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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 14

"Manifest gegen die Arbeit" 
Lustige Theorie jenseits der Realität 

Ein Kommentar von Thies Gleiss

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Seit einiger Zeit versucht sich die Gruppe Krisis mit ihrem Manifest gegen die Arbeit ins Gespräch zu bringen. Gut sechstausend verkaufte Exemplare sind nicht ganz die Dimension des auflagenstärksten Produkts der literarischen Tätigkeit (um nicht gleich das Wort "Arbeit" zu verwenden) der Menschheit, zu dem es das Kommunistische Manifest gebracht hat, aber für die Verhältnisse der deutschen Linken nicht schlecht. Dutzende von Veranstaltungen mit den Herren Lohoff, Trenkle und Kurz, die der Autorenschaft (der Arbeit?) am Manifest gegen die Arbeit verdächtigt werden, erreichen noch nicht die Popularität des Herrn Marx, der gerade dieser Tage in einer Internet-Abstimmung der BBC mit großem Vorsprung zum "Denker des Jahrtausends" gekürt wurde, aber das Fangekreische bei Altlinken und auch einigen Jungtheoretikern angesichts des neuen "Manifests" ist nicht zu überhören.

Das "Manifest gegen die Arbeit" konstruiert ein schlichtes Weltbild: die gesamte Menschheit, egal von welcher sozialen Warte aus und mit welcher Religion oder Weltanschauung garniert, orientierte sich an "der Arbeit". Am Ende des 20.Jahrhunderts hätten sich alle ideologischen Gegensätze nahezu verflüchtigt. Übrig geblieben sei das gnadenlose gemeinsame Dogma, daß die Arbeit natürliche Bestimmung des Menschen sei (S.12). "Der soziale Gegensatz von Kapital und Arbeit ist aber bloß der Gegensatz unterschiedlicher Interessen innerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks." (S.16.) "Die Geschichte der Moderne ist die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit." (S.21.) Und schließlich: "Spätestens seit den Nazis sind alle Parteien Arbeiterparteien und gleichzeitig Parteien des Kapitals … Der Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist. Die Klassen erweisen sich als soziale Funktionskategorien eines gemeinsamen Fetischsystems in demselben Maße, wie dieses System abstirbt." (S.26.)

So geradewegs sind "GesellschaftskritikerInnen" selten in die ideologische Falle der herrschenden Klasse getappt. Das hätten sie ja gern, die Herren und wenigen Damen in den Schaltzentralen der Unternehmen und Regierungen, die Propheten und Päpste aller Religionen: dass die Gesellschaft genauso ist, wie sie und ihre Massenmedien immer erzählen, dass Schein und Wesen identisch sind. In der Tat reden sie alle, der Regierungschef, der Kirchenführer, der Gewerkschaftsbürokrat und im Normalfall, weil das herrschende Bewusstsein leider immer das Bewusstsein der Herrschenden ist, auch der Lohnabhängige und der Erwerbsarbeit Suchende, von "der Arbeit". Aber meinen sie tatsächlich alle das gleiche? Haben die bürgerlichen Ideologen Recht, dass sie die klaren, antagonistischen Begriffe des Kommunistischen Manifests von Lohnarbeit und Kapital mit viel Mühe (worunter auch der faschistische Terror zu zählen ist) in "Arbeit"geber und "Arbeit"nehmer verwandelt haben? Was für ein Rückfall in unklare, unwissenschaftliche Argumentationen bietet hier das Manifest gegen die Arbeit! Wie eine Posse der Geschichte erscheint es da, dass dieses "neue" Manifest etwas als Überwindung des "alten", Kommunistischen Manifests anpreist, was von letzterem gerade kritisch abgrenzend und politisch aufhebend überwunden worden ist.

Das Angebot der Gruppe Krisis besteht in einer harmlosen idealistischen, mit dem Ungestüm der Junghegelianer des 19.Jahrhunderts vorgetragenen Konstruktion, dass die Welt von einem übergeordneten Weltgeist gelenkt wird, dem Arbeitsgötzen, dem alle sozialen Wesen als Funktionen dienen. Die Geschichte bis zum Kapitalismus ist Vorgeschichte zur Herausbildung des modernen Zwangsprinzips "Arbeit". Die Unterschiede zwischen Sklavenarbeit, Fronarbeit und Lohnarbeit, was alles historisch und sozial unterschiedliche Formen der Aneignung eines gesellschaftlichen Mehrprodukts durch die jeweils herrschende Klasse waren, spielen keine Rolle, so wie die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware (nicht "der Arbeit" - Marx, Engels und Co. haben unermüdlich diesen Umstand hervorgehoben und sich dort selbst kritisiert, wo sie unklar formulierten) von der Gruppe Krisis offensichtlich im Kopfstand betrachtet wird: Nicht die revolutionäre Ausdehnung der Warenproduktion hat sich die "freie" Arbeitskraft unterworfen, indem das Kapital die Arbeiter doppelt befreite: frei von Produktionsmitteln und frei, die Arbeitskraft zu verkaufen, sondern die moderne "Durchsetzung der Arbeit" hat sich der Warenproduktion bemächtigt.

Aber jetzt wird alles anders, verkündet das "Manifest gegen die Arbeit". Die Arbeit ist tot. Damit wird nicht nur der von Marx genutzte Begriff der "toten Arbeit" wiederbelebt und absichtlich missverstanden, denn Marx verstand darunter in Waren oder Kapital vergegenständlichte, in vorhergehenden Produktionszyklen verausgabte Arbeitskraft, sondern alle Arbeit ist in den Augen der Gruppe Krisis nicht nur tot, sondern mausetot: "Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21.Jahrhundert genauso aussichtsreich sein wie im 20.Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen." (S.5.) "Aber erstmals übersteigt das Tempo der Prozess-Innovation das Tempo der Produkt-Innovation. Erstmals wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch Ausdehnung der Märkte reabsorbiert werden kann … Erstmals setzt der Arbeitsgötze sich unfreiwillig selber auf dauerhafte Hungerration. Damit führt er seinen eigenen Tod herbei." (S.28.) Und dann klipp und klar: "Die Weltgesellschaft kann in der bestehenden Form keine 50 oder 100 Jahre mehr weitermachen." (S.48.)

Die Theorien vom Tod der Arbeiterklasse, also der prinzipiell zu gleichem Interesse fähigen sozialen Formation mit gleicher Funktion im Rahmen der Produktionsverhältnisse, haben immer daran gekrankt (und letztlich darin auch ihre Auflösung erfahren), dass sie den objektiven, ökonomisch eindeutigen Klassenbegriff mit politischen, mehr oder weniger voluntaristischen Zusätzen versahen, um nach diesem Kunstgriff festzustellen, dass es keine Arbeiterklasse mehr gab, wobei es in Wahrheit nur keine Klasse mehr gab, wie sie sie sich am Schreibtisch ausgemalt haben. Die Theorie vom Tod der Arbeit benötigt keine Kunstgriffe mehr um zu bestehen, weil sie selbst nichts als ein solcher ist: eine lustige These jenseits aller Realität.

Wer eine gemeinsame Identität von Arbeiterklasse und Kapital diagnostiziert, erfüllt brav das von den Mächtigen dieser Gesellschaft Verlangte. Für eine strategisch - das heißt politisch - geleitete Praxis sieht das "Manifest gegen die Arbeit" deshalb auch weder die Möglichkeit noch den Bedarf. Nur die intellektuell schön herausgeputzte individuelle Glaubenserklärung reicht aus: Es ist ein "kategorialer Bruch" nötig (wie Maria Welser im ZDF: "Mit mir nicht"). Und "der kategoriale Bruch mit der Arbeit findet keine fertigen und objektiv bestimmten gesellschaftlichen Lager vor wie der systemimmanent beschränkte Interessenkampf … Er ist ... negatorische Bewusstheit - Verweigerung und Rebellion ohne irgendein Gesetz der Geschichte im Rücken … Ausgangspunkt kann kein neues abstrakt- allgemeines Prinzip sein, sondern nur der Ekel vor dem eigenen Dasein." (S.41.) Proletarier macht Schluss, heißt es dann am Ende des Textes, um die verändernde Praxis völlig auf einen individuellen Willensakt zu reduzieren.

Das mit dem grundsätzlichen Bruch mit diesem System ist ja in Ordnung, dafür steht die revolutionäre Linke seit Erscheinen "ihres" kommunistischen Manifests 1848. Aber ein bisschen mehr als "Schluss jetzt" zu sagen, ist drin. Eine kollektive Außerkraftsetzung der Mechanismen dieser Produktionsweise, der Aufbau von Gegenmacht und später Selbstverwaltungsstrukturen - all dies geschieht durch bewusste kollektive Aktion der von einem gemeinsamen Interesse geleiteten Arbeiterklasse. Der Ekel vor dem eigenen Dasein, der Mut zum Sprung in eine ungewisse Zukunft, die Bereitschaft zum radikalen Bruch wird nicht durch die Lektüre eines "Manifest gegen die Arbeit" ausgelöst, sondern durch reale Erfahrungen mit den Herrschaftsstrukturen dieser Welt und des Kampfes dagegen.

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