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[Wertkritik] Fetisch

Wolfram Pfreundschuh wolfram at pfreundschuh.de
Mon Sep 25 09:44:18 CEST 2006


Am 17.09.2006 um 14:47 schrieb Eberhard Schmidt:

> Die Wertkritik orientiert sich eigentlich immer noch an einem  
> klassischen Wissenschaftsideal, das auf der Ausschaltung des  
> Subjekts aus dem Akt der Erkenntnis beruht. Dadurch ist Wertkritik  
> nichts anderes als eine Spielart des Positivismus und bedeutet die  
> Umkehrung der zentralen Aussage der "Dialektik der Aufklärung". Für  
> die Wertkritik gilt in Sachen des "Fetisches", daß sie lernen muß  
> mit Adorno in kleineren Begriffen zu denken.

Aus dem kulturkritischen Lexikon:

"Das Verhängnis der Wertkritik war und ist, dass sie aus dem  
Kapitalismus selbst eine Ideologie machen wollte, den Wert als  
abstrakt menschliche Arbeit selbst wie eine Vorstellung ansah, die  
sich unmittelbar als falsches Bewusstsein verwirklichen würde, mit  
Warenfetischismus gleich wäre, und an sich lediglich verbrannte  
Energie sei. Hierdurch hat sich die Wertkritik der grundlegenden  
Erkenntnis von Marx entzogen, dass der Wert erst als  
gesellschaftliche Reduktion aller Arbeit auf eine durchschnittliche  
Arbeitszeit sich praktisch im Warentausch durchsetzt und erst im  
Verhältnis von Sachquantitäten wirklich wird. Dies war nötig, um  
einen begrifflichen Fehler von Adorno und anderen fortzusetzen,  
welche den Warenfetischismus lediglich als „Verdinglichung“ eines  
menschlichen Verhältnisses, als Versachlichung der Menschen und nicht  
zugleich auch als wirkliche Vermenschlichung der Sache, als  
Wirklichkeit eines sachlichen Verhältnisses erkannten, in welchem die  
Sache selbst erst zur Form menschlicher Gesellschaft werden kann,  
weil und solange sie als Arbeitsprodukt Ware ist. Dass sie  
menschlicher Arbeit entspringt und selbst in solcher  
gesellschaftlichen Form dies verwirklicht, macht sowohl ihre  
Überhebung und Macht in der Geldform aus, wie sie auch das Potenzial  
für die Menschen darstellt, mit der Überwindung der Wertform zu einer  
wirklich menschlichen Gesellschaft zu gelangen, zu einer  
Gesellschaft, worin die Bedürfnisse der Menschen den Inhalt ihrer  
Arbeit und die Form ihrer Gesellschaft bestimmen.
Indem Arbeit selbst mit abstrakt menschlicher Arbeit identifiziert  
und unmittelbar als Kapitalform verstanden wurde, konnte die  
Wertkritik zu einem Steckenpferd von Adornisten werden, die lediglich  
die Ästhetik einer Gesellschaft im Sinn, im Grunde nur  
Ideologiekritik, nicht aber Gesellschaftskritik nötig haben. Es geht  
dann darum, Gesellschaft als Kunstform zu verwirkllichen, in welcher  
die ästhetische Sehnsucht, welche im Bürgertum entsteht, auch  
wirklich aufgeht, nicht als Form einer Naturmacht, welche ihre  
menschliche Form erst noch finden muss, indem sie Klassenkämpfe  
unnötig macht. In solche Kritik wird folgerichtig auch nicht zwischen  
Ideologiekritik und Politik unterschieden und der Arbeitsbegriff von  
Marx, der sich zugleich gegen Arbeitsideologie wandte, als doppeltes  
Arbeitsverständnis, als „doppelter Marx“ aufgenommen. Marx hatte sich  
sowohl in seinen Frühschriften wie in seinen späteren Ausführungen im  
Kapital und anderswo (z.B. „Kritik des Gothaer Programms“) eindeutig  
in seinem Arbeitsverständnis artikuliert, indem er Arbeit und  
Bedürfnis als geschichtliche Voraussetzung seiner Theorie, als  
Grundlage des historischen Materialismus ansah. Wenn er sich gegen  
Arbeitsideologie aussprach und eine Tendenz in der  
Menschheitsgeschichte erkannte, durch welche der menschliche  
Arbeitsaufwand sich mit der Entwicklung der Technologie der  
Produktionsmittel, durch die Entfaltung menschlicher Naturmächtigkeit  
minderte, so macht das keinen Widerspruch der Marxschen Theori. Es  
ist im Gegenteil der Beweis ihrer Wahrheit, dass der Kapitalismus  
eine zunehmend anachronistische Form gesellschaftlicher Arbeit ist,  
und sich dem Fortschritt der Menschen in den Weg stellt. Dieser  
besteht auch in der Minimierung des Arbeitsaufwandes, wie es schon  
der Kapitalismus seiner eigenen Logik folgend, einrichten muss. Aber  
er verhindert zugleich die hieraus folgende Optimierung des  
menschlichen Lebensstandards, ein Leben voller Bedürfnisse und  
Arbeit, die einander im historischen Prozess ständig erneuern, wenn  
sie als Momente des menschlichern Lebens begriffen sind und als  
gesellschaftliche Lebensäußerung vollzogen werden.
Die Argumentationsschwächen des Marxismus, besonders was die  
„Diktatur des Proletariats“ betraf, wurden daher von der Wertkritik  
gar nicht bearbeitet. Stattdessen verstand man sich in der Bemühung  
um eine „Reformulierung“ der Marxsche Theorie, was nichts anderes war  
als eine Bemühung, ihre grundlegenden Aussagen mit denen von Adorno  
in Einklang zu bringen und dahin zu verfälschen, zu einer  
Kulturkritik, die lediglich Ideologiekritik bleibt. Die damit  
betriebende Gleichsetzung und Verwechslung von ideologiekritischer  
und politischer Argumentation hindert die Wertkritik daran, mit ihren  
oft zutreffenden Beschreibungen der ästhetischen und kulturellen  
Erscheinungsformen des globalen Kapitalismus über ihn hinauszukommen  
und zu einem wirklichen Verhalten hiergegen zu kommen. Um die  
Aufhebung kapitalistischer Wirklichkeit kann es ihr aber auch gar  
nicht mehr gehen, ist sie doch schon durch sich selbst hiervon  
enthoben."

Wolfram Pfreundschuh


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