18.1.1997



Zurück zur startseite
mailto trend
Zwischenbilanz
trend hat Geburtstag
Texte zur Diskussion





KARL PAWEK

Der Internet-Mythos

aus KONKRET 1/97

Revolutionär nennen viele das Internet. Wäre es das wirklich, würden wir die erste Revolution in der Menschheitsgeschichte erleben, die Aktienkurse explodieren läßt , von Regierungen subventioniert und von den bürgerlichen Medien hochgejubelt wird. Unternehmen, die irgend etwas mit Internetaktivitäten zu tun haben, konnten innerhalb weniger Monate ihren an der Börse taxierten Firmenwert zumindest verdoppeln, in vielen Fällen verzehnfachen. Regierungen, die angeblich finanziell nicht mehr in der Lage, in Wahrheit also nicht willens sind, den Betrieb öffentlicher Bücherhallen aufrechtzuerhalten, finanzieren jeder Bildungseinrichtung, die sich nur irgendwie dazu motivieren läßt, den Netzzugang. Und arte, der Regierungssender für den gebildeten Spießbürger, propagiert stundenlang das Internet als Träger einer neuen Kultur, einer neuen Sozial-, ja Wirtschaftsordnung. Da, wird gar von Kapitalströmen gefaselt, die durch das Internet fließen, von virtuellem Geld, als sei Geld eine Fiktion und nicht ein sehr konkreter materieller Wert, entstanden aus Arbeit oder angeeignet durch Betrug. Sogar linksintellektuelle Fahrradfahrer stürzen sich auf die Datenautobahn, surfen über alle Schlaglöcher hinweg und kritisieren höch stens die systembedingten Geschwindigkeitsbeschränkungen. Das Internet wurde zum Mythos, dessen überwältigender Erfolg wie bei jedem Mythos auf dem zur Zeit wieder einmal vorherrschenden naiven, unpolitischen, ahistorischen Denken beruht. Und niemand zweifelt an diesem Mythos, weil die meisten Intellektuellen und ihre werbetreibenden Auftraggeber das Internet nur vom Hörensagen kennen, sich nie selbst durch das Netz gequält haben, ihre Ahnungslosigkeit aber nicht eingestehen dürfen.

Nichts, was das Internet kann, konnten wir nicht schon vor seiner Entstehung mittels Brief, Bildern, Telefon, Fax, Video. Die Übertragungen waren nur mit mehr Aufwand verbunden, die Inhalte daher mit mehr Bedacht gewählt. Auch stellt das Internet nicht eine einzige Information zur Verfügung, die nicht unabhängig von ihm (falls ernsthaft gewünscht) verfügbar wäre. Was verleitet überhaupt zu der absurden Annahme, >>Bild<<- oder >>Focus<<-Leser würden plötzlich Informationen suchen, nur weil es das Internet gibt, zumal sogar der beste Suchdienst die wirklich interessanten Nachrichten auch dort nicht findet. Der Kommunikationsaufwand selektierte früher freilich die Informationsinhalte, reduzierte das Mitteilungsbedürfnis auf das Notwendige. Um einem Unbekannten mitzuteilen: >>He, Du, ich bin der Bernd, und wie heißt Du. Wo lebst Du, hast Du ein Hobby etc.<< , mußte man sich zuerst einmal eine Brieffreundschaft vermitteln lassen, den Brief schreiben, eine Briefmarke kaufen und auf den Umschlag kleben, ihn zur Post tragen und lange aufdie Antwort warten: >>He, Bernd, ich bin der Frank und wohne in X. Ich mag eigentlich alles, am liebsten etc.<< Der einzige Unterschied zu früher besteht darin, daß sich Banalitäten - und sie machen den weit überwiegenden Anteil der privaten Internetkommunikation aus - nun weltweit innerhalb weniger Sekunden und daher sehr viel häufiger austauschen lassen. Wie schon beim vielbelächelten CB-Funk mag für Menschen, die sich niemanden von Angesicht zu Angesicht anzureden trauen, der traurige Schutz der Anonymität hinzukommen.

Die Annahme, in der Vernetzung liege bereits eine Qualität, ist zumindest vorschnell. Sieben vernetzte Dummköpfe werden vielleicht schlau (was die Tücken des Verbindungsaufbaus um 18 Uhr z.B. angeht), aber nicht klüger. Das Netz stellt nur eine Potenz dar, eine Möglichkeit, die zu nutzen nur in der Lage ist, wer Fcagen hat, Zusammenhänge ahnt, etwas verändern will. Solche Nutzungsvoraussetzungen aber schafft kein Netz, sondern die Gesellschaft in ihren Agenturen Elternhaus, Schule, Medien usw. Bei unveränderten gesellschaftlichen Bedingungen kann daher die private Internetnutzung nichts anderes sein als ein systemstabilisierender Zeitvertreib, eine Betätigungsspielwiese. Nichts daran ist revolutionär: Die Hard-, Software- und Verbindungskosten steigern die Unternehmensgewinne, Nutzerprofile erlauben gezielte Werbekontakte, die Vereinsamung des Surfers - eine neue Form der Distanzschaffung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, die Elias gewiß interessiert hätte - macht ihn noch abhängiger von profitablen Ersatzbefriedigungen.

Nur mehr zynisch ist die Aufforderung der Internetgurus, die Teilnehmer sollten sich durch eigene Webseiten ins Netz einbringen, Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft werden, ihre Isolation überwinden. Denn mit einer Webseite im Internet ist zwar der Einzelne präsent, aber - wie im richtigen Leben - es merkt fast keiner. Gerade weil sich durch die Teilnahme außer Umsatzzahlen nichts ändert, darf, kann und soll jeder mitmachen, zumal der Aufbau des Internets keine Öffentlichkeit, nur eine extrem privatistische Nutzung erlaubt.

Öffentlichkeit entsteht doch nicht dadurch, daß ich mich irgendwo einbringe. Dieses Mich-Einbringen ist mein gutes Recht in jeder Kneipe, schließlich kann der Nachbar, wenn es ihm zuviel wird, ja gehen. SichEinbringen heißt nur, sich wichtig nehmen und das anderen mitteilen. Solange meine Mitteilung nicht mit Macht verbunden ist - ein ganz klein wenig z. B. bei einer Wahl, sehr stark im Besitz eines Medienunternehmens, bleibt sie auch öffentlich geäußert privat. Keine andere Qualität besitzt meine Webseite im Internet, einer Duftmarke vergleichbar, einer Visitenkarte, die ich auch aufeine Kaufhausfensterscheibe kleben könnte, wo sie bis zu ihrer Entdeckung durch den Fensterputzer von sehr viel mehr Mitmenschen gesehen würde als im Internet. Daß eine solche Aktion in der Regel wenig Resonanz findet, ahnt jeder. Warum soll es im Internet grundsätzlich anders sein?

Nein, wer von Öffentlichkeit im Internet schwätzt, verhindert - vielleicht ohne es zu wollen, doch gefördert, weil er es tut - Öffentlichkeit, indem die Scheinöffentlichkeit des Netzes auch viel soziales, politisches oder kulturelles Engagement absorbiert, das nur tatsächlich öffentlich gemacht wirksam werden könnte.

Doch ist das Netz so schlecht nun auch wieder nicht. Selbstverständlich läßt es sich nutzen zur Organisation von Menschen, die in einem netzunabhängigen Arbeits-, Politik- oder Interessenzusammenhang stehen. Neonazis z.B. oder Pädophile haben das früh gemerkt. Wie Wirtschaftsunternehmen oder einige Wissenschaftler nutzen sie das Netz weniger als Medium sondern als Instrument, als Transportsystem, das keinem Surfer zugänglich ist. In geschlossenen Teilnet-zen (Intranets) wird gearbeitet, recherchiert, überprüft, diskutiert unter Verzicht auf jeden Schnickschnack, jede überflüssige Farbe, Grafik, Animation. Während die höchst effizienten Intranets als Herrschaftsinstrument genutzt werden, verkommt das Internet - das ursprünglich nichts anderes war - zur Konsumspielwiese, zum Marktplatz, wo schon immer viel getratscht und wenig bewegt, viel Geld ausgegeben wurde, ohne daß sich dort jemals die wirklichen Gewinner des Geschäftes hätten blicken lassen. Daher ist es nur konsequent, wenn demnächst der Internetzugang über die Fernbedienung eines aufgerüsteten Fernsehgerätes erfolgen wird. Denn Surfer brauchen keine Festplatte, nur kräftige Zeitgeistfürze, die sie mal da-, mal dorthin treiben.

zum seitenanfang