Der historische Klassenbegriff und seine heutige Relevanz


0.1. Vorwort


Teil 1

1.1. Einleitung

    1. Verschiedene beschreibende Klassenmodelle

1.2.1 Das Projekt Klassenanalyse

1.2.2. Das Modell “Wright”

    1. Strukturwandel und Klassenmobilität

      1. Intragenerationale Klassenmobilität

      2. Intergenerationale Klassenmobilität

    1. Zusammenfassung

Literarurverzeichnis


Teil 2

2.1. Einleitung

2.2. Definition und Bedeutung des Klassenbewußtseins

2.3. Das Projekt Klassenanalyse

    1. Wrights Klassenmodell

bezogen auf den Bewußtseinsindex

2.5. Gewerkschaftlicher Organisationsgrad und Bewußtsein

2.6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

3.0. Nachwort















0.1 Vorwort


Die vorliegende zweiteilige Arbeit behandelt den historischen und modernen Klassenbegriff. Historische und moderne Klassentheorien werden dargestellt und auf ihre heutige Relvanz überprüft.


Der erste Teil, von Christian Hartz, versucht heutige Klassenzusammensetzungen zu erfassen und zu beschreiben.


Der zweite Teil, von Eike Binge, versucht die voher bestimmten Klassenzusammensetzungen auf der Ebene des Bewußtseins zu fassen.



1.1. Einleitung


Warum wird immer wieder versucht eine Gesellschaft oder eine Bevölkerung in verschiedene Klas­sen einzuteilen? Klassen sind nicht einfach Konstruktionen, um etwas zu beschreiben was es nicht gibt, son­dern Ver­suche, die ökonomischen, sozialen und politischen Beziehungen der Individuen, innerhalb einer Gesellschaft oder einer Bevölke­rung zu be­schreiben. Eintei­lungen dieser Art haben eine lange Geschichte und kommen in den ver­schieden­sten Formen in fast allen bisherigen Gesellschaftsformen vor. Es werden damit Ka­tegorien der in­ne­ren Gliederung von Gesellschaften beschrieben die in der bürgerlichen Ge­sellschaft von folgender Ba­sis ausgehen: Kapi­tal ( Produktions- und Lebensmitteleigentum ), Grundeigentum und Lohnarbeit.1 Klassenanalysen versuchen Bewegungen innerhalb der Gesellschaft zu beschreiben. Veränderungen des Produktions­sektors können Auswirkungen auf die Zusammensetzung von Klassen haben und damit die verschie­densten sozialen Phänomene hervorrufen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts bemühten die damaligen Öko­nomen den Begriff Klasse zur Beschreibung und Vereinfachung der gesellschaftlichen Beziehungen. Politisch wurde dieser Begriff als Kampfbegriff gegen die Überkommenen gesellschaftlichen Strukturen der ausgehenden feudalistischen Periode genutzt. Die damals ökonomisch, sozial und politisch entstehende Bourgeoisie kämpfte um ihren Platz neben Kirche, Adel und Stände. Marx und Engels erkannten im Proletariat, der neu entstandenen Arbeiterklasse, die einzige Kraft, die in der Lage sei Klassengesellschaften zu überwinden und zu einer klassenlosen Gesellschaft zu kommen.2 Innerhalb der bürgerlichen Gesell­schaft wird seither von drei Hauptklassen ausgegangen. Bei Marx und Engels wird Feudalaristokratie, Bourgeoisie und Proletariat mit einem Schwerpunkt auf die beiden letztge­nannten Hauptklassen unterteilt.3 An anderer Stelle wird eine Unterteilung in Bourgeoisie, kleine Bourgeoisie und Proletariat vorgenommen.4 Ebenfalls von drei Klassen, aber mit einer Verlagerung schreibt Lenin. Hier werden drei Klassen ebenfalls mit o.g. Schwer­punkt zweier Hauptklassen, genannt. "Drei Haupt­gruppen, Klassen: Ausgebeutete, Aus­beuter, Mittle­re; Arbeiter, Kapitali­sten, Kleinbürgertum, ..."5


Es gibt einige klassische Beschreibungen die die Frage der Bedeutung von Klassen sowie deren Funktionen genauer erläutern. Zum Beispiel schreibt Lenin:

"Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen die sich voneinander unterscheiden, nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produk­tion, nach ih­rem (größtenteils in Gesetzen fixierten und formulierten) Verhältnis zu den Pro­duktionsmit­teln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folg­lich nach der Art der Er­langung und die Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfü­gen. Klassen sind Gruppen von Menschen, von denen die eine sich die Arbeit einer anderen aneignen kann in­folge der Verschiedenheit ihres Platzes in einem be­stimmten System der gesell­schaftlichen Wirt­schaft."6


Lenins Klassenverständnis baut natürlich auf das von Marx auf:

"Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter ver­wan­delt: Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, ge­meinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapi­tal, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir in einigen Phasen gekenn­zeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, wel­che sie verteidigt, wer­den Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf. ...

Aber wenn es sich darum handelt, sich genau Rechenschaft abzulegen über die Strikes, Koali­tionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier vor unseren Augen ihre Organi­sation als Klasse vollziehen, so werden die einen von einer wirklichen Furcht befallen, während die anderen eine transzendentale Geringschätzung an den Tag legen."7


Diese Arbeit geht von den einleitenden Zitaten aus und versucht folgende Fragen zu beantworten: Sind Klassen gerade dabei sich aufzulösen? Wäre in einer solchen Situation Klassentheorie nicht obsolet? Ist es heute, wie niemals zuvor, möglich in höhere Klassen aufzusteigen? Wie sieht es aus mit der sogenannten Klassenmobilität? Diesen und anderen populären Fragen will die folgende Arbeit nachgehen.


Fragestellungen, die im Laufe der Bear­beitung des Themas grund­sätzlich einer weitergehenden wissenschaftlichen Behandlung unterzogen werden müßten, wie z.B. die interna­tionale Klassensituation und die speziellen Klassenzusammensetzungen in den ehe­maligen so­zialistischen Ländern werden explizit nicht behandelt, da sie die Form und die Größe der vorlie­genden Arbeit sprengen würden.



1.2. Verschiedene beschreibende Klassenmodelle


Bezugnehmend auf eine Veröffentlichung von Max Koch, aus dem Jahre 1994, “Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft”, werden zwei Klassenmodelle vorgestellt. Die o.g. Klassenbeschreibungen sind heute 80-150 Jahre alt und es stellt sich daher die Frage, ob sie heute noch relevant sind und sie dazu dienen die Zusammensetzung und Widersprüche einer Ge­sellschaft zu be­schreiben. Die Lebens-, Arbeits- und Einkommensbedingungen in den westli­chen kapitalisti­schen Staaten haben sich in den letzten 150 Jahren enorm verändert. Soziale Ungleichheit als eventueller Indikator für eine klassenmäßige Zusammensetzung der Gesell­schaft scheinen je­doch einen stabilen Charakter zu haben.8


Hier werden im folgenden zwei Ansätze ausgewählt, in denen Klassenmodelle beschrieben werden. Zuerst wird das Modell "Projekt Klassenanalyse" von 1973 beschrieben, im folgenden PKA genannt. Der zweite Ansatz, von Eric Olin Wright, ein erweiterter Versuch einer Klassenanalyse wird an­schließend dar­gestellt.



1.2.1. Das Projekt Klassenanalyse


In den Arbeiten des PKA wird von 3 Klassen ausgegangen, Bourgeoisie, kleine Bourgeoisie und Arbeiterklas­se, wobei eine Erweiterung der Klasse der “Kleinen Bourgeoisie” vorgenommen wird, “Neue Mittelklasse” genannt. Das PKA folgt weitgehend der Marxschen sowie der Leninschen Klasseneinteilung.


Die Bourgeoisie, die Klasse der Kapitalisten, setzt sich aus verschiedenen Unterklassen zusam­men. Es gibt aktive Kapi­talisten, sie sind Kapitaleigentümer, die gleichzeitig direkt mit der Organisa­tion der Kapi­talverwertung beschäftigt sind. Passive Kapitalisten werden die genannt, die Eigner von Kapital sind und von der Verzinsung des Kapitals leben. Der Teil der aktiven Kapitalisten wird weiterge­hend unterschieden in in­dustrielle, kommer­zielle und Geldkapitalisten. Ferner zählen die Lohnab­hängigen des Managments noch zu dieser Klasse, da deren Ein­kommen eine Höhe erreicht hat, das sie am Profit beteiligt. Um eine Person zu der Kategorie Kapitalist zugehörig zu bezeichnen, setzt das PKA ein Abgrenzungskriterium ein, wel­ches sich auf die Höhe eines monatli­chen Geldbe­trags bezieht, mit dem sich der von Karl Marx in den drei Bänden, “Das Kapital” beschriebene Akkumulationszyklus in Gang setzten läßt. Dieser Profit wird für die Bundesrepublik Deutschland mit der Höhe von zwei Durchschnittsbruttolöhnen, entsprechend dem jeweiligen Lohnniveau, an­ge­setzt. Dieser Min­destprofit konnte in der Zeit von 1950 bis 1970 mit durchschnittlich 3,75 ausge­beuteten Lohn­arbeitern bewerkstelligt werden. Das heißt, Unter­nehmen die im Durchschnitt mit 4 bis 5 und mehr Lohnarbeitern ausge­stattet waren fallen unter die Kategorie “Kapitalist”.9


Die Mittelklasse, zu der die kleine Bourgeoisie, kleine Selbständige, gezählt wird, hat mit dieser Definition eine deutliche Abgrenzung und Bestimmung. Sie beschäftigt höchstens 3 Lohnarbei­ter. Letztlich zählt hier aber, daß diese kleine Bourgeoisie nicht in der Lage ist, die zwei Brutto­löhne Profit zu erreichen, mit denen der Akkumulationszyklus in Gang gesetzt werden kann. Weiterhin werden zu dieser Klasse die lohnab­hängigen Mittelklassen gezählt die die verschieden­sten Arten von Dienstleistun­gen anbieten oder in diesen Bereichen arbeiten. De­ren Einkommen wird direkt von der Revenue, dem Profit abge­zweigt. Sie werden in drei Funkti­onsgruppen eingeteilt: Gruppe A sind die Beschäf­tigten der Staatsorgane, wie z.B. der Ver­teidigung, der Finanzverwaltung, der Inneren Verwal­tung und der Sicherheitsorgane. Zu Gruppe C werden die Berufe gezählt, die notwendig sind, um auf einer bestimmten Stufe der Pro­duk­tion beispielsweise Verkehr, Nach­richten, Ernährung und gemein­schaftliche Einrichtungen zu or­ganisieren. Zur Funktionsgruppe B gehören fast alle nicht eindeutig zuordenbaren Staatsbeschäftigten wie z.B. der Schule, Wissen­schaft, Heimatpflege, des Gesundheitswesen und der Kunst. Weiter wird noch in nichtstaatliche, nicht er­werbsmäßig Beschäftigte unterschieden, die in Organisatio­nen wie Kirche, Parteien, Sportver­bänden und Gewerkschaften arbeiten. Dazu zählen auch Lohnabhän­gige die für Dienst­leistungen der privaten Reproduktion arbeiten, z.B. Diener und andere Haus­angestellte.10


Neben der Bourgeoisie wird die Arbeiterklasse als wichtige Klasse angesehen. Diese wird unter­schieden in die Lohnarbeiter des Kapitals, die direkt Lohn und Gehalt aus der Verwer­tung von Kapital beziehen, oder für kommerzielle Kapitalisten arbeiten. Die produktiven Arbeiter wer­den noch in aggregierte Arbeiter, im allgemeinen die Techniker, die um das Ma­schinenpersonal herum gruppiert sind, und in einfaches Maschinenpersonal unterschieden. Ihre Entlohnung ent­springt dem variablen Kapital. Im hier erklärten Modell sind dies die Ar­beiter in gewinnorientier-­

ten Unterneh­men die die o.g. Mindestgröße der Bourgeoisie haben. Weiterhin zählen die in den gewinnorientier­ten Betrieben der kleinen Bourgeoisie beschäftigten zur Arbeiter­klasse. Eine weitere Gruppe von Menschen die zur Arbeiterklasse zählen sind die Arbeitslo­sen deren Gruppengröße, je nach Entwicklung der Kapital­bewegung veränderlich ist.11 Folgende tabellarische, statistische Übersicht ergibt sich wenn man dieses analytische Modell des PKA anwendet:


Relative Verteilung der Klassen auf die Erwerbsbevölkerung zwischen 1907 und 1985

in %:12


Klassen(fraktionen) 1907 1978 1985


Kapitalisten 3,0 2,5 1,5

Kleinbourgeoisie 34,0 11.5 8,3

Lohnabhängige Mittelklasse 13,0 19,7 24,8 Staatlich 18,5 23,9

Funktionsgruppe A 6,2 8,1

Funktionsgruppe B 7,0 10,4

Funktionsgruppe C 5,4 5,4

Nichtstaalich 1,3 0,9

Summe der beiden Mittelklassen 47,0 31,2 33,1

Arbeiterklasse 50,0 66,3 65,4

kommerzielle Arbeiter 19,7 18,5

produktive Arbeiter 42,8 37,6

Maschinenpersonal 30,0

aggregiertes Personal 7,6

arbeitslos 3,8 9,3


Insgesamt 100 100 100

Dieses Modell vorausgesetzt, plus der obigen Statistik läßt sich folgendermaßen interpretieren. In der BRD des Jahres 1985 gab es ca. 25.6 Millionen Erwerbspersonen. Diese verteilten sich auf die ver­schiedenen Klas­sen. 1985 zählen 1,5%, einer statistischen Ungenauigkeit zu Folge, so Koch in seinem o.g. Buch, 1978 waren es 2.5% der Er­werbsbevölkerung, zu den Kapitalisten. Die Arbeiterklasse belief sich 1985 auf ca. 65,4% der Erwerbsbevölkerung. Die neue und die alte Mittelklasse mach­ten 1985 ca. 33,1% der Erwerbs­bevölkerung aus. Vergleicht man die verschiedenen Jahre so zeigt sich eine interessante Verringe­rung der alten Mittelklasse und eine Zunahme der neuen Mittelklasse. Die Arbeiterklasse bleibt konstant, mit internen Verschiebungen. Die Bour­geoisie kann trotz der Zählungenauigkeit als konstant angesehen werden, da eine solche Verringerung von 1978 bis 1985 unrealistisch er­scheint.13 Betrachtet man die Verteilung der Klassen von 1907 bis 1985, so weisen sie nach dieser Analyse eine große Stabilität auf. Verschiebungen innerhalb der Klassen und Klassenauf- sowie abstiege werden später versucht darzustellen. Gehen wir nun zum zweiten, zum Modell von Wright über und wenden es mit statistischem Material an.



1.2.2. Das Modell Wright


Das von Eric Olin Wright entworfene und nach einigen Kritiken erneuerte Klassenmodell, geht eben­falls von zwei sich gegenüberstehenden Hauptklassen aus, der Bourgeoisie und der Arbei­terklasse. Er­weiternd versucht Wright das traditionelle Klassenmodell von Marx, Engels und Lenin dahinge­hend zu modernisieren, indem er makro- und mikrosoziolgische Analysen einführt. Er begründet dies damit, daß Effekte die heute klassenverändernd wirken, zu wenig berücksich­tigt sind. Gerade auf die Mittelklasse bezogen wird diese Argumentation angeführt. Wright geht davon aus, daß es neben den Hauptklassen wider­sprüchliche Klassenlagen gibt: In der Bourgeoisie, am unteren Rand der Klasse, z.B. qualifizierte Manager. Am unteren Bereich der Mittelklasse z.B. nicht qualifizierte Aufsicht und fachlich teilweise nicht qualifizierte Nichtmanager. Oder am oberen Rand der Mittelklasse, z.B. fachlich teilweise qualifizierte Manager. Hier soll es sich um widersprüchliche Klassenlagen handeln und Wright versucht diese ge­nauer zu bestimmen. Es werden Fragen der Kon­trolle über die Produktionsmittel heran­gezo­gen, die gerade bei der rasan­ten Verwissenschaftlichung der Produktion von aktueller Wichtigkeit sind und weiterhin bleiben werden.14 Qualifikation, ein weiterer Modus, von Wright, der neben der Kon­trolle über die Produktionsmittel eingeführt wird, und die Positi­on innerhalb seiner Klassenstruktur bestimmt. Weitere Modi zur Verortung der Individuen und deren wider­sprüchli­chen Lage ist die Position in der Organisationshierachie der Individuen die sie einnehmen und durch die Wright sie lokalisiert. Nach Einführung dieser Modifikationen kann man Wrights Modell in einer Matrix darstellen, die wie folgt aussieht:


3 Hauptklassen mit 12 Klassenfraktionen im Kapitalismus. 15 Wright neu:16


Produktionsmittelbesitzer

Nichtbesitzer von Produktionsmitteln (Lohnarbeit)

Bourgeoisie

Qualifizierte Manager

Fachlich teilweise qualifizierte Manager

Nicht qualifizierte Manager

+



> 0 <

Organisation*


-


Kleine Arbeitgeber

Qualifizierte Aufsichtspersonen

fachlich teilweise qualifizierte Aufsichtspersonen

Nicht qualifizierte Aufsichtspersonen


Kleinbürger

Qualifizierte Nichtmanager

Fachlich teilweise qualifizierte Nichtmanager

Arbeiter


+ > 0 < -

Qualifikation*


*Die drei Stufen bzgl. Organisation und Qualifikation bei den Lohnabhängigen bedeuten:

+ : Ausbeuter; > 0 < : weder Ausbeuter noch ausgebeutet; - : ausgebeutet.


Bourgeoisie oder Kapitalisten verfügen über die totale Kontrolle der Produktionsmittel und über eine hohe Qualifikation und Organisation. Die alte Mittelklasse verfügt über Produktionsmittel, hat aber an der Organisation geringen Anteil. Die als mit widersprüchlicher Klassenlage Qualifi­zierten werden in acht verschiedene Gruppen an­geordnet. Dies macht deutlich, daß Qualifikation und Orga­nisation für die neue Mittelklasse von Bedeutung ist. Die Arbeiterklasse verfügt innerhalb der Begriffe dieses Modells über keine Qualifi­kation und Organisation.17


Die Klassenzusammensetzung anhand des erweiterten Wrightschen Mo­dells verteilt sich auf die drei beschriebenen Klassen mit ihren Untergruppen. Barbara Erbslöh bringt eine Statistik nach Wright neu, bezogen auf die BRD für 1998 wie folgt:



Verteilung der Erwerbsbevölkerung nach Klassenlagen, Erbslöh 1988.18

Klassen Anteil in (%)


Produktionsmittelbesitz

Bourgeoisie 0,6

Kleine Arbeitgeber 6,8

Kleinbürgertum 2,6

Lohnabhängige/ Mittelklasse

Qual Manager 1,4

Qual. Aufsichtspersonen 1,4

Qualifizierte Nichtmanager 6,5

Fachlich teilweise qualifizierte Manager 3,4

Fachlich teilweise qualifizierte Aufsichtspersonen 5,1

Fachlich teilweise Nicht-Manager 25,7

Nicht qualifizierte Manager 1,3

Nicht qualifizierte Aufsichtspersonen 2,9

Arbeiterklasse 42,4


100,0


Produktionsmittelbesitzer sind hier in drei Untergruppen eingeteilt und machen insgesamt 10% aus. Zur Bour­geoisie gehören hier alle Selbständige mit 10 und mehr Beschäftigten. Als kleine Arbeitgeber werden die be­zeich­net, die zwischen 2-9 Personen beschäftigen. Hier wird als Kleinbürgertum die Selbständigen mit keinem oder einem Beschäftigten bezeichnet. Die Lohnabhängige Mittelklasse mit ihren acht Unter­gruppen beläuft sich auf einen Anteil von 47,7% an der Erwerbsbevölkerung. Die Arbeiterklasse hat einen Anteil von 42,4% an der Erwerbsbevölkerung, die sich aus Fachar­bei­tern, angelernten und ungelernten Arbeitern soweit einfachen Angestellten zusammensetzt.19 Um in Anlehnung an die empirische Erhebung, unter Anwendung des PKA Modells ( hier S. 6), einen Vergleich zu ziehen wäre es nötig Zahlenmaterial aus anderen Jahrzehnten statistisch zu präsentieren. Leider konnte ich keine Grafik finden, die den historischen Vergleich in Deutschland und der BRD ermöglicht, um eventuell Stabilität oder Instabilität der Klassenstruktur aufzuzeigen.



1.3. Strukturwandel und Klassenmobilität


Diese oben dargestellten Klassenmodelle versuchen Veränderungen in der Produktionsweise und nachgelagert in der Gesellschaft zu fassen, die von verschiedenen Seiten beschrieben wurden und werden. Die Intellektualisierung der Beschäftigten ist notwendig, da in den modernen Berufen schon als Eingangsvoraussetztung höhere Schulabschlüsse sowie ständige Fortbildungen nötig sind. Mit der Mobilisierung der Ausbildungsreserve ist die Ausweitung der Schulbildung innerhalb der letzten 25 Jahre gemeint.20 Bildung als Ressourcenmo­nopolisierung beschreibt das Phänomen, eine möglichst hohe Schulbildung zu erreichen um damit den Klassenerhalt oder gar Aufstieg zu bewältigen.21 Von Klassenzugehörigkeit und Bildung kann ungleiche Verteilung von Organisation- und Qualifikationsre­ssourcen abgeleitet werden und es kann diesen Phänomenen klassenbildende Kraft zugesprochen werden.22 Allgemein wird von einer, im Prozeß lang anhaltenden Tertiärisierung, von einer Verschiebung der Arbeitsplätze aus der Land- und Forstwirtschaft über das produzierende Gewerbe in die übrigen Wirtschaftsbereiche gesprochen.23 Dieses Phänomen zeichnet jedoch die gesamte Zeit des Kapitalismus der letzten 250 Jahre aus. Der Unterschied ist die Geschwindigkeit, mit der die heutige Entwicklung abläuft. Das nächste Schaubild soll diesen Prozeß verdeutlichen:


Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren:24

*1882 und 1925 Erwerbspersonen, **1950 und 1990 früheres Bundesgebiet

Dieser Strukturwandel hat, wie in den vorherigen Kapitel gezeigt, eine Verschiebung und Um­grup­pierung innerhalb einiger Bereiche der beschriebenen Klassen gezeigt. Die heutige Gesellschaft bringt ausdifferenzierte, vielschichtige ausgeformte Individuen und Lebensstile hervor. Es wird beispielsweise von Bourdieu, so Koch, versucht darzustellen, daß diese Lebensstile klassenbildend wirken können und an die Stelle von klassischen Milieus der beschriebenen Klassen treten können. Wenn diese Milieus sich zunehmend auflösen und verändern können an ihre Stelle beispielsweise kulturelles und soziales Kapital klassenbildend treten. Dieser Begriff des kulturellen und sozialen Kapital ist abgeleitet von materiellem Kapital, welches nur in letzter Instanz wirken soll.25 Dies können Momente von Klassenmobilität sein. Mobilität kann heißen, daß innerhalb von einer Generation, eines Lebenslaufes, hier intra­generationale Klassenmo­bilität genannt, es möglich ist, ein oder zwei Unterklassen zu nach oben oder unten zu durchqueren oder sogar in eine höhere/tiefere Klasse auf- bzw. abzusteigen. Mobilität kann auch heißen, daß man in aufeinanderfolgenden oder meh­reren Generationen schafft, hier intergenerationale Klassenmobilität genannt, einige Unterklassen ebenfalls zu durchqueren, oder in eine höhere Klasse aufzusteigen oder eben auch abzusteigen.

Hier möchte ich jetzt den Versuch, von Koch, darstellen diese Mobilitäten anhand von Berufs­karrieren und -verläufen aufzuzeigen.26



1.3.1. Intragenerationale Klassenmobilität


Klassenmobilitäten kann man nach Zuströmen und Abströmen beurteilen. Hier versuche ich eine Beschreibung, inklusive der Berechnungen von Max Koch, darzustellen. Zur Be­schreibung von Abströmen; d.h. ist die Person an dem von ihr erstmals beim Antritt in das Berufs­lebens eingenommenen gesellschaftlichen Platz geblieben. Je höher die Klassenpositi­on, in Form von Bildungsgrad und Entscheidungsbefugnis, desto geringer ist die Mobilitäts­wahrscheinlichkeit nach unten. In der Bourgeoisie liegt die Wahrscheinlichkeit innerhalb der Klasse zu bleiben bei 71,7% bis 85%. In der neuen Mittelklasse fällt die Stabilität auf 52% bis 77%. In der Arbeiterklasse liegt die Stabili­tät bei 38% bis 57%.27 Beschreibt man Zuströme zu den verschie­denen Berufen und ihrer klassen­mäßigen Zuordnung legt die im Abstrom festgestellte Stabilität fest, daß innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen eine starke Selbstrekrutierung stattfindet; d.h. in der Klasse, in der man geboren wurde findet der Mensch auch seine Klassenposition.


Hier steht auch fest, je höher die Qualifi­kation und Entschei­dungsbefugnis, desto geringer der Zustrom. Interessant ist hierbei, daß innerhalb der Klassen eine größere Mobilität herrscht, was auf die Ausbildungswege und Weiterbildungs­maßnahmen zurück­zuführen ist. Dies betrifft hauptsächlich die Mittelklasse. Die Arbeiterklasse hat Aufstiegsmöglich­keiten und Umgruppie­rungen innerhalb der Klasse, die auf eine berufliche Umo­rientierung und Weiterqualifikation im Hinblick auf die Tertiärisierung der Arbeitswelt hinweist. Insgesamt sind bei Zu- und Abstrom­analysen die Häufigkeit der Bewegungen hauptsächlich inner­halb der Mittelklasse zu verzeichnen. Die nächste Häufigkeit sind Klassenabstiege. Die vielleicht erhofften Aufstiege sind die am geringsten vertrete­nen Klassenbewegungen.28



1.3.2. Intergenerationale Klassenmobilität


In der intergenerationalen Klassenmobilität wird auch mit Zu- und Abstromanalysen hantiert. Der Beruf und die dazugehörige Klasse des Vaters sind ausschlaggebend, ob es in der Genera­tionsfol­ge möglich war die Klasse zu erhalten oder auf- und abzusteigen. Die auftretende Bandbreite hängt mit den speziellen Veränderungen der Berufsbilder und der Veränderung der Produktion zusammen, der Strukturwandel der letzten Jahrzehnte wird hier deutlich. In der Bourgeoisie ver­bleiben zwischen 15,4% bis 51,3%. Dieser niedrige Wert ist zum Teil darauf zurückzuführen das seit den 50er Jahren die Zahl der Selbständigen um 60% gesunken ist. Innerhalb der Klasse aufzu­steigen erweist sich als schwierig. 15% bleiben zumindest in den hohen Bildungsberufen. Die klas­senmäßige Verschiebung Richtung Mittelklasse wird mit 56,4% angesetzt. Selbst mit der Ressource Bildung scheint es schwierig den Klassenerhalt zu schaffen. Die Mittelklasse kann als relativ stabil angesehen werden, 65% bleiben in der Klasse. Ein geringer Teil steigt auf, 2,9% kommen in die Bourgeoisie. 33,3% bis 38,1% steigen in die Arbeiterklasse ab. Insgesamt kann man von einer schwachen Klassen Auf- und Abstiegsbewe­gung sprechen. In der Arbeiterklasse wird mit 25% bis 66% die Klassenzugehörigkeit weiterge­geben. 41,5% wechseln innerhalb der Klasse in höher qua­lifizierte Arbeitsplätze. 33% schaffen den Aufstieg in die Mittelklasse. Wichtig zu beobachten ist hier der durch Qualifikation mögli­che Aufstieg innerhalb der Klasse. Je mehr qualifizierte Ab­schlüsse jedoch auf dem Arbeits­markt sind und benötigt werden desto inflationärer wirkt dies auf diese Abschlüsse. Das heißt die der Arbeiterklasse zugehörigen qualifizierten Berufe schieben sich immer weiter an die Mit­telklasse heran und entwerten diese sukzessive. D.h., daß in 10-20 Jahren Berufe die heute zur Mittelklasse zählen, dann der Arbeiterklasse zugeschlagen werden müßten.29



1.4. Zusammenfassung


Die beiden dargestellten Klassenmodelle machen deutlich, daß zum Verständnis der inneren Bezie­hungen einer Gesellschaft Klassenmodelle nach wie vor einen starken Erklärungsgehalt haben können. Hier wurde bis jetzt eine relative Stabilität von Klassen in der BRD beschrieben. Die eingangs gestellten Fragen wurden meines Erachtens nach beantwortet. Es gibt Heute Klassen in der BRD. Die Klassentheorie greift bei der Erklärung einer Gesellschaft und ihrer zu Beginn der vorliegenden Arbeit genannten Bezie­hungen. Die individuellen und generationalen Lebensläufe innerhalb der Klassenstruktur weisen eben­falls eine große Stabilität aus. Die sogenannten “ungeahnten” Aufstiegsmöglichkeiten werden, je höher man in der Klassenhie­rachie sucht immer, geringer. Abstiege dagegen sind einfach. Mit den Besonderheiten der Klassenzugehörigkeit und –mobilität von Frauen, die bisher noch nicht genannt wurden. Historisch und aktuell ist in der Bourgeoisie ihre Stabilität am geringsten. Allgemein bezogen auf Klassenstabilität verbleiben in der Arbeiterklasse Frauen am Stärksten. 30


Das innere Band, was Klassen oder Unterklas­sen miteinander verbindet ist die gemein­same soziale Erfahrung am Arbeitsplatz, seltener in Arbeitskämpfen, im Stadtteil und in der Frei­zeit. Gibt es diese gemeinsame Erfahrungen oder hat sich dies verändert? Wie steht es um das Bewußtsein der Klassen? Sind die Individuen sich im klaren über die gesellschaftliche Position die sie einnehmen? Diese Fragen untersucht die letzte unserer dreigegliederten Arbeit zum Klassenbegriff, von Eike Binge.





































Literaturverzeichnis


Veit M. Bader, Albert Benschop, Michael R. Krätke, Werner van Treek (Hg.), Die Wiederentdeckung der Klassen, Argumentverlag, Hamburg Berlin 1998


Ferdinand Buer, Eckhard Dittrich, Alfons Cramer, Roland Reichwein, Hans-Günter Thien, Zur Gesellschaftsstruktur der BRD, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1985


Barbara Erbslöh, Thomas Hagelstange, Dieter Holtmann, Joachim Singelmann, Hermann Strasser, Ende der Klassengesellschaft?, Transfer-Verlag, Regensburg 1990


Max Koch, Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1994


Jürgen Kuczynski, Klassen und Klassenkämpfe im imperialistischen Deutschland und in der BRD, Frankfurt 1972


Lenin Werke, Bd. 29, Dietz Verlag, Berlin 1980


W. I. Lenin, in Sowjetwissenschaft. Gesellchaftswissenschaftliche Beiträge, H 3/4, S. 241, Berlin 1970


Marx-Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Dietz Verlag, Berlin 1980


Marx-Engels-Werke, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1990


Marx-Engels-Werke, Bd. 20, Der Antidüring, Dietz Verlag, Berlin 1990


PKA-Projekt Klassenanalyse, Teil 1 + Teil 2, VSA-Verlag, Westberlin 1973 und 1974


Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 80, Dortmund 1994


“Z” Forum Marxistische Erneuerung, ImsF e.V., Nr. 25 März 1996




















2.1. Einleitung


Ein besonderes Problem der Klassenanalyse stellt immer noch die Entstehung und Bedeutung des Klassenbewußtseins dar. Zur Analyse einer Klasse gehört auch die Analyse der Organisationsformen und des ideologischen Entwicklungsniveaus, denn bestimmend für Struktur und Entwicklung der Gesellschaft ist das gesellschaftliche Sein, dem das gesellschaftliche Bewußtsein vorausgeht. Das Interesse an den Zusammenhängen von Klassenbewußtsein und Klassenkämpfen ( heute Klassenkonflikte) wird nicht nur in Marx und Lenins Schriften wiedergespiegelt, sondern ebenso in den neueren klassentheoretischen Untersuchungen.


Im folgenden möchte ich zunächst auf die Definition und Bedeutung des Klassenbewußtseins bei Marx (Engels/ Lenin) eingehen, um dann zwei klassentheoretische Ansätze vorzustellen, die sich mit dem Problem der Messung des Klassenbewußtseins befassen. Abschließend werde ich versuchen einige Aussagen zu machen über den gewerkschaftlichen Organisationsgrad als Indikator für Bewußtsein und über die Rolle des Klassenbewußtseins, als subjektiven Faktor, in der Prognose und bewußten Gestaltung sozialer Prozesse.



2.2. Definition und Bedeutung des Klassenbewußtseins


Marx und Engels gingen davon aus, dass das Bewußtsein entstanden sei, aus dem gesellschaftlichen Dasein der Menschen und ihrem Bedürfnis miteinander zu verkehren. Daraus folgerten sie:

“ Das Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.”31


Hierin wird die Auffassung deutlich, das selbst das individuelle Bewußtsein jedes einzelnen Menschen bestimmt wird durch seine Stellung in der Gesellschaft, der ein bestimmtes gesellschaftliches Bewußtsein entspricht.


So wird die gesellschaftliche Daseinsweise der Menschen wiedergespiegelt im menschlichen Bewußtsein.


Die Stellung in der Gesellschaft, ebenso wie die Lebensweise der Menschen ist im wesentlichen in der Art und Weise bedingt, in der sie an der Produktion der Mittel zum Leben teilhaben. Die Produktionsweise kennzeichnet die Art und Weise, wie die Produktivkräfte unter bestimmten Produktionsverhältnissen produzieren.

Die Produktionsweise stellt also den Spiegel des gesellschaftlichen Bewußtseins dar, indem sie die grundlegenden Struktur- und Entwicklungsgesetze der Gesellschaft hervorbringt.


Marx ging in seiner Mehrwerttheorie davon aus, dass die kapitalistische Gesellschaft darauf beruhe, dass die Klasse der Kapitaleigner ( als Besitzer der Produktionsmittel), sich die Arbeitskraft der Lohnarbeiter kaufen kann, während die Lohnarbeiter, zur Sicherung ihrer Existenzbedingungen, ihre Arbeitskraft an eben diese Eigner der Produktionsmittel verkaufen müssen.32


Marx definiert hier einen ökonomisch- sozialen Klassenbegriff, der in dieser Form zwar nicht von ihm geschaffen wurde, sich aber in einem Punkt von allen anderen Theorien der Klassengesellschaft unterschied. Es ging ihm nicht um die Beschreibung einer tatsächlichen Gesellschaft, sondern um die Erklärung des Wandels ganzer Gesellschaftsformen.


Gesellschaft im Kapitalismus bedeutete für Marx immer Klassengesellschaft, in der die Klassengegensätze die Keime für den künftigen Untergang dieser Gesellschaft darstellen sollten. Marx erklärte, die unterdrückte Klasse der Arbeiter strebe danach, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verändern und sich als Klasse aufzuheben.

Voraussetzung für dieses Fernziel sei das Klassenbewußtsein. Das Bewußtsein, das bestimmt ist durch gemeinsame Einstellungen und Überzeugungen der Klassenangehörigen, das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse und der damit verbundenen gemeinsamen Klasseninteressen.

Ohne dieses Bewußtsein gäbe es also nur Individuen, die sich in einer gleichen Situation befinden, aber keine wirklichen Klasse.33


Marx ging davon aus, dass das Klassenbewußtsein auf dem Weg zur Machtübernahme entstehe und zwar in dem Augenblick, wo eine Klasse ihre Interessen erkennt und wahrnimmt und sich zum politischen Kampf zusammenschließt. Dies setzt jedoch voraus, dass die Angehörigen einer Klasse oder ein Teil von ihnen sich aktiv organisieren, um diese Interessen zu verfolgen.


Nach Marx artikuliert sich im Proletariat das Klassenbewußtsein in dem Ziel, durch gemeinsame Aktionen die schlechte soziale Lage zu verändern, verbunden mit dem Bewußtsein darin einen Auftrag der Geschichte zu erfüllen: die Aufhebung der Klassengesellschaft.34


Er unterschied hier zwei Phasen der Klassenwerdung. Die Klasse an sich und die Klasse für sich. Die Klasse an sich ist objektiv bestimmbar aufgrund von gemeinsamen Merkmalen, etwa dem Besitz oder Nichtbesitz an Produktionsmitteln, bzw. der Aneignung/ Verausgabung von Mehrarbeit. Im Sinne von Kampf zwischen den Klassen also auf der Handlungsebene, ist eine solche objektiv beschreibbare Gruppe nur relevant, wenn ein entsprechendes subjektives Bewußtsein der objektiven Lage vorhanden ist.(> Klassenbewußtsein) Dann bildet sich aus der Klasse an sich eine Klasse für sich heraus. Den Übergang von der einen zur anderen Stufe kennzeichnete Marx folgendermaßen:

“ So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sich als Klasse für sich selbst. (...) Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf.”35

Den politischen Kampf ganzer Klassen erklärt er zur Vorbedingung für den sozialen Wandel der Gesellschaftsform und damit ist das Klassenbewußtsein die Voraussetzung für diese Veränderung.


Lenin definiert das Klassenbewußtsein als Voraussetzung für die Organisation der Arbeiter, die die Voraussetzung für den Klassenkampf darstellt. Diese Form des erhöhten Bewußtseins äußert sich im Kampf um Zugeständnisse und in den Forderungen an die Kapitalisten z.B nach verbesserten Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und verkürzten Arbeitstagen und löst das lähmende Bewußtsein der Versklavung ab, welches sich nur in einzelnen Racheaktionen äußerte, wie z.B. der Zerstörung von Fabrikgebäuden.


Diese erhöhte Art von Bewußtsein, eine Klasse von Arbeitern zu sein, die entgegengesetzte Interessen zu denen der Bourgeoise hat, muß eine Theorie der gesellschaftlichen Bewegung und der neu zu errichtenden Gesellschaft beinhalten. Nur dann, erklärt Lenin, sei die Arbeiterklasse in der Lage sich qualifiziert zu organisieren und diese Organisation führe zum wirklichen Klassenkampf.36


Bei der Analyse des Klassenbewußtseins heute wird nicht mehr von der ursprünglichen Idee des Klassenkampfes ausgegangen, denn diese basierte auf Marxs Konzeption der antagonistischen Zweiklassengesellschaft. Soziologen verwenden heute ein differenzierteres Instrumentarium und unterscheiden, je nach Gesichtspunkten, Gesellschaften mit bis zu zwölf Klassen.


Die meisten Konzeptionen gehen davon aus, dass die unterschiedlichen Bewußtseinsformen und Einstellungen abhängig sind und letzlich bestimmt werden von der unterschiedlichen Stellung innerhalb des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Auf der ökonomischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft, geprägt durch das Produktionsverhältnis von Lohnarbeit und Kapital, basiert die Form des gesamten Lebensprozesses der Individuen und die soziale Gliederung der Bevölkerung auf der alle weiteren sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse beruhen.


Diese innere Struktur der Gesellschaft ist aber durchaus nicht als solche wahrnehmbar und deswegen nicht greifbar als alltägliches Bewußtsein von den gesellschaftlichen Verhältnissen. Hinzu kommt als weitere Schwierigkeit, dass das was als gesellschaftliche Struktur wahrgenommen wird, den einzelnen immer schon vermittelt wurde durch Erziehung, Bildung, Traditionen und durch die Informationsmedien. Das bedeutet, dass das Bewußtsein auch durch eben diese Faktoren bestimmt wird.37

Die Messung von Klassenbewußtsein wird durch diese Variablen zunehmend schwieriger. Im folgenden Abschnitt möchte ich zwei Analysen vorstellen, die sich mit dem Problem der Messung von Klassenbewußtsein beschäftigt haben.



2.3. Das Projekt Klassenanalyse


Die Ausprägung von Klassenbewußtsein, als Indikator für die Aussagefähigkeit ihres klassentheoretischen Ansatzes, ist ein wichtiges Erklärungsziel des Projektes Klassenanalyse.


Das PKA- Modell geht von der Existenz zweier, die bürgerliche Gesellschaft polarisierende Hauptklassen aus, wie alle marxistischen Konzeptionen. Dies sind die Klasse der Arbeiter und der Kapitalisten. Dazu kommen sozusagen als Mittelklassen, die traditionelle Kleinbourgeoisie und die lohnabhängige Zwischenklasse. Es wird im allgemeinen unterstellt, dass die Stellung der Produzenten im Reproduktionsprozeß, die durch die Differenzierung von produktiver und unproduktiver Arbeit bestimmt wird, das Bewußtsein grundlegend beeinflusst.


Der Ausgangspunkt zur Bestimmung von Bewußtsein liegt speziell in der These dessen Widersprüchlichkeit. Alle Gesellschaftsmitglieder sind der widersprüchlichen Realität der bürgerlichen Gesellschaft, einerseits Klassengesellschaft, andererseits aber Gesellschaft von formell freien und gleichen Marktteilnehmern zu sein, ausgesetzt.


Diese Widersprüchlichkeiten im Bewußtsein fallen, so das PKA, bei den verschiedenen Klassen unterschiedlich stark ins Gewicht. In der Untersuchung sind also folgende Tendenzen zu erwarten:38


Bei den Kapitalisten ist das Eintreten für die herrschende Ordnung ausgeprägter, als beim Kleinbürgertum. Für die Lohnarbeiter läßt sich insgesamt eine größere Distanz zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung prognostizieren, ebenso wie das Bewußtsein des Klassencharakters der Gesellschaft umso ausgeprägter ist, je mehr die Lohnarbeiter dem Kapital untergeordnet sind.


Umgekehrt gilt, dass das Bewußtsein des Gegensatzes von Kapital und Arbeit, umso mehr im Bewußtsein der qualifizierten Lohnarbeiter schwindet, je abhängiger der Arbeitsprozeß von einem bestimmten Arbeitsvermögen und ein Wechsel der Personen nicht ohne weiteres stattfinden kann.Daraus folgt, dass das Maschinenpersonal die Gesellschaft am ehesten klassenmäßig interpretiert, während das aggregierte Personal weniger leicht austauschbar ist und insofern auch unkritischer sein müßte.

Von den kommerziellen Arbeitern erwartet das PKA insgesamt eine höhere Identifikation mit der Arbeit, so dass man sie etwa bei den aggregierten Arbeitern einstufen könnte.


Das PKA geht davon aus, dass die Arbeitslosen sich in ihrer Abhängigkeit vom kapitalistisch dominierten Markt passiv erfahren, weshalb sie am meisten von einer pro- Kapital- Einstellung entfernt sein müßten.


Die lohnabhängige Mittelklasse müßte bewußtseinsmäßig oberhalb der Arbeiterklasse angesiedelt sein, da sie das Kapitalverhältnis nur vermittelt erfahren.


Die Ausprägungen des Bewußtseins werden mit einem Index ( nach Barbara Erbslöh) gemessen, der aus der in Interviews geäußerten Nähe oder Entfernung zu `typischen´ Arbeitnehmereinstellungen resultiert, wie z.B.:


1) In Unternehmen haben Eigentümer Vorteile auf Kosten der Arbeitnehmer und Konsumenten

2) Im Falle eines Streiks sollte das Management gesetzlich daran gehindert werden, anstelle der Streikenden andere Arbeitnehmer einzustellen

3) Wenn die Arbeitnehmer in ihrem Betrieb die Chance hätten, ohne das

Management zu arbeiten, dann könnten sie alle Angelegenheiten wirksam genauso gut alleine erledigen

4) Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft brauchen Gewerkschaften, um ihre Interessen durchzusetzen


Diese Aussagen werden dann auf einer Skala von 1 (extreme pro-Kapital-Einstellung) bis 8 (extreme pro- Arbeitnehmer- Einstellung) eingeordnet.

Aus der Auswertung dieser Skala entstand folgende Tabelle:


Tab.2: Persönliches Nettoeinkommen und Wert auf dem Bewußtseinsindex nach Klassen


Klassen( fraktionen) Einkommen( DM) Bewußtseinsindex


Kapitalisten 5072 3,2

Kleinbürgertum 2640 3,7

Lohnabhängige Mittel-

klasse 2217 5,3

Arbeiterklasse

(kommerziell und aggregiert) 2134 5,1

(Maschinenpersonal) 1831 5,7

(arbeitslos) 871 6,0

Quelle: Hagelstange 1987, S.236


Aus der Tabelle geht nun hervor, dass die Werte der Kapitalistenklasse, der alten Mittelklasse und der gesamten Arbeiterklasse mit den theoretischen Vorüberlegungen übereinstimmt. Aber anders als erwartet weist die lohnabhängige Mittelklasse einen höheren Wert, also eine pro-Arbeitnehmer-Einstellung als der kommerziell und aggregierte Teil der Arbeiterklasse.


Auch die vom PKA so heftig betonte Differenzierung zwischen lohnabhängiger Mittelklasse und Lohnarbeitern läßt sich empirisch nur minder nachweisen, da der Durchschnittswert der gesamten Arbeiterklasse mit 5,4 nur wenig über dem der lohnabhängigen Mittelklasse liegt.

Jedoch läßt sich herausstellen, dass die von der Marxschen Theorie als grundlegend angesehene Trennung von Produktionsmittelbesitzern und Nichtbesitzern sich bezüglich des Bewußtseins als wirkliche soziale Schranke erwiesen hat.Die komplexe Struktur des Bewußtseins wird in dieser Untersuchung zwar nur ausschnitthaft wiedergespiegelt, da als


Variablen die das Bewußtsein beeinflussen nur die Stellung im Reproduktionsprozeß und damit das Einkommen berücksichtigt werden. Deutlich wird jedoch, wie Hagelstange festgestellt hat, dass das Erklärungsziel des PKA dann ansatzweise erreicht ist, wenn die Werte des Bewußtseinsindexes der Hierarchie der Klasse bzw. Klassenfraktionen entsprechen.

2.4. Wrights Klassenmodell bezogen auf den Bewußtseinsindex39


Das Projekt “Klassenstruktur und Klassenbewußtsein” der Gesamthochschule Duisburg hat den Anspruch in seiner Analyse des Wrightschen Klassenmodells, Aussagen machen zu können, über wahrscheinliches individuelles und kollektives Handeln der Mitglieder einzelner Klassenlagen (auch Erwartungen über Klassenallianzen), wofür es als Indikator den uns schon vom PKA bekannten Bewußtseinsindex verwendet.

Das in der Untersuchung analysierte Modell ist 1985 von Wright entwickelt worden. Man kann es als Modell multipler Ausbeutungsbeziehungen bezeichnen, da die Klassenlagen ausschließlich ausbeutungstheoretisch bestimmt werden. Wright modifizierte damit den Ansatz Roemers, der den Ausbeutungsbegriff zurück ins Zentrum der Klassenanalyse geholt hat und stellt drei Arten von Ausstattungen mit Ressourcen dar, die die Basis unterschiedlicher Ausbeutungsprozesse darstellen.


1) Produktionsmittelbesitz

2) Qualifikationsressource

3) Organisationsressource


Ausbeutung mittels Qualifikations - und Organisationsressource finden nach der Wrightschen Auffassung innerhalb der Arbeitnehmerschaft statt und führt zur Konstitution von mehreren Klassenlagen. Organisation stellt für Wright die technische Arbeitsteilung der Produzenten dar, die er als eine selbständige Quelle der Produktivkraft behandelt. Er bestimmt die Kontrolle über Organisationsressourcen als materielle Basis von Klassenbeziehungen und Ausbeutung.


Qualifikation als solche stellt noch keine Ausbeutung dar, weil das Einkommen dieser qualifizierten Arbeit, auch einfach die dafür aufgebrachten Kosten repräsentieren kann.


Qualifikation wird zur Ursache von Ausbeutung, wenn das Angebot von qualifizierter Arbeitskraft geringer ist als die Nachfrage und es muß einen Mechanismus geben, mithilfe dessen die Besitzer knapper Qualifikationen die Übernachfrage in höhere Einkommen umsetzen können. (z.B. Talent von Natur aus knapp; Zugang zur Ausbildung durch Schließungsmechanismen eingeschränkt)


Tabelle 5 zeigt nun Wrights Klassenmodell, dem sich entnehmen läßt, dass Wright dem Gegensatz von Kapital und Arbeit nach wie vor strukturstiftende Bedeutung in kapitalistischen Gesellschaften zuschreibt.

Tab.5: Klassen im Kapitalismus



Produktionsmittelbesitzer

Nichtbesitzer von Produktionsmitteln (Lohnarbeit)

Bourgeoisie

Qualifizierte Manager

Fachlich teilweise qualifizierte Manager

Nicht qualifizierte Manager

+



> 0 <

Organisation*


-


Kleine Arbeitgeber

Qualifizierte Aufsichtspersonen

fachlich teilweise qualifizierte Aufsichtspersonen

Nicht qualifizierte Aufsichtspersonen


Kleinbürger

Qualifizierte Nichtmanager

Fachlich teilweise qualifizierte Nichtmanager

Arbeiter


+ > 0 < -

Qualifikation*




Aus Tabelle 6 läßt sich nun die Verteilung der Erwerbsbevölkerung nach Klassenlagen bzw. nach dem Bewußtseinsindex entnehmen:


Tab.6: Verteilung der Erwerbsbevölkerung nach Klassenlagen und Bewußtseinsindex


Klassen Anteil(%) Bewußtseinsindex


Produktionsmittelbesitz

Bourgeoisie 0,6 2,5

kleine Arbeitgeber 6,8 3,6

Kleinbürgertum 2,6 4,1


Lohnabhängig/Mittelkl.

qual. Manager 1,4 4,4

qual. Aufsichtspersonen 1,4 5,1

qual. Nicht- Manager 6,5 5,5

fachl. teilw. qual. Manager 3,4 5,0

fachl. teilw. qual. Aufs. 5,1 5,0

fachl. teilw. qual. Nicht-M. 25,7 5,3

nicht qual. Manager 1,3 5,0

nicht qual. Aufsicht. 2,9 5,3


Arbeiterklasse 42,2 5,7

Quelle: Erbslöh u.a. 1988, S.255


Aus der Verteilung wird nun gefolgert, dass Werte zum größten Teil den von Wright theoretisch konstruierten Klassenlagen folgen.( siehe rechte Spalte) Der niedrigste Wert findet sich erwartungsgemäß bei der Bourgeoisie, gefolgt von den kleinen Arbeitnehmern und dem Kleinbürgertum. Daraus folgt, daß nicht nur das Einkommen, sondern auch die arbeiterfeindliche Einstellung mit der Beschäftigtenzahl steigt. Die Arbeiter stellen erwartungsgemäß den Gegenpol dar. Die qualifizierten Nicht- Manager, die ja definitionsgemäß auf der Qualifikationsressource zu den Ausbeutern zählen, erreichen einen Wert der fast dem der Arbeiter entspricht und den der fachlich teilweise qualifizierten Nicht- Manager übertrifft, die doch theoretisch in keinerlei Hinsicht als Ausbeuter auftreten. Dieses Ergebnis widerspricht Wrights Konzept, da für die Einstellung, hinsichtlich des betrieblichen Gegensatzes von Arbeit und Kapital, die Organisationsressource von größerer Bedeutung zu sein scheint, als die Qualifikationsressource.


Eine Klassenallianz hält das PKA zwischen Arbeiterklasse (42,4%) und den fachlich teilweise qualifizierten Nicht- Managern (25,7%) für möglich. Letztere Klassenlage umfaßt hauptsächlich ausführende Büro-, Verwaltungs-, und Handelsberufe und ist mit 25% nach der Arbeiterklasse am stärksten. Dieser Aussage wird durch die Werte des Bewußtseinsindexes zumindest nicht widersprochen. Die Arbeiterklasse hat einen Bewußtseinsindex von 5,7 und die fachlich teilweise qualifizierten Nicht- Manager einen Bewußtseinsindex von 5,3.


Für den Bewußtseinsindex wurde, wie für das Einkommen der absolute und relative Erklärungsanteil einzelner relevanter Faktoren ermittelt. Die Ergebnisse zeigen sich in Tabelle 8:


Tab.8: Bewußtsein nach verschiedenen Merkmalen


Merkmal k= Anzahl der Eta 2 Eta2/k Ausprägungen (%)

Stellung im Beruf 25 17,1 0,684

Wright neu 12 16,6 1,383

Wright alt 8 15,8 1,975

Alter 57 4,9 0,086

Geschlecht 2 0,0 0,000

Branche 46 4,9 0,107

Beschäftigungsverhältnis 3 12,1 4,033

Erwerbstätig/ arbeitslos 2 2,1 1,050

Gewerkschaftsmitglieds. 2 5,2 2,600

Parteienwahl 10 16,4 1,640

Quelle: Holtmann 1987, S.157


Bezüglich des absoluten Erklärungsanteil wird sowohl die Klassenlage (16,6%) als auch die Stellung im Beruf ( 17,1%) hervorgehoben, ersteres bestätigt Wrights Klassenmodell. Beim relativen Erklärungsanteil ( rechte Spalte ) zeigt sich, dass das Beschäftigungsverhältnis (Arbeitnehmer/ mithelfend/ selbständig) mit 4,033 entscheidend ist. Ebenfalls von Bedeutung ist die Gewerkschaftsmitgliedschaft mit 2,600 auf die ich als Faktor im Zusammenhang mit dem Bewußtsein im folgenden Kapitel noch genauer eingehen werde.


Zusammenfassend kann ich zu diesem Kapitel sagen, dass es sowohl dem PKA, als auch dem Wrightschen Klassenmodell gelungen ist nachzuweisen, dass die Einstellungsmuster den festgestellten Klassengrenzen folgen und somit die Relevanz des Klassenbegriffs, hier mit dem Bewußtsein als Indikator, auch empirisch belegt werden kann.



2.5. Gewerkschaftlicher Organisationsgrad und Bewußtsein


Der Einfluß des gewerkschaftlichen Organisationsgrades auf das Bewußtsein ist sicherlich unbestritten. Gewerkschaften verstehen sich in aller Regel als Institutionen, die nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, sondern ihnen gegenüber auch einen Bildungsauftrag wahrzunehmen haben. Diese Schulungen sollen auch zu Pro- Arbeitnehmer- Einstellungen führen.

Dass die Gewerkschaften diesbezüglich nicht ganz ohne Erfolg agieren geht aus den Untersuchungen zum Bewußtseinsindex hervor.

Absteigende Entwicklungstrends in den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften geben jedoch Anlaß, den Ursachen dieses Rückgangs des Organisationsgrades der Lohnabhängigen nachzugehen.

Ein Auszug aus dem Statistischen Jahrbuch 1998 zeigt den Trend deutlich:


27.13 Gewerkschaftsmitglieder *)40

27.13.1 Deutscher Gewerkschaftsbund **)


Stichtag 31.12.97 Mitglieder


Gewerkschaft insgesamt männlich weiblich

1995 9354670 6493216 2861454

1996 8972672 6227686 2744486

1997 8623471 5999809 2623662

*) die Zusammenstellung umfaßt nicht sämtliche vorhandenen Arbeitnehmerorganisationen

**) Einige Gewerkschaften haben neben den bisherigen Mitgliedergruppen noch sonstige Mitglieder ( Freiberufler, Arbeitslose, RentnerInnen, Auszubildende usw.) gemeldet. Die Angaben sind im “Insgesamt” enthalten, so dass sich in diesen Fällen die Mitgliedergruppen nicht zum “Ingesamt” addieren.


Meines Erachtens spiegeln die rückläufigen Mitgliederzahlen die Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins der Lohnabhängigen wieder.

Gründe für diese Entwicklung liegen in der Arbeitslosigkeit, Schrumpfung des Industrie- und Expansion des Dienstleistungssektors ( Tertiärer Sektor) und an den neuen atypischen Arbeitsverhältnissen.41


Für die Herausbildung proletarischen Bewußtseins ist nach der Marxschen Argumentation die unmittelbare Erfahrung von Arbeitslosigkeit stark von Bedeutung. Arbeitslose erfahren die Unsicherheit der Lebenslage besonders deutlich und entwickeln von daher eher eine Anti- Kapital- Einstellung.42


Dies führt in der kapitalistischen Gesellschaft aber nicht zwangsläufig zu einer Pro- Arbeitnehmer- Einstellung und damit zu einem höheren Organisationsgrad, sondern m.E. eher zu Stagnation und Konkurrenzverhalten, da Arbeitslose in der Gewerkschaft keine Lobby finden, die sie vertritt.


Der Beitrag des tertiären Sektors zum Bruttoinlandsprodukt lag 1997 bei 37,3 %. Hinter dieser Expansion der Dienstleistungsunternehmen steht auch die immer noch wachsende Arbeitsteilung. Viele Firmen des gewerblichen Sektors lagern professionelle Dienstleistungen aus ( Consulting, Marktforschung, PR, Werbung, Versand, etc.). Diese Dienstleistungen werden also als Fremdleistungen eingekauft. Viele der Arbeitsplätze, die dadurch im Dienstleistungsbereich geschaffen worden sind weisen “atypische” Eigenschaften auf, wie z.B. Befristung, Selbstbeschäftigung und Heimarbeit.43


Diese “atypischen” Eigenschaften entfremden die Arbeitnehmer von ihrer Arbeit, behindern das Erkennen des sozialen Mißstands und damit die Erhöhung des Bewußtseinsgrades durch Organisation. Diese veränderten Arbeitsverhältnisse schwächen somit also auch die Macht der Gewerkschaft. Die rückgängigen Mitgliederzahlen deuten nicht nur auf das fehlende Bewußtsein der Menschen hin, sondern sind m.E. auch ein Beweis für die politische Verunsicherung der Arbeiterklasse, zu denen auch die Arbeitslosen zu zählen sind. Wenn nicht die Gewerkschaft, wer soll dann für ihre Interessen eintreten ?


Die Arbeiterklasse ist immer noch eine Klasse an sich, die zwar ein Bewußtsein hat, aber diesem Bewußtsein fehlt die Theorie der gesellschaftlichen Bewegung und der neu zu errichtenden Gesellschaft.


Der anwachsende “ Sockel” von Arbeitslosigkeit in der erwerbsfähigen Bevölkerung, vorallem die düsteren Aussichten für die nachwachsenden Generationen, müßten es zu einem viel wichtigeren Gegenstand der Vereinheitlichungspolitik machen, die erwerbslosen und marginalisierten Gruppen der Gesellschaft in den gewerkschaftlichen Willensbildungsprozeß einzubeziehen und die dazu notwendigen organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.



2.6. Zusammenfassung


Das Bewußtsein der Individuen und der Klassen bleibt abhängig und wird letztendlich bestimmt von der unterschiedlichen Stellung im Reproduktionsprozeß. Das bedeutet auch, dass die spezifische Struktur der Gesellschaft, die durch den Reproduktionsprozeß geprägt wird, sich im Bewußtsein der Träger reproduziert.


Es bleibt festzuhalten, dass das Bewußtsein sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammensetzt, die auch aus den Sphären der Nichtarbeit kommen wie, Freizeitbedingungen, Schulsituation, Familienverhältnisse etc.


Hier ist jedoch mit reziproken Einflüssen zu rechnen, da diese Faktoren von der Stellung im Reproduktionsprozeß beeinflusst werden. Entsprechend ist das Bewußtsein immer in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu begreifen.


Welche Auswirkungen kann dieses Bewußtsein nun auf die bewußte Gestaltung sozialer Prozesse haben? M.E. wird die durchaus vorhandene Wahrnehmung der sozialen Gegensätze generell noch sehr stark überlagert vom Vertrauen in die Herstellung sozialer Gerechtigkeit durch die bestehende Wirtschaftsordnung sowie durch soziale und politische Reformmaßnahmen des Staates. Zudem führt die Struktur der kapitalistischen Gesellschaft immer mehr zu einem Konkurrenzverhalten, das die Einzelnen auf die bürgerlichen Werte von Freiheit, Gleichheit und Leistung zurückwirft. Gefordert ist keine gemeinsame Leistung, sondern eine individuelle, die dazu führt, das eine Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensverhältnissen der KollegInnen entsteht, solange die eigene Existenz gesichert ist. Vor der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hat die Sicherung der eigenen Lebensgrundlage Priorität. Eine Folge ist die Abnahme der bewußten Form der Organisation der Lohnabhängigen. Klassenauseinandersetzungen mit Erfolgen für die Klasse der Lohnabhängigen und damit verbunden die Frage der Bewußtwerdung “der Klasse an sich” zur “Klasse für sich” sind zur Zeit, trotz einer akuten und historischen Notwendigkeit, nicht abzusehen.




Literaturverzeichnis


Bader, Benschop, Krätke, van Treeck (Hg.), Die Wiederentdeckung der Klassen, Argument Verlag, Hamburg 1998

Engel, Stefan, Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung,

Neuer Weg Verlag und Druck GmbH, Essen 1995


Hauchler, Ingomar (Hg.), Stiftung Entwicklung und Frieden, Globale Trends 93/ 94,

Daten zur Weltentwicklung, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1993


Herkommer, S.,Bischoff, J., Maldaner, K., Alltag, Bewußtsein, Klassen,Aufsätze zur marxistischen Theorie,VSA- Verlag, Hamburg 1984


Koch, Max, Vom Strukturwandel einer Klassengesellschaft, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1994


Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Eine vergleichende Enzyklopädie

Band 3 Ideologie und Leistung, Verlag Herder, 1969 in Basel/ Freiburg/ Wien


Statistisches Jahrbuch 1998, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Metzler-Poeschel, Stuttgart 1998


























  1. Nachwort



Abschließend zu dieser Arbeit möchten wir feststellen, daß der von Marx und Engels aufgegriffene und geprägte Klassenbegriff, sowie die darauf aufbauende Klassentheorie, bis heute mit unverminderter Aktualität von Bedeutung ist. Von einer Auflösung der Klassengesellschaft kann in keiner Weise die Rede sein, auch wenn es von verschiedensten Seiten immer wieder versucht wird. Im Gegenteil, wir haben versucht aufzuzeigen, daß die heutige Klassenstruktur in der Bundesrepublik Deutschland von einer nahezu 100 Jahre andauernden Stabilität gekennzeichnet ist. Die “neuen” sozialen Ungleichheiten sind die alten Klassengegensätze auf heutigem Nivau. Wichtig erscheint die Auseinandersetzung mit dem Bewußtsein der Menschen. Wir haben versucht das Klassenbewußtseins in den Klassen zu beschreiben. In der Arbeiterklasse ist ein Rückgang des Bewußtseins festzustellen. Das Bewußtsein der oberen Klassen ist stabil geblieben. Die daraus resultierenden Nachteile für die lohnsabhängigen Beschäftigten können nur mit einer konzentrierten und deutlichen Positionierung aufgehoben werden.




1vgl.: Jürgen Kuczynski, Frankfurt 1972 S. 32-33

2vgl.: Veit M. Bader ..., Hamburg, Berlin 1998 S. 6ff

3vgl.: Marx-Engels-Werke, Berlin 1990 Bd. 20, S. 87,

4vgl.: Marx-Engels, Berlin 1980 S. 44ff

5vgl.: W. I. Lenin, Berlin 1970 S. 241

6vgl.: Lenin Werke, Moskau 1919 Bd. 29, S. 397-424

42vgl.: Marx-Engels-Werke, Berlin 1990 Bd. 4, S. 180f

743vgl.: Barbara Erbslöh ..., Regensburg 1990 S. 2-3vgl.: Marx-Engels-Werke, Berlin 1990 Bd. 4, S. 180f

8

9vgl.: PKA-Projekt Klassenanalyse, Westberlin, 1973 Teil 1, S. 187 und 1974 Teil 2, S. 230-232, sowie Max Koch, Münster 1994 S. 42 sowie Barbara Erbslöh, Regensburg 1990 S. 74

10vgl.: PKA-Projekt Klassenanalyse, Westberlin 1974 Teil 2, S. 298ff., sowie Max Koch, Münster 1994,

S. 43, Barbara Erbslöh, Regensburg 1990 S. 75

11PKA-Projekt Klassenanalyse, Westberlin 1974 Teil 2 S. 120ff., sowie Max Koch, Münster 1994 S. 43-44, sowie Barbara Erbslöh, Regensburg 1990 S. 75-76

12 Max Koch, Münster 1994 S. 45

13vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 44-45

14vgl.: Veit M. Bader ..., Hamburg Berlin 1998 S. 55ff

15vgl.: Max Koch, Münster 1994 S.78 und Erbslöh, Regensburg 1990 S.26

16Wright hat Ende der 70er zuerst ein etwas einfacheres Klassenmodell entwickelt. Dies wird heute in der entsprechenden Literatur “Wright alt” genannt wird. Nach einiger Zeit hat er sein Modell, aufgrund von Kritiken bezüglich der Anregungen von Roemers “A General Theorie of Exploitation and Class”, erweitert und Kategorien wie Ressourcen und Ausbeutung eingeführt und diese zum Modell “Wright neu” zusammengefaßt. Vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 66ff

17vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 66-78 sowie Barbara Erbslöh, Regensburg 1990 S. 13-31

18vgl.: Max Koch, Münster 1994 S.79

19vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 78-82, sowie Barbara Erbslöh, Regensburg 1990 S. 38-43

20vgl.: Roland Reichwein ..., Münster 1985 S. 234ff

21vgl.: Uwe Kremer, Dortmund 1994 Heft 80 S. 18ff, , und Hans-Jürgen Bieling, Dortmund 1994 Heft 80 S. 30ff

22vgl.: Barbara Erbslöh ..., Regensburg 1990 S.123-126

23vgl.: Horst Dietzel, und Max Koch, Münster 1994 S. 124-126,

24vgl.: Statistisches Bundesamt 1992, in Max Koch, Münster 1994 S. 125,

25vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 88-106

26 vgl.: Max Koch, Münster 1994 S.137-142

27Kann man hier nur aufsteigen und wenn nicht wohin steigt man/frau dann ab?

28vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 143-147

29vgl.: Max Koch, Münster 1994 S. 152-162

30In den untersten Berufen stellen sie, historisch mit ca. 60% und aktuell mit ca. 45%, die Mehrheit. Vgl. Max Koch, Münster 1994 S. 135-162

31 Zitiert nach: Marx/ Engels, Werke, Bd.3, S.31; In: Engel, Stefan; 1995, S.12

32 vgl., Engel,Stefan, a.a.O., S. 9-17

33 vgl., Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd.3, 1969, S.638

34 vgl., ebenda, S.640

35 Zitiert nach: MEW, Bd.4, S.181, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft,Bd. 3, 1969 , S.640

36 vgl., Kuczynski,Jürgen, 1972, S.194-197

37 vgl., Herkommer,S., Bischoff,J., Maldaner,K., 1984, S.31-33

38 vgl.: für Kapitel 3.3., Koch, Max, 1994, Seite 42-50

39 vgl., für Kapitel 3.4., Koch, Max, 1994, S. 66-87

40 vgl., Statistisches Jahrbuch ,1998, S.733

41 vgl.,Hauchler, Ingomar (Hg.),1993, S.273

42 vgl., Bader, Benschop, Krätke, van Treeck (Hg.), 1998, S.42

43 vgl., Hauchler, Ingomar (Hg.), 1993, S.208

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