Dr. Gerhard Branstner

Berlin

 

Vortrag auf der Bundeskonferenz der linken Opposition in und bei der PDS am 24.11.2002

 

Harry Nick, seines Zeichens Ökonomieprofessor und Mitglied des Marxistischen Forum, hat kürzlich in der jungen Welt den Versuch unternommen, die Mitglieder der PDS in 3 Richtungen zu unterteilen, in Linke, Rechte und Mitte. Die Rechten hat er auch ganz gut charakterisiert, als Reformisten, regierungsgeil und Anbiederer an die SPD. Mit den Linken wußte er hingegen nichts rechtes anzufangen, und mit der Mitte auch nicht. Und dann kam ihm auch noch die Basis in die Quere, über die er gleich gar nichts rechtes oder linkes zu sagen wußte.

Einen ähnlichen Unsinn hat vor zeiten schon einmal Gysi unternommen, wenn auch mit der umgekehrten Absicht: Da wollte er die Rechten als die einzig guten und wahren Sozialisten hochloben. Damals haben sich viele empört, heute lacht nicht mal mehr einer drüber.

Den Gipfel der Albernheit hat Peter Hacks erstiegen. Er unterteilt die Sozialisten, die Linken in 15 Richtungen. Da ist der witzige Peter Hacks zum ungewollten Komiker geworden. Die Unterteilung in rechts, Mitte und links ist ein bürgerlicher Allgemeinplatz und stimmt immer. Nur nicht für eine sozialistische Partei.

Allerdings gibt es eine sinnvolle, ja sogar notwendige Unterscheidung. Nur muß sie der historischen Kausalität folgen. Es hat eine gewaltige Konterrevolution gegeben, den Zusammenbruch des "realen Sozialismus". Dieser Zusammenbruch, diese Konterrevolution, und es war beides in einem, hat grundlegende Folgen für die Sozialisten. Da ist der eine Teil, der den Glauben an den Sozialismus, an seine Möglichkeit verloren hat. Und wenn er sich nicht ganz verabschiedet, ist er zum Reformismus übergetreten. Da gibt es zwei Schattierungen. Die einen wollen einen verbesserten Kapitalismus, die anderen wollen einen Sozialismus, der im Bauch des Kapitalismus ausgetragen wird, richtiger im Arsch. Denn nur dort kann man hineinkriechen. Das Schicksal der Reformisten ist bekannt. Siehe Frankreich. Bei Beginn der vorletzten Regierungsbeteiligung hatte man 20 Prozent Wählerstimmen, am Ende 10 Prozent. Zu Begin der letzten Regierungsbeteiligung hatte man 10 Prozent, am Ende 3. Aber die Reformisten sind nicht geheilt oder klüger geworden. Wie auch? Die Niederlage hat ja den Sozialismus nicht glaubhafter gemacht: Übrigens gibt es selbst bei wirklichen Sozialisten eine Angst vor der Revolution. Wie es auch bei wirklichen Kapitalisten eine Angst vor der Konterrevolution gibt. Siehe Franz Josef Strauß. Daß der Sozialismus so kampflos, sprich schmählich abtritt, wußte man ja bis dato nicht.

Zur zweiten Richtung innerhalb der Sozialisten: Den Reformisten steht eine Gegenrichtung gegenüber, die "Altgläubigen". Ich nenne sie so, weil sie nach wie vor auf dem Sozialismus als Ziel beharren, sich aber im wesentlichen keinen anderen als den gescheiterten Sozialismus vorstellen können. Aber es gibt unter den "Altgläubigen" bemerkenswerte Unterschiede. Die Unterschiede reichen vom konsequenten Stalinisten bis zum konsequenten Antistalinisten, vom konsequenten Antidemokraten bis zum konsequenten Demokraten. Nur wissen die nicht, wie sozialistische Demokratie aussieht, auch nicht wie sozialistische Ökonomie aussieht, wie sozialistische Politik aussieht, wie sozialistische Kultur aussieht, wie sozialistische Geschichtsauffassung aussieht.

Dieses Unwissen haben die "Altgläubigen" mit den Reformisten gemein. Und auch die ideologische Verfestigung haben beide gemein. Beide sind daher für Argumente schwer zugänglich. Die Hauptkrankheit der Linken ist ja nicht ihre Zerstrittenheit. Das ist eine Legende. Die Hauptkrankheit ist ihre Selbstgenügsamkeit. Selbst der größte Holzkopp, ob Reformist oder "Altgläubiger", weiß alles besser. Wozu muß er sich da noch was sagen lassen? Und beide wissen nicht, was Klartext ist und wollen es nicht wissen. Der alte Ludwig Feuerbach sagt: wer die Fackel der Wahrheit durch die Menge trägt, wird manchen Bart versängen. Richtig ist, er kriegt von allen Seiten Haue.

Die Spaltung in Reformisten und "Altgläubige" ist Ergebnis einer welthistorischen Kausalität. Dieses Ergebnis mag gefallen oder nicht, es ist eine objektive Gesetzmäßigkeit. Eine Anekdote läßt dieses Ergebnis als Komik erscheinen. Vor einiger Zeit standen in El Salvador Präsidentenwahlen an. Die Parlamentsfraktion der Sozialisten wollte ihren Kandidaten wählen, war aber in Reformisten und "Altgläubige" gespalten, und zwar genau fifti/fifte. Man mußte unverrichteter Dinge nach Hause gehen. Und so sieht es in der ganzen Welt aus: fifti/fifti. Auch wenn es nicht immer die Komik von El Salvador hat, denn gewöhnlich sind die Verhältnisse in den einzelnen Parteien oder Ländern sehr unterschiedlich.

Beide Richtungen sind bereits im "realen Sozialismus" angelegt. Einerseits unter der Fahne der Konvergenztheorie, andrerseits als Dogmatismus.

Mit einem Wort: Die Situation der Linken ist eine echte Misere. Und beide Richtungen wehren sich mit allen Kräften, aus dieser Misere herauszukommen. Immerhin sind die "Altgläubigen" gute Streiter gegen den Reformismus und gegen den Kapitalismus. Diesen Unterschied sollte man mit Dank zur Kenntnis nehmen.

 

Zur Lage des Kapitalismus:

Mit der Niederlage des Sozialismus ist der Kapitalismus auf sich selber zurückgefallen. Das war das Dümmste, was ihm passieren konnte. Er hat keine Konfrontation mit einer ihm fremden Welt mehr. Aber er braucht die Konfrontation. Also päppelt er den Terrorismus hoch. Da wird es schizophren. Nicht nur, daß der Terrorismus Produkt des Kapitalismus ist, der Kapitalismus ist selber der schlimmste Terrorismus. Ich erinnere nur an die beiden Weltkriege, die Konzentrationslager, an Vietnam, an die Golfkriege, Jugoslawien, Afghanistan, den Irak. An Noske, Franco, Pinochet. Der Terrorismus kam dem Kapitalismus als Eratz für den Sozialismus zu paß, nur kann er den Sozialismus nicht ersetzen. Die Konfrontation mit dem Sozialismus erzwang immerhin gewisse soziale und demokratische Leistungen. Die erzwingt der Terrorismus nicht. Im Gegenteil, dieser Unterschied ist zu beachten. Der Kapitalismus ist in sein Endstadium eingetreten. Kriterien dafür sind:

 

  1. die soziale und sittliche Verelendung,

  2. der Krieg als generelles Mittel der Globalisierung und

  3. der Klimatod. Der Klimatod, die Umweltzerstörung ist das wichtigste und letzten Endes das entscheidende Kriterium.

 

Es ist der Selbstmord des Kapitalismus. Aber ein langandauernder. Das Römische Reich brauchte 300 Jahre, um unterzugehen. Der Kapitalismus, die Klassengesellschaft ist mehr als ein Reich. Wie lange mag deren Untergang dauern? Der Revolutionsbegriff von Marx und Lenin muß in Inhalt und zeitlicher Dimension grundlegend revidiert werden. Hier will ich jedoch nur ein Wort zum Krieg sagen. Indem er das generelle Mittel der Globalisierung ist, trifft der Kampf gegen ihn den empfindlichsten Punkt des Kapitalismus. Ein erfolgreicher Kampf um den Frieden bringt den Kapitalismus völlig aus der Reihe. Und wenn die PDS sich diese Position von der SPD hat stehlen lassen, dann doch nur, weil sie keinen echten Friedenskampf geführt hat. Sie hat weder das Wesen der Globalisierung noch die Brutalisierung durch die Klassengesellschaft bloßgelegt. Im Gegenteil billigt Gabi Zimmer Militäreinsätze der UNO, wo sie doch weiß, daß die zuvorgegangenen kriegerischen Auseinandersetzungen erst durch die Waffenlieferungen vor allem der Staaten ermöglicht wurden, die jetzt bestimmend in den friedenserhaltenden Militäreinsätzen sind. Paradoxer geht es nicht. Und unser Friedensengel von Münster, Yvonne Kaufmann, stimmt diesem Schwachsinn auch noch zu. Was kann man von Reformisten, also Kapitalismussympathisanten, schon anderes erwarten?

In einem offenen Brief an Gabi Zimmer habe ich geschrieben: Gysi und Zimmer sind beide im Wesen die gleichen reformistischen Opportunisten. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß Gysi die dümmere Position klüger vertritt, während es bei Zimmer umgekehrt ist. Die unterschiedlichen Positionen liegen vielleicht im vorauseilenden Gehorsam. Während Gysi der SPD in den Arsch kriecht, bevor die ihn hinhält, wartet Zimmer, dass er ihr hingehalten wird.

Ein letztes Wort zum Kapitalismus. Die von Marx erkannte zyklische Krise ist nicht mehr wesentliches Kriterium des Kapitalismus. An die Stelle der Überproduktion von Waren ist die Überproduktion von Geldkapital getreten. Das hat entscheidende Veränderungen zur Folge. Die Gewinne werden nicht mehr prinzipiell in die Produktion gesteckt, die zyklische Arbeitslosigkeit wandelt sich zur strukturellen, die Steuern werden dem "Sozialstaat" entzogen. Man muß dem Sozialismus ja nicht mehr Paroli bieten. Sparen ist zum größten Betrug in der Welt geworden. Und die Reformisten helfen dabei, statt den Betrug aufzudecken. Aber über allem droht das Damoklesschwert des überschüssigen Geldkapitals. Das hat keine reale Deckung und kann jederzeit wie eine riesige Blase platzen. Was da passiert, weiß kein Mensch.

Zum Schluß ein Wort zur linken Opposition. Opposition hat eine gute Tradition in der linken Bewegung. Und natürlich muß jede Opposition das Ziel haben, die Partei zu einer sozialistischen zu machen oder eine eigene Partei zu gründen. Beide Ziele sind gegenwärtig nicht erreichbar. Dafür fehlen die wichtigsten Voraussetzungen.

  1. haben wir keine sozialistische Theorie (ein kleiner Beitrag liegt aus)

  2. haben wir keine sozialistische Demokratie anzubieten

  3. haben wir keine sozialistische Leitung

  4. haben wir keine sozialistische Lebenspraxis, keinen sozialistischen Umgang mit uns selber

  5. haben wir keine sozialistische Kultur

Was wir jedoch erreichen können ist einmal, den Reformismus zu behindern und zum anderen eine Verbindung zum internationalen Sozialforum und zu Attac herzustellen. Diese Bewegungen sind die wichtigste linke Kraft geworden, wichtiger als alle sozialistischen Parteien, als alle linke Opposition.

Was die linken Oppositionellen gegenwärtig verbindet, sind nicht positive Potenzen, sondern allein der Kampf gegen den Reformismus. Wir leben von der PDS, ohne sie sind wir nichts.

Damit wenigstens ein Hauch von Kultur in unsere Gefilde kommt, gewissermaßen als Kompott, einige politische Sentenzen, das sind Aphorismen oder Sprüche:

 

Schmeichelei ist Aggression auf Knien.

 

Wer ein hohes Amt bekleidet, mitunter an den Sinnen leidet.

 

Dummheit auf der Leiter klettert immer weiter.

 

Auch hohe Tiere müssen mal aufs Örtchen, nur tun sie oft, als schissen sie ein Törtchen.

 

Wer wenig leistet, braucht viel Anerkennung.

 

Der eigne Gestank macht keinen krank.

 

Das Einfache schwerverständlich zu machen ist die Genialität der Dummköpfe.

 

Humor hat, wer gleich lacht. Wer zuletzt lacht, lacht allein.

 

Kommunismus ist konsequent zu Ende Denken, konsequent zu Ende denken kann man nur mit respektloser Heiterkeit.

 

Die Geschichte wird von Menschen gemacht, die von der Geschichte gemacht wurden. Da gibt es keine Ausnahme, aber Unterschiede.

 

Der Gedanke an die Macht frißt alle anderen Gedanken auf oder verkrümmt sie derart, daß sie wie der verkrümmte Nagel in das eigene Fleisch wachsen.

 

In der DDR wurde viel gelogen, aber noch mehr wird über die DDR gelogen.

 

Der Kommunismus, den die Antikommunisten bekämpfen, den bekämpfen auch die Kommunisten. Der Unterschied besteht darin, daß die Kommunisten die Erfindung ihrer Gegner bekämpfen, die Antikommunisten ihre eigene.

 

Wenn es im Kapitalismus einen Rechtsstaat gäbe, gäbe es es keinen Kapitalismus mehr. Er wäre längst als krimineller Unrechtsstaat überführt und zum Verschwinden verurteilt worden.

 

Die sozialistischen Parteien spielen das Spiel des bürgerlichen Parlamentarismus mit, ohne zu wissen, daß sie ein bürgerliches Spiel spielen.

 

Reformisten sind die Madenhacker des Kapitalismus.

 

Die Macht des Sozialismus wurde in die Macht über den Sozialismus verkehrt. Das war die Sünde aller Sünden.

 

Die einen reden, wie sie denken, andere denken, wie sie reden, und wieder andere denken, wie andere reden.

 

Wer hinten kratzt, wenns vorne juckt, schneutzt sich die Nas, wenns Schwänzlein zuckt.

 

Es sollte ein Gesetz geben, das langweilige Redner verpflichtet, ihre Vorträge auf einem Bein stehend zu halten.

 

Immanuel Kant sagt: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Den Mut kann man wohl noch irgendwo finden. Wo aber den eigenen Verstand?

 

Leider gibt es keine Scheuerfrauen der Geschichte, auch keine historische Müllabfuhr. Der ganze Dreck muß verarbeitet werden.

 

Der Sozialismus wird heiter sein, oder er wird nicht sein.

 

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