Interessen

von Karl Marx am 22. Oktober 2003 07:37:36:

Interessen
Deutsches Wörterbuch von J. u. W. Grimm, Bd. 10, von 1877:
Interesse: ... Nutzen, Vorteil ...: im gemeinen Gebrauch ist Interesse Vorteil...; es heißt: im Interesse jemandes etwas tun, im Interesse jemandes stehen, handeln; ...“

„Die ‚Idee’ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‚Interesse’ unterschieden war.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 85.

1. Die kapitalistische Theorie behauptet, Gesamtinteresse und Privatinteresse seien identisch.
„Das praktische Bedürfnis, der Egoismus ist das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft ... Der Gott des praktischen Bedürfnisses und Eigennutzes ist das Geld.“ K. Marx, Judenfrage, MEW 1, 374.

„Die Ökonomen drücken das so aus: Jeder verfolgt sein Privatinteresse und nur sein Privatinteresse; und dient dadurch, ohne es zu wollen und zu wissen, den Privatinteressen aller, den allgemeinen Interessen.
Der Witz besteht nicht darin, dass, indem jeder sein Privatinteresse verfolgt, die Gesamtheit der Privatinteressen, also das allgemeine Interesse erreicht wird. Vielmehr könnte aus dieser abstrakten Phrase genau so gut gefolgert werden, dass jeder wechselseitig die Geltendmachung des Interesses der anderen hemmt, und statt einer allgemeinen positiven Wirkung, vielmehr eine allgemeine Vernichtung aus diesem Krieg aller gegen alle resultiert. Die Pointe liegt vielmehr darin, dass das Privatinteresse selbst schon ein gesellschaftlich bestimmtes Interesse ist und nur innerhalb der von der Gesellschaft gesetzten Bedingungen und mit den von ihr gegebenen Mitteln erreicht werden kann; also an die Reproduktion dieser Bedingungen und Mittel gebunden ist.“ K. Marx, Grundrisse, 74.

„Wenn es heißt, dass innerhalb der freien Konkurrenz die Individuen rein ihrem Privatinteresse folgend das gemeinschaftliche oder vielmehr allgemeine Interesse verwirklichen, so heißt das nichts, als dass sie unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktion aufeinander pressen und daher ihr Gegenstoß selbst nur die Wiedererzeugung der Bedingungen ist, unter denen diese Wechselwirkung stattfindet.“ K. Marx, Grundrisse, 545.

„Die Phrase, welche dieser eingebildeten Aufhebung der Klassenverhältnisse entsprach, ... war die Brüderlichkeit, die allgemeine Verbrüderung und Brüderschaft. Dies (ist eine) gemütliche Abstraktion von den Klassengegensätzen, dies (ist eine) sentimentale Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen, dies (ist eine) schwärmerische Erhebung über den Klassenkampf ...“ K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, MEW 7, 21.

2. Tatsächlich widersprechen sich nicht nur die Interessen der Individuen, sondern auch die Interessen der sozialen Klassen.
2.1. Die Interessen der Grundbesitzer z.B. widersprechen den Interessen aller anderen Klassen.
„In der Nationalökonomie, unter der Herrschaft des Privateigentums, ist das Interesse, was einer an der Gesellschaft hat, grad im umgekehrten Verhältnis zu dem Interesse, was die Gesellschaft an ihm hat, wie das Interesse des Wucherers an dem Verschwender durchaus nicht identisch mit dem Interesse des Verschwenders ist. ...
Wenn also das Interesse des Grundeigentümers, weit entfernt, mit dem Interesse der Gesellschaft identisch zu sein, im feindlichen Gegensatz mit dem Interesse der Pächter, der Ackerknechte, der Manufakturarbeiter und der Kapitalisten steht, so ist nicht einmal das Interesse des einen Grundeigentümers mit dem des anderen identisch ... wegen der Konkurrenz untereinander...“ K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 502f.

2.2. „Die Klasseninteressen der Arbeiter (sind) denen der Kapitalisten direkt entgegengesetzt...“ F. Engels, Militärfrage, MEW 16, 77.
„Wenn das Produkt der Arbeit nicht dem Arbeiter gehört, ... so ist dies nur dadurch möglich, dass es einem anderen Menschen außer dem Arbeiter gehört.
Wenn seine Tätigkeit ihm Qual ist, so muss sie einem anderen Genuss ... Lebensfreude ... sein. ...
Wenn der Lohnarbeiter sich zu seiner Arbeit als einer unfreien verhält, so verhält er sich zu ihr als der Tätigkeit im Dienst, unter der Herrschaft, dem Zwang und dem Joch eines anderen Menschen.“ K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 519.

„Das Interesse des Kapitalisten und des Arbeiters ist .. dasselbe, behaupten die Kapitalisten und ihre Ökonomen. Und in der Tat! Der Arbeiter geht zugrunde, wenn ihn das Kapital nicht beschäftigt. Das Kapital geht zugrunde, wenn es die Arbeitskraft nicht ausbeutet, und um sie auszubeuten, muss es sie kaufen.
Je rascher sich ... das produktive Kapital vermehrt, je blühender daher die Industrie ist, je mehr sich die Bourgeoisie bereichert, je besser das Geschäft geht, um so mehr Arbeiter braucht der Kapitalist, um so teurer verkauft sich der Arbeiter.
Die unerlässliche Bedingung für eine passable Lage des Arbeiters ist also möglichst rasches Wachstum des produktiven Kapitals.
Aber was ist Wachstum des produktiven Kapitals? Wachstum der aufgehäuften Arbeit über die lebendige Arbeit. Wachstum der Herrschaft der Bourgeoisie über die arbeitende Klasse. Wenn die Lohnarbeit den sie beherrschenden fremden Reichtum, die ihr feindselige Macht, das Kapital, produziert, strömen ihr Beschäftigungs-, d.h. Lebensmittel von derselben zurück, unter der Bedingung, dass sie sich von neuem zu einem Teil des Kapitals macht...
Die Interessen des Kapitals und die Interessen der Arbeit sind dieselben, heißt nur: Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andere, wie der Wucherer und Verschwender sich wechselseitig bedingen.
Solange der Lohnarbeiter Lohnarbeiter ist, hängt sein Los vom Kapital ab. Das ist die vielgerühmte Gemeinsamkeit des Interesses von Arbeiter und Kapitalist.“ K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW 6, 410f.

„Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 180.

„Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der anderen Klassen trennen und ihnen feindlich gegenüberstellen, bilden sie eine Klasse.“ K. Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 198.

3. Jede bisherige revolutionäre Bewegung - auch die Aufklärer des 18. Jahrhunderts als revolutionäre Theoretiker der Kapitalistenklasse - ist als Interessenvertreter der gesamten Gesellschaft, des „Gemeinwohls“, aufgetreten.
„Jede neue Klasse nämlich, die sich an die Stelle einer vor ihr herrschenden setzt, ist genötigt, schon um ihren Zweck durchzuführen, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, d.h. ideell ausgedrückt: ihren Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als die einzig vernünftigen, allgemein gültigen darzustellen.
Die revolutionäre Klasse tritt von vornherein, schon weil sie einer Klasse gegenübersteht, nicht als Klasse, sondern als Vertreterin der ganzen Gesellschaft auf, sie erscheint als die ganze Masse der Gesellschaft gegenüber der einzigen, herrschenden Klasse. Sie kann dies, weil im Anfange ihr Interesse wirklich noch mehr mit dem gemeinschaftlichen Interesse aller übrigen nichtherrschenden Klassen zusammenhängt ...“ K. Marx, Dt. Ideologie, 3, 47.

Es ist „leicht zu begreifen, dass jedes massenhafte, geschichtlich sich durchsetzende ‚Interesse’, wenn es zuerst die Weltbühne betritt, in der ‚Idee’ oder ‚Vorstellung’ weit über seine wirklichen Schranken hinausgeht und sich mit dem menschlichen Interesse schlechthin verwechselt.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 85.

3.1. Die Kommunisten sind bescheidener: Sie behaupten nicht, dass sie das Interesse der Gesamtgesellschaft, wohl aber, dass sie das Interesse der Lohnarbeiter, also der großen Mehrheit der Gesellschaft vertreten.
„Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 474.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben modernisiert. Alle diese und die kommentierenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 18.2.2002






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