwicklung. Ein Gespräch mit Kurt Jansson |
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* Kurt Jansson ist Vorsitzender des Vereins Wikimedia Deutschland e.v., der u. a. die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia unterstützt.
F: Wikipedia, die freie Internet-Enzyklopädie, boomt, schrieb neulich eine Tageszeitung. Aber was ist eine freie Enzyklopädie?
Eine für jeden im Internet zugängliche Sammlung von Artikeln zu allen möglichen Sachgebieten. Die deutschsprachige Version hat bereits über 260000 Artikel, die englische gar über 600000. In allen über 100 Sprachen zusammengerechnet sind es mehr als zwei Millionen Beiträge, die eine große Leserschaft haben. Mit rund 50 Millionen Aufrufen pro Tag gehört Wikipedia inzwischen zu den weltweit meistgelesenen Webseiten.
F: Wie funktioniert Wikipedia? Wer schreibt die Beiträge?
Gewöhnlich kann man Internetseiten nur lesen, aber nicht verändern. Bei Wikipedia ist das anders. Dort gilt das sogenannte Wiki-Prinzip. Das heißt, jeder Internetnutzer kann nicht nur die Artikel der Enzyklopädie lesen, sondern sie auch verändern. Wenn also ein Leser meint, er habe zu einem Artikel etwas beizusteuern, oder auch nur Tippfehler zu korrigieren, dann klickt er zur Bearbeitung auf einen Link, der sich an jedem Beitrag findet. Sobald er seine neue Version abgespeichert hat, kann diese von allen gelesen werden. Gleichzeitig werden die Änderungen, das heißt auch die älteren Versionen, dokumentiert, so daß die anderen Nutzer sie nachvollziehen und wenn nötig kritisieren können.
F: Einige Mitstreiter haben kürzlich aus Frustration über »schlecht recherchierte Artikel« ein neues Projekt gestartet. Leidet die fachliche Qualität, wenn jeder mitschreiben kann?
Das Gute an Wikipedia ist, daß es sehr transparent ist. Sollte mal jemand Quatsch reingeschrieben haben, läßt sich das schnell mit wenigen Klicken rückgängig machen. Was die Autoren angeht, handelt es sich nicht nur um Laien. Inzwischen beteiligen sich sehr viele Fachleute, die Spaß daran haben, ihr Wissen weiterzugeben und sich über Wikipedia mit anderen, sowohl mit Fachkollegen als auch mit Laien, auszutauschen.
F: »Neutralität« ist eines der Grundprinzipien Wikipedias. Gelegentlich führt das dazu, das dort abwegige Positionen zum Beispiel von Lobbyisten der Erdölindustrie auftauchen. Die stehen dann fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen gleichberechtigt gegenüber. Entsteht da nicht der Eindruck, es gebe keine Wahrheit, sondern nur Meinungen?
Wir denken, daß wir nicht den einzigen, objektiven Standpunkt annehmen können, wie es sich andere Enzyklopädien anmaßen. Alle Meinungen, die im öffentlichen Raum zu einem bestimmten Thema vertreten werden, sollten auch ihren Niederschlag in dem entsprechenden Artikel finden. Allerdings kenntlich gemacht und mit Quelle versehen. In dem angesprochenen Artikel sollte also deutlich gemacht werden, was die Meinung der Ölindustrie ist und welche Meinung im wissenschaftlichen Kontext vertreten wird.
F: Kommt es vor, daß Sie Fachleute gezielt ansprechen und bitten, bestimmte Themen aufzuarbeiten?
Bisher viel zu wenig, aber ich hoffe, daß das in Zukunft systematischer geschieht, denn es gibt noch viele Lücken. Wikipedia ist sicher ein Projekt, das auf Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte angelegt ist.
F: Noch bis Sonntag treffen Sie sich in Frankfurt zum ersten internationalen Wikipedia-Kongreß. Worüber wird gesprochen?
Wir hatten schon kleinere Treffen in Deutschland und auch in anderen Ländern, aber dies ist der erste internationale Kongreß, zu dem 400 Gäste aus aller Welt gekommen sind. Geboten werden Vorträge über Fragen rund um Wikipedia, sowohl organisatorischer als auch inhaltlicher Art. Auch die Softwareentwickler, die ständig die Programme weiterentwickeln, um die Abläufe zu optimieren und neue Funktionen einzubauen, beraten in Frankfurt. Nicht zuletzt die hohen Zugriffszahlen sind für sie eine ständige Herausforderung. Daneben ist der Kongreß auch eine Art gesellschaftliches Ereignis. Viele Leute, die sich nur online kennen, treffen sich zum ersten Mal in der realen Welt.
* info: www.wikipedia.de |
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