Was steckt hinter dem "Berliner Bankenskandal" bzw. "Raubtierkapitalismus" ?

Dieser Text ist die etwas überarbeitete Fassung eines Ergänzungstextes zu einem, auf der Kundgebung vom 19.07.2002 vor dem ICC in Berlin gegen die Berliner Bankgesellschaft verteilten Flugblatt Nieder mit den Spekulanten!" Wie jede Glosse/Satire enthält dieses Flugblatt eine Kernaussage. Diese ist die Kritik an allen Gruppen, die lediglich Symptome einer falschen Produktionsweise anprangern und sich an der Distributions- und Zirkulationssphäre des Kapitals abarbeiten, statt sich auf die Kritik der politischen ökonomie als Ganzes zu beziehen. Das bürgerliche Denken verbleibt leider zumeist auf der Fetischoberfläche des Verblendungszusammenhanges dieser Gesellschaft und läuft so in Gefahr, Phänomene und Probleme/Krisen dieser Wirtschaftsweise lediglich auf der Erscheinungsebene zu behandeln, sie aus dem komplexen Zusammenhang zu reissen und sie zu personifizieren. Angeprangert werden dann "böse" bzw. inkompetente Politiker, Manager - die "Spekulanten im Nadelstreifenanzug" - oder auch, wie im Spiegel 28/02 die "hemdsärmeligen Broker", die abgewählt, abgesetzt, zur Rechenschaft gezogen und durch seriösere ersetzt werden müssen.

In besonders schweren Krisen(zeiten) neigt dieses Bewußtsein gar zu Verschwörungsideologien und sieht irgendwelche "Drahtzieher" und Verschwörerbanden im Hintergrund am Wirken. Besonders perfide sind darin die Nazis, die wieder einmal zum Bild einer herbeihalluzinierten "jüdischen Weltverschwörung" greifen und in einem autoritäten Staatsmodell unter ihrer Führung die Lösung sehen.

Die bürgerlichen Medien - allen voran der Spiegel - brandmarken das, was in Deutschland bereits seit langer Zeit politökonomischer Brauch ist: die von Waigel propagierte "kreative Buchführung". Sie kritisieren dies jedoch nicht in Deutschland, sondern werfen dies "den Amis" vor und bezeichnen es als "Raubtierkapitalismus", der angeblich die gesamte Weltwirtschaft bedrohe. Dies ist nicht nur ein besonders dümmliches Ablenkungsmanöver (nach dem Motto: "Wir sind seriös, die Amis aber gefährliche Spekulanten"), sondern Kriegspropaganda auf dem Feld der Währungskonkurrenz Euro gegen Dollar. Ferner soll die deutsche Marktgemeinschaft ja stets wissen, wo der Hauptfeind von angeblichen Schmutzgeschäften auszumachen ist, während deutsche Müllentsorgungsanlagen samt Hintermännern schnell gecleant werden. Bekanntlich ist auch der dicke Oggersheimer wieder in den Kreis der Ehrenmänner aufgenommen worden. Sie sind halt - Pack schägt sich, Pack verträgt sich - immer wieder schnell aus dem Schneider&Schreiber und dürfen dann weiter anständig aussitzen.

Allen gemeinsam ist das Denken, dass es einen "guten" bzw. funktionierenden Kapitalismus ohne tiefgreifende Krisen mit Aufhebungstendenzen der bürgerlichen ökonomie geben könne, wenn er nur mit den "richtigen Leuten" (ökonomen und Staatsmännern) an der Spitze besetzt sei und anders, besser sowie "vernünftiger" geregelt bzw. be- und gesteuert würde. Die linken wie die rechten Protestler verhalten sich dann gleichermassen wie Sanitäter am Totenbett des Kapitalismus und versuchen diese Wirtschaftsweise - freilich mit unterschiedlichen Methoden, die jedoch in letzter Instanz auf das gleiche hinauslaufen - zu retten. Während die linken sich immer wieder mit scheinbar neuen Rezepten und Kuren für die Wirtschaft bemerkbar machen, gehen die Rechten den Weg, den sie immer schon gegangen sind und rufen: "Hau weg den Scheiss!", womit sie alle meinen, die den Staat für "antinationale" und "volksschädliche" Unternehmungen benutzen.
Sie wollen und können nicht begreifen, dass diese Produktionsweise als historische an ihr Ende gelangt ist und grundlegend verändert bzw. auf eine höhere Ebene gebracht werden muss. Dies freilich will auch die Bourgeosie nicht einsehen, hat sie doch nichts anderes getan, als nun ca. 300 Jahre lang ihr Reich der Ware-für&gegen-Geld-Beziehung aufgebaut. Sie wirkt wie ein Mensch, der von frühester Kindheit an ein Imperium der Dampfloks aufbauen wollte, dies dann auch getan hat und nun als störrischer Greis nicht einsehen will, dass das Zeitalter der Dampfloks vorbei ist.

Alle Theoretiker, die sich wissenschaftlich (und das bedeutet auch kritisch) mit den Gesetzen der bürgerlichen ökonomie beschäftigten, haben uns klargemacht, dass diese Wirtschaftsweise irgendwann aufgrund innerer Gesetze und Widersprüche an ihr Ende gelangt und deshalb aufgehoben (1) werden muss.
Eines der wichtigsten und einleuchtendsten Argumente ist die Tatsache, dass die Lohnarbeit aufgrund immer produktiverer Technologien tendenziell überflüssig wird. Da dieses System jedoch auf der wertschaffenden Lohnarbeit beruht, schafft sich das kapitalistische Produktionssystem sein eigenes Totengrab. Durch die letzte technologische Revolution auf Basis von Microelektronik ist dieses Totengrab fertig gestellt worden. Was lediglich fehlt ist die Anerkennung dieser Tatsache aufgrund der Ideologie, dass es keine andere Wirtschaftsweise als den Kapitalismus geben könne. Wenn man dies religiös darstellen würde, wirkt es fast so, als gäbe es ein Gebot wie: "Dulde keine andere ökonomie neben und nach mir" und die Pfaffen und Juristen dieser Wirtschaft predigen dies und ihre Schäfchen, die globale Marktgemeinde glaubt dies fest und treu. Aus diesem Grunde werden also statt einer rauschenden Beerdigungsfeier, wobei die Leiche Kapitalismus auf den Friedhof der Weltgeschichte befördert wird, nur immer wieder auf's neue "Runde Tische" zur Wiederlebung dieses anachronistischen Systems ins Leben gerufen.

Da das Bewusstsein zumeist den materiellen Tatsachen hinterherhinkt und nicht hinter den Verblendungszusammenhang zu schauen im stande ist sowie der Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft den Ideologien, dem Eklektiszismus (2) und der instrumentellen Vernunft (3) huldigt, statt der Wissenschaft, können leider die meisten der heutigen Zeitgenossen die Krisensymptome nicht mit der Hauptkrise dieses Systems: der Überakkumulationskrise (4) in Verbindung bringen.
Der "Berliner Bankenskandal" - sowie auch die Baisse an den Börsen - ist tatsächlich ein Symptom davon (nicht nur im Bau- und Immobilienbereich, worauf auch Bankrotte diverser Firmen, wie u.a. Holzmann hindeuten). Das Kapital sammelt sich im zinstragenden und spekulativen Bereich und tritt als Anlagenkapital die Flucht nach vorn in abenteuerliche Spekulationsgeschäfte an. Dieser "Casinokapitalismus" mündet dann in die überspekulation, die irgendwann wie ein Seifenblase zerplatzt. Profittragendes Kapital des fungierenden, d.h. produzierenden Sektors geht dann in den zinstragenden Bereich, wenn der Handel oder die Anlage mit Geld mehr Gewinn&Revenue verspricht, wie der Profit. Das zinstragende Kapital besteht jedoch im Wesentlichen aus nichts anderem, als der zukünftigen Erwartung von Gewinnen die an den Profit gekoppelt sind und jedoch so gehandelt werden, als gäbe es diesen bereits. Das Anlage- und Aktienkapital besteht aus Anteilsscheinen an diesen Gewinnenerwartungen, mit denen wiederum spekuliert wird, womit nicht nur die Erwartung, sondern das spekulative Kapital aufgebläht werden. Kommt es nicht zu den erwarteten Gewinnen, d.h. Profiten in dem Unternehmen, platzt die Blase und es findet eine Entwertung dieses Aktienkapitals statt. Das Anlagegeschäft bzw. die Aktienspekulation vermag es, die Krise des profittragenden Kapitals herauszuzögern, verschärft sie dadurch aber. Die Akkumulationskrise hat in Berlin nun auch als überspekulationskrise eine ganze Stadt erwischt und es verschmelzen darin private und öffentliche Interessen, überspekulations und Staatsverschuldung zu einer Einheit. Diese Einheit ist auch davon gekennzeichnet, daß ein Filz aus Managern, Bankern, Politikern, Gewerkschaftern und Staatsangestellten darin verwickelt ist bzw. Privatgelder  (Revenuen), die aus dem Staatssektor geschöpft werden, darin eingeflossen sind und dieser Filz sich über eine Senatsbank a priori von Verlusten freigesprochen hat. ähnlich, wie die Bundesbank hält diese Einheit daran fest, dass sie – als "ideelles Gesamtkapital" - nicht bankrott gehen kann und darf und macht das, was sie als Einheit, als Bourgeosie immer schon gemacht hat: sie gibt den Verlust an die weiter, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren und darin/dabei immer ärmer werden. Dies kann man auch einfach folgendermaßen benennen: Gewinne werden privatisiert und Schulden über den Staat vergesellschaftet.

Die Überakkumulation ist aber auch wiederum nur ein Symptom der Aushöhlung des Wertgesetzes durch den Produktivitätssprung der wissenschaftlich-technischen Revolution. Diese deutet bereits auf der Produktivkraftebene auf die kommunistische Gesellschaft, in der die Güterproduktion nicht mehr vom Wert abhängig ist.

Doch nun einiges mehr zu Funktionsweise dieses Systems:

Die bürgerliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Sachzwänge und des bornierten Egos, in dem jeder den anderen als Mittel nutzt, um sich durch ihn Vorteile zu verschaffen. Dinge – und insbesondere das Ding Geld – werden als das Eigentliche&Wesentliche, als "Hauptsache", Menschen jedoch als das Uneigentliche, Unwesentliche und Nebensache wahrgenommen bzw. sie dienen lediglich als Vehikel, um "die Dinge am Laufen zu halten" und der "Hauptsache" zu dienen. Redewendungen wie "Die Freundschaft mit xy bringt mir nichts mehr" drücken dies aus, auch wenn sie sich vielleicht auf persönliche Nervereien beziehen.
Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft teilt sich in den konkreten Reichtum (Produktionsmittel, Gebrauchsgüter) und den abstrakten (Geldvermögen). Es existiert damit ein gedoppelter Reichtum, da der konkrete, wie z.B. Fabriken oder auch Grund und Boden stets auch in "Geldwert" bemessen wird. Und es ist bekanntlich eine Tatsache, dass die Besitzer grosser Produktionsanlagen, auch mehr Reichtum in Form von Geldkapital anhäufen können. Und weil das so ist, kommt aus ihrer Klasse ja auch das zinstragende Kapital, d.h. die Verleiher von Geld.
Da wir in einer Klassengesellschaft leben, haben die Besitzer von Kapital mehr Möglichkeit, Menschen zum Vehikel der Vergrösserung ihrer Dingwelt bzw. ihres Reichtums zu machen, d.h. sich legal auf Kosten anderer zu bereichern, wie die, die kein Kapital bzw. kein Geldvermögen besitzen. Dies ist eine strukturelle Tatsache dieser Gesellschaft und kennzeichnet sie. Am Geldeinkommen bemessen teilt sich also die Gesellschaft in (Super-)Reiche, Wohlhabende und Arme. Die Armen müssen die gesamte Last der Gesellschaft tragen, ihre Krise ausbaden und produzieren überdies noch den gesellschaftlichen Reichtum ohne an ihm zu partizipieren. Sie bekommen als Lohnabhängige gerade so viel Lohn, um darüber ihre Ware Arbeitskraft zu reproduzieren und träumen vom großen Lottogewinn, der diesem armseligen Leben ein Ende bereitet.

Solange, wie die Armen, die in "grauer Vorzeit" gewaltsam von ihren Produktionsmitteln enteignet wurden, dies mit sich machen lassen und immer mehr Reichtum produzieren und so lange sich der Reichtum in den Händen einiger weniger amortisiert, d.h. nocht nicht an seine Grenze stösst, ist das System nicht in Krise. Doch irgendwann gibt es zu viel Kapital für zu wenig Käufer und die Wirtschaft stagniert. Da wir bereits seit dem letzten Jahrhundert eine Weltwirktschaft haben (und nicht erst seit heute, wie der Begriff "Globalisierung" suggeriert), können wir die Akkumulationskrisen des letzten Jahrhunderts und ihre Auswirkungen bestens studieren und sie zeigen uns spezifische Gesetzmässigkeiten auf, wie die Bourgeoisie zur Rettung des Kapitals darauf reagiert:
Um weitere Bankrotte – insbesondere in strategisch wichtigen Unternehmen (in Deutschland waren dies insbesondere Unternehmen der Stahlindustrie), die sich zur Staatskrise zuspitzen können vorzubeugen, treten die Agenten der verschiedenen Industrienationen auf dem Weltmarkt zunehmend als verfeindete Brüder gegeneinander auf. Es werden Handelskriege mit Strafzöllen und Protektionsmus angefangen, die sich anschliessend zu dicken militärischen Konfrontationen ausweiten. Darin  geht es dann um Aufteilung der Märkte und Einflusssphären sowie um die Kontrolle über strategisch wichtige Rohstoffe. Es geht darin aber auch um die Vernichtung unrentablen Kapitals und dem Austesten neuer Waffensysteme. Ein Krieg ist wie eine Messe (Werbeshow ) für die Waffenindustrie. Nach dem Krieg gibt es Verlierer und Gewinner und es beginnt die Wiederaufbauphase. So war es zumindest im letzten Jahrhundert – nach den zwei Weltkriegen.

Momentan erleben wir die Weichenstellung hin zum dritten Weltkrieg, der als "Antiterrorkrieg" daherkommt und in dem die verfeindeten Brüder noch als gemeisame Kriegsvasallen gegen angebliche "Zivilisationsfeinde" und die "Achse des Bösen" vorgehen. Was aber ist, wenn der gemeinsame Feind geschlagen und Böse vernichtet ist und sich die systemimmanente Krise aufgrund hoher faux frais Kosten noch weiter zugespitzt hat bzw. die USA beim Wiederaufbau von z.B. Irak, Iran, Sudan etc. den Verbündeten nichts abgeben will? In der Frage des Krieges gegen den Irak scheint der europäische Imperialismus zu einer heuchlerischen Friedensoffensive überzugeben, um sich als Alternative zu den "bösen Amis" anzubieten.

Doch lassen wir dieses Szenario nun Szenario bleiben und wenden uns wieder den Grundstrukturen dieses Systems zu:

Den Kern kapitalistischer Produktion und Akkumulation von Kapital bildet die Produktion von Produktionsmitteln, die von Konsumtionsmittelindustrie gestützt wird. Sowohl Produktions- wie auch Konsumtionsmittel werden als Waren für einen anonymen und anarchischen Markt produziert, d.h. die Kapitalbesitzenden und ihre Manager wissen bei Einrichtung und Aufbau ihrer Fabriken nicht, ob die darin herzustellenden Produkte auf lange Sicht genügend Käufer, d.h. Nachfrage finden.
Während die konkreten Produzenten - die darin Arbeitenden - völlig enteignet sind und innerhalb der "stragegischen Wirtschaftplanung" in keinster Weise mitbestimmen können, hält sich die Kapitaleignerseite das Managment, strategische Wirtschaftsplaner, Marktforschungsabteilungen und die Politiker sowie auch eine Abteilung für Wirtschaftsspionage, die ihre Konkurrenten nicht nur ausspionieren, sondern auch austricksen soll.

Die Arbeitenden arbeiten um ihren Monatslohn zu bekommen, wissen jedoch zumeist nicht, wohin die von ihnen hergestellten Produke geliefert und verkauft werden bzw. wer sie wozu nutzt. Sie produzieren für einen anonymen Markt und sind auch dem anonymen Arbeitsmarkt ausgeliefert. Dies bedeutet, dass niemand, der eine Ausbildung beginnt, genau weiß, ob und wie lange sein Beruf Zukunft hat und er damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Die Arbeitenden, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen, sind also völlig der sinnlichen Wahrnehmung beraubt, was mit ihren d.h. von ihnen hergestellten Arbeitsprodukten passiert, denn sie gehören ihnen nicht und sie haben keine Mitbestimmung darüber.
Da sich der Mensch in die Welt setzen und seine Natur umformen will (und dies ist der schöpferische und produktive Aspekt von Arbeit, der auch als "Stoffwechselprozess mit der Natur" bezeichnet wird), sich entäußerlicht, und sich darin anerkannt wissen will – was insbesondere Triebkraft des Wirkens von Künstlern ist – müssen wir an dieser Stellte feststellen, dass die Lohnarbeitenden ein Leben lang ihrer Menschenwürde beraubt werden. Sie werden lediglich auf die Geldquantas reduziert, die sie für den Verkauf ihrer Arbeitskraft bekommen. Doch eine Entfremdung kommt selten allein: auch über die Steuermittel, die ihnen vom Lohn abgezogen werden bzw. die sie in Form von "Mehrwertsteuern" zahlen, haben sie keine Kontrolle und Einflussmöglichkeiten. Anders dagegen die (Super-)Reichen und Wohlhabenden: sie können über die politischen Parteien und ihren Staat die Steuerpolitik bestimmen. Dies, obwohl sie de facto keine Steuern zahlen. Denn sie lassen sich ihre Steuern – sofern sie nicht eh in irgendwelchen Steueroasen verschwinden bzw. über Risikokapitalrücklagen und sonstige "Abschreibungen" davon befreit sind – vom Verbraucher zurückerstatten, d.h. dass sie nicht nur ihre Steuerabgaben, sondern auch die der Arbeitskräfte (samt allen anderen "Lohnnebenkosten") auf die Preise der Waren aufschlagen.
Halten wir fest: die Arbeitenden werden nicht nur ausgebeutet, sondern sind innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses extrem entfremdet. Zumeist hat die Arbeiterbewegungslinke in der Vergangenheit ihre Priorität der Kritik auf die Ausbeutungsseite gelegt und demgegenüber den Faktor der Entfremdung vernachlässigt. Ohne letzteres genauer zu analysieren, können wir aber nicht verstehen, warum die Entpolitisierung und das mangelnde Klassenbewusstsein der Arbeitenden bzw. die Autoritätshörigkeit so groß ist.

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die gesamte Wirtschaftsweise der sogenannten "Selbstverwertung des Wertes" eine entfremdete ist, d.h. alle gesellschaftlichen Individuen dominiert. Darin enthalten ist der Widerspruch und die Entfremdung zwischen Produktion und Markt sowie Gebrauchs- und Tauschwert. Auch die Kommandeure über fremde Arbeitskraft sind lediglich Charaktermasken ihres Systems und seinen Gesetzen unterworfen. Das heisst: Sie beuten uns, nicht weil sie so "böse" sind aus, sondern weil sie aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess dazu gezwungen sind. Dieser Zwang ergibt sich auch aus der Konkurrenz der Kapitale gegeneinander, die von dem sozialdarwinistischen Prinzip des "fressens oder gefressen werdens" beherrscht wird. Allerdings stehen sie ihrer Wirtschaftsweise grundsätzlich positiv und affirmativ gegenüber, da sie als Klasse sich ihm als Eigentümer und Macher gegenüber verhalten. Ferner ist es mittelerweile kein Privateigentum mehr, sondern ein in Trusts und Kartellen sowie per Aktienkapital organisiertes und von Banken und Aufsichtsräten vergesellschaftetes Eigentum. Dies bedeutet auch, dass das Kapital mit dem bürgerlichen Staat verschmolzen ist. Der sogenannte "Neoliberalismus" will dies – obwohl völlig anachronistisch – wieder rückgängig machen und setzt auf unternehmische Initiative gegen den "schwerfälligen Staat". Doch egal, ob der Staatssektor dominierend ist oder das "Privatkapital" wieder mehr die globale Marktwirtschaft bestimmt: der Staat wird so oder so zunehmend repressiv und militaristisch. Dies auf Basis seiner eigenen politischen Krise innerhalb der transnationalen Globalisierung (die globale ökonomie wird nicht mehr von nationalen Politikern, sondern von supranationalen Institutionen, wie IWF, Weltbank, UNO kontrolliert und gemanaged, worin es natürlich auch imperialistische Interessensunterschiede gibt) und der heutigen globalen Akkumulationskrise. Er tritt die "Flucht nach vorn" in den Krieg an, indem er sich mit den Interessen der nationalen Rüstungslobby verbündet.

Doch kommen wir nun zum Schluß der Analyse der Fragestellung "Was steckt hinter dem Berliner Bankenskandal":

Die Macht der Herren des Produktionsmittelprozesses samt ihres Staates ist so groß, dass sie sich auf Kosten der Arbeitenden hemmungslos bereichern sowie Betriebe verlagern und dichtmachen können, ohne dass es dagegen bislang nennenswerten Widerstand gab. Die sogenannte "Unverfrorenheit" der Spekulationsgeschäfte samt der politischen Entscheidung, sie zu vertuschen und zu Lasten der Berliner Arbeiterklasse aufzufangen bzw. zu einem sozialpolitischen Kahlschlag auszuholen, basiert im Wesentlichen darauf, dass die ausgebeutete und im gesellschaftlichen Produktionsprozess entfremdete Klasse ihre Theorie und Strategie in der Rückeroberung der Selbstbestimmung mit dem Ziel der Aneignung und freundlichen übernahme der gesellschaftlichen Produktion noch nicht gefunden hat.

Doch was wäre eine Analyse und Kritik ohne Lösungsvorstellung, d.h. ohne sogenannter "Negation der Negation"? Nichts, denn sie würde im "perennierenden Widerspruch" oder der "schlechten Unendlichkeit" stecken bleiben. Deshalb widmen wir uns nun der Strategie der überwindung der Krise, die ein gutes Leben für uns alle beinhalten soll:

Auch wenn die Kämpfe und die Selbstbestimmung der Arbeitenden dort noch nicht in den strategisch wichtigen Sektoren Fuß gefasst hat: Wenden wir unsere Blick kurz nach Argentinien. Seit Dezember 2001 organisieren sich dort die von der Krise gebeutelten Menschen und machen eine Demonstration und eine Strassenblockade nach der anderen. Wichtiger aber als die Protestaufmärsche sind die "Assembleas", die Stadtteilversammlungen, auf denen sich die Arbeitslosen und Arbeitenden verständigen und austauschen sowie die über 100 Fabrikbesetzungen. Sie werden jedoch langfristig nur Erfolg haben, wenn sie sich mit den Arbeitenden in den strategisch wichtigen Sektoren – nicht nur in Argentinien - zusammenschliessen und die Produktionsstätten des konkreten Reichtums, die Fabriken zum Wohl der Arbeitenden, der Bevölkerung nutzen. Eine selbstbestimmte Produktionsweise beinhaltet die Produktion von Gütern gemäß den Bedürfnissen der Arbeitenden selbst, also gute Lebensmittel (wobei unter Lebensmittel auch menschenwürder Wohnraum subsummiert ist). Diese Lebensmittel haben dann nur noch Gebrauchsqualität und keinen Tauschwert mehr, d.h. sie kommen nicht mehr als Waren auf einen Markt, sondern werden kostenlos verteilt. In diesen kollektiven und schöpferischen Produktionsprozess sind alle gemäss ihren Fähigkeiten und Kenntnissen - die sich jedoch durch kollektive Lernprozesse weiterentwickeln und verändern - involviert. Wir sind alle gleichermaßen Produzent/innen und Konsument/innen, Lehrer/innen und Lernende. Wir sind morgens Bäcker/innen und nachmittags Dichter/innen. Wir sind übermorgen früh Webdesigner/innen und übermorgen nachmittag Köch/innen sowie Spielgefährt/innen der Kinder. Und abends/nachts verschmelzen unsere Träume mit denen der humanistischen Dichter/innen und Denker/innen sowie den Wünschen und schönen Märchen unserer Kinder und unserer eigenen Kindheit.

Damit dies keine unerfüllte Zukunftsmusik bzw. Utopie bleibt, sondern ein konkretes Ziel wird, müssen wir uns dafür organisieren! Ihr alle könnt daran mitwirken. Wir könnten in Berlin z.B. auf der Preisebene des Mietzinses anfangen. Weil die "Berliner Bankenkrise" durch Spekulationen im Wohnungsbau und Immobilienbereich seinen Ausgangs- und gleichzeitig Kristallisationspunkt hat, sollten wir selbstbestimmt und gemeinsam die Mieten reduzieren. Laßt uns also nur einen Euro pro Quadratmeter zahlen, damit davon die Betriebskosten finanziert werden! Dies müssen natürlich möglichst viele tun und sich auch gegen die Räumungsverfahren und Zwangsräumungen wehren. Eine weitere sinnvolle Strategie wäre ein Steuerboykott auf der Zirkulationsebene. Wir müssen ausrechnen, wieviel Prozent Steuern auf die Endverbraucherpreise aufgeschlagen werden (und dies ist mehr, als die 16 % Mehrwertsteuer) und diesen Betrag dann einbehalten und in einen "Sozialfonds" überführen. Auch dies sollten viele gemeinsam machen - und am besten Geschäfte finden, die das mit unterstützen.

Natürlich dürfen wir dabei nicht stehenbleiben, denn wir wollen ja in den Produktionsprozess vorstoßen und müssen dazu bei unseren eigenen Bedürfnissen sowie denen der gesamten Berliner Bevölkerung ansetzen. Wir sollten dazu eine Untersuchung machen, die wir am besten in Form von Befragungen und Interviews machen können. Besorgt Euch einfach einen preiswerten Kassettenrecorder und fangt bei Euch selbst, in Euren Freundes- und Bekanntenkreis sowie der Nachbarschaft an. Anschliessend könnt Ihr dann auf Arbeitsämter, Wochenmärkte, in Einkaufszentren oder auch in (Stadtteil-)Bibliotheken gehen und dort die Befragung weiterführen. Es bietet sich auch an, die Interviewten zu Meetings einzuladen (siehe weiter unten), damit sie mit ihren Wünschen und Lebensperspektiven in Kontakt zu anderen kommen und aus ihrer Atomisierung/Isolation herauskommen.

Mit folgenden Fragen haben wir bereits experimentiert:

  • Welche Produkte sind wichtig für sie bzw. dienen Ihrem persönlichen Genuß?
  • Welche sozialen Faktoren machen Sie glücklich bzw. was bedeutet Lebensgenuss für Sie bzw. worüber freuen Sie sich?
  • Welche Arbeitssektoren/Produkte halten Sie gesellschaftlich für nützlich/sinnvoll ?
  • Was würden Sie verändern, wenn sie die Macht dazu hätten?
  • Haben Sie eine Utopie, wie eine bessere Welt möglich wäre, in der z.B. niemand mehr hungern müsste?
Solche Interviews sind sehr spannend. Ihr könnt sie auf Kassetten aufnehmen und später auswerten. Ihr könnt z.B. auch zu einem spannenden "Hörabend" mal alle Interviewten einladen. Und Ihr habt damit die Möglichkeit, interessante Menschen kennenzulernen. Diese Interviews dienen im Wesentlichen aber dazu, an unseren Bedürfnissen anzuknüpfen und sind der erste Weg hin zu einer Selbstbestimmung. Gleichzeitig – und zwar als Negation der Negation – können wir damit auch der Hartz-Kommission etwas entgegensetzen. Wir verlassen damit die abstrakte Politik und wenden uns dem konkreten Reichtum zu, der ein Genuss für uns alle sein könnte, wenn wir ihn bestimmen könnten. Desweiteren sollen mit diesen Interviews auch verschüttete und verdrängte Utopien wachgeküsst werden und wir können dabei wieder lernen, jeden Menschen als interessantes Wesen ernst und kennzulernen.

Wer Lust und Interesse hat, kann uns zwecks Umsetzung dieser Strategie bzw. Begleitung bei Interviews gern kontaktieren und er/sie wird dann selbstverständlich dazu eingeladen.

 (1) Aufheben bedeutet folgendes: 1. Das, was als sinnlos, anachronistisch und schädlich angesehen wird, wird auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. 2. Das, was im Alten als Gut/gut und sinnvoll erachtet wird, wird mitgenommen und 3. auf eine höhere Ebene gebracht und dabei transformiert.
(2) Eklektizismus ist die Wahrnehmung von Zusammenhanglosigkeit der Phänomene und Dinge in der bürgerlichen Gesellschaft. Das Ganze wird als Summe seiner Teile - die nebeneinanderstehen - angesehen (so als hätten sie nichts miteinander zu tun) und nicht in ihrer wechselseitigen Durchdringung. Die eklektizistische Wahrnehmung huldigt damit eher dem Zufall sowie der Differenz und kann den "roten Faden" der Entwicklungsgeschichte und ihrer Gesetze nicht entdecken.
(3) Instrumentelle Vernunft kennzeichnet die Legitimationsideologie, mit der in der bürgerlichen Gesellschaft Widersprüche übergangen und ausgegrenzt werden. Vernunft kennzeichnet eigentlich das zu sich selbst kommen der Wissenschaft als einen widersprüchlichen Prozess. Wird der Widerspruch und die permanente Aufhebung von Natur- und Gesellschaftsphänomenen jedoch unterdrückt, kommt es zur intellektuellen und gesellschaftlichen Stagnation und Regression. Auch diese müssen wir heute konstatieren. Sie wird allerdings durch kulturelles "tittytainment" (Eventheischerei der Spassgesellschaft und dröhnende "Kultur") überdeckt.
(4) Überakkumulation bedeutet, dass zu viel an angehäufter Maschinerie einem zu wenig an lebendiger Arbeitskraft gegenübersteht bzw. in Bewegung gebracht wird und die Wertproduktion gen Null tendiert. Symptomatisch dafür ist auch der unaufhaltsame Fall der Profitrate und dass dieses Phänomen als "Unterkonsumtionskrise" behandelt wird und gefährlich wird es, wenn der Sektor I (Produktion von Produktionsmitteln) aus diesem Grund dann Destruktionsmittel (Waffen, Rüstungsungüter) produziert