Kein Verzicht für den Standort! Kein
Frieden mit dem Lohnsystem!
Der Mythos vom
„rheinischen Kapitalismus“ zerbröselt unter dem Druck der
Krise. Aus der Traum von der Versöhnung von Profit und
Massenwohlstand, von Akkumulation und Vollbeschäftigung, vom
Happy-End der Klassengesellschaft im Wohlfahrtsstaat für alle;
vorbei die Zeiten, in denen Arbeitgeberpräsidenten wie Hanns-Martin
Schleyer argwöhnen mußten, die sozialdemokratische Regierung
arbeite still und leise an der Einführung des Sozialismus, wenn sie
die Mitbestimmung im Betrieb vorsichtig ausweitete, und die Linken
exakt das gleiche dachten und frohen Mutes den langen Marsch durch
die Institutionen antraten. Die Traumhochzeit von Kapital und Arbeit
vor dem Traualtar des Sozialstaates endet gegenwärtig im großen
Schlamassel.
Um
mehr als einen Trostpreis für die lohnabhängige Klasse ging es
selbstredend nie: lebenslange Unterwerfung unter den Fluch der
Arbeit – dafür zwischendurch etwas Urlaub, gelegentlich eine
Lohnerhöhung und dann und wann etwas Arbeitszeitverkürzung. Wo
kein erfülltes Leben zu haben war, schien wenigstens das Überleben
gesichert. Gegenwärtig wird die schäbige Abfindung
zusammengestrichen. Blut,
Schweiß und Tränen donnert der Kanzler, schneller,
härter, lauter drängelt die Opposition. Es gibt kein Halten
mehr: Weg mit Kündigungsschutz, mit Zahnersatz und Hüftgelenken,
mit dem Arbeitslosengeld, rauf mit Arbeitszeit und
Renteneintrittsalter, runter mit den Löhnen, nieder mit dem
Anspruchsdenken. Der massivste Angriff auf das Einkommen der Lohnabhängigen
in der Geschichte der Bundesrepublik läuft auf ganzer Front. Es
geht um weit mehr als die Sanierung der Sozialversicherungskassen,
nicht nur die „Leistungsempfänger“ werden attackiert.
Arbeitskraft soll generell billiger und flexibler werden, zeitlich
entgrenzt und rechtlich weniger reguliert. Die Verschärfung des
Arbeitszwangs durch Leiharbeit oder Arbeitsdienste der
Sozialhilfe-Empfänger wird auch das Lohnniveau der regulär Beschäftigten
drücken – und genau darin liegt ein wesentlicher Zweck der ganzen
Operation. Die Ausbeutung soll von allen Schranken befreit werden,
der Standort braucht ein Heer von allzeit bereiten billigen
Arbeitskräften. Außer Verzicht hat diese Ordnung nichts mehr anzubieten.
Gemeinschaft
und Ressentiment
Wir jammern nicht,
und schon gar nicht sind wir empört: Was wäre anderes vom
Klassengegner zu erwarten? Selbstverständlich wird in der Krise das
Zuckerbrot gestrichen und die Peitsche hervorgeholt – nicht aus bösem
Willen, sondern objektivem Zwang. Der Verzicht wird zum Dienst an
der „Solidargemeinschaft“ geadelt, der legitimen Erbin der
Volksgemeinschaft. Sobald auch nur ein bißchen an diesem Konsens
gerührt wird, ergreift Panik die Bourgeoisie - selbst wenn der
Klassenkampf nur in seiner äußersten Schwundstufe auftritt, als
gewerkschaftlich kontrollierter Streik:„Schluß
mit dem Klassenkampf! Der Westen Deutschlands schaut den Osten
kopfschüttelnd an. Was spätestens durch die beispiellose
Solidarbewegung während der Flutkatastrophe überwunden schien,
bricht durch die anachronistische Gewerkschaftspolitik wieder auf:
Ost gegen West“ bejammerte Lothar Späth den Metaller-Streik
in Ostdeutschland.„Nicht die
ostdeutschen Arbeitnehmer an sich und schon gar nicht die
Arbeitslosen sind es ..., die den Klassenkampf in einer Zeit fortführen
wollen, in der es nicht mehr um Arbeit versus Kapital, sondern um
Arbeit versus Arbeitslosigkeit geht.“ Arbeit versus
Arbeitslosigkeit: Dieser „Konflikt“ wird natürlich durch
Verzicht der Arbeiter wie der Arbeitslosen gelöst. Am Besten aber
ist es, eine Flutkatastrophe oder George W. Bush sorgen dafür, daß
Deutschland wie ein Mann zusammensteht, beim Sandsäckeschleppen
oder in Menschenketten für den Frieden.
Offenbar
ist die ideologische Offensive erfolgreich, die mit den materiellen
Angriffen einhergeht: Jeder Gedanke an ein Leben jenseits des
Arbeitszwangs muß getilgt, jeder Einzelne in die autoritäre
Gemeinschaft des Verzichts gezwungen werden. Dazu dient die ganze
nationale Mobilmachung, die mit immer schrilleren Tönen betrieben
wird. Wer aus der Reihe tanzt, bekommt die geballte Wut des
Kollektivs zu spüren, kaum eine Talkshow, in der nicht
Sozialhilfeempfänger als Schmarotzer zum Abschuß frei gegeben
werden. Aus der Aggression der Steuerbürger gegen alle, die
„uns“ auf der Tasche liegen, spricht die nur zu begründete
Panik vor der eigenen Überflüssigkeit. Sie dienen sich der
Herrschaft an, indem sie Bund der Steuerzahler spielen, die
Staatsraison zu ihrer Herzensangelegenheit erklären und eifersüchtig
darüber wachen, daß niemand zuviel aus dem Futtertrog des Staates
erhält. Sie klammern sich an das kärgliche Etwas, das sie ihre
Existenz nennen müssen, wie an einen dürren Ast über dem Abgrund,
treten gegen alle, die unter ihnen stehen, um nicht mit ihnen
verwechselt zu werden: Die einzige Form der Negation, die sie
kennen, ist das Ressentiment.
Die
Ressentiments kochen über, wenn die Underdogs es sich auch noch gut
gehen lassen. Als kürzlich der Fall eines Sozialhilfeempfänger
namens Rolf bekannt wurde, der wegen einer „Deutschland-Allergie“(Spiegel)
in Florida lebt, malte die Bildzeitung genüßlich sämtliche Kleinbürgerträume
aus: „Das Appartement (ca.
60 qm) mit Schlafzimmer, Wohnzimmer, Essecke und Küche liegt in
einem neuen Wohnkomplex an der Collins Avenue im fünften Stock –
mit Traumaussicht. (...) Von der Haustür bis zum nächsten weißen
Sandstrand (Wasser 26°) braucht man knapp zwei Minuten. Zahlreiche
schicke Restaurants befinden sich in unmittelbarer Nähe. Im Hotel
„National“ in der Collins Avenue offerieren die Kellner gratis
hausgemachte Erdbeerlimo – bei der Hitze ein Segen. Und sollte dem
Osnabrücker nach europäischen Spezialitäten zumute sein – auch
kein Problem: In Laurenzo’s Farmers Market kann er deutsches Brot,
französischen Käse, italienische Salami kaufen.“ Der Bild-Schmierfink
- der sicherlich nicht in einer Wellblechhütte lebt – appelliert
an die schiefe Kalkulation, daß es irgend wann einmal allen wieder
besser gehen wird, wenn erst mal alle den Gürtel enger schnallen.
Da geht es nicht an, daß dieser Staat einem noch das mühsam
erarbeitete Geld aus der Tasche zieht, um die Faulenzer durchzufüttern.
Diese Rechnung ist selbstredend Unsinn: Was bei den Sozi-Empfängern
gestrichen wird, wandert nie und nimmer in die Lohntüten der abhängig
Beschäftigten. Im Gegenteil: Gerade um einen Niedriglohnsektor zu
etablieren, müssen die Sozialleistungen immer kläglicher werden,
da sie faktisch eine Alternative zur Maloche sind und als solche
auch genutzt werden.
Die
Rechnung ist daher auch schon halb durchschauter Trug: Fast jeden
plagt die Ahnung, daß es bei der ganzen Veranstaltung um etwas ganz
anderes geht als ausgerechnet um sein Wohlergehen. Der ständige
Verzicht, der Aufschub aller Wünsche auf den Sankt Nimmerleinstag,
mündet in um so größerer Raserei gegen die, die scheinbar dieser
Entsagung enthoben sind, indem sie das Tauschprinzip unterlaufen:
Was an Florida-Rolf exemplarisch gehaßt wird, ist der eigene Wunsch
nach einem Leben jenseits des Arbeitszwangs; ein Wunsch, für dessen
Verwirklichung man mit seinem ganzen bisherigen Leben brechen und
gegen die herrschende Ordnung aufbegehren müßte. Als Verkörperung
dieses Wunsches wird Florida-Rolf von Medien und Politikern zum
Abschuß freigegeben, damit bloß keine Verwechslung geschehe und
diese Ordnung eventuell selber ins Visier geriete. Statt dessen dürfen
sich die sogenannten kleinen Leute einmal groß fühlen, indem sie
an diesen Ersatz-Objekten ihr Mütchen kühlen: Allen soll es gleich schlecht gehen. Die Sachwalter der Herrschaft
bedienen diesen Mechanismus ganz bewußt und rufen „Haltet den
Dieb!“, bzw.:„Kein Luxus [!] auf Kosten des Steuerzahlers“,
wie Edmund Stoiber nach dem Fall Florida-Rolf weitere herbe
Einschnitte bei der Sozialhilfe zu begründen wußte.
Die Illusionen der Staatslinken
So reibungslos geht
dieser Verzicht im Namen des Standorts über die Bühne, so
widerstandslos wird der Gürtel enger geschnallt, daß jeder, dem
sein eigenes Hemd näher ist als das Wohl der Nation, schon fast als
Subversiver erscheint. „Wir lehnen alle Angriffe auf den Lebensstandard der breiten Masse der
Bevölkerung ab“, verkündet der Bündnis-Aufruf zur
Demonstration am 1. November. Sehr gut - doch die Freude über den
Funken Vernunft, der hier aufblitzt, weicht schnell der bitteren
Erkenntnis, daß dieser Protest
verloren ist, bevor er überhaupt angefangen hat – denn mit dem
Fetisch Gemeinwohl, um das sich der Staat sorgen soll, wird überhaupt
nicht gebrochen. Der Bündnisaufruf zur Demonstration am 1.
November vermeidet nicht nur aus blankem Opportunismus jede Kritik
an den Gewerkschaften, die sich als kooperativer Gesprächspartner
bei der Verschärfung der Ausbeutung hervortun. Er bejammert auch
„Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen und Krisen“ und bewegt sich
somit auf feindlichem Terrain. Wenn Attac, PDS, Sozialforen und
einzelne Gewerkschafter gegen die Agenda 2010 mobil machen, spricht
der Geist des Staatsbürgers aus jeder Zeile ihrer
Agitationsschriften. An der Einrichtung der Welt in den Formen von
Ware und Geld, Lohnarbeit und Kapital, Staat und Recht haben sie
wenig auszusetzen, gegen ihre unausweichlichen Konsequenzen aber
wird nach Kräften moralisiert. Das
Kapitalverhältnis – ein Wunschkonzert, das nur dummerweise
gerade die falschen Leute dirigieren. Die
Krise – ein Betriebsunfall, irgendwie unerklärlich,
vermutlich von den Banken verursacht, jedenfalls nicht von uns, die
wir ehrlich arbeiten gehen und Steuern bezahlen. Der
Staat – manchmal ungerecht, eigentlich aber eine Einrichtung
zum Wohle des ganzen Volkes. Schuld an allem sind Steuergeschenke an
„die Reichen“ und die Anschaffung teurer Rüstungsgüter. Geld
ist genug da! Besteuert die Reichen! Investiert in Arbeitsplätze!
Los, Vater Staat, drängelt der Aufruf zum 1. November,
„Heranziehung der Unternehmensgewinne und hoher Vermögen zur
Finanzierung menschenwürdiger Lebensverhältnisse!“
Menschenwürdige
Verhältnisse würden dort anfangen, wo Finanzierungsfragen aufhören
– also erst dann, wenn die bornierte Form des Geldes auf dem Müllhaufen
der Geschichte landet, zusammen mit allen anderen Verkehrsformen der
Klassengesellschaft. Bis dahin muß Geld als Kapital fungieren, als sich
vermehrendes Geld. Von alleine aber vermehrt es sich nicht,
sondern nur durch die Anwendung von Arbeitskraft, die mehr Wert
produziert, als sie selbst in Form des Lohnes erhält. Die
Ausbeutung liegt nicht darin, daß der Staat bei „uns“ streicht
und „den Reichen“ gibt und damit gegen irgendwelche heiligen
Vorschriften „sozialer Gerechtigkeit“ verstößt. Die Ausbeutung
ist vielmehr das Lebenselixier der gesamten bestehenden
Produktionsweise, ihr innerstes Gesetz.
Diesem
Gesetz verschafft der Staat nicht deshalb Geltung, weil der Kanzler
am Büffet der Banker und Konzernchefs seinen „sozialen Auftrag“
vergessen hat. Auch die Partei des demokratischen Sozialismus, die
im Bund mit der Sozialdemokratie Berlin auf eine Weise saniert, die
Margaret Thatcher vor Neid erblassen läßt, hat nichts vergessen
und niemanden verraten, sondern begriffen, daß der Staat etwas
anderes ist als die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die nach freiem
Ermessen Geld verteilen darf. Die Möglichkeit der
Staatsverschuldung ist begrenzt, sonst mündet sie im
Staatsbankrott. Die formale Freiheit
der Regierung im Umgang mit ihren Geldern ist keine reale,
denn all ihre Finanzmittel müssen aus der Ökonomie abgezweigt
werden, deren möglichst reibungsloses Funktionieren daher immer
schon vorausgesetzt ist. Dies schließt die Notwendigkeit ein, als
bewaffnete Macht nach außen aufzutreten - völlig sinnlos ist es
daher, dem Staat vorzurechnen, daß ein Airbus teurer ist als zehn
neue Kindergärten und er im Rüstungsetat viel besser sparen könnte
als bei den Sozialleistungen. Obendrein werden die Kosten der Aufrüstung
Deutschlands von denen am lautesten beklagt, die vor wenigen Monaten
noch das von Schröder und Chirac geführte Old
Europe zum Aufstand gegen Amerika anfeuerten.
Die
Agenda 2010 erschöpft sich aber bei weitem nicht in der Sanierung
des Staatshaushaltes. Nur wenn das Anspruchsniveau der Lohnabhängigen
empfindlich gesenkt wird, kann die Ökonomie wieder in Fahrt kommen.
Wer auf dem krisengeschüttelten Weltmarkt bestehen will, muß den
Konkurrenten unterbieten, etwa durch Lohnsenkungen und die
Verdichtung der Arbeit. Verändern sich die Ausbeutungsbedingungen
nicht zugunsten des Kapitals, wird es in der Weltmarktkonkurrenz
unterliegen oder, wenn möglich, verstärkt auswandern – etwa nach
Osteuropa, wo gut ausgebildete Arbeitskräfte zu ganz anderen Löhnen
und Bedingungen schuften als hier.
Der
Sozialstaat war nie eine Einrichtung zur allgemeinen Wohlfahrt,
sondern immer an den Zwang zur Lohnarbeit gekoppelt. Arbeiterinnen
und Arbeiter, die wegen Krankheit, Unfällen oder Arbeitslosigkeit
zeitweilig aus dem Produktionsprozeß ausscheiden, sollen als
Arbeitskraft erhalten bleiben, um später wieder der Ausbeutung zur
Verfügung zu stehen. Im „goldenen Zeitalter“ von
Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung war das ganze kein
Problem für das Kapital, das materielle Lebensniveau der Massen
konnte steigen, ohne die Akkumulation ernstlich zu gefährden. Seit
den siebziger Jahren hat sich dieses Bild allmählich verändert.
Die Arbeitslosigkeit ist kontinuierlich gestiegen, viele Leute
halten sich zudem freiwillig an die spärlichen Sozialleistungen,
anstatt sich für irgendeinen Blödsinn abzurackern. Als
arbeitsfreies Einkommen aber waren die Sozialleistungen nie gedacht,
und gegenwärtig geht es somit darum, den Sozialstaat auf seine
ursprüngliche Funktion zurückzuführen: die Arbeitsunfähigen auf
niedrigstem Niveau durchzufüttern und den Rest in die Mühlen des
Arbeitsmarktes zu pressen.
Der
Protest gegen die Agenda 2010 will einen Zustand konservieren, der für
die herrschende Produktionsweise unhaltbar geworden ist. Anstatt
kategorisch jede Verschlechterung der Lebensbedingungen abzulehnen,
und damit auf Konfrontationskurs
zu gehen, träumt man von sozialer
Harmonie unter der Aufsicht des Staates. Keine Forderung wird
erhoben, ohne ihre Finanzierbarkeit darzulegen, kein Interesse
formuliert, ohne seine Gemeinwohlverträglichkeit zu unterstreichen,
alles und jeder muß durch das Nadelöhr des Allgemeininteresses.
Reichtum und Revolution
Doch selbst durch
diesen dichten ideologischen Nebel scheint in guten Momenten etwas
Vernunft: Unnötig sollen Lohnverzicht und Sozialabbau sein, weil
„der gesellschaftliche Reichtum enorm gewachsen“ sei. Wie wahr:
Der Kapitalismus produziert noch nie gekannte materielle Reichtümer,
die es zu einer echten Leistung machen, den Verzicht einzusehen.
Warum mehr schuften und schlechter essen, wenn doch die Produktivität
allerorten steigt? Als Plädoyer für eine bessere Verteilung des
gesellschaftlichen Reichtums unter den gegebenen Bedingungen taugt
dies jedoch überhaupt nicht, denn Sinn und Zweck der bestehenden
Produktionsweise ist nicht die Produktion von Gebrauchsgütern,
sondern von Mehrwert. Wer in den herrschenden Verhältnisse nur die
Produktion gesellschaftlichen Reichtums sieht, verharmlost sie: Nur
als Träger von Mehrwert werden die vielen nützlichen Dinge wie
auch der ganze Schrott produziert. In jeder Überproduktionskrise
zeigt sich der Gegensatz von stofflichem Reichtum und Kapital. Ein
Überschuß an Gütern wäre einer vernünftig eingerichteten
Gesellschaft Anlaß für verschwenderische Feste, die bestehende
dagegen führt er in den großen Kladderadatsch.
Der gesellschaftliche Reichtum kann nicht staatlich verteilt,
er kann nur revolutionär angeeignet werden. Das
heißt: Die freie Assoziation der Produzentinnen und
Produzenten muß das kapitalistische Zwangsverhältnis ablösen.
Dann wird nicht mehr blind für einen Markt produziert, den die Bedürfnisse
der Menschen nur als zahlungskräftige Nachfrage interessieren,
sondern die Produktion wird auf eine rationale Basis gestellt, die
eine ganz andere Rationalität als die betriebswirtschaftliche ist.
Weltweite Kooperation ersetzt die heutige Konkurrenz. Das Lohnsystem
wird abgeschafft, das Geld wandert ins Museum der Vorgeschichte. Die
notwendige Arbeit wird auf ein Minimum reduziert, bewußt verteilt
und endlich zur Nebensache werden. Die Tätigkeiten werden erstmals
frei gewählt werden können, je nach Neigung oder Fähigkeit. Eine
Welt von Genüssen wird den Menschen erschlossen werden, und dieser
Genüsse wird sich erstmals ohne Reue, ohne ein Bewußtsein des
stets drohenden Mangels erfreut werden können. Die Verhältnisse
unter denen die Menschen kooperieren werden nicht mehr vom Zwang
diktiert, es steht keine Drohung des Verhungerns, keine des
Ausschlusses mehr am Horizont: Der Sinn der Revolution ist die
Abschaffung der Angst, die heute die Menschen in die Arme des
Staates treibt, vor dem man sich doch in Wahrheit am meisten fürchten
muß. Alle Formen der menschlichen Beziehungen, die von der alten
Gesellschaft diktiert wurden, stehen zur Disposition, sämtliche
irrationalen Kollektive, wie Familie, Nation oder Volk, werden ihrem
wohlverdienten Ende zugeführt. Die zukünftigen Revolutionäre
werden nicht noch einmal den Fehler begehen, den Staat erobern zu
wollen. Er wird im Verlauf der Revolution dem Nichts übereignet.
Zukünftige Generationen werden irgendwann darüber lachen, daß man
früher meinte, etwas so absurdes wie einen Staat haben zu müssen.
Sie
rufen gegen uns zum Kampf, wir erklären ihnen den Krieg!
Die
Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums fällt nicht vom Himmel.
Sie beginnt dort, wo Individuen sich zusammenschließen, weil sie
wissen, daß es an ihnen liegt ihre Lage zu verändern. Die
Geschichte der Fabrikbesetzungen, der Arbeiterräte und
proletarischen Revolten wurde von den Propagandisten staatlicher
Verteilungspolitik nachhaltig verdrängt; wohl nicht zuletzt
deshalb, weil sich diese Bewegungen mitunter, etwa im Pariser Mai
1968, gegen genau jenen Vollbeschäftigungskapitalismus richteten,
den sie mit ihrer erbärmlichen Forderung nach mehr Arbeitsplätzen
wieder haben wollen.
Gegenwärtig fehlt den sozialen Kämpfen meist dieser
offensive Charakter - verschwunden sind sie aber keineswegs. In
Polen kam es in letzter Zeit nicht nur zu monatelangen
Betriebsbesetzungen und militanten Konfrontationen zwischen
Bergarbeitern und Staatsmacht, sondern auch zu Solidaritätsstreiks
mit diesen Kämpfen. Frankreich erlebt derzeit erste Versuche der
Prekären in der Kulturindustrie, ihre scheinbar unüberwindliche
Atomisierung in gemeinsamen Kämpfen aufzuheben. In Argentinien sind
die Besetzung der Textilfabrik Brukman und die Keramikfabrik Zanón
ein Vorschein dessen, was revolutionäre Aneignung heißt: das
Eigentum wurde in frage gestellt, die Produktion in die eigenen Hände
genommen, was die Arbeiterinnen und Arbeiter ohne die tätige
Solidarität anderer prekarisierter Gruppen nicht hätten schaffen können.
Sie änderten ihre Verhältnisse, die nicht mehr unter der Knute
einer Betriebshierarchie stehen, und fingen an, alles kollektiv zu
besprechen. Natürlich sind diese Aktionen noch mit allen Widersprüchen
behaftet, die einem lokal begrenzten Befreiungsversuch aufgezwungen
werden. So müssen etwa die Leute in den besetzten Fabriken in
Argentinien, einfach um zu überleben, weiterhin für den Markt
produzieren und sind somit dessen Wechselfällen und Zwängen
ausgesetzt. Lohnarbeit und Kapital können letztendlich nur im
Weltmaßstab aus den Angeln gehoben werden. Deswegen wird die
revolutionäre Bewegung – genau wie das Kapital - vor keiner
nationalen Grenzen halt machen, andernfalls wäre sie verloren.
Der Widerstand kann an allen Orten beginnen, in den großen
Fabriken, in den kleinen Produktionsklitschen, in den
Transportbetrieben, den Warenhäusern, überall dort wo neue
Lohnarbeitsformen eingeführt werden, auf Arbeits- und Sozialämtern,
an den Schulen, bei Asylbewerberheimen... überall dort, wo sich die
Möglichkeit zu organisiertem Handeln bietet. Der größte Feind
wird die Isolation sein, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein,
ohne Unterstützung, ohne Solidarität, ohne Kommunikation, nicht
unter den Individuen und nicht unter den jeweiligen Gruppen vor Ort.
Nirgends dürfen die Gewerkschaften das Sagen haben, die jeden
Widerstand in die bestehende Ordnung integrieren. Überall müssen
wir die Linke des Kapitals kritisieren, die den alten Plunder aus über
hundert Jahren Reformismus feil bietet. Dies wird erst der Anfang
sein, aber wer weiß... manchmal überschlagen sich die Ereignisse!
Nieder
mit der Lohnsklaverei!
Nieder mit dem Staat!
Es
lebe die Weltrevolution!
freundinnen
& freunde der klassenlosen gesellschaft
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