[Wertkritik] Kritik an Postone
Wolfram Pfreundschuh
wolfram at pfreundschuh.de
Son Mar 20 11:51:26 CET 2005
Im Kulturkritischen Lexikon ist eine Kritik an Moishe Postone
erschienen unter:
http://www.kulturkritik.net/begriffe/po.html#postone
Postone
Moishe Postone begreift den Kapitalismus als eine tautologische und
also unnötige Selbstbezogenheit des Wertes, die durch eine
Wertvergesellschaftung betrieben würde, also durch Eingabe von Wert in
die Gesellschaft. Damit ist Gesellschaft als an und für sich
unberührtes Ideal, jenseits ihrer Wirklichkeit begriffen, nicht als
vermittelst der Wertverhältnisse und dessen Revolutionierung erst
werdende Gesellschaft, sondern als eine vorhandene Gesellschaft, die
durch den Wert nur verfälscht würde, der Wert nicht ihre überkommene
Form, sondern per se ein fremdes Wesen ohne wirklichen Belang sei -
weder eine für ihre konkreten Verhältnisse notwendige Abstraktion
(siehe Realabstraktion), noch für ihre Abstraktion von sich nötig,
soweit Gesellschaft nicht gebildet ist. Sein wesentlichstes Problem mit
dem Kapitalismus ist die Verfälschung des Bewusstseins, welches durch
das Warenverhältnis fetischisiert sei. Hierbei bezieht er sich auf die
Darstellung des Warenfetischismus von Karl Marx, worin dieser den
notwendigen Schein der bürgerlichen Gesellschaft beschreibt, die
alleine durch das Verhältnis von Waren gesellschaftlich vermittelt ist,
in dem die Verhältnisse der Menschen als Verhältnis ihrer Sachen
erscheinen.
Da von ihm der Schein der Verhältnisse nicht als notwendig begriffen
ist, also als Form, worin ein Sachzwang Not wendend erscheint, der
wirklich gesellschaftlicher Zwang ist, solange die Menschen ihre Sachen
nicht in menschlicher Gesellschaft beziehen, gerät ihm das
Warenverhältnis zu einer Falschheit, die durch eine Richtigkeit zu
überwinden sei: Durch die Bekämpfung eines falschen Bewusstseins mit
dem Wissen von einer richtigen Gesellschaft. Es war dies schon immer
die Position von Intellektuellen, die sich vom praktischen Bewusstsein
der Menschen durch theoretisches Bewusstein enthoben, um es zur Theorie
zu agitieren, anstatt sich durch Theorie mit diesem zu verbinden, ihre
Gedanken mit der Wirklichkeit als deren "Begriff zum Brennen zu
bringen" (Marx).
Da die Bürger dieser Verhältnisse für Postone nur fetischisiert sind,
sich also an das Falsche klammern und es vergöttern, stellt der
Kapitalismus vorwiegend ein psychologisches Problem dar. Der
Warenfetischismus wird zum Allgemeinbegriff einer Psychologie der
Selbstverschuldung, die sich der Erkenntnis des "Falschen" verweigert.
Umgekehrt muss das "Richtige" auch nicht in der Wirklichkeit sich
selbst beweisen. Die Fehler des Bewusstseins aber haben vor allem in
ihm selbst Folgen. Als einer der hervorragendsten wird der
Antisemitismus verwendet, der von Postone unmittelbar aus dem
Warenfetischismus abgeleitet wird. Die Juden seien für das falsche
Bewusstsein die Verkörperung des Geldfetischs, das Bildnis für Wucher
und Hinterhalt, dem sich die Faschisten mit dem ebenso falschen
Bewusstsein eines völkischen Arbeitsbegriffs entgegengestellt hätten.
Er sieht also zwei Seiten des Warenfetischismus im Widerstreit, im
Vernichtungskampf der Falschheiten und gibt damit der "Richtigkeit" des
theoretischen Bewusstseins eine Überhöhung, die ohne Weiteres dem
Prinzip des intellektuellen Moralismus bis zur Sektiererei folgen kann
(siehe Antideutsche).
Zugleich wird hierdurch ein Arbeitsfetischismus zum Argument gegen die
Faschisten im gleichen Maß wie gegen die Arbeiterbewegung. Hierfür ist
es nötig, eine grundlegende Revision des Marxismus zu machen und die
Kritik des Kapitalismus zur Kritik der Arbeit schlechthin zu wenden.
Abgesehen von den ungeheueren Verfälschungen,die hierbei in der Kritik
der Arbeiterbewegung notwendig betrieben werden, wird nun auch die
Arbeit selbst von ihrem Widerspruch zur Lohnarbeit, dem Verhältnis der
Besitzlosen zum Kapital entkernt (dies wird vor allem von den
sogenannten Wertkritikern ausgeführt). So wird Postones Marxrevision zu
einer Zerstörung des gesamten marxistischen Ansatzes, reduziert auf
eine "Richtigkeit", die für sich steht und nur sich selbst richtig
erscheinen kann, weil sie den notwendigen Schein der Verhältnisse nicht
zu durchdringen vermag. Dies ist an den Begriffen, die hierbei
entstehen, allseits zu vermerken, besonders in der mißbräuchlichen
Rezeption des Begriffs des Kapitals als "automatisches Subjekt" und des
Werts als Inbegriff von Arbeit überhaupt. Aus dem widersprüchlichen
Charakter der bürgerlichen Gesellschaft, der in ihren wirklichen
Verhältnissen selbst zu seiner Auflösung treibt, wird die monistische
Theorie eines werdenden Subjekts, dem leider noch die Wirklichkeit
abgeht.
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit Binärdaten wurde abgetrennt...
Dateiname : nicht verfügbar
Dateityp : text/enriched
Dateigröße : 7076 bytes
Beschreibung: nicht verfügbar
URL : http://listi.jpberlin.de/pipermail/wertkritik/attachments/20050320/9e88127d/attachment.bin