Vorbemerkung:
Als Beginn
meiner Auseinandersetzung mit Postones Schrift erhaltet Ihr Thesen mit ein
paar grundlegenden Gedanken über das Verhältnis von Ontologie und Kritik der
Politischen Ökonomie. Es werden weitere Thesenpapiere in loser Folge folgen,
in denen ich mich mit anderen Detailfragen beschäftige. Grundsätzlich mühe ich
mich daran ab, Postones Grundanschauungen nachzuvollziehen, sie im
Zusammenhang zu verstehen und von daher kritikfähig zu werden. Um
Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich vorab sagen, dass ich Postones
Schrift grundsätzlich als eine Streitschrift für den Kommunismus ansehe, und
als Ex-Maoist sagen könnte, der Widerspruch zwischen mir und ihm gehört „zu
den Widersprüchen im Volk“. Das soll die Art der Auseinandersetzung
bestimmen, soweit sie öffentlich wird.
Die Kritik der „industriellen Produktionsweise“ ist ein
wichtiger Teilaspekt der Kapitalkritik und notwendige Voraussetzung ihrer
Überwindung. Für verfehlt halte ich dagegen den Platz, den Postone dieser
Kritik im Rahmen einer zu leistenden Gesamtkritik des Kapitals zuweist. Das
hängt zusammen mit seiner „Neuinterpretation“ des Marxschen Werkes, seinem
Verständnis von Wert- und Kapitalkritik, in der die Zirkulationssphäre
systematisch ausgeblendet wird, der „Wesenskern“ des Kapitals nicht mehr aus
dem Verständnis der Einheit von unmittelbarer Produktion und Zirkulation
heraus entwickelt wird. Seine Kritik am Wert wendet sich gegen alle
diejenigen, die vermeintlich den Wert nur als eine Kategorie des Marktes
betrachten. Tatsächlich präsentiert er uns eine Werttheorie, die ganz ohne
Bezug auf die Zirkulation, den Markt auskommt. Gerade die Analyse und Kritik
der Wertform, dieser zentralen Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie
weil Elementarform des kapitalistischen Reichtums, verlangt eine
systematische, focussierende Bezugnahme auf den Austausch, die Zirkulation.
Die Wertform kann nur aus dem Austausch abgeleitet werden. Hier ist der Ort
ihrer Entstehung. Aber eine systematische Differenzierung des Wertbegriffs
nach Wertsubstanz, Wertform und Wertgröße wird man bei Postone auch vergeblich
suchen, zumindest im Kontext seiner „Neuinterpretation“ der Marschen
Grundkategorien.
An vielen Stellen seines Werkes stellt sich die Frage, was
er mit dem Begriff Wert hier meint, Wertsubstanz oder Wertform. An manchen
Stellen bezeichnet er den Wert selbst als die Form, an anderen tut es schon
der Begriff der abstrakten Arbeit. Wo Arbeit sich immer gleich selbst
vermittelt, muss sie keine besondere von sich selbst verschiedene,
verdinglichte Form (Geld) annehmen und muss dieser auch nicht weiter
nachgegangen werden. Man muss aber genau wissen, was das Geld leistet, um zu
begreifen, was an seine Stelle treten muss.
Die Auseinandersetzung mit Postones Positionen ist für
mich auch erneut ein Prozess der Selbstverständigung und Vergewisserung meines
eigenen bisherigen Verständnisses der Kritik der Politischen Ökonomie.
Wie jede andere Gesellschaft auch, ist der Kapitalismus
wesentlich nur zu verstehen als ein Reproduktionsprozess. So ist der
kapitalistische Produktionsprozess als Ganzes betrachtet die Einheit von
unmittelbarem Produktionsprozess und Zirkulationsprozess. Eine grundlegende
und folgerichtige Kritik des Kapitals muss diesem Umstand Rechnung tragen,
sonst wird sie einseitig, erzeugt Missverständnisse ohne Ende. Mehr noch, wird
die grundlegende Kritik das Kapitals nicht als Kritik des
Gesamtproduktionsprozesses als Einheit von unmittelbarer Produktion und
Zirkulation entwickelt, dann kann auch nur eine verengte, bornierte
Vorstellungen von den Aufgaben der Umgestaltung, der sozialen Revolution
entstehen. Auch die kommunistische Gesellschaft kann nur als
Reproduktionsprozess angedacht werden, dass heißt der unmittelbare
Produktionsprozess des Kapitals muss umgestaltet werden zu gemeinschaftlicher
Produktion und an die Stelle der Zirkulationssphäre des Kapital, an die Stelle
des Marktes muss eine Verteilung treten, die nicht mehr auf dem Austausch von
Äquivalenten beruht. An die Stelle der jetzigen Produktions- und
Verkehrsverhältnisse, die geprägt sind durch die Verwertung von Wert, die
Mehrwertproduktion, müssen Produktions- und Verkehrsverhältnisse treten, die
auf Gemeineigentum und bewusster, gemeinsamer Gestaltung des
gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses beruhen und deren Zweck es ist, dass
die frei assoziierte Individuen sich ihre eigene allgemeine Produktivkraft
aneignen. An die Stelle des kapitalistischen Privateigentums mit Befehl und
Gehorsam muss Gemeineigentum mit Kommunikation und gemeinsamer Entscheidung
über die Produktion treten und an die Stelle des Geldes
gesamtgesellschaftliche Kommunikation und gemeinsame Entscheidung über die
Verteilung (auch der Produktionsmittel und der Arbeit).
Das Geld durch gesamtgesellschaftliche Kommunikation und
gemeinsame Entscheidung zu ersetzen ist die größte aller Herausfordungen bei
der sozialen Emanzipation!
Der „reale Sozialismus“ mit seinem Zwangskollektivismus,
seiner staatlich-zentralistischen Planung, hat uns einen gigantischen
Scherbenhaufen hinterlassen. Zugrunde gegangen ist er an seinen Produktions-
und Verkehrsverhältnissen selbst, an der Art der Gestaltung der
gesellschaftlichen Reproduktion. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass
die Gestalter dieser Verhältnisse ursprünglich mit dem Anspruch angetreten
sind, eben die Gesellschaft der frei assoziierten Produzenten ins Leben zu
rufen. Diejenigen, die Anspruch auf soziale Emanzipation auch heute noch mit
sich herumtragen, haben also einen gewaltigen Ballast auf ihren Schultern.
Solange es KommunistInnen nicht gelingt, diesen Ballast, diesen Alp
theoretisch zu bewältigen haben sie keine Chance, sich auf Dauer auch nur
theoretisch zu behaupten. Ohne angemessene Rezeption der Kritik der
Politischen Ökonomie kann die Bewältigung nicht gelingen.
Postones Beitrag ist für mich nicht fatal, weil er etwa
anti-emanzipatorisch wäre, er ist fatal, weil er dazu angetan ist, den Blick
auf den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess zu verstellen, sowohl im
Hinblick auf die Kritik des Kapitals, wie auch im Hinblick auf die zu
eröffnende sozialrevolutionäre Perspektive.
I.
Die Kritik der Politischen Ökonomie durchzieht wie ein
roter Faden die Abarbeitung am Doppelcharakter aller Erscheinungen der
kapitalistischen Ökonomie. Grundlegend dabei sind:
der Doppelcharakter der Waren (Gebrauchswert,
Tauschwert)
der Doppelcharakter der in den Waren dargestellten
Arbeit (konkret nützliche Arbeit, abstrakte Arbeit)
der Doppelcharakter von Produktionsmitteln
(technisches Arbeitsmittel, Kapital)
In diesen grundlegenden, prozessierenden Widersprüchen,
der auf dem Wert beruhenden Produktion, kommen zugleich wesentliche Momente
der gesellschaftlichen Dynamik zum Ausdruck.
Bei den allgemeinen Kategorien Gebrauchswert, konkrete
nützliche Arbeit, technisches Arbeitsmittel/Produktionsmittel handelt es sich
bei Marx durchgängig um primär ontologische Kategorien, in denen Zusammenhänge
gefasst werden sollen, die für alle bisherige menschliche Gesellschaft
Gültigkeit beanspruchen. Der Kapitalismus muss auch als historisch-spezifische
Produktionsweise elementare Grundbedingungen menschlicher Existenz erfüllen,
und er wird auch erst dann verschwinden, erfolgreich abgeschafft werden
können, wenn er sein Entwicklungspotential erschöpft hat und diese
Grundbedingungen nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt erfüllen kann,
also die Reproduktion der Masse der Menschen praktisch durch Krise der
Verwertung in Frage gestellt ist. Der Kapitalismus ist erst dann in Frage
gestellt, wenn die Verwertung von Wert nicht mehr funktioniert. Wenn die
Verwertung von Wert nicht mehr funktioniert, verliert der Kapitalismus
zugleich seine Fähigkeit grundlegende Erfordernisse der menschlichen
Reproduktion zu erfüllen. Solange er diese Erfordernisse, wenn auch in den oft
unerträglichen Formen der Lohnarbeit, erfüllen kann, wird es keine
erfolgreiche soziale Revolution geben. Daraus folgt nicht, dass der Inhalt der
sozialen Revolution durch Bezugnahme auf schon immer vorhandene menschliche
Grundbedürfnisse und Fähigkeiten, sozusagen ontologisch, gewonnen werden
könnte. Der Inhalt der sozialen Revolution kann nur gewonnen werden aus
der Kritik der historisch-spezifischen Form der kapitalistischen
Vergesellschaftung, durch die Entwicklung radikaler Bedürfnisse und neuer
Fähigkeiten, die erst ermöglicht werden durch einen Entwicklungsstand der
Produktivkräfte auf dem Niveau eines vollständig entwickelten Kapitalismus.
Die Widergewinnung der elementaren Bedingungen für menschliche Existenz
verlangt dann neue, kommunistische Produktions- und Verkehrsverhältnisse.
Schaut man sich einen einzelnen Gebrauchswert, eine
einzelne konkrete Arbeit, ein einzelnes technisches Arbeitsmittel an, dann
sind diese oft ganz einer historisch-spezifischen Gesellschaftsformation
zugeordnet. Z. B.: Die römische Sklavenhaltergesellschaft konnte kein Auto
produzieren, die konkrete Arbeit etwa eines Energie-Anlagen-Elektronikers kam
nicht vor und computergesteuerte Werkzeugmaschinen ebenfalls nicht. All dies
gehört eindeutig dem Kapitalismus an, ist also von historisch-spezifischer
Qualität. Die Frage ist aber nun, macht das Kapital das Auto, den Computer
etc. oder machen Auto, Computer etc. das Kapital. Dahinter steckt die Frage
nach dem Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Die
Traditionsmarxistische Antwort ist klar: Nicht der einzelne
Gebrauchsgegenstand, die einzelne Arbeit oder das einzelne
Produktionsinstrument bringen das Kapital hervor, wohl aber der in der Summe
dieser Dinge zum Ausdruck kommende Entwicklungsstand der Produktivkraft
menschlicher Arbeit. Hier wieder das gleiche, denken wir an einen bestimmten
Entwicklungsstand der Produktivkräfte, dann gehört dieser ganz einer
historisch-spezifischen Gesellschaftsformation an. Benutzen wird den Begriff
der Produktivkräfte allgemein, so haben wir es wieder mit einer ontologischen
Kategorie zu tun, der für die ganze menschliche Geschichte Gültigkeit
beansprucht.
Wenn man den Begriff der „konkreten Arbeit“ allgemein
benutzt, nicht mit Bezug auf eine spezielle, einzelne Arbeit, sondern mit
Bezug auf die Summer aller konkreten Arbeiten, dann ist er deckungsgleich mit
dem Begriff der abstrakten Arbeit oder menschlichen Arbeit schlechthin. Folgen
wir Postone, dann gibt es nur ein entweder oder: entweder diese Kategorie ist
gesellschaftlich bestimmt oder physiologisch und damit natürlich ontologisch.
Beides kann seiner Meinung nicht sein. Und weil Marx eben eine Kritik des
Kapitals, der „Moderne“(???) geschrieben habe, würden alle ontologischen
Bezüge der Mystifikation des Kapitals Vorschub leisten, indem es als ewiges
Naturverhältnis erscheinen müsse.
Meiner Meinung nach kann aber das historisch-spezifische des Kapitals
überhaupt nicht als solches sozusagen monologisch entwickelt werden. Das
historisch-spezifische des Kapitals kann überhaupt nur im Dialog mit der
Ontologie des gesellschaftlichen Seins der Menschen begriffen werden. Es
bedarf der Abgrenzung, der ständigen Spannung zwischen diesen beiden Polen mit
denen wir es in jeder Gesellschaftsformation, auch der des Kapitalismus, zu
tun haben. Die Kritik der Politischen Ökonomie ist geprägt von dieser
Spannung., die Postone mit seiner Neuinterpretation gern aus der Kritik der
Politischen Ökonomie verbannen möchte, in dem er die „Basiskategorien“ „rein
entwickeln“ will. Die Kritik der Politischen Ökonomie konnte aber
überhaupt erst Gestalt annehmen, nach dem sich Marx und Engels über ihre
historisch-materialischen Grundanschauungen verständigt hatten. Der darin
gewonnene „Begriffsapparat“ blieb in der Kritik der Politischen Ökonomie
erhalten und wurde weiterentwickelt.
Der Kategorie der „abstrakten Arbeit“ kommt bei diesem
Spannungsverhältnis von Ontologie und historisch-spezifischer
Gesellschaftsformation eine Schlüsselrolle zu. Sie drückt zugleich eine uralte
Beziehung aus und wird doch erst praktisch wahr in der modernen bürgerlichen
Gesellschaft. (vergl. Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie in den
Grundrissen.)
Postone sagt, entweder oder, entweder physiologische Kategorie oder
gesellschaftliche. Beides geht nicht. Wieso eigentlich nicht? Ich flüchte erst
einmal in ein Beispiel:
Keine Frage, dass die Begriffe Mann und Frau, sowohl eine (uralte)
biologische, wie auch eine historisch-spezifische gesellschaftliche Bedeutung
haben. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind sowohl gesellschaftlich
(Patriarchat) als auch natürlich bestimmt. Die natürlichen Unterschiede von
Mann und Frau erklären nicht das soziale Verhältnis des Patriarchats, aber sie
erlangen im Patriarchat gesellschaftliche Bedeutung. Die Gebärfähigkeit der
Frau z.B. erklärt nicht die gesellschaftlichen Einschränkungen, denen Frauen
unterworfen sind, aber diese Einschränkungen werden u.a. mit Bezugnahme auf
diese Gebärfähigkeit gerechtfertigt.
Die produktiven Fähigkeiten des Menschen, sein lebendiges Arbeitsvermögen wie
dessen Betätigung gehören zu seinen natürlichen Begabungen, sind physiologisch
bestimmt. Die Anwendung, Nutzung dieses Arbeitsvermögens geschieht unter ganz
bestimmten gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, hängen also von
konkreten gesellschaftlichen Beziehung ab, die die Individuen bei der
Reproduktion ihres Lebens eingehen. Dass menschliche Arbeit Werte schafft und
Wertform (bis hin zum Geld) annimmt, liegt nicht an der Arbeit selbst, sondern
an den Produktionsverhältnisse unter denen sie verausgabt wird. In der
Wertform nimmt eine „Naturkraft“ gesellschaftliche Form an. Dies widerfährt
übrigens nicht nur der Betätigung des menschlichen Arbeitsvermögens, sondern
auch der Produktivkraft „Boden“, wenn seine unterschiedliche Fruchtbarkeit
sich in Differenzialrente niederschlägt. (vergl. Kapital Bd. III) Und
eigentlich geschieht es mit jedem Stückchen bearbeiteter Natur, das Ware wird.
Eigentlich müsste Postone auch hier ausrufen: eins geht nur, entweder
nützlicher Gebrauchsgegenstand oder Wert, beides geht nicht. Hier rettet er
sich dadurch, dass er den Gebrauchswert auch in seiner allgemeinen Bedeutung
als historisch-spezifische gesellschaftliche und nicht als ontologische
Kategorie interpretiert.
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die Natur Objekt der „Inwertsetzung“ ist
und das Natur nicht aufhört Natur zu sein, nur weil sie in Wert gesetzt ist.
Mit dem Widerspruch haben wir es in Ökonomie und Ökologie zu tun und die
Kritik der Politischen Ökonomie muss diesem Spannungsverhältnis Rechnung
tragen, will sie nicht in blutleeren Abstraktionen erstarren.
Abschließend hierzu : Abstrakte Arbeit ist nicht spezifische gesellschaftliche Form der Arbeit im
Kapitalismus, sondern zunächst bestimmt als formlose Substanz des Wertes. Der
Begriff der abstrakten Arbeit hat gerade das absehen von jeder spezifischen
Form der Arbeit zum Inhalt. Abstrakte Arbeit als Form ist ein Widerspruch in
sich.
Sie nimmt Gestalt an gerade nicht als Form von Arbeit, sondern als Form von
Wert, Wertform, letztlich Geld.
Die abstrakte Arbeit nimmt die Wertform nicht in der Produktion an sondern im
Austausch. Schon die elementare Wertform setzt mindestens das Verhältnis einer
Ware zu einer andern voraus, ein Verhältnis, dass so nur im Austausch und
nicht in der Produktion zustande kommen kann. Wertform ist nur ein anderer
Ausdruck für Tauschwert, dessen verselbständigter Ausdruck das Geld ist.
Geld ist spezifische Form der abstrakten Arbeit. Das die abstrakte Arbeit
nicht unvermittelt erscheint, also solche formlos ist, sondern uns nur in der
verdinglichten Form des Geldes begegnet, das ist eine wesentliche Besonderheit
und zugleich ein schwer zu durchschauendes Rätsel des Wertverhältnisses. Der
Versuch einer Rekonstruktion der Werttheorie (noch nicht Kapitaltheorie! wozu
später mehr), die diesen besondern Zusammenhang zwischen abstrakter Arbeit und
Geld, zwischen Wertform und Austausch nicht herausstreicht, gilt für mich als
von vornherein gescheitert.
Exkurs: Michael Heinrich ("Die
Wissenschaft vom Wert") und Postone
Die Wertformableitung bei Heinrich
ist grundsätzlich richtig,
aber er behandelt die einzelne Ware nicht als kapitalistische Ware in seinem
Feldzug gegen die Wertsubstanz, gegen die „abstrakte Arbeit“ als Äußerung
einer Naturkraft, die gesellschaftliche Eigenschaften erhält.
Die
Zirkulationsformel des Kapitals heißt G-W-G’. Während Marx bei seiner Analyse
der Ware immer schon unterstellt, dass ihr Erzeugung Geld gekostet hat, sie
also Träger von Wert (in einer vorausgegangenen Periode realisiertem Wert)
ist, ist davon bei Heinrich nicht die Rede. Die einzelne Ware ist bei ihm nur
noch Gebrauchswert, weil der Wert an ihr nicht erscheinen kann.
Tatsächlich
kann der Wert nicht an ihr erscheinen, sondern nur in ihrem Verhältnis zu
einer anderen Ware, bzw. allen anderen Waren, also im Austausch. Der
Umkehrschluss, dass sie deshalb, weil sie als solche keine
Wertgegenständlichkeit besitzt, kein Träger von Wert ist, ist jedoch falsch.
Wertgegenständlichkeit ist eine gesellschaftliche Eigenschaft, die sich im
Geld sozusagen materialisiert. Das Geld ist die gesellschaftliche Form der
abstrakten Arbeit, ihr gegenständlicher Ausdruck. Eine Ware, deren Produktion
Geld gekostet hat, ist also auch die Verkörperung einer bestimmten Menge von
abstrakter Arbeit, die in der Vergangenheit verausgabt wurde. Das eine
einzelne Ware Verkörperung vorausgegangener abstrakter Arbeit und damit Träger
von Wert ist, einer bestimmten Wertgröße, merkt der Produzent resp. Eigentümer
dieser Ware spätestens, wenn er diese Ware nicht verkaufen kann. Dann hat er
nämlich in doppeltem Sinne Verlust erlitten, er kann den zugesetzten Neuwert
nicht realisieren und er kann den in der Ware enthaltenen Altwert nicht
realisieren.
Was den Neuwert anbetrifft, so kann man natürlich sagen, das ist
überhaupt kein Wert gewesen, weil die Arbeitsproduktivität zu stark unter dem
gesellschaftlichen Durchschnitt gelegen hat. Der Altwert aber war ja bereits
realisierter Wert, Geld das der Produzent aus dem Verkauf von Waren erlöst und
besessen hat, und das eine bestimmte Wertgröße repräsentiert. (Geld, das aus
dem Verkauf von Waren stammt, ist immer realisierter Wert!
Der Begriff der
Wertrealisierung, die Unterscheiden zwischen der Produktion des Werts und
seiner Realisierung, macht bei Heinrich überhaupt keinen Sinn mehr, weshalb er
damit auch auf Kriegsfuß steht!) Dieser Wert kann jetzt nicht erhalten werden,
er wird vernichtet. Eine solche Wertvernichtung, Entwertung, kann aber bei
Heinrich überhaupt nicht passieren, weil die Wertgröße bei ihm überhaupt nur
in Betracht kommt beim Übergang von W zu G’. Die Metamorphose von G zu W wird
bei ihm ausgeblendet Seine Analyse der Ware ist die Analyse einer Ware, deren
Produktion kein Geld gekostet hat, also einer nicht kapitalistisch erzeugten Ware.
Gerade eine „monetäre Werttheorie“ verlangt das Festhalten am Marxschen
Begriff der Wertsubstanz. Sonst macht auch der ganze Begriff der Verwertung
von Wert keinen Sinn mehr, der unterstellt, dass der Wert Ausgangs- und
Endpunkt der Kapitalreproduktion ist. Um sich verwerten zu können und indem er
sich verwertet, muss der Wert, nämlich eine gestimmte Größe desselben, sich
erhalten. Innerhalb seiner Metamorphose unterstellt das, dass die einzelne
Ware Träger von Wert wird. Eine monetäre Werttheorie, die das nicht
berücksichtigt, kann kein integraler Bestandteil der Kapitalkritik mehr sein.
Man wird sehen, dass Heinrich Ausführungen zur einzelnen Ware, seine Ablehnung
eines „substantialistischen Wertbegriffs“, weitreichende Auswirkungen auf
seine Kapitalkritik hat (vor allem die Akkumulationstheorie und die damit
verbundene Theorie vom Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hat,
sowie Krisen- und Zusammenbruchstheorie). Seine Ablehnung eines
„naturalistischen Arbeitsbegriffs“ als Wertsubstanz, seine Vorstellung davon,
dass „abstrakte Arbeit“ nicht zugleich „naturalistisch“ und gesellschaftlich
bestimmt sein kann, sein Unverständnis dafür, dass im Geld eine Naturkraft
eine historisch-spezifische gesellschaftlich Form annimmt, verbindet ihn mit
Postone. Seine Ausführungen zur Wertform und zum Geld und seine Focussierung
auf den Austausch, das unterscheidet ihn von Postone.
II
Was ja unseren „Wertkritikern“ und Rekonstrukteuren von
Basiskategorien in ihrer Reinheit allenthalben abhanden gekommen ist, das sind
die folgenden grundlegenden Fragestellungen:
- Historisch-spezifische gesellschaftliche Form ... von
was?
- Verdinglichung ... von was?
Alle diese Begriffe verweisen auf etwas zugrunde liegendes anderes, eine
Substanz die geformt wird, etwas konkretes von dem abstrahiert wird etc..
In der Ware wird Naturstoff zu einem Gegenstand, der ein beliebiges
menschliches Bedürfnis befriedigt und dieser Gebrauchsgegenstand erhält
zugleich eine spezifische gesellschaftliche Form.
In der Verdinglichung erhalten zugrunde liegende soziale Beziehung, die
Menschen bei der Reproduktion ihres Lebens eingehen, eine (wert-)gegenständliche
Form und treten ihnen als solche sinnlich fassbar und als fremde,
beherrschende Mächte gegenüber. Wert und Kapital sind Ausdrücke für die
verdinglichte Hülle, die sich über zugrundeliegenden Produktionsverhältnisse
(unabhängig von einander verausgabte Privatarbeiten, Ausschluss der großen
Mehr vom Besitz an Produktionsmitteln, Kommando der Produktionsmittelbesitzer
und ihre Offizieren und Unteroffiziere über fremde Arbeitskraft) stülpt.
Das aller menschlichen Gesellschaft gemeinsame erhält eine spezifische Form,
hier und heute Wert- und Kapitalform. Die Beziehungen, die Menschen bei der
Reproduktion ihres Lebens eingehen (welche bitte schön sind das? Schweigen im
Walde der Wertkritik, weil Produktionsverhältnisse bei Ihnen nicht vorkommen,
es sei denn wieder in der erst aus ihnen abzuleitenden Form der Abstraktionen
Wert und manchmal sogar Kapital!) werden verdinglicht, Das Konkrete wird mit
dem Abstrakten konfrontiert, was nicht mehr bloß gedankliche Abstraktion
bedeutet, sondern reale Abstraktion, die Gestalt annimmt, gegenständlich wird.
Das Begreifen dieser historisch besonderen Form, die Herausarbeitung der
Besonderheiten, verlangt den Bezug auf das Ontologische, kann ohne diesen
Bezug nicht gelingen bzw. erschöpft sich in der ständigen Widerholung des
Hinweises darauf, das die Formen historisch-spezifisch seien und eben nicht
allgemein und unvergänglich. Eine wichtige Erkenntnis, in der sich aber die
Kritik der Politischen Ökonomie nicht erschöpft und nicht erschöpfen kann!
Die Kritik der Politischen Ökonomie kommt ohne Begriffe, die das ontologische,
natürliche, konkrete erfassen überhaupt nicht aus. Die Kategorien „in ihrer
Reinheit“ erklären nichts, sondern sind blutleere Abstraktionen, hinter denen
die menschliche Gesellschaft, die Subjekte verschwinden oder aber selbst
wieder nur als Abstraktionen gefasst sind. Von daher muss auch alles
systematisch ausgeblendet werden, was diese Subjekte als Individuen so treiben
und nicht unmittelbar aus den Kategorien „in ihrer Reinheit“ ableitbar ist.
Der Wert wird nicht nur zur Form von Natur, er bricht sich auch an bestimmten
natürlichen Schranken, z.B. die absolute Mehrwertproduktion. Zum Überleben
muss mensch nicht nur ein Minimum an Nahrung aufnehmen, was Zeit und Aktivität
in Anspruch nimmt, mensch muss auch eine bestimmte Anzahl Stunden schlafen.
Das viele Menschen nachts arbeiten müssen und tags über schlafen, ist ganz
typisch für den Kapitalismus, aber dass sie schlafen müssen mit Sicherheit
nicht.
Wenn wir die Nachtarbeit kritisieren und abschaffen wollen, dann geschieht die
Kritik an dieser extremen Art von Mehrwertproduktion unter Bezugnahme darauf,
dass sie gesundheitsschädlich ist, soziale Beziehungen und den Körper
ruinieren (Biorhythmus). Wie soll man diese historisch-spezifische Form der
Mehrwertproduktion kennzeichnen und kritisieren, ohne Bezugnahme auf die Natur
des Menschen? Wie soll man das asoziale dieser Art der Mehrwertproduktion
fassen, ohne ontologische Kategorien zu benutzen?
Die menschliche Arbeitskraft ist ein Stück Natur, natürliches Vermögen der
Menschen. Im Kapitalismus nimmt dieses natürliche Vermögen die Form einer Ware
an, Ware Arbeitskraft und wird entsprechend ausgebildet und zugerichtet. Man
kann das historisch besondere der Ware Arbeitskraft nicht erfassen, ohne einen
Begriff von der Arbeitskraft als natürlichem Vermögen zu haben. Der Begriff
von der menschlichen Arbeitskraft als natürlichem Vermögen ist eben eine
ontologische Kategorie. Die Arbeitskraft als Ware bleibt natürliches Vermögen,
ein Stück Natur in bestimmter gesellschaftlicher Form.
Nein, man muss nur möglichst oft sagen, dass die Herrschaft abstrakt sei, dass
der Wert eben Mensch und Natur vernutzt ... usw. Der Gipfel der Erkenntnis ist
immer, dass da etwas abstrakt, verdinglicht, entfremdet und somit
historisch-spezifische gesellschaftliche Form ist. Damit habe ich das Übel
beim Namen genannt und auch gleich benannt, was zu beseitigen ist, die
abstrakte Herrschaft ... die Verdinglichung etc. pp. Was da verdinglicht ist,
etc. interessiert eigentlich nicht mehr, und damit bleibt das soziale
Grundübel der „modernen Gesellschaft“, aus dem sich abstrakte Herrschaft,
Verdinglichung etc. ableiten, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als
soziale Beziehungen der Individuen zueinander, ausgeblendet, nebulös! Die
Verdinglichungen erscheinen ihnen bereits als die Beziehungen selbst und das
Abstrakte ist immer auch gleich das Konkrete! Das
Abstrakte (vor allem abstrakte Arbeit) ist aber nur in seiner
Wertgegenständlichkeit konkret und steht in dieser Gegenständlichkeit den
Menschen als sie beherrschende, fremde Macht gegenüber, auch wenn wir
Unglücklichen diese besondere Art unserer Gesellschaftlichkeit in Gestalt des
Geldes in der Tasche mit uns herumschleppen! Die verallgemeinerte
Wertgegenständlichkeit unserer Arbeitsprodukte erwächst aus den
Produktionsverhältnissen, also sozialen Beziehungen und wirkt auf sie zurück,
wodurch sich die Produktionsverhältnisse reproduzieren. Die Menschen
reproduzieren mit ihrer Arbeit nicht nur sich selbst sondern auch diese
antagonistischen Produktionsverhältnisse, das Kapital. Mehr noch, sie können
sich nur reproduzieren, indem sie das Kapital reproduzieren. Leisten sie das
nicht, schafft ihre Lohnarbeit keinen Mehrwert, dann ist es auch mit ihrer
eigenen Reproduktion Essig in dieser famosen „modernen Gesellschaft“.
III.
Weil den Menschen ihre eigene Gesellschaftlichkeit als
gegenständliche, fremde Macht (Geld) gegenübertritt und als sie äußerer,
abstrakter Sachzwang beherrscht (Markt) haben sie den Begriff von
Gesellschaft, ihrer eigenen Gesellschaftlichkeit verloren, besser gesagt ist
ihnen das grundlegende Verständnis für tatsächliche Reproduktionszusammenhänge
abhanden gekommen. Sie können Gesellschaft nicht mehr als Ganzes denken, sind
vereinzelte Einzelne und denken und handeln als solche. Jede Diskussion mit
„Otto Normal“ zeigt mir, dass kein Verständnis grundlegender
gesellschaftlicher Zusammenhänge da ist, das die Individuen ganz in der
Planung ihrer individuellen Lebensentwürfe aufgehen, Gesellschaft nur als
fremde, unfassbar abstrakte Macht empfinden, die ihnen vorgegeben,
aufgezwungen ist, als ein Verhängnis über ihnen existiert und die sie nicht
ändern können.
Mensch kann dieses grundlegende Verständnis nur wieder erlangen, durch
Besinnung auf die Ontologie des gesellschaftlichen Seins. (ich relativiere
also meine Aussage, wonach die Ontologie nicht der Bezugspunkt für soziale
Emanzipation sein kann)
Gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge müssen als ontologische gedacht werden,
um überhaupt wieder eine Vorstellung von Gesellschaft als Ganzem - in jedem
einzelnen muss dieses Verständnis des gesellschaftlichen Ganzen vorhanden
sein, um gesamtgesellschaftliche Reproduktion mit Willen und Bewusstsein der
assoziierten Individuen gestalten zu können - nicht fremde Macht, als
elementare Gesellschaftlichkeit der Menschen, zu besitzen. Das ist ganz
wesentlich für die Kritik. Eine Gesellschaft ohne Geld und Markt wird nur
vorstellbar über die Aneignung ontologischer Kategorien gesellschaftlicher
Reproduktion, weil die neuen, anderen Formen jenseits des Kapitals ja nicht da
sind. Das ontologische Verständnis von gesellschaftlicher Reproduktion, die
Rückbesinnung auf Zusammenhänge, die in jeder menschlichen Gesellschaft
hergestellt werden, ist sozusagen die Basis für modernes gesellschaftliches
Bewusstsein überhaupt. Wer das nicht hat, kann eine gesellschaftliche
Reproduktion jenseits des Kapitals nicht einmal im Ansatz richtig denken. Die
Inhalte der sozialen Emanzipation können nur gefunden werden, aus der Kritik
der historisch-besonderen Form der kapitalistischen Produktionsweise, aber dem
muss ein ontologisches Verständnis gesellschaftlicher Reproduktion als Ganzem
zu Grunde liegen. Mit der Kritik des Kapitals arbeitet Marx zugleich
wesentliche Momente allgemein menschlicher, gesellschaftlicher Reproduktion
heraus. Besonders eindrücklich geschieht dies in den Abschnitten über Arbeits-
und Verwertungsprozess im Kapital 1 und in seiner Reproduktionstheorie in
Kapital Bd 2.
Editorische Anmerkungen:
Robert Schlosser
schickte uns seinen Text zur Veröffentlichung am 31.5.2004 mit dem
ausdrücklichen Hinweis, dass es sich hier um erste "Skizzen" über den
Zusammenhang von Ontologie und Kritik der Politischen Ökonomie handelt.
*) Gemeint ist Moishe
Postones Buch: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, Eine neue
Interpretation der kritischen Theorie von Marx, Freiburg 2003
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