http://www.proletarische-briefe.de/artikel?id=3 Proletarische Briefe: Kommunismus: Eine einfache Sache, die schwer zu machen ist

Proletarische Briefe

Trends

Kommunismus: Eine einfache Sache, die schwer zu machen ist

Kommunistisches Denken hat es schwer, den emanzipatorischen Gehalt angemessen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dies liegt nicht etwa an der besonderen Kompliziertheit der Sache, die da vertreten wird. Der Kapitalismus ist viel verwickelter, ohne dass dies seinem Ansehen geschadet hätte.

Wie schwer man sich tut, den verwickelten Wirtschaftsprozess zu begreifen, beweisen tagtäglich allerlei Wirtschaftsexperten. Sie liegen in ihren Einschätzungen von Konjunktur-, Währungs-, Preis-, Zins- oder Börsenentwicklung regelmäßig daneben. Solche Fehler beruhen auf einem strukturellen Problem der kapitalistischen Gesellschaft: Die spezifisch kapitalistische Form verwandelt nämlich einfaches menschliches Handeln in eine fremde, unabhängige sachliche Macht, in anonyme eigengesetzliche Marktprozesse. Die Beseitigung dieser geheimnisvollen, unkontrollierten Macht, wie es kommunistisches Denken vorsieht, führt entsprechend zur Vereinfachung, Klarheit und Übersichtlichkeit einer Gesellschaft, die sich kommunistisch nennt.

1. Kommunismus: „Ein Weg in die Knechtschaft“

Unter dem Gesichtspunkt der Verständlichkeit hätte demnach der kommunistische Gedanke schon längst wie ein Blitz ins Volksbewusstsein einschlagen müssen. Dass aber tatsächlich das Gegenteil passiert, hat seine plausiblen Gründe.

a) Kommunistische Kritik soll vernichtet, nicht widerlegt werden

Kommunistisches Denken steht erstens im scharfen Gegensatz zu den herrschenden Mächten, die das Kapitalverhältnis um jeden Preis bewahren wollen und deshalb einen ideologischen und praktischen Abwehrkampf führen. In diesem Kampf, bei dem es um nichts Geringeres als um Sein oder Nichtsein der kapitalistischen Klasse selbst geht, ist eine faire, auf Erkenntnis ausgerichtete Auseinandersetzung nicht zu erwarten. Es gilt, kommunistisches Denken schon im Ansatz niederzukämpfen. Eine wichtige geistige Waffe dazu ist die Denunziation. Da der herrschenden Klasse nicht nur die Mittel der materiellen sondern zugleich die der geistigen Produktion gehören, kann sie ihrer niederträchtigen Hetzjagd eine besondere Geltung verschaffen und erzeugt so eine Barriere, um eine größere Anhängerschaft für die kommunistische Sache zu verhindern.

b) Bourgeoissozialistische Entstellungen

Ein zweites Hindernis für die Verbreitung des kommunistischen Bewusstseins bilden die so genannten „Arbeiterparteien", soweit sie sich um Parlaments- und letztendlich um Regierungsfähigkeit bemüht haben. Ihre tatsächliche zumindest aber gewünschte Integration in den staatlichen Machtmechanismus erfordert ein dem Kern nach bürgerliches Programm, das immer nur dem Anschein nach, niemals jedoch tatsächlich an sozialistisch-kommunistischen Zielvorstellungen festhalten kann. Solche „Bourgeoissozialisten" treten dann bei Wahlen unter den Wappen des Sozialismus auf, um unter fremden Namen für die alte Knechtschaft zu werben. Alle elenden Zustände der bürgerlichen Welt, wie das auf Ausbeutung fremder Arbeit beruhende kapitalistische Eigentum, die Despotie des Arbeitslebens, die Existenzunsicherheit, die mit der Konkurrenz gegebene Feindschaft etc. werden von ihnen teils verharmlost, ausgeklammert oder gar geleugnet, teils als ewig gültige, natürliche Lebensverhältnisse angepriesen. Um vor den Wählern nicht völlig mit leeren Händen dazustehen, wird einerseits mit der Abschaffung sozialer Missstände geködert, um auf diese Weise den Bestand der bürgerlichen Ordnung zu sichern, andererseits werden die heutigen Herren als unverzichtbar für das Wohl der Gesamtgesellschaft herausgeputzt, welche sich mit Bienenfleiß für das Interesse der kleinen Leute aufopfern würden.
Das Hauptkontingent der Bourgeoissozialisten stellen Teile der Sozialdemokratie, die in einigen Ländern auch unter dem Wappen des Sozialismus firmiert und in Gestalt der Sozialistischen Internationalen ein lockeres Bündnis bildet. Dort, wo sie regiert, wie etwa in Deutschland, besteht kein Zweifel, dass sie die Interessen der herrschenden Klassen vertritt. Als Regierungspartei lässt sie häufig alle Anklänge auf den Sozialismus fallen und unterscheidet sich selbst in der Propaganda nicht mehr von den übrigen bürgerlichen Parteien.
Mehr klassisch-traditionell ausgerichtete Sozialdemokraten, darunter etliche Anhänger der PDS, betrachten den Staat als besonderes Werkzeug zur Stabilisierung der bestehenden Ordnung. Sie wollen deshalb den Staat weiter ausbauen, fordern mehr Mitbestimmung/Demokratie und ein “Bündnis für Arbeit“ zur Dämpfung der Klassenkonflikte, treten für eine effektive Verwaltung der Massenarbeitslosigkeit u.a. durch Einführung eines “Dritten Sektors“ ein, wollen die Wirtschaft unter der Tarnkappe der Arbeitsplatzbeschaffung durch staatliche Maßnahmen stärker fördern etc.
Zu den Ideengebern gehört die keynesianische Theorie, die schon mal im Bedarfsfall zur Täuschung rebellierender Massen mit marxistischer Phraseologie angereichert werden darf.

c) Realsozialistische Diskreditierung

Ein drittes Hindernis wurde durch die völlig unzureichende Emanzipation der Länder errichtet, die sich selbst als sozialistisch bzw. kommunistisch bezeichneten. Im Realsozialismus konnte der bürgerliche Horizont nicht wirklich überschritten werden, denn der Angriff auf das Privateigentum blieb zu zaghaft, das lediglich aus der Gewalt der einzelnen Kapitalisten und Grundherren in die Hände des Staates überging. Die staatliche Gesellschaft, unter die die Individuen vereinigt wurden, verselbständigte sich ihnen gegenüber und bildete zugleich eine neue Fessel.
Den Schöpfern des Reichtums, den wirklichen Produzenten, blieb der freie Zugang zu ihrer eigenen materiellen Welt durch die Fortexistenz einer Eigentumsschranke weiterhin versperrt. Nicht ihnen, sondern dem Staat gehörten die im Reichtum existierenden sachlichen Produktivkräfte.
In dieser Fremdheit lagen alle weiteren Konsequenzen für die Art des Arbeitens begründet: Die Arbeit behielt ihren Charakter als Erwerbsarbeit und diente den Arbeitern weiterhin als bloßes Mittel zur Erhaltung ihrer individuellen Existenz. Sie erhielten Lohn, um Lebensmittel zu erwerben. Ihre Arbeitsresultate gehörten nicht ihnen, sondern fielen automatisch dem allgemeinen Privateigentümer zu. Je mehr sie sich ausarbeiteten, umso mächtiger wurde die aus all den angeeigneten Arbeitsresultaten bestehende fremde, gegenständliche Welt.
Vereinzelt, individuell traten die Arbeiter in die Werkstätten und Büros, wo sie sogleich aufhörten, sich selbst zu gehören. Ihre tatsächliche Kooperation begann also erst dort, wo sie ihre Selbständigkeit verloren hatten. Eine freie Assoziation der Individuen war am Ort ihrer gesellschaftlichen Produktion ausgeschlossen. Die Produzenten waren unter einem ihnen vorausgesetzten werktätigen Organismus und unter die dort enthaltene Arbeitsteilung subsumiert, statt dass sie umgekehrt, die vorhandenen sachlichen Bedingungen ihrer vereinigten Macht unterworfen hätten.
In dem fremd bestimmten Gesamtmechanismus verkümmerte jeder von ihnen zum Teilarbeiter. Ebenso wie im Kapitalismus, der zudem noch ganz andere Scheußlichkeiten zustande bringt, wurden die modernen Werkzeuge in Gestalt der Maschinerie missbraucht, um den Arbeiter in den Teil einer Teilmaschine zu verwandeln.
In der Fortexistenz solcher Arbeitsqualen, aber auch in der Einfachheit der Bedürfnisse, in der kulturellen Armut jener realsozialistischen Gesellschaften zeigt sich in erschreckender Weise, wie wenig die nur halbherzig erfolgte Aufhebung des Privateigentums eine wirkliche Aneignung der Welt des Reichtums bedeutete.
Die Gemeinschaft blieb eine Gemeinschaft fremd bestimmter Arbeit, worin das produktive, gemeinschaftliche Leben, das Gattungsleben der Menschen, zum Mittel des individuellen Lebens verkümmerte. Dem produktiven Leben fehlte die Selbsttätigkeit, dem Freizeitleben die produktive, gesellschaftliche Seite. Beides blieb dann schal, langweilig eintönig, roh.
Diese Gestalt des Sozialismus konnte wegen der Fortexistenz bürgerlicher und staatlicher Knechtschaftsverhältnisse aber auch aufgrund mancher Sonderbarkeiten, die genüsslich von der Bourgeoisöffentlichkeit zur Rechtfertigung ihrer eigenen Scheußlichkeiten nicht ohne Erfolg ausgeschlachtet worden sind, keine Anziehungskraft entfalten.
Zusammengefasst ergibt sich, dass kommunistisches Denken gleich auf dreifache Vorbehalte stößt: Im ersten Fall wird es direkt als totalitäre Knechtschaft verdammt, um auf diese Weise die Bevölkerung zu täuschen, im zweiten Fall führen die Bourgeoissozialisten ihre Anhänger dadurch hinters Licht, indem sie den um einige Missstände bereinigten nicht weniger bitteren Kern der kapitalistischen Lohnsklaverei als Sozialismus ausweisen und im dritten Fall wird der kommunistische Name direkt zur Legitimation einer kaum geringeren Knechtschaft missbraucht. In allen drei Fällen wird kommunistisches Denken entweder direkt oder indirekt mit der Knechtschaft in Verbindung gebracht und dadurch diskreditiert.
Natürlich geschieht diese Verleumdung nicht voraussetzungslos. Der wichtigste Grund wurde bereits genannt: die unbedingte Sicherung der Bourgeoisherrschaft. Der ideologische Kampf gegen den Kommunismus stützt sich dabei auf Denkformen, die aus den bürgerlichen Produktionsverhältnissen selbst herauswachsen. Auf solche Mystifikation kann hier nur hingewiesen werden.

2. Grundriss einer kommunistischen Gesellschaft

Eine wirkliche Emanzipation, die den bürgerlichen Horizont überschreitet, muss dass Verhältnis der Menschen zur Produktion revolutionieren. Der nachfolgende Grundriss einer kommunistischen Gesellschaft lehnt sich an die Gedanken an, die der radikale Kritiker kapitalistischer Verhältnisse, Karl Marx, aus der Kritik der alten Gesellschaft einst entwickelte.

a) Eigentum und Aneignungsweise

Im Vordergrund einer kommunistischen Emanzipation steht die Beseitigung des Privateigentums, soweit es den freien Zugang der Menschen zu der von ihr erzeugten Welt des Reichtums versperrt. Diese Welt besteht aus einer Totalität von sachlichen Produktivkräften wie Fabriken, Maschinen, Büros, Kommunikations- und Verkehrseinrichtungen, die von Arbeitern, Angestellten etc. produziert worden sind, und unter heutigen Verhältnissen überwiegend nicht arbeitenden Privateigentümern gehören.
Diese Eigentümer sehen in ihrem angeeigneten Reichtum nur ein Mittel, um ihren Reichtum zu vermehren, um Profit, Zins, Dividenden usw. einzufangen. Dazu benötigen sie Arbeitskräfte, die sie aufgrund der Eigentumslosigkeit der breiten Massen im Überfluss auf dem Arbeitsmarkt vorfinden. Sie kaufen oder besser, sie lassen durch ihre engagierten Manager Arbeitskräfte kaufen. Erst auf einem solchen Umweg gelangen die Arbeitsleute zu der von ihnen selbst geschaffenen Welt des Reichtums.
Dort angekommen, gehören sie dem Eigentümer, nicht mehr sich selbst. Die viel gepriesenen menschlichen Freiheiten haben aufgehört zu existieren. Wo das produktive Leben stattfindet, da herrscht Sklaverei. Alle sachlichen und persönlichen Bedingungen der Produktion und mit ihnen auch die Arbeitsresultate gehören den privaten Eigentümern. Ihr Leben, das die Arbeitsleute während der Produktion in den Gegenstand hineingelegt haben, wird ihnen mit dem Gegenstand weggenommen. Auf diese Weise reproduziert sich auf stets wachsender Stufenleiter der Verlust des Gegenstandes - ihre Eigentumslosigkeit. Ein solcher permanenter Diebstahl führt zu einer historisch einmaligen ökonomischen Knechtschaft. Selbst im „finsteren Mittelalter“ behielten die Menschen ihre Produktionsmittel. Dagegen steht der heutige Lohnarbeiter ohne Existenzmittel da, ist vogelfrei, und soll zu aller Demütigung noch das Loblied auf diese “Freiheit des Individuums“ mitsummen.
Dass den Dieben das Handwerk gelegt werden muss, um die eigene Welt des Reichtums für sich selbst zu besitzen, ist eine nur zu berechtigte Forderung, die immer wieder aufgestellt worden ist.
Der freie Zugang zu dieser produzierten Welt des Reichtums besteht in der wirklichen, sinnlichen Aneignung all der Gegenstände, d.h. in der praktischen Beseitigung des Diebstahls.

b) Freie Assoziation der Produzenten

Das moderne Arbeitsleben besteht aus dem Zusammenwirken einer großen Anzahl von Menschen. Allerdings geschieht diese Kooperation auf ganz merkwürdige Weise. Erstens wird der kooperative Zusammenhang durch das Privateigentum zerstückelt. Die verselbständigten Teile treten in feindliche Konkurrenz zueinander, worin die gesellschaftliche Form der Arbeit die Form der Waren annimmt. Die daraus erwachsenen Sachzwänge des Marktes treten den Menschen als äußere Zwangsgewalt gegenüber.
Zweitens sind die in der Produktion vereinigten Menschen nicht Herren ihrer Arbeitsbedingungen, setzen die sachlichen Produktivkräfte nicht gemäß ihrer eigenen Zwecke ein, sondern die Eigentümer eignen sich durch Kauf die Arbeitsleute an und subsumieren sie gemäß ihrer Zwecke unter die Arbeitsbedingungen. Den Lohnabhängigen ist dadurch ihr eigener gesellschaftlicher Zusammenhang äußerlich und fremd. Sie fühlen sich unwohl, entfliehen der Arbeit, wo es nur geht, sind frustriert, gelangweilt, werden krank und nur der durch ihren Chef und durch die Arbeitslosigkeit aufgemachte Zwang hält sie an der Arbeit.
Mit der Beseitigung des Privateigentums können die Menschen innerhalb des produktiven Lebens ihre Selbständigkeit gewinnen. An die Stelle einer Fremdgemeinschaft kann eine bewusst gesetzte Assoziation treten. Eine solche kommunistische Gemeinschaft subsumiert unter sich die sachlichen Produktivkräfte, setzt diese gemeinschaftlichen Produktionsinstrumente als Machtmittel auf den Arbeitsgegenstand gemäß ihrer Zwecke ein. Das Fabriksystem dient der produktiven Assoziation als gemeinsames, kolossales Arbeitsmittel. Kein privater Eigentümer hindert die Menschen mehr daran, ihr produktives Leben so zu gestalten, wie sie es gern möchten.

c) Teilarbeit und Teilarbeiter

Die Auflösung der herkömmlichen, durch das Privateigentum aufgesplitterten und in feindliche Konkurrenz gesetzten betrieblichen Zwangsgemeinschaften in miteinander verbundene Arbeiterassoziationen ermöglicht einen völlig neuen Umgang mit den sachlichen Produktivkräften. Die technischen Voraussetzungen dafür sind zusammen mit der großen Industrie entstanden.
Solange das Handwerk die allgemeine Grundlage der Produktion bildete, war die Unterordnung des Produzenten unter einen ausschließlichen Produktionszweig wegen der erforderlichen Spezialkenntnisse eine technische Notwendigkeit. Der Mensch war angekettet an eine Teilarbeit, die er über mehrere Jahre hinweg erlernen musste und die ihn sein Leben lang zum Teilarbeiter stempelte. Eine Aufhebung des Privateigentums hätte an einer solchen Spezialisierung nicht allzu viel ändern können.
Im modernen Fabriksystem ist an die Stelle spezialisierter Arbeiter die Tendenz der Nivellierung und der Vereinfachung getreten. Damit entfällt mehr und mehr die technische Notwendigkeit, die Teilarbeit an bestimmte Arbeitsleute zu befestigen, sie als Teilarbeiter zu ruinieren. Obwohl nun die moderne Industrie das alte System der Teilarbeiter technisch über den Haufen geworfen hat, reproduziert es sich unter dem Regiment des Privateigentums in noch ekelhafterer Form: Alles, was heutzutage an entsprechender Verkrüppelung am Teilarbeiter angerichtet wird, beruht auf dieser kapitalistischen Anwendungsweise.
Mit der Aneignung der Welt des Reichtums durch die miteinander assoziierten Individuen wird die schmerzliche Fessel durchschlagen, die den Produzenten an eine Teilarbeit kettet. An die Stelle des durch die repetitive, langweilige Teilarbeit stumpf gemachten Teilindividuums kann das “total entwickelte Individuum“ (Marx) treten, für das die verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen bilden. Morgens mag der Mensch Räder an Lokomotiven montieren, vormittags programmieren, nachmittags die Fabrik streichen, abends kritisieren, ohne lebenslanger Monteur, Programmierer, Anstreicher oder Kritiker zu sein. Die hier individuell, sinnlich angeeignete Totalität von Produktionsinstrumenten führt auch beim einzelnen zu einer entsprechenden Totalität von Fähigkeiten.
Viele der auf der Grundlage des Privateigentums entstandenen, zum Teil sehr komplizierten Arbeiten verschwinden zusammen mit dem Privateigentum und dem Elend, das es anrichtet. Steuer-, Wirtschafts- und Anlageberater, Finanzbeamte, Konjunktur- und Finanzmarkexperten, Makler, Verkäufer, Werbefachleute, Rechtsanwälte, Versicherungskaufleute, Lobbyisten, Journalisten, Unterhalter etc. werden endlich Gelegenheit haben, ihre Lebenskräfte in der Produktion sinnvoller Güter zu genießen.
Keiner wird sich mehr in solche parasitären Teilarbeiten hineinmühen müssen, um irgendwelche Gesetzeslücken, Marktschwankungen, schmutzige Gelegenheiten der Konkurrenz und vieles andere mehr für seinen Auftraggeber auszubeuten.

d) Arbeitszeitverkürzung

Das Privateigentum erzeugt eine ungeheure Verschwendung: Erstens zwingt es einen großen Bevölkerungsteil zur produktiven Untätigkeit. Arbeitslose, Rentner, Teilzeitbeschäftigte haben keinen oder einen völlig unzureichenden Zugang zur Produktion und müssen durch Fernsehen, Zeitschriften, Sport etc. unterhalten, abgelenkt und eingenebelt werden. Jene, die es sich aufgrund ihres Vermögens leisten können, entfliehen der mühevollen Arbeit und führen ein luxuriöses, verschwenderisches und nutzloses Leben jenseits der gesellschaftlichen Produktion. Die Leere ihres Lebens füllt die Kassen von Animateuren, Psychologen, Ärzten, die aus überflüssiger Not ihr Geschäft machen. Ideologen des Privateigentums verhandeln diesen Skandal unkritisch unter dem Titel “Einfünftelgesellschaft“, und machen der sie bezahlenden Klientel allerlei Vorschläge, wie die durch Tittytainnment abgelenkten Menschenmassen durch weitere Maßnahmen ruhig gestellt werden können.
Dabei bietet eine solche Gesellschaft ungeheure Chancen, die nur bezahlte Kopffechter ignorieren können: Wenn bereits ein Fünftel der Bevölkerung ausreichen soll, um alle zu ernähren, warum sollte dann nicht durch Verteilung der Arbeit auf alle Hände eine radikale Arbeitzeitverkürzung möglich sein? Rein rechnerisch könnte die bisherige 40-Stunden-Woche durch eine solche Allgemeinheit der Arbeit auf weniger als zehn Stunden verkürzt werden - bei gleichem Umfang der Konsumgüterproduktion.
Allgemein gilt: Je gleichmäßiger die Arbeit unter alle arbeitsfähigen Glieder der Gemeinschaft verteilt ist, desto kürzer kann für den Einzelnen die Arbeitszeit sein. Durch den technischen Fortschritt, der heutzutage als Feind der Beschäftigten auftritt, ließe sich die Arbeitszeit weiter verkürzen.
Zweitens ruft die Welt des Privateigentums zahlreiche, teilweise besonders scheußliche Arbeiten hervor, die nur dem Privateigentum dienen bzw. an dessen schädlichen Folgen ansetzen. Zu den direkten oder indirekten Dienern des Privateigentums gehören eine große Zahl der Rechtsgelehrten, Rechtsanwälte Richter, Gefängniswärter, Sachbearbeiter und Ärzte, ebenso Polizisten, Soldaten, Spitzel, Verwalter, Verkäufer, Kassierer, Sozialarbeiter, Manager, Ideologen etc., wodurch das Privateigentum geschützt, seine Übertragung gefördert, seine Verwertung erzwungen und einige seiner schädlichen Folgen repariert werden.
Würden diese mühevollen, für das Wohlergehen der Menschen überflüssigen und meist schädlichen Arbeiten eingespart, dann wäre eine weitere radikale Arbeitszeitverkürzung möglich. Welche paradiesischen Zustände ließen sich bereits heute und sofort herrichten, würde nur endlich das Privateigentum ausgeräumt?
Das Privateigentum vernichtet selbst in friedlichen Zeiten ungeheure Produktivkräfte, hemmt deren Entwicklung. Es ist zur Schranke der Produktivkräfte geworden. Diese Schranke der Reichtumsproduktion zu brechen, bildet den ökonomischen Gehalt des Kommunismus.

e) Arbeit und Lebensgenuss

In unserer Welt des Privateigentums bilden Arbeit und Lebensgenuss einen prinzipiellen Gegensatz: Die Arbeit ist Erwerbsarbeit. Sie vollzieht sich in aller Regel als Lohnarbeit unter fremden Bedingungen und für fremde Zwecke, sie reduziert das Individuum auf eine Teilfunktion, ruiniert seinen Körper und Geist und erfordert dann weitere “Reparaturarbeiten“. Wenn der Mensch arbeitet, gehört er nicht sich selbst, sondern anderen. Unter der Knute des Privateigentümers besitzt er keine Chance, seine Lebenstätigkeit zu genießen. Entsprechend schal und leer ist die Freizeit, die nur kindische, ermüdende oder gar brutale Genüsse zulässt. Abgetrennt von der produktiven Tätigkeit und ihrem eigentlichen Inhalt, bemüht man sich dann darum, den an sich inhaltslosen Tätigkeiten wenigstens die Illusion eines Inhalts zu geben.
Unter selbst gesetzten Bedingungen und Zwecken besteht kein Grund mehr, dass der Gegensatz von Arbeit und Lebensgenuss fortexistiert. Die große Industrie liefert die technische Möglichkeit, dass die Arbeit nach Art und Dauer frei gewählt werden kann. Und die Beseitigung der Fremdherrschaft in der Arbeit durch die Herstellung einer Assoziation der Produzenten schafft die notwenigen Voraussetzungen, dass die Menschen solche Möglichkeiten der modernen Produktivkräfte auch tatsächlich für sich selbst nutzen.
Die Arbeit tritt nicht länger dem Genuss und dazu als eine ihn deformierende Macht gegenüber, sondern vollendet den Genuss, indem sie ihn in sich auflöst. In dieser neuen produktiven Form des Genießens verschwindet der aus der Ordnung des Privateigentums bekannte Gegensatz von gesellschaftlichem und individuellem Leben. Der Mensch muss nicht mehr die Gesellschaft als Mittel seiner Zwecke missbrauchen. Seine persönliche Lebensäußerung - gleichgültig ob gemeinschaftlich oder individuell vollzogen - wird zu einer bewussten Betätigung seines gesellschaftlichen Lebens. Die anderen treten nicht länger, wie in der Welt des Privateigentums, als äußere Beschränkung, als Konkurrenten und damit als Feinde auf, sondern als Voraussetzung und Bedingung für die Entfaltung einer reichen Individualität.
Damit eröffnen sich neue Dimensionen des Genießens: Nicht nur die individuelle Lebensäußerung in der Produktion und die Betrachtung des geschaffenen Produkts werden genossen, auch der Genuss der anderen, den das Individuum sowohl während seiner produktiven Tätigkeit als auch durch das Produkt vermittelt, wird mit der Beseitigung der privateigentümlichen Verkapselung der Menschen erfahrbar.
Mit seiner individuellen Lebensäußerung hat jeder Einzelne die Lebensäußerung des anderen geschaffen, sich also als individuelles Gemeinwesen betätigt und zugleich verwirklicht.
Solch eine harmonische Gemeinschaft, das ist der Kommunismus.

Guenther Sandleben

Dieser Text ist unter einer Creative-Commons-Lizenz lizenziert. Creative-Commons-Lizenzvertrag