Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 46-47 [z18surfe.htm]


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Vollzeit-Surfer

Wie die Nicht-Arbeit die Produktivität erhöht

In den 80er Jahren haben wir mehrfach darauf hingewiesen, daß der lockere Bezug von Arbeitslosenhilfe und Sozi in der BRD auch dem Zweck dient, ein politisch radikales Potential aus den Fabriken fernzuhalten; daß daher das massive Benutzen der Sozialleistungen zwar die ungebrochene Verweigerung der Arbeit anzeigt, aber kein revolutionärer Weg sein kann.

»Der Sozialstaat der BRD wirkt also durchaus politisch stabilisierend: er gibt den Leuten, die die Arbeit am massivsten verweigern oder oppositionelle Vorstellungen transportieren, ein relativ hohes Einkommen und verhindert damit, daß sie zu politischen Faktoren in den Sphären der alltäglichen Ausbeutung, des massenhaften Elends werden könnten. Nach den großen Auseinandersetzungen in Wackersdorf gab es den Vorschlag, die Festgenommenen auf den Bezug von Arbeitslosenknete hin zu überprüfen. Ihnen sollte dann wegen der Demobeteiligung (»Nichtvermittelbarkeit«) eine Sperrzeit reingedrückt werden. Dieser Vorschlag ist nicht weiter verfolgt worden, schließlich hält sich der Staat mit der Finanzierung dieser »Chaoten« (an anderer Stelle) den Rücken frei!« (aus dem Artikel zum Häuserkampf in Wildcat 42, 1987)

Die These des gezielten Fernhaltens des renitenten Potentials aus den Fabriken wurde von vielen als die übliche Konspirationsmacke der Wildcat weggesteckt. Umso interessanter, daß Ökonomen diese Wirkung eines Mindesteinkommen ernsthaft diskutieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Franz Haslinger diskutiert in einem Aufsatz ernsthaft die Frage: »Soll man 'Surfern' ein Garantieeinkommen bezahlen?« [1]

Einleitend weist er daraufhin, daß Anfang der 70er Jahre in Hawaii darüber gestritten wurde, ob es moralisch vertretbar sei, den Hippies soziale Unterstützung zu gewähren und ihnen damit ein Leben ohne Arbeit zu ermöglichen, bei dem sie den ganzen Tag lang surfen können. Bis auf einen belgischen Moralphilosophen hätten dies alle verneint, Haslinger will die Frage aber rein ökonomisch behandeln: »Im folgenden wird anhand eines einfachen Modells gezeigt, daß es nicht nur wirtschaftlich möglich ist, Garantieeinkommen zu bezahlen, sondern daß es ab einem hohen Entwicklungsniveau auch gesellschaftlich durchaus effizient sein kann, dies zu tun.«

In seinem Modell geht er von der Annahme aus, daß die Produktivität der Arbeit gesteigert wird, wenn hochqualifizierte und -motivierte Arbeitskräfte entweder innerhalb eines Unternehmens oder durch die regionale Konzentration einer Branche eng zusammenarbeiten. Was umgekehrt bedeutet, daß durch die Anwesenheit von unmotivierten, zwangsweise in die Produktion eingebundenen Surfern die Produktivität sinkt. Um das Ausmaß dieses Effekts berechnen zu können, stellt er eine beeindruckende Formel auf, in der u.a. ein »Produktivitätseffekt, der von den durchschnittlichen Fähigkeiten und der durchschnittlichen Arbeitskraft eines Arbeiters auf die anderen Arbeiter des Unternehmens ausstrahlt« auftaucht. Der negative Effekt der Anwesenheit von Surfern in der Produktion wird nach dieser Formel um so größer sein, je höher das technologische und Produktivitätsniveau einer Gesellschaft ist. Der Wettbewerbslohn des Surfers würde aber nicht in dem selben Maße sinken. Letztendlich gelangt er zu der Schlußfolgerung: »Ist das technische Niveau hinlänglich hoch, dann ist es für die Gesellschaft besser, den Surfern ein Garantieeinkommen dafür zu zahlen, daß sie sich nicht mehr am Arbeitsprozeß beteiligen. Indem man die Surfer von der Produktion fernhält, kann das Pro-Kopf-Einkommen erhöht werden, da deren negative Auswirkungen auf die durchschnittliche Arbeitsproduktivität der Gesellschaft eliminiert werden.«

Er nennt es trotz der komplizierten Formeln ein »einfaches Modell«, weil er einen Idealzustand voraussetzt, damit seine Rechnungen aufgehen: In der Gesellschaft gibt es nur zwei Menschensorten, »Fleißige« und »Surfer«, die sich ohne Mühe - also auch ohne Kontrollprobleme und Kontrollkosten - unterscheiden lassen; die Zahl der Surfer darf nicht zu groß sein; und Surfer bleiben unter sich, sie können die Fleißigen nicht anstecken (im übrigen wird die Bevölkerung und ihre Verteilung konstant gehalten, die Kinder der Surfer werden wieder Surfer, die der Fleißigen wieder Fleißige).

Daß das nicht geht, daß das faktische Mindesteinkommen in den 80er Jahren und seine Versatzstücke in den 90ern nur eine Verzögerung der weiteren Verbreitung des Virus bewirken können, haben die Midnight Notes an Maxwells Dämon demonstriert (s. TheKla 12, S. 82ff.), der daran scheitert, daß Information auch Arbeit ist. Haslinger weiß das ebenso, wenn er zu der idealen Annahme der kostenlosen Unterscheidbarkeit zwischen Surfern und Fleißigen schreibt, daß damit »die praktisch so wichtigen (!) Informations- und Kontrollprobleme ausgeschlossen wurden«.


Fußnoten:

[1] Franz Haslinger, Soll man "Surfern" ein Garantieeinkommen bezahlen?, in: Jürgen Wahl (Hrsg.), Sozialpolitik in der ökonomischen Diskussion, Metropolis-Verlag, Marburg, 1994, S. 201-209.


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