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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 5 - 15.05.2000 - Onlineversion

Ansgar Knolle-Grothusen

editorial:

persönliche Betrachtungen zu den Beiträgen in diesem Heft

I. Programmatische Texte

Diese Ausgabe der Kommunistischen Streitpunkte dokumentiert zwei sehr unterschiedliche und unvollkommene programmatische Versuche eine politische Praxis zu begründen:

  • Der eine ist die gemeinsame Erklärung des ersten bundesweiten Treffens der Offenen Kommunistischen Foren aus dem Juli 1999. Diese Erklärung, die von den Teilnehmern, die sich auf dem Treffen überhaupt erstmals kennenlernten, gemeinsam formuliert wurde, betont die Form, die in den OKFs gefunden wurde und die dazu dienen soll, die ideologischen Sprachbarrieren zu überwinden, die überhaupt erst einmal den Raum schaffen soll für einen wirklich offenen Ideenstreit.1 Das Gemeinsame ist hier also erstmal die gemeinsame Form. Gemeinsamer Inhalt kann von den Teilnehmern erst sehr vage angedeutet werden, er muß sich erst noch herausbilden.
  • Der zweite Versuch ist die Plattform des engeren Kreises der „Übergänge“. Sie fußt im Wesentlichen auf den Thesen „150 Jahre KP“ von Daniel Dockerill2 und kann sich viel konkreter und im herkömmlichen Sinne politischer geben, denn sie formuliert die gemeinsame Zielstellung eines kleineren und homogeneren Kreises. Was mich persönlich daran etwas enttäuscht ist, daß das kritische Echo, daß Daniels Thesen in der Debatte der Kommunistischen Streitpunkte gefunden hat, seinerseits bisher kaum einen Widerhall bei den Übergängern findet. Der Gedanke, daß der Übergang zum Kommunismus eine doppelte Aufgabenstellung enthält, nämlich sowohl die Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, als auch die Aufhebung der Herrschaft des Produkts über die Produzenten, und daß das erste Ziel ohne das vernachlässigte zweite nicht zu haben sein wird, findet in der Plattform der „Übergänge zum Kommunismus“ leider noch keinen Niederschlag. Zu diesem Thema argumentieren in dieser Ausgabe Werner Imhof in dem Beitrag „Skizzen für einen emanzipatorischen Kommunismus“ und Ansgar Knolle-Grothusen in: „Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft?

II. „Antikritisches“

- „Kaum einen Widerhall“ stimmt natürlich nicht, das nehme ich zurück, denn wir haben in dieser Ausgabe zwei „antikritische“ Beiträge von Daniel Dockerill - nomen est omen. Das „Antikritische I“, die Replik auf meine „Fragen und kritischen Anmerkungen zu Daniels Thesen“, haben mich, als ich sie las, ziemlich geärgert. Ich fand meine Fragen nicht beantwortet und meine kritischen Anmerkungen in einer z.T. etwas wortklauberischen und rechthaberischen Weise abgeschmettert. Mein Text war eigentlich ein Notizzettel für die erste Diskussion über Daniels Thesen und keine ausgearbeitete Kritik. Mir scheint, wir haben die richtige Form, in der wir die Debatte produktiv führen können, noch nicht gefunden; eine Form, in der Kritik den Kritisierten hilft, Schwachpunkte in der Formulierung des eigenen Standpunktes zu finden und ihn dadurch anregt, den eigenen Standpunkt weiter zu entwickeln. Da schließe ich mich selbst mit ein. Ich halte es für unproduktiv, sich darüber zu streiten, ob „zentriert“ ein falsches Bild ist, wenn ich schreibe, daß mir Daniels Blick auf die Geschichte des Kommunismus zu deutschlandzentiert vorkommt. Es wird wahrscheinlich nicht ausbleiben, daß unsere Auseinandersetzung auch weiterhin Mißverständnisse und persönliche Verletzungen produziert, etwa, wenn ich bezüglich Daniels Argumentation von einer Tendenz zu idealistischem Geschichtsdeterminismus spreche, oder wenn Daniel meinen Versuch einer begrifflichen Annäherung an einen Sachverhalt dadurch abwehrt, daß er ihn einzuordnen versucht mit Hinweisen auf Eugen Dühring, Herrmann Kirsch und Robert Kurz. Doch ich sehe unsere Aufgabe nicht darin, Kampfschriften zur Niedermachung von Positionen herzustellen, die einem verkürzt, verquer, unhaltbar erscheinen. Jede einzelne Position für sich genommen muß heute zwangsläufig auch verkürzt, verquer, unhaltbar sein, weil die Debattenteilnehmer ihre jeweiligen Erfahrungen verarbeiten, die jeweils nur die Erfahrungen aus einem bestimmten Segment des zersplitterten Kommunismus sind - die einzelnen Positionen zusammendenommen spiegeln dadurch den gegenwärtigen Zustand des Kommunismus wieder, der durch die gemeinsame Debatte ja erst aufzuheben ist. Vielmehr sehe ich unsere Aufgabe darin, durch inhaltliches Eingehen aufeinander und nicht durch Abwehr und Ausgrenzung die Konturen eines emanzipatorischen Kommunismus überhaupt erst sichtbar werden zu lassen. Wenn die Kritik der Kritik, die Negation der Negation, nur wieder die unveränderte ursprüngliche Position hervortreibt, wird die Debatte noch nicht der gemeinsam formulierten Aufgabe angemessen geführt. Das muß nicht an der Kritik der Kritik, das kann auch schon an der Kritik liegen. Vielleicht ist es auch günstiger, wenn der Versuch der Synthese von einem Dritten formuliert wird, denn natürlich spielen in der Debatte auch Eitelkeiten eine Rolle; die Autoren von These und Antithese entwickeln einen gewissen Beschützerinstinkt gegenüber ihren Kindern. Diese müssen sich jedoch - einmal ausgesprochen - sich schon selbst bewähren.

Kurz zu einigen von Daniel angesprochenen inhaltlichen Streitpunkten:

1. Geschichtsdeterminismus. Was ich damit meine ist folgendes: Der Geschichte wird ein Ziel, eine Entwicklungsrichtung untergeschoben, etwa: „Fortschritt“, oder „Steigerung der Produktivkräfte“, oder „Geschichte der menschlichen Emanzipation“. Auch bei Marx und Engels finden sich Formulierungen, die so interpretierbar sind. Ich halte das dennoch für falsch. Die bisherige Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung ist das Ergebnis menschlichen Handelns, aber bisher eben noch kein gemeinsam geplantes, bewußt herbeigeführtes. Die Geschichte erscheint als ein selbständiges Subjekt, dem die einzelnen Menschen unterworfen sind. Das verleitet dazu, ihr einen eigenen Willen, oder mindestens eine Entwicklungsrichtung anzudichten. Es geht beim Kommunismus nicht darum, irgendeiner Entwicklungsrichtung in der Geschichte zum Durchbruch zu verhelfen, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß diese Art von Geschichte selbst beendet und zur Vorgeschichte wird. Erst die danach beginnende Geschichte wird zielgerichtet sein, aber gerichtet auf Ziele, die die Menschen untereinander abmachen. Ausführlicher habe ich diesen Punkt ausgeführt in: „Die historischen Beschränktheiten des Kommunismus erkennen und überwinden“3 Ich halte meine Kritik aufrecht an Daniels Aussage „Daß der Kapitalist nicht arbeiten muß, ist der einzige noch allgemein bestimmbare Zweck der Arbeit des kapitalistischen Lohnarbeiters“ und an ihrer Herleitung, die ich als "geschichtsdeterministisch" versucht habe zu charakterisieren.

Ebenso besteht die Kritik an der von Daniel vorgenommenen Auflösung von konkreter und abstrakter Arbeit weiter. Zum ganzen „Arbeit sans phrase“-Humbug, der z.Zt. noch viele der besten Köpfe vernebelt, beabsichtige ich für die nächsten Streitpunkte etwas zu Papier bringen, anknüpfend an die „Notizen zur Kategorie allgemeine gesellschaftliche Arbeitszeit“ von Karl-Heinz Landwehr in dieser Ausgabe.

2. Meine ersten Überlegungen zur Form-Inhalt-Problematik der Warenproduktion in der revolutionären Übergangsperiode, die für Daniel Dockerill nur „dialektisches Gemuddel“ waren, habe ich - auch angetrieben von seiner Kritik - weiterentwickelt. Das Ergebnis findet man in diesem Heft in meinem Aufsatz „Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft?“.

III. Neue Autoren

4 Autoren haben sich mit eingesandten Beiträgen neu in unsere Debatte eingeklinkt.

  • Heiner Karuscheit stellt in seinem Beitrag „Gesellschaft und Programm“ u.a. in Frage, ob die tradierte Sichtweise auf das Kleinbürgertum, wie sie noch einmal in Daniels „Antikritischem I“ zum Ausdruck kommt, noch den Realitäten entspricht.
  • Ulrich Weiß trifft mit „Marx und der mögliche Sozialismus“ schon ein Nervenzentrum unserer Debatte. Mit seiner These, daß die bisherige revolutionäre Praxis in bürgerlichen Formen verhaftet blieb, arbeitet er am selben Gedankenstrang, den ich in meinem Beitrag „Die historischen Beschränktheiten des Kommunismus erkennen und überwinden“ auch aufs Korn genommen habe. Allerdings, so scheint mir, läuft er Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn er fragt, ob das Proletariat überhaupt das Subjekt eines sozialistisch-kommunistischen Übergangs sein kann. Der gordische Knoten, besteht ja gerade darin, daß die revolutionäre Praxis eben das Abwerfen der bürgerlichen Form ist, und das Resultat nicht am Beginn des Prozesses stehen kann; also auch das revolutionäre Subjekt sich erst von seinen Verstrickungen in die Vorgeschichte der Menschheit befreit haben wird, wenn der Prozeß des Übergangs zur kommunistischen Gesellschaft (als Einheit von Änderung der Verhältnisse und Selbstveränderung in der revolutionären Praxis) vollzogen ist.
  • Wal Buchenbergs „Elemente eines emanzipierten Sozialismus“ halte ich - er verzeihe mir den Ausdruck - für noch sehr naiv. Doch sie machen deutlich, wie weit der Weg noch ist, den der Kommunismus als reale Bewegung noch zu gehen hat, um sich überhaupt erst ansatzweise aus den durch die kapitalistische Vergesellschaftung aufgezwungenen Denkschablonen zu befreien. Ich empfehle, die erste Hälfte von Werner Imhofs „Skizzen für einen emanzipatorischen Kommunismus“ als indirekte Antwort auf Wal Buchenbergs "Elemente" zu lesen.
  • Den Beitrag „Arbeit und Produktivität“ von Bernhard Klevenz habe ich in die nächste Ausgabe geschoben, weil er in diese Nummer aus Platzgründen nicht mehr passte. In der Online-Version der Streitpunkte ist er jedoch schon zu lesen. Ich schlage vor, im nächsten Heft einen Schwerpunkt auf das Thema „Arbeit“ zu legen, es brennt auf den Nägeln und einige Debattenteilnehmer arbeiten daran.

VI. Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus

Diesen Text von Werner Imhof ist der für mich wichtigste in dieser Ausgabe der Streitpunkte. Ich halte zwar nicht viel davon, den Namen Kommunismus für die gesellschaftsverändernde Bewegung aufzugeben, das folgt unmittelbar aus meinen Ausführungen zum Verhältnis von Kontinuität und Bruch in den Kommunistischen Streitpunkten 3, aber das ist wirklich von untergeordneter Bedeutung. Mich interessiert brennend eine weitere Diskussion über die Frage, wie „das abstrakte Denken lernen kann, konkret zu werden.

V. Kommunistische Produktion

Unter der Rubrik „Kommunistische Produktion dokumentieren wir

 

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Fußnoten:

1s. auch M. Grewe, A. Knolle-Grothusen, Die Lebenden müssen sich von der Last der Toten befreien, in: Kommunistische Streitpunkte Nr.1, S. 32

2D. Dockerill, 150 Jahre Kommunistische Partei - Thesen, in: Kommunistische Streitpunkte Nr.1, S. 3

3Ansgar Knolle-Grothusen, Die historischen Beschränktheiten des Kommunismus erkennen und überwinden, in: Kommunistische Streitpunkte 3, S. 5