Freiheit

von Karl Marx am 14. Juni 2003 09:49:54:

Freiheit
1. Die Freiheit, die die kapitalistische Gesellschaft verwirklicht, ist eine Illusion, die nur vom Vergleich mit nichtkapitalistischen Zuständen lebt. Diese Zustände (Islam, Feudalsystem, Sowjetsystem etc.) werden zu Recht als Abhängigkeit von Personen (Grundherren, Mullahs, Parteibürokratie etc.) kritisiert. Da im Kapitalismus solche Abhängigkeiten von Personen verschwinden, wird hier scheinbar Freiheit verwirklicht, aber nur für den, der die innerkapitalistischen Zwänge als gleichsam naturnotwendig wegleugnet.
„Im Geldverhältnis, im entwickelten Austauschsystem (und dieser Schein verführt die Demokratie-Anhänger) sind in der Tat die Bande der persönlichen Abhängigkeit gesprengt, zerrissen, Blutsunterschiede, Bildungsunterschiede etc. ...; und die Individuen scheinen (im Kapitalismus) unabhängig (diese Unabhängigkeit, die überhaupt bloß eine Illusion ist ...) frei aufeinander zu stoßen und in dieser Freiheit auszutauschen;
Die Individuen scheinen so aber nur für den, der von den Bedingungen, den Existenzbedingungen (und diese sind wieder von Individuen unabhängige und erscheinen, obgleich von der Gesellschaft erzeugt, gleichsam als Naturbedingungen, d.h. von den Individuen unkontrollierbare) abstrahiert, unter denen diese Individuen in Berührung treten.
Die Bestimmtheit, die im ersten Fall (in vorkapitalistischen Zuständen) als eine persönliche Beschränkung des Individuums durch ein anderes erscheint, erscheint im letzteren (im Kapitalismus) ausgebildet als eine sachliche Beschränkung des Individuums durch von ihm unabhängige und in sich selbst ruhende Verhältnisse.
(Da das einzelne Individuum nicht seine persönliche Bestimmtheit (wie z.B. sein Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer Familie, einer Kultur, einem sozialen Stand etc.) abstreifen, wohl aber äußere Verhältnisse überwinden und sich unterordnen kann, so scheint seine Freiheit im Fall 2 (im Kapitalismus) größer. Eine nähere Untersuchung jener äußeren Verhältnisse, jener Bedingungen, zeigt aber die Unmöglichkeit, den Individuen einer Klasse etc. sie massenhaft zu überwinden, ohne sie aufzuheben. Der Einzelne kann zufällig mit ihnen fertig werden; die Masse der von ihnen Beherrschten nicht, da ihr bloßes Bestehen die Unterordnung, und die notwendige Unterordnung der Individuen unter sie, ausdrückt.
Diese äußeren Verhältnisse sind so wenig eine Beseitigung der ‚Abhängigkeitsverhältnisse’, dass sie nur die Auflösung derselben in eine allgemeine Form sind; vielmehr das Herausarbeiten des allgemeinen Grundes der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse sind (nämlich des Privateigentums an den Produktionsmitteln). ...
Diese sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse im Gegensatz zu den persönlichen erscheinen auch so (das sachliche Abhängigkeitsverhältnis ist nichts als ... ihre ihnen selbst gegenüber verselbständigten wechselseitigen Produktionsbeziehungen), dass die Individuen von Abstraktionen beherrscht werden, während sie früher voneinander abhingen.“ K. Marx, Grundrisse, 81.

„Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andererseits andere Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 183.

„Die Sphäre der Zirkulation oder des Warentausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, ist in der Tat ein wahres Paradies der angeborenen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Egoismus.
Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie schließen den Arbeitsvertrag als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben.
Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Gleichwertiges für Gleichwertiges.
Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine.
Egoismus! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben will so jeder nur für sich und keiner für den anderen kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästablierten Harmonie der Dinge oder unter der weisen Voraussicht einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.
...Von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warentausches ... (nimmt) der durchschnittliche Liberale Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit...“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 189f.

„Es kostet Jahrhunderte, bis der ‚freie’ Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d.h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst ... zu verkaufen.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 287.

„Solange die auf dem Kapital ruhende Produktion die notwendige, daher die angemessenste Form für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft, erscheint das Bewegen der Individuen innerhalb der reinen Bedingungen des Kapitals als ihre Freiheit.“ K. Marx, Grundrisse, 544.

„Diese Art individueller Freiheit ist daher zugleich die völligste Aufhebung der individuellen Freiheit und die völlige Unterjochung der Individualität unter gesellschaftliche Bedingungen, die die Form von sachlichen Mächten, ja von übermächtigen Sachen ... annehmen.“ K. Marx, Grundrisse, 545.

„In der Vorstellung sind ... die Individuen unter der Kapitalistenherrschaft freier als früher, weil ihnen ihre Lebensbedingungen zufällig sind; in der Wirklichkeit sind sie natürlich unfreier, weil mehr unter sachliche Gewalt unterworfen.“ K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, 76.

„Es versteht sich zunächst von selbst, dass der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist außer Arbeitskraft, dass daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwertung des Kapitals angehört. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der physischen und geistigen Lebenskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags ... reiner Firlefanz!“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 280.

„Die Geschichte der Regelung des Arbeitstages ... beweist handgreiflich, dass der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter als ‚freier’ Verkäufer seiner Arbeitskraft, auf gewisser Reifestufe der kapitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt.
Die Schöpfung eines Normalarbeitstags ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr oder minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse. ...
Der Fabrikphilosoph Ure denunziert es daher als unauslöschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, dass sie die ‚Sklaverei der Arbeitsschutzgesetze’ auf ihre Fahne schrieb gegenüber dem Kapital, das männlich für ‚vollkommene Freiheit der Arbeit’ stritt.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 316f.

„Andererseits zeigt sich ebenso sehr die Albernheit der Sozialisten (namentlich der französischen, die den Sozialismus als Verwirklichung der von der französischen Revolution ausgesprochenen Ideen der bürgerlichen Gesellschaft nachweisen wollen), die demonstrieren, dass der Austausch, der Tauschwert etc. ursprünglich (in der Zeit) oder ihrem Begriff nach (in ihrer adäquaten Form) ein System der Freiheit und Gleichheit aller sind, aber verfälscht worden sind durch das Geld, Kapital etc. ...
Ihnen ist zu antworten, dass der Tauschwert oder näher das Geldsystem in der Tat das System der Gleichheit und Freiheit ist und dass, was ihnen in der näheren Entwicklung des Systems störend entgegentritt, ihm immanente Störungen sind, eben die Verwirklichung der Gleichheit und Freiheit, die sich ausweisen als Ungleichheit und Unfreiheit.
Es ist ein ebenso frommer wie dummer Wunsch, dass der Tauschwert sich nicht zum Kapital entwickle, oder die den Tauschwert produzierende Arbeit zur Lohnarbeit.
Was die Herren von den bürgerlichen Verteidigern des Kapitalismus unterscheidet, ist auf der einen Seite das Gefühl der Widersprüche, die das System einschließt; auf der anderen der Utopismus, den notwendigen Unterschied zwischen der realen und idealen Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu begreifen, und daher das überflüssige Geschäft vornehmen zu wollen, den ideellen Ausdruck selbst wieder realisieren zu wollen, da er in der Tat nur das Lichtbild dieser Realität ist.“ K. Marx, Grundrisse, 160.

„Die auf das Kapital gegründete Produktion setzt sich nur in ihren adäquaten Formen durch, sofern und soweit sich die freie Konkurrenz entwickelt, denn sie ist die freie Entwicklung der auf das Kapital gegründeten Produktionsweise; ... Nicht die Individuen sind frei gesetzt in der freien Konkurrenz; sondern das Kapital ist frei gesetzt.
Solange die auf dem Kapital ruhende Produktion die notwendige, daher die angemessenste Form für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft ist, erscheint das Bewegen der Individuen innerhalb der reinen Bedingungen des Kapitals als ihre Freiheit. ...
Daher ... die Abgeschmacktheit, die freie Konkurrenz als die letzte Entwicklung der menschlichen Freiheit zu betrachten; und Negation der freien Konkurrenz = Negation individueller Freiheit und auf individueller Freiheit gegründeter gesellschaftlicher Produktion.
Es ist eben nur die freie Entwicklung auf einer bornierten Grundlage - der Grundlage der Herrschaft des Kapitals. Diese Art individueller Freiheit ist daher zugleich die völligste Aufhebung aller individuellen Freiheit und die völlige Unterjochung der Individualität unter gesellschaftliche Bedingungen, die die Form von sachlichen Mächten, ja von übermächtigen Sachen - von den sich beziehenden Individuen selbst unabhängigen Sachen - annehmen. ...
Sobald übrigens die Illusion über die Konkurrenz als die angebliche absolute Form der freien Individualität verschwindet, ist dies ein Beweis, dass die Bedingungen der Konkurrenz, d. h. der auf das Kapital gegründeten Produktion schon als Schranken gefühlt und gedacht werden, und es daher schon sind und mehr und mehr werden.
Die Behauptung dass die freie Konkurrenz = letzter Form der Entwicklung der Produktivkräfte und daher der menschlichen Freiheit, heißt nichts, als dass die Kapitalisten-Herrschaft das Ende der Weltgeschichte ist...“ K. Marx, Grundrisse, 543 - 545.

2. Die Freiheit der vom Kapital emanzipierten Individuen ist Selbstbestimmung. Die Individuen sind dann nicht mehr angeblichen Sachzwängen unterworfen, sondern setzen sich (und der Gesellschaft) ihre eigenen Zwecke und schaffen bewusst sich dafür die passenden sozialen Umstände. Was an naturnotwendigen äußeren Zwängen bleibt, wird auf ein abnehmendes Minimum reduziert.
„Die Gesellschaft kann sich selbstredend nicht befreien, ohne dass jeder Einzelne befreit wird. Die alte Produktionsweise muss also von Grund aus umgewälzt werden, und namentlich muss die alte Teilung der Arbeit verschwinden.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 273.

Das Proletariat „kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 38.

„Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein.“ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 342.

„An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 482.

„Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher ... die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordene Zeit und geschaffenen Mittel entspricht.“ K. Marx, Grundrisse, 593.

„Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt ... nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.
Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.
Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.“ K. Marx, Kapital III. MEW 25, 828.

2.1 Auf dem Weg zur Emanzipation von der Lohnarbeit sind politische Freiheiten unabdingbare Mittel, die genutzt, erobert und gesetzlich verbrieft werden müssen, wenn sie nicht vorhanden sind oder verloren gingen, und die gegen jeden verteidigt werden müssen, der sie in Frage stellt.
„Und ohne Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht ist keine Arbeiterbewegung möglich.“ F. Engels, Preußische Militärfrage, MEW 16, 75.

„Selbst in dem äußersten Fall, dass die Bourgeoisie, aus Furcht vor den Arbeitern, sich unter der Schürze der Reaktion verkriechen und an die Macht der ihr feindlichen Elemente um Schutz gegen die Arbeiter appellieren sollte - selbst dann wird der Arbeiterpartei nichts übrigbleiben, als die von den Bürgern verratene Agitation für ... Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinsrecht trotz der Bürger fortzuführen.
Ohne diese Freiheiten kann sie selbst sich nicht frei bewegen; sie kämpft in diesem Kampf für ihr eigenes Lebenselement, für die Luft, die sie zum Atmen nötig hat.“ F. Engels, Preußische Militärfrage, MEW 16, 77.

„Die (politische) Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr völlig untergeordnetes Organ zu verwandeln, und auch heute sind die Staatsformen freier oder unfreier in dem Maß, worin sie die ‚Freiheit des Staates’ beschränken.“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 27.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 4.12.2001





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