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07.09.1999
Ah, Spektakel!
Robert Kurz, die Gruppe KRISIS und das »Manifest gegen die Arbeit«. Ein Aufwasch. Von André Thiele (*)

1. Irrung g'schieht

Früher sagte man: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Welch' lebensfrohe Sicht der Dinge. Heute kreißt nur noch die Unvernunft allein und kreißt und kreißt karnickelgleich, und was sie wirft, sind Witzbolde.

Ein Ungeheuer, verglichen mit einem Witzbold, ist ein zivilisiertes Ereignis. Ungeheuer wissen sich zu benehmen. Sie gucken gräuslich und tun unliebsame Dinge, doch ihre ganze Aussage ist: Ihr habt gepennt. Sie sind ein Weckruf, und die Menschheit kann an ihnen zum Ritter werden. Sie sind gottfeindliche Mächte, weswegen ihnen Sympathie gebührt, und ihr Blut, denn bluten müssen sie, ist fruchtbringend.

Der Witzbold aber ist der blutleere Sohn der Nacht. Sein Gott ist Morpheus, der Sproß des Hypnos. In tausend Formen erscheint er den Menschen, jede Gestalt annehmend.

Das Präfixoid »Witz« täuscht, die Kreatur ist vollständig humorlos, immer Faxen machend, das ewige Grinsen. Der Charme eines Retrovirus', gepaart mit einem übermächtigen Zwang zur Plapperei, das ist der Witzbold. Seine bevorzugte Gestalt ist das Rotmützchen.

2. Ali Blabla und die vierzig Räuber

Herr Robert Kurz ist ein Prachtstück von einem Witzbold. Seit elf Jahren macht er sich dadurch auffällig, daß er beständig denselben Artikel schreibt. Schreibt, steht hier, aber das ist reichlich übertrieben. Seine Sprache ist eine geistige Autoimmunreaktion und wirft Blasen.

Es flankiert Herrn Kurz ein Häuflein von man weiß nicht was. Peter Klein heißen die Gesellen, Norbert Trenkle, Ernst Lohoff, Robert Schlosser oder Udo Winkel; der Formen des Witzbolds, wie gesagt, sind viele: eine der Figuren nennt sich Johanna W. Stahlmann, eine Nuno Tomazky. Die ganze Bande sollte streng vermeiden, Namensspielchen zu treiben, man käme sonst auf allerlei.

Die Schluckerle sind genannt, ankommen tut es auf die nicht. Wenn schon keiner von ihnen je einen Gedanken hatte, haben sie den auch noch beim Kurz abgeschrieben. Zwar halten sie gemeinsam ein Fähnchen mit der Aufschrift KRISIS in den Wind, bloß den macht Herr Robert.

In den Achtzigern entdeckte Kurz die »klassenbewußten Proletarier« und blökte die an, sie sollten sich gefälligst körperlich ertüchtigen. Das Proletariat ist offensichtlich von Engelsgeduld, sonst hätte es postwendend sein Klassenbewußtsein an ihm abgeschlagen. Vielleicht wirkte versöhnend, daß er sich an seine eigene Maxime augenscheinlich nie gehalten hat.

Wer sich außerdem nicht dran hielt, ist das Proletariat, und rachsüchtig, wie Klopfer Kurz einmal ist, konnte er das nicht durchgehen lassen. Seitdem ist der Arbeitsmann sein Feind. Man kann die Sache auch so verstehen, daß Kurz, der im Leben außer Antikapitalist nix Anständiges gelernt hat, irgendwann merkte, wie hoch die Bananen hängen, und daß er wohl mit seiner Jobberei in einer McDonald's-Frittenbude an die nicht gelangen würde. Seine Sektenkumpels hatten das schon längst entdeckt, alles Erreichbare abgenagt und die Zugänge vernagelt, getreu dem Motto: Die größten Kritiker der Molche werden oftmals eben solche.

Was blieb? Andere Lumpenproleten um sich sammeln, den Proleten streichen, den Rest behalten, und aus dem Sein am Abgrund ein Sein zum Abgrund machen.

3. Es geht rein auf 'n Untergang los

Förderer der Idee waren Hans Magnus Enzensberger, der sich eine greise 5-Mark-Hure des Imperialismus hat nennen lassen müssen, und der Verleger Horlemann, dem in den Siebzigern, als es um Vietnam ging, Schlitzaugen wachsen wollten und der seither als im Grenzgebiet zu Kambodscha geistig missed in action gilt. Kein blindgeborener Taubstummer kann an Marx gleichviel mißverstehen, wie Robert Kurz an dem mißverstanden hat. Auch der Rest ist gestohlen. Ein bißchen Spengler »Untergang des Abendlands«, ein bißchen Chargaff »Abscheu vor der Weltgeschichte«, man darf das Arsenal nicht überschätzen, Dummheit klaut nicht gut.

Die entwickelte Lehre hat vier Sätze. 1) Die Welt geht unter; und zwar seit 1988 ununterbrochen, die Sache zieht sich also, was aber dem Kurz seine Schuld nicht ist. 2) Gegenmaßnahmen lohnen nicht, zu was soll man sich noch plag'n, wir sind vorderhand verloren. 3) Schuld an dem Ruin ist die Wirtschaft, welche nur noch a Powerteh fabriziert allerorten. 4) Die Aktien steh'n derartig hoch, die müssen naturgesetzlich runterkrachen wie ein Komet, schon hört man die Götter würfeln droben im Himmelskasino, es kann kein Zweifel sein, die Welt legt unsichtbare Hand an sich, alles andere ist Fiktion.

Da kommt die allgemeine Denkkonfusion doch von selbst in's Reine. Mit uns ist's aus, wir haben nichts mehr zu hoffen, jeder läuft halt so mit, solang' 's just irgend geht. Wär' die Zeit nicht so knapp, man müßt' sich schier dem Trunk ergeben.

4. Questo Mopperl - un Signore

Freilich hat nicht jeder das Weltgeschehen so im kleinen Finger wie Robert Kurz.

»Arbeit ist die Tätigkeit der Unmündigen«, schnattert der Vollmündige: »Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit«. Aber glaube keiner, der Leichnam sei tot, nein, »der Arbeitsgötze« setzt sich »selber auf Hungerration. Damit führt er den eigenen Tod herbei«. Jessas, Sitten sind das, da muß er ja kommen, der Komet, wo kleine 26 Zeilen später der »sterbende Arbeitsgötze autokannibalistisch geworden« ist und auf die Art seine Hungerration an sich selber haben soll, kein Wunder, daß ihm der Appetit vergeht; ginge mir ähnlich, vor Ekel ist er auch gleich wieder »klinisch tot«, der ganze Hades gerät einem durcheinander bei dem Rein und Raus.

Wenn Hirntote denken. Und alles nur, weil im »Kapital« irgendwo unschuldig was von toter Arbeit steht. Niemand verlangt, daß Robert Kurz sein ganzes Manifest lang ein Motiv durchhält, aber eine Seite, das tät man schon gern sehen, vielleicht probehalber für den Anfang mal einen Absatz?

5. Roberto Ui

Alle politischen Positionen sind für Kurz »Fraktionen des parteiübergreifenden Arbeits-Lagers«. So feixt er, der Witzbold, in seinem Sein auf der Grenze zwischen Knechtschaft und Herrschaft, der Unmensch, der aus dem Leid anderer seinen Jux zelebriert, der bellt »Hier wurde zum ersten Mal die >Vernichtung durch Arbeit< im großen Stil betrieben«, wo es um die Frühindustrialisierung geht, der triumphiert, die Bestialität der Nazis in Zusammenhang mit dem Merkantilismus gebracht zu haben, der röhrt »>Die Müßiggänger schiebt beiseite< hieß es im Text der internationalen Arbeiterhymne - und >Arbeit macht frei< echote es über dem Tor von Auschwitz«, unterstellend, das hoffnungsfrohe Lied habe vorgegeben, was die Shoa vollendete, der so den in Auschwitz Gequälten zubrüllt, sie seien schon am rechten Ort gewesen, sofern ihnen die »Internationale« etwas bedeutete, der die »arbeitsgesellschaftliche Demokratie ... das perfideste System der Geschichte« nennt, weil bekanntlich Gewerkschaftsführer in Arbeitsämtern regelmäßig Zyklon B in die Lüftungsschächte werfen, der ausschleimt, daß »auf den Straßen der Welt jahraus, jahrein der unerklärte Dritte Weltkrieg tobt mit Millionen von Toten und Verstümmelten«, der die »alten Agrargesellschaften« verherrlicht, weil die Menschen in ihnen »noch etwas zu verlieren« hatten, die »Kultur der Muße und der relativen >Langsamkeit<«; der mörderische Subjektlooser, dem einer kujoniert gehört.

6. Da nich' für

Wahrscheinlich kommt alles wegen Mami. Außer der zähen Arbeitsphobie und seinem abnormen Talent zum Nazijargon plagt den Robert Kurz eine panische Faszination fürs Intime. Die »Sphäre des privaten Haushalts, der Familie und der Intimität« mag er nun gar nicht, weil da die Hausfrau ihre »Liebesarbeit« verrichtet und »ihren ausgelaugten Arbeitsmann betütert und ihn >Gefühle tanken< läßt«.

Mutter Kurz, kommen Sie mal bitte her! Wie war das, damals, als Bertie auch gern mit Ihnen getütert und getankt hätte, doch nur Papa, nicht aber der knospende Tunichgut ausgelaugt wurde, haben Sie ihm da eine »Intimhölle« bereitet? Hand auf's Herz! Haben die Wunder der Mannwerdung mißachtet, wie? Ist Ihnen ganz schön was danebengegangen, hm? Na, Mutter Kurz, jetzt schauen Sie mal nicht so bedröppelt. Ist ja noch nicht aller Tage Abend. Sagen Sie, haben Sie ein Auto? Da tobt nämlich der unerklärte Dritte Weltkrieg auf den Straßen der Welt, also auch auf der vor Roberts Haus. Sie brauchen nur Gas zu geben. Vielleicht halten Sie es mit der Kultur der Muße und der relativen >Langsamkeit

(*) Das »Manifest gegen die Arbeit« in: Jungle World 32, 33 und 34/1999. Mein Text enthält mehr Zitate aus den Dramen »Der böse Geist Lumpazivagabundus« und »Einen Jux will er sich machen«, als meine Ehrfurcht für Nestroy mir hätte gestatten sollen

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