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Reihe Revolutionstheorie Revisited

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+++freundinnen und freunde der klassenlosen Gesellschaft+++

Veranstaltungen & Seminare Sommer/Herbst 2005

Revolutionstheorien Revisited

Seit der Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft wieder ungemilderter herrscht, kreisen auch Diskussionen und Praxisversuche der Linken in Deutschland vermehrt um die Zumutungen der kapitalistischen Produktionsweise und den Widerstand der Lohnabhängigen. Bis ins linksgewerkschaftliche und globalisierungskritische Milieu wird dabei beteuert, nicht ins vermeintlich goldene Zeitalter des Nachkriegskapitalismus zurück zu wollen – um dann ohne Umstände dazu überzugehen, den Kampf für „soziale Rechte“ oder gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen einzufordern. Solche Mobilisierungsversuche bleiben unrettbar in die verkehrten Verhältnisse verstrickt, da sie den Staat stillschweigend als soziale Versorgungseinrichtung voraussetzen und jede Kritik der Produktionsverhältnisse von vornherein vermeiden.

Die Parole „Kapitalismus abschaffen!“ wiederum, die radikaler Gestimmte vor sich hertragen, bleibt meist vage und abstrakt. Man protestiert gegen die Treffen von Wirtschaftseliten oder ruft zum „Agenturschluß“ auf, wie man an anderen Tagen den Nazis entgegentritt. So erscheint Kapitalismus nur als „System“, dem rebellische Individuen gegenüberstehen, nicht als gesellschaftliches Verhältnis – also als bestimmte Art und Weise, in der die Menschen sich in ihrer ökonomischen Reproduktion aufeinander beziehen: „Die traditionelle Kritik von Sozialdemokraten und Kommunisten war eine halbe Kritik. Sie blieb beim Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, Besitzenden und Besitzlosen stehen. Das Privateigentum trennt aber auch die Besitzenden, d.h. auch die Betriebe und die Belegschaften, voneinander, und – das Wichtigste – das Privateigentum (bzw. der Austausch unter Privateigentümern) zwingt den Produkten Wertform auf und hat das Geld hervorgebracht. Es sind diese verselbständigten Formen gesellschaftlicher Arbeitszeit, die als 'Sachzwänge' die Menschen beherrschen, die Verwertung des Werts, die Anhäufung privater Verfügung über gesellschaftliche Arbeitszeit zum Selbstzweck erheben und als Naturbedingung der Produktion erscheinen lassen. In diesen verselbständigten und gesellschaftlich respektierten Zwängen liegt der 'Terror der Ökonomie' begründet, nicht in den Charaktermasken, die diese Zwänge exekutieren.“ (Werner Imhof, Thesen zur Aufhebung der Warenproduktion)

Weil sich die Verwertung des Werts als Kommando über fremde Arbeitskraft geltend macht und nur von dieser aus den Angeln gehoben werden kann, bleiben Klassenkämpfe notwendiger Ausgangspunkt für alle Bemühungen, die alte Welt hinter sich zu lassen. Selbst der wilde Streik bei Opel im vergangenen Herbst, der nur den Erhalt von Arbeitsplätzen erreichen sollte, läßt etwas von den Möglichkeiten erahnen, die sich mit der autonomen Assoziation der Lohnabhängigen eröffnen. Daß den Proletarisierten hier und heute subversive Bestrebungen fast vollständig abgehen, muß nicht das letzte Wort bleiben; schon gar nicht hilft es weiter, diesen Zustand in einen Fortschritt umzudichten, der endlich über den „Arbeiterbewegungsmarxismus“ hinaus führe, wie sogenannte „Wertkritiker“ seit einigen Jahren erklären. Die Geschichte proletarischer Emanzipationsversuche erschöpft sich nicht in Sozialdemokratie und Marxismus-Leninismus. Im Weltbild der „Wertkritik“ wird das Kapital zum Subjekt von eigenen Gnaden und die Klasse der Lohnarbeiterinnen auf ihren subalternen Zustand festgenagelt, wo doch zum Begriff der Klasse wesentlich zählt, was sie – wider den tagtäglichen Zwang der Verhältnisse – werden kann.

Bereits in den 50er Jahren machte die Nachricht von der unwiderruflichen Integration der Arbeiterklasse in Europa die Runde, allerdings nur, um in den Kämpfen ab 1968 ein weiteres mal dementiert zu werden. Zwei mit diesen Kämpfen verbundene Strömungen markieren bis heute Höhepunkte des Versuchs, die soziale Revolution im hochentwickelten Kapitalismus neu zu erfinden: der italienische Operaismus und die Situationistische Internationale (1957-1972). Beide bemerkten, wie sich die Organisationen der Arbeiterbewegung in Stützen der herrschenden Ordnung verwandelt hatten, indem sie die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihrem Dasein als Lohnabhängige fixierten.

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Für die Operaisten galt es, den alltäglichen Konflikten nachzugehen, die sich unweigerlich aus der kapitalistischen Organisation des Arbeitsprozesses ergeben, und sich auf diesem Wege der real existierenden Klasse jenseits ihres Ausdrucks in staatstragenden Organisationen zuzuwenden. So wurde die Politik aus den Parlamenten, in denen sich Sozialisten und KP herumtrieben, in die Fabrikhallen zurückgeholt, allerdings gerade durch eine Kritik der Gewerkschaften, die am Arbeitsalltag überhaupt nichts auszusetzen hatten. Die allgemeine Erhöhung des Lohnniveaus, hieß es in der Zeitschrift Quaderni Rossi, garantiere „für sich genommen keineswegs die Systemüberwindung, sondern lediglich 'goldenere Fesseln' für die gesamte Arbeiterklasse.“ Vielmehr erfordere die freie geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen „die tiefgreifende Veränderung der Arbeitsbedingungen, die Abschaffung der Lohnarbeit und die 'gesellschaftliche Regelung des Arbeitsprozesses'.“

Ausschau haltend nach den praktischen Voraussetzungen eines revolutionären Prozesses legten die Operaisten den Antagonismus in der Sphäre der Produktion wieder frei. Sie räumten mit dem Mythos von der Neutralität der Maschinerie auf, in der sich vielmehr der Zweck materialisiert, die Arbeitskraft maximal zu vernutzen. Entsprechend sahen sie in der Insubordination und der Verweigerung der Arbeiterinnen eine permanente Bedrohung des Kapitals. Aus dieser Perspektive muß die Aneignung der Produktionsmittel zunächst eben dieses negative Ziel verfolgen: Den Verwertungsgang des Kapitals zum Erliegen zu bringen. Die Frage, wie sich aus dem Streik der organisierte Bruch mit den Verhältnissen entwickeln kann, war damit noch nicht beantwortet.

Leider wich im Laufe der Zeit der offene und suchende Gestus des frühen Operaismus schematischen Vorstellungen. Weil die treibende Kraft in den mittlerweile entflammten Fabrikkämpfen ungelernte Arbeiter waren, stilisierten spätere Operaisten den „Massenarbeiter“ zum rebellischen Subjekt schlechthin, dessen Aufsässigkeit sich in möglichst dreisten Lohnforderungen ausdrücke. Die Kämpfe verendeten schließlich selbst in der tiefen Krise, in die sie den italienischen Kapitalismus gestürzt hatten.

Während der Operaismus selten einen Blick über die Fabriktore hinaus warf, registrierten die Situationisten, wie sich der Spätkapitalismus als alles durchdringende Gesellschaft des Spektakels darstellte. Ihre radikale Kritik des Alltagslebens galt den voneinander abgetrennten gesellschaftlichen Sphären – der Kunst als „Star-Ware“, der Universität als Stätte der Ideologieproduktion, der Tristesse namens Freizeit und den verödeten Städten. Praktisch zu vollstrecken schien ihnen diese Kritik jedoch nicht durch eine Pluralität von Teilbereichsbewegungen, sondern nur durch die Macht der Räte.

Die Rezeption des Rätekommunismus befähigte die Situationisten, die Linken ihrer Zeit fast ausnahmslos als Anhänger von Scheinrevolutionen bloßzustellen, ob es sich um Parteigänger der Sowjetunion oder Chinas, von Fidel oder Ho Chi Minh handelte. Gleichzeitig setzten sie sich von der Vorstellung ab, die Arbeiterinnen hätten das Bestehende lediglich in eigene Regie zu nehmen und es ließen sich die überlieferten ökonomischen Formen alternativ gebrauchen: „Es genügt nicht, für die abstrakte Macht der Arbeiterräte zu sein, sondern es gilt ihre konkrete Bedeutung aufzuzeigen: die Abschaffung der Warenproduktion und folglich des Proletariats. (...) Die Selbstverwaltung der Warenentfremdung würde aus allen Menschen bloße Programmierer ihres eigenen Überlebens machen: die Quadratur des Kreises. Folglich wird die Aufgabe der Arbeiterräte nicht die Selbstverwaltung der bestehenden Welt, sondern ihre ununterbrochene, qualitative Umwandlung sein: die konkrete Aufhebung der Ware (als gigantische Umlenkung der Produktion des Menschen durch sich selbst).“ In den sozialen Kämpfen und Aufständen ihrer Zeit von Japan über die USA bis nach Algerien erkannten die Situationisten Vorboten einer Verwirklichung dieses Projekts, das schließlich im Pariser Mai 1968 seinen avanciertesten Ausdruck fand: Überall lehnten sich die Proletarisierten, ob studierend oder lohnarbeitend, gegen die ihnen zugedachten Funktionen auf und erforschten praktisch die Möglichkeiten eines anderen Lebens, die der hochentwickelte Kapitalismus unwillentlich hatte entstehen lassen. Doch die mehr als zehn Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich im wilden Generalstreik befanden und ihre Betriebe besetzt hatten, überließen am Ende Gewerkschaften und KP die Initiative und besiegelten damit ihre Niederlage.

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Sicherlich haben sich die Ausgangsbedingungen für Klassenkämpfe in den westlichen Metropolen seitdem verändert. Unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit verschärft sich die Konkurrenz unter den Lohnarbeiterinnen, aus Gewerkschaften, die sich mit Lohnerhöhungen zufrieden geben, sind Co-Manager des Verzichts geworden, und das Schlagwort Prekarisierung trifft all seinen Fallstricken zum Trotz etwas an der gegenwärtigen Situation.

Es kann allerdings den Akademikern überlassen bleiben, alle paar Jahre eine vollkommen neue Gesellschaft zu entdecken und je nach Gusto den „Postfordismus“, die „Informationsgesellschaft“ oder das „Empire“ auszurufen. Statt dessen wäre im Sinne des Operaismus zu untersuchen, wie sich die Zusammensetzung der Arbeiterinnenklasse verändert hat, auch durch ihre Kämpfe. Im Unterschied zu soziologischen Studien, die positivistisch am Bestehenden kleben, gilt es dabei nach den Möglichkeiten der Selbstaufhebung des Proletariats zu fragen. Was das heißt, worin die Aktualität situationistischer Kritik und der Gebrauchswert operaistischer Theorie bestehen, soll in den kommenden Monaten in einer Reihe von Veranstaltungen und Seminaren diskutiert werden.

Kontakt zur Veranstaltungsgruppe: revolutionstheorie@hotmail.de

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