Friedlicher Übergang

von Karl Marx am 18. Juni 2003 07:26:56:

Friedlicher Übergang
1. Ein friedlicher Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus ist möglich und wünschenswert. Wie wahrscheinlich er ist, hängt vor allem von der demokratischen Verfasstheit eines Landes ab. Je mehr Rechte das (lohnabhängige) Volk in einem Land hat, desto eher ist ein friedlicher Übergang möglich.
„Das Ziel ... ist die Emanzipation der Arbeiterklasse und die darin enthaltene Umwälzung (Umwandlung) der Gesellschaft.
‚Friedlich’ kann eine historische Entwicklung nur so lange bleiben, als ihr keine gewaltsamen Hindernisse seitens der jedesmaligen gesellschaftlichen Machthaber in den Weg treten. Gewinnt z.B. in England oder in den Vereinigten Staaten die Arbeiterklasse die Majorität im Parlament oder Kongress, so könnte sie auf gesetzlichem Weg die ihrer Entwicklung im Weg stehenden Gesetze und Einrichtungen beseitigen, und zwar auch nur, soweit die gesellschaftliche Entwicklung dies erfordere.
Dennoch könnte die ‚friedliche’ Bewegung in eine ‚gewaltsame’ umschlagen durch Auflehnung der am alten Zustand Interessierten; werden sie (wie im Amerikanischen Bürgerkrieg und in der Französischen Revolution) durch Gewalt niedergeschlagen, so als Rebellen gegen die ‚gesetzliche’ Gewalt.“ K. Marx, Reichstagsdebatte zum Sozialistengesetz 1878, MEW 34, 498f.

„Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsmäßig tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volkes hinter sich hat: in demokratischen Republiken wie Frankreich und Amerika, in Monarchien wie in England, .. wo diese Dynastie gegen den Volkswillen ohnmächtig ist.“ F. Engels, Kritik des SPD-Programms von 1891, MEW 22, 234.

2. Da die Umstände wechseln und sich Länder und Zeiten nicht gleichen, kann nicht ein einziger Übergangsweg überall und jederzeit der Richtige sein.
„Der Arbeiter muss eines Tages die politische Gewalt ergreifen, um die neue Organisation der Arbeit aufzubauen; er muss die alte Politik, die die alten Institutionen aufrechterhält, umstürzen...
Aber wir haben nicht behauptet, dass die Wege, um zu diesem Ziel zu gelangen, überall dieselben seien.
Wir wissen, dass man die Institutionen, die Sitten und die Traditionen der verschiedenen Länder berücksichtigen muss, und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Weg zu ihrem Ziel gelangen können. Wenn das wahr ist, müssen wir auch anerkennen, dass in den meisten Ländern des Kontinents der Hebel unserer Revolutionen die Gewalt sein muss; die Gewalt ist es, an die man eines Tages appellieren muss, um die Herrschaft der Arbeit zu errichten.“ K. Marx, Haager Kongress 1872, MEW 18, 160.

2.1 Im England von 1870 stand das Parlament über aller Staatsmacht.
„In England zum Beispiel steht der Arbeiterklasse der Weg offen, wie sie ihre politische Macht entwickeln will. Ein Aufstand wäre dort eine Dummheit, wo man durch friedliche Agitation rascher und sicherer den Zweck erreicht.“ K. Marx, Interview vom 3. Juli 1871, MEW 17, 641.

2.2 Frankreich 1870, nach der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune
„In Frankreich scheint die Vielzahl der Unterdrückungsgesetze und der tödliche Antagonismus zwischen den Klassen eine gewaltsame Lösung der sozialen Auseinandersetzungen notwendig zu machen.“ K. Marx, Interview vom 3. Juli 1871, MEW 17, 641.
Später zählte F. Engels jedoch Frankreich wieder zu den demokratisch verfassten Ländern, in den ein friedlicher Übergang möglich sei: „in demokratischen Republiken wie Frankreich und Amerika...“ F. Engels, Kritik des SPD-Programms von 1891, MEW 22, 234.

2.3 Russland - ein Ausnahmefall, kein Modellfall
„Flerowskis Buch über ‚Die Lage der Arbeiterklasse in Russland’ ist ein außergewöhnliches Buch. Ich bin wirklich froh, dass ich es jetzt einigermaßen fließend mit Hilfe des Wörterbuches lesen kann. Dies ist das erste Mal, dass die gesamte ökonomische Lage Russlands dargelegt wird. Eine gewissenhafte Arbeit. ... Nach dem Studium seines Werkes ist man fest davon überzeugt, dass eine äußerst schreckliche soziale Revolution - natürlich in den niederen Formen, wie sie dem gegenwärtigen Moskauischen Entwicklungsstand entsprechen - in Russland unvermeidlich sind und nahe bevorsteht. Das sind gute Nachrichten.“ K. Marx an Lafargue, 5.3.1870. MEW 32, 656-659.

„Das, was ich über die Lage in Russland weiß oder zu wissen glaube, veranlasst mich anzunehmen, dass man sich dort seinem 1789 (dem Ausbruch der Französischen Revolution, wb) nähert. Die Revolution muss zu gegebener Zeit ausbrechen; sie kann jeden Tag ausbrechen. Unter diesen Umständen ist das Land wie eine geladene Mine, an die man nur noch die Lunte zu legen braucht. ... Dies ist einer der Ausnahmefälle, in denen es einer Handvoll Leute möglich ist, eine Revolution zu machen, d.h. durch einen kleinen Anstoß ein ganzes System zu stürzen, dessen Gleichgewicht mehr als labil ist ..., und durch einen an sich unbedeutenden Akt Explosivkräfte freizusetzen, die dann nicht mehr zu zähmen sind. Nun, wenn jemals der Blanquismus - die Phantasie, eine ganze Gesellschaft durch die Aktion einer kleinen Verschwörergruppe umzuwälzen - eine gewisse Daseinsberechtigung gehabt hat, dann sicherlich in Petersburg.“ F. Engels an V.I. Sassulitsch, 23.5.1885, MEW 36, 304.

2.4 Im monarchistischen Preußen-Deutschland gab es kaum Rechte für das Volk und damit kaum Chancen für einen friedlichen Übergang.
„In Deutschland war es der Arbeiterklasse vom Beginn der Bewegung an völlig klar, dass man sich vom Militärdespotismus nur durch eine Revolution befreien kann. Zugleich begriffen die Arbeiter aber auch, dass eine solche Revolution ... sich ohne vorherige Organisation, ohne Aneignung von Kenntnissen, Propaganda ... schließlich gegen sie selbst kehren würde. Deshalb hielten sie sich in streng legalen Grenzen. Die Ungesetzlichkeit war allein auf Seiten der Regierung, die sie außerhalb des Gesetzes erklärte.
Ihre (der Arbeiterbewegung) Verbrechen waren nicht Taten, sondern Meinungen, die ihren Herrschern nicht gefielen.“ K. Marx an Hyndman, 8.12.1880, MEW 34 482.

„Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsmäßig tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volkes hinter sich hat ...
Aber in Deutschland, wo die Regierung fast allmächtig ist und der Reichstag und alle anderen Vertretungskörper ohne wirkliche Macht, in Deutschland so etwas proklamieren, und noch dazu ohne Not, heißt das Feigenblatt dem Absolutismus abnehmen und sich selbst vor die Blöße binden. Eine solche Politik kann nur die eigene Partei auf die Dauer irreführen.“ F. Engels, Kritik des SPD-Programms von 1891, MEW 22, 234.

3. Da die Friedlichkeit oder Unfriedlichkeit des Übergangs zum Kommunismus von Umständen abhängt, die die vorwärtstreibenden Kräfte nicht selber in der Hand haben, können sie sich nicht auf friedliche Mittel in jedem Fall und um jeden Preis einschwören lassen.
„Wir müssen den Regierungen erklären: Wir wissen, dass ihr die bewaffnete Macht seid, die gegen die Proletarier gerichtet ist; wir werden auf friedlichem Wege gegen euch vorgehen, wo uns das möglich sein wird, und mit den Waffen, wenn es notwendig werden sollte.“ K. Marx, Sitzungsprotokoll der IAA, 21.9. 1871, MEW 17, 652

„Versucht muss werden, vorderhand mit den gesetzlichen Kampfmitteln auszukommen. Das tun nicht nur wir, das tun alle Arbeiterparteien aller Länder, wo die Arbeiter ein gewisses Maß gesetzlicher Bewegungsfreiheit haben, und zwar aus dem einfachen Grund, weil dabei am meisten für sie herauskommt. Das hat aber zur Voraussetzung, dass die Gegenpartei ebenfalls gesetzlich verfährt. Versucht man, sei es durch neue Ausnahmegesetze, durch rechtswidrige Urteile und Reichsgerichtspraxis, durch Polizeiwillkür oder durch sonst ungesetzliche Übergriffe der Exekutive, unsere Partei wieder tatsächlich außerhalb des gemeinen Rechts zu stellen, so treibt man die deutsche Sozialdemokratie abermals auf den ungesetzlichen Weg als den einzigen, der ihr noch offen steht.
Selbst bei der gesetzliebendsten Nation, den Engländern, ist die erste Bedingung der Gesetzlichkeit von Seiten des Volks die, dass die anderen Machtfaktoren ebenfalls in den Schranken des Gesetzes bleiben; geschieht das nicht, so ist nach englischer Rechtsanschauung Rebellion erste Bürgerpflicht.“ F. Engels, September 1890, MEW 22, 78.

„Wie oft haben die Bourgeois uns nicht zugemutet, wir sollten unter allen Umständen auf den Gebrauch revolutionärer Mittel verzichten und innerhalb der gesetzlichen Grenzen bleiben... Leider sind wir nicht in der Lage, den Herren Bourgeois diesen Gefallen zu tun. Was aber nicht verhindert, dass in diesem Augenblick nicht wir diejenigen sind, die ‚die Gesetzlichkeit kaputtmacht’. ... Viel näher liegt die Frage, ob es nicht gerade die Bourgeois und ihre Regierung sind, die Gesetz und Recht verletzen werden, um uns durch die Gewalt zu zermalmen? Wir werden das abwarten. Inzwischen: ’Schießen Sie gefälligst zuerst, meine Herren’ Bourgeois! Kein Zweifel, sie werden zuerst schießen.“ F. Engels, Sozialismus in Deutschland, MEW 22, 251.

„Wenn die Regierung des Tages die bestehenden Gesetze anwendet, um sich ihrer Gegner zu entledigen, so tut sie, was jede Regierung tut. ...
Nur in Deutschland kann es noch vorkommen, dass man von einer Partei verlangt, sie solle sich durch den bestehenden sogenannten Rechtszustand nicht nur tatsächlich, sondern auch moralisch gebunden halten; sie solle im voraus versprechen: Was auch kommen möge, sie wolle diesen von ihr bekämpften Rechtszustand nicht umwerfen, selbst wenn sie es könne. Mit anderen Worten, sie solle sich verpflichten, die bestehende Ordnung am Leben zu erhalten in alle Ewigkeit.“ F. Engels, Vorwort zu Marx vor den Kölner Geschworenen, 1.7.1885. MEW 21, 202.

„Ich bin der Ansicht, dass Ihr nichts dadurch gewinnt, wenn Ihr den absoluten Verzicht aufs Dreinschlagen predigt. Glauben tut’s kein Mensch, und keine Partei irgendeines Landes geht so weit, auf das Recht zu verzichten, der Ungesetzlichkeit mit den Waffen in der Hand zu widerstehen.“ F. Engels an R. Fischer, 8.3.1995, MEW 39, 424.

Es „ist mir als Revolutionär jedes Mittel recht, das zum Ziel führt, das gewaltsamste, aber auch das scheinbar zahmste. Eine solche Politik erfordert Einsicht und Charakter ...“ F. Engels an G. Trier, 18.12.1889, MEW 37, 327.

„Überhaupt handelt es sich nicht um die Frage, ob das Proletariat, wenn es zur Macht gelangt, die Produktionsinstrumente, Rohstoffe und Lebensmittel einfach gewaltsam in Besitz nimmt, ob es sofort Entschädigung dafür zahlt oder das Eigentum daran durch langsame Ratenzahlungen ablöst. Eine solche Frage im voraus und für alle Fälle beantworten zu wollen, hieße Utopien fabrizieren und das überlasse ich anderen.“ F. Engels, Zur Wohnungsfrage, MEW 18, 282.

„Sobald unsere Partei im Besitz der Staatsmacht ist, hat sie die Großgrundbesitzer einfach zu enteignen, ganz wie die industriellen Fabrikanten. Ob diese Enteignung mit oder ohne Entschädigung erfolgt, wird großenteils nicht von uns abhängen, sondern von den Umständen, unter denen wir in den Besitz der Macht kommen ...
Eine Entschädigung sehen wir keineswegs unter allen Umständen als unzulässig an; Marx hat mir - wie oft! - als seine Ansicht ausgesprochen, wir kämen am billigsten weg, wenn wir die ganze Bande auskaufen könnten.“ F. Engels, Die Bauernfrage, MEW 22, 503f.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 6.12.2001





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