Peter Deckers Schlußbemerkung beim Vortrag: „Die Moral – Das gute Gewissen der Klassengesellschaft“, gehalten am 1.12.05 in Bremen, bei argudiss (http://doku.argudiss.de)downloadbar): „Wir haben kürzlich einen Leserbrief bekommen, da hatten wir zu dem Tsunami Anfang diesen Jahres einen Artikel geschrieben, und da war der eine Satz drin: „Ach wenn sie das Geld aus dem Staatshaushalt irgendwelchen entwurzelten Indonesien in Aceh schenken, dann ist das immer noch die beste Verwendung die man sich für den Staatshaushalt machen kann, warum nicht“. Das war uns gar nicht wichtig, da steht halt der Satz drin. Da kommt dann ein Leserbrief, der sagt: „Fangen jetzt auch schon Marxisten an, zu Spenden aufzurufen?“ Dazu wollte ich etwas deutlich machen: Es ist etwas ganz Naheliegendes und Selbstverständliches, dass, wenn jemand unverschuldet in Not gerät, und man hat die Mittel und die Möglichkeiten, dem ein bisschen aushelfen, das man das einfach tut. Es gibt einfach die Kategorie Mitleid, man versetzt sich geistig in die Lage eines anderen und sagt sich: Au Weia, in dessen Lage möchte ich nicht sein! Und das ist dann der Grund, warum man dann auch ein paar Mark übrig hat, oder ein paar Euro. Daran ist doch nichts zu meckern! Es ist aber auch nicht unsere Aufgabe, dazu aufzurufen. Aber mit so etwas legt man sich doch nicht an! Was anderes ist es, wenn in der bürgerlichen Gesellschaft Gesellschaften entstehen, die mit der Büchse herumlaufen, und sagen: Leute, tut etwas fürs Gute in der Welt! Gegen die möchte man schon einmal sagen: Überprüft, ob hier ein zufälliger Unfall vorliegt, dem man wirklich mit ein paar Mark abhelfen kann, oder ob hier ein notwendiges Scheitern, eine zum Kapitalismus notwendige Armut vorliegt, dann ist aber Spendensammeln unangebracht, denn es hilft dagegen ja gar nicht. Insgesamt beim Spenden: wenn man merkt, es kommt darauf an, dass die Menschen die gute Absicht betätigen, und die Wirkung ist überhaupt nicht wichtig, denen darf man schon den Vorwurf machen: Es geht ja doch nur darum, dass ihr, entgegen eurer alltäglichen Konkurrenz euch ein Feld sucht, wo auch noch der Beweis, dass es auch noch einen Gemeinsinn gibt, ein Plätzchen hat. Das ist der Sonntag zum Alltag. Das sind dann auch die paar Mark zum wirklichen Einkommen. Und es ist die gute Tat, die man gar nicht daran misst, was sie bewirkt, sondern, die man daran misst, was man mit ihr für eine gute Absicht zeigt. Das kann man schon alles kritisieren, aber das ist doch nicht dasselbe, wie dafür zu sein, oder quasi dazu auffordern: Bloß einem Hilfsbedürftigen nichts geben! Wir kritisieren am Kapitalismus, das er meinen Erfolg in den Gegensatz zu zum Erfolg eines anderen stellt. Daß, wenn meine Bemühungen um Erfolg aufgehen, dass das einschließt, dass ich die von jemand anderem verhindere. Wenn jetzt jemand sagt, ich habe etwas übrig für einen anderen, dann ist das doch nicht der Fehler! Es ist doch umgekehrt: Dass diese Gesellschaft die Interessen immer in Gegensatz stellt, das machen wir ihr zum Vorwurf. Also wollen wir doch nicht sagen, man muss für das eigene Interesse sein und nicht für das andere. Wir wollen uns doch nicht in die Alternative Altruismus oder Egoismus stellen! Wir wollen erläutern, dass die Alternative Altruismus oder Egoismus die Alternative dieser Gesellschaft ist. Dieser Punkt war wichtig, denn dieses Missverständnis gibt es immer wieder: die Auffassung, die Kritik der Moral wäre die Aufforderung zur Hartherzigkeit. Das ist doch überhaupt nicht der Punkt. Darum geht es doch überhaupt nicht. Wo man jemand aushelfen kann, warum sollte man das nicht tun? Wissen, dass das nichts leistet, dass das die systematische Armut der Gesellschaft nicht bekämpft, das ist etwas ganz anderes. Man sollte das selber nicht als eine praktische Aufforderung zu einer Stellungnahme innerhalb der Frage, Spenden oder Nichtspenden auffassen. Damit befassen wir uns nicht. Das ist etwas anderes als, wir hätten eine Meinung dazu.“