KRITIK

von Karl Marx am 03. Februar 2003 16:13:54:

Kritik
1. „Kritik“ sei das Geschäft der Marxisten, ist eine verbreitete Meinung innerhalb wie außerhalb des Marxismus. Schlimm, wenn es wahr wäre.
„Es ist die Kritik, die die einzelne Existenz am Wesen, die besondere Wirklichkeit an der Idee misst.“ Karl Marx, EB 1, 327f.

1.1. Kritiker wollen „falsches Bewusstsein verändern“, statt Einsicht in die wirklichen Verhältnisse zu ermöglichen als Voraussetzung diese Verhältnisse zu verändern.
Die Kritiker stellen an die Menschen das Postulat, „ihr gegenwärtiges Bewusstsein mit dem menschlichen, kritischen ... Bewusstsein zu vertauschen und dadurch ihre Schranken zu beseitigen. Diese Forderung das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen. ... Die Kritiker „haben den richtigen Ausdruck für ihre Tätigkeit gefunden, wenn sie behaupten, nur gegen ‚Phrasen’ zu kämpfen. Sie vergessen nur, dass sie diesen Phrasen selbst nichts als Phrasen entgegensetzen, und dass sie die wirkliche Welt keineswegs bekämpfen, wenn sie nur die Phrasen dieser Welt bekämpfen.“ K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, 20.

„Die vulgäre Kritik ... kritisiert ... z. B. die Konstitution. Sie macht auf die Entgegensetzung der Gewalten aufmerksam etc. Sie findet überall Widersprüche. Das ist selbst noch dogmatische Kritik ...
Die wahre Kritik ... der jetzigen Staatsverfassung (weist dagegen) nicht nur Widersprüche als bestehend auf, sie erklärt sie, sie begreift ihre Genesis, ihre Notwendigkeit.“ Karl Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 296.

1.2. Für marxistische Kritiker ist Atheismus die Kritik der Religion. Tatsächlich heißt Kritik der Religion nicht Atheismus, sondern wirkliche Einsicht in die Verhältnisse und Veränderung der Verhältnisse mithilfe dieser wissenschaftlichen Einsicht.
Der Atheismus ist „kritische Religion, ... letzte Stufe des Theismus, ... negative Anerkennung Gottes.“ K. Marx, F. Engels, Die heilige Familie, MEW 2, 116.

„Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. ... Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde...“ K. Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW 1, 378 - 379.
„Erst die wirkliche Erkenntnis der Naturkräfte vertreibt die Götter oder den Gott aus einer Position nach der anderen ... Dieser Prozess jetzt so weit, dass er theoretisch als abgeschlossen angesehen werden kann.“ F. Engels, Materialien zum Anti-Dühring, MEW 20, 582f.

„Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten der Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen.“ K. Marx, Kapital I, 393, Anm. 89.

„Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werktagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen.
Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster planmäßiger Kontrolle steht.“ K. Marx, Kapital I, 94.

2. Unter Kritik verstand Karl Marx keineswegs Wissenschaftskritik, also Kritik an Gedanken und Worten, sondern rücksichtslose Analyse alles Bestehenden, die Kritik der wirklichen Verhältnisse. Dazu muss man mehr kennen als nur Bücher.
„Indessen ist das gerade wieder der Vorzug der neuen Richtung, dass wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen. Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme ... Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen. ...
Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.
Ich bin nicht dafür, dass wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. ...
Es fragt sich, wie ist das anzustellen? ... Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewusstseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln. ...
Es hindert uns also nichts, unsere Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch nicht will. Die Reform des Bewusstseins besteht nur darin, dass man die Welt ihr Bewusstsein innewerden lässt, dass man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, dass man ihre eigenen Aktionen erklärt. ...
Wir können also die Tendenz ... in ein Wort fassen: Selbstverständigung ... der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für die Welt und für uns. Sie kann nur das Werk vereinter Kräfte sein.“ Karl Marx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern, MEW 1, 344-346.

„Die Analyse (ist) aber die notwendige Voraussetzung ... des Begreifens des wirklichen Gestaltungsprozesses in seinen verschiedenen Phasen.“ Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Beilagen, MEW 26.3, 491.

„Die Arbeit, um die es sich beim ‚Kapital’ zunächst handelt, ist Kritik der ökonomischen Kategorien oder, if you like, das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung des kapitalistischen Systems und durch die Darstellung Kritik desselben.“ Karl Marx an F. Lassalle, 22. 2. 1858, MEW 29, 550.

„1867 ... erschien in Hamburg: ‚Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie’, Erster Band. Dies Werk enthält die Resultate des Studiums eines ganzen Lebens. Es ist die politische Ökonomie der arbeitenden Klasse, auf ihren wissenschaftlichen Ausdruck reduziert. Hier handelt es sich nicht um agitatorische Phrasen, sondern um streng wissenschaftliche Deduktionen. Mag man sich zum Sozialismus verhalten, wie man will, man wird immerhin anerkennen müssen, dass hier derselbe zuerst wissenschaftlich dargestellt ist...
Das Marxsche Buch hat aber auch noch nach anderer Seite hin ein Interesse. Es ist die erste Schrift, in der die tatsächlichen Verhältnisse, die zwischen Kapital und Arbeit bestehen, in ihrer klassischen Form, wie sie solche in England erlangt haben, vollständig und übersichtlich geschildert werden.“ F. Engels, ‚Karl Marx’, 1869. MEW 16, 365.

„Niemand ist näher ‚an die bestimmten konkreten Verhältnisse der Gesellschaft herangetreten’ als Marx im ‚Kapital’. Er hat 25 Jahre darauf verwandt, sie nach allen Seiten hin zu untersuchen, und die Resultate seiner Kritik enthalten überall ebenfalls die Keime der sogenannten Lösungen, soweit solche überhaupt heutzutage möglich sind.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 286.

I. I. Kaufmann schrieb über ‚Das Kapital’ von Marx: „’Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehen, wie er in einer gegebenen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die andere, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andere. ...
Die Kritik (kann), ... weniger als irgend etwas anderes, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben ... Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden ...’
Zu dieser Darstellung seiner wissenschaftlichen Methode schrieb Karl Marx:
„Indem I. I. Kaufmann das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was anderes hat er geschildert als die dialektische Methode?“ Karl Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 25 - 27.

„Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 474f.

„Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene Philosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur Voraussetzung.“ F. Engels, Karl Heinzen, 1847, MEW 4, 321f.

„Und Kommunismus hieß nun nicht mehr: Ausheckung vermittelst der Phantasie, eines möglichst vollkommenen Gesellschaftsideals, sondern: Einsicht in die Natur, die Bedingungen und die daraus sich ergebenden allgemeinen Ziele des vom Proletariat geführten Kampfes.“ F. Engels, Bund der Kommunisten, MEW 8, 582.

„Das Wort ... ‚wissenschaftlicher Sozialismus’ ist gebraucht worden nur im Gegensatz zum utopischen Sozialismus, der neue Hirngespinste dem Volk aufheften will, statt seine Wissenschaft auf die Erkenntnis der vom Volk selbst gemachten sozialen Bewegung zu beschränken;“ K. Marx, Konspekt über Bakunin, 1874, MEW 18, 635f.

„...Je rücksichtsloser und unbefangener die Wissenschaft vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den Interessen und Strebungen der Arbeiter.“ MEW 21, 307.

Siehe auch die Stichworte im Marx-Lexikon:
Wissenschaft
Kommunistische Theorie

Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle kommentierenden Textstellen, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 03.02.2003.






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