Eine fragwürdige Kritik am Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate

von
Robert Schlosser

07/04

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Im Verlaufe seiner Kritik an dem von Marx formulierten Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, kommt Michael Heinrich zu dem Ergebnis, dass der „allgemeine Nachweis“ dieser Tendenz zum Fallen „gar nicht möglich“ sei. (S.337)

Dabei entwickelt er 2 wesentliche Argumentationen:

  1. Auch die gewachsene Menge der angewendeten Produktionsmittel (Maschinerie und Rohstoffe) wird von der gewachsenen Produktivkraft der Arbeit verbilligt, so dass c nicht wachsen müsse. Es fehle jedenfalls der Nachweis, dass eine Kompensation nur die Ausnahme bilden könne.
  2. Man habe es immer mit 2 Größen zu tun (Mehrwertrate und Wertzusammensetzung, Mehrwertmasse und Kapitalgröße, Vermehrung und Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals) von denen man die Entwicklungsrichtung kennt. Man könne aber keine allgemeine Aussage darüber machen, welche dieser beiden Größen sich schneller verändert.

Heinrichs Kritik aber gipfelt in der Einwicklung einer Formelreihe, die beweisen soll, dass unter den von Marx gemachten Annahmen die Profitrate nicht fällt sondern sogar steigt. (S. 338, 339)

Er beginnt die Entwicklung seiner Formelreihe wie folgt:

„Betrachten wir nun ein Einzelkapital, dass als Durchschnittsexemplar des gesellschaftlichen Gesamtkapitals gelten soll. Vor Einführung der neuen Produktionsmethode gilt dann für den Wert der w1 der produzierten Ware, sowie für die Profitrate p1:

w1 = c1+v1+m1

p1 =

m1

c1+v1

Die neue Produktionsmethode führt zur Vermehrung des verbrauchten konstanten Kapitals um Dc1 und zur Verminderung des variablen Kapitals um Dv1. Eingeführt wird die Methode nur wenn gilt Dc1 < Dv1, so dass sich der Kostpreis des Kapitalisten vermindert.“ (S. 338)

Diese Bedingung für die Einführung einer neuen, produktiveren Produktionsmethode hat sich Michael Heinrich aus dem Kapital Bd. 1 geholt. Es sei nur am Rande vermerkt. dass diese Bedingung hier, wo es um die Entwicklungstendenz der Durchschnittsprofitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals geht, eher fragwürdig ist.

Heinrich berechnet die Profitrate, indem er das Verhältnis Kostpreis (k) zum Profit (p) aufmacht. Er unterstellt dabei kurzer hand, das der Kostpreis der einzelnen Ware gleich dem vorgeschossenen Kapital (C) ist.

Marx/Engels zeigen im Kapital 3 an hand verschiedener Beispielrechnungen mit unterschiedlicher Umschlagszeit des Kapitals, wie wichtig es ist, „bei der kapitalistischen Produktion nicht die einzelne Ware oder das Warenprodukt eines beliebigen Zeitraums für sich, als bloße Ware zu betrachten, sondern als Produkt des vorgeschossenen Kapitals und im Verhältnis zum Gesamtkapital, das diese Ware produziert.“ (S. 238) 

Wir werden noch sehen, zu welch merkwürdigen Konsequenzen es führt, dass Heinrich verlangt, das zusätzliche konstante Kapital müsse kleiner sein, als das zu ersetzende variable Kapital, weil dadurch der Kostpreis gesenkt würde. 

Nach einigen kurzen Bemerkungen über den möglichen Extramehrwert fährt Heinrich dann fort:

„Nach einer Verallgemeinerung der Produktionsmethode verschwindet der Extramehrwert, die Ware besitzt jetzt einen neuen, geringeren Wert w2. In diesem neuen geringeren Wert drückt sich sowohl die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit in der entsprechenden Branche aus, als auch die gleichzeitig stattfindende Steigerung der Produktivkraft der Arbeit in anderen Branchen, die die Produktionsmittel und den Wert der Arbeitskraft verbilligt haben. Es hat sich daher die Größe jedes der Bestandteile des Warenwerts geändert....“ (ebenda) 

Die Wertbestandteile c2, v2 und m2 sind also ebenfalls kleiner geworden.

Man muss schon sagen, dass wir es hier mit einem ganz anderen, merkwürdigen Kapitalismus zu tun haben, der offenbar wenig mit dem von Marx dargestellten und kritisierten zu tun hat. Wo wären wir heute, wenn jede technische Revolution, jede neue Produktionsmethode den Kapitalwert verringert hätte? (Wohlgemerkt, wir sprechen über die Profitrate des Kapitals und da geht es nicht an, nur den Wert einer einzelnen Ware im Auge zu haben, deren Wert sich nach Einführung einer neuen Produktionsmethode tatsächlich verringert haben muss.)

Würde sich der Fortschritt in der Arbeitsproduktivität so auswirken, wie von Heinrich hier unterstellt, dann wäre der Kapitalismus vermutlich längst zusammengebrochen. Die Kapitalisten wären Produktivitätsfetischisten, die es gerne hinnähmen, dass ihr realisierter Mehrwert mit jedem Sprung in der Arbeitsproduktivität geringer ausfällt.

Dies erscheint zwar sehr gewagt und etwas wirklichkeitsfremd, aber der Faktor k macht es möglich:

„Gegenüber dem alten Wert w1 hat sich die Ware um einen Faktor k verbilligt, es gilt also

c2+v2+m2=k(c1+v1+m1)“

Faktor k lässt zwar noch eine erweiterte stoffliche Reproduktion des Kapitals zu, macht aber Schluss mit der erweiterten Reproduktion des Kapitalwerts. 

Ganz so wichtig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, ist Faktor k aber doch nicht. Er dient nur dazu, uns die wundersame Wirkung der Produktivkraft plausibel zu machen. Später, wenn es um die Profitratenformel selbst geht, wird er kurzerhand wieder weggekürzt Wichtig für das Ergebnis einer steigenden Profitrate ist nur die Eingangs gemachte Voraussetzung wonach das neu investierte konstante Kapital kleiner sein muss, als jener Teil des variablen Kapitals, denn es ersetzen soll. Nach der Investition sollen also c+v kleiner sein als vorher. Danach würde also nur investiert, wenn sich der Kapitalvorschuss verringert. Wenn sich der erforderliche Kapitalvorschuss ständig verringern würde, dann fragt man sich, warum die Kredite in dieser Wirtschaft eine immer größere Rolle spielen. Wenn das neue konstante Kapital kleiner sein muss, als das zu ersetzende variable Kapital, dann müssten die Kapitalisten jede neue Produktionsmethode locker aus dem Portemonnaie bezahlen können. Es wären ja keine zusätzlichen Ausgaben erforderlich, im Gegenteil man könnte noch `ne zusätzlich Fete in Villa Hügel starten und hätte obendrein neue Maschinen statt fauler Malocher. Eine Investition wäre überhaupt keine Frage des Geldes (einfache Umschichtung im Haushalt würde der Politiker sagen), man brauchte die feinen Produktionsmethoden nur finden oder erfinden.

Die wirklichen Kapitalisten haben aber eh mehr Interesse an dem was hinten herauskommt (m) als an dem, was sie vorne hineinstecken (c+v). Sie tun das, was erforderlich ist um m zu vergrößern.  

Kein Zweifel: die Herstellungskosten für das Einzelexemplar ihrer Ware soll sinken. Daraus ergibt sich aber nicht die von Heinrich verlangte Schranke (Dc1 < Dv1). c kann und soll sogar möglichst groß werden – abgesehen von merkbedingten Preiserhöhungen - , damit die Masse des Mehrwerts möglichst groß wird. Wollen die Kapitalisten die Mehrwertmasse durch Umsatzsteigerung erhöhen – und sie wollen das zweifellos – dann muss das zusätzlich c sogar größer sein als das ersetzte v.

Mit der Einführung einer neuen Produktionsmethode verfolgen die Kapitalisten immer verschiedene Ziele:

  1. die Herstellungskosten für das einzelne Warenexemplar senken
  2. Umsatz und Gewinn vergrößern.

Um diese Ziele zu erreichen muss die Produktivität gesteigert werden und muss c überproportional wachsen.

Ob bei erhöhter organischer Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate steigt oder fällt, hängt entscheidend davon ab ob das Gesamtkapital größer wird oder nicht, ob also der Umsatz steigt oder fällt. Wenn also v2 kleiner ist als v1 muss die Veränderung von c2 und m2 die Verringerung von v2 gegenüber v1 überkompensieren. Die absolute Größe von m ist aber abhängig von c und v.

Heinrich schreibt:

„Da aber v abnimmt (sonst würde die Mehrwertmasse nicht wachsen) muss c so stark wachsen, dass die Abnahme von v und Zunahme von m kompensiert wird. Dass dies aber der Fall ist, versteht sich nicht von selbst sondern müsste gezeigt werden.“ (S. 332) 

Es ist nun die Rechnung von Heinrich selbst, die deutlich macht, warum c so stark wachsen muss. Geschieht dies nicht, dann landen wir nämlich bei den wirklichkeitsfremden Ergebnissen von Michael Heinrich, wonach immer weniger Mehrwert erzeugt wird, immer weniger Kapital für einen neuen Kreislauf vorzuschießen ist und das Kapital insgesamt immer kleiner wird. Das aber heißt alles vergessen, was zuvor über den allgemeinen Charakter dieser Produktionsweise gelernt wurde. G-W-G’ funktioniert nicht als ständig eingeschränktere Wertreproduktion sondern als ständig erweiterte Wertreproduktion. 

Was ist bei dem neuen c zu beachten und wie kann es so überproportional wachsen?

Zunächst gilt es c nach fixem und zirkulierenden Kapital zu unterscheiden. Gegen Marx, der davon ausging dass das neue fixe Kapital in der Gestalt der Maschinerie trotz Produktivkraftsteigerung teurer bleibe als die alte, führt es das lächerliche Beispiel der Verbilligung der Computer an. Dazu ist erstens zu sagen, dass sich die Entwicklung der Produktivkraft bei den Computern (ähnlich wie bei Autos und anderer Hightech) nicht im Preisverfall ausdrückt, sondern darin, dass immer leistungsfähigere Geräte für das gleiche Geld zu haben sind. Ferner ist festzustellen, dass der Computer selbst beispielweise im Büro Schreibmaschinen, Rechner etc. verdrängt die allemal billiger waren. Ferner führte die Computerisierung zu einer vollständigen Durchdringung des Büros und sie funktionieren nicht ohne Software und ohne eine ständig sich erweiternde Palette von Peripheriegeräten (Drucker, Modem, Scanner etc.) Eine riesige Masse an Geräten wurde eingeführt, wo vorher fast keine Geräte im Einsatz waren, oder nur einige wenige, einfache für Spezialisten.

Bei den Computern, die ja angeblich das papierlose Büro bringen sollten, sehen wir auch, wie explosionsartig sich das zirkulierende Kapital in Gestalt des verbrauchten Papiers vermehrt.

Trotz Verbilligung ist heute beispielsweise eine CNC-Drehmaschine weitaus teurer als an alte Universaldrehbank. usw. usf. Und at last: viele neue Maschinen ersetzen keine alte Maschinen, sondern setzt einfach nur die Produktion neuer Produkte in Gang. Wobei festzustellen bleibt, das dabei das Verhältnis von c zu v eine immer höhere technische Zusammensetzung aufweist. Jedenfalls sinkt der in Lohn auszulegende Kapitalteil beständig gegenüber der anderen Bestandteilen des Kapitals. Das lässt sich in jeder Industrie nachweisen. Und es ist schon sehr verwunderlich, dass ein Kritiker der Ökonomie diese ökonomischen Tatsachen nicht berücksichtigt. 

Was aber treibt die Kapitalisten zu dieser wahnwitzigen Tour?

  1. Hängt die Größe des Gewinns immer auch vom Umsatz ab. Je größer der Umsatz, desto größer die Mehrwertmasse.
  2. Ist der Kostpreis niemals gleich C, weil der Wertübertrag des fixen konstanten Kapitals auf das neue Produkt sich über eine längere Periode erstreckt, sozusagen portionsweise erfolgt. In diesem Zusammenhang sei der break-even-point erwähnt, der direkt vom Umsatz abhängt. Wird neue Maschinerie eingeführt, die nicht aus dem Portemonnaie der Kapis bezahlt werden kann, durch einfache Umschichtung eines Teils von v nach c, so dauert es in der Regel eine gewisse Zeit, bis diese neue Investition sich rechnet, das heißt Gewinn abwirft. Erst von dem Punkt an, wo der Umsatz den Gegenwert des investierten Geldkapitals wieder eingespielt hat, werden schwarze Zahlen geschrieben. (Man sieht daran auch, wie unsinnig es ist, im Zusammehang mit der Profitrate vom Wert der einzelnen Ware auszugehen, bzw. den Profit bezogen auf die einzelne Ware errechnen zu wollen).
    Alles hängt davon ab, diesen break-even-point zu erreichen und ihn möglichst früh zu erreichen. Also muss produziert werden auf Teufel komm raus. Größtmögliche Auslastung der Maschinierie bedeutet gesteigerten Umsatz des zirkulierenden konstanten Kapitals. Soviel Rohstoffe und Halbfertigprodukte wie möglich sollen verbraucht werden und es ist der bahre Unsinn, als würden die Kapitalisten dabei darauf achten, das das neue c bloß nicht größer wird als das ersetzte v.

Editorische Anmerkungen:

Der Text stammt aus dem Zusammenhang einer umfassenden Beschäftigung des Autors mit den gängigen Marxrezeptionen. Robert Schlosser hat ihn uns freundlicherweise zur Auszugsweisen Veröffentlichung überlassen.

Seine Kritik an Heinrich bezieht sich auf:

Michael Heinrich
Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik
der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher
Revolution und klassischer Tradition

Überarbeitete und erweiterte Neuauflage, 411 Seiten,
Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot,
3. korr. Auflage 2003, € 24,80
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur 2. Auflage (1999)
Einleitung