Wildcat-Zirkular Nr. 56/57 - Mai 2000 - S. 43-51 [z56kurzk.htm]


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Zu Kurz gedacht - Krisis zwischen Arbeit und Staat

Warum setzen wir uns mit Krisis auseinander? [1]

Bei der Auseinandersetzung mit Krisis geht es uns nicht darum, uns in die Debatte um die 'Zukunft der Arbeit', wie sie in den letzten Jahren geführt wird, einzumischen und so in einen (mehr oder weniger) kritischen Dialog mit den Verwaltern der Arbeitsgesellschaft zu treten, wie er derzeit von Figuren wie André Gorz, Ulrich Beck, Antonio Negri, Arranca! oder eben auch Krisis geführt wird.

Die Aufhebung des Bestehenden setzt eine radikale Kritik der Arbeit voraus. Diese Kritik muß wesentlich praktisch sein - Kommunismus gefaßt als die wirkliche Bewegung heraus aus natürlichen und sozialen Zwängen. Sie muß die Arbeit als Arbeit, als zwanghafte und unfreie Verausgabung menschlicher Geistesenergie und Körperkraft, kritisieren - samt ihrem bornierten Inhalt - und nicht bloß in ihrer Form als kapitalistische Lohnarbeit. An der Aufhebung der Arbeit scheiden sich Reformisten von Revolutionären. Wer Arbeit für eine unumstößliche Notwendigkeit menschlicher Existenz hält, bleibt auch in irgendeiner Form am Staat kleben, der die Verteilung der Arbeit organisieren muß. Wenn es um eine wirklich freie Gesellschaft geht, muß die gesellschaftliche Aufhebung der Arbeit auf die Tagesordnung.

Deshalb ist Krisis, die mit dem Anspruch antreten, eine Kritik der Arbeit zu formulieren, für uns interessant gewesen. Und deshalb ist Krisis sicher auch für viele andere interessant gewesen. In der Auseinandersetzung mit dem Manifest gegen die Arbeit [2], war unsere Frage deshalb vor allem die, ob der von Krisis vertretene Ansatz etwas taugt, um eine gesellschaftliche Bewegung zur Aufhebung der Arbeit vorwärtszutreiben. Aber wir mußten feststellen, daß sie eben genau das nicht leisten können, bzw. eine solche Kritik eher verhindern als stärken.

Abschied vom Klassenkampf - zurück zum Staat

Der Marx'sche Satz »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen« ist den allermeisten Linken wohl zumindest bekannt. Allerdings ist es heute absolut nicht üblich, sich auf die dahinter steckende Idee zu beziehen. Im Gegenteil läuft, wer sich heute auf Klassenkämpfe bezieht, Gefahr von der Linken dafür angegriffen zu werden.

Während es früher Rolle der Linken war, den Klassenkampf in gesellschaftlich geordnete Bahnen zu organisieren, als Partei, Gewerkschaft oder Betriebsrat - also immer im Dialog mit dem Staat oder dem Unternehmer, haben sich Leute, die sich heute als Linke verstehen oder verstanden werden, in kritischer Auseinandersetzung mit der 'traditionellen Linken' vom Bezug auf die Klassenkämpfe verabschiedet. Der Bezug auf den Staat ist dabei oftmals übriggeblieben.

Wer die entscheidende Frage, ob eine Selbst-Emanzipation der Menschen von den sie umgebenden Verhältnissen möglich ist, nicht konsequent bejaht (und weder die 'alte' Arbeiterbewegung noch die moderne Linke haben das getan), dem bleiben erstens die Beteiligung am Staat oder parastaatlichen Institutionen, auf daß sich dadurch das Schlimmste verhindern lasse, oder zweitens das Bauen auf eine Elite, die die unbewußten Massen aus der kapitalistischen Hölle führen soll. Die dritte (und nicht selten wahrgenommene) Möglichkeit ist die Flucht in nackten Zynismus. Krisis schaffen es, alle drei Elemente in ihren Schriften zu vereinigen und damit auf dem Markt der Meinungen ein breites Spektrum abzudecken.

Weil für Krisis die gesellschaftliche Realität aus »seelenlosen Zombies der Warenproduktion«, aus »feixenden Globalisierungsgewinnlern« und »Humanmüll« [3] besteht, aus Menschen, die in ihrer »kollektiven Verhaltensstörung« allerhöchstens Objekte einer Therapie sein können, nicht aber Subjekte einer Umwälzung, verlegen sie sich darauf, den Therapeuten das Handwerkszeug zu geben, indem sie über Begriffe schwadronieren. Es geht ihnen nicht um die Arbeit, sondern um den 'Arbeits-Begriff', also um das, was sich die Menschen zu ihrer Arbeit denken (sollen). Diese besondere Form elitären Denkens, bei dem die vorantreibende Avantgarde durch den therapierenden Philosophen ersetzt wird, ist die Konsequenz ihrer Wahrnehmung der wirklichen Menschen. Im Gleichklang der zynischen Beschimpfungen des Proletariats, wie sie von vielen Seiten zu vernehmen ist, versuchen Krisis mit der Hoffnung auf eine erfolgreiche Therapie des 'Arbeitswahns' wohl noch so etwas wie einen positiven Akzent zu setzen. Dabei schreiben sie in schlechtester philosophischer Manier gegen die falschen Gedanken an, um die schlechte Wirklichkeit zu verbessern. Ihr Bezug auf die Wirklichkeit geht allerdings durch die Kolumnen der Wirtschaftszeitungen und die Sorgen, die sich bürgerliche Soziologen um die Arbeits-Demokratie machen. [4]

Die Frage, ob sich die Fetischformen der bürgerlichen Gesellschaft durchdringen und als verkehrt erkennen lassen, ist für uns weniger die Frage nach der intellektuellen Leistung kleiner Gruppen als vielmehr die Frage nach historischen Situationen und kollektiven Lernprozessen.

Krisis' Verhältnis zum Staat ist auf den ersten Blick nicht zu verstehen. Verbal wenden sich Krisis gegen den Staat, bezeichnen die Kritik der Arbeit als 'antipolitisch', und meinen damit eine Abkehr von allen Vermittlungsversuchen mit dem Staat. Das wird z.B. auch darin deutlich, daß sie sich ausdrücklich gegen eine reformistische Existenzgeldkampagne wenden. Diese 'Antistaatlichkeit' fällt zunächst angenehm auf, vor allem angesichts der zahlreichen aktuellen Bezüge auf den Staat, sei es in Form von Existenzgeld, Forderungen nach konsequenter Strafverfolgung nationalistischer und faschistischer Gruppen oder der Forderung 'friedensstiftender' Einsätze von UNO-Friedenstruppen.

Wenn man sich allerdings genauer ansieht, was Krisis tut und auf wen sie sich beziehen, wenn sie den Versuch wagen, ihre Überlegungen in die Wirklichkeit zu tragen, kommen die Ungereimtheiten zutage. Etwa wenn Robert Kurz für eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich plädiert [5] - wobei es nicht nur darum geht, daß hier direkt der von den Unternehmern gewollten Flexibilisierung das Wort geredet wird, sondern daß hier überhaupt Vorschläge zur Regelung kapitalistischer Verhältnisse gemacht werden. Die Politikberatung, die Krisis für die deutschen Gewerkschaften leistet, ist alles andere als 'antipolitisch'. Das Bündnis gegen die Arbeit, das sich Krisis herbeiwünscht, zeichnet sich hier ganz nebenbei schon als Bündnis gegen bezahlte Arbeit ab.

'New Work' - in der Umarmung des Staates

In seiner Propaganda für 'New Work', die sogenannte 'Neue Arbeit' oder den 'dritten Sektor' bringt Robert Kurz dieses Bündnis gegen bezahlte Arbeit auf den Punkt:

»... Es handelt sich bei diesem dritten Sektor keineswegs nur um graue Theorie. Überall auf der Welt ist in den vergangenen 10 bis 20 Jahren die Bedeutung eines diffusen gesellschaftlichen Raumes zwischen Markt und Staat gewachsen. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um die 'Schattenwirtschaft', die oft nichts anderes als ein illegaler und brutalisierter Markt ist. Im Gegensatz dazu setzt sich der dritte Sektor aus einer Vielzahl von freiwilligen Vereinigungen zusammen, die sich gegen soziale Misere und ökologische Zerstörung organisieren. Die meisten von ihnen legen großen Wert auf Selbstverwaltung. Praktisch stoßen sie in die Räume vor, aus denen sich der Markt mangels Rentabilität und der Staat mangels Finanzierungsfähigkeit zurückgezogen haben. [...]
Aus diesen Gründen ist schon jetzt absehbar, daß der dritte Sektor zu einem großen politischen Faktor aufsteigen wird; vielleicht sollte man besser sagen: zu einem antipolitischen oder postpolitischen Faktor, denn die neuen Initiativen lassen sich nicht mehr in die alten Kategorien der modernen Politik einsortieren. Diese Tendenz ist an der Oberfläche noch wenig sichtbar [...] Das liegt freilich auch daran, daß diese Bewegungen bis jetzt allzu bescheiden, ohne übergreifenden gesellschaftskritischen Anspruch und ohne eigene Theorie sind. Sie haben sich selbst noch nicht als neue historische Kraft erkannt ...«
 [6]

Hier offenbart sich Krisis' Vorschlag an ihr Klientel: dritter Sektor, NGO, 'New Work'. Um diesem Sektor zum Durchbruch zu verhelfen, ist man bei Krisis letzlich sogar bereit, »zumindest auf der kommunalen Ebene ... sogar mit einer antipolitschen Ausrichtung am politischen Geschäft zu partizipieren und parlamentarisch mitzumischen.« [7] Krisis denkt sich offensichtlich in die Rolle, die angeblich fehlende Theorie für den dritten Sektor zu liefern. Was Kurz an den vorherigen Theoretikern des dritten Sektors, wie Rifkin und Gorz, zu kritisieren hat, ist, daß diese immer noch meinen, den AktivistInnen des 'Non Profit Sector' stünde zumindest so etwas wie eine Aufwandsentschädigung zu.

Wenn Krisis ihre eigenen Kategorien ernstnähmen, hätten sie feststellen müssen, daß der Rückzug 'des Marktes' und des Staates aus bestimmten Sektoren etwas damit zu tun hat, daß sich in diesen nunmehr von NGOs (Non Goverment Organisations) oder NPOs (Non Profit Organisations) beackerten Bereichen das Verhältnis von notwendiger und Mehrarbeit fürs Kapital ungünstig gestaltet, gerade weil hier die Anwendung menschlicher Arbeitskraft keinen Mehrwert schafft. Daß sich das Kapital und der Staat aus der Organisation dieser Art der Arbeit zurückziehen, bedeutet noch nicht, daß wir in denen, die aus katholisch motivierter sozialer Verantwortung oder ökologisch begründeter Weltuntergangsangst heraus diese Arbeit machen, nun eine kommunistische Tendenz sehen können. Mit Abschaffung der Arbeit hat dieser Sektor, der vor allem aus der Not geboren ist, ohnehin wenig gemein. Im Gegenteil werden durch diese NGOs und NPOs Gesellschafts- und Staatskritik zu nützlichem sozialen Kitt für die gewachsenen Spannungen umgedreht. Sie liefern die Vermittlung der Klassengegensätze billiger und können sich mit ihrem zivilgesellschaftlichen Anspruch besser als 'staatsferne' Organisiationen legitimieren und so das gesunde Mißtrauen gegenüber dem Staat ausgleichen. [8] Das Schlimme bei Krisis ist, daß sie diese Mystifizierungen nicht zerstören, sondern sie mit ihrer Verklärung noch verstärken.

Wie es die von Krisis umworbenen 'New-Work'-Projekte dann nämlich wirklich mit der Antipolitik halten, zeigt ein offener Brief des Kölner Institutes für Neue Arbeit (INA) an die damals noch junge rot-grüne Bundesregierung. [9] In diesem Brief spricht sich das Institut dafür aus, »die Sackgasse der tendenziell ausufernden Kosumtivförderung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern allmählich zu verlassen und statt dessen den [...] Pfad einer Investivförderung zu begehen...«. Es soll endlich Schluß sein damit, daß den Arbeitslosen und Sozialhifempfängern weiter Geld gegeben wird, vielmehr solle das Geld in die Anwendung dieser brachliegenden Arbeitskraft investiert werden. 'Supply Sided' oder 'angebotsorientiert' nennt die Wirtschaftstheorie diese Politik. Daß das INA die richtige Adresse für solcherart staatliche Investitionen ist, wird in dem Brief ein paar Zeilen weiter unten klargemacht.

Gerade das INA muß bei Krisis als Beispiel für die angeblichen emanzipatorischen Teile der 'New Work'-Bewegung herhalten. Auch im 1999 veröffentlichten Buch 'Feierabend - Elf Attacken gegen die Arbeit' findet sich kein Millimeter Kritik am INA und ihrem staatsfixierten Versuch, die Neue Arbeit 'jenseits von Markt und Geld' zu organisieren. Im Gegenteil wird dem INA bescheinigt, ein 'marktwirtschaftskritisches' Projekt zu sein, und damit der positiven, emanzipatorischen Seite der 'New Work'-Bewegung zuzurechnen zu sein. [10] Das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Rest der 'Bewegung'. Wenn das Kriterium für ein emanzipatorisches Projekt, die bloße Absichtserklärung ist, »selbstbestimmtes, gemeinwesenorientiertes, umweltverträgliches Wirtschaften und Arbeiten jenseits von marktwirtschaftlichen Zwängen, staatlicher Bevormundung und patriarchaler Arbeitsteilung« zu fördern, bleibt zu fragen, was denn bitte diese 'Emanzipation' mit der Befreiung von Arbeit zu tun haben soll.

Auf EU-Ebene laufen große Untersuchungsprojekte und Programme zur Nutzung des Potentials dieses Sektors. Hier wird in knallharten Kategorien der Verwertung der Arbeitskraft gerechnet: »Mit Projekten, die gemeinhin den Wohlfahrtsverbänden oder anderen Stellen des dritten Sektors zugeordnet werden, können Unternehmen nicht nur ihr Ansehen erhöhen, sondern in Ballungsräumen, die durch hohe Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen gekennzeichnet sind, zu stabileren Verhältnissen beitragen. [...] Der globale Markt der 'Non-Profit'-Dienste [entspricht] einem Gesamtwert von 1100 Milliarden Dollar. In Europa sind 19 Millionen Menschen in dieser Branche tätig. [...] Rund fünf Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts und vier Prozent aller Stellen entfallen auf den 'dritten Sektor'. Mit zehn Prozent aller in den vergangenen Jahren geschaffenen Arbeitsplätze gilt er als Wachstumsbranche.« [11] Indem sich Krisis in der Debatte um den dritten Sektor verorten, machen sie sich nicht nur für viele interessant, sondern übernehmen mit ihrer speziellen Interpretation der 'Möglichkeiten' dieses Sektors, genau die grenzgängerische Funktion zwischen radikaler Gesellschaftskritik und Modernisierung des Bestehenden, die traditionell die Sozialdemokratie innehatte. Während Krisis uns glauben machen will, mit einem Kampf der Ideen sei das Ruder der 'New Work'-Bewegung herumzureißen, rechnen die Kapitalisten schon in Mark und Pfennig, was ihnen die Einbeziehung der Projekte des dritten Sektors - sowohl in die Politik als auch in die Produktion - bringt.

Krisis' Arbeitsbegriff und die Schlußfolgerungen

Das alles ist nicht voraussetzungslos. Der Arbeitsbegriff, den Krisis in ihren Schriften präsentieren, bleibt auf der begrifflichen, abstrakten Ebene. Also passiert auch ihre Kritik der Arbeit vom Kopf her, die Arbeit wird historisch, etymologisch und abstrakt in ihrer wertschaffenden kapitalistischen Form betrachtet. Eine Kritik des konkreten Produktionsprozesses, der Arbeitsrealität und der Inhalte der Arbeit findet sich bei Krisis kaum.

Natürlich geht eine radikale Kritik der Arbeit davon aus, daß nicht jede menschliche Tätigkeit 'Arbeit' ist, daß die Arbeit nur eine historisch spezifische Form produktiver Tätigkeit ist. Das ist um so wichtiger, weil die Arbeit für die Bürgerlichen nicht kritisierbar ist, weil sie einfach jede zielgerichtete menschliche Tätigkeit zur 'Arbeit' erklären. In diesem undifferenzierten Brei menschlicher Tätigkeit, wo sich Klavierspielen mit Wäsche waschen und Fließbandproduktion mit Sex vermischt, ist es freilich schwer, die Arbeit zu kritisieren. [12] Ebenso wichtig ist es, zu verstehen, daß es nicht zu vernachlässigende Unterschiede zwischen verschiedenen Organisationsformen der Arbeit gibt, etwa der unentlohnten Hausarbeit in der Familie und der fabrikmäßig organisierten Lohnarbeit. Diese Unterscheidungen sind nicht nur für unsere Überlegungen zur kapitalistischen krisenhaften Entwicklung wichtig, sondern - und vielleicht ist das sogar wichtiger - auch für das Verständnis verschiedener Widerstandsformen.

Krisis allerdings werfen in dieser Debatte einfach alles über Bord, was nicht direkt Wert produziert. Von der Wertkritik her kommend, kritisieren sie auch die Arbeit vom Wert her - sie können überhaupt nur das Abstrakte an der Arbeit erfassen (und tatsächlich noch nicht einmal das):

«...Was haben Brötchen backen, Straßen kehren, Gefangene beaufsichtigen, Kranke pflegen, Obst verkaufen, Kühe melken, Artikel schreiben, Geld transportieren und Bomben werfen gemeinsam? Daß sie eben als entlohnte Arbeit anerkannt sind, daß es Geld für sie gibt. Alle können in Euro ausgedrückt werden. Können sie es nicht, dann sind sind sie trotz aller Mühe und Anstrengung keine Arbeit gewesen, weil sie eben vom Wesen der Verwertung nicht erfaßt worden sind. [...] Gegen den gesunden Menschenverstand gilt es festzuhalten: Arbeit ist auf den Markt bezogene Tätigkeit zum Zwecke der Verwertung. Arbeit muß sich für den Markt qualifizieren und quantifizieren...« [13]

Bei Krisis erscheint nur jene Tätigkeit als Arbeit, die mit dem Makel behaftet ist, abstrakt gesellschaftliche Arbeit zu sein, oder übersetzt: die für Geld geleistet wird. Dabei geht ihnen völlig abhanden, das Geld aus dem abstrakten gesellschaftlichen Charakter herzuleiten, den die Arbeit im Kapitalismus annimmt. Das Abstrakte an der Arbeit ist ihnen schon, daß sie für Geld geleistet wird. Selbst die abstrakteste, monotonste, und nur gesellschaftlich geleistete Arbeit erscheint für Krisis nicht mehr als Arbeit, wenn es, aus welchen Gründen auch immer, kein Geld dafür gibt. Die einfache Wahrheit, daß all diese Tätigkeiten Verausgabung menschlichen Geistes und Körperkraft sind, und daß diese aus der Notwendigkeit der eigenen Reproduktion heraus getan werden und nicht aus dem freien Bedürfnis, kreativ zu sein oder Spaß zu haben, kann oder will Krisis nicht sehen. Eine solche Sichtweise hätte ihnen wohl gezeigt, daß natürlich Hausarbeit Arbeit ist, und deshalb als Arbeit zu kritisieren ist - und nicht lediglich als gesellschaftliches Spaltprodukt der Arbeitsgesellschaft.

Krisis liefern das beste Beispiel dafür, wo man landen kann, wenn man die Realität aus den Augen verliert, wenn man die Theorie nicht aus der Erforschung der Wirklichkeit, aus den historischen Erfahrungen konkreter Menschen gewinnt, sondern aus philosophischen Überlegungen über die Revolution der Ideen. Wer aber die Realität nicht zur Grundlage seiner Theorie macht, sieht sich irgendwann gezwungen, die Realität gewaltsam der eigenen Theorie anzupassen. Wenn dann einer durch die zurechtgestutzte Brille die Wirklichkeit nicht mehr erkennen kann, muß der wohl irgendwie 'verhaltensgestört' sein.

Weil Krisis die Arbeit nicht als Arbeit sondern als Lohnarbeit kritisieren, ist ihre Perspektive nicht die Befreiung aus dem bornierten 'Reich der Notwendigkeit', in dem die Arbeit immer eingeschlossen bleibt. Ihre Perspektive ist die Arbeit ohne Lohn - weil diese dann hoffentlich keinen Wert mehr produziert.

An dieser Stelle wird klar, warum sich so viele bei Krisis wiederfinden können (und wer): hier wird die aus der Not geborene Suppenküche ebenso affirmiert wie NGOs oder Hausbesetzer mit Volxküchenambitionen. Was hier kritisiert wird, ist nicht der zerstörerische Charakter der Tätigkeit, also ihr Inhalt, sondern nur die Form, in der sie geleistet wird: abstrakt, gesellschaftlich, marktbezogen.

Deshalb kann Norbert Trenkle auch öffentlich über die spannende Welt der Alternativökonomie plappern, ganz so, als hätte es die Erfahrungen, die diese Bewegung in den 80er Jahren gemacht hat, nicht gegeben. Weil sich die Philosophen zuerst ihre Kategorien basteln und dann mit diesen auf die Wirklichkeit losgehen, interessieren sie diese Erfahrungen auch nicht wirklich. Deshalb finden sich dann letzlich auch INA und Krisis. Krisis sieht im INA genau die Realisierung eines Projektes jenseits vom Markt, das sie sich fern von der 'New Work'-Realität herbeiphantasieren. Das INA findet in Krisis die affirmative Theoretisierung ihrer Praxis. Krisis präsentieren nicht nur im Manifest gegen die Arbeit, sondern vor allem mit ihren weiterführenden Texten die angeblich fehlende Theorie für den dritten Sektor.

Man kann den Arbeitern nicht nur in diesem Lande einiges vorwerfen. Aber angesichts der bitteren Realitäten in dritten Sektor sicher nicht, daß sie sich lieber an der Lohnarbeit festhalten, statt sich auf die 'freie und selbstbewußte' Tätigkeit im Non-Profit-Bereich einzulassen, der am Tropf der Arbeitsgesellschaft hängt.

H./Leipzig


Fußnoten:

[1] Dieser Text basiert auf einem Veranstaltungsreferat, wurde aber für die Veröffentlichung im Zirkular noch einmal überarbeitet.

[2] Kritik am Manifest gegen die Arbeit; Wildcat Zirkular 54.

[3] Krisis treiben in diesem Begriff die von ihnen gesehene gesellschaftliche Funktion der so Bezeichneten auf die Spitze. Es handelt sich also hier nicht, wie eventuell falsch verstanden werden kann, um eine sozialdarwinistische Abqualifizierung. Gleichwohl äußert sich in der Übernahme des Begriffes die Ansicht, die Elendsbevölkerung wäre ohne Funktion für die kapitalistische Verwertung.

[4] Norbert Trenkle offenbarte bei einer Veranstaltung, auf der er sich über die kürzeren Produktionszyklen an den Bändern der japanischen Automobilindustrie äußerte, daß er überhaupt nicht verstanden hatte, daß diese kürzeren Montagezyklen vor allem auf einer geringeren Fertigungstiefe basierten - vielmehr mußte er eingestehen, nicht zu wissen, was mit 'Fertigungstiefe' gemeint sei; aktuell weiß er von der Faszination der Alternativökonomie zu berichten, ohne die negativen Erfahrungen, die diese Projekte vor allem in den 80er Jahren gemacht haben, zu reflektieren; Krisis' Thesen vom Verschwinden der Arbeit sind weit davon entfernt, aktuelle Untersuchungen zum Arbeitsvolumen oder des realen Produktionsprozesses zur Basis zu haben; ihre Betrachtungen zum Arbeitswahn stellen in letzter Instanz nur die links gewendete Wiedergabe des selbstgefälligen Gelabers kapitalistischer 'Human Ressource Manager' dar.

[5] » ...Der Kampf um die allgemeine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich könnte also nur der Einstieg in eine neuartige Systemveränderung sein, die über die Logik von Erwerbsarbeit, Geldverdienen und fordistischem Konsum hinausführen muß. Ein Ansatz dazu wäre die Besetzung der gewonnenen »disponiblen Zeit« (Marx) nicht mit Freizeitkonsum, sondern mit Elementen von Selbstversorgung und Selbstverwaltung in vieler Hinsicht; also sozusagen die Entkoppelung einiger Lebens- und Reproduktionsbereiche von Ware-Geld-Beziehungen ...«; Robert Kurz, Die vier letzten Tage der Gewerkschaften - Feierabend, Konkret 01/94, S. 24

[6] Robert Kurz; Jenseits von Markt und Staat - Transformation der Ökonomie durch eine neue genossenschaftliche Produktionsweise (1995)

[7] Ernst Lohoff; Krise und Befreiung - Befreiung in der Krise; Krisis Nr.18

[8] So begründet die Weltbank letztlich ihre Unterstützung für NGOs und mit dieser Begründung werden alternative Projekte in die Kommunalpolitik einbezogen. Als die Kölner Sozialdezernentin Christiansen im Mai 1997 zur Einbeziehung lokaler Vereine und Initiativen in die kommunale Arbeitsvermittlung sagte: »Wenn auch nur ansatzweise der Eindruck entsteht, sie [die Initiativen - d.A.] würden durch ihre Mitwirkung an dem Programm zu einer Art Sozialpolizei, zum verlängerten Arm einer Kontrollbehörde, dann kommen wir hier nicht weiter.«, machte sie damit nur klar, was diese Einbeziehung tatsächlich ist und als was sie auf gar keinen Fall erscheinen darf: die Verschleierung der sozialen Kontrolle.

[9] Offener Brief des INA an die Bundesregierung vom 21.12.1998; unterschrieben ist das Papier von Heinz Weinhausen, dessen Texte sich auch auf den Krisis-Webseiten (http://www.magnet.at/krisis) finden.

[10] Es darf an dieser Stelle der Vollständigkeit halber die Debatte, die der offene Brief des INA, innerhalb des Krisis-Umfeldes ausgelöst hat, nicht unerwähnt bleiben. Natürlich ist es auch Krisis unmöglich, über deratige Verletzungen dessen, was sie für 'Antipolitik' halten, einfach hinwegzugehen. Aber daß sich ein im Jahr nach dem Erscheinen des Briefes von eben dieser Debatte nichts in den Krisis-Positionierungen zum INA findet, zeigt zumindest, daß Krisis auch keine besseren Kandidaten für die Umsetzung ihrer 'Kritik der Arbeit' haben als eben jene Alternativprojekte, die letztlich am Tropf der Arbeitsgesellschaft hängen.

[11] Mit sozialen Projekten die Bilanz verbessern; FAZ 20.04.1999

[12] Die Frage, ob dann eine Kritik der Arbeit unmöglich sei, soll hier allerdings dahingestellt bleiben. Doch ist zu bedenken, daß selbst Menschen, die ihren Sonntagnachmittag im Kleingarten als 'Arbeit' bezeichnen, eine recht genaue Vorstellung von dem Unterschied zwischen dieser und jener 'Arbeit' haben.

[13] Franz Schandl; Vom Verwesen der Arbeit; in Feierabend - Elf Attacken gegen die Arbeit; Dieses Zitat steht hier nur beispielhaft für den Arbeitsbegriff in den Veröffentlichungen von Krisis, ähnliche Stellen finden sich z.B. bei Norbert Trenkle und Roswitha Scholz. Wenn es - tief in den Schriften von Krisis verborgen - noch eine andere Benennung des Verhältnisses zwischen Arbeit und Geld geben sollte, zeigt das nur entweder die Inkonsistenz ihrer Theorie oder die Geringschätzung ihrer Leser, denen die Theorie zusammengefaßt und auf den Kopf gestellt präsentiert wird, weil sie diese anders nicht verstünden. Das letzte paßt allerdings gut zur Auffassung der Krisis-Gruppe über die Menschen und deren Fähigkeit, die sie umgebende und von ihnen produzierte Welt zu erkennen.