Die Krisis-Redaktion bittet um Unterstützung für eine befreundete Gruppe in Fortaleza, Brasilien

Der Versuch, wertkritische Positionen mit handfesten sozialen Kämpfen zu vermitteln, ist bisher noch eine seltene Ausnahme. In Fortaleza im Nordosten
Brasiliens (dem ärmsten Teil des Landes) gibt es eine Gruppe, die ihn unternimmt - mit allen damit zusammenhängenden Schwierigkeiten und Problemen.
Diese Gruppe braucht jetzt dringend unsere finanzielle Unterstüzung.

Wie soll man die Gruppe in wenigen Worten beschreiben? Am ehesten als Zusammenhang von AktivistInnen und lokalen Initiativen, die seit vielen
Jahren in fast allen sozialen Auseinandersetzungen vor Ort präsent sind und dadurch einiges in Bewegung gesetzt haben. Die Gruppenmitglieder organisieren
Grundstücksbesetzungen, unterstützen Kämpfe der Favela-BewohnerInnen (z.B. die Besetzung des Rathauses um eine bessere Wasserversorgung und
Nahrungsmittel zu fordern), beraten mißhandelte Frauen und unterstützen sie gegen ihre gewalttätigen Männer, sind in der örtlichen Lehrergewerkschaft
aktiv und vieles anderes mehr. All dies versuchen sie überdies mit einer theoretischen Reflexion zu flankieren, weshalb sie nicht nur Diskussionszirkel unterhalten, sondern auch ein "Instituto da Filosofia da Praxis" eingerichtet haben, publizistisch aktiv sind und beispielsweise im November 2000 einen großen Kongreß organisierten, zu dem Anselm Jappe, Robert Kurz und ich zusammen mit Moishe Postone eingeladen waren.

Angesichts dessen ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Gruppe, die sich früher ganz markig PART ("Partei der Arbeiter(innen)revolution für die
menschliche Emanzipation") nannte, mittlerweile aber Abschied von (partei)politischen Ambitionen genommen hat, in Fortaleza nicht nur große
Unterstützung genießt, sondern sich auch viele Feinde gemacht hat (es gab sogar schon Morddrohungen). Im letzten Juni wurde ihr deshalb unter
fadenscheinigen Gründen das bisher angemietete Versammlungslokal gekündigt, wo sich die verschiedenen Initiativen trafen, ihre Aktivitäten organisierten
und diskutierten und das zugleich auch eine Art Kulturzentrum war, in dem Feste und Musikveranstaltungen stattfanden.

Nun hat die Gruppe nach längerer Suche endlich ein neues Lokal gefunden und gekauft, um in Zukunft besser abgesichert zu sein. Der Preis ist für deutsche
Verhältnisse geradezu lächerlich, nämlich 70.000 Reais (ca. 20.000 Euro) für ein Häuschen mit Hof und Garten in der Stadt, aber gemessen an den dortigen
Einkommen ist es eine ganze Menge, vor allem für eine Gruppe, deren Mitglieder zum größten Teil aus den armen und ärmsten Schichten der Bevölkerung stammen. Die Hälfte der Summe haben sie schon zusammengebracht, aber es fehlt eben noch die andere Hälfte und die muß noch im Februar bezahlt werden, wenn der Vertrag nicht verfallen soll.

Die Gruppe braucht das Lokal unbedingt, um ihre Aktivitäten fortsetzen zu können!

Daher rufen wir dringend dazu auf, sie durch Spenden zu unterstützen. Leider sind die finanziellen Reserven des Förderverein Krisis derzeit auf Null
geschrumpft, weshalb wir von uns aus keinen Spielraum haben, sondern auf eine breitere Unterstützung angewiesen sind. Durch größere Einzelspenden sind
schon rund 1000 Euro zusammengekommen, aber das sollte steigerungsfähig sein. Auch kleinere Beträge werden nicht verschmäht.

Also greift bitte schnell zum Überweisungsformular - denn, wie gesagt, das Geld wird bald gebraucht - und spendet auf das Konto des:

Förderverein Krisis Nr. 300 114 859
bei der Postbank Nürnberg, BLZ 760 100 85
Kennwort: Fortaleza

Wir leiten das Geld dann nach Fortaleza weiter. Die Spende ist wie immer steuerlich absetzbar

Für alle, die noch mehr über die Gruppe und ihre Aktivitäten erfahren wollen, verschicke ich ebenfalls per Newsletter einen Artikel, den Anselm Jappe und
ich vor zwei Jahren nach unserem Besuch in Fortaleza für "Jungle World" verfaßt haben.


Norbert Trenkle für die Krisis-Redaktion

 

Eine übelbeleumdete Gruppe
von Anselm Jappe und Norbert Trenkle

(Erschienen in "Jungle World", Januar 2001 in redaktionell leicht veränderter Form unter dem ebenfalls redaktionell veränderten Titel "Die PART der Frauen")

Wer weiss, ob Hegel oder Adorno es sich vorgestellt haben, dass andere dereinst unter den senkrechten Sonnenstrahlen des Äquators heftig darüber
diskutieren würden, wie ihre Ideen zur dortigen gesellschaftsverändernden Praxis beitragen können. Fortaleza, Hauptstadt des Bundesstaates Ceará im Nordosten Brasiliens, ist in den letzten 15 Jahren zu einer Zweieinhalbmillionenstadt angeschwollen, während sich das noch von halbfeudalen Strukturen geprägte und von Dürrekatastrophen heimgesuchte Hinterland entvölkert hat. Die Hochhäuser der Mittelklassen und der grossen Hotels haben bereits die gesamte Meeresfront eingenommen und die Armenviertel immer weiter nach aussen gedrängt; vielleicht nirgendwo ist so sehr wie in Brasilien Heines Vers wahr: "Das Elend bleibt, ganz wie es war/Aber Du kannst es machen unsichtbar". Freilich, man muss schon angestrengt wegsehen, um nicht die gerademal pubertierenden Mädchen zu sehen, die an der Durchgangsstrasse hinter den Strandhotels ihre Körper zur Miete anbieten. Der Sextourismus boomt, die Kinderprostitution insbesondere. So "normal" ist das, dass in den Hotelzimmern statt der üblichen Begrüssungsbonbons für den Neuankömmling Kondome ausliegen.

Obwohl geographisch im Zentrum der Welt gelegen, ist die grosse Bevölkerung Fortalezas vom Rest des Landes parktisch abgeschnitten: die nächsten Weltstädte, Rio de Janeiro und São Paulo, sind Tausende von Kilometern und 52 Stunden Autobus entfernt. In einer Stadt, in der fast 70 Prozent der Bevölkerung nicht mehr als das gesetzliche Mindesteinkommen von rund 180 Mark verdient (bei Preisen fast auf europäischem Niveau) kann sich die Fahrt
kaum jemand leisten. Die kulturelle und soziale Distanz ist so gross wie die zwischen Bozen und Palermo. Dafür ist in Fortaleza die Erinnerung an die "Canganceiros", die grossen Banden aus Ehrenbanditen in den dreissiger Jahren, noch lebendig.

Aber es gibt dort Menschen, die versichern, ihre gesellschaftliche Praxis sei das, was den fortgeschrittensten Formen von wertkritischer Gesellschaftstheorie noch fehlt. Wer meint, dass Brasiliens Linke viel zu staatsfixiert und nationalistisch sei, die Arbeiterpartei PT sich zu einer sozialdemokratischen Partei im Blair-Schröder-Stil entwickle, die "kommunistischen" Parteien des Landes delirante Verfallsformen des Stalinismus repräsentierten, die Landlosenbewegung MST letztlich nur auf
die Marktintegration der Ausgeschlossenen ziele und die Reste der Theologie der Befreiung eben doch ein Flügel der Kirche seien, der kann in Fortaleza eine erstaunliche Gruppe namens "Part" finden.

"Übelbeleumdet" nennt sie das Lokalblatt O Povo, und die lokale Linke hasst sie genauso wie die Stadtverwaltung. Aber wer sie kennnenlernt, trifft auf einen Kern von Leuten, die aus dem Widerstand gegen die Militärdiktatur nach 1968 kommen und später aus sechs linken Parteien hintereinander herausgeworfen worden sind; um ihn herum Menschen aller sozialen Schichten, Altersgruppen und Hautfarben, wie es in Brasilien selten passiert. Das Klima ist so herzlich wie nur möglich, die interne Solidarität gross, und obwohl das Kürzel markig-leninistisch "Partei der Arbeiter(innen)revolution für die menschliche Emanzipation" bedeutet, erinnert die Atmosphäre eher an die anarchistischen Gruppen der Jahrhundertwende, von denen Rudolf Rocker erzählt. Den grössten Teil ihrer Zeit verbringen die Part-Aktivistinnen und Aktivisten mit der Unterstützung von Grundstücksbesetzungen und Stadtteilkämpfen, mit Aktivitäten in der Frauenbewegung, der Organisierung "wilder" Streiks in einer offiziell nicht anerkannten Erziehungsgewerkschaft und dergleichen mehr. Aber gleichzeitig besteht ein grosser Hunger nach
Theorie, der sie unter anderem zur Durchführung eines internationalen Seminars über radikale Gesellschaftskritik veranlasste, an dem mehr als tausend Personen teilnahmen.

Wie bildete sich die Gruppe? Jorge Paiva musste nach der Studentenrevolte 1968 in São Paulo mit seiner Gefährtin Celia Zanetti in den Untergrund gehen
und dort fast 15 Jahre bleiben, weil ihn die Todesschwadronen der Militärdiktatur suchten. Das aus Zentralbrasilien stammende Paar verschlug es dabei ins periphere Fortaleza. Sie gehörten der maoistischen Partei an, aber eine auf abenteuerliche Weise erworbene Kenntnis der situationistischen Theorie liess sie auf Distanz zum Guerillakampf gehen; sie wandten sich der beginnenden städtischen Besetzungsbewegung zu. Dabei begegneten sie der gerade aus dem Gefängnis entlassenen Lehrerin Rosa de Fonseca, die ihnen die aus dem Exil zurückgekehrte junge Soziologieprofessorin Maria Luiza Fontenele vorstellte. Mit der Lockerung der Militärdikatatur verstärkte die Gruppe ihre Aktivitäten, nicht ohne dass die Maoisten der PCdoB sie ausschlossen und Jorge bei der Polizei denunzierten. Aber Stalinisten sind nun einmal unter allen Breitengraden die gleichen.

1985, mit der "Rückkehr zur Demokratie", schien die Stunde solcher Unentwegten gekommen. Sie traten in die PT ein, und Maria Luiza wurde als erste Frau und als erste "Petista" zur Prefeita (Bürgermeisterin) einer brasilianischen Regionalhauptstadt gewählt. Aber ihre Amtszeit, die bis 1988 dauerte, war desaströs, und sie bezeichnet sie noch heute als "traumatisch". Nicht nur waren die Stadtkassen leer, die Erwartungen der Volksschichten gross und die Erfahrung gering. Alle boykottierten sie: der Stadtrat, die Unternehmer, die linken Parteien, die staatlichen Organe. Streiks der Busunternehmer und der Müllabfuhr wurden angezettelt, um ihr das so entstandene Chaos anzulasten. In der regionalen und überregionalen Presse fand eine regelrechte Hetzkampagne statt. Schliesslich griff Maria Luiza auf ihre ehemaligen Mitstreiter zurück, die ihr zwischenzeitlich wegen ihrer schwankenden Politik den Rücken gekehrt hatten. Das polarisierte die Situation natürlich noch weiter. Mehrmals demonstrierten Zehntausende zu ihrer Unterstützung, aber letztlich scheiterte der Versuch, an den Institutionen und den Interessengruppen vorbeizuregieren; ausser einem Wohnungsbauprogramm kam nicht viel zustande. Immerhin können Maria Luiza und die anderen darauf verweisen, dass sie sich nicht für die Krisenverwaltung haben einspannen lassen. Dafür wurden sie dann auch 1988 aus der PT ausgeschlossen.

Dasselbe taten in den Jahren danach noch mehrere andere linke Parteien, in denen sie arbeiten wollten. Die Vorwürfe waren stets dieselben: statt auf das klassische Proletariat setzten sie auf das "Lumpenproletariat" der Favelas; die Frauenfrage wollten sie nicht als einen "Nebenwiderspruch" gelten lassen; statt nur gegen den Präsidenten und den IWF demonstrierten sie gegen die kapitalistischen Verhältnisse als solche. Schliesslich gründeten sie 1995 ihre eigene Organisation. Bis heute haben sie sich nicht als Partei registrieren lassen und haben keine formelle Struktur. Sie sind überall dabei, wo sich spontaner Widerstand in der Stadt regt. Viele Part-Mitglieder kommen selber aus den illegal errichteten Vorstädten und den sozialen Bewegungen. Am 1. Mai 2000, zum Beispiel, als die institutionelle
Linke ihre rituelle Demonstration abhielt, halfen sie bei der jüngsten grossen Besetzung. Tausende von Leuten drangen in ein leerstehendes Grundstück ein, wo erste provisorische Behausungen errichtet wurden. Dann begann der Kampf um elementare Infrastrukturen wie Wasser, Strom, Kanalisation und Strassen.

Wie Rosa betont, sind aber auch bestehende Stadtviertel ständig von einer Politik der Inwertsetzung, insbesondere für denTourismus bedroht. "Vor allem
in unmittelbarer Nähe zum Meer werden die Menschen aus ihren Häusern vertrieben, die dann abgerissen werden, um Platz für Hotels, Appartmenthäuser und Touristenrestaurants zu machen. In Beira do Mar, der grossen Bucht von Fortaleza, ist schon alles zugebaut, und die dahinter liegenden Volksviertel sind von der Sicht aufs Meer und vom frischen Wind abgeschnitten." Wie reagieren die Part-Aktivisten darauf? "Nun, grundsätzlich versuchen wir, den spontan sich formierenden Widerstand gegen solche Bauprojekte zu unterstützen, zu stärken und bei der Organisierung zu helfen, indem wir unsere langjährigen Erfahrungen einbringen. Erst kürzlich ist es so zum Beispiel gelungen, den Bau einer neuen, breiten Durchgangsstrasse in der Nachbarbucht zu verhindern, und zwar indem wir die Legitimationsstrategie der Stadtregierung durchkreuzt haben. Die haben den Leuten weisgemacht, durch die neue Strasse und einige damit verbundene
Infrastrukturmassnahmen würden die Lebensverhältnisse im Stadtteil verbessert. Wir haben dann zusammen mit Initiativen aus dem Stadtteil eine ganze Reihe von Versammlungen durchgeführt und darüber informiert, was tatsächlich geschehen würde. Dort sind auch eigene Forderungen für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse diskutiert worden, mit denen die Vertreter der Stadtregierung dann auf ihren Propagandaveranstaltungen konfrontiert wurden. Diese Veranstaltungen haben wir richtiggehend gekippt und zu einem Forum für uns gemacht. Daraufhin formierte sich ein ziemlich massiver Widerstand und es war klar, dass der auch militante Formen annehmen würde, wenn das Bauprojekt durchgezogen würde. Deshalb wurde es dann auch gestoppt. Allerdings steht zu befürchten, dass die Statdtregierung nur auf einen günstigeren Augenblick wartet, um ihre Pläne wieder aus der Schublade zu holen."

In den letzten Jahren verhinderten Part-Mitglieder u. a. die Errichtung von Strommasten direkt über Häusern, erreichten die Legalisierung von Mopedtaxi-Kooperativen, belagerten den Gemeinderat, um den Stromanschluss eines besetzten Viertels zu erzwingen, organisierten einen harten Lehrerstreik und unterstützen Gefängnisinsassen - was sich kaum jemand in Brasilien traut. Erstaunlich ist das ökologische Bewusstsein von Leuten, die doch tagtäglich mit ganz unmittelbar existentiellen Problemen zu kämpfen haben. Die zwanzigjährige Natercia etwa erklärt ihrer Mutter, Hausangestellte für 300 Mark im Monat und Mutter von sechs Kindern, dass sie, obwohl sie es bis zur Universität gebracht hat, auch später kein Auto haben will. Zu umweltverschmutzend findet Natercia dieses Statussymbol aller aufgestiegenen Armen; sie hält mehr von kollektiven Transportmitteln. Augenblicklich kann sie sich nicht einmal Bücher leisten. Am rechten
Zeigefinger hat sie eine dicke Hornhaut, weil sie ganze Kapitel per Hand abschreibt. Über die Uni allerdings hat sie Zugang zum Internet und eine eigene Mail-Adresse. Auch das gehört zu den seltsamen Widersprüchen der postfordistischen Krisenwirklichkeit.

Eine besondere Rolle spielen für die Part die Kämpfe und die Selbstorganisation von Frauen, die in der Gruppe übrigens eindeutig in der Mehrheit sind. Celia betont: "Das starke Engagement von Frauen in den Stadtteilkämpfen ist ein allgemeines Phänomen. Es hängt sicher damit zusammen, dass sich die Männer der Verantwortung für die alltägliche Reproduktion entziehen und alles auf die Frauen abwälzen. Die sehen deshalb auch sehr viel eher die Notwendigkeit, sich zu organisieren, um gemeinsam für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen. Man kann wirklich sagen, dass die Besetzungen und ähnliche Kämpfe ganz überwiegend von Frauen getragen werden." Maria Luiza fügt hinzu: "Für unsere Gruppe spielt die Frauenbewegung schon lange eine zentrale Rolle. Das fing mit dem Engagement in der 'Frauenbewegung für die Amnestie' unter der Militärdiktatur im Jahr 1978 an und zieht sich bis heute durch. 1979 waren wir an der Gründung der Frauenunion des Ceará beteiligt, die sich damals sehr stark in den sozialen Auseinandersetzungen engagierte, etwa bei der Unterstützung des grossen Metallarbeiterstreiks". "Gleich nach der Gründungsversammlung", schmunzelt Rosa, "mussten wir schon vor Gericht, weil wir erst einmal ein paar Zivilpolizistinnen an den Haaren aus dem Versammlungssaal geschleift haben".

Heute bekämpft die Frauenunion hauptsächlich die männliche Gewalt gegen Frauen, auch und gerade in den Armutsvierteln. Rosa: "Die Männer lassen ihre
Wut über die elenden Verhältnisse, in denen sie leben, an ihren Frauen aus. Besonders schlimm ist das am Wochenende, wenn sich die Männer betrinken und
Drogen nehmen. Wir haben dann am Montag immer einen ungeheuren Andrang in unserer Beratungsstelle. Dort geben wir den Frauen psychologische Unterstützung, versuchen ihr Selbstbewusstsein zu stärken und überlegen dann gemeinsam, wie es weitergehen soll. Oft raten wir zu einer Anzeige gegen
den Mann und helfen den Frauen dabei, sie zu erstatten. Oft raten wir auch zu einer Trennung." Aber die Frauenunion organisiert auch Demonstrationen vor
dem Gerichtsgebäude, lädt im Viertel von Tür zu Tür gehend zu einer Versammlung gegen einen Kinderprostitutionsring ein oder hält ein Seminar zur "Neuerfindung der Liebe" ab.

Vom akademischen und systemkonformen Feminismus sind die Part-Frauen jedenfalls meilenweit entfernt, denn wie Celia sagt: "Wichtig ist für uns, diese Praxis nicht isoliert zu sehen, sondern im Kontext einer antikapitalistischen Perspektive. Deshalb haben wir immer versucht, unsere Arbeit auch theoretisch zu fundieren. Allerdings fanden wir die Antworten des traditionellen Marxismus auf diesem Gebiet schon lange ziemlich unbefriedigend und haben uns daher mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich Patriarchatskritik und die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise verbinden lassen. Die These von der 'Wertabspaltung' war deshalb für uns eine ganz wichtige Entdeckung. Wir haben sie sehr ausführlich diskutiert." Dieser Versuch, auch theoretisch die alten Schemen zu überwinden, ist
besonders bezeichnend für die Part. Das Studium der Grundrisse brachte einige der Mitglieder dazu, den Klassenkampfmarxismus in Frage zu stellen und sich für Wertkritik zu interessieren. Durch regelmässige Lektüren und Diskussionen in der gesamten Gruppe versuchen sie ihre Erkenntnisse zu vermitteln und gemeinsam weiterzuentwickeln. Dass das nicht immer ganz leicht war und ist, versteht sich. Schon deshalb, weil vielen der Part-Mitglieder kaum irgendeine Bildung auf den Weg mitgegeben wurde. Doch nur wer ein abstraktes Reinheitsgebot der Theorie vertritt kann deren Anstrengungen "naiv" finden. Sicher schleppt auch die Part noch alle möglichen traditionslinken Altlasten mit sich herum. Sicher kann auch die radikale Kritik an Wert, Ware, Geld, Staat und Arbeit ihrerseits fetischisiert werden
und "traditioneller Marxist" zum leeren Schimpfwort verkommen wie einst "Revisionist" oder "Sozialfaschist" - einzelnen Redebeiträgen auf dem Seminar war dies anzumerken. Und sicher gibt es auch die Neigung, Theorie und Praxis allzu unvermittelt aufeinander beziehen zu wollen. Die zum Seminar eingeladenen Referenten warnten deshalb auch davor, die grosse Kluft zu unterschätzen, die zwischen der notwendigen theoretischen Kritik der Verhältnisse und der nicht minder notwendigen praktischen sozialen Gegenwehr auch in der näheren Zukunft vorerst noch bestehen wird.

Umstritten war beispielsweise der Boykott der Kommunalwahlen, zu dem die Part unter dem Banner vom "Ende der Politik" aufrief und den sie unter anderem mit
einem in der ganzen Stadt vielbeachteten "Begräbnis der Politik" in Strassentheaterform propagierte. Brisant war die Aktion deshalb, weil es in der Stichwahl zum Bürgermeister um die Entscheidung zwischen dem Kandidaten der einst proalbanischen PCdoB und dem des rechten PMDB ging. Die Linke Fortalezas, die mehrheitlich den PC-Kandidaten unterstützte, wirft der Part nun vor, den Sieg der Rechten mit verschuldet zu haben - zu Recht oder zu Unrecht: immerhin war die Wahlenthaltung mit 20 Prozent für brasilianische Verhältnisse (es besteht Wahlpflicht) ziemlich hoch. Ob dieser Wahlboykott sinnvoll war oder nicht, lässt sich natürlich ohne genaue Kenntnisse der Verhältnisse vor Ort nicht beurteilen. Die Trauben hingen jedenfalls nicht zu hoch, bedenkt man die einschlägigen Erfahrungen der Part in der Stadtverwaltung. Aber in den Diskussionen über die Aktion wurde auch betont, dass sie keinesfalls unmittelbar aus der grundsätzlichen Kritik an der Politk abgeleitet werden dürfe. Wie sich eine Praxis sozialer Kämpfe jeweils auf die Politik beziehe, dafür könne die Theorie keine direkten
Handlungsanleitungen liefern, sondern das müsse aufgrund der jeweils konkreten Bedingungen gewissermassen taktisch beurteilt werden; also etwa danach, ob eine bestimmte politsche Konstellation in irgendeiner Weise günstig für die laufenden sozialen Auseinandersetzungen sein könne oder nicht.

Jorge ist sich in dieser Hinsicht ziemlich sicher: "Wir machen uns keine Illusionen. Der PC-Kandidat hätte nichts anderes getan, als es der rechte Bürgermeister auch tun wird. Und an unserer Praxis hätte sich ohnehin nichts geändert, denn die spielt sich schon lange auf der Ebene der sozialen Bewegungen ab". Dass auch die sich noch eine ganze Zeitlang mit der Politik werden herumschlagen müssen, ist ihr natürlich bewusst. Eines jedenfalls lässt sich nicht bestreiten: Der Aufruf zum Wahlboykott hat in Fortaleza eine äusserst heftige und polarisierte gesellschaftskritische Diskussion in Gang gesetzt, die sicher noch weit über den unmittelbaren Anlass hinaus ihre Wirkung tun wird. Und den üblen Leumund der Part hat er allemal bestätigt.