Partei des Proletariats
Heute verstehen wir unter „Partei“ einen juristisch definierten,  zahlenmäßig begrenzten Personenverband. Dass Marx und Engels von einer anderen Wortbedeutung ausgingen, lässt sich im Grimmschen Wörterbuch von 1889 nachlesen:
„PARTEI,
1) im allgemeinen eine Abteilung von zusammengehörenden Personen oder Sachen, wofür nun ... PARTIE gebräuchlicher ist. ...
2) eine Gesamtheit gleichgesinnter Personen und die von ihnen vertretene Richtung in religiösen, politischen, sozialen oder wissenschaftlichen Dingen, im Gegensatze zu anders Gesinnten und im Kampfe mit denselben ...
3) der schon in 2 enthaltene Nebenbegriff der Gegnerschaft und des Streites tritt noch deutlicher hervor bei Personen, die sich feindlich gegenüber stehen (s. Gegenpartei)...“ Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 13, Leipzig 1889, 1466ff.

Marx und Engels sprachen anfangs nur von der „Partei des Proletariats“ in einem breiten Sinn, der alle produktiven Lohnarbeiter, das ganze Proletariat umfasst. In diesem elementaren Sinn ist Partei des Proletariats = Klasse der produktiven Lohnarbeiter.
Selbst als zu dieser umfassenden Bedeutung später ein engerer, juristischer Parteibegriff hinzukam, meinte „Partei des Proletariats“ für Marx und Engels nie nur die Kommunisten, sondern immer eine Massenpartei, die möglichst alle Lohnarbeiter und alle gewerkschaftliche/sozialistische/anarchistische Linke umfassen sollte.
Die sowjetmarxistische Vorstellung von der Identität „Kommunistische Partei = Partei des Proletariats“ ist nirgends bei Marx und Engels zu finden.

„Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem Kapitalverhältnis selbst.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 451.

„Am Anfang kämpfen die einzelnen Arbeiter, dann die Arbeiter einer Fabrik, dann die Arbeiter eines Arbeitszweigs an einem Ort gegen den einzelnen Kapitalisten, der sie direkt ausbeutet. Sie richten ihre Angriffe nicht nur gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, sie richten sie gegen die Produktionsinstrumente selbst; sie vernichten die fremden konkurrierenden Waren, sie zerschlagen die Maschinen, sie stecken die Fabriken in Brand...
Aber mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat; es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie mehr ...
Die Arbeiter beginnen damit, Koalitionen gegen die Bourgeois zu bilden; sie treten zusammen zur Behauptung ihres Arbeitslohns. Sie stiften selbst dauernde Assoziationen, um sich für die gelegentlichen Empörungen zu verproviantieren. Stellenweise bricht der Kampf in Aufständen aus...
Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf...
Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger. Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt. So das Zehnstundengesetz in England.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 470f.

„In seinem Kampf gegen die kollektive Macht der besitzenden Klassen kann das Proletariat nur dann als Klasse handeln, wenn es sich selbst als besondere politische Partei im Gegensatz zu allen alten, von den besitzenden Klassen gebildeten Parteien konstituiert. - Diese Konstituierung des Proletariats als politische Partei ist unerlässlich, um den Triumph der sozialen Revolution und ihres höchsten Zieles, der Aufhebung der Klassen, zu sichern.“ Resolution des Haager Kongresses der IAA von 1872, MEW 18, 149.

„Heute braucht das deutsche Proletariat keine offizielle Organisation mehr, weder öffentliche noch geheime; der einfache, sich von selbst verstehende Zusammenhang gleichgesinnter Klassengenossen reicht hin, um ohne alle Statuten, Behörden, Beschlüsse und sonstige greifbare Formen das gesamte Deutsche Reich zu erschüttern. ...
und dass das einfache, auf der Einsicht in die Gleichheit der Klassenlage beruhende Gefühl der Solidarität hinreicht, unter den Arbeitern aller Länder und Zungen eine und dieselbe große Partei des Proletariats zu schaffen und zusammenzuhalten.“ F. Engels, Bund der Kommunisten, 1885, MEW 21, 223.

1. Die Kommunisten sind immer nur ein Teil dieser die ganze Lohnarbeiterklasse umfassenden „Partei des Proletariats“, nämlich der „theoretische Ausdruck der proletarischen Bewegung“:
„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. ...
Diese weltbefreiende Tat durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf des modernen Proletariats. Ihre geschichtlichen Bedingungen, und damit ihre Natur selbst, zu ergründen und so der zur Aktion berufenen, heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eigenen Aktion zum Bewusstsein zu bringen, ist die Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus.“ F. Engels, MEW 19, 226-228.

1.1. Kommunisten sind die „Wissensarbeiter“ (Theoretiker) der Lohnarbeiterklasse. Vergleiche im Marx-Lexikon das Stichwort Kommunisten.
„Wie die Ökonomen die wissenschaftlichen Vertreter der Bourgeoisklasse sind, so sind die Sozialisten und Kommunisten die Theoretiker der Klasse des Proletariats.
Solange das Proletariat noch nicht genügend entwickelt ist, um sich als Klasse zu konstituieren, und daher der Kampf des Proletariats mit der Bourgeoisie noch keinen politischen Charakter trägt; solange die Produktivkräfte noch im Schoß der Bourgeoisie selbst nicht genügend entwickelt sind, um die materiellen Bedingungen durchscheinen zu lassen, die notwendig sind zur Befreiung des Proletariats und zur Bildung einer neuen Gesellschaft – solange sind diese Theoretiker nur Utopisten, die, um den Bedürfnissen der unterdrückten Klassen abzuhelfen, Systeme ausdenken und nach einer erneuernden Wissenschaft suchen.
Aber in dem Maße, wie die Geschichte vorschreitet und mit ihr der Kampf des Proletariats sich deutlicher abzeichnet, haben sie nicht mehr nötig, die Wissenschaft in ihrem Kopfe zu suchen;
sie haben sich nur Rechenschaft abzulegen von dem, was sich vor ihren Augen abspielt, und sich zum Organ desselben zu machen. ... Von diesem Augenblick an wird die Wissenschaft bewusstes Erzeugnis der historischen Bewegung, und sie hat aufgehört, doktrinär zu sein, sie ist revolutionär geworden.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 143.

„Die Kommunisten ... haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeine Resultate der proletarischen Bewegung voraus.
Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 474f.

Aufgabe von Karl Marx war - und von jedem Kommunisten ist es „nicht mehr, ein möglichst vollkommenes System der Gesellschaft zu verfertigen, sondern den geschichtlichen ökonomischen Verlauf zu untersuchen, dem diese Klassen und ihr Widerstreit mit Notwendigkeit entsprungen sind, und in der dadurch geschaffenen ökonomischen Lage die Mittel zur Lösung des Konflikts zu entdecken.“ F. Engels, Entwicklung des Sozialismus, MEW 19, 208.

„Wir (Marx und Engels) waren verpflichtet, unsere Ansicht wissenschaftlich zu begründen, ebenso wichtig aber war es auch für uns, das europäische und zunächst das deutsche Proletariat für unsere Überzeugung zu gewinnen.“ F. Engels, Bund der Kommunisten, MEW 21, 212.

1.2. Kommunisten und Sozialisten sind Politiker der Lohnarbeiterklasse
„Die historische Theorie von Marx ist nach meiner Meinung die Grundbedingung jeder zusammenhängenden und konsequenten revolutionären Taktik; um diese Taktik zu finden, braucht man nur die Theorie auf die ökonomischen und praktischen Verhältnisse des betreffenden Landes anzuwenden. Aber dazu muss man diese Verhältnisse kennen.“ F. Engels, an Sassulitsch, 23.4.1885. MEW 36, 304.

Die Kommunisten „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung. ...
Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 492.

„Ich habe abgeschlagen, in irgendeinen Verein zu kommen ... erklärte ich ihnen rundheraus: Unsere Bestellung als Vertreter der proletarischen Partei hätten wir von niemand als uns selbst. Sie sei aber beglaubigt durch den ausschließlichen und allgemeinen Hass, den alle Fraktionen der alten Welt und Parteien uns widmeten.“ K. Marx, 1859, MEW 29, 439.

Ich „müsste ... verrückt sein, wenn ich mein ruhiges Asyl hier vertauschte mit Orten, wo man an Versammlungen und am Artikelkampf sich beteiligen müsste und schon damit den klaren Blick sich notwendig trübte.“ F. Engels an Bebel, 30.4.1883. MEW 36, 21.

2. Wie breit kann und soll die Einheit der sozialistischen Bewegung sein? Wie umfassend soll und muss die „Partei des Proletariats“ sein?
Die Arbeiterpartei ist derjenige Teil der arbeitenden Klasse, welcher zum Bewusstsein der gemeinsamen Interessen der Klasse gekommen ist...“ F. Engels, Preußische Militärfrage, 1865, MEW 16, 68.

„Die Arbeiterpartei darf sich nicht als Schwanz irgendwelcher Bourgeoisparteien, sondern muss sich vielmehr als unabhängige Partei konstituieren, die ihr eigenes Ziel, ihre eigene Politik hat.“ F. Engels, 21.9.1871. MEW 17, 416.

„Wir glauben nicht an die Durchdringung der bürgerlichen Parteien. Wir durchdringen das Volk.“ F. Engels, Juni 1893. MEW 22, 548.

„Neben den gewerkschaftlichen Verbänden in den einzelnen Industriezweigen oder über ihnen muss ein Gesamtverband, eine politische Organisation der Arbeiterklasse als Ganzes entstehen. ...
Für die vollgültige Vertretung der Arbeiterschaft im Parlament sowie für die Vorbereitung zur Abschaffung des Lohnsystems werden Organisationen nicht einzelner Industriezweige, sondern der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit notwendig sein.“ F. Engels, Gewerkschaften, 1881, MEW 19, 260.

„Die kollektive Aneignung der Produktions- und Lebensmittel (kann) nur von einer revolutionären Aktion der Klasse der Produzenten - dem Proletariat -, in einer selbständigen politischen Partei organisiert, ausgehen ...“ K. Marx, 1880, MEW 19, 238.

„Die Internationale wurde gestiftet, um die wirkliche Organisation der Arbeiterklasse für den Kampf an die Stelle der sozialistischen oder halbsozialistischen Sekten zu setzen.“ K. Marx an Bolte, 23.11.1871. MEW 33, 328.

„Als Marx die Internationale gründete, hat er die Allgemeinen Statuten so abgefasst, dass ihr alle proletarischen Sozialisten jener Zeit beitreten konnten - ... selbst der weiter fortgeschrittene Teil der englischen Gewerkschaftler; und nur dank dieser Breite ist die Internationale das geworden, was sie war, das Mittel zur allmählichen Auflösung und Aufsaugung all jener kleineren Sekten...
Hätten wir von 1864-73 darauf bestanden, nur mit denen zusammenzuarbeiten, die offen unsere (kommunistische) Plattform anerkannten - wo wären wir heute? Ich denke, unsere ganze Praxis hat bewiesen, dass es wohl möglich ist, mit der allgemeinen Bewegung der Arbeiterklasse in jeder einzelnen Etappe zusammenzuarbeiten, ohne unsere eigene aparte Stellung oder gar Organisation aufzugeben oder zu verbergen, und ich fürchte, dass die Deutsch-Amerikaner, wenn sie einen anderen Weg einschlagen, einen großen Fehler begehen werden.“ F. Engels an Kelley-Wischnewetzky, 27.1.1887, MEW 36, 598.

„Die Internationale setzt sich aus Sozialisten verschiedenster Schattierung zusammen. Ihr Programm ist ziemlich breit, um sie alle zu umfassen; die bakuninistische Sekte ist unter denselben Bedingungen wie alle anderen in sie aufgenommen worden.“ F. Engels, Bericht an die IAA, 1872, MEW 18, 141f.

„Gegenüber den phantastischen und antagonistischen Sektenorganisationen ist die Internationale die wirkliche und streitende Organisation der Proletarierklasse in allen Ländern, verbunden unter sich in ihrem Kampf gegen die Kapitalisten, die Grundeigentümer und ihre im Staate organisierte Klassenmacht.
Daher kennen die Statuten der Internationale nur ... (ein) Programm, das sich darauf beschränkt, nur die großen Hauptzüge des Ganges der Arbeiterbewegung zu zeichnen, und ihre theoretische Ausarbeitung dem durch die Bedürfnisse des praktischen Kampfes gegebenen Anstoß und dem Gedankenaustausch innerhalb der Sektionen überlässt, wie denn die Internationale ohne Unterschied jede sozialistische Überzeugung in ihren Organen und auf ihren Kongressen zulässt.“ K. Marx, F. Engels, Die angeblichen Spaltungen der Internationale, 1872, MEW 18, 34.

„Meiner Ansicht nach ist die alte Partei samt ihrer früheren Organisation am Ende. Wenn die europäische Bewegung ... bald wieder in Gang kommt, dann tritt die große Masse des deutschen Proletariats in sie ein, dann sind die 500.000 Mann des Jahres 1878 der gebildete, geschulte Kern dieser Masse, dann wird aber auch die alte, aus Lassalleschen Traditionen überkommene ‚stramme Organisation’ ein Hemmschuh...“ F. Engels an Becker, 1880, MEW 34, 441.

2.2. Einheit des Handelns kann nicht auch ‚Einheit der Gedanken’ heißen.
Einheit des Handels basiert immer auf der Freiheit der Kritik.
Marx und Engels zitieren Vorstellungen Bakunins über revolutionäre Organisationen: „ ‚...ist es notwendig, dass inmitten der Volksanarchie, welche eben das Leben und die ganze Kraft der Revolution bilden wird, die Einheit des Gedankens und des revolutionären Handelns ein Organ finde...’ ... Die Anarchie, das ‚entfesselte Volksleben’, die ‚bösen Leidenschaften’ usw. reichen nicht mehr aus. Um den Erfolg der Revolution zu sichern, bedarf es der Einheit des Gedankens und des Handelns. ...
Einheit des Gedankens und des Handelns heißt weiter nichts als Orthodoxie und blinder Gehorsam. Kadavergehorsam. Wir befinden uns mitten in der Gesellschaft Jesu (= die Jesuiten).“ K. Marx, F. Engels, Ein Komplott gegen die IAA, 1873, MEW 18, 346.

„Es gehört zum Leben und Gedeihen einer jeden Partei, dass in ihrem Schoß gemäßigtere und extremere Richtungen sich entwickeln und selbst bekämpfen, und wer die extremeren kurzerhand ausschließt, befördert dadurch nur ihr Wachstum. Die Arbeiterbewegung beruht auf der schärfsten Kritik der bestehenden Gesellschaft. Kritik ist ihr Lebenselement, wie kann sie selbst der Kritik sich entziehen, die Debatte verbieten wollen? Verlangen wir denn von den anderen das freie Wort für uns bloß, um es in unseren eigenen Reihen wieder abzuschaffen?“ F. Engels an G. Trier, 18.12.1889, MEW 37, 328.

„Wer hat denn je bestritten, dass in der Reichstags-Fraktion (der SPD, wb) nicht nur, sondern auch in der ganzen Partei, die kleinbürgerliche Richtung ebenfalls vertreten ist? Einen rechten und einen linken Flügel hat jede Partei, und dass der rechte Flügel der Sozialdemokratie kleinbürgerlicher Art ist, liegt in der Natur der Sache. Wenn’s weiter nichts ist, wozu dann all der Lärm?“ F. Engels an P. Ernst, 1.10.1890, MEW 22, 84.

„Wir Deutschen sind gewöhnt, eine unumwundene Kritik sowohl innerhalb unserer eigenen Partei als auch gegenüber den anderen Nationalitätsgruppen der proletarischen Bewegung zu üben. Wir wissen zu gut, dass es kein größeres Glück für unsere Feinde geben könnte, als diese Bewegung in eine gegenseitige Beweihräucherungsgesellschaft oder eine gegenseitige Versicherungsgesellschaft für Agitatoren verwandelt zu sehen. Wir sind daher nicht so zartbesaitet ...“ F. Engels 1889, MEW 21, 521.

An die Adresse der SPD: „Eure ‚Verstaatlichung’ der Presse hat ihre großen Übelstände, wenn sie zu weit geht. Ihr müsst absolut eine Presse in der Partei haben, die vom Vorstand und selbst Parteitag nicht direkt abhängig ist, d.h. die in der Lage ist, innerhalb des Programms und der angenommenen Taktik gegen einzelne Parteischritte ungeniert Opposition zu machen und innerhalb der Grenzen des Parteianstandes auch Programm und Taktik frei der Kritik zu unterwerfen. Eine solche Presse solltet ihr als Parteivorstand begünstigen, ja hervorrufen, dann habt Ihr immer noch mehr moralischen Einfluss auf sie, als wenn sie halb gegen Euren Willen entsteht.
Die Partei wächst aus der bisherigen strammen Disziplin heraus, mit 2-3 Millionen und dem Zustrom ‚jebildeter’ Elemente ist mehr Spielraum nötig. ... Je eher Ihr selbst Euch und die Partei für diese veränderte Lage einrichtet, desto besser. Und das erste ist eine formell unabhängige Parteipresse.“ F. Engels an August Bebel, 19.11.1892, MEW 38, 517.

„Die größte Partei im Reich (die Sozialdemokraten) kann nicht bestehen, ohne dass alle Schattierungen in ihr vollauf zu Worte kommen, und selbst der Schein der Diktatur ... muss vermieden werden.“ F. Engels an Sorge, 9.8.1890. MEW 37, 440.

Die linken Studenten „werden wohl auch mit der Zeit einsehen, dass, wenn ein großes Ziel erreicht, und die dazu nötige Armee von Millionen zusammengehalten werden soll, man die Hauptsache im Auge behalten und sich nicht durch Nebenquengeleien irreführen lassen muss.“ F. Engels, MEW 38, 269.

„Übrigens kann bei einer großen Partei nicht mehr die straffe Disziplin der Sekte fortbestehen, und das hat auch sein Gutes.“ F. Engels an K. Kautsky, 30.4.1891, MEW 38, 87.

„Der Rechtsboden, auf dem eine lebende Partei sich bewegt, muss nicht nur selbstgeschaffen, er muss auch jederzeit abänderbar sein.“ F. Engels an August Bebel, 14.11.1879, MEW 34, 418.

„In jeder aktiven Partei, die parlamentarische Vertreter hat, ist die Parlaments-Fraktion eine sehr wichtige Macht. Diese Macht hat sie, ob im Statut ausdrücklich anerkannt oder nicht. Es fragt sich also, ob es klug ist, ihr außerdem im Statut noch eine Stellung zu geben, wodurch sie den Partei-Vorstand absolut beherrscht...“ F. Engels an Liebknecht, 10.8.1890. MEW 37, 444.

Die Organisation der Arbeit ist die Grundlage jeder Organisation. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die hierbei gesammelt werden, gelten auch für jede politische Organisation. Vergleiche dazu im Marx-Lexikon: Organisation der Arbeit.

3. Meine Folgerungen:
Welche Einheit der sozialistischen Bewegung ist heute wünschenswert und machbar?

Der Sektenstandpunkt will den eigenen politischen Standpunkt und die eigene Organisation zur Grundlage der Einheit der Bewegung machen.
So hält der Sektierer theoretisch am Einheitsgedanken der Gesamtbewegung und praktisch an seiner eigenen Kleinorganisation als Sekte fest. Das kann man kritisieren und bedauern, aber nicht einfach aus der Welt schaffen.
Unter den jetzigen Umständen der Existenz vieler kleiner sozialistischer, anarchistischer und kommunistischer Organisationen und einer großen Menge in Gewerkschaften und Basisbewegungen engagierter Einzelpersonen ist nach meiner Meinung mindestens möglich, was die europäische Bourgeoisie für sich an politischer Einheit durch die Europäische Union erreicht hat, nämlich ein politischer Dachverband, der auf den bestehenden organisatorischen Strukturen aufbaut.

Dieses EU-Modell auf einen sozialistischen Dachverband angewandt heißt:

1. Dem sozialistischen Dachverband können und sollen sowohl Einzelpersonen wie ganze Organisationen beitreten. Die Mitgliedsbeiträge werden teils individuell eingezogen, teils über die Mitgliedsorganisationen abgeführt. Die Mitgliedsorganisationen und Einzelmitglieder erhalten Sitz und Stimme in allen Gremien nach Maßgabe ihrer zahlenmäßigen Größe.

2. In den Mitgliedsorganisationen können sowohl zentralistische wie basisdemokratische Strukturen fortbestehen. Der sozialistische Dachverband wird jedoch basisdemokratisch organisiert: Der Vorsitz in allen Gremien rotiert. Imperatives Mandat ist möglich, wo es gewünscht wird. Innerorganisatorische Verwaltungsarbeiten des Dachverbandes werden über rotierende Zeitverträge, nicht über fest angestellte „politische Beamte“ erledigt usw.

3. Um die Freiheit der Kritik zu wahren, gibt der sozialistische Dachverband auf absehbare Zeit KEINE eigene Zeitung oder Zeitschrift heraus, sondern verschickt Aufrufe und Pressemitteilungen seiner Gremien an bestehende linke Zeitungen und die bürgerliche Presse.

Die Herstellung der Einheit der sozialistischen Bewegung wird durch einen solchen sozialistischen Dachverband nicht auf die ferne Zukunft, wenn „alle Fragen geklärt sind“ verschoben, sondern kann sofort mit den jetzigen Gegebenheiten als ein sich vertiefender Prozess beginnen.
Wal Buchenberg, 25.09.2001.