http://listi.jpberlin.de/pipermail/wertkritik/Week-of-Mon-20060925/002177.html
Am 17.09.2006 um 14:47 schrieb Eberhard Schmidt: > Die Wertkritik orientiert sich eigentlich immer noch an einem > klassischen Wissenschaftsideal, das auf der Ausschaltung des > Subjekts aus dem Akt der Erkenntnis beruht. Dadurch ist Wertkritik > nichts anderes als eine Spielart des Positivismus und bedeutet die > Umkehrung der zentralen Aussage der "Dialektik der Aufklärung". Für > die Wertkritik gilt in Sachen des "Fetisches", daß sie lernen muß > mit Adorno in kleineren Begriffen zu denken. Aus dem kulturkritischen Lexikon: "Das Verhängnis der Wertkritik war und ist, dass sie aus dem Kapitalismus selbst eine Ideologie machen wollte, den Wert als abstrakt menschliche Arbeit selbst wie eine Vorstellung ansah, die sich unmittelbar als falsches Bewusstsein verwirklichen würde, mit Warenfetischismus gleich wäre, und an sich lediglich verbrannte Energie sei. Hierdurch hat sich die Wertkritik der grundlegenden Erkenntnis von Marx entzogen, dass der Wert erst als gesellschaftliche Reduktion aller Arbeit auf eine durchschnittliche Arbeitszeit sich praktisch im Warentausch durchsetzt und erst im Verhältnis von Sachquantitäten wirklich wird. Dies war nötig, um einen begrifflichen Fehler von Adorno und anderen fortzusetzen, welche den Warenfetischismus lediglich als „Verdinglichung“ eines menschlichen Verhältnisses, als Versachlichung der Menschen und nicht zugleich auch als wirkliche Vermenschlichung der Sache, als Wirklichkeit eines sachlichen Verhältnisses erkannten, in welchem die Sache selbst erst zur Form menschlicher Gesellschaft werden kann, weil und solange sie als Arbeitsprodukt Ware ist. Dass sie menschlicher Arbeit entspringt und selbst in solcher gesellschaftlichen Form dies verwirklicht, macht sowohl ihre Überhebung und Macht in der Geldform aus, wie sie auch das Potenzial für die Menschen darstellt, mit der Überwindung der Wertform zu einer wirklich menschlichen Gesellschaft zu gelangen, zu einer Gesellschaft, worin die Bedürfnisse der Menschen den Inhalt ihrer Arbeit und die Form ihrer Gesellschaft bestimmen. Indem Arbeit selbst mit abstrakt menschlicher Arbeit identifiziert und unmittelbar als Kapitalform verstanden wurde, konnte die Wertkritik zu einem Steckenpferd von Adornisten werden, die lediglich die Ästhetik einer Gesellschaft im Sinn, im Grunde nur Ideologiekritik, nicht aber Gesellschaftskritik nötig haben. Es geht dann darum, Gesellschaft als Kunstform zu verwirkllichen, in welcher die ästhetische Sehnsucht, welche im Bürgertum entsteht, auch wirklich aufgeht, nicht als Form einer Naturmacht, welche ihre menschliche Form erst noch finden muss, indem sie Klassenkämpfe unnötig macht. In solche Kritik wird folgerichtig auch nicht zwischen Ideologiekritik und Politik unterschieden und der Arbeitsbegriff von Marx, der sich zugleich gegen Arbeitsideologie wandte, als doppeltes Arbeitsverständnis, als „doppelter Marx“ aufgenommen. Marx hatte sich sowohl in seinen Frühschriften wie in seinen späteren Ausführungen im Kapital und anderswo (z.B. „Kritik des Gothaer Programms“) eindeutig in seinem Arbeitsverständnis artikuliert, indem er Arbeit und Bedürfnis als geschichtliche Voraussetzung seiner Theorie, als Grundlage des historischen Materialismus ansah. Wenn er sich gegen Arbeitsideologie aussprach und eine Tendenz in der Menschheitsgeschichte erkannte, durch welche der menschliche Arbeitsaufwand sich mit der Entwicklung der Technologie der Produktionsmittel, durch die Entfaltung menschlicher Naturmächtigkeit minderte, so macht das keinen Widerspruch der Marxschen Theori. Es ist im Gegenteil der Beweis ihrer Wahrheit, dass der Kapitalismus eine zunehmend anachronistische Form gesellschaftlicher Arbeit ist, und sich dem Fortschritt der Menschen in den Weg stellt. Dieser besteht auch in der Minimierung des Arbeitsaufwandes, wie es schon der Kapitalismus seiner eigenen Logik folgend, einrichten muss. Aber er verhindert zugleich die hieraus folgende Optimierung des menschlichen Lebensstandards, ein Leben voller Bedürfnisse und Arbeit, die einander im historischen Prozess ständig erneuern, wenn sie als Momente des menschlichern Lebens begriffen sind und als gesellschaftliche Lebensäußerung vollzogen werden. Die Argumentationsschwächen des Marxismus, besonders was die „Diktatur des Proletariats“ betraf, wurden daher von der Wertkritik gar nicht bearbeitet. Stattdessen verstand man sich in der Bemühung um eine „Reformulierung“ der Marxsche Theorie, was nichts anderes war als eine Bemühung, ihre grundlegenden Aussagen mit denen von Adorno in Einklang zu bringen und dahin zu verfälschen, zu einer Kulturkritik, die lediglich Ideologiekritik bleibt. Die damit betriebende Gleichsetzung und Verwechslung von ideologiekritischer und politischer Argumentation hindert die Wertkritik daran, mit ihren oft zutreffenden Beschreibungen der ästhetischen und kulturellen Erscheinungsformen des globalen Kapitalismus über ihn hinauszukommen und zu einem wirklichen Verhalten hiergegen zu kommen. Um die Aufhebung kapitalistischer Wirklichkeit kann es ihr aber auch gar nicht mehr gehen, ist sie doch schon durch sich selbst hiervon enthoben." Wolfram Pfreundschuh -------------- nächster Teil -------------- Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt... URL: http://listi.jpberlin.de/pipermail/wertkritik/attachments/20060925/0832ff04/attachment.html