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Die Berufung auf Marx stellt eine, vielleicht die einzige, Gemeinsamkeit dar, durch die sich Organisationen und Individuen, welche sich kommunistisch nennen, auszeichnen. Noch dort, wo die Differenzen in der Beurteilung von Tagesfragen der politischen Praxis in einen erbitterten Kampf zwischen Feinden übergehen, prangt von den Druckschriften der streitenden Parteien der Kopf von Marx. Und bisweilen geht solche Identitätserklärung, die ihre Fragwürdigkeit schon durch die Präsenz minder illustrer Köpfe dokumentiert, auch über das Symbolische hinaus. Der "gewaltige Denker", wie Engels seinen Freund nannte, allen zum Trotz, die meinen, Marxismus stünde im Gegensatz zum Denken, wird auch zitiert - womit man ausspricht, daß es nicht um die Partikularität des bärtigen Mannes auf den Posters geht, sondern um seine Einsichten. Dieses Urteil tritt noch deutlicher dort hervor, wo dem jeweiligen Gegner die Abweichung von der Marxschen Theorie als "ernster Fehler" vorgerechnet wird und deren Wahrheit außer Frage steht.
In krassen Gegensatz zu diesem in der Auseinandersetzung praktizierten Beharren auf der Wissenschaftlichkeit des Sozialismus gerät jedoch das brutale Sammelsurium moralischer und begriffloser Parteilichkeits"argumente" und Weltanschauungsphrasen, das eher den Eifer des Proselyten verrät als den "Mann der Wissenschaft", der seine Einsichten in die Natur der kapitalistischen Gesellschaft in der Tat umsetzen will. Es macht deutlich, daß im Bereich der Auseinandersetzung zwischen kommunistischen Organisationen mehr noch als sonst das Gebot von Marx gilt, daß man einen Menschen nicht danach zu beurteilen hat, was er sich selbst dünkt, sondern danach, was er tut. Wo das formelle Pochen auf die Wahrheit des wissenschaftlichen Sozialismus beständig mit noch hinter die bürgerliche Wissenschaft zurückfallender Phraseologie kollidiert, sinkt Marx zum Zeugen für das Gegenteil dessen herab, was er vertrat. Ein solcher Umgang mit Marx zeigt nur, daß man mit Marx bereits fertig war, bevor man ihn studiert hatte. Diejenigen, die ihn praktizieren, scheiden wohl auch von vornherein als Adressaten für einen in mehreren Fortsetzungen geplanten Artikel über den Aufbau des "Kapital" aus. Er richtet sich nicht an die, welche den Namen "Marx" bloß im Munde führen, sondern an die, welche ihn studieren; unser Kommentar soll die beim Studium des "Kapital" auftretenden Schwierigkeiten, die wirkliche Wissenschaft mit sich bringt, lösen helfen. Er wendet sich zunächst einmal an die Gruppen, die sich unserer Politik verpflichtet wissen und sie durchzusetzen versuchen; dann die Leute, die durch Kenntnisnahme unserer Veröffentlichungen partiell oder ganz davon überzeugt sind, daß unsere Politik richtig ist und sich die Ergebnisse unserer theoretischen Arbeit aneignen wollen; schließlich an alle Individuen und Zirkel, die mit der Aneignung der Marxschen Theorie Ernst machen und deshalb auch den praktischen Konsequenzen gegenüber offen sind, die wir als Organisation bereits gezogen haben.
Einer Erwähnung existenter kommunistischer Organisationen und ihres Umgangs mit der Marxschen Theorie hätte es angesichts ihres offenkundigen Desinteresses an einer Fundierung ihrer Politik durch die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft nicht bedurft, würde sich nicht bei denen, die sich mit dem "Kapital" tatsächlich beschäftigen, im Prinzip derselbe Fehler finden, den die Vulgärmaterialisten aller Schattierungen begehen: das Verwenden von Marx zum Zwecke der Bestätigung der unbegriffenen Resultate seiner Theorie, das Handhaben einzelner Stellen seines Werks als Beleg dafür, was man unabhängig von den konkret durchgeführten Argumentationen seiner Theorie von dieser zur Kenntnis genommen hat. (Die Varianten vulgärmarxistischer Marx-Vergewaltigung sind bekannt: während die einen außer der platten Aussage, unsere Gesellschaft sei eine von Klassen, so gut wie nichts im "Kapital" finden, demonstrieren die anderen mit Hilfe von Zitaten, die sie aufgrund der mangelhaften oder völlig fehlenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie per Register suchen, unablässig, daß die Marxsche Theorie nicht (mehr) stimmt (Stamokap!). Die Varianten subtilerer Instrumentalisierung des Werkes von Marx erscheint als vorgezogene Diskussionen über dieses Werk. Statt sich auf das einzulassen, was Marx über den Kapitalismus herausbekommen hat, pflegt man sein wissenschaftliches Vorgehen, seine "Methode" zu thematisieren, über das Verhältnis von Forschung und Darstellung zu spekulieren oder gar die Beziehung zwischen Marx und Hegel zu besprechen. Wo die einen ihr praktisches Tun durch ihre Bezugnahme auf die Autorität von Marx zu legitimieren suchen, nehmen die anderen das Kapital zum Anlaß, ihre mehr oder minder begründeten Vorstellungen von Wissenschaft und "dialektischer Methode", zur Marxschen Vorgehensweise und seinem Verhältnis zur klassischen Philosophie darzutun. Man hatte sich vorgenommen, die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zu begreifen und betreibt, noch ehe man damit begonnen hat, ein völlig anderes Geschäft: man befaßt sich mit Marx als Wissenschaft treibendes Subjekt, mit der Differenz seines Denkens zu dem anderer Leute usw. Gegenstand der Diskussion ist nicht mehr der Kapitalismus, sondern Wissenschaft, richtige und falsche, bürgerliche und revolutionäre, ihr Verlauf als Tätigkeit eines Individuums und die Darstellung ihrer Resultate. Der erste Vorwurf, der den gang und gäbe gewordenen Expositionen zur Kapital-Lektüre gegenüber zu erheben ist, wäre der, daß ein Wechsel des Gegenstandes stattfindet. Es ist und bleibt nun mal etwas anderes, über Wissenschaft zu handeln, als über den Kapitalismus. Abgesehen davon, daß dabei eine der bürgerlichen Wissenschaft eigentümliche und ihrem Fehler geschuldete Unsitte übernommen wird, ist das Gerede über die Methode von Marx schon deshalb unstatthaft, weil man eben damit beginnt, Marx kennenzulernen, also über sein Vorgehen noch gar nicht urteilen kann. Kann sich bürgerliche Wissenschaft zunächst - zumindest dem Schein nach - bei ihren Methodendiskussionen ex ante noch darauf hinausreden, sie wolle den aus anderen Quellen bekannten Begriff von Wissenschaft abklären, entlarvt sich das in Schulungen und in der wild wuchernden Marx-Literatur1) praktizierte Vorwegdiskutieren "der" Marxschen Methode als barer Unsinn, geht es doch auf die Klärung eben der Wissenschaft, die man noch gar nicht kennt. Anders ausgedrückt: der spezifische Charakter des wissenschaftlichen Verfahrens von Marx wird nur für den kein Gegenstand von Vorurteilen, der Marx studiert hat. Von daher ist es unerklärlich, daß in Schulungen und Kapital-Arbeitskreisen ausgerechnet solche Diskussionen als Hilfe für diejenigen ausgegeben werden, die gerade den Entschluß gefaßt haben, die Marxsche Theorie des Kapitalismus nachzuvollziehen. Hinzu kommt, daß die für die besagten Vorklärungen herangezogenen Äußerungen von Marx selbst gewöhnlich nicht Äußerungen über Wissenschaft darstellen, sondern die Resultate richtiger resp. falscher Wissenschaft charakterisieren und auf' den von Marx durchgeführten Studien beruhen. Sätze wie die aus der Einleitung zu den Grundrissen - "Hegel geriet daher auf die Illusion das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden, und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen..." sind knappe Zusammenfassungen des Fehlers an der Hegelschen Philosophie, die bislang hauptsächlich dazu verwendet wurden, als höchste Einsicht über wissenschaftliches Denken Phrasen auszusprechen, die die Differenz zwischen Gedanken und Realität hochleben lassen, Was in einer Variante bürgerlichen Denkens von Marx als falsches Resultat aufgezeigt wird, dient als positive Bestimmung richtig zu Werke gehender Wissenschaft. Doch die häufigen Rückfälle in plattesten Empirismus lassen erkennen, daß eine Wissenschaft, die die Realität nicht als Produkt des Denkens auffaßt, noch lange nicht in Ordnung zu sein braucht... Die schlimmste Konsequenz von solchen unbegründeten und dilettantischen "methodischen Vorüberlegungen" zeigt sich aber erst in der Diskussion der Marxschen Ausführungen zur Politischen Ökonomie, die sich als Durchführung der zu Beginn etikettierten Methode bewähren müssen. Das "Kapital" gerät zur Idealismus- bzw. Wissenschaftskritik, sein Charakter als positive Wissenschaft des bestimmten Gegenstandes "kapitalistische Ökonomie" tritt in den Hintergrund. Allenthalben setzt die Suche nach dem "Materialistischen" an Marx ein und an die Stelle des Nachvollzugs seiner Gedanken über Ware, Wert, Kapital etc. tritt das Rätseln über wissenschaftskritische Motive, die Marx bewogen haben sollen, dieses oder jenes Kapitel hinzuschreiben. So liest man immer wieder erstaunt, die Abhandlung von Konkurrenzphänomenen im "Kapital" geschehe zum Zweck des Beweises, daß den Kategorien und Begriffen der Theorie auch Realität zukomme. An solchen Punkten machen sich die Wünschelrutengänger der Idealismuskritik zum Anwalt eben jener Auffassung des Verhältnisses von Begriff und Sache, die sie bekämpfen wollen, denn sie unterstellen Marx ein Vorgehen, bei dem der Konstruktion von Begriffen noch ein "materialistischer" Nachweis dafür folgen muß, daß ihrem Gehalt auch etwas Reales entspricht, Schulungen, die sich einmal auf das widersinnige Verfahren der nur als Vorgriff zu führenden Diskussionen um die "Marxsche Methode" eingelassen haben, geraten folgerichtig in das zwanghafte Bemühen, die Abfolge der Argumentation im Kapital aus etwas anderem legitimieren zu wollen, als aus dem, was Marx entwickelt. Dabei werden dann Zitate über das Verhältnis von Forschung und Darstellung herangezogen, die aber auch wieder die Kenntnis des Marxschen Werkes nebst der des Prozesses, den die Marxsche Auseinandersetzung mit der Ökonomie - und nicht nur dieser - durchlaufen hat, voraussetzen. Wer weiß, daß sich Forschung und Darstellung ihrer Resultate unterscheiden, weiß eben nur dies. Und zu mehr ist die ganze Zitatenklauberei über besagtes Verhältnis auch nicht nütze - zum Verständnis des "Kapital" trägt sie nichts bei. Wer dies behauptet, bringt nur die irrige Auffassung zum Ausdruck, daß die Marxsche Theorie nur dann zu begreifen sei, wenn der Weg, auf dem sie entstanden ist, nochmals zurückgelegt wird. Dieser Fehler kommt sogar explizit ausgesprochen vor: man suggeriert den Teilnehmern von Schulungen, sie müßten sich erst mit dem befassen, was Marx kritisiert hat, um ihn zu verstehen, und hetzt sie auf die Kritik von Ricardo und A. Smith. Diese wird dann wiederum mit Hilfe von Kennzeichnungen, die Marx ihren falschen Resultaten verliehen hat, vorgetragen und hantiert so mit Einsichten über Grundrente, Profitrate, das Verhältnis von Kapital und Konkurrenz - mit Kategorien also, die man erst kennenlernen und begreifen soll - um das wissenschaftliche Vorgehen von Marx zu "erklären".
Und da Marx an den von ihm kritisierten Ökonomen zeigen kann, daß ihnen die kapitalistische Produktionsweise nicht als eine bestimmte, von anderen unterschiedene kenntlich wird, sondern zu einer quasinatürlichen, überhistorischen Gesellschaftsform erklärt wird, glauben "Marxisten" den Garanten für eine richtige wissenschaftliche Betrachtung der kapitalistischen Gesellschaft entdeckt zu haben: man nimmt die der Analyse von Marx entsprungene Aussage über den historischen Charakter des Kapitalismus für einen Standpunkt, den er vor seiner Erkenntnistätigkeit eingenommen hat und fixiert den Fehler bürgerlicher Ökonomie (der Wissenschaft) als "ahistorischen Standpunkt"2). Die Frage nach der Herkunft der historischen "Betrachtungsweise", nach ihrer Begründung als der wissenschaftlichen gegenüber der "ahistorischen" Ideologie wird meist recht seltsam beantwortet - nur nicht mit dem einzig richtigen Argument, daß wirkliche Wissenschaft eben zu der Erkenntnis von der Aufhebung des Kapitalverhältnisses gelangt3); stattdessen dreht man das Verhältnis von Kapitalbegriff und Geschichte, wie es bei Marx eindeutig formuliert ist4), einfach um. Nicht das begriffene Kapitalverhältnis erklärt dann die geschichtlichen Prozesse als seine Herausbildung, sondern historische Fakten sollen den Bau der kapitalistischen Gesellschaft deuten.
Diese Verdrehung, auf der die Phrase von Geschichtslehrern beruht, man müsse, um die Gegenwart zu verstehen, Geschichte treiben, kann sich auf die falsche Kapitalrezeption von Lenin stützen5); er faßt die Abfolge der Argumentation des Marxschen Werkes als Darstellung von historischen Stadien, welche die kapitalistische Gesellschaft durchlaufen hat, was zu den von Revisionisten aller Schattierungen zitierten Fehldeutungen der kapitalistischen Entwicklung im 20. Jahrhundert führt: die Durchsetzung des Kapitalverhältnisses, die Überwindung von Schranken, die aus überkommenen Gesellschaftsformationen der Bewegung des Kapitals entgegenstehen, deutet er als Veränderung des Kapitalismus, seiner Gesetzmäßigkeiten selbst6). Die Darstellung des Begriffs der kapitalistischen Produktionsweise ist aber nicht mit der ihrer geschichtlichen Herausbildung identisch. Ein derartiges Verständnis des Marxschen Werkes übersieht, daß der Endpunkt der bisherigen Geschichte als Kapitalverhältnis begriffen sein muß, damit sich vorkapitalistische Prozesse als dessen Genesis fassen lassen. Wenn der erkannte Kapitalismus auf sein historischen Voraussetzungen verweist, so heißt das noch lange nicht, daß die Betrachtung dieser Voraussetzungen umgekehrt die Gesetze der bürgerlichen Ökonomie enthüllt.
Daß Begriff und Geschichte des Kapitals nicht ohne weiteres identisch sind, drängt sich auch denen auf, die sich um die "Methode" von Marx bemühen, ohne seine Aussagen und ihren Zusammenhang im Kapital selbst zu verfolgen. Aus verstreuten Aussagen von Marx, die in der Literatur zum Kapital ausgiebig zitiert werden, weiß man, daß die Reihenfolge der von Marx behandelten Kategorien "bestimmt (ist) durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau die umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe ihrer historischen Entwicklung entspricht"7). Statt nun solche Bemerkungen ernstzunehmen und am Material der Kritik der Politischen Ökonomie zu prüfen, in welchem Verhältnis die Ausführungen über Geschichte zur begrifflichen Entwicklung der Kategorien stehen, versucht man wiederum a priori eine "Marxsche Methode" allein aus dem oberflächlich konstatierten Nebeneinander von Begriffsbestimmung und Aussage über die Durchsetzungsweise einer Kategorie zu konstruieren - doch die klangvollen Namen wie "logisch-historisch", "strukturell-genetisch" usw. können nicht darüber hinwegtäuschen, daß man nicht mehr weiß, als daß im "Kapital" zwei Ebenen von Aussagen voneinander zu unterscheiden sind: das bestimmte Verhältnis zwischen ihnen fordert zu seiner Erklärung mehr als einen Bindestrich und Spekulationen darüber, wie stark Hegel, Engels und Marx die Identität von "logischer und historischer Entwicklung" betonen. Nicht besser steht es um die "Problematisierung" der Beziehung zwischen "Logik" und "Empirie", die in neueren Papieren und Broschüren modisch geworden ist. Sie zehrt von der Vermischung zweier Fragestellungen, die sich durch die aufgezeigte Verschiebung des Gegenstandes in methodischen Vordiskussionen ergibt: Die Differenz zwischen den Formbestimmungen, die Marx im Kapital systematisch darstellt und den aus ihnen sich ergebenden Charakteren des Handelns in der Konkurrenz ist eine Schwierigkeit, die man klären möchte - das Verhältnis von Begriff und Realität, die Frage "Was ist Wissenschaft? " also, die andere. So wenig nun etwas dagegen einzuwenden ist, das wissenschaftliche Denken selbst wissenschaftlich zu untersuchen, gilt es doch den Unsinn herauszustellen, der darin liegt, das Resultat der Marxschen Erkenntnis mit Hilfe von Reflexionen über Erkenntnis besser verstehen oder erklären zu wollen. Der Zusammenhang der im Kapital gegebenen Kategorien (Ware, Kapital, Mehrwert, Profit etc.) mit den Formen der Konkurrenz (oder wie Marx sich des öfteren ausdrückt, der "Oberfläche") ist Gegenstand von durchgeführter Wissenschaft - eben der Politischen Ökonomie. Wer ihn klären will, treibt diese Wissenschaft und nicht Erkenntnistheorie. Und wer Erkenntnistheorie treibt, wird über das Verhältnis von Kapital und Oberfläche sicher nichts herausbekommen. Das Durcheinanderwerfen beider Gegenstände - ein Hauptmangel aller der Erarbeitung Marxscher Erkenntnisse über den Kapitalismus vorgelagerten Raisonnements - bildet auch die Grundlage für die absonderliche Suche nach Rechtfertigung dessen, was Marx jeweils tut, wenn er eine ökonomische Kategorie, den Umgang der Menschen mit ihr oder ihre historische Herausbildung behandelt. Nicht mehr aus den in seinem Werk enthaltenen Argumenten soll sich ersehen lassen, weshalb er in dieser oder jener Weise fortfährt, sondern aus zusätzlichen, externen Reflexionen des Lesers. Gerade dort, wo vorgeblich der wissenschaftliche Charakter des Marxschen Werkes gründlich ernst genommen wird, verfällt man in ein für die bürgerliche Erkenntnistheorie charakteristisches Verfahren und nimmt die durchgeführte Wissenschaft von der kapitalistischen Produktionsweise als Anwendung von Prinzipien, Regeln "des dialektischen Materialismus", die weiß der Herr woher genommen sind. Wenn das Kapital Wissenschaft ist, lassen sich aus ihm auch die Bestimmungen von Wissenschaft erkennen - aber eben aus ihm: nichts ist dagegen unwissenschaftlicher als die Argumentationssehritte im "Kapital" woanders her erklären zu wollen als aus ihm. selbst. Am offenkundigsten wird dies bei den üblichen Anstrengungen, den Anfang des Kapitals zu begründen, Anstrengungen, die meist einer Parallelisierung mit der Hegeischen Logik resp. Enzyklopädie entspringen. Unbeschadet der offenkundigen Differenz zwischen "Logik" und "Reichtum der Gesellschaften" wird versucht, mit Hilfe der Fragestellung in der Logik die Berechtigung dafür darzulegen, daß Marx mit der Ware und nicht mit den Produktionsfaktoren, der Zahnpasta oder dem "Wirtschaften der Menschen" anfängt. Schon ein erster Vergleich des "Kapital" mit den Problemen der Logik, wie sie Hegel in seinen Vorbemerkungen darstellt - seine Vorbemerkungen dienen im übrigen wie diese Einleitung dazu, falsche Fragestellungen zu kritisieren und den Leser daran zu hindern, vor dem Kennenlernen der Wissenschaft (in unserem Fall der Wissenschaft von der Politischen Ökonomie) über diese Bescheid wissen zu wollen - mit der Überschrift des ersten Kapitels müßte zeigen, daß die Ware mit dem "unbestimmten Unmittelbaren" etwa so viel zu tun hat wie der Saturn mit den Butterpreisen. Daß heißt indes nicht, daß im Anfang des "Kapital" keinerlei Hinweis auf den Charakter des Werkes enthalten wäre. Wenn Marx sagt:
"Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine "ungeheure Warensammlung", die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware." (MEW 23/49)
so bezeichnet er nicht nur den Gegenstand seiner Theorie, sondern bringt auch zum Ausdruck, daß er in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu einem Resultat gelangt ist. Die verschiedenen Formen des Reichtums (Waren, Geld, Aktien, Grundstücke) stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander, das er begriffen hat und im "Kapital" zur Darstellung bringen will. Der Anfang mit der Elementarform ist eine Konsequenz, die Marx aus seinem Studium der politischen Ökonomie gezogen hat und die deshalb auch nur durch das Studium dieser Wissenschaft verstanden werden kann. Über die Richtigkeit der Aussage, die Ware sei Elementarform, ohne den Einstieg in die ausgeführte Wissenschaft entscheiden zu wollen, wäre müßig, wenn die Ware Elementarform ist, dann muß sich aus ihren Bestimmungen ihr Verhältnis zu den übrigen Formen des Reichtums erschließen lassen. Diese werden damit aber auch nicht als etwas vorgestellt, was es auch noch gibt, sondern als notwendige Folge der Ware, denen als dem logischen Produkt der Warenbestimmungen also auch objektive Existenz in einer Gesellschaft zukommt, in welcher der Reichtum als eine Warensammlung erscheint. Mit seinem Hinweis auf den Grund des Anfangs mit der Ware deutet Marx an, daß er in die Weise seiner Darstellung die Kenntnis des Zusammenhangs in der kapitalistischen Produktionsweise aufgenommen hat und systematisch vorgeht8), In der Verfolgung des notwendigen Zusammenhangs der ökonomischen Kategorien wird sich dann auch der Stellenwert jener Ausführungen klären lassen, die als "Empirisches" und "Historisches" rubrifiziert und meist in falscher Weise als entweder zum eigentlichen Gang der Argumentation gehörig oder ihm äußerliche, überflüssige Zutat abgestempelt werden.
1 Dies gilt auch für die durchaus ernst zu nehmenden Arbeiten von Zeleny, Reichelt, A. Schmidt, Iljkov u. a.
2 Dgl. findet sich bei Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, bei Zeleny, Die Wissenschaftslogik bei Marx und das "Kapital", passim.
3 Die blödsinnigste Antwort besteht in dem monströsen Schluß, daß der Kapitalismus vergänglich sei, weil er Resultat von Geschichte ist.
4 "Es ist daher nicht nötig, um die Gesetze der bürgerlichen Ökonomie zu entwickeln, die wirkliche Geschichte der Produktionsverhältnisse zu schreiben." (GR/364)
5 Vgl. Lenin, Karl Marx, WW 21; Drei Quellen und Bestandteile des Marxismus, WW 19
6 Vgl. Lenin, Der Imperialismus[...], WW 22
7 Vgl. Einleitung zu den Grundrissen, S, 28
8 Dies heißt wiederum nicht, daß Wissenschaft nur dort gegeben sei, wo sie systematisch vorgetragen wird, oder daß objektive Erkenntnis nur dann vorliege, wenn der jeweilige Gegenstand im Zusammenhang einer Ableitung aus der Elementarform steht. Freilich wird wirkliche Wissenschaft in der Erkenntnis ihres Gegenstandes auf dessen Voraussetzungen stoßen und etwa aus der Erklärung des Zinses zum Kapital, Mehrwert etc. gelangen und den Punkt erreichen, an dem sie einer systematischen Darstellung fähig ist.