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Robert Kurz
[S. 57-108]
Abstrakte Arbeit und Sozialismus
Zur Marx'schen Werttheorie und ihrer Geschichte
1. Das Schicksal der Werttheorie im traditionellen Marxismus
Die Marx'sche Kritik der politischen Ökonomie beginnt nicht im kruden
Sinne historisch, sondern mit einem Resultat: mit der WARE als der „Elementarform“
des Reichtums in „Gesellschaften in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht“.
Die Ware ist diese Elementarform des Reichtums aber in doppelter, GEGEN-SÄTZLICHER
Form. Soweit sie nützliches Ding oder „Gebrauchswert“ ist, teilt sie diese
Eigenschaft mit allen Arbeitsprodukten in allen vergangenen und zukünftig
denkbaren Gesellschaften. Der Gebrauchtswert als solcher stellt eine immer und
überall gültige Wesensbestimmung gesellschaftlicher Arbeit dar und
muß daher auch der Ware immanent sein. Dies verbindet die warenproduzierende
Produktionsweise mit allen übrigen. Was die Distinktheit und historische
Besonderheit der Ware ausmacht, ist aber gerade ihr „WERT“ als zum Gebrauchswert
gegensätzliche gesellschaftliche Form. Zweifellos ist die Marxsche Werttheorie
von allen bisherigen die entwickeltste und stringenteste, wie selbst die meisten
Gegner zugeben. Die bürgerliche politische Ökonomie hat die Werttheorie
praktisch überhaupt aufgegeben und im krassen Gegensatz zu ihren eigenen
Klassikern zur bloßen „Metaphysik“ erklärt, was einer bedingungslosen
Kapitulation vor dem Marxschen Angriff gleichkommt. Nachdem gerade der Wert
und damit das Spezifikum der kapitalistischen Produktionsweise unwiderlegbar
als historische und vergängliche Besonderheit herausgearbeitet war,mußte
die bürgerliche Wissenschaft jedes Interesse an einer Werttheorie verlieren
und diesen Ansatz fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.
Man sollte meinen, daß damit die Werttheorie als Zentrum des Marxschen
Werkes zur theoretischen Hauptwaffe der alten Arbeiterbewegung und des auf diesem
Boden sich entwickelnden traditionellen „Marxismus“ hätte werden müssen.
Aber weit gefehlt. Kein Teil des theoretischen Gebäudes von Marx hat für
die Marxisten weniger wirkliche Bedeutung gehabt als das Fundament der Werttheorie.
Die meisten politischen, strategischen und programmatischen Schlußfolgerungen
der Marxisten standen in keinerlei organischer Beziehung in der von Marx geleisteten
Kritik des Wertes. Von Zeit zu Zeit wurde sogar, von Gegnern wie Anhängern,
grundsätzlich bestritten, daß man überhaupt auf dem Boden der
Marxschen Werttheorie stehen müsse, um „Marxist“ zu sein(1).
Dieses auf den ersten Blick erstaunliche Phänomen verdient es, näher
untersucht zu werden. Inhaltlich macht sich die geringe Relevanz der fundamentalen
Werttheorie für den bisherigen Marxismus vor allem an zwei Punkten fest.
Zum einen war es nicht so sehr der Wert, was von elementarem Interesse schien,
sondern vielmehr der MEHRWERT. Der Wert als solcher wurde mit dürren, definitorischen,
unkritisch verstandenen Bestimmungen platt als pure Selbstverständlichkeit
vorausgesetzt. Diese Haltung mußte sich allerdings notwendig aus einer
bestimmten Entwickungsstufe des kapitalistischen Wertverhältnisses als
einer historisch-gesellschaftlichen Praxis ergeben, wie sie die empirischen
Lebensumstände der Arbeiterklasse noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
beherrscht hat. Einerseits hatte sich schon seit dem 15. Jahrhundert in großen
Schüben die Warenproduktion entwickelt und das Wertverhältnis tendenziell
verallgemeinert, freilich erst für den Einzelnen in Teil- oder Randbereichen
seiner Reproduktion. In diesem Prozeß der Ausdehnung des Wertverhältnisses
war andererseits die Lohnarbeit zunächst nur punktuell aufgeschossen; die
ersten großen Manufakturen wurden bezeichnenderweise mit Sträflingen
betrieben (vgl. Kuczynski 1967). Ein großer Teil der Warenprokuktion spielte
sich also über lange Zeiträume hauptsächlich zwischen handwerklichen
und bäuerlichen Kleinproduzenten auf der Basis von Eigenarbeit ab. Noch
in den entwickeltsten westlichen Ländern hatte das
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Kapital zu Beginn des 20. Jahrhundert keineswegs alle inneren Produktionszweige
erfaßt. Die wirkliche und fast totale Verallgemeinerung der Lohnarbeit
setzt erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die traditionelle Arbeiterklasse
und ihre Bewegung war daher noch stark von einem handwerklichen Bewußtsein
geprägt, besonders in Gestalt der Facharbeiter, die auch überall
den führenden Kern stellten. In ihrem Bewußtsein schnitten sich
die frische Erinnerung an ein Produzentendasein ohne kommandierendes Geldkapital,
der eigene Arbeitsstolz als handwerklich qualifizierter Arbeiter innerhalb
des Fabriksystems und die unmittelbare Anschauung großer Sektoren
selbständiger Produzenten, wie sie um den kapitalischen Sektor herum
noch lange weiterexistierten: „Die Lebenserwartungen des Arbeiters waren
durchaus kleinbürgerlich geprägt...“ (Grebing 1962, S. 125).
Für dieses Bewußtsein war es durchaus nicht der Kritik fähig,
daß der Arbeiter „Werte“ schafft, sondern ganz im Gegenteil Ausdruck
des eigenen positiven Selbstverständnisses. Entsprechend positiv statt
kritisch stellte sich die Marxsche Werttheorie für den traditionellen
Marxismus dar. Wenn Kautsky oder später Lenin die „Arbeitswerttheorie“
gegen die Grenznutzenschule oder andere bürgerliche Kritiker verteidigten,
so immer sub specie der Affirmation des „werteschaffenden“ Arbeiters, nicht
etwa der Kritik des Werts als einer negativen, zerstörerischen Potenz.
Die Verwissenschaftlichung der Produktion und damit die reelle Subsumtion
der Lohnarbeit unter das Kapital war noch nicht weit genug fortgeschritten,
um dieses Selbstbewußtsein zu erschüttern.
Unter diesen Bedingungen mußte sich die Kritik der Lohnarbeit
auf die Kritik des in einem kruden Sinne verstandenen Mehrwerts beschränken.
Die Arbeiter wollten nicht wirklich die Wert- und Warenform der Produktion
loswerden, sondern bloß das ihnen im Nacken sitzende Geldkapital;
dies entsprach einem von heute aus gesehen erst relativ unentwickelten
Vergesellschaftungszustand, in dem die verwissenschaftlichten Aggregate
unmittelbarer Gesellschaftlichkeit (Institutionen von Wissenschaft, allgemeiner
Ausbildung, Technologie, Infrastruktur und gesellschaftliche Logistik der
Produktion) noch keine so dominierende Rolle spielten und die Arbeiter
eines einzelnen Betriebes diesen auch leicht „selbstorganisiert“ hätten
führen und betreiben können als quasi kollektiver Handwerksmeister
auf Basis der Warenproduktion. Die Alternative zum Kapitalverhältnis
schien nicht die Aufhebung des Werts als solchen zu sein, sondern eine
genossenschaftliche Warenproduktion. Der GENOSSENSCHAFTSSOZIALISMUS in
seinen zahlreichen Spielarten reflektiert diese „mittlere“, noch lange
nicht ausgereifte Stufe kapitalistischer Vergesellschaftung.
Wie sich in diesem Zusammenhang die Begriffe der Klassengesellschaft
und der Ausbeutung in eine krude Vorstellung von „arm“ und „reich“ auf
der bewußtlos vorausgesetzten Basis des Werts verwandelten, so der
Begriff des Mehrwerts in die Vorstellung einer bewußt vom Kapital
vollzogenen Vorenthaltung des „vollen Arbeitsertrags“, ein Verständnis,
das davon zeugt, wie ungebrochen der handwerkliche Geist war und wie zum
Greifen nah dem Arbeiter noch seine Produktionsmittel. Marx dagegen, der
von der Logik des Vergesellschaftungs- und Verwissenschaftlichungsprozesses
aus dachte, hatte diese Vorstellungswelt, wie sie der Lasalleanismus noch
in purer Form repräsentierte, in seiner (lange unterschlagenen) „Kritik
des Gothaer Programms“ heftig angegriffen. Aber auch der „Marxismus“ mußte
von dem historisch bedingten Bewußtsein der fortgeschrittenen Arbeiter
gefärbt werden; es resultiert daraus eine bis heute dominierende,
verkürzende Lesart. Die Affirmation des „werteschaffenden“ Arbeiters
ließ den Mehrwert nicht als das moderne DASEIN des Werts erscheinen,
sondern vielmehr als eine äußerlich zum Wertverhältnis
HINZUTRETENDEE Kategorie. Wenn die Aufhebung des Mehrwerts nicht die Erstattung
des „vollen Arbeitsertrags“ bedeutete, dann schien sie in diesem Verständnis
überhaupt keinen Sinn mehr zu machen. Bernstein wendet die Marxsche
Argumentation daher prompt in eine Rechtfertigung des Kapitalverhältnisses
(vgl. Bernstein 1923).
Der Begriff der Ausbeutung mußte so unbewußt auch in ein
persönliches Herrschaftsverhältnis, eine direkte Herrschaftsbeziehung
von Menschen zurückübersetzt werden („Willkür“ des Kapitalisten
als Agitationsphrase). In soziologistischer Verflachung bekamen die Klassen
ein unabhängiges und selbständiges Dasein „neben“ dem Begriff
des Werts; nicht zufällig rangiert z.B. in Lenins Artikel „Karl Marx“
(1913) der „Klassenkampf“ als quasi selbständige Entität logisch
VOR der Werttheorie, die nur eine
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allgemeine „ökonomische Lehre“ nachschiebt (Lenin 1970). Die Klassen sind
nicht, wie im logischen Aufbau des Marxschen Werkes, aus dem Wert und seiner
Bewegung abgeleitet, sondern erscheinen als in ihrem Handeln selbständig
gegenüber dem Wert, eine Herangehensweise, die Tür und Tor öffnet
für politizistische Mißverständnisse der Kritik der politischen
Ökonomie (2).
Der „westliche Marxismus“ hat diese Verkürzung der Marxschen Theorie nicht
überwunden, eher im Gegenteil noch befestigt und ausgebaut. Nicht auf das
Zentrum der Kritik des Werts wurde zurückgegriffen, sondern auf das unabhängig
davon verstandene „Subjekt“, sei es das kollektive oder das individuelle. Das
Subjekt aber, das sich nicht als durch den Wert gesetzt begreift und dessen
Aufhebung als conditio sine qua non seiner eigenen Befreiung, muß ein
abstraktes bürgerliches Subjekt bleiben. Wie wenig der moderne „westliche
Marxismus“ den traditionellen überwindet, zeigt sich gerade dort, wo er
selber die Kritik der politischen Ökonomie zu rekonstruieren versuchte.
So ist nach Louis Althusser die Marxsche Werttheorie keineswegs das logische
Fundament der Mehrwerttheorie, letztere somit auch keine Konsequenz aus ersterer.
Vielmehr sei die Lehre vom Mehrwert eine „wissenschaftliche Theorie dessen,
was die Proletarier tagtäglich erfahren: die Ausbeutung ihrer Klasse.“
(Althusser 1973, S. 88). Es zeigt sich so, sogar noch expliziter, dieselbe Verkürzung,
wie sie schon im traditionellen Marxismus angelegt war, und hinter dem scheinbaren
strukturalistischen Objektivismus kommt die abstrakte Subjektivität fast
aller neueren marxistischen Theoriebildung zum Vorschein(3).
Es muß in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Marx aus dem Jahre 1859
aufmerksam gemacht werden: „Den Physiokraten jedoch, wie ihren Gegnern, ist
die brennende Streitfrage nicht sowohl, welche Arbeit den WERT, sondern welche
den MEHRWERT schaffe. Sie behandeln also das Problem in komplizierter Form,
bevor sie es in seiner elementarischen Form gelöst hatten, wie der geschichtliche
Gang aller Wissenschaften durch eine Masse Kreuz- und Querzüge erst zu
ihren wirklichen Ausgangspunkten führt“ (Marx 1968, S. 55). Die Ironie
der Geschichte besteht offenbar darin, daß sich dieser Gang der Wissenschaft
auf dem Boden des Marxismus noch einmal in anderer Form wiederholt, wie überhaupt
die alte Arbeiterbewegung alle Momente der BÜRGERLICHEN Emanzipation noch
einmal auf höherer Stufenleiter der kapitalistischen Vergesellschaftung
in „proletarischer“ oder „marxistischer“ Gestalt durchläuft, ohne über
die Wertkategorie und damit das Kapitalverhältnis hinauskommen zu können.
Zum zweiten aber war es das „Wertgesetz“, das für den traditionellen Marxismus
im Unterschied zur Theorie des Werts selber sich als Gegenstand der Kritik und
Auseinandersetzung bewährte. Auf den ersten Blick mag sich auch diese Aussage
seltsam anhören. „Wert“ und „Wertgesetz“ sind jedoch durchaus nicht unmittelbar
dasselbe. Das Wertgesetz bezeichnet gewöhnlich die Form, in der sich über
die Wertkategorie die „Allokation der Ressourcen“, die gesellschaftliche Proportionalität
der Verteilung von Arbeitskraft und Produktionsmitteln auf die einzelnen Produktionszweige
durchsetzt. Es ist also zu begreifen als die indirekte Form gesellschaftlicher
REGULIERUNG, deren zentrale Instanz der MARKT darstellt. Der Topos des traditionellen
Marxismus und der alten Arbeiterbewegung in dieser Hinsicht ist bekanntlich
derjenige von der „Anarchie des Marktes“. In dieser Bestimmung löst sich
das „Wertgesetz“ weitgehend auf. Wie schon der Mehrwert der Wertkategorie selber
äußerlich hinzutretend mißverstanden wurde, so also auch das
Wertgesetz als „anarchisches Prinzip der Konkurrenz“. Die Anarchie des Marktes
wurde ebensowenig wie der Mehrwert als das wirkliche Dasein des Werts selber
begriffen, sondern als eine äußere, fehlerhafte Folge des auf Profit
gerichteten Handelns der Kapitalisten. Dieses „marxistische“ Denken reflektierte
die noch von Marx beschriebenen Krisen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die
große Depression am Ende der Gründerzeit (1874 bis 1879), die kleineren
konjunkturellen Stockungen vor dem 1. Weltkrieg und schließlich die große
Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1933). Zentraler Ansatz der Kritik war
jedoch grundsätzlich nicht die Wertkategorie selber, sondern vor allem
der „blinde“ Marktmechanismus. Wie es möglich schien, den „werteschaffenden“
Arbeiter vom fehlerhaften Prinzip des Mehrwerts zu befreien, so auch die weiterhin
auf dem Wert beruhende gesellschaftliche Reproduktion von der krisenhaften „blinden“
Marktregulierung. Die Krisentheorien von Kautsky ebenso wie von Rosa Luxemburg
blieben noch ganz auf den „Marktmechanismus“ oder
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die „Realisierung des Mehrwerts“ fixiert. Unterkonsumtions- und Disproportionalitätstheorie
(Hilferding) unterscheiden sich so von ihrem Begründungszusammenhang der
Krise her nur unwesentlich.
Die „geplante“ deutsche Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs befestigte das
marxistische Mißverständnis einer „organisierten“ Warenproduktion
oder Wert-Vergesellschaftung ungeheuer. In der Tat schien es sich bei der Überwindung
des Wertgesetzes oder des „blinden Marktes“ bloß um eine ORGANISATORISCHE
Frage zu handeln. Für ein derart technizistisch verkürzendes Verständnis,
in dem das gesellschaftliche Verhältnis des Werts auf eine Formel bloßer
„Planlosigkeit“ reduziert ist, mußte die Herausbildung großer Trusts,
Konzerne und Kapitalgesellschaften, deren Zusammenwachsen und gegenseitige Durchdringung
und schließlich das Eingreifen des Staates im Sinne gesamtgesellschaftlicher
Regulierung schon soviel wie eine „Aufhebung der Warenproduktion“ bedeuten (vgl.
Hilferding 1974). Eine radikalere Deutung dieses rein organisatorischen Regulierungs-Mechanismus
sah darin sogar die Möglichkeit eines Übergangs zur geldlosen „proletarischen
Naturalwirtschaft“ angelegt, ohne das Problem der Wertkategorie wirklich zu
berühren (so Neurath 1919, im Osten Bucharin/Preobrashensky 1921). Auch
Lenin sah in der deutschen Kriegswirtschaft ein organisatorisches Vorbild, das
sich durch bloßen politischen Vorzeichenwechsel (Machtübernahme der
proletarischen Partei) in „Sozialismus“ verwandeln könne.(4)
Es wird so verständlich, wie sich aus der verkürzten Darstellung des
Wertgesetzes als „blinder Markt“, dessen Übel durch einfaches Organisieren
auf dem Boden des Werts bewältigt und beseitigt werden könnten, verschiedene
Varianten des STAATSSOZIALISMUS ergeben mußten. Wie die verkürzende
Kritik des Mehrwerts den Genossenschaftssozialismus hervorgebracht hatte, so
die ebenso verkürzende Kritik des „blinden Marktes“ den Staatssozialismus.
Beide Ideologien bedingen und durchdringen sich gegenseitig und treten auch
in wechselnden Formzusammenhängen in Gegensatz zueinander. Ihre historisch
bedingte Gemeinsamkeit besteht in ihrer Unfähigkeit, die Wertkategorie
selbst zu transzendieren. Die Affirmation des „werteschaffenden Arbeiters“ war
den kämpfenden Parteien gemeinsam, ohne daß sie dies überhaupt
bemerkten. Der auf diesem Boden erwachsene Gegensatz von Reformisten und politischen
Revolutionären innerhalb der sozialistischen Bewegung hat eine ganze Epoche
ausgefüllt.
Heute freilich ist dieser Gegensatz in der überlieferten Form unwahr geworden.
Nicht etwa in dem Sinne eines „dritten Weges“ oder ähnlicher Eklektizismen.
Umgekehrt: eine revolutionäre Position, die heute den vorherrschenden Strömungen
zum Trotz mehr denn je auf der historischen Tagesordnung steht, kann sich nicht
mehr auf die bloße politische Machtfrage beschränken (einschließlich
der bloß äußerlich-juristisch verstandenen Eigentumskategorie),
sondern muß den Wert oder das Wertverhältnis selber als Vergesellschaftungsform
beseitigen. Die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg hat endlich über
die Stufen des verallgemeinerten Fordismus und (seit Mitte der siebziger Jahre)
der mikroelektronischen Revolutionierung des gesamten Reproduktionsprozesses
eine solche Höhe kapitalistischer Vergesellschaftung herbeigeführt,
daß das Paradigma des „werteschaffenden Arbeiters“ erlischt und der Wert
selber als negative, zerstörerische Potenz hervortritt. Erst jetzt beginnt
das zur Welt-Vergesellschaftung aufgestiegene Kapitalverhältnis als Dasein
des Werts an absolute Grenzen zu stoßen, die sich als permanente ökonomische
und ökologische Krise manifestieren und in katastrophische Formen münden
müssen. Es ist notwendige Zäsur, wenn der überlieferte, traditionelle
Marxismus von den jüngsten gesellschaftlichen Oppositionsbewegungen als
unwahr empfunden und nicht mehr als angemessene und kohärente Gesellschaftskritik,
als Speerspitze einer Transzendierung der Verhältnisse akzeptiert wird.
Diese Zäsur ist aber zunächst mehr empfunden als begriffen und der
traditionelle Marxismus noch nicht wirklich überwunden, sondern bloß
beiseitegelegt. Zu den „Kreuz- und Querzügen“ der Wissenschaft und des
oppositionellen Denkens gehört unvermeidlich, daß erst einmal eine
Regression hinter den Marxismus zurück stattfindet statt ein Schritt über
ihn hinaus. Das in der Konstitutionsepoche des modernen Wertverhältnisses
herausgebildete frühbürgerliche Denken muß ebenso herhalten
wie der vormarxistische, vorwissenschaftliche Sozialismus für eklektische
(und meistens erbärmlich reformistische) Modellkonstruktionen. In den Trümmern
des Gebäudes der Marx-
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schen Theorie hat sich eine Menge kleiner Geister als Prediger niedergelassen,
die einzelne Momente dieser nicht mehr verstandenen großen Theorie
zu einem neuen Gesamtentwurf aufbauschen und gegeneinander ins Feld führen,
auf die wunderlichste Weise vermischt mit allen möglichen kritischen
bürgerlichen oder sozialistischen Denkansätzen, wie sie historisch
als Ouvertüre oder Begleitmusik des Marxismus entstanden sind. Von
den Subjektrettungs-Projekten der Lebensphilosophie und des Existentialismus
bis zu den altehrwürdigen Illusionen der Anarchisten und den Geldpfuschereien
eines Silvio Gesell reicht das Spektrum der Ideen, das mit unverdauten
Brocken des Marxismus angereichert und scheinbar vielfältig durcheinander
gemischt wird. Dieser gegenwärtig grassierende historische Eklektizismus
hat keinen eigenen Gedanken. Er verrät sich dadurch, daß immer
schon die Kategorie des Werts bewußtlos in seine theoretischen Mixturen
und Rezeptchen eingeht und er sich damit selbst als Überwindung des
traditionellen Marxismus permanent dementiert. Das Fundament der Marxschen
Werttheorie bleibt unbeachtet und unangetastet.
Wenn wir also mit der steckengebliebenen Geschichte der modernen sozialen
Emanzipation wirklich kritisch fertigwerden wollen, dann müssen wir
einen anderen, beschwerlicheren, aber auch selbständigeren Weg gehen.
Die reale Entfaltung der kapitalistischen Krisenpotenz auf der heutigen
Vergesellschaftungshöhe setzt die konkrete theoretische und praktische
Kritik des Werts erstmals wirklich drängend auf die Tagesordnung.
Was also ist überhaupt der Wert und wie kann er beseitigt werden?
Mit Sicherheit enthält die Marxsche Theorie eine vom traditionellen
Marxismus verdrängte und zugeschüttete Dimension, deren Aufdeckung
uns helfen kann, diese Frage konkret zu beantworten. Aber keineswegs dürfen
wir erwarten, bei Marx eine völlig eindeutige, in sich widerspruchsfreie
und tatsächlich erschöpfende Antwort auf unsere Frage zu finden.
Nicht nur des fragmentarischen Charakters seines ungeheuren Gesamtwerks
wegen. Vielmehr muß sich notwendig auch bei Marx selber das historisch
beschränkte Paradigma des „werteschaffenden Arbeiters“ in subtilen
Momenten seiner Theorie niedergeschlagen haben, durchaus im Widerspruch
zum Kontext und zur kritischen Stoßrichtung seines Ansatzes, denn
sonst hätte sich die heute untergehende alte Arbeiterbewegung in ihrer
Affirmation des Werts überhaupt nicht positiv auf die Marxsche Theorie
beziehen können. Es kann also gar nicht darum gehen, dem gesamten
bisherigen Marxismus gegenüber nun endlich den „wahren“ und „reinen“,
in sich absolut geschlossenen Marx aus dem Hut zu zaubern, der allen bisherigen
Marxismen völlig entgangen sein soll. Es würde sich so nur das
unhistorische, seine eigene Bedingtheit und die Bedingtheit jedes Denkens
mißachtende utopistische Besserwissertum auf dem Boden des Marxismus
wiederholen, wie sich tatsächlich die Gestalten der bürgerlichen
Emanzipation auf dem Boden des Marxismus schon wiederholt haben. Wir müssen
aufhören, ein Marx-Zitat als solches für einen Beweis nehmen,
mit einem Marx-Zitat ein anderes ausstechen zu wollen und also Marx zu
behandeln, wie die mittelalterliche Scholastik Aristoteles behandelt hat.
Ein wirklich auflösendes Begreifen kann nur gelingen, wenn wir diese
Naivität überwinden und uns eingestehen, „daß der Marxsche
Text selbst Veranlassung gibt, mit Marx gegen jede marxistische Interpretation
und letztlich auch mit Marx gegen Marx zu argumentieren..., daß sich
in der Existenz widersprüchlicher marxistischer Interpretationstypen
lediglich gewisse Widersprüche und ungelöste Probleme der Ökonomie-Kritik
reflektieren“ (Backhaus 1978, S. 27). Was hier bei Backhaus noch als etwas
plane Fragestellung bloßer Sachprobleme und Interpretationssysteme
erscheint, muß aber gerade in seiner historischen Dimension begriffen
werden, und zwar auf allen Ebenen. Nicht nur unsere Rückkehr zur Kritik
des Werts selber ist historisch bedingt durch seine erst heute wirklich
voll aufbrechende Zerstörungspotenz, nicht nur die Marxismen und ihre
Glaubenskriege lassen sich historisch erklären und auflösen,
sondern auch die Marxsche Theorie und ihr wertkritischer Kern selber. Erst
wenn wir die Marxsche Theorie ebenso wie die sozialistische Bewegung nicht
als eine fixe, absolute Wahrheit einerseits und eine Geschichte von Häresien
und Abweichungen andererseits mißverstehen, sondern als ein einziges
historisches Kontinuum sozialer Emanzipation aus den Widersprüchen
des Kapitalverhältnisses heraus, können wir uns zu einem wirklichen
Begreifen aufschwingen. Das heißt keineswegs, daß die alten
Kämpfe und Gegensätze innerhalb des Marxismus und der alten Arbeiterbewegung
etwa sinnlos gewesen wären und alle Positionen etwa gleichermaßen
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recht oder unrecht gehabt hätten. Nicht opportunistischer und
begriffsloser Relativismus ist die Konsequenz, sondern eine neue und selber
sehr klar herauszuarbeitende Positionsbestimmung, die nicht die alten Schlachten
noch einmal schlagen will, sondern sie von einem neuen Blickwinkel, von
der heutigen realen Vergesellschaftungshöhe aus wahrnimmt und also
kritisch den gemeinsamen historischen Boden der Gegensätze innerhalb
des bisherigen Marxismus erkennt und reflektiert. Werttheoretisch heißt
dies, daß einerseits die verschüttete Dimension der Marxschen
Wertkritik freizulegen wäre gegen den Strich der traditionellen Lesart,
andererseits aber auch die Lücken und Brüche in der Marxschen
Argumentation aufgefunden und überwunden werden müssen, an denen
das verkürzende Denken des traditionellen, wertfetischistischen Arbeiterbewegungs-Marxismus
anknüpfen konnte.
2. Die zwei Ebenen des Wertform-Begriffs
Es wird also nötig sein, zu den analytischen Basisbestimmungen des Wertbegriffs
selber zurückzukehren, um zu einer kritischen Auflösung zu gelangen.
Marx leistet diese analytische Bestimmung in zwei Richtungen, einmal sozusagen
nach rückwärts, vom Wert zur Arbeit, und einmal nach vorwärts,
vom Wert zum erscheinenden Tauschwert. Es muß also innerhalb der Totalität
des Wertbegriffs genau analytisch differenziert werden zwischen (konkreter und
abstrakter ) Arbeit, Wert und Tauschwert. Die Qualität Arbeit erscheint
als Wert, der Wert erscheint als Tauschwert. Der Tauschwert ist somit erscheinendes
Dasein bereits in zweiter Potenz. Die Schwierigkeit einer genauen Ableitung
liegt daher nicht bloß im Übergang vom Wert zum Tauschwert, der bereits
viele Kontroversen hervorgerufen hat, sondern mehr noch im Übergang von
der Arbeit zum Wert. Gerade dieses Problem aber wird meistens übersprungen.
Arbeit ist lebendiger Prozeß, gemessen in Zeit. Wie aber ist es möglich,
daß sich gesellschaftliche Arbeitszeit in der merkwürdigen und phantastischen,
dinglichen Form von Mark, Dollars, Rubel etc. darstellt? Gewöhnlich wird
die Ableitung dieser Form damit als geleistet angesehen, daß direkt von
der Arbeit zur „Wertform“ in Gestalt des erscheinenden Tauschwerts gesprungen
wird, also vom wirklichen Arbeitsprozeß der einzelnen Ware zur Austauschbeziehung
zweier Waren. Das Mittelglied des Werts selber wird übergangen, womit offen
bleibt, ob der Wert nun Arbeit als solche „ist“ und nur in der Austauschbeziehung
zu einer anderen Ware als erscheinende Wertform eine dingliche Verkehrung stattfindet,
oder ob der Wert selber eine der Arbeit gegenüber verschiedene Qualität
darstellt. Marx hat darüber keineswegs erschöpfende Auskunft gegeben,
und so kann nicht zu Unrecht kritisch behauptet werden, daß er „im unklaren
(läßt), welche QUALITÄT einer Ware es ist, die als ... Tauschwertgröße
quantifizierbar ist. Diese Frage wird nicht beantwortet durch die These, das,
was sich im Tauschwert 'ausdrückt' oder in ihm 'erscheint', seine 'Substanz'
... sei die ARBEIT; denn auch diese These läßt die Frage offen, die
Größe welcher ERSCHEINENDEN Qualität der Tauschwert ist, dessen
NICHT erscheinende Substanz die Arbeit sein soll“ (Steinvorth 1983, S. 246,
Hervorheb. Steinv.)(5).
Die erscheinende Qualität der ersten Ebene oder Potenz aber wäre eben
der Wert im Unterschied zum Tauschwert. Solange das Problem des Übergangs
von der Arbeit zum Wert nicht gelöst ist, bleibt eine Lücke in der
Marxschen Argumentation, die von reflektierten bürgerlichen Marx-Kritikern
auch entsprechend ausgeschlachtet werden kann. So unterstellt Werner Becker
für die Marxsche sozialistische Zielsetzung, daß es „dann (im Sozialismus,
R.K.) nicht mehr den Fetischcharakter der Ware, die den Arbeitswert VERSTELLENDE
Vergegenständlichung der Arbeit in Gestalt der Äquivalentform gibt,
die bekanntlich die Gegensatzbestimmtheit der Waren bewirkt“ (Becker 1972, S.
98, Hervorheb. Becker). Sowohl der Begriff der „Vergegenständlichung“ der
Arbeit als auch die „Gegensatzbestimmtheit“ der Waren (Gegensatz von Gebrauchs-
und Tauschwert) werden von Becker auf der Ebene des erscheinenden Tauschwerts,
also in der Austauschbeziehung zweier Waren, ausschließlich angesiedelt.
Eine solche Auffassung entspricht durchaus der üblichen marxistischen Lesart.
Wenn es aber erst die Form des Tauschwerts ist, d.h. die Tauschbeziehung, die
Arbeit „verdinglicht“ oder als dingliche Eigenschaft erscheinen läßt,
dann wäre in der Tat der „Arbeitswert“ die eigentliche, nicht-verdinglichte
„wahre“ Gestalt, die durch die verdinglichende Austauschbeziehung „verstellt“
wird. Der Wert, als gegenüber dem erscheinenden Tauschwert distinktes Moment,
wäre so in der Tat unmittelbar identisch
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mit der Arbeit selbst oder „wahrer Arbeitswert“, ausgedrückt direkt
im Maß der Zeit. Von dieser Auffassung ausgehend, kann Becker dann
ironisch fortfahren: „Wohl ist einem klar, daß im Kommunismus die
Verteilung der Güter an die Stelle des bürgerlich-kapitalistischen
Markttauschs treten soll. Stellt es aber nicht bloß die Ersetzung
eines Wortes durch ein anderes dar, wenn man auf der anderen Seite im Gedächtnis
behalten hat, daß der objektive und 'wahre' Wert der im bürgerlichen
Kapitalismus getauschten Waren - dem Werttheoretiker Marx zufolge - EBENFALLS
durch die ARBEIT bestimmt ist? Der Tauschwert der kapitalistischen Ware
soll Arbeit sein, und das Maß der kommunistisch-sozialistischen Güterverteilung
soll ebenfalls Arbeit sein. Worin besteht nun eigentlich der von Marx so
groß herausgestrichene Unterschied zwischen kapitalistischer und
kommunistischer Wertfestsetzung?“ (Becker 1972, S. 99, Hervorheb. Becker).
Diese Frage kann in der Tat mit einiger Berechtigung gestellt werden,
wenn man von einem „wahren“ Arbeitswert ausgeht, der selber direkt Arbeit
„sein“ soll. Einige marxistische Autoren haben daraus auch folgerichtig
geschlossen, daß die „Wertbestimmung“ der Arbeit (im Unterschied
zur Austauschbeziehung des Tauschwerts) auch für kommunistische Gesellschaften
gültig sein muß, so etwa Oskar Lange, ebenso die Linkskeynesianerin
Joan Robinson (vgl. dazu Rosdolsky 1968, S. 508). Klammheimlich haben sich
ähnliche Auffassungen auch längst im vermeintlich „orthodoxen“
Sowjetmarxismus im Rahmen seiner Legitimationsideologie einer „sozialistischen
Warenproduktion“ eingeschlichen. Rosdolsky verweist mit Recht darauf, daß
die Vorstellung vom „wahren“ Arbeitswert, vom Fortleben der „Wertbestimmung“
im Kommunismus und von der falschen Identifizierung des Werts unmittelbar
als Arbeit unvermeidlich in die Nähe proudhonistischer Auffassungen
führt (vgl. Rosdolsky 1968, S. 640ff.). Es ist freilich nichts gewonnen,
wenn die Kritik einer „Verewigung“ der Wertbestimmung einfach darauf hinausläuft,
den Begriff des Werts unmittelbar mit dem des Tauschwerts zu identifizieren,
also die Distinktion von Wert und Tauschwert eilfertig einzuebnen. Zwar
sagt Marx sehr deutlich: „Menschliche Arbeitskraft im flüssigen Zustand
oder menschliche Arbeit bildet Wert, aber ist nicht Wert. Sie wird Wert
im geronnenen Zustand, in gegenständlicher Form“ (Marx 1965, S. 65).
In der gewöhnlichen Interpretation aber wird hier „Wert“ einfach als
Tauschwert gelesen, weil „Vergegenständlichung“ nur als dingliche
Tauschrelation zweier Waren entziffert werden kann. Durch diese Lesart
freilich verliert die Marxsche Aussage ihre Kraft und Argumente wie die
von Steinvorth und Becker sind nicht widerlegt.
Daß es unzulässig ist, von der Arbeit direkt zum Tauschwert
zu springen, kann auch durch eine andere Überlegung deutlich werden.
Als Produkte nützlicher Arbeit sind die Waren qualitativ verschieden
und können in keiner Weise gleichgesetzt werden, was jedoch in der
Tauschrelation als „unmögliche Gleichung“ (vgl. Krause 1979, S. 20)
dennoch geschieht. Die abstrakte Wertgegenständlichkeit der Waren
wird also in der Tauschrelation bereits vorausgesetzt und kann nicht erst
innerhalb dieser Relation oder im „Tauschakt“ entstehen. Die im Tauschakt
aufeinander bezogenen Waren müssen sich bereits vorher in der „Form“
der Wertgegenständlichkeit befinden, d.h. als einzelne Ware. Zwar
sagt Marx, daß die einzelne Ware „unfaßbar bleibt als Wertding“
(Marx 1965, S. 62). Dies gilt jedoch nur hinsichtlich des Werts als erscheinender
sinnlicher Eigenschaft, die in der Tat sich erst in der Tauschrelation
„darstellen“ kann. „Wertding“ jedoch, wenn auch nicht in unmittelbar sinnlich
„faßbarer“ Weise, muß auch die einzelne Ware bereits sein,
weil sonst die Tauschrelation gar nicht möglich wäre. Über
die Natur dieser „unfaßbaren“ Form der Wertgegenständlichkeit
an der einzelnen Ware muß also Klarheit geschaffen werden, und wie
es scheint, ist dies von Marx noch nicht erschöpfend geleistet worden.
Wenn an einer Distinktion von Arbeit und Wert festgehalten werden soll,
dann wäre Wert die Form der Arbeit, somit aber Tauschwert die „Form
einer Form“ in zweiter Potenz. Anders gesagt: gegenüber dem Inhalt
der lebendigen Arbeit ist Wert eine Form, gegenüber der erscheinenden
Form des Tauschwerts oder der Tauschrelation zweier Waren ist Wert selber
der Inhalt. Wir haben es also mit einem doppelten Begriff der Wertform
zu tun, der bei Marx als solcher nicht explizit gemacht worden ist. Der
Wertform-Begriff der ersten Ebene reflektiert den Übergang von der
(lebendigen, prozessierenden) Arbeit zum Wert oder zur Wertgegenständlichkeit
der einzelnen Ware. Der Inhalt besteht auf dieser Ebene in der lebendigen
Arbeit selbst, in ihrem Prozeßcharakter, der sich im ZEITMAß
der Arbeit ausdrückt. Diese lebendige Arbeit und ihr Maß, die
Zeit, ist als allgemeiner Inhalt überhistorisch: „In
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allen Zuständen mußte die Arbeitszeit, welche die Produktion der
Lebensmittel kostet, den Menschen interessieren...“ (Marx 1965, S. 85f.). Insofern
ist „alle Ökonomie eine Ökonomie der Zeit“. Diese Zeitökonomie
der lebendigen Arbeit als allgemeiner, überhistorischer Inhalt aller gesellschaftlichen
Reproduktion stellt sich historisch in der Warenproduktion dar als Form des
Werts oder Wertgegenständlichkeit des Produkts, und zwar an der einzelnen
Ware selbst, logisch noch „vor“ der Tauschrelation, wie sie im Tauschakt erscheint.
Wertform ist hier die (sinnlich „unfaßbare“) Form des zeitökonomischen
Inhalts des einzelnen Produkts.
Der Wertform-Begriff der zweiten Ebene hingegen reflektiert den Übergang
vom Wert zu DESSEN erscheinender Form, nämlich dem Tauschwert, d.h. der
Tauschrelation zweier Waren, wie sie sich im „Tauschakt“ darstellt. Benennt
der Wertform-Begriff der ersten Ebene den historischen besonderen Charakter
des Werts als solchen, so dieser Wertform-Begriff der zweiten Ebene INNERHALB
der historischen Formation des Werts dessen BINNEN-LOGISCHE Erscheinungsform,
die STUFENFOLGE der Formbestimmungen des TAUSCHWERTS. „Wertform“ auf dieser
Ebene wäre dann ein bloßer Binnen-Begriff des Werts als solchen.
Bei Marx selber gehen die beiden Bedeutungsebenen des Wertform-Begriffs beständig
durcheinander, was ein Verständnis ungeheuer erschwert und das vorschnelle
analytische Springen von der Arbeit zum erscheinenden Tauschwert geradezu nahelegt.
Die bei Marx fehlende Distinktion im Wertform-Begriff fordert also gewissermaßen
selber schon die positivistische Fehlinterpretation heraus, die sich immer wieder
auf die öde „Wertrelation“ zweier Waren zurückzieht: „Unter Wertform,
oder wie es dann genauer(!) heißen soll: Wertrelation, wird eine Relation
je zwei Warenquanta verstanden, die die Gegenüberstellung der Waren im
direkten oder indirekten Tausch porträtieren soll...“ (Krause 1979, S.
11). Wo aber Begriffe fehlen, da stellt zur rechten Zeit - die „Mathematisierung“
sich ein!(6)
Letztlich scheint an dieser Problematik auch der anspruchsvolle Versuch von
Hans-Georg Backhaus gescheitert zu sein. Weit entfernt von der begriffslosen
und häufig das inhaltliche Problem in „Mathematisierung“ ersäufenden
Plattheit der meisten positivistischen Interpretationen, kommt Backhaus durchaus
zu wichtigen und weitertreibenden Erkenntnissen, allein schon durch seine bohrende
Fragestellung, die nicht darauf verzichtet, sich „unter Wert überhaupt
etwas zu denken“, was Marx schon als Vorwurf den bürgerlichen Ökonomen
gegenüber erhoben hatte. Backhaus spricht so bezüglich des Wertform-Kapitels
des „Kapital“ kritisch von einer „mangelhafte(n) Vermittlung von Substanz und
Form des Werts“ (Backhaus 1969, S. 131) und stellt sogar ausdrücklich in
der Nachzeichnung der Marxschen Ricardo-Kritik das entscheidende Problem: „Es
blieb den Ricardianern verborgen, daß ihre Behauptung, die Arbeit bestimme
den Wert der Ware, dem Wertbegriff selber äußerlich bleibt: Bestimmungsgrund
und Bestimmungsobjekt dieser Aussage bleiben unterschieden und stehen in keinem
'inneren Zusammenhang'. Die Arbeit verhält sich zum Wert auch dann noch
als ein Fremdes, wenn die Wertgröße als Funktion der verausgabten
Arbeitsmenge bestimmt wird“ (ebda, S. 136f.). Damit wäre als zentrale Fragestellung
eigentlich der Übergang von der Arbeit zum Wert benannt. Da jedoch auch
Backhaus die verschiedenen Ebenen des Wertform-Begriffs nicht begrifflich auflöst,
sondern von der doppeldeutigen Marxschen Formulierung geblendet wird, muß
er trotz seiner grundsätzlichen Fragestellung ebenfalls vorschnell von
der Arbeit zum Tauschwert oder der „Tauschrelation“ springen. So behauptet er
schon ziemlich am Anfang seines ersten einschlägigen Textes, die Reproduktion
des Wertbegriffs als Totalität werde „... doch wohl erst von folgender
Fragestellung her verständlich: Wie wird der Wert zum Tauschwert und zum
Preis - warum und in welcher Weise hat der Wert sich im Tauschwert und im Preis
als den Weisen seines 'Andersseins' aufgehoben?“ (ebda, S. 130f.). Gerade umgekehrt
wäre es richtig: Wie wird die Arbeit zum Wert - erst von daher wäre
die andere Frage als sekundäre schlüssig zu beantworten. Nachdem die
Weiche aber einmal in dieser Weise falsch gestellt ist, rekurriert Backhaus
unter dem Wertform-Gesichtspunkt sofort auf den Zusammenhang von „Produktions-
und Zirkulationssphäre“ (ebda, S. 133) und hält das gesellschaftliche
Verhältnis des Werts erst für dechiffrierbar, „wenn die Vermittlung
von 'absolutem' und 'relativem' Wert aufgezeigt worden ist“ (ebda, S. 138).
Dies könnte aber erst gelingen, wenn umgekehrt die Vermittlung von Arbeit
und Wert
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selber geleistet ist. Backhaus zäumt so das Pferd vom Schwanz
auf: Er will vorrangig untersuchen, „wie für Marx das 'gesellschaftliche
Verhältnis der Sachen' strukturiert (ist)“, während die „Realität
des Scheins“ und die „Genesis abstrakter Wertgegenständlichkeit“ (ebda,
S. 135) ausdrücklich sekundäre Fragen für ihn bleiben. Gerade
andersherum wäre es richtig. Ungewollt hat sich Backhaus so schon
im Ansatz selber in einem entscheidenden Punkt auf die Ebene positivistischer
Interpretationen eingelassen, und auf diesem Boden kann er nicht gewinnen.
Hinsichtlich des primären Verhältnisses von Arbeit und Wert kommt
er schon eingangs fast in die Nähe einer agnostizistischen Position,
wenn er sagt, „daß der 'allgemeine Gegenstand' als solcher, daß
heißt der Wert als Wert sich gar nicht ausdrücken läßt,
sondern nur in verkehrter Gestalt 'erscheint', nämlich als 'Verhältnis'
von zwei Gebrauchswerten.. .“ (ebda, S. 131). Daß der Wert als Wert
sich an der einzelnen Ware nicht UNMITTELBAR SINNLICH „fassen“ läßt,
kann aber doch nicht heißen, daß er deswegen auch nicht logisch-analytisch
„ausgedrückt“ werden könnte und somit eine Rechtfertigung gegeben
wäre, von der Arbeit direkt zur Tauschrelation zu springen! Backhaus
muß auf diese Weise auch den eigentlichen Kern des berühmten,
auch von ihm angeführten Marx-Zitats aus dem Fetisch-Kapitel verfehlen:
„Die politische Ökonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen, Wert
und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten
Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser
Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß
der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts
darstellt?“ (Marx 1965, S. 94f.). Hier redet Marx aber eben gerade nicht
vom Verhältnis des Werts zum erscheinenden Tauschwert, sondern vom
Verhältnis der Arbeit zum Wert, also von der Wertform auf der primären
Bedeutungsebene. Noch deutlicher wird dies übrigens gleich zu Beginn
des Fetisch-Kapitels, wo Marx ausdrücklich davon spricht, daß
der mystische Charakter der Ware weder aus ihrem Gebrauchswert noch „aus
dem Inhalt der Wertbestimmungen“ (ebda, S. 85) entspringe. Mit „Inhalt
der Wertbestimmungen“ ist aber, wie aus dem folgenden klar hervorgeht,
die überhistorische Tatsache und Notwendigkeit der lebendigen Arbeit
als physiologischer Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im natürlichen
Maß der Zeit gemeint. Und Marx, der sich hier eindeutig (ohne dies
explizit zu sagen) auf der ersten Bedeutungsebene des Wertform-Begriffs
befindet, fährt fort: „Woher entspringt also der rätselhafte
Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus
dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeit erhält
die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte,
das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer
erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich(!)
die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen
ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen
Verhältnisses der Arbeitsprodukte“ (ebda, S. 86). Marx führt
hier drei Ebenen der Formbestimmung ein, wovon die beiden ersten sich unter
eine einzige, eben die primäre Bedeutungsebene des Wertform-Begriffs,
subsumieren lassen, während die dritte der Ebene des erscheinenden
Tauschwerts zuzurechnen ist, von Marx durch die Zäsur „endlich“ deutlich
von der anderen Ebene geschieden. Marx macht hier also selber, wenn auch
nur implizit, eine klare analytische Trennung zwischen „gleicher Wertgegenständlichkeit“
und „Wertgröße“ der Arbeitsprodukte einerseits und „Verhältnis
der Arbeitsprodukte“ andererseits. Das erstere ist die Bestimmung des Werts
selber, das zweite die Bestimmung des Tauschwerts oder der Tauschrelation.
Daraus ist zu schließen, daß auch die erste Ebene logisch-begrifflich
„ausgedrückt“ werden kann, daß mithin primär die Natur
der Wertgegenständlichkeit und Wertgröße AN DER EINZELNEN
WARE abgeleitet und erst sekundär in ihrer tatsächlich erscheinenden
Form auf der Tauschwert-Ebene dargestellt werden muß. Backhaus greift
also wesentlich zu kurz, wenn er sagt: „ ... Nachdem die Arbeit als das
Geheimnis des Werts entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch
kritisiert und praktisch umgewälzt werden. Methodisch handelt es sich
hier um die schon aufgezeigte Problematik des Aufsteigens vom Abstrakten
zum Konkreten, vom Wert zur Erscheinungsform des Werts“ (Backhaus 1969,
S. 141). Diese Aussage ist einigermaßen erstaunlich, man muß
sie als fehlerhaft bezeichnen. Denn die gesellschaftliche Abstraktion des
Werts wird durch ihre „Erscheinungsform“, den Tauschwert, nicht etwa „zum
Konkreten“, sondern wird vielmehr ALS ABSTRAKTUM „dinglich dargestellt“.
Den erscheinenden Tauschwert, die dingliche Abstraktion für das Konkrete
zu nehmen, dies eben entspricht der bewußtlosen Manier der Positivisten,
die Backhaus
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doch seiner eigenen Absicht nach kritisieren und vermeiden will. Das
tatsächlich Konkrete, der „wirkliche Ausgangspunkt“, zu dem das Denken
im Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten zurückkehrt, kann überhaupt
nur die wirkliche lebendige Arbeit in ihrem System der gesellschaftlichen
Teilung der konkret-nützlichen Tätigkeiten sein. So herum wird
ein Schuh daraus. Wie wollte sonst auch Backhaus die „Arbeit selbst“ als
das „Geheimnis des Werts“ begreifen, „theoretisch kritisieren“ und „praktisch
umwälzen“? Methodisch handelt es sich also gerade umgekehrt bei der
Problematik des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten um das Aufsteigen
vom Wert zur lebendigen Arbeit in ihrer realen Prozeßhaftigkeit und
in ihrer arbeitsteiligen Systematik. Erst daraus kann das sekundäre
Verhältnis von Wert und Tauschwert in seiner Rückkoppelung auf
das System der lebendigen Arbeiten abgeleitet werden. Die logischen Formen
sind natürlich kein Nacheinander oder Nebeneinander, sondern reale
Totalität. Insofern ist Backhaus durchaus zuzustimmen, wenn er die
Einheit von erscheinender Form des Tauschwerts und Arbeit als dem eigentlichen
Inhalt betont und daraus die von den meisten Marxisten fallengelassene
Einheit von Wert- und Geldtheorie als unabdingbare Forderung stellt. In
der analytischen Darstellung müssen die Formbestimmungen und ihre
verschiedenen Ebenen jedoch logisch nacheinander und auseinander entwickelt
werden, und hierfür ist das Verständnis der beiden verschiedenen
Bedeutungsebenen des Wertform-Begriffs ausschlaggebend. Nur so kann der
auch von Backhaus begangene Fehler vermieden werden, in positivistischer
Weise direkt von der Arbeit zur Tauschrelation zu springen, statt das Verhältnis
von Wert als solchem und lebendiger Arbeit als primäre Fragestellung
aufzugreifen und von dieser aus das gesamte Wertform-Problem aufzurollen.
Stellt sich die Frage aber so, gehen wir nicht von der Tauschrelation
aus, die immer nur zum quantitativen Aspekt zurückführen kann,
sondern vom Wertbegriff selber und seiner Distinktion zur lebendigen Arbeit,
dann kann erst das Anliegen durchgeführt und die qualitative Bestimmung
des Werts geleistet werden. Dann aber springt auch sofort das eigentliche
Problem in die Augen: nämlich das der „Vergegenständlichung“
von Arbeit. Die wirkliche, lebendige gesellschaftliche Arbeit ist erstens
Prozeß, Ablauf von Tätigkeiten, und zweitens dieser prozeßhafte
Ablauf innerhalb eines Systems von (Arbeitsteilungs-) Verhältnissen.
Der Wert aber ist tote, nicht prozeßhafte Gegenständlichkeit,
und zwar nicht erst in der Tauschrelation, sondern schon auf der ersten
Ebene der Wertbestimmung an der einzelnen Ware selber. Dieser Gegenstandscharakter,
der in der Tauschrelation so quasi-natürlich und selbstverständlich
erscheint, nimmt sich aber an der einzelnen Ware gespenstisch und paradox
aus. Marx spricht deswegen übrigens auch nicht so selbstverständlich
von „Gegenständlichkeit“ der Arbeit wie die meisten Marxisten, sondern
schon auf der vierten Seite des „Kapital“ direkt von einer „gespenstige(n)
Gegenständlichkeit“ (Marx 1965,S. 52), für die er auch einen
Namen hat: sie sei nämlich „bloße Gallerte“ (ebda) menschlicher
Arbeit. Schon von daher wäre Kritikern wie Becker zu entgegnen, die
- allerdings eben der gängigen marxistischen Lesart folgend - Wert
problemlos mit Arbeit identifizieren und die Probleme der Verdinglichung
erst auf der Ebene der Tauschrelation ansiedeln. Für die Verwandlung
der wirklichen, lebendigen Arbeit in diese gespenstische Gegenständlichkeit
des Werts wählt Marx schon 1859 eine Kennzeichnung, die ihm so wichtig
erscheint, daß er sie im „Kapital“ als ausdrückliches Selbst-Zitat
wiederholt: „Als (Tausch)wert sind alle Waren nur bestimmte Maße
festgeronnener Arbeitszeit“ (Marx 1968, S. 24/Marx 1965, S. 54). Nur ist
das Selbstzitat erstaunlich ungenau bzw. bewußt verändert: in
der „Kritik der politischen Ökonomie“ von 1859 heißt es „Tauschwert“,
im Selbstzitat des „Kapital“ nur noch „Wert“. Offensichtlich will Marx
also auf die qualitative Bestimmung des Werts im Unterschied zur wirklichen
Arbeit hinaus, die unabhängig von der Tauschrelation zunächst
zu leisten ist, und hat das Zitat dahingehend verändert, um Mißverständnisse
auszuschließen. Diese Bestimmung des Werts ist nun in der Tat als
paradoxer Ausdruck geleistet; der Wert soll „geronnene Arbeitszeit“ sein!
Eine solche Kennzeichnung der „Wertbestimmung durch Arbeit“ unterscheidet
sich allerdings erheblich von der problemlosen durch Smith und Ricardo,
und eben deswegen scheint Marx auch solchen Wert auf sein Selbstzitat zu
legen. Denn der Ausdruck „geronnene Zeit“ stellt eine veritable Contradictio
in adjecto dar. Seltsamerweise macht Marx aber selber nicht ausdrücklich
auf diesen Charakter seiner Aussage aufmerksam, und ebenso verblüffend
ist es, daß eine solche an sich absurde Bestimmung weder den Marxisten
noch ihren Gegnern bis heute ein Problem gemacht hat. Es könnte
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sich also herausstellen, daß genau hier „der Hund begraben liegt“,
daß genau an dieser Stelle der entscheidende Hebel angesetzt werden
muß, um die bisher nicht gelungene theoretische und praktische Kritik
des Werts selber in Gang zu bringen. Dafür ist allererst zu klären,
welche Art von Arbeit bzw. „Arbeitszeit“ hier eigentlich „gerinnen“ soll.
3. Arbeit als abstrakte Allgemeinheit
Unproblematisch wäre der Begriff einer „Vergegenständlichung“ der
Arbeit, wenn er sich auf das STOFFLICHE Resultat beziehen würde. In diesem
Sinne wäre „Vergegenständlichung“ als bloße Metapher zu nehmen
für die durch Arbeit hervorgerufenen stofflichen Veränderungen am
Produkt, die es der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zuführen.
In einem ganz allgemeinen historischen Sinne könnte man sagen, daß
sich menschliche Arbeit „vergegenständlicht“ durch Umformung der Natur
des Planeten, durch Schaffung einer dem Menschen eigenen stofflichen Umwelt
(Kultivierung des Bodens, Züchtung von Kulturpflanzen und Nutztieren, Städtebau
usw.). Es ist klar, daß in der Bestimmung der Ware als Wert, d.h. als
„vergegenständlichte“ Arbeit, nicht diese (kaum quantifizierbare) „Vergegenständlichung“
menschlicher Arbeit im allgemeinsten historischen Sinne gemeint sein kann, sondern
vielmehr die für ein jeweils einzelnes, bestimmtes Produkt „aufgewendete“
und insofern durchaus quantifizierbare Arbeit im engeren Sinne. Was sich hier
allerdings „vergegenständlicht“, kann auf keinen Fall die „Arbeitszeit“
als solche sein; eine solche Überlegung muß als absurd erscheinen.
Auch auf der Ebene des einzelnen Produkts könnte von „Vergegenständlichung“
nur insoweit gesprochen werden, als die Arbeit an dem Naturstoff bestimmte Veränderungen
stofflicher Art vorgenommen hat. Diese Veränderungen sind in einigen Fällen
sogar unsichtbar, etwa wenn durch Transportarbeiten eine für menschliche
Bedürfnisbefriedigung notwendige bloße Ortsveränderung des Gegenstandes
vorgenommen wird ohne sonstige Einwirkung(7).
In den meisten Fällen jedoch trägt das Produkt deutlich die Spuren
menschlicher Arbeit, etwa wenn aus Holz ein Tisch geformt worden ist. Sowohl
in der am Produkt unsichtbaren Ortsveränderung als auch in den durch Umformung
am Produkt sichtbaren Spuren „vergegenständlicht“ sich also durchaus die
Arbeit an einem bestimmten Gegenstand, wenn auch eher in einem metaphorischen
Sinne (denn der Gegenstand „ist“ als solcher nicht Arbeit, sondern bleibt bloßer
Gegenstand, auch in seiner umgeformten Gestalt). Aber selbst dieser bloß
metaphorische Begriff von „Vergegenständlichung“ kann immer nur ein Moment
qualitativer Veränderung des Naturstoffs ausdrücken, nicht jedoch
die verausgabte Quantität Arbeitszeit als solche.
Marx trennt nun, entsprechend der getrennten Bestimmtheit der Ware einerseits
als konkret nützlicher Gebrauchswert, andererseits als abstrakter Wert
bzw. (in der Beziehung zu anderer Ware) Tauschwert, den Begriff der Arbeit in
die Bestimmung von einerseits konkret nützlicher, qualitativer Arbeit (Schneidern,
tischlern, schmieden usw.) und andererseits „abstrakter“ Arbeit, unterschiedsloser
menschlicher Arbeit, d.h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht
auf die Form ihrer Verausgabung“ (Marx 1965, S. 52). Diese „abstrakte“, „unterschiedslose“
Arbeit sei „produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand
usw.“ (ebda, S. 58) im abstrakt-physiologischen Sinne. Diese abstrakt-physiologische
Arbeit nun soll als solche die mysteriöse „Wertgegenständlichkeit“
„bilden“: „Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft
im physiologischen Sinn und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder
abstrakter Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andererseits Verausgabung
menschlicher Arbeitskraft in besonderer zweckbestimmter Form, und in dieser
Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte“
(ebda, S. 61). Es ist bezeichnend, daß der traditionelle Marxismus über
die Problematik dieser scheinbar so dürren Definition immer unkritisch
und gedankenlos hinweggelesen hat. Das seltsame Phänomen der „abstrakten
Arbeit“ wurde kaum je einer näheren Prüfung unterzogen. Nur von wenigen
Theoretikern wurde dieser Sachverhalt gelegentlich beklagt; so schrieb I.I.
Rubin in seiner auch im Westen bekannt gewordenen Arbeit zur Marxschen Werttheorie,
die im Rahmen der sowjetischen Planungsdebatten Mitte der zwanzigerJahre entstanden
ist: „Angesichts der großen Bedeutung, die Marx
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der Theorie der abstrakten Arbeit beilegte, muß man sich fragen, warum
ihr in der marxistischen Literatur so wenig Interesse geschenkt wurde“ (Rubin
1973, S. 91). Fast dieselbe Klage finden wir ein halbes Jahrhundert später,
und ebenso marginal, in der westdeutschen Debatte zur Rekonstruktion der Marxschen
Kritik der Politischen Ökonomie: „Das erstmalig von Marx angepackte Problem
der abstrakten Arbeit, eine seinerzeit radikal neue und fremdartige Fragestellung,
ist bis heute ein Fremdling in der Politischen Ökonomie geblieben. In der
marxistischen Literatur ist der Marxsche Entwurf der abstrakten Arbeit nicht
nur nicht zu einer stringenten Darstellung weiterentwickelt worden, sondern
er fristet hier, mit wenigen Ausnahmen wie etwa der von H.G. Backhaus, ein kümmerliches
Dasein am Rande einer hausbackenen Arbeitswertlehre“ (Krause 1979, S. IIf.).
Zu mehr als solchen in der marxistischen Debatte marginal bleibenden Klagen
hat es freilich bis heute nicht gereicht, ein Faktum, das auf die ungebrochene
Ignoranz des traditionellen Marxismus der Wertkategorie gegenüber verweist(8).
Es wäre also, bevor das von Marx selber offenbar unzureichend gelöste
Problem, des Übergangs von der Arbeit zum Wert, von der lebendigen zur
„vergegenständlichten“ Arbeit weiter untersucht werden kann, zunächst
einmal der Begriff der Abstrakten Arbeit selber näher zu beleuchten, die
sich zum Wert „vergegenständlichen“ soll.
Abstraktheit der Arbeit bedeutet gewöhnlich ihre ALLGEMEINHEIT, und zwar
ihre absolute, unhistorische Allgemeinheit. Nerv, Muskel, Hirn usw. „verausgabt“
wird sowohl beim Abschlagen eines Faustkeils als auch beim Bedienen eines Computerprogramms.
Auf den ersten Blick müßte also gerade diese absolute, unhistorische
Bestimmung bei Marx überraschen. Denn wenn ich die Allgemeinheit der Arbeit
nur in diesem Sinne definiere als die Tatsache, daß die verschiedenen
Arbeiten, also Schneidern, Schustern, Schmieden etc. allesamt eben immer Verausgabung
von „menschlicher Arbeitskraft schlechthin“ sind, dann habe ich damit eigentlich
nur eine Banalität ausgedrückt. So verschieden die Formen nützlicher
Arbeit auch sein mögen, sie sind allesamt eben Arbeit. Eine solche Allgemeinheit
der Arbeit ist deswegen banal, weil sie dünnste Abstraktion unhistorischer
Allgemeinheit ist: wie die Menschen überhaupt und immer essen, trinken,
sich kleiden und sich sexuell betätigen, gleich in welcher historischen
Form, so arbeiten sie auch immer, müssen immer Arbeitskraft verausgaben,
egal in welcher konkret nützlichen Form. Es ist typisch für BÜRGERLICHES
Denken, solche unhistorisch allgemeinen Bestimmungen, die in Wirklichkeit banal
und nichtssagend sind, zu sogenannten wissenschaftlichen Definitionen aufzubauschen,
um spezifisch historische Bestimmungen der kapitalistischen Produktionsweise
zu allgemein-menschlichen Bestimmungen aufzublasen. Marx hat darauf selber des
öfteren hingewiesen (vgl. Marx 1974, S. 8ff.); es kann sich also bei seinem
Begriff der Abstrakten Arbeit kaum um diese unhistorische Allgemeinheit der
Arbeit handeln.
Die abstrakte Bestimmung von Arbeit überhaupt, unabhängig von der
konkreten Form ihrer Verausgabung, nämlich als Verausgabung von Nerv, Muskel,
Hirn, drückt zunächst einmal überhaupt keine GESELLSCHAFTLICHE
Allgemeinheit der Arbeit aus, sondern lediglich eine „NATÜRLICHE“ oder
eben rein physiologische Allgemeinheit, die für alle Menschen in allen
Gesellschaftsstufen gültig ist, eben deshalb aber als solche und von sich
aus überhaupt keine gesellschaftliche, sozialökonomische, im gesellschaftlichen
Sinne formbestimmende Bedeutung besitzt. Genau diesen Umstand haben die meisten
Theoretiker des traditionellen Marxismus wie dessen Gegner übersehen, wenn
sie sich mit der scheinbar simplen „physiologischen“ Definition der abstrakten
Arbeit begnügen, wie z. B. Kautsky (vgl. dazu ausführlich Rubin 1973,
S. 92ff.). Wenn nämlich diese an sich rein natürliche, ungesellschaftliche
Allgemeinheit tatsächlich identisch wird mit ihrer gesellschaftlichen Allgemeinheit,
indem sie es ist, die „den Warenwert bildet“, dann ist dies nichts weniger als
selbstverständlich in einem absoluten, überhistorischen Sinne. Vielmehr
handelt es sich dabei erstens bereits um eine paradoxe Verkehrung, nämlich
um die Verwandlung der natürlich-physiologischen Allgemeinheit der Arbeiten
in ihre Gesellschaftlichkeit (das abstrakte physiologische Moment wird zur gesellschaftlichen
Formbestimmung), zweitens aber eben deswegen um eine historische Besonderheit,
die keineswegs für alle Gesellschaftszustände gilt. Daß auch
der von jeder Warenproduktion weit entfernte Steinzeitmensch in seinen verschiedenen
produktiven Tätigkeiten Hirn, Muskel, Hand usw. im physiologischen Sinne
verausgabt,
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macht diese Verausgabung als solche nicht zu einer gesellschaftlichen Formbestimmung.
Als GESELLSCHAFTLICHE Allgemeinheit oder Formbestimmung ist die abstrakte Arbeit
einzig und allein eine historische Erscheinung der Warenproduktion; in keiner
anderen Produktionsweise hat sie gesellschaftliche Bedeutung, ebensowenig wie
die Tatsache, daß die Arbeit verausgabenden Menschen zu 90 Prozent aus
Wasser bestehen.
Marx geht es also bei seiner Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise
nur um die historisch besondere gesellschaftliche Allgemeinheit der Arbeit,
wenn er von „abstrakter Arbeit“ spricht. Für die gesellschaftliche Formbestimmung
nun ist entscheidend, um welche Art von Allgemeinheit es sich bei der Bestimmung
der Arbeit als bloße Verausgabung von Nerv, Muskel, Hirn usw. eigentlich
in einem gesellchaftlichen Sinne handelt. Marx nennt sie an vielen Stellen eine
„abstrakte Allgemeinheit“. Auf den ersten Blick scheint dies bloße Verdoppelung,
vorausgesetzt, daß Abstraktheit immer als allgemein und Allgemeinheit
immer als abstrakt gedacht wird, also einfach als synonym im Sinne des gesunden
Menschenverstandes. Das Verständnis dieser scheinbar sinnlosen Verdoppelung
erschließt sich erst durch die Kenntnis der Hegelschen Dialektik und ihrer
Terminologie. Denn die begriffliche Verdoppelung macht durchaus Sinn. Für
Hegel ist das Gegenteil des abstrakt Allgemeinen nicht etwa das Besondere (und
Einzelne), sondern das KONKRET ALLGEMEINE. Dieses wäre „ein Allgemeines,
das den Reichtum des Besonderen, des Individuellen, des Einzelnen in sich faßt“
(vgl. Hegel 1969, S. 17, S. 54)(9). Das heißt
nichts anderes, als daß das Allgemeine nicht (abstrakt) für sich
steht, dem Besonderen fremd und äußerlich ist, sondern als konkrete
Totalität ungetrennt vom Einzelnen und Besonderen bleibt.
An sich verhält es sich auch immer so, daß das Allgemeine und das
Besondere als ungetrennte Totalität existieren. Aber das menschliche Denken
muß sich diese Totalität erst aneignen, sie begreifen. Dies geschieht
zunächst durch bloße Anschauung, die zu Abstraktionen, „abstrakten
Verstandesbestimmungen“ (Hegel) führt. Aus der sinnlichen Anschauung vieler
einzelner Bäume, Blumen, Sträucher usw. kann die abstrakt allgemeine
Bestimmung „Pflanze“ durch REDUZIERUNG auf einige wesentliche Merkmale gewonnen
werden. Wie aber wird dieses abstrakt Allgemeine wieder zu einem konkret Allgemeinen,
das „den Reichtum des Besonderen in sich faßt“? Indem ich die besonderen
und einzelnen Erscheinungen wie Bäume, Blumen usw. mit ihrem allgemeinen
Begriff zusammen als konkrete Totalität denken kann. Dies aber ist nicht
mehr auf dem Weg der bloßen Anschauung möglich. In dieser werden
das abstrakt Allgemeine und das Besondere nur zufällig und äußerlich
aufeinander bezogen. Wenn ich die abstrakt-allgemeine Bestimmung „Pflanze“ nur
auf einige mir zufällig bekannte besondere Pflanzen beziehe, dann gewinne
ich damit noch lange nicht einen konkret-allgemeinen Begriff. Dies geschieht
erst auf dem Weg der wissenschaftlichen umfassenden Begriffsbildung, etwa durch
das System von Linné. Erst die Kenntnis des gesamten Pflanzenreichs mit
all seinen Gattungen, Familien und Unterarten, die es ermöglicht, jede
einzelne Pflanze auf den verschiedenen Ebenen ihrer Allgemeinheit und Besonderheit
genau zu bestimmen, läßt den Begriff der „Pflanze“ zu einem konkret
Allgemeinen werden.
Die erkenntnistheoretische Bestimmung des Verhältnisses von abstrakt Allgemeinem
und konkret Allgemeinem kann sich zunächst nur formell auf das Problem
der abstrakten Arbeit beziehen, da wir es hier ja keineswegs mit dem Weg der
Erkenntnis, sondern mit realen gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun
haben (vgl. dazu weiter unten die Auseinandersetzung zum Problem der Realabstraktion).
Aufgrund der bisherigen Erörterung wäre für die gesellschaftliche
Allgemeinheit der Arbeit festzuhalten, daß ihre konkrete Allgemeinheit
den Reichtum der vielen besonderen nützlichen Arbeiten, die wirkliche Totalität
der gesellschaftlichen Arbeit „in sich faßt“ und nicht davon abgetrennt
ist. Abstrakte Allgemeinheit der gesellschaftlichen Arbeit aber bedeutet umgekehrt
genau dies, daß nämlich die gesellschaftliche Allgemeinheit der Arbeit
(oder kurz ihre Gesellschaftlichkeit als solche) real GETRENNT ist von diesem
inhaltlichen Reichtum der besonderen nützlichen Arbeiten in ihrer Vielfalt
der konkreten gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Es geht Marx also darum, daß
die warenproduzierende Gesellschaft die wirkliche Totalität ihrer arbeitsteiligen
Gesamtproduktion nicht als konkrete Allgemeinheit „hat“, daß sie nicht
imstande ist, den „Reichtum des Besonderen“ als gesellschaftliche Allgemeinheit
der Arbeit
70
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„in sich zu fassen“. Es ist erstaunlich, wie wenig von den marxistisch
orientierten werttheoretischen Autoren die Bedeutung des Hegelschen Doppelbegriffs
von abstrakter und konkreter Allgemeinheit für die marxsche Theorie
der abstrakten Arbeit erkannt und herausgearbeitet worden ist. So meint
Backhaus, ohne über die doppelte Bedeutung des Allgemeinheits-Begriffs
nachzudenken, „daß Marx 'Allgemeines' als eine Einheit begreift,
welche die Totalität aller Bestimmungen in ihrer Verschiedenheit in
sich enthält“ (Backhaus 1969, S. 144f.). So ist es bezüglich
der Gesellschaftlichkeit des Systems der konkret-nützlichen Arbeiten
„an sich“, aber nicht „für“ die Menschen einer warenproduzierenden
Gesellschaft; daher eben die Realkategorie der abstrakten Arbeit als die
einer abstrakten und nicht konkreten Allgemeinheit. Backhaus versteigt
sich nun so weit, daß für ihn „diese Bestimmung“, nämlich
die Allgemeinheit als eine Totalität aller Bestimmungen in ihrer (konkreten)
Verschiedenheit, ausgerechnet eine Bestimmung ist, „die unmittelbar ...
das Wesen des Geldes bezeichnet...“ (ebda, S. 145). Umgekehrt. Das Geld
stellt gerade die Inkarnation der abstrakten Allgemeinheit dar die eben
keineswegs die konkrete Totalität des Systems der nützlichen
Arbeiten „in sich enthält“ diese vielmehr „auslöscht“. Es rächt
sich hier wieder, daß Backhaus von Anfang an die zwei Bedeutungs-Ebenen
des Wertform-Begriffs nicht auseinandergehalten hat und statt den Übergang
von der Arbeit zum Wert den vom Wert zum Tauschwert als primär behandelt.
Wie schon beim Verständnis des „Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten“
bleibt er so auch beim Begriff des Allgemeinen in der gesellschaftlichen
Realabstraktion des Werts hängen; der Gegensatz des Abstrakten und
des Konkreten bleibt für ihn auf dem Boden der Abstraktion selbst,
das erscheinende abstrakte Ding, das Geld, verwandelt sich unter der Hand
in eine „konkrete“ Allgemeinheit, während es gerade die Inkarnation
des Gegenteils ist. Backhaus hat sich im begrifflichen Labyrinth der Wertabstraktion
verirrt, weil er das wirklich Konkrete, das gesellschaftliche System der
Arbeitsteilung mit seiner Totalität der vielfältigen nützlichen
Arbeiten, außen vor gelassen und die „Konkretion“ bloß innerhalb
des Wertbegriffs selber gesucht hat.
Die abstrakt bleibende Allgemeinheit der Arbeit ist gerade die spezifische,
irrationale Gesellschaftlichkeit der Warenproduktion. In diesem Sinne spricht
Marx im „Rohentwurf“ von 1857/58 bereits ausdrücklich von der spezifischen
Allgemeinheit der warenproduzierenden Arbeiten, die eine abstrakte, getrennte
ist und als solche bewußtlos in der Widerspiegelung der bürgerlichen
Verhältnisse durch Adam Smith erscheint: „Mit der ABSTRAKTEN ALLGEMEINHEIT
der reichtumschaffenden Tätigkeit nun auch die Allgemeinheit des als
Reichtum bestimmten Gegenstandes, Produkt überhaupt oder wieder Arbeit
überhaupt, aber als vergangene, vergegenständlichte Arbeit“ (Marx
1974, S. 24, Hervorheb. R.K.).
Ebenso mehrfach im ersten veröffentlichten Text der Vorarbeiten
zum 'Kapital', der Schrift „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ von
1859: „Als Tauschwert von verschiedener Größe stellen sie (die
Waren, R.K.) ein Mehr oder Minder, größere oder kleinere Quanta
jener einfachen, gleichförmigen, ABSTRAKT ALLGEMEINEN Arbeit dar,
die die Substanz des Tauschwerts bildet“ (Marx 1968, S. 24, Hervorheb.
R.K.). Noch deutlicher einige Seiten weiter: „Die Arbeit, die sich im Tauschwert
darstellt, ist vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich
wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils,
die FORM DER ABSTRAKTEN ALLGEMEINHEIT annimmt“ (ebda, S. 29, Hervorheb.
R.K.).
In demselben Text von 1859 legt Marx, gegen Franklin gewendet, sogar
extra die Betonung auf diesen spezifischen, historischen Charakter der
Tauschwert setzenden abstrakten Arbeit. Er zitiert Franklin, der geschrieben
hatte: „Da der Handel überhaupt nichts ist als der Austausch von Arbeit
gegen Arbeit, wird der Wert aller Dinge am richtigsten geschätzt durch
Arbeit“ (zit. nach Marx, a.a.O. ). Marx kommentiert nun: „Setzt man hier
wirkliche Arbeit an die Stelle des Wortes Arbeit, so entdeckt man sofort
die Vermischung von Arbeit in der einen Form, mit Arbeit in der anderen
Form. Da der Handel z.B. im Austausch von Schusterarbeit, Minenarbeit,
Spinnarbeit, Malerarbeit usw. besteht, wird der Wert von Stiefeln am richtigsten
geschätzt in Malerarbeit? Franklin meinte umgekehrt, daß der
Wert von Stiefeln, Minenprodukten, Gespinst, Gemälden usw. bestimmt
wird durch abstrakte Arbeit, die keine besondere Qualität besitzt
und daher durch bloße Quantität meßbar ist“ (a.a.O., S.
54). Franklin sagt also
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in der Tat mehr, als er weiß, wie Marx später im 'Kapital' anmerkt
(10). Sein impliziter Begriff von abstrakter
Arbeit ist nicht in sich reflektiert und deswegen auch nicht ausdrücklich;
Franklin entgeht daher auch die Paradoxie der im Tauschwert dargestellten Arbeit
als einer abstrakten Allgemeinheit, und Marx sagt auch sofort, warum: weil sich
nämlich für Franklin „die Verwandlung der wirklichen Produkte in Tauschwerte...
von selbst (versteht)“ (a.a.O. S. 54). Marx trennt 1859 die Begriffe von Tauschwert
und Wert noch nicht klar (vgl. dazu Rubin 1973, S. 64), aber es gibt keinen
Zweifel, daß hier „Wert“ gemeint ist, also die Wertform auf der ersten
Bedeutungsebene. Und nun grenzt Marx seinen Begriff von abstrakter Arbeit ganz
klar ab gegen den unhistorischen von Franklin, für den die abstrakte Arbeit
der Warenproduktion in eins fällt mit der Allgemeinheit von Arbeit überhaupt,
d.h. im banalen, physiologischen, natürlichen Sinne: „Da er aber die im
Tauschwert enthaltene Arbeit nicht als die ABSTRAKT ALLGEMEINE, aus der allseitigen
Entäußerung der individuellen Arbeiten entspringende gesellschaftliche
Arbeit entwickelt, verkennt er notwendig Geld als die unmittelbare Existenzform
dieser entäußerten Arbeit“ (a.a.O., S. 54, Hervorheb. R.K.). Marx
sagt hier also ausdrücklich, daß sein Begriff von abstrakter Arbeit
kein unhistorisch-allgemeiner ist, sondern ein spezifischer der Warenproduktion;
die scheinbar so leicht eingängige Definition der abstrakten Arbeit bezeichnet
in Wirklichkeit einen paradoxen Gesellschaftszustand, den der abstrakten Allgemeinheit,
in dem die Gesellschaftlichkeit der Menschen selber nur als abstrakte existieren
kann, vermittelt durch das „abstrakte Ding“, das Geld.
Im 'Kapital' schließlich verwendet Marx zunächst auf den ersten Seiten
bei der Herausarbeitung des Doppelcharakters der Arbeit nicht mehr ausdrücklich
die hegelsche Terminologie der abstrakten und konkreten Allgemeinheit, vielleicht
zum Schaden für die eindeutige Klarheit seiner Ableitung. Aber der SACHE
nach ist dort der Begriff der abstrakten Arbeit als einer abstrakten Allgemeinheit,
einer Gesellschaftlichkeit, die gerade NICHT den „ganzen Reichtum des Besonderen“
in sich faßt, von diesem konkreten Reichtum vielmehr abgetrennt ist, zum
ersten Mal ausführlich entwickelt; der traditionelle Marxismus hat darüber
nur hinweggelesen. So muß durch diesen Raster hindurch der entscheidende
Inhalt entgehen, wenn Marx über die Abstraktion am Produkt hinsichtlich
des Werts spricht: „Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab,
so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch
ist uns auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Abstrahieren
wir von seinem Gebrauchswert, so abstrahieren wir auch von den körperlichen
Bestandteilen und Formen, die es zum Gebrauchswert machen. Es ist nicht länger
Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützliches Ding. Alle seine sinnlichen
Beschaffenheiten sind ausgelöscht(!!!). Es ist auch nicht länger das
Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder sonst
einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte
verschwindet(!!!) der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten,
es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten,
sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allesamt reduziert auf
gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit“ (Marx 1965, S. 52).
Es ist hier ein Zustand beschrieben, in dem sich die Allgemeinheit der Arbeit
gerade nicht als konkrete Allgemeinheit darstellen kann. Eine konkrete Allgemeinheit
der Arbeit, wie wir sie einerseits in historischen nichtwarenproduzierenden
Gesellschaften finden, wie sie sich andererseits im Kommunismus als Aufhebung
des Werts darstellen würde, kann nicht „alle sinnlichen Beschaffenheiten
auslöschen“, ebensowenig wie der „nützliche Charakter der Arbeitsprodukte
verschwindet“. Gerade in diesen Bestimmungen zeigt sich die reale ZERSTÖRUNGSPOTENZ
des Werts, die erst heute mit voller Wucht ans Tageslicht tritt und vom traditionellen,
wertfetischistisch, verblendeten Marxismus nicht erfaßt werden kann. Eine
konkrete Allgemeinheit der Arbeit dagegen würde es umgekehrt auszeichnen,
daß sie den „Reichtum des Besonderen in sich faßt“, daß also
die Allgemeinheit oder Gesellschaftlichkeit nicht von der Besonderheit abgetrennt
ist, oder anders gesagt: daß sowohl die Allgemeinheit wie die Besonderheit
der Arbeit gleichermaßen gesellschaftlich und daher von den Menschen angeeignete
konkrete Totalität sind. Die abstrakte Arbeit aber ist eine abgetrennte,
abstrakte Allgemeinheit. Sie gleichzusetzen mit der Allgemeinheit von Arbeit
überhaupt hieße gerade das historische Spezifikum der abstrakten
Arbeit als einer Wert setzenden zu verwischen. Die abstrakte Arbeit als getrennte,
abstrakte Allgemeinheit oder Gesell-
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schaftlichkeit hat den Charakter einer tatsächlichen (und in der
Konsequenz zerstörerischen) REDUKTION auf Unterschiedslosigkeit, auf
„Auslöschung“ der sinnlich-konkreten Nützlichkeit, auf die rein
physiologische Abstraktion der Verausgabung von Nerv, Muskel und Hirn etc.,
die absurderweise allein als die Gesellschaftlichkeit der Arbeit erscheinen
kann. Die abstrakt allgemeine Arbeit ist Ausdruck der Tatsache, daß
also die GESELLSCHAFTLICHKEIT der Arbeit überhaupt nur als GETRENNTE
ABSTRAKTION sich darstellt. Als nützliches Ding ist das Produkt NICHT
GE-
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SELLSCHAFTLICH, ebenso wie die Arbeit als konkrete, lebendige, nützliche
NICHT GESELLSCHAFTLICH ist. Die GESELLSCHAFTLICHKEIT oder ALLGEMEINHEIT
der Arbeit kann nicht als konkrete erscheinen, sondern nur als abstrakte,
vom sinnlichen Inhalt getrennte. Daran ändert überhaupt nichts,
daß es sich um ein und dieselbe Arbeit und um ein und dasselbe Produkt
handelt. Die beiden Aspekte schließen sich trotzdem gegenseitig aus,
ein Kernpunkt des Problems der abstrakten Arbeit, der in der marxistischen
Literatur meistens vernachlässigt wird, indem die Rede ist von der
„Einheit“ des Gebrauchs- und Tauschwerts, ohne daß in der Dialektik
dieser Einheit genügend der Charakter gegenseitiger Ausschließlichkeit
der beiden Seiten herausgearbeitet wird. Der Doppelcharakter der Arbeit
ist also weit davon entfernt, ewige Bedingung und Form menschlicher Arbeit
zu sein, sondern vielmehr Spezifikum der Warenproduktion. Doppelcharakter
heißt gerade, daß sich die beiden Aspekte des Besonderen und
des Allgemeinen der Arbeit nicht nur in einer überhaupt getrennten,
sondern vielmehr und darüber hinaus in einer gegensätzlichen
Form befinden. Sonst wäre es auch sinnlos, von diesem Doppelcharakter
zu reden oder es wäre nichts als das Herumreiten auf einer platten
Banalität, nämlich der natürlich-physiologischen Allgemeinheit
der Arbeit. Im Charakter der warenproduzierenden Arbeit wie ihres Produkts
schließen sich Gebrauchswert und Wert, Besonderes und Allgemeines
gegenseitig aus. „Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedener
Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedener Quantität
sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert“ (Marx 1965, S. 52). Ebenso:
„Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswert die in der Ware enthaltene Arbeit
nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die Wertgröße nur
quantitativ“ (ebda, S. 60). Es handelt sich also beim Doppelcharakter der
Arbeit und der Ware um eine „Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches
Ding und Wertding“ (ebda, S. 87).
Dasselbe über den gegenseitig ausschließenden Charakter
von Gebrauchswert und Wert und die entsprechenden Aspekte der Arbeit sagt
Marx auch schon 1859: „Aber als solche bloße Gebrauchswerte sind
sie (die Waren, R.K.) gleichgültige Existenzen füreinander und
vielmehr beziehungslos. Als Gebrauchswerte können sie nur ausgetauscht
werden in Beziehung auf besondere Bedürfnisse. Austauschbar sind sie
nur als Äquivalente, und Äquivalente sind sie nur als gleiche
Quanta vergegenständlichter Arbeitszeit, so daß alle Rücksicht
auf ihre natürlichen Eigenschaften als Gebrauchswerte und daher auf
das Verhältnis der Waren zu besonderen Bedürfnissen ausgelöscht
ist“ (Marx 1968, S. 39f.) Und explizit: „Aber diese Gleichsetzung und Ungleichsetzung
schließen sich wechselseitig aus“ (ebda).
Marx ist also im 'Kapital' von dieser Konzeption der abstrakten Arbeit
als einer ABSTRAKTEN ALLGEMEINHEIT, im Unterschied zu Hegel kein Gedankending,
sondern real abstraktes Gesellschaftsverhältnis, nicht nur nicht abgewichen,
sondern hat diese Konzeption von der Sache her sogar präzisiert und
erweitert. Weiter hinten, im Abschnitt über das Geld, kehrt er dann
auch terminologisch zu diesem von Hegel herrührenden Doppelbegriff
zurück: „Der der Ware immanente Gegensatz von Gebrauchswert und Wert,
von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbare gesellschaftliche
Arbeit darstellen muß, von besonderer konkreter Arbeit, die zugleich
nur als ABSTRAKT ALLGEMEINE Arbeit gilt, von Personifizierung der Sache
und Versachlichung der Personen - dieser immanente Widerspruch erhält
in den Gegensätzen der Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen“
(Marx 1965, S. 128, Hervorheb. R.K.).
Marx nennt daher konsequent und ausführlich nur die konkret nützliche
Arbeit als eine allen Gesellschaftsformen gemeinsame: „Als Bildnerin von
Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von
allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung der Menschen,
ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur,
also das menschliche Leben zu vermitteln“ (Marx 1965, S. 57).
Es fällt ihm aber aus gutem Grund nicht ein, die abstrakte Arbeit
und den Doppelcharakter der Arbeit ebenso als unhistorisch-allgemein und
als „ewige Naturnotwendigkeit“ zu bezeichnen. Denn die abstrakte Arbeit
setzt gerade als abstrakte Allgemeinheit die private Trennung der Produzenten
voraus und konstituiert den Doppelcharakter der Arbeit als gegensätzliches,
ausschließendes Verhältnis von
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Allgemeinheit und Besonderheit, von Gesellschaftlichkeit und Nützlichkeit
der Arbeit. Freilich könnte man sagen, daß die Marxsche Darstellung
des Problems insofern Mängel enthält, als er etwas sorglos mit
der Hegelschen Terminologie umgeht und deren Bedeutung in seinem eigenen,
materialistischen Sinne gerade im Abschnitt über den Doppelcharakter
der Arbeit nicht deutlich und ausdrücklich herausarbeitet, so daß
leicht Mißverständnisse nahegelegt werden. Tatsächlich
deutet dieser Mangel in der Darstellung auch darauf hin, daß Marx
selbst noch nicht ganz im Reinen war hinsichtlich der Bedeutung der abstrakten
Arbeit; immerhin hat er nicht umsonst gerade das erste Kapitel immer wieder
umgearbeitet und hätte dies nach Aussagen von Engels (vgl. dessen
Vorwort) vermutlich auch bei späteren Auflagen noch getan. Die Bedeutung
der abstrakten Arbeit ist jedoch in den Texten von Marx bereits so umfassend
herausgearbeitet, daß sie sich ohne weiteres rekonstruieren und über
die etwas knappe Darstellung von Marx hinaus explizit machen läßt.
Besonders im Problem der abstrakten Arbeit als einer abstrakten Allgemeinheit
im materialistisch gewendeten Hegelschen Sinne kommt wieder einmal zum
Ausdruck, daß „kein Marxist Marx verstanden hat“ (Lenin), solange
die Hegelsche Dialektik, ihre Begriffe und ihre Terminologie nicht aufgearbeitet
sind, gerade im Begriffsapparat der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie.
Daß es freilich allein mit dem Hegel-Studium als solchem nicht getan
und auch eine adäquate Ausarbeitung dieses Begriffsapparats im Sinne
der Marxschen Theorie gefordert ist, zeigt ungewollt der in jüngster
Zeit mit Veröffentlichungen zum Thema der abstrakten Arbeit hervorgetretene
Dieter Wolf, wenn er über die „Bedeutung der abstrakt-menschlichen
Arbeit in allen Gesellschaftszuständen, unabhängig von deren
historisch-spezifischer Form“ (Wolf 1985, S. 49) schreibt. Leider kommt
Wolf überhaupt nicht auf den Gedanken, die Frage der abstrakten Arbeit
unter dem Aspekt des Verhältnisses von abstrakter und konkreter Allgemeinheit
des gesellschaftlichen Arbeitsteilungs-Systems grundsätzlich aufzurollen.
So gerät er bei der Bestimmung der Abstraktheit und der gesellschaftlichen
Allgemeinheit in eine heillose Konfusion, die auch nicht dadurch gelöst
wird, daß er die abstrakte Arbeit nicht für alle Gesellschaftsformationen
als die gesellschaftlich-allgemeine Form der Arbeiten gelten lassen will.
Trotzdem aber soll die abstrakte Arbeit in einem unhistorisch-allgemeinen
Sinn eine „ewige“ GESELLSCHAFTLICHE Bedeutung besitzen. Wolf leitet seine
spezielle Version der „Verewigung“ der abstrakten Arbeit allerdings nicht
aus ihrer natürlichen, physiologischen Allgemeinheit ab, sondern auf
eigentümliche Weise aus der „quantitativen“ Seite der Arbeit, die
als besonderer, getrennter Aspekt für „alle Gesellschaftszustände“
gleichbleibend sein soll.
Zu diesem Zweck muß er zunächst die „qualitative Seite“
der Arbeit als einseitiges, für sich seiendes Moment hervorheben und
macht sich dabei schon eines logischen Fehlers schuldig: „die gesellschaftliche
Arbeit wird unter dem Gesichtspunkt ihrer Qualität verteilt, insofern
es verschiedene konkret-nützliche Arbeiten gibt...“ (Wolf 1985, S.
49). Der Satz wird zum schlichten Unsinn, wenn er auf die Ausschließlichkeit
oder nicht quantitative Bestimmtheit der „qualitativen Seite“ hinsichtlich
der „konkret-nützlichen Arbeiten“ hinweisen soll, um dann deren eigene
Quantität als BESONDEREN, GETRENNTEN Aspekt eben den der „abstrakt
menschlichen Arbeit“ zu behandeln. Die gesellschaftliche Arbeit soll „unter
dem Gesichtspunkt ihrer Qualität“ VERTEILT werden, aber als solche
qualitative, nützliche Arbeit noch nicht quantitativ bestimmt sein.
Wolf kommt auf den Unsinn einer „quantitätslosen Verteilung“ bestimmter
Qualitäten hinaus, eine contradictio in adjecto. Er vergißt
tatsächlich, daß im Begriff der „Verteilung“ ja schon der quantitative
Aspekt mitenthalten sein muß, da natürlich bestimmte Qualitäten
verschiedener Art immer nur nach quantitativer Maßgabe „verteilt“
werden können. Er verfällt also in den Widersinn, eine „rein
qualitative“ Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit zu behaupten, um
dann die „abstrakt-menschliche Arbeit“ als separaten, getrennten (eben
abstrakten) „quantitativen Aspekt“ einführen zu können: „In dem
gesellschaftlichen Zusammenhang, worin die einzelnen Arbeiten qualitativ
als Glieder der Gesamtarbeit und quantitativ als aliquote Teile der Gesamtarbeitszeit
gesetzt werden, werden sie auch als abstrakt-menschliche Arbeit auf einander
bezogen und damit gleichgesetzt“ (ebda. S. 50). Wenn dies für „alle
Gesellschaftszustände“ gelten soll, dann gibt es keine anderen als
Wert setzende oder Waren produzierende. Denn nur in einer waren-
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produzierenden Gesellschaft wird das Setzen der einzelnen Arbeiten
als quantitativer Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit als ihre
ABSTRAKTE Allgemeinheit oder Gesellschaftlichkeit ABGETRENNT von ihrem
qualitativen Dasein als Glieder der Gesamtarbeit. Wolf spricht also keineswegs,
wie er glaubt, von der Allgemeinheit der Arbeit in „allen Gesellschaftszuständen“,
wenn er am Begriff der „abstrakt-menschlichen Arbeit“ als einer gesellschaftlichen
Kategorie festhält, sondern immer nur von einem Gesellschaftszustand,
der sich in dem Widerspruch herumtreibt, daß die getrennte Privatarbeit
als ihr Gegenteil, nämlich als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit
erscheinen muß.
Dies wird auch deutlich, wenn Wolf schreibt: „Die konkret-nützlichen
Arbeiten besitzen auch unabhängig von dem gesellschaftlich bestimmten,
vielgliedrigen System der Arbeitsteilung die ALLGEMEINE EIGENSCHAFT (Hervorheb.
Wolf), abstrakt-menschliche Arbeit zu sein“ (ebda, S. 52). Die Konfusion
von Wolf ist vollkommen. Denn „unabhängig“ vom vielgliedrigen System
der Arbeitsteilung ist die „Allgemeinheit“ der Arbeit, d.h. aber eben ihre
Gesellschaftlichkeit, nur dann, wenn dieses System der verschiedenen nützlichen
Arbeiten als solches gerade (der Form nach) NICHT „gesellschaftlich“ ist,
sondern aus einer Summe von getrennten Privatarbeiten besteht. Einzig und
allein unter dieser Bedingung kann die Allgemeinheit der Arbeit sich als
eine abstrakte von ihren verschiedenen nützlichen Inhalten lostrennen
und als abstrakte Arbeit erscheinen, d.h. als abstrakte Gesellschaftlichkeit
der Arbeit in einen ausschließenden Gegensatz treten zum der Form
nach privat bleibenden nützlichen Inhalt.
Wolf muß sich schließlich zu der Behauptung versteigen,
daß die gesellschaftlichen Arbeiten allein dadurch, daß sie
überhaupt aufeinander bezogen werden, in die Bestimmung der abstrakt-menschlichen
Arbeit gesetzt werden: „Allein durch diese Beziehung ist die abstrakt-menschliche
Arbeit auch dann, wenn sie nicht die gesellschaftlich-allgemeine Form der
Arbeiten ist, nicht nur eine allgemeine Eigenschaft aller konkret-nützlichen
Arbeiten, sondern darüber hinaus eine allgemeine Eigenschaft der GESELLSCHAFTLICHEN
Arbeit und damit eine GESELLSCHAFTLICHE Bestimmung. Würden die einzelnen
Arbeiten im Zuge der proportionellen Verteilung der Gesamtarbeit nicht
quantitativ als deren aliquote Teile behandelt, dann spielt die abstrakt-menschliche
Arbeit auch keine gesellschaftliche Rolle“ (a.a.O., S. 52, Hervorheb. Wolf).
Indem Wolf die abstrakte Arbeit in eine ewige „allgemeine Eigenschaft“
aller gesellschaftlichen Arbeit verwandelt, kann er überhaupt nicht
mehr denken, was „Abstraktheit“ eigentlich bedeutet, nämlich Abtrennung,
Aussonderung eines Allgemeinen, bei bloßen Denkoperationen eine Selbstverständlichkeit,
als Gesellschaftskategorie aber negativ und von destruktiver Konsequenz.
In einer nicht-warenproduzierenden Gesellschaft werden aber die Arbeiten
unmittelbar als konkret-nützliche aufeinander bezogen und gerade deswegen
verschwindet die abstrakte Arbeit als gesellschaftliche Kategorie. Wolf
sucht sich wie schon weiter oben in den „quantitativen Aspekt“ zu retten.
Werden aber die Arbeiten unmittelbar als nützliche auf einander bezogen,
dann ist in diesem qualitativen Bezug auch der quantitative immer schon
mitenthalten und tritt nicht als getrennter, „abstrakter“ Bezug noch extra
hinzu, schon gar nicht als „Eigenschaft“. Sind die Arbeiten als konkrete
allgemein, d.h. gesellschaftlich, dann bedarf es keiner abstrakten Allgemeinheit
mehr. Qualität und Quantität bleiben als konkrete Allgemeinheit
ungetrennt.
Die Allgemeinheiten der Arbeiten als konkret-nützliche ist nicht
getrennt von ihrer Allgemeinheit als „aliquote Teile der Gesamtarbeit“
und insofern letztere Allgemeinheit auch nicht „abstrakt“. Dies sagt auch
Marx, wenn er für eine nicht-warenproduzierende Gesellschaft hinsichtlich
des quantitativen (Arbeitszeit-) Aspekts festellt: „Die durch die Zeitdauer
gemessene Verausgabung der individuellen Arbeitskräfte erscheint hier
aber VON HAUS AUS (Hervorheb. R.K.) als gesellschaftliche Bestimmung der
Arbeiten selbst...“ (Marx 1965, S. 92).Insofern kann Wolf sich auch nicht
in seinem Sinne auf Marx berufen, wenn er mehrfach dieselbe Stelle zitiert,
wo Marx sagt, daß „in jeder gesellschaftlichen Arbeitsform
... die Arbeiten der verschiedenen Individuen auch als menschliche aufeinander
bezogen (sind)“ (zit. nach Wolf, a.a.O., S. 68, S . 71 u.a.) und daß
nur in der warenproduzierenden Gesellschaft „diese Beziehung selbst als
die spezifisch-gesellschaftliche Form der Arbeiten (gilt)“ (ebda). Nur
wo diese Beziehung der Arbeiten als menschliche
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von ihrer Nützlichkeit abgetrennt ist, ist sie auch „abstrakt“
und nur dort existiert die „abstrakt-menschliche Arbeit“ als eine GESELLSCHAFTLICHE
Kategorie. Wo aber in nicht-warenproduzierende Gesellschaften die Arbeiten
„auch“ als menschliche aufeinander bezogen sind, meint dieses „auch“ eben
kein Abstraktum, kein Hinzutretendes und an sich Getrenntes, sondern eine
unmittelbare konkrete Identität. INSOFERN und INDEM die Arbeiten als
konkret-nützliche aufeinander bezogen sind, sind sie „auch“ (gleichzeitig,
DADURCH, identisch) als „menschliche“ (d.h. als Teile der Gesamtarbeit)
auf einander bezogen. Nicht aber: Die Arbeiten sind als konkret-nützliche
unmittelbar auf einander bezogen, sie sind „ABER AUCH“ (im Sinne von: „außerdem“,
extra äußerlich hinzutretend) als „menschliche“ aufeinander
bezogen. Dies letztere wäre ein Widersinn bei nicht-warenproduzierenden
Gesellschaften, und genau dieser Widersinn kommt in der Auffassung von
Wolf zum Ausdruck.
Die quantitative „Behandlung“ der einzelnen Arbeiten als „aliquote
Teile der Gesamtarbeit“ im Zuge von deren „proportioneller Verteilung“
ist als solche schon unmittelbar auch QUALITÄT, qualitative Entscheidung.
Die quantitative proportionelle Verteilung von Mengen gesellschaftlicher
Arbeit auf die Produktion einerseits von Privat-Autos, andererseits von
öffentlichen Verkehrsmitteln ist bereits auch unmittelbar qualitative
Bestimmung. Aus dem Form-Gegensatz von Privatheit und Gesellschaftlichkeit
der Arbeit heraus verselbständigt sich der quantitative Aspekt freilich
gegenüber der Qualität, d.h. es werden in der Konsequenz zwangsläufig
in qualitativer Hinsicht irrationale, zerstörerische Entscheidungen
getroffen, insofern die GESELLSCHAFTLICHE Rationalität eine vom qualitativen
Inhalt abgetrennte, rein quantitative oder, anders gesagt, der Reichtum
ein ABSTRAKTER ist. Diese Verselbständigung und Gegensätzlichkeit
der Quantität gegenüber der Qualität der gesellschaftlichen
Arbeit ist aber nur Folge der abstrakten Arbeit selbst, d.h. der Tatsache,
daß die Allgemeinheit oder Gesellschaftlichkeit der Arbeit sich überhaupt
als abstrakte, getrennte darstellt. Nur unter dieser Bedingung der realen
Getrenntheit der gleichwohl gesellschaftlichen Arbeiten macht der Begriff
„abstrakte Arbeit“ überhaupt einen gesellschaftlichen Sinn.
Es nützt gar nichts, wenn Wolf den Begriff der abstrakten Arbeit
auf die „Messung ihrer Zeitdauer“ begrenzen und unterscheiden will von
der abstrakten Arbeit als der gesellschaftlichen Form der Arbeiten: „Durch
die Zeitdauer ihrer Verausgabung gemessen zu werden und insofern auf abstrakt-menschliche
Arbeit reduziert zu werden, ist in dem oben auseinandergesetzten Sinne
eine gesellschaftliche Bestimmung der konkret-nützlichen Arbeiten.
Diese gesellschaftliche Bestimmung darf aber nicht mit der historisch-gesellschaftlichen
Form der einzelnen Arbeiten verwechselt werden“ (a.a.O., S. 57).
Wolf versteht abermals überhaupt nicht, was Abstraktion als gesellschaftliche
Realkategorie eigentlich bedeutet, was „Reduktion“ auf abstrakt-menschliche
Arbeit überhaupt heißt, nämlich „abstrahieren“, lostrennen
der Arbeiten von ihrem wirklichen Inhalt. Anders ist es sinnlos, von abstrakt-menschlicher
Arbeit in einem gesellschaftlichen Sinne überhaupt zu sprechen, weil
die Messung der Zeitdauer ihrer Verausgabung sonst nicht nicht getrennt
ist vom zu messenden nützlichen Inhalt, diesen nicht „auslöscht“,
sobald die Arbeiten als gesellschaftlich behandelt werden, und deshalb
eben auch nicht abstrakt „ist“. Wenn der Bau eines Verkehrsmittels zur
Debatte steht, der dafür notwendige Arbeitsaufwand gemessen und kalkuliert
wird, und diese Arbeit bei positiver Entscheidung schließlich qualitativ
und quantitativ als bewußt geplanter Teil der Gesamtarbeit durchgeführt
wird, dann ist daran überhaupt nichts „abstrakt“. Es gehört schon
das durch und durch verdinglichte Bewußtsein eines in den Kategorien
der Warenproduktion denkenden Theoretikers wie Wolf dazu, aus dem Messen
des Arbeitsaufwands für bestimmte konkret-nützliche Arbeiten
eine „Reduktion“ auf „abstrakt-menschliche“ Arbeit zu machen, diese dingliche
Abstraktion in einen ganz anderen gesellschaftlichen Zusammenhang sozusagen
hinterrücks hineinzudenken und die Abstraktheit so zur dinglichen
„Eigenschaft“ zu verewigen. Es ist also daran festzuhalten, daß die
gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten als abstrakt-menschliche durchaus
zusammenfällt mit einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Form
der einzelnen Arbeiten. nämlich mit der Warenform. Wenn ich die Quantität
als gesellschaftliche von ihrer konkreten inhaltlichen Bestimmtheit ablöse,
dann wird sie zur abstrakten Allgemeinheit; bleibt die
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Quantität verbunden mit ihrer konkreten inhaltlichen Bestimmtheit,
dann ist auch ihre Allgemeinheit konkret und es findet keine REDUKTION
auf einen losgetrennten, insofern abstrakten quantitativen Aspekt statt.
Weit davon entfernt, im gesellschaftlichen Sinne eine unhistorische
„allgemeine Eigenschaft“ zu sein, drückt die abstrakte Arbeit immer
nur den Widerspruch aus, daß Privatarbeit sich als ihr Gegenteil,
als gesellschaftliche Arbeit darstellen muß. Überhaupt gibt
es in GESELLSCHAFTLICHER Hinsicht gar nicht wirklich „Eigenschaften“, sondern
VERHÄLTNISSE (Beziehungen). Abstraktion ist nur an Naturdingen oder
Naturprozessen wie Pflanze, Geschwindigkeit etc. eine bloße Zusammenfassung
von Merkmalen oder eine allgemeine „Eigenschaft“; an Menschen oder „menschlichen
Dingen“ nur insoweit, als sie auch Naturdinge sind, nicht aber hinsichtlich
ihrer Gesellschaftlichkeit. Wolf vergißt, daß es sich bei dem
Begriff der abstrakten Arbeit nicht um die unbestreitbare allgemeine natürliche,
physiologische Eigenschaft aller beliebigen nützlichen Arbeiten im
ungesellschaftlich-unhistorischen Sinne handelt, also um eine dingliche
„Eigenschaft“, die sowohl die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft beim
Abschlagen eines Faustkeils als auch beim Erstellen eines Computerprogramms
„besitzt“, sondern um die Verwandlung dieser Eigenschaft in die verdinglichte
Darstellung eines spezifischen GESELLSCHAFTLICHEN VERHÄLTNISSES, in
dem die Gesellschaftlichkeit eben eine vom Inhalt getrennte, d.h. abstrakte
ist. Wolf gleitet entgegen seiner Absicht ständig in die bloß
natürlich-physiologische Allgemeinheit der Arbeit ab, wenn er von
einem spezifisch gesellchaftlichen Moment sprechen will. Es ist überhaupt
schon ein faux pas, in einem gesellschaftlichen Sinne platt verdinglicht
von „allgemeiner Eigenschaft“ zu sprechen statt von Verhältnissen.
Wolf läßt also in nicht-warenproduzierenden Gesellschaften die
nützlichen Arbeiten zwar in unmittelbar gesellschaftlicher Form erscheinen,
aber widersinnigerweise ohne ihre quantitative Bestimmung, die extra hinzutreten
soll als das „Bezogenwerden“ einer verrückten „Eigenschaft“, nämlich
daß sie „abstrakt-menschlich“ sein sollen. Die Allgemeinheit der
Arbeiten ist aber immer ihre Gesellschaftlichkeit, nicht ihre Quantität
als solche. Diese ihre Gesellschaftlichkeit kann abstrakt oder konkret
sein. Ist sie abstrakt, d.h. getrennt von ihrer Nützlichkeit, die
privat bleibt, dann verdoppelt sich der Gesichtspunkt der Quantität:
als konkret nützliche, aber private Arbeiten haben die verschiedenen
Arbeiten natürlich auch eine Quantität, aber diese muß
nicht mit ihrer gesellschaftlichen (durchschnittlichen) übereinstimmen,
weil von der privaten Verausgabung der Arbeitskraft des mit privaten Produktionsmitteln
arbeitenden Produzenten abhängig. Die gesellschaftliche Quantität
der Arbeiten tritt dann separat als reine Quantität in Erscheinung,
aber nicht mehr als die wirkliche Quantität der privaten konkret-nützlichen
Arbeiten, sondern als abstrakte Quantität der abstrakten (abstrakt-allgemeinen)
gesellschaftlichen Arbeit.
Ist aber umgekehrt die Gesellschaftlichkeit der Arbeiten selber konkret,
dann fallen auch die Quantität der konkret-nützlichen Arbeiten
als solche und ihre gesellschaftliche Quantität unmittelbar zusammen,
weil sie als Verausgabung unmittelbar gesellschaftlicher Arbeitskraft mit
gesellschaftlichen Produktionsmitteln sich darstellen. Indem die Produzenten
ihre Arbeiten naturwüchsig unmittelbar aufeinander beziehen (vorkapitalistisch)
oder durch bewußte gemeinsame Planung (Kommunismus) haben sie immer
schon a priori ihre Arbeiten einander gleichgesetzt und als konkret-allgemeine
behandelt; es bedarf daher keines besonderes „Akts“ der Gleichsetzung mehr,
eben weil die Gesellschaftlichkeit nicht abstrakt ist. Die abstrakte Bestimmung
der Arbeiten als „Verausgabung von Nerv, Muskel, Hirn“ etc. „gibt“ es dann
zwar noch, aber sie ist nichts mehr weiter als eine gedankliche Abstraktion,
die ein „natürliches“ allgemeines Merkmal der Arbeit unhistorisch
gültig zusammenfaßt; sie besitzt jedoch keinerlei gesellschaftliche
Bedeutung mehr. Als Realkategorie des gesellschaftlichen Zusammenhangs
verschwindet dann die abstrakte Arbeit vollständig. Was bei Wolf als
der ominöse „Akt der Gleichsetzung“ der Arbeiten erscheint, der als
separat „quantitativer“ Bezug für alle, auch nicht-warenproduzierenden
Gesellschaften gelten soll, ist in Wirklichkeit nichts als ein anderer
Name für die ZIRKULATIONSSPHÄRE DER WARENPRODUKTION, die sich
im verdinglichenden Denken unseres Autors durch die Hintertür wieder
als unerkannter Begriff der Warenlogik hereingeschlichen hat.
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Wolf verfällt daher in typisch positivistisches Denken, insofern
er bewußtlos ein gesellchaftliches Verhältnis oder das wesentliche
Moment eines solchen („abstrakte Arbeit“) zur dinglichen Eigenschaft verkürzt,
gerade dadurch in der mystifizierenden Abstraktheit beläßt und
diese unkritisch hingenommene gesellschaftliche Abstraktion dann zur absoluten,
unhistorischen Allgemeinheit verdünnt. Mit einigen Windungen und Wendungen
nimmt er schließlich die Mystifikation der Ware doch für bare
Münze, statt sie kritisch aufzulösen. Diesem Denken entspricht
letztlich die falsche Identifikation von Abstraktheit und Allgemeinheit,
wie sie das bürgerliche Denken überhaupt kennzeichnet und erstmals
von Hegel, wenn auch in idealistischer Form, aufgelöst worden
ist. Wolf bietet so bestenfalls das kuriose Schauspiel einer positivistischen
Hegel-Lektüre, nicht aber eine kritische Auflösung der Warenlogik
auf der Basis der Marxschen Theorie, deren Verständnis gerade auch
als kritisches eine materialistische Wendung der Hegelschen Kategorien
zur Bedingung hat, die nicht mit dem Idealismus zusammen auch die Dialektik
ausschüttet und abstrakte Arbeit bzw. Wert tatsächlich platt
als „dingliche Eigenschaft“ hinnimmt, wie sie sich in der bürgerlichen
Mystifikation real darstellen.
Wolf verbessert seine Position nicht, wenn er die Abstraktheit der
Arbeit nicht für alle Gesellschaftszustände als ihre gesellschaftlich-allgemeine
Form verstanden wissen will. Er stiftet nur Verwirrung, indem er die bloß
natürliche und insofern allgemeine, unhistorisch-ungesellschaftliche
Eigenschaft der Arbeiten, die sich nur in der Warenproduktion zur Mystifikation
einer „gesellschaftlichen Eigenschaft“ verkehrt, dennoch auch für
nicht-warenproduzierende Gesellschaften als gesellschaftliche Bestimmung
retten will. Wolf stolpert darüber, daß er die Bestimmung von
abstrakter und konkreter Allgemeinheit nicht bezieht auf den Begriff der
gesellschaftlichen Arbeit und dadurch zu einem falschen, unhistorischen
Begriff der abstrakten Arbeit „für alle Gesellschaftszustände“
gelangt.
Himmelschreiend wird der Widersinn, wenn Wolf so behauptet, daß
einerseits „nur in kapitalistischen Gemeinwesen“ die „abstrakt-menschliche
bzw. abstrakt-allgemeine Arbeit die gesellschaftlich allgemeine Arbeit“
sei (a.a.O., S. 71) und andrerseits fordert,daß man „gesellschaftlich-allgemeine
Arbeit“ nicht gleichsetzen dürfe mit der „abstrakt-menschlichen Arbeit“
(a.a.O., S. 70f.). WELCHE „Allgemeinheit“ aber soll denn bei Wolf die abstrakte
Arbeit als (separates, einen „Gleichsetzungs-Akt“ konstituierendes) „quantifizierendes
Moment“ der gesellschaftlichen Gesamtarbeit darstellen, wenn nicht eine
„gesellschaftliche“?! Würde es sich konsequent bloß um die NATÜRLICHE
(physiologische) allgemeine Eigenschaft aller nützlichen Arbeiten
handeln, Verausgabung von Nerv, Muskel, Hirn etc. zu sein, dann wäre
dies eben keine GESELLCHAFTLICHE Allgemeinheit, wie Wolf selber sagt: „Unabhängig
vom gesellschaftlichen Zusammenhang wäre sie nur noch die den unterschiedlichen,
konkret-nützlichen Arbeiten gemeinsame und insofern allgemeine Eigenschaft“
(a.a.O., S. 52). Als angeblich gesondert in allen Gesellschaften hinzutretender
quantitativer Aspekt, als GESELLSCHAFTLICHE „Eigenschaft“ aber, als Art
und Weise oder „Akt“ der Proportionierung der Gesamtarbeit wäre die
abstrakt-menschliche oder abstrakt-allgemeine Arbeit auch bei Wolf notwendig
immer eine GESELLSCHAFTLICHE, obwohl er verlangt, daß man „beide
Ausdrücke“, nämlich abstrakt-menschliche Arbeit einerseits und
gesellschaftlich-allgemeine Arbeit andererseits „nicht gleichsetzen soll“.
Indem aber die abstrakt-allgemeine Arbeit als Proportionierung der Gesamtarbeit
auch bei ihm notwendig wenigstens in dieser Hinsicht und Funktion eine
gesellschaftlich-allgemeine ist, kommt er auf den Unsinn hinaus, daß
er plötzlich ZWEIERLEI „gesellschaftlich-allgemeine Arbeit“ hat, eine
eigentliche (die der konkret-nützlichen Arbeiten) und eine uneigentlich
hinzutretende, eine explizite und eine „verschämt“ implizite. Er sagt
also tatsächlich nur, daß die gesellschaftlich-allgemeine Arbeit
für ihn in nicht-warenproduzierenden Gesellschaften, die nicht die
abstrakt-menschliche Arbeit sein soll, sondern die direkte gesellschaftliche
Allgemeinheit der konkret-nützlichen Arbeiten, in Wirklichkeit leider
doch nicht „allgemein genug“ wäre, so daß trotzdem noch die
abstrakt-menschliche Arbeit als Kategorie hinzutreten müßte,
um die doch angeblich schon in der Form der gesellschaftlichen Allgemeinheit
befindlichen nützlichen Arbeiten erst „wirklich“ gesellschaftlich-allgemein
zumachen. Die Würde der Allgemeinheit bekämen sie in Wahrheit
erst durch eine der Warenlogik angehörende Kategorie. Die Kategorie
der gesellschaftlichen Allgemeinheit bei Wolf strafte sich so selber Lügen,
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indem sie sich als gar nicht ernsthaft allgemein entpuppte und die
Krücke der warenlogischen abstrakten Arbeit zu Hilfe nehmen müßte.
Es enthüllt sich so, daß Wolf mit der krampfhaften Beibehaltung
der Kategorie der abstrakt-menschlichen Arbeit für „alle Gesellschaftszustände“
als einer GESELLSCHAFTLICHEN Kategorie zu gar keiner gesellschaftlich-allgemeinen
Form der nützlichen Arbeiten ohne diese abstrakte Arbeit gelangen
kann und also die abstrakte Allgemeinheit der Arbeiten in der Warenproduktion
durch die Hintertür als für „alle Gesellschaftszustände
gültig“ behauptet werden muß. Der ganze theoretische Aufwand
bei Wolf dient also offenbar zu nichts anderem, als mit „neuen“ und weitausholenden
Mitteln eine Weitergeltung warenlogischer Kategorien in einer „Sozialistischen“
Übergangs- etc. Gesellschaft oder im Rahmen einer „sozialistischen“
Politik überhaupt zu untermauern. Theoretische Ansätze wie dieser
ordnen sich bruchlos in den verkürzten, warenfetischistischen Traditions-
und Arbeiterbewegungs-Marxismus ein, trotz aller hochtrabenden und anspruchsvollen
Sprache.
4. Abstrakte Arbeit als Realabstraktion
Das Beispiel von Wolf zeigt nur, mit welcher positivistischen Hartnäckigkeit
und Vernageltheit sich nicht bloß der Alltagsverstand, sondern auch
das theoretische Bewußtsein an die warenlogischen Kategorien klammert,
die sich quasi als Naturgesetze überwältigend eingeprägt
haben. Dieser bewußtseins-überwältigende Charakter der
warenlogischen Kategorien, im theoretischen Sinne der Stufenfolge abstrakte
Arbeit - Wert - Tauschwert - Geld, kann nicht einfach fehlerhaftem Denken
geschuldet sein, sondern wurzelt vielmehr in den objektiven gesellschaftlichen
Verhältnissen selbst. Daß es sich hier nicht um bloße
Gedankendinge oder Bewußtseinskategorien handelt, sondern um gesellschaftliche
Realkategorien, ist nur scheinbar selbst-evident. Nachdem der Begriff der
abstrakten Arbeit als einer (negativen, heute in ihrem zerstörerischen
Reifestadium aufzuhebenden) abstrakten Allgemeinheit der Arbeiten geklärt
worden ist, müssen wir zum Problem der „Vergegenständlichung“
dieser abstrakten Arbeit im „Wert“ zurückkehren, d.h. herausfinden,
wie sich diese abstrakte Allgemeinheit der Arbeiten in die Mystifikation
einer dinglichen Eigenschaft der Produkte verwandelt, über die nicht
einmal Theoretiker mit marxistischem Anspruch wie Wolf hinausdenken können.
Schon hier zeigt sich, daß die warenlogischen Kategorien als gesellschaftliche
Realkategorien keineswegs so leicht und selbstverständlich zu fassen
sind. Das im Grunde trotz allen Aufwands denkfaule positivistische Bewußtsein
(gerade auch als „marxistisches“) macht sich gewöhnlich kein Problem
daraus, indem es so tut, als habe es einfach mit „Realitäten“ der
krudesten Art zu tun, die äußerst simplen, hausbackenen „Definitionen“
zugänglich wären und keiner weiteren Erklärung bedürften.
Zwar sind tatsächlich die wirklichen, lebendigen, konkret-nützlichen
Arbeiten ebenso EMPIRISCHE Realität wie der Tauschwert (die Austauschbeziehung
der Waren) und das Geld. Abstrakte Arbeit und Wert jedoch stellen keinerlei
empirische Realität dar. Der gewöhnliche, bürgerliche Positivismus
nimmt diese Tatsache ja zum Anlaß, diese Kategorien überhaupt
für nicht „existent“, sinnlos oder „metaphysisch“ zu erklären.
Um diese Kategorien also zu begründen, und zwar kritisch, auf ihre
Aufhebung hinzielend, genügt der platte Verweis auf die sogenannte
„Realität“ in ihrer empirischen Erscheinung keineswegs. Der „marxistische“
Positivismus ohne Problembewußtsein macht sich insofern wissenschaftlich
nur lächerlich.
So überrascht es kaum, daß dem marxistischen Denken der
alten Arbeiterbewegung in allen ihren Lagern jegliches Problembewußtsein
hinsichtlich des Begriffs der abstrakten Arbeit als einer Realkategorie
mangelte. Es wurde also der Unterschied zwischen Gedankenabstraktion (Abstraktion
als Gedankending, als Moment gedanklicher Widerspiegelung) und Abstraktion
als gesellschaftlicher Realität nicht reflektiert. Die Frage der abstrakten
Arbeit konnte so leicht als bloß logisches oder erkenntnistheoretisches
Problem mißverstanden werden, d.h. als Frage nach der Richtigkeit
einer Abstraktion auf der Ebene bloßer Gedankendinge. Die Problemstellung
gleitet dann von der Kritik der politischen Ökonomie mehr oder weniger
unmerklich hinüber zur reinen Erkenntnistheorie und Logik, wobei der
bestimmte Inhalt eigentlich gleichgültig ist und auch ein völlig
anderer sein könnte. Marx geht es aber weder um eine abstrakte Methode
noch um Logik an sich, sondern um die Kritik bestimmter realer Verhältnisse.
Gefragt ist also beim Problem der abstrakten Arbeit nicht einfach nach
ihrer logischen
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Stimmigkeit, sondern nach ihrer materiellen Realität als gesellschaftliche
Realkategorie. Wie wird, und zwar real, die konkret-nützliche zur
abstrakten Arbeit, diese zum Wert, dieser dann zu Tauschwert und Geld?
Zwischen der empirischen Faßbarkeit der konkret-nützlichen Arbeiten
und der empirischen Faßbarkeit des Tauschwerts bzw. des Geldes klafft
eine empirisch nicht faßbare Lücke, die Marx mit den „unfaßbaren“
Kategorien der abstrakten Arbeit und des Werts zu überbrücken
sucht. Es kann aber keine bloß gedankliche Brücke zwischen auseinanderklaffenden
empirisch harten Tatsachen geben, die vermittelnden Begriffe müssen
sich als Widerspiegelung von Realitäten nachweisen lassen. Gefragt
ist also nach den realen gesellschaftlichen Operationen, die sich begrifflich
als abstrakte Arbeit und Wert darstellen sollen.
Es ist meines Wissens Alfred Sohn-Rethel, dem das Verdienst zukommt,
erstmals das Problem der „REALABSTRAKTION“ aufgeworfen zu haben. Freilich
steht auch die Erörterung von Sohn-Rethel in einem primär erkenntnistheoretischen
Zusammenhang und nicht direkt im Rahmen der Kritik der politischen Ökonomie;
schon von daher konnte ihm die Lösung des Problems nicht gelingen.
Vor einer Kritik Sohn-Rethels ist es jedoch nötig, die Richtigkeit
und Bedeutung seiner Fragestellung hervorzuheben. Wenn dieser nämlich
entgegengehalten wird, daß es doch überhaupt nur „reale“ (im
Sinne von: richtige, einen realen Zusammenhang widerspiegelnde) und „irreale“
(im Sinne von: falsche, unsinnige, keinen realen Zusammenhang widerspiegelnde)
Abstraktionen „gebe“, dann drückt dieser Einwand nur wieder einen
völligen Mangel an Problembewußtsein aus, dann wird nicht begriffen,
daß wir hier nicht primär von Erkenntnistheorie sprechen, sondern
von der Kritik der politischen Ökonomie, daß es nicht um einfache
Denk- oder Verstandeskategorien geht, sondern um gesellschaftliche Realkategorien,
die reale Verhältnisse ausdrücken. Selbstverständlich sind
Wert und abstrakte Arbeit auch BEGRIFFLICHE Abstraktionen, also Denkleistungen
des menschlichen Kopfes, die etwas Reales im Kopf widerspiegeln; als solche
Begriffe sind sie reine Gedankendinge, die als solche in der Tat nur „richtig“
oder „falsch“ sein können, ohne daß dadurch ihr Charakter als
GEDANKENOPERATION in Frage stünde. Also etwa in dem Sinne, wie z.
B. Lenin über „Abstraktionen“ in seinem Hegel-Konspekt schreibt: „Das
Denken, das vom Konkreten zum Abstrakten aufsteigt, entfernt sich nicht
- wenn es richtig ist ... - von der Wahrheit, sondern nähert sich
ihr. Die Abstraktion der Materie, des Naturgesetzes, die Abstraktion des
Wertes usw., mit einem Wort alle wissenschaftlichen (richtigen, ernst zu
nehmenden, nicht unsinnigen) Abstraktionen spiegeln die Natur tiefer, richtiger,
vollständiger wider“ (Lenin 1964, S. 160). Der Wert wird hier ALS
BEGRIFF unter Abstraktionen eingereiht, die allesamt als (die Leistung
der Widerspiegelung erbringende) Gedankendinge nicht in Frage stehen und
so in der Tat nur „richtig“ oder „falsch“ sein können. Nun geht es
aber gerade darum, inwiefern sich der Wert und seine Erscheinungsformen
Tauschwert und Geld auf eine höchst vertrackte und verteufelte Weise
nicht in ihrem widerspiegelnden, begrifflichen Gedankendasein, sondern
in ihrem realen, vom begrifflichen Denken unabhängigen und diesem
vorausgesetzten Dasein von allen anderen Abstraktionen fundamental unterscheiden.
Insofern ist die Frage der richtigen („realen“) oder falschen Widerspiegelung
von Realitäten im Denken gar nicht das Thema, wenn wir von Realabstraktionen
sprechen. Vielmehr geht es um das Reale, das der Abstraktion vorausgesetzt
ist. Erkenntnistheoretisch ist das Problem der Abstraktionen im gewöhnlichen
Sinne längst geklärt. In der Geschichte der Philosophie handelte
es sich um die Frage, ob den (gedanklichen) Abstraktionen in der sinnlichen
Realität „Dinge“ entsprechen oder ob es sich um bloße Gedankendinge
handelt. Platon entwickelte das idealistische Konstrukt einer „höheren“,
wahren Welt oder Realität, in der sich die Urbilder aller menschlichen
Abstraktionen tatsächlich als solche dinglich befänden; in der
Scholastik wurde das Problem bekanntlich als Nominalismus-Realismus-Streit
ausgetragen. Es ist längst bewiesen, daß die Frage so überhaupt
erkenntnistheoretisch falsch gestellt ist. Die Abstraktion als solche ist
Denkleistung des menschlichen Kopfes, Aneignungsform der Wirklichkeit durch
das menschliche Denken. Sie ist als solche keine unmittelbar reale Gegenständlichkeit,
die dem Denken vorausgesetzt wäre, sondern wirklich reines Gedankending.
Dennoch entspricht diesem Gedankending etwas Reales in der dem Denken vorausgesetzten
konkreten Realität, jedoch nicht in der Form eines separaten DINGS,
sondern vielmehr als realer ZUSAMMENHANG an wirklichen Dingen und Verhältnissen.
Wenn ich sage „Tier“, dann „abstrahiere“ ich von den wirklichen besonderen
Tieren wie Löwe, Tiger, Hase usw.;
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aber diese Abstraktion „Tier“ ist natürlich kein Hirngespinst, keine bloße
Fiktion etc., es entspricht ihr ein Realzusammenhang, nämlich die sinnliche
Realität gemeinsamer Merkmale, die Löwe, Tiger und Hase als eine distinkte
Einheit im Vergleich etwa zu Pflanzen, Menschen oder unbelebter Materie erscheinen
lassen. Diese Gemeinsamkeit, diese Einheit von Löwe, Tiger und Hase „existiert“
real und vor dem Denken aber nur AN IHNEN, nicht getrennt von ihnen, nicht als
selbständige dingliche Entität. Als solche ist die Abstraktion nur
ein Gedankending.
Grundsätzlich anders und paradox jedoch verhält es sich bei der Abstraktion
des Werts. Hier ist nicht nur der Begriff des Werts als Gedankending, als Widerspiegelung
abstrakt, sondern das Widergespiegelte selbst, das dem Denken vorausgesetzte
Reale ist abstrakt! Jedenfalls dem „realen Schein“ nach, d.h. als gesellschaftliche
Realität. Und auch die Erscheinungsformen dieser real-abstrakten Dinglichkeit,
nämlich Tauschwert und Geld, werden als erscheinende Realität um keinen
Deut konkreter; vielmehr ist das Geld das „abstrakte Ding“, die widersinnige,
nichtsdestoweniger jedoch reale Ungeheuerlichkeit einer Abstraktion, die man
anfassen kann, die als solche außerhalb des menschlichen Kopfes real dinglich
existiert. Wie schwer und ungewohnt ist es, die Verdoppelung der Abstraktion
als dem Denken vorausgesetzte Realität und als Gedankending, als Begriff,
unterscheiden und begreifen zu können, zeigt nicht nur Backhaus, dem unter
der Hand die selber abstrakte Erscheinungsform der Wertabstraktion wieder zum
„Konkreten“ wird. Der gesamte traditionelle Marxismus hat nicht einmal versucht,
diese Unterscheidung zu machen und sich dem Problem der Realabstraktion theoretisch
zu stellen. Daher auch, selbst bei den großmäuligsten Polemiken gegen
Sohn-Rethel, meistens nur ein eher verlegenes Stutzen hinsichtlich dieses Begriffs
der Realabstraktion: „Es kann nicht bestritten werden, daß auch bestimmte
gesellschaftliche Verhältnisse wirklich existierende Abstraktionen erzeugen...“
(Brand, Kotzias, Sandkühler u.a. 1976, S. 73). Aber zu mehr als einem kurzen
Stutzen bringt es der längst theoretisch verlotterte, positivistisch verflachte
Vulgärmarxismus angesichts des gesellschaftlichen Paradoxons der Wertabstraktion
nicht mehr, gerade wo er sich als „Orthodoxie“ noch immer aufspielt(11).
Daß es sich bei der abstrakten Arbeit und dem Wert keineswegs um simple,
kruden „Definitionen“ zugängliche Gegebenheiten handelt, die der traditionelle
Marxismus bloß gedankenlos nachplappert, sondern um keineswegs endgültig
geklärte gesellschaftliche Paradoxien, kann bei Marx selber vielfach nachgelesen
werden. In der Erstauflage des 'Kapital' handelt er sogar explizit vom Paradoxon
der Realabstraktion, wenn er im Zusammenhang mit der Wertform-Analyse über
die Form des allgemeinen Äquivalents sagt: „Es ist, als ob neben und außer
Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren, die gruppiert
die verschiedenen Geschlechter, Arten, Unterarten, Familien usw. des Thierreichs
bilden, auch noch DAS THIER (Hervorheb. Marx) existierte, die individuelle Incarnation
des ganzen Thierreichs. Ein solches Einzelne, das in sich selbst alle wirklich
vorhandenen Arten derselben Sache einbegreift, ist ein ALLGEMEINES, wie THIER,
GOTT usw.“ (Marx 1984, S. 27).
Marx benennt hier nicht nur klar das von Sohn-Rethel aufgegriffene Paradoxon
der Realabstraktion, er stellt es zugleich in einen Zusammenhang mit dem Begriff
der abstrakten Allgemeinheit. Denn wenn real-dinglich „das Tier“ existiert,
dann ist diese Abstraktion nicht nur real, sondern gleichzeitig eine reale abstrakte
Allgemeinheit. Sie begreift einerseits „in sich selbst alle wirklich vorhandenen
Arten derselben Sache ein“, insofern dies jedes Allgemeine tut, jedoch nur ABSTRAKT,
d.h. getrennt von „allen wirklich vorhandenen Arten“. Was sonst nur abstrakte,
unvollkommene Verstandesbestimmung des menschlichen Kopfes ist, etwa der abstrakt-allgemeine
Begriff „Pflanze“, der FÜR DEN KOPF (nicht aber in der diesem vorausgesetzten
Realität) nur abstrakt alle wirklichen Pflanzen einbegreift, nicht jedoch
die begriffene Konkretion aller verschiedenen Geschlechter, Arten, Unterarten,
Familien usw. des Pflanzenreichs, das wird hier in der Realität selber
abstrakt-allgemeine, unvollkommene, negative Vergesellschaftung. Das Geld repräsentiert
alle vergangenen Arbeiten in ihrer Gesellschaftlichkeit, aber eben nur abstrakt,
getrennt vom wirklichen konkreten Arbeitsteilungssystem, und deswegen ist es
ein real Abstrakt-Allgemeines. Backhaus hat gerade dieses Zitat völlig
mißverstanden, weil er das „Einbegreifen“ aller wirklich vorhandenen Arten
in diesem Kontext für die „Konkretion“ nimmt, statt es als bloß abstraktes
„Einbegreifen“ und damit als abstrakte Allgemeinheit zu erkennen.
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Marx hat diese Formulierung in den späteren Auflagen nicht mehr
gebraucht, wohl, um sich stärker von der Hegelschen Terminologie abzugrenzen,
deren Gebrauch allerdings damals andere Mißverständnisse nahelegen
konnte als heute. Es ist freilich zweifelhaft, ob Marx damit der Klarheit
seiner Argumentation in the long run wirklich einen Dienst erwiesen hat.
Keinen Zweifel jedoch kann es daran geben, daß Marx der SACHE nach
in seiner Werttheorie genau dieses Problem der Realabstraktion, d.h. das
unabhängig vom Denken sich vollziehende, diesem vorausgesetzte gesellschaftliche
Realwerden der abstrakt-allgemeinen Arbeit, getrennt von ihrer Nützlichkeit,
behandelt und bis zur dinglich-realen Erscheinung der abstrakten Arbeit
im Geld durch alle Metamorphosen hindurch verfolgt und analysiert hat.
Die Abstraktion der Arbeit und des Werts ist eine Realkategorie der kapitalistischen
Produktionsweise, daher eine gesellschaftliche Realabstraktion; und ihre
Untersuchung gehört also auch in das Gebiet der Kritik der politischen
Ökonomie und nicht primär der Erkenntnistheorie. Es ist in dieser
Hinsicht äußerst auf schlußreich, daß sich die ganze,
teilweise erbitterte Auseinandersetzung um die Theorie von Sohn-Rethel
fast gar nicht auf seine erkenntnistheoretischen Schlußfolgerungen
und also sein eigentliches theoretisches Anliegen bezieht, sondern in erster
Linie auf seine kritische Entwicklung politökonomischer Begrifflichkeiten
(vgl. Brand, Kotzias, Sandkühler 1976, S. 18). Damit ist schon darauf
verwiesen, daß die eigentliche Brisanz des ganzen Ansatzes der „Realabstraktion“
keineswegs auf dem von Sohn-Rethel selber gemeinten erkenntnistheoretischen
Gebiet liegt.
Freilich muß gesagt werden, daß sich das Hauptverdienst
von Sohn-Rethel in dieser hier allein interessierenden Hinsicht (seine
erkenntnistheoretischen Schlußfolgerungen müssen in diesem Kontext
unberücksichtigt bleiben) fast schon auf das Aufwerfen der Problemstellung
beschränkt. Denn Sohn-Rethel macht den auch sonst nicht gerade seltenen
fundamentalen Fehler, die verschiedenen „Sphären“ der bürgerlichen
Gesellschaft, vor allem Produktion und Zirkulation, als einander äußerliche
„Wesenheiten“ auseinanderzureißen und als zunächst isolierte
Bestimmungen zu setzen, statt sie in ihrer konkreten Totalität als
einander bedingende Momente zu begreifen. So ist die „Sphäre“ der
Produktion, der wirklichen Arbeit, für ihn nur „konkret“, als solche
also „nicht entfremdet“ und bloßer direkter Stoffwechsel mit der
Natur, sie wird jedoch in den von ihm so genannten „Aneignungsgesellschaften“
der Ausbeutung durch das ihr „eigentlich“ fremde und äußerliche
Prinzip der „Tauschabstraktion“ überwältigt und vergewaltigt.
Es erscheint also so, als ob die selbständig existierende Entität
der Zirkulation sich die „an sich“ jungfräuliche Sphäre der Produktion
oder realen Arbeit äußerlich unterjocht. Sohn-Rethel kann daher
mit dem Marxschen Begriff der abstrakten Arbeit noch weniger anfangen als
der traditionelle Marxismus: „Ich halte den Begriff der abstrakt gesellschaftlichen
Arbeit, soweit er in der Warenanalyse erkennbar ist, für einen dem
Hegelschen Erbe geschuldeten Fetischbegriff. Er herrscht überall,
wo die Vorstellung von der kapitalistischen Ökonomie als einem gesellschaftlichen
'Arbeitszusammenhang' sich einstellt. Präzis verstanden beinhaltet
der Begriff einer Gesellschaft als Arbeitszusammenhang die kollektive Arbeit
einer gemeinschaftlichen Produktionsweise, - er schließt die Ausbeutung
aus. In meiner Ausdrucksweise ist das der Fall der Produktionsgesellschaft.
Davon präsentiert die bürgerliche Gesellschaft der kapitalistischen
Produktion das gerade Gegenteil, einen Zusammenhang vermittelst reziproker
Aneignungspraxis. Der Fetischbegriff der abstrakt gesellschaftlichen Arbeit
okkupiert genau den Platz, welcher der Realabstraktion aus der Kausalität
der Tauschhandlung zukommt. Er erkennt die Tatsache der Realabstraktion,
aber er gibt ihr eine Fehlerklärung... Halten wir also fest, die Arbeit
spielt keine konstitutive Rolle in der gesellschaftlichen Synthesis vermittels
des Warenaustauschs. Im Funktionszusammenhang des Marktes herrscht nicht
die abstrakte Arbeit, sondern die Abstraktion von der Arbeit“ (Sohn-Rethel
1971, S. 70).
Sohn-Rethel scheint hier allen Ernstes zu unterstellen, daß die
kapitalistische Gesellschaft überhaupt keinen gesellschaftlichen Arbeitszusammenhang
darstellt. Dann allerdings wäre in Wirklichkeit auch kein Austausch
möglich. Stofflich und inhaltlich existiert dieser Arbeitszusammenhang
als ein wirkliches System der Arbeitsteilung; die zahllosen verschiedenen
Produktionsvorgänge ergänzen sich, greifen ineinander über
usw. Aber diesem stofflichen Arbeitszusammenhang entspricht nicht der Beziehungszusammenhang
der Menschen, ihre Verkehrsform miteinander. Es ist gesellschaftliche
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Arbeit, aber nur auf der stofflich-dinglichen Ebene, nicht auf der
Ebene der Beziehungen der Menschen untereinander. Das Arbeitsteilungssystem
ist konkret-allgemein, aber nicht für die Produzenten untereinander,
„für sie“ kann sich die gesellschaftliche Allgemeinheit ihrer eigenen
Arbeit nur als abstrakte, getrennte darstellen. Der sogenannte „Tauschakt“
der Zirkulationssphäre „VOLLSTRECKT“ nur die Abstraktion der Arbeit,
die FÜR DIE PRODUZENTEN schon in der Produktion, in ihrer realen Arbeit
selber zum Ausdruck kommt. Ihre Arbeit als STOFFLICHER PROZESS ist „konkret“,
aber nicht FÜR SIE selber als Gesellschaftswesen. Für den Produzenten
selber „herrscht“ also schon in der Produktion die Abstraktion von der
konkreten Nützlichkeit dieser seiner eigenen Arbeit, von ihrem Inhalt.
Richtig ist, daß dieser Produktion im Sinne eines jeweils einzelnen
Produktionsaktes immer schon Tausch und Markt vorausgesetzt sind, die Produktion
von vornherein eine für den Austausch ist. Diese Frage nach einer
abstrakten „Priorität“ von „Tauschhandlung“ und „Produktion für
den Austausch“ im Sohn-Rethelschen Sinne kann sich überhaupt nur stellen,
wo „Tauschhandlung“ und „Produktionshandlung“ als zwei völlig selbständige,
einander an sich äußerliche gesellschaftliche Entitäten
gesetzt werden und also die reale Totalität des Reproduktionszusammenhangs
verschwindet. Sohn-Rethel hat ein abstraktes, unhistorisches Verständnis
von „unbefleckter“ Produktion, die immer nur äußerlich von ausbeuterischen
Aneignungs-Gesichtspunkten heimgesucht wird: „Da die Produzenten von allen
Mitteln entblößt sind, irgendein Produkt zu erzeugen, und die
Produktion nur noch als Lohnarbeit verrichten, findet die Produktion also
nicht mehr nach der Logik der Produktion, sondern nach der Logik ihrer
Negation statt, nach Maßen bloßer Warenäquivalenzen“ (Sohn-Rethel
1971, S. 70f.). Es mutet schon einigermaßen merkwürdig an, wenn
hier von einer „Produktion nicht nach der Logik der Produktion“ die Rede
ist. Der gesellschaftliche „Nexus“ erscheint bei Sohn-Rethel immer als
separate Handlung, weil er die Zirkulationssphäre der Warenproduktion
als gesellschaftlichen Fremdkörper begreift, die Produktion dafür
umgekehrt als anthropologische Konstante im Sinne der vormarxistischen
ökonomischen Ideologien der bürgerlichen Klassiker und der Utopisten.
In Wirklichkeit besitzt eben jede historische Formation ihre je spezifische
PRODUKTIONSWEISE, aus der heraus auch nur der gesellschaftliche „Nexus“
zu erklären ist. Von der kapitalistischen Produktionsweise könnte
sogar umgekehrt behauptet werde, daß sie den „gesellschaftlichen
Arbeitszusammenhang“ überhaupt erst geschaffen hat, insofern die stoffliche
Arbeitsteilung in allen früheren Produktionsweisen vergleichsweise
nur schwach entwickelt war. Erst der kapitalistische Prozeß der Verwissenschaftlichung
der Produktion hat „Vergesellschaftung“ überhaupt hervorgebracht,
von Marx reflektiert als „zivilisatorische Mission“ des Kapitals. Alle
vorkapitalistischen Produktionsweisen sind demgegenüber noch in mehr
oder weniger roher Form der Natur und gesellschaftlich dem Grundeigentum
verhaftet. Die kapitalistische Herausbildung des „gesellschaftlichen Arbeitszusammenhangs“
erscheint übrigens auch deutlich in der modernen bürgerlichen
Soziologie als historische Abfolge und Gegensatz von „Gemeinschaft und
Gesellschaft“ (vgl. Tönnies 1979, Weber 1985). Daraus erhellt schon,
daß erst im Kapitalismus überhaupt von PRODUKTIVER VERGESELLSCHAFTUNG
gesprochen werden kann, also erst mit der Verallgemeinerung der abstrakten
Arbeit auch jener „gesellschaftliche Arbeitszusammenhang“ und jene „Produktionsgesellschaft“
entstehen kann, die ihr Sohn-Rethel als unhistorische Konstante entgegensetzt.
Der gesellschaftliche „Nexus“, immer schon determiniert durch die zugrunde
liegende Produktionsweise, gewinnt also erst mit der kapitalistischen Produktion
Vergesellschaftungs-Qualität. Nicht die Zirkulation hat sich aus unerfindlichen
Gründen plötzlich hochstaplerisch zur Gottheit aufgeworfen und
die Produktion übertölpelt, sondern umgekehrt die Verwissenschaftlichung
der Produktion erst die menschliche Arbeitskraft zur Ware gemacht und damit
die warenlogischen Kategorien gesellschaftlich verallgemeinert und die
Warenzirkulation zur totalen allgemeinen Verkehrsform erhoben. Die Produktion
ist der auch die Zirkulation übergreifende Zusammenhang, insofern
determiniert sie auch den „Tausch“ (bzw. dessen Krise bei genügender
Höhe der stofflichen Vergesellschaftung!), freilich nicht als je EINZELNE
„Produktionshandlung“ gegenüber der je EINZELNEN „Tauschhandlung“,
sondern als totaler gesamtgesellschaftlicher Reproduktionszusammenhang,
in dem jeder einzelnen Produktionshandlung immer schon der Gesichtspunkt
des Marktes und damit des Tausches vorausgesetzt ist, ohne daß damit
die „Tauschhandlung“ zum Demiurgen der kapitalistischen PRODUKTIONSWEISE
würde. Aus seiner
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falschen Verselbständigung und Isolierung der Zirkulationssphäre heraus
behauptet Sohn-Rethel: „Weder ist die Arbeit von Haus aus abstrakt, noch ist
ihre Abstraktion zur 'abstrakt menschlichen Arbeit' ihr eigenes Werk. Die Arbeit
abstraktifiziert sich nicht selber. Der Sitz der Abstraktion liegt außerhalb
der Arbeit in der bestimmten gesellschaftlichen Verkehrsform des Austauschverhältnisses“
(Sohn-Rethel 1973, S. 46). Daß die Arbeit „von Haus aus“ nicht abstrakt
ist noch sich selber als solche abstraktifiziert läßt keineswegs
den Schluß zu, daß der Sitz der Abstraktion außerhalb der
Arbeit liege. Der Tausch ist nur die Vollstreckung oder Realisierung der Abstraktion,
die schon im Produktionsprozeß vorgenommen sein muß, nicht ihr selbständiger
„Sitz“; die „Verkehrsform“ kann immer nur die Form eines bestimmten produktiven
Inhalts sein, der diese Form aus sich heraus setzt, nicht jedoch eine selbständig
für sich a priori existierende Form, die sich parthenogenetisch einen Inhalt
gebiert. Eine bestimmte Höhe der produktiven Vergesellschaftung, die gleichwohl
nicht ausreichend ist für eine vollvergesellschaftete direkt gemeinschaftliche
Produktionsweise, setzt aus sich heraus die Verallgemeinerung der Warenform,
abzulesen an der sukzessiven historischen Verkettung von Verwissenschaftlichung
der Produktion einerseits und Ausdehnung der Warenform andererseits seit dem
16. Jahrhundert. In diesen Zusammenhang eingeschlossen ist die „Abstraktifizierung“
der Arbeit, nicht als äußerliche zirkulative Formbestimmung, sondern
als „Abstraktifizierung“ des produktiven Inhalts selber. Daß hier der
„Tausch“ immer schon jeder Produktion inhärent ist, darf nicht dazu verführen,
die im Tausch vollzogene Abstraktion als der „Produktion“ an sich fremdes und
äußerliches, für sich seiendes Prinzip zu begreifen.
Etwas eleganter als Sohn-Rethel zieht sich Rubin aus der Affäre, der seinen
Kritikern, die ihn auf eine Sohn-Rethel ähnliche Zirkulationsbeschränktheit
festnageln wollen, folgendes entgegnet: „Einige Kritiker behaupten, daß
unsere Auffassung zu der Schlußfolgerung verleiten könnte, daß
abstrakte Arbeit ihren Ursprung allein im Tauschakt hat, woraus folgte, daß
auch der Wert nur im Tausch entsteht. Vom Marxschen Standpunkt aus jedoch müsse
der Wert - und damit auch die abstrakte Arbeit - bereits im Produktionsprozeß
existieren. Dies grenzt an die sehr ernste und schwerwiegende Frage nach dem
Verhältnis zwischen Produktion und Tausch ... Das Problem liegt darin,
daß bei der Erörterung des Verhältnisses von Tausch und Produktion
zwei Begriffe von Tausch nicht zureichend voneinander unterschieden werden.
Wir müssen den Tausch als gesellschaftliche Form des Reproduktionsprozesses
vom Tausch als einer besonderen Phase dieses Reproduktionsprozesses, die die
Phase der direkten Produktion ablöst, trennen ... Wenn Marx beständig
wiederholt, daß abstrakte Arbeit nur das Ergebnis des Tausches ist, so
will er damit sagen, daß sie aus einer bestimmten gesellschaftlichen Form
des Produktionsprozesses resultiert. Nur insoweit, als der Produktionsprozeß
die Form der Warenproduktion annimmt, d.h. einer auf den Tausch beruhenden Produktion,
ist die abstrakte Arbeit die Form der Arbeit und der Wert die Form der Arbeitsprodukte.
Der Tausch ist demnach vor allem eine Form des Produktionsprozesses oder eine
Form gesellschaftlicher Arbeit. Da der Tausch tatsächlich die dominante
Form des Produktionsprozesses ist, prägt er die Phase direkter Produktion
... Bereits im eigentlichen, unmittelbaren Produktionsprozeß tritt der
Produzent als WARENPRODUZENT auf, seine Arbeit trägt den Charakter ABSTRAKTER
Arbeit und sein Produkt den des WERTS“ (Rubin 1973 S. 110ff., Hervorhebg. Rubin).
Im Gegensatz zu Sohn-Rethel reißt also Rubin Produktion und Zirkulation
nicht als einander äußerlich auseinander und läßt daher
auch nicht die Zirkulation als Verkehrsform einen ihr an sich fremden Inhalt,
die Produktion, von außen überwältigen, sondern versucht Produktion
und Zirkulation als Momente einer Totalität der Warenproduktion darzustellen.
Also nicht „Tauschhandlung“ versus „Produktionshandlung“, sondern Tauschproduktion,
die den „Akt“ oder Vollzug des Tausches als gesonderte Sphäre aus sich
heraus setzt. Freilich ist dies zunächst nur ein richtigerer Gesichtspunkt;
es muß trotzdem erklärt werden, wie sich die Abstraktion als abstrakte
Arbeit in den „Handlungen“ der Warenproduzenten vom produktiven Inhalt her konstituiert,
um im zirkulativen „Tauschakt“ realisiert oder vollstreckt zu werden(12).
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Sobald Sohn-Rethel sich bemüht, die „abstraktifizierenden“ Handlungen
zu beschreiben, muß er auch sofort zugeben, daß ihm der Totalitäts-Gesichtspunkt
verlorengeht: „Was uns hier beschäftigt, ist nicht das Gesamtverhältnis,
sondern nur ein Teilaspekt von ihm, nämlich die dem Warenaustausch
innewohnende abstraktive Kraft. Wir sprechen darum weiterhin von der Tauschabstraktion,
nicht von der Warenabstraktion. Wie läßt die Tauschabstraktion
sich zunächst als bloßes Phänomen isoliert(!) beschreiben?
Der Austausch der Waren ist abstrakt, weil er von ihrem Gebrauch nicht
nur verschieden, sondern zeitlich getrennt ist. Tauschhandlung und Gebrauchshandlung
schließen einander in der Zeit aus“ (Sohn-Rethel 1973, S. 46f.).
Indem der Gesichtspunkt der Totalität verlorengeht, der nur von
der Formbestimmung des produktiven Inhalts her aufgerollt werden kann,
und die Zirkulation als getrennte Sphäre zum „Sitz“ der Abstraktion
gemacht wird, muß sich allerdings die Abstraktion auch „isoliert“
an den fertigen Dingen vollziehen, als Gegensatz von „Tauschhandlung“ und
„Gebrauchshandlung“ AM TOTEN PRODUKT. Sohn-Rethel erliegt also schon im
Ausgangspunkt seiner Ableitung der „abstraktifizierenden“ Handlung dem
dinglichen Fetisch der Warenwelt, indem er statt der Beziehungen der Produzenten
untereinander die Beziehung des Konsumenten zum Produkt als Gegenstand
der Abstraktifizierung nimmt.
Die Konsumtion ist zwar der Zweck der Produktion. Die Frage ist jedoch,
in welcher Formbestimmtheit Produktion und Konsumtion zueinander im Verhältnis
stehen. Bei isolierter haus- bzw. subsistenzwirtschaftlicher Produktion
stellen die Produzenten den Gegenstand des Bedürfnisses für sich
selber her, Produzent und Konsument sind also identisch. Bei gesellschaftlicher
Produktion stellen die Produzenten aber gegenseitig die Gegenstände
des Bedürfnisses füreinander her; in einer gemeinschaftlichen,
kommunistisch-gesellschaftlichen Produktion würden sie dies als unmittelbar
gesellschaftliche oder vergesellschaftete Individuen tun und die Identität
von Produzent und Konsument wäre also auf einer höheren, gesellschaftlichen
Ebene wiederhergestellt. Anders in der Warenproduktion. Auch hier stellen
die Produzenten gegenseitig die Gegenstände des Bedürfnisses
füreinander her; sie stehen zueinander in einer produktiven Beziehung,
jedoch nur „objektiv“, nicht als Subjekte. Sie stehen zueinander in einer
produktiven Beziehung, aber nicht direkt, sondern nur indirekt. Die Identität
von Produzent und Konsument fällt auseinander, dazwischen schiebt
sich die Sphäre der Zirkulation.Für den Warenproduzenten trennt
sich also der konsumtive Zweck von seinem lebendigen Produktions- oder
Arbeitsprozeß, und zwar in zweifacher Weise, spiegel- oder seitenverkehrt,
je nachdem ob es sich um sein eigenes oder um das fremde Produkt des anderen,
ökonomisch von ihm getrennten Produzenten handelt. Sein eigenes Produkt
ist zwar für ihn durchsichtig Resultat seines eigenen konkreten, lebendigen
Arbeitsprozesses. Aber dieser im stofflichen Sinne konkrete Arbeitsprozeß
wird für ihn im GESELLSCHAFTLICHEN Sinne zu einem abstrakten und sein
Produkt zur abstrakten „Wertgegenständlichkeit“ dadurch, daß
die konsumtive Zwecksetzung seiner eigenen Produktion von ihm abgetrennt
ist. Er stellt die Produkte nicht für den eigenen Gebrauch her, seine
Produktion verwandelt sich FÜR IHN nicht in Konsumtion. Dies kann
übrigens so weit gehen, daß er bewußt verschlechterte
oder real nicht konsumierbare Produkte herstellt, um sie dem fremden Konsumenten
„anzudrehen“ (ein durchaus nicht seltener Irrationalismus der Warenproduktion).
Soweit er seine Produkte selbst konsumiert, sind sie bekanntlich auch nicht
Waren. Indem die zwecksetzende Konsumtion von seinem Arbeitsprozeß
abgetrennt ist, ist sein eigener Produktionsprozeß für ihn von
vornherein nicht Produktion von Gebrauchswerten, sondern Produktion von
abstrakter Wertgegenständlichkeit, obwohl er selber Träger des
konkreten lebendigen Arbeitsprozesses ist. Und umgekehrt: Die Produkte
der anderen Warenproduzenten werden von ihm zwar unter der Zwecksetzung
des Gebrauchswerts und der Konsumtion wahrgenommen, jedoch getrennt vom
konkreten, lebendigen Arbeitsprozeß. Trotz seines rein konsumtiven
Interesses treten ihm die von anderen produzierten, für ihn produzierten
Gegenstände des Bedürfnisses in der Form der abstrakten Wertgegenständlichkeit
entgegen, die er sich erst als solche aneignen muß, um in ihren Genuß
als Gebrauchswerte und Gegenstände der Konsumtion gelangen zu können.
Sein eigener Produktionsprozeß ist für ihn gesellschaftlich
abstrakte Arbeit und sein Produkt abstrakte Wertgegenständlichkeit,
weil die zwecksetzende Kon-
86
----
sumtion von ihm abgetrennt ist; die Produkte der anderen sind für
ihn abstrakte Wertgegenständlichkeit, weil er umgekehrt von ihrer
produktiven Voraussetzung, der lebendigen Arbeit der anderen, abgetrennt
ist. Dieselbe sich unaufhörlich reproduzierende doppelte Trennung
und Getrenntheit ist also der reale Abstraktionsprozeß der Arbeit.
Der individuelle Produzent muß sich, ökonomisch getrennt von
den anderen Produzenten, borniert unter eine gesellschaftliche Teilarbeit
subsumieren und also in seinem konkreten, lebendigen Arbeitsprozeß
abstrahieren von der Gesamtheit seiner eigenen Bedürfnisse. In seinem
getrennten, beschränkten Produktionsprozeß sind seine eigenen
Bedürfnisse als Ganzes nicht mehr anwesend und konkret-praktisch als
totaler Reproduktionszusammenhang nicht mehr erlebbar. Damit aber ist für
die Wiederherstellung der Totalität der Bedürfnisse eine Beziehung
zu den anderen Produzenten oder gesellschaftlichen Teilarbeiten nötig,
die AUßERHALB der produktiven Sphäre liegt, nämlich im
TAUSCH der abgetrennten Zirkulationssphäre. Die gesellschaftliche
Kombination der Teilarbeiten kann der „privaten“ Getrenntheit wegen nicht
als solche bewußt vorgenommen werden, ist als Kombination lebendiger
Arbeitsprozesse nicht mehr einsichtig, sondern kann sich nur noch abstrakt
darstellen. Die Konkretheit der Arbeiten ist damit natürlich nicht
ausgelöscht, aber sie kann nur als konkrete Einzelheit erscheinen,
als rein stofflich-technische Konkretheit der je einzelnen Arbeit, die
auf der Seite der abstrakten Privatheit des einzelnen Produzenten erscheint
und also selber der Abstraktion im gesellschaftlichen Sinne untergeordnet
ist. Das gesellschaftliche Ineinandergreifen der einzelnen Arbeiten, ihre
gegenseitige Bedingtheit, d.h. ihre Allgemeinheit, die nur eine gesellschaftliche
sein kann, muß dagegen von vornherein abstrakt bleiben und wird in
die Form der abstrakten Allgemeinheit gesetzt. Als gesellschaftliche Arbeit
sind die einzelnen Arbeiten schon im Produktionsprozeß für den
Produzenten abstrakt, getrennt von seinen eigenen Bedürfnissen.
Im „Tauschakt“ der Zirkulationssphäre aber wird die Abstraktion
von der Totalität der Bedürfnisse in der je einzelnen, getrennten
Produktion nicht rückgängig gemacht, sondern nur vollstreckt
oder realisiert als abstrakte Dingbeziehung. Die Sohn-Rethelsche Trennung
von Tauschhandlung und Gebrauchshandlung ist also nicht der Ausgangspunkt
der Abstraktion, sondern selber etwas Abgeleitetes; die Abstraktion in
der Beziehung von Konsument und Produkt entspringt der Abstraktion der
Warenproduzenten im Produktionsprozeß selbst von der gesellschaftlichen
Totalität ihrer Bedürfnisse. In dieser Form des Abstrahierens
vom ganzen Umkreis der wirklichen Bedürfnisse im Arbeitsprozeß
kommen diese zwar auf einem Umweg zum einzelnen Individuum zurück,
aber nicht mehr als produktiv angeeignete, sondern nur noch als tote Dinge,
losgelöst vom lebendigen Arbeitsprozeß. Damit aber wird die
Abstraktion „Arbeit“ zur Realabstraktion im gesellschaftlichen Handeln
der Menschen, ausgehend von der produktiven Sphäre selber. Alle Produzenten
abstrahieren als gesellschaftliche Teilarbeiter gleichermaßen real
von der Totalität ihrer Bedürfnisse und damit von deren produktiver
Grundlage. Die lebendige Konkretheit der Arbeit wird so sehr zur Einzelheit
degradiert und der abstrakten Privatheit untergeordnet, daß sie als
das „Produktionsgeheimnis“ des jeweiligen Produzenten erscheint (in der
handwerklichen wie in der kapitalistischen Warenproduktion), das ängstlich
gehütet werden muß. Die in die Form der abstrakten Allgemeinheit
gesetzte Bestimmung der Arbeit als gesellschaftliche einerseits und die
inhaltliche qualitative Bestimmung der wirklichen konkreten Arbeiten andererseits
werden voneinander getrennt und zerfallen in zwei verschiedene Sphären.
Die doppelte spiegelverkehrte Trennung von Produktion und Konsumtion und
die wechselseitige Abstraktion von der Totalität der Bedürfnisse
im Produktionsprozeß stellen sich so als Identität der gesellschaftlichen
Abstraktion im Arbeitsprozeß selber dar. Dort unmittelbar sinnlich
als abstrakte Gegenständlichkeit nicht zu erkennen, kommt diese Abstraktion
der gesellschaftlichen Allgemeinheit der Arbeiten erst im Geld der Zirkulationssphäre
zur real-dinglichen Erscheinung, ist aber im Hirn des Produzenten als Bedingung
immer schon a priori gesetzt. Sohn-Rethel ist also nur insoweit zuzustimmen,
als es sich bei der Warenabstraktion um eine Realabstraktion handelt und
sie „nicht denkerzeugt ist, ihren Ursprung nicht im Denken der Menschen
hat, sondern in ihrem Tun“ (Sohn-Rethel 1973, S. 41). Dieses „Tun“ oder
Handeln aber, das die Abstraktion erzeugt, ist nicht primär die „Tauschhandlung“
oder Dingbeziehung als solche, sondern das im gesellschaftlichen Sinne
abstrakte Handeln der Warenproduzenten im Produktions-
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prozeß selbst, die Reduzierung der konkreten Arbeit auf ihre
stoffliche Einzelheit und die Trennung von ihrer gesellschaftlichen Allgemeinheit.
Mit seiner Beschränkung des „abstrakten Handelns“ auf die „Tauschhandlung“
der Zirkulationssphäre argumentiert Sohn-Rethel letztlich ungewollt
im Sinne des traditionellen Arbeiterbewegungs-Marxismus und der „realsozialistischen“
Apologeten, die ihn zwar dogmatisch und prinzipiell kritisieren wegen seiner
Preisgabe des Begriffs der abstrakten Arbeit, aber eigentlich doch nur,
weil er damit allzu offen und naiv die Konsequenzen ihres eigenen Verständnisses
ausgeplaudert hat. Denn in der Tat sieht ja der traditionelle Marxismus
die Lohnarbeit, ohne sich dies einzugestehen, letztlich nur als Zirkulationsphänomen
an, als Verkauf der Ware Arbeitskraft an einen „Privat“-Kapitalisten, während
der unmittelbare Produzent als solcher samt der stofflichen Struktur des
Arbeitsprozesses als vermeintliche rein stofflich-technische „Sachnotwendigkeit“
im „Sozialismus“ munter weiterbestehen soll. Die Sandkühler u. Co.
befinden sich in der mißlichen Lage, daß ihre schein-orthodoxe
Kritik der Sohn-Rethelschen Zirkulationsbeschränktheit immer schon
eine verschämte Apologetik einer „sozialistischen Warenproduktion“
impliziert. Das Insistieren auf den Ursprung der gesellschaftlichen Abstraktion
im Produktionsprozeß fällt so als Anklage auf sie selbst zurück.
5. Die „Gegenständlichkeit“ der abstrakten Arbeit als „Wert“
Bisher konnte der Charakter der abstrakten Arbeit als abstrakte Allgemeinheit
und als Realabstraktion, erzeugt durch gesellschaftliches Handeln, nicht
durch subjektives Denken, geklärt werden. Nicht geklärt ist aber
nach wie vor der Übergang von der abstrakten Arbeit zum Wert, d.h.
die Verwandlung der abstrakten Arbeit oder des realabstraktiven Handelns
in eine abstrakte dingliche Gegenständlichkeit. Marx spricht ja, wie
wir gesehen haben, vom Wert als „geronnener Arbeit“, ja sogar als „festgeronnener
Arbeitszeit“. Diese paradoxe Bestimmung erscheint nur dem warenfetischistischen
Bewußtsein als bloß definitorische, unproblematische Selbstverständlichkeit,
weil ihm eben die Wertgegenständlichkeit selber als „normal“ und unproblematisch
erscheint.
Es ist nun allerdings eine gewisse Widersprüchlichkeit in der
Marxschen Argumentation und Ausdrucksweise festzustellen, die eine Inkonsequenz
in der kritischen Bestimmung dieser Wertgegenständlichkeit offenbart.
So spricht Marx einerseits selber sehr unproblematisch und selbstverständlich
von der (scheinbar) buchstäblichen „Gegenständlichkeit“ des Werts.
So sagt er in der 1. Auflage (Urfassung) des 'Kapital' ganz platt: „Ein
Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen WERTH, weil ARBEIT in ihm VERGEGENSTÄNDLICHT
ist“ (Marx 1984, S. 4, Hervorheb. Marx). Ebenso spricht er beständig
hinsichtlich eines Produkts von der „in ihm enthaltene(n) Arbeit“ (ebda.
S. 7). Dies wiederholt sich in den späteren Auflagen und an zahlreichen
anderen Stellen seines Werkes. Auf das von ihm in allen Auflagen des 'Kapital'
verwendete Selbstzitat mit der paradoxen Bestimmung des Werts als „Festgeronnene
Arbeitszeit“ habe ich bereits mehrfach hingewiesen, ebenso auf die Stelle
im 'Kapital', wo er davon spricht, daß die Arbeit „Wert bildet“,
aber nicht Wert sei; „sie wird Wert in geronnenem Zustand, in gegenständlicher
Form“ (Marx 1965, S. 65). Über den berühmten „Rock“ in seinem
Verhältnis zur „Leinwand“ sagt er auch: „Es ist also menschliche Arbeit
in ihm aufgehäuft“ (ebda, S. 66). Ebenso: „Dieses gegebne Warenquantum
enthält ein bestimmtes Quantum menschlicher Arbeit“ (ebda, S. 67).
Diese ganze Ausdrucksweise ist ein gefundenes Fressen für das warenfetischistische
Bewußtsein, SOWEIT es die Arbeitswertlehre akzeptiert - also der
klassischen bürgerlichen Ökonomie von Smith und Ricardo folgt.
In der Tat hat Marx diese hier zitierte Ausdrucksweise voll und ganz der
Smith-Ricardoschen Tradition entlehnt. Dies geht schon daraus hervor, daß
er in den 'Theorien über den Mehrwert' Adam Smith zitiert, der sagt:
„Sie (les merchandises) enthalten(! ) den Wert einer gewissen Quantität
Arbeit ...“ (zit. nach Marx 1965 b, S. 46 und 47). Es ist also die Redeweise
von Smith, für den Wert und Ware ewige Naturnotwendigkeiten sind,
die Marx hier selber transportiert. Dieses Verhaftetsein in der Smith-Ricardoschen
Rede- und insofern auch Denkweise kommt besonders kraß zum Ausdruck,
wenn Marx in der 2. Auflage des 'Kapital' sagt, „daß ... die Weberei,
sofern sie Wert webt(!),
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keine Unterscheidungsmerkmale von der Schneiderei besitzt, also abstrakt
menschliche Arbeit ist“ (Marx 1965, S. 65). Wäre dies der „ganze“
Marx, dann wäre ihm gegenüber eine ganz ähnliche Kritik
angebracht, wie sie Rosa Luxemburg an Adam Smith geübt hat, von dem
sie sagt, daß er „das Wertschaffen direkt für eine physiologische
Eigenschaft der Arbeit als einer Äußerung des tierischen Organismus
des Menschen (hielt) ... So wie die Spinne aus ihrem Körper das Gespinst
produziert, schafft der arbeitende Mensch Wert, - der arbeitende Mensch
schlechthin ...“ (zit. nach Rosdolsky 1968, S. 633). Es ist klar, daß
sich der verdinglichte, traditionelle Arbeiterbewegungs-Marxismus genau
an diese Stellen und diese Redeweise gehalten hat, soweit sie noch das
Denken der klassischen bürgerlichen Werttheorie transportiert; diese
Interpretation steht und fällt mit einer Auffassung, die sich den
Wert BUCHSTÄBLICH als ein „Ding“ vorstellt, wonach es also ebenso
selbstverständlich und unproblematisch wäre, daß die Arbeit
Wert „bildet“ oder „erzeugt“, ganz wie die Tatsache etwa, daß der
Bäcker Brötchen backt. Wenn die Arbeit den Wert wirklich buchstäblich
als ein Ding „bildet“, als eine Art Brötchen, dann allerdings sind
wir statt bei der Kritik des Werts beim Arbeitsstolz des „werteschaffenden
Arbeiters“ angelangt!
Nun ist allerdings bei Smith und vor allem Ricardo die Ausdrucksweise
nicht immer so buchstäblich „dinglich“, auch wenn ihnen der Unterschied
selber nicht bewußt ist. So sagt Ricardo, der Wert einer Ware „hängt
ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer
Produktion notwendig ist“ (zit. nach Arndt 1985, S. 181). Ricardo sieht
aber nicht, daß diese Bestimmung viel neutraler ist als die Redeweise
von der „im Produkt steckenden“ Arbeit, daß die qualitative Formdifferenz
von lebendiger Arbeit und „Wertgegenständlichkeit“ damit keineswegs
geklärt ist. Marx stellt genau diese Frage, er wirft in seiner Kritik
des Warenfetischismus den „Ökonomen“ (d.h. der klassischen bürgerlichen
Arbeitswerttheorie) gerade vor, nicht die Frage gestellt zu haben „...
warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert
... darstellt“ (Marx 1965, S. 95). Damit freilich fängt Marx auch
schon an, seine eigene, in vielen Passagen beibehaltene Smith-Ricardosche
Redeweise zu dementieren. Denn daß sich die Arbeit im Wert „darstellt“
ist etwas ganz anderes, als platt zu sagen, daß die Arbeit den „Wert
schafft“ oder „erzeugt“ als ein buchstäbliches „Ding“! Dies wird auch
deutlich, wenn Marx weiter sagt, „daß Tauschwert eine bestimmte gesellschaftliche
Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit AUSZUDRÜCKEN“ (ebda,
S. 97, Hervorheb. R.K.).
Sehr deutlich wird die zumindest widersprüchlich interpretierbare
Ausdrucksweise von Marx, wenn er sich in den 'Theorien über den Mehrwert'
mit Bailey auseinandersetzt. Dort schreibt er: „Wenn die Waren sich austauschen
in dem Verhältnis, worin sie gleich viel Arbeitszeit darstellen, so
ist ihr Dasein als vergegenständlichte Arbeitszeit, ihr Dasein als
verkörperte Arbeitszeit ihre Einheit, ihr identisches Element ...
Als solche sind sie qualitativ dasselbe und unterscheiden sie sich nur
noch quantitativ, je nach dem sie mehr oder weniger von DEMSELBEN, der
Arbeitszeit darstellen. Werte sind sie als Darstellung dieses Identischen
... Also ist auch die einzelne Ware selbst als Wert, als Dasein dieser
Einheit, von sich selbst als Gebrauchswert, als Ding verschieden - ganz
abgesehn von dem Ausdruck ihres Werts in anderen Waren. Als Dasein der
Arbeitszeit ist sie Ware überhaupt ...“ (Marx 1968 b, S. 124ff.).
„Darstellen“ ist nicht dasselbe wie „Sein“ („Dasein“). Ein Papiergeldschein
„stellt“ ein Quantum Gold „dar“, „ist“ es aber nicht. Er ist auch nicht
das (erscheinende) „Dasein“ des Goldes; dieses hat sein eigenes wirkliches
„Dasein“ vielmehr im Tresor der Bank etc. Ebenso kann ein Bild eine Landschaft
.,darstellen“, aber nicht die Landschaft „sein“ oder deren „Dasein“ ausmachen,
das diese vielmehr an sich selber hat. Marx bedenkt auch nicht, daß
das „Dasein“ einer „Einheit“ hier nicht unmittelbar „Dasein von Arbeitszeit“
IST, sondern vielmehr das „Dasein“ eines „DARGESTELLTEN“ oder das Dasein
einer bloß „dargestellten“ Einheit.
Wie tastend sich Marx in einer widersprüchlichen Ausdrucksweise
auf dem von ihm entdeckten neuen und unbekannten Terrain der Kritik der
Warenform selber bewegt, zeigt sich an derselben Stelle, wenn er weiter
gegen Bailey gewendet schreibt: „Als Gebrauchswert erscheint die Ware als
etwas Selbständiges. Als Wert dagegen als bloß(!) GESETZTES
(Hervorheb. Marx), bloß(!) bestimmt durch ihr Verhältnis zur
gesellschaftlich notwendigen, gleichen, einfachen Arbeitszeit“ (Marx 1968
b, S. 126).
89
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Also der Wert ist etwas „bloß Gesetztes“, d.h. bloß bewußtlos
im Kopf der Menschen Existierendes durch ihr eigenes abstraktes gesellschaftliches
Handeln, keineswegs etwas buchstäblich unmittelbar materiell in der
Ware „Enthaltenes“! Aber schon im folgenden Satz spricht Marx wieder davon,
daß die „in ihr wirklich enthaltene Arbeitszeit“ (ebda, S. 126) nur
als gesellschaftliche gelte usw. In einer Fußnote auf derselben Seite
spricht er dann wieder davon, beide Waren müßten „gleich sein
einem dritten Dinge(!), das in beiden AUSGEDRÜCKT wird“ (ebda, S.
126 Hervorheb, R.K.). Hier haben wir also wieder die Rede vom „ausgedrückt
werden“, was aber ebenso wie das „Darstellen“ keineswegs dasselbe ist wie
„sein“ oder „enthalten sein“ (im buchstäblichen Sinne). „Ding“ kann
hier, den gesamten Kontext betrachtet, überhaupt kein selbständig
materielles Ding im buchstäblichen Sinne sein, sondern nur „soziales
Ding“, d.h. aber dinglich ERSCHEINENDES gesellschaftliches VERHÄLTNIS.
An dieser Stelle müssen wir nun kurz innehalten, um uns darüber
klar zu werden, welchem Problem sich hier eigentlich Marx und vor ihm bereits
die bürgerlichen Arbeitswerttheoretiker Smith und Ricardo gegenübersahen.
Sowohl Smith als auch weitergehend Ricardo suchten die „unmögliche
Gleichung“ der qualitativ verschiedenen Waren zu lösen, indem sie
als das „gemeinsame Dritte“ bzw. als dessen „Kern“ oder „Ursprung“ die
ARBEIT identifizierten. Damit begnügten sie sich im wesentlichen.
Sie sahen nicht das Problem, daß für das reale „Funktionieren“
der Waren-Gleichsetzung die Arbeit sich in einer ihr wesensfremden, merkwürdigen,
ja geradezu phantastischen Gestalt zeigen muß, nämlich als „geronnene“
Ding-Eigenschaft des Produkts. Wie die Arbeit in diese Gestalt gelangt
und was diese Gestalt eigentlich ist, darüber reflektierten sie nicht
- und zwar deswegen nicht, weil für sie die Warenform selber, somit
aber auch die Wert-Gestalt der (vergangenen) Arbeit, eine selbstverständliche,
unhinterfragbare „Naturtatsache“ war.
Immanent freilich zeigte sich die Verrücktheit dieses „dargestellten
Daseins“ der Arbeit als „Wert“ auch in ihrer Argumentation. Teils mußten
sie zur brutalen vulgär-dinglichen Vorstellung der Wert-Gestalt vergangener
Arbeit greifen, wie Smith mit seinem Begriff von der (buchstäblich)
„in der Ware enthaltenen“ Arbeit, teils flüchteten sie sich auch in
das beständige Durcheinanderwerfen von Wert (als solchem) und Tauschwert
(als quantitative Relation zweier Waren). Genau diese versteckte Unsicherheit
nun war ein gefundenes Fressen für einen Vulgärökonomen
wie Bailey, der sich hier zur durchaus ernstzunehmenden scharfsinnigen
Kritik aufschwingen konnte. Er verspottete die Ricardianer und die Arbeitswerttheorie
überhaupt, weil sie letztlich gezwungen wären, die logische und
praktische Unmöglichkeit eines buchstäblich in den Produkten
„enthaltenen“ unsichtbaren Dritten anzunehmen, obwohl die wirkliche Arbeit
als vergangene keineswegs real in den Produkten „stecken“ könne als
eine tatsächliche, materielle „Eigenschaft“. Die „Eigenschaft“ des
Werts müsse den Produkten daher unabhängig von der Arbeit zukommen,
und sie sei aufzulösen in eine simple „relationale“ Eigenschaft, d.h.
in das quantitative Verhältnis je zweier Waren, über das hinaus
es keinen „absoluten“ Wert als ein zugrundeliegendes gemeinsames Drittes
geben könne.
Bailey unterscheidet sich also überhaupt nicht von Smith und Ricardo
im entscheidenden Punkt; auch er sagt umstandslos: „Wert ist Eigenschaft
der Dinge“ (zit. bei Marx, a.a.O., S. 126). Denn auch für ihn ist
die Warenform des Produkts selbstverständlich unhinterfragbare Naturtatsache.
Aber Bailey deckt die Schwachstelle der Arbeitswerttheorie AUF DIESEM BODEN
(d.h. der nicht historisch-kritisch, sondern ontologisch betrachteten Warenform)
auf, nämlich die Fremdheit der Arbeit gegenüber der dinglichen,
gegenständlichen Wert-Eigenschaft. Freilich tut Bailey dies auf seinen
gegebenen theoretischen Grundlagen nur, um sofort zur banalen Tauschwert-Relation
zweier Waren zu springen, deren logische und praktische Unmöglichkeit
ohne ein „gemeinsames Drittes“, das beide Waren gleichermaßen qualitativ
darstellen, seinem vulgär-positivistischen Denken seinerseits nicht
auffällt.
Marx tut demgegenüber den großen, entscheidenden Schritt,
die Qualität der Warenform selber als historisch und damit als fragwürdig
aufzudecken. Dadurch jedoch ist er gezwungen, das bei Smith und Ricardo
bloß verschämt liegengelassene Problem der Verwandlung von Arbeit
in „geronnene“ Wert-Gestalt, vor dem diese sich in die bloß quantitative
Tauschrelation zweier Waren flüchteten und daher für Bailey angreifbar
wurden, explizit aufzunehmen und sich ihm zu stellen. Um das von Bailey
so
90
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unangenehm gegen die Arbeitswerttheorie aufgeworfene Argument zu entkräften,
muß Marx den allzu problemlosen „Eigenschafts“-Charakter des Werts
problematisieren und als „dinglichen Schein“ aufdecken. So weist er die
Kritik Baileys nicht defensiv, sondern offensiv zurück und kritisiert
an ihm gerade das, was ihm mit den bürgerlichen Arbeitswerttheoretikern
gemeinsam ist: „Ich habe ... erwähnt, wie es die auf dem Privattausch
beruhende Arbeit charakterisiert, daß sich der gesellschaftliche
Charakter der Arbeit als 'property' der Dinge 'darstellt' - verkehrt; daß
ein gesellschaftliches Verhältnis als Verhältnis der Dinge unter
sich erscheint ... Diesen Schein nimmt unser Fetischdiener als etwas Wirkliches(!)
und glaubt in der Tat, daß der Tauschwert der Dinge davon ihre properties
as things bestimmt ist, überhaupt a natural property derselben ist“
(Marx, a.a.O., S. 127). Marx setzt noch hinzu, daß „aber die 'value'
nichts absolutes ist, nicht als entity aufgefaßt wird ...“ (ebda,
S. 127). Also der Wert ist nicht als eine „Wesenheit“ zu bestimmen, nicht
als ein buchstäblich real selbständiges „Ding“, sondern eben
bloß als „soziale Existenzweise“.
Allerdings scheint Marx nicht zu bemerken, daß er mit diesem
Ansatz die über weite Strecken von ihm selbst transportierte Smith'sche
Ausdrucksweise von der buchstäblich „in den Produkten enthaltenen“
Arbeit als „geronnene Arbeitszeit“ vollständig demontiert und seine
eigenen Aussagen von der buchstäblichen „Vergegenständlichung“
und „Materialisierung“ der Arbeit weitgehend dementiert. Tatsächlich
zögert Marx, diese Redeweise völlig aufzugeben; der Grund dafür
wird sich im folgenden zeigen. Es muß jedoch klar sein, daß
diese Redeweise im Kontext einer Konzeption, die den gegenständlichen
Eigenschafts-Charakter des Werts als „dinglichen Schein“ bestimmt, nicht
mehr wörtlich und buchstäblich genommen werden kann. Marx durchbricht
mit dieser Konzeption ein für allemal das bisherige ontologische Verständnis
der Wert- bzw. Warenform; er macht jedoch, wie auch in anderer Hinsicht
(so etwa bezüglich der verschiedenen Ebenen des Wertform-Begriffs
und des Verhältnisses von abstrakter und konkreter Allgemeinheit der
Arbeit), nicht alle Implikationen und Konsequenzen seiner theoretischen
Revolution auch explizit und läßt so Spielraum für verkürzte
Interpretationen, die nicht oder kaum über die bürgerliche Arbeitswerttheorie
hinausgehen und insofern auch dem Verdikt Baileys verfallen müßten.
Marx unternimmt nun verschiedene begriffliche Anläufe, um seine
Konzeption des „dinglichen Scheins“ auszuarbeiten und abzuleiten, warum
sich für den Warenproduzenten seine eigene gesellschaftliche Arbeit
als gegenständliche, „geronnene“ Eigenschaft des Produkts „darstellen“
muß. Um Mißverständnisse zu vermeiden: wir befinden uns
bei dieser ganzen Erörterung beim Problem der „Wertgestalt“ des EINZELNEN
Produkts. Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, daß sich für
das Gelingen der „Wertgleichung“, der Gleichsetzung zweier Produkte im
Austausch, das einzelne Produkt bereits vorher gesellschaftlich in der
Wertgestalt befinden muß, also für den Privatproduzenten selbst.
Nur auf dieser Problemebene kann der Kern des qualitativen Wertform-Problems
gelöst und der „dingliche Schein“ aufgedeckt werden. Daß der
Wert als TAUSCHWERT, als QUANTITATIVE Gleichsetzung zweier Waren, in Gestalt
der Äquivalentform tatsächlich im BUCHSTÄBLICHEN Sinne „dinglich“
wird, ist selbst-evident. Gerade diese buchstäbliche Materialität
des Tauschwerts, der Gleichsetzung von Waren in der Zirkulationssphäre,
blendet ja den bürgerlichen Verstand und verdeckt die eigentliche
qualitative Seite der Wertform, die sich nicht anhand der quantitativen
Tauschwert-Relation zweier Waren, sondern nur am Wert selber, an der Wertform
der ersten Ebene, am Wert der einzelnen Ware aufdecken läßt.
Ein Begriff, der bei Marx durchgängig ist in seiner Bestimmung
des Übergangs von der Arbeit zum Wert, ist die Bezeichnung der Arbeit
als „SUBSTANZ“ des Werts. So in der 4. Auflage des „Kapital“: „Ein Gebrauchswert
oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm
vergegenständlicht oder materialisiert ist. Wie nun die Größe
seines Werts messen? Durch das Quantum der in ihm enthaltenen 'wertbildenden
Substanz', der Arbeit“ (Marx 1965, S. 53). Marx transportiert hier wieder
ganz offensichtlich die zu groben Mißverständnissen Anlaß
gebende Smithsche Ausdrucksweise, in der die Gerinnung der Arbeit zur dinglichen
Eigenschaft nicht als Schein, sondern als unmittelbar und buchstäblich
real bezeichnet wird. Die Frage ist, ob der „Substanz“- Begriff hier weiterführt.
Im alltäglichen Gebrauch bedeutet Substanz soviel wie „Stoff“ oder
„Materie“, wie uns jedes philoso-
91
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phische Wörterbuch sagen kann. In der Philosophie bezeichnet der
Substanz-Begriff meistens das Unveränderliche, Beharrende im Wechsel
der Erscheinungen, das „Substrat“, also gerade das Nicht-Flüssige.
Sowohl im alltäglichen als auch im gewöhnlichen philosophischen
Sinne wäre die „Substanz“, bezogen auf die Arbeit, also bereits nicht
mehr der lebendige Prozeß, sondern das erstarrte, ruhende, gegenständliche
oder „vergegenständlichte“ Moment, also eben der „Wert“. Aus dieser
Sicht allerdings muß die obige Stelle bei Marx völlig unklar
erscheinen. Denn er unterscheidet hier nicht zwischen der Arbeit als aktivem
Moment, als lebendigem Prozeß einerseits und der Arbeit als gegenständlicher
„Substanz“ andererseits. Soweit die Arbeit „wertbildend“ ist, könnte
sie noch nicht „Substanz“ sein, sondern müßte sich noch im Status
des lebendigen Prozesses befinden. Freilich befinden wir uns so auf falscher
Fährte, jedenfalls hinsichtlich der Marxschen Argumentation. Denn
er verwendet den Begriff der „Substanz“ hier keineswegs im gewöhnlichen
(alltäglichen oder philosophischen) Sinne, sondern wiederum im Sinne
der Hegelschen Begriffswelt, in der die „Substanz“ nicht mehr einfach das
Unveränderliche oder „Substrat“, sondern vielmehr der PROZEß
oder GESAMTPROZEß ist. In diesem Verständnis allerdings wäre
Arbeit als „Substanz“ gerade das Lebendige, Prozeßhafte und gleichzeitig
das Übergreifende, eben die Allgemeinheit. Als solche könnte
sie in ihrer wirklichen Konkretheit, als lebendige gesellschaftliche Arbeit,
überhaupt nicht aufgehoben werden, würde freilich auch nicht
zum „Wert“ „gerinnen“. Das sagt Marx selber an anderer Stelle eindeutig
von seiner Konzeption: „Time of labour, auch wenn der Tauschwert aufgehoben,
bleibt immer die SCHAFFENDE SUBSTANZ (Hervorheb. R.K.) des Reichtums ...“
(Marx 1968 b, S. 253). „Substanz“ ist also für Marx unmittelbar die
lebendige Arbeit selbst, im Sinne Hegels eine lebendige, prozessierende,
hervorbringende Substanz, nicht jedoch die Arbeit in ihrer toten Gegenständlichkeitsform
als Wert, was der landläufige Gebrauch des „Substanz“-Begriffs nahelegen
könnte.
Im engeren Sinne der Kritik der Politischen Ökonomie allerdings
wird der Marxsche „Substanz“-Begriff damit nur noch hinsichtlich möglicher
oder sogar typischer Mißdeutungen interessant. Erinnern wir uns an
Werner Becker oder andererseits die Linkskeynesianer wie Joan Robinson,
die sich positiv oder negativ wertend damit begnügen, die Marxsche
Position als unmittelbare Identität von (lebendiger) Arbeit und (gegenständlichem)
Wert zu identifizieren und so ihre Kritik mehr oder weniger unbewußt
als Variation des Baileyschen Einwands gegen Ricardo vorbringen müssen.
Hatte dieser die Annahme eines „absoluten Werts“ (also einer den Waren
innewohnenden gemeinsamen Qualität, die „Arbeit“ ist oder auf Arbeit
zurückgeführt wird) als „Einbildung“ des Theoretikers abqualifiziert,
so jene den Marxschen „Substanz“-Begriff als „Metaphysik“. In der Tat läuft
in der klassischen idealistischen Philosophie der „Substanz“-Begriff auf
ein „Erhaltungs“-Axiom hinaus. So sagt Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft':
„Bei allem Wechsel der Erscheinung beharrt die Substanz, und das Quantum
derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert... „ (zit. nach
Hoffmeister 1955, S. 587). Typisch erscheint die daran ansetzende positivistische
Kritik an der vermeintlichen Befangenheit der Marxschen Werttheorie in
„philosophischer Metaphysik“ in den Debatten der siebziger Jahre, die sich
im Gefolge der Neuen Linken entzündet hatten, wieder bei C.C. von
Weizsäcker. Dieser sieht ein Marxsches „Erhaltungsaxiom“ der Arbeit
in der uns bereits als problematisch bekannten Bestimmung, daß die
Waren als Werte nur „bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit“ seien.
Weizsäcker dazu: „Die Vorstellung der Erhaltung der in den Produktionsprozeß
eingehenden Arbeitszeit im Produktionsprozeß (soll wohl heißen:
Produkt; R.K.) knüpft natürlich an die Tradition von der Erhaltung
der Substanz in der abendländischen Metaphysik an. Die Arbeitszeit,
die in den Waren enthalten, in ihnen festgeronnen ist, ist der Substanzbegriff
der Marxschen Metaphysik des Produktionsprozesses. Während Farbe,
Gewicht, Form und andere für den Gebrauchswert der Gegenstände
wichtige Eigenschaften sich im Produktionsprozeß verändern -
denn sonst wäre der Produktionsprozeß ja unnötig - , bleibt
eine Substanz, die ihnen als Produkten menschlicher Arbeit zukommen, erhalten,
wenn ihnen weitere Substanz in der Form lebendiger Arbeit zugesetzt wird.
Wir nennen deshalb die auf dem Erhaltungsaxiom aufbauende Methode die metaphysische
Methode der Bestimmung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit“ (Weizsäcker,
in: Nutzinger/Wolfstetter 1974, Bd. 2, S. 98). Weizsäcker hält
das angebliche gewöhnliche Akzeptieren dieses Axioms für eine
Folge ideologischer Erziehung und Tradition; ein
92
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wesentlicher Faktor sei nämlich „... sicherlich die große Bereitschaft
von nahezu jedermann, der direkt oder indirekt unter dem Einfluß der Metaphysik
gestanden hat, solche Axiome der Substanzerhaltung bewußt oder unbewußt
zu akzeptieren“ (a.a.O., S. 98).
Weizsäcker ist sich offenbar nicht bewußt, daß er letztlich
nur das Argument Baileys gegen Ricardo wiederholt. Da die Arbeit am einzelnen
Produkt nicht empirisch und real-dinglich als „geronnene“ Produkt-Eigenschaft
nachgewiesen werden kann, wird es auch als unmöglich erklärt, die
Tauschrelation der Waren auf bestimmte Quantitäten von Arbeit als gemeinsame
„Substanz“ zurückzuführen. In gewisser Weise kann Bailey so als Vorläufer
der subjektiven Werttheorie gelten, wie sie in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts nicht nur von der explizit marxkritischen „österreichischen
Schule“ (Böhm-Bawerk), sondern in anderer (und heute für die bürgerliche
Theorie gültigerer) Form von Jevons und Walras ohne kritischen Bezug auf
Marx entwickelt worden ist. Dieser Zusammenhang allerdings verweist auf die
vulgärökonomischen Grundlagen aller modernen bürgerlichen Werttheorie,
die Weizsäcker teilt. Die qualitative Seite der „unmöglichen Gleichung“,
der Gleichsetzung verschiedener Waren, wird nicht einmal mehr als Versuch einer
objektiv-wissenschaftlichen Lösung zugeführt, sondern von vornherein
dem letztlich „außerwissenschaftlichen Bereich“ subjektiver Be-Wertung
zugeordnet und so das eigentlich wissenschaftliche Problem zugedeckt statt gelöst.
Nur noch die Resultate der Gesamtmenge subjektiver Bewertungen sollen wissenschaftlicher
Objektivierung zugänglich sein; ganz wie bei Bailey, dessen letztes Wort
und eigenes Axiom die bewußtlos vorausgesetzte Wertgleichung der Zirkulationssphäre
ist, löst sich die Wissenschaft damit letztendlich in die Erforschung bloß
„funktioneller“ Zusammenhänge auf, deren Qualität als solche nicht
mehr Gegenstand ist, schon gar nicht einer historisch-kritischen Untersuchung.
Diese „Wissenschaft“ hat nicht nur den „Vorteil“, daß sie die Warenform
und damit den Wert verewigt, und zwar ganz unter der Hand, also weit geschickter
als Smith und Ricardo, sie macht auch gleichzeitig das abstrakte bürgerliche
Individuum zum letzten Bedingungsgrund seiner in Wirklichkeit vom Wertverhältnis
erzwungenen Handlungen und gibt zu allem Überfluß die sonderbare
Befriedigung, daß man „etwas“ (den Wert) funktionell „mathematisieren“
kann, von dem man ausdrücklich nicht einmal weiß und wissen will,
was es seiner Qualität nach ist! Wie alle Vulgärökonomen in werttheoretischer
Hinsicht stellt auch Weizsäcker, unbewußt auf Baileys Spuren, das
Problem auf den Kopf. Statt das in der realen gesellschaftlichen Wirklichkeit
vorhandene und dem theoretischen Denken vorausgesetzte Problem der qualitativen
Wertgleichung tatsächlich befriedigend zu lösen, wird es dem kritisierten
Theoretiker (also bei Bailey Ricardo, später Marx) als dessen subjektive
„Erfindung“ in die Schuhe geschoben und so gleichzeitig die Ideologie nicht
aus den realen Verhältnissen, sondern umgekehrt die Objektivität des
Werts aus dem „metaphysischen Denken“ und damit als bloßer „Irrtum“, einem
bestimmten Denken geschuldet, erklärt und abgeleitet. So wird das Problem
freilich sehr einfach, allerdings nur scheinbar „gelöst“. Es entbehrt nicht
der unfreiwilligen Ironie, wie Weizsäcker, gestützt auf das gängige
Mißverständnis, Marx aus einem wissenschaftlichen Kritiker der paradoxen
„Wertgegenständlichkeit“ in deren ERFINDER verwandelt. Marx kritisiert
eine Gesellschaft, die dieses Paradox der „geronnenen“ Erhaltung der Arbeits-Substanz
in den Produkten zur ihrer realen Grundlage hat, obwohl die wirkliche lebendige
Arbeit nicht wirklich im buchstäblichen Sinne „gerinnt“, sondern tatsächlich
bereits vergangen ist. Weizsäcker schiebt die aus diesen paradoxen Realverhältnissen
aufsteigende Ideologie, die Marx als solche gerade aufgedeckt hat, umgekehrt
Marx als dessen eigene subjektive Kreation in die Schuhe und enthebt sich so
natürlich der Mühe, dieses gesellschaftliche Realverhältnis und
seine Paradoxien selber seiner Qualität nach kritisch zu erforschen. Gerade
umgekehrt wie bei Weizsäcker wäre es ideengeschichtlich fruchtbar,
den Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Wertverhältnis und der
Entwicklung wie der Bedeutung des philosophischen „Substanz-Begriffs zu untersuchen(13).
Dies kann jedoch hier nicht unser Thema sein, da eine derartige Erörterung
wegführen würde vom Problem der ökonomischen Wertgegenständlichkeit
im engeren Sinne. Ist erst einmal geklärt, daß in der Marxschen Diktion
„Substanz“ nicht die „geronnene“ Form des Werts ist, sondern die „schaffende“,
lebendige Arbeit selbst, dann stellt der „Substanz“-Begriff nur abermals das
Problem, wie sich lebendige Arbeit in dingliche Eigenschaft und also tote Gegenständlichkeit
verwandelt, stellt aber keinerlei
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Lösungsversuch dieses Problems dar. Wir sind also keinen Schritt
weiter, bis jetzt ist immer noch lediglich das abstrakte HANDELN der Warenproduzenten
geklärt, das die lebendige Arbeit transformiert in tote abstrakte
Wertgegenständlichkeit, nicht jedoch die Natur dieser paradoxen „Gegenständlichkeit“
selbst.
Kehren wir also zurück zur Marxschen Konzeption des „realen Scheins“,
mit der er die Stichhaltigkeit der Baileyschen vulgärökonomischen
Kritik an der bürgerlichen Arbeitswerttheorie Ricardos aufzulösen
sucht. Es eröffnet sich hier allerdings ein Dilemma, wie diese Konzeption
dem gewöhnlichen, undialektischen, positivistischen Denken überhaupt
verständlich gemacht werden soll. Denn dieses gewöhnliche Denken,
im Alltag wie in der Wissenschaft, kann eine konkrete Identität von
„Sein“ und „Schein“ nicht akzeptieren. Also: entweder ist der Wert „Sein“,
reale Objektivität, dann muß er auch real, „materiell“ irgendwie
buchstäblich als „geronnene Arbeit“ in den Produkten „stecken“. Oder
aber der Wert ist „Schein“, dann handelt es sich entweder um einen Schein,
der aus subjektiver Täuschung oder Irrtum entsteht (und durch Aufklärung
behoben werden könnte), oder um einen Schein, der das Ergebnis bewußter
subjektiv-gedanklicher „Setzung“ ist, also etwa eine Art Rousseauschen
Gesellschaftsvertrags, in dem sich die Produzenten irgendwann darauf geeinigt
haben, ihre Arbeit gegenseitig in der Form dinglicher Produkt-Eigenschaft
zu verrechnen. Ganz offensichtlich quält sich Marx damit herum, diese
beiden groben Mißverständnisse zu vermeiden, ohne aber über
einen „Kompromiß“ in seiner Ausdrucksweise hinauszukommen. Fast könnte
man sagen, daß Marx das Problem gelöst, es aber unzureichend
dargestellt hat.
Soweit die Betonung auf dem unbestreitbaren realen „Sein“ des Werts
liegt, haben wir das Unzureichende der Marxschen Darstellung bereits in
der Weiterverwendung der Smithschen Ausdrucksweise gesehen, die das vulgärmaterialistische
Mißverständnis eines buchstäblich unmittelbar dinglichen
Daseins des Werts im Sinne einer wirklich den Produkten innewohnenden „Eigenschaft“
nahelegt. Soweit umgekehrt die Betonung auf „Schein“ oder „Mystifikation“
liegt, muß sich für das gewöhnliche bürgerliche Denken
die Marxsche Diktion in das Konzept eines bloß gedanklichen, „ideellen“
Daseins des Werts (der einzelnen Ware) verwandeln, oder gar in eine Art
„Phantasterei“ oder „Hirngespinst“. So spricht Marx im 'Kapital' ja bekanntlich
direkt von der „gespenstigen Gegenständlichkeit“ des Werts (Marx 1965,
S. 52). Ebenso betont er an anderer Stelle geradezu die „Unwirklichkeit“
des Werts im buchstäblich materiell-dinglichen Sinne: „So stellt sich
der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz
des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings
außerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich(!) Licht von
einem Ding, dem äußern Gegenstand, auf ein andres Ding, das
Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen
Dingen. Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte,
worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden
dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte
gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für
sie die phantasmagorische(!) Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“
(Marx 1965, S. 86). „Wirklich“ ist also im materiell-dinglichen Sinne nur
eine tatsächlich physische Beziehung zwischen Dingen; der Wert ist
dies jedoch nicht, also auch nicht „wirklich“ in einem physisch-materiellen
Sinne, sondern „phantasmagorische“ Form. Eine Phantasmagorie aber ist ein
TRUGGEBILDE.
In diesem Sinne spricht Marx auch mehrfach davon, daß durch den
„dinglichen Schein“ des Werts das „eigentlich“ gesellschaftliche Verhältnis
der Produzenten „verborgen“ oder „verschleiert“ wird. So in der 1. Auflage
des ' Kapital' von 1867, wo er schreibt, daß die Wertform „die gesellschaftlichen
Bestimmtheiten der Privatarbeit SACHLICH VERSCHLEIERT(!) (Hervorheb. Marx),
statt sie zu offenbaren“ (Marx 1984, S. 39). An anderer Stelle heißt
es dann (nach der 4. Auflage): „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht
also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere
ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte
selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt,
daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit
als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis
von
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Gegenständen. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte
Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge“ (Marx
1965, S. 86). Der Wert (der einzelnen Ware) ist also keine unmittelbar
dingliche Wirklichkeit, sondern ein „Quidproquo“, d.h. ein Ersatz, ein
„objektives Mißverständnis“, eigentlich die Verwechslung einer
Sache mit einer anderen.
In der ersten Auflage kommt Marx so direkt auf den Wert als letztlich
bloßes Gedankending: „Gegenständlichkeit der menschlichen Arbeit,
die selbst abstrakt ist, ohne weitere Qualität und Inhalt, ist notwendig
abstrakte Gegenständlichkeit, ein GEDANKENDING (Hervorheb. Marx).
So wird das Flachsgewebe zum Hirngespinst. Aber WAAREN sind SACHEN (Hervorheb.
Marx). Was sie sind, müssen sie sachlich sein oder in ihren eignen
sachlichen Beziehungen zeigen. In der Produktion von Leinwand IST ein bestimmtes
Quantum menschlicher Arbeitskraft verausgabt worden. Ihr Werth ist der
bloß GEGENSTÄNDLICHE REFLEX (Hervorheb. Marx) der so verausgabten
Arbeit, aber er reflektiert sich nicht in ihrem Körper. Er OFFENBART
sich, erhält sinnlichen Ausdruck durch ihr WERTVERHÄLTNIS (Hervorheb.
Marx) zum Rock“ (Marx 1984, S. 17). Eine traditionelle, vulgärpositivistische
Interpretation, die an der Smithschen buchstäblichen Dinglichkeit
der „geronnenen Arbeit“ festhält, mag sich damit beruhigen, daß
der zweite Teil dieser Stelle den ersten dementiert. Aber dem ist nicht
so; Marx springt hier nur von der ersten zur zweiten Ebene der Wertform,
vom Wert (der einzelnen Ware) zum erscheinenden Tauschwert in der Relation
zweier Waren. Als buchstäbliche Gegenständlichkeit in der quantitativen
Tauschrelation „offenbart“ sich oder „erscheint“ die real bereits vergangene
Arbeit als „Reflex“, jedoch nicht am Produkt selbst (weil in diesem nicht
real-dinglich als Eigenschaft „enthalten“), sondern in der Naturalform
des anderen Produkts als Äquivalent, d.h. im Vollzug der „unmöglichen
Gleichung“, der das bürgerlich-positivistische Denken blendet und
in Wirklichkeit die Wertform an den einzelnen Produkten für die Produzenten
bereits voraussetzt. Diese aber, als Wert, der dem Tauschwert zugrunde
liegen muß, wäre als „abstrakte Gegenständlichkeit“ notwendig
ein „Gedankending“, wie Marx sogar hervorhebt, der im folgenden ja nicht
einmal vor dem Ausdruck „Hirngespinst“ zurückschreckt. Die folgenden
Sätze dementieren in Wirklichkeit diese Aussage nicht, sondern zeigen
nur, wie in der Tauschrelation das sinnlich-dingliche Verhältnis zweier
Waren das „abstrakte Gedankending“ des Werts als Quantum vergangener Arbeit
reflexartig „ausdrückt“ oder „darstellt“ und den Schein einer realen
Dinglichkeit des Werts erzeugt, ohne daß die zugrunde liegende abstrakte
Gegenständlichkeit deshalb aufhörte, ein „Gedankending“ oder
sogar, in Marxens eigenen Worten, ein „Hirngespinst“ zu sein. Freilich
legt diese Ausdrucksweise wieder zu sehr das Mißverständnis
einer bloß subjektiven „Einbildung“ nahe, sodaß Marx diese
Stelle in den folgenden Auflagen wieder gestrichen hat. Noch deutlicher
freilich wird derselbe Gedanke, wenn Marx in den 'Theorien über den
Mehrwert' schreibt: „Das Materialisieren etc. der Arbeit ist jedoch nicht
so schottisch zu nehmen, wie A. Smith es faßt. Sprechen wir von der
Ware als Materiatur der Arbeit - in dem Sinne ihres Tauschwerts - , so
ist dies selbst nur eine eingebildete(!!), d.h. bloß soziale Existenzweise(!!)
der Ware, die mit ihrer körperlichen Realität nichts zu schaffen
hat; sie wird vorgestellt(!!) als bestimmtes Quantum gesellschaftlicher
Arbeit oder Geld“ (Marx 1966, S. 141). Auch diese Stelle ist ein starker
Schlag gegen alle „marxistischen“ Dinglichkeits-Theoretiker des Werts,
die diesen im Verständnishorizont der alten Arbeiterbewegung buchstäblich
als jene Art bei jeder Produktion mitgebackenes Brötchen, als unmittelbar
reales „Ding“ begreifen, - also „schottisch“ im Sinne von Adam Smith. Im
übrigen tut es der Sache keinen Abbruch, daß Marx hier von „Tauschwert“
statt von „Wert“ spricht; daß er terminologisch mit dieser Unterscheidung
lax umgeht, zeigt sich an vielen Stellen, so in der Veränderung des
Selbstzitats aus der „Kritik“ von 1857 im 'Kapital', auf die ich weiter
oben hingewiesen habe; Marx selbst rechtfertigt diese terminologische Laxheit
bekanntlich im ersten Band des 'Kapital' als „abkürzende“ Ausdrucksweise.
Letztlich ist sie aber wohl auf sein mangelndes Explizitmachen der beiden
unterschiedlichen Ebenen des Wertform-Begriffs zurückzuführen.
Tatsächlich ist die obige Aussage so eindeutig, daß sie kaum
mißverstanden werden kann. Sie ergibt überhaupt nur einen Sinn,
wenn „Tauschwert“ hier im Sinne von „Wert“ verstanden wird. Selbst wenn
man aber diese Lesart nicht anerkennt, verändert sich der Sinn der
Aussage nicht. Denn „Tauschwert“ bezeichnet hier nicht die quantitative
Relation zu anderer Ware,
95
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sondern die qualitative Seite, die Frage also, inwieweit es sich um
„Materialisieren etc. der Arbeit“ handelt.
Am deutlichsten zeigt sich das Problem der Darstellung des Werts als
„dinglicher Schein“ an einer Stelle des 'Kapital', wo Marx die Lesart der
ersten Auflage nicht nur stark verändert, sondern in gewisser Hinsicht
scheinbar sogar ins Gegenteil verkehrt hat. So heißt es in der ersten
Ausgabe von 1867: „Wenn die Menschen ihre Produkte auf einander als Werthe
beziehn, sofern diese Sachen für bloß sachliche Hüllen
gleichartig menschlicher Arbeit gelten, so liegt darin zugleich umgekehrt,
daß ihre verschiednen Arbeiten nur als gleichartige menschliche Arbeit
gelten in sachlicher Hülle. Sie beziehn ihre verschiednen Arbeiten
auf einander als menschliche Arbeit, indem sie ihre Produkte auf einander
als Werthe beziehn. Die persönliche Beziehung ist versteckt durch
die sachliche Form. Es steht daher dem Werth nicht auf der Stirn geschrieben,
was er ist. Um ihre Produkte auf einander als Waaren zu beziehn, sind die
Menschen gezwungen, ihre verschiednen Arbeiten abstrakt menschlicher Arbeit
gleichzusetzen. Sie wissen das nicht, aber sie thun es, indem sie das materielle
Ding auf die Abstraktion Werth reduciren. Es ist diess eine naturwüchsige
und daher bewußtlos instinktive Operation ihres Hirns(!), die aus
der besonderen Weise ihrer materiellen Produktion und den Verhältnissen,
worin diese Produktion sie versetzt, nothwendig herauswächst. Erst
ist ihr Verhältnis praktisch da. Zweitens aber, weil sie Menschen
sind, ist ihr Verhältniss als Verhältniss für sie da. Die
Art, wie es für sie da ist, oder sich in ihrem Hirn(!) reflektiert,
entspringt aus der Natur des Verhältnisses selbst. Später suchen
sie durch die Wissenschaft hinter das Geheimniss ihres eignen gesellschaftlichen
Produkts zu kommen, denn die Bestimmung eines Dings als Werth ist ihr Produkt,
so gut wie die Sprache“ (Marx 1984, S. 38).
Demgegenüber lautet dieselbe Stelle nach der heute meist gebräuchlichen
4. Auflage von 1890 folgendermaßen: „Die Menschen beziehen also ihre
Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als
bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten.
Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch
als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander
als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es
steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der
Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche
Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu
entziffern, hinter das Geheimnis ihres eigenen gesellschaftlichen Produkts
zu kommen, denn die Bestimmung der Gebrauchsgegenstände als Werte
ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die späte
wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie
Werte, bloß(!) sachliche Ausdrücke(!) der in ihrer Produktion
verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte
der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein(!)
der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit“ (Marx 1965, S. 88).
Zunächst einmal fällt auf, daß sich die Aussage des
ersten Satzes dieser Stelle in der Änderung direkt umgekehrt hat.
Sagt Marx in der ersten Auflage noch, daß die Produkte auf einander
als Werte bezogen werden, „sofern diese Sachen für bloß sachliche
Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten“, so korrigiert er sich
gerade entgegengesetzt in der späteren Fassung, wo die Produkte gerade
„NICHT“ aufeinander als Werte bezogen werden, „weil diese Sachen ... als
bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten“.
Was in der ersten Lesart durch ein „zugleich“ als „Umkehrung“ (Umkehrschluß)
damit verbunden wird, nämlich daß dann auch die verschiedenen
Arbeiten als gleichartige (und damit als Basis des Austauschs) nur „gelten
in sachlicher Hülle“, wird in der späteren Lesart durch ein „indem“
zum eigentlichen Ausgangspunkt, aber das „gelten“ ist ganz negiert bzw.
weggelassen. Auf diese Korrektur wird gelegentlich im Sinne eines Selbstwiderspruchs
bei Marx aufmerksam gemacht (vgl. Pranckel 1985). Tatsächlich aber
will Marx mit der Änderung wohl vor allem vermeiden, daß seine
Aussage im Sinne einer BEWUßTEN VEREINBARUNG (die irgendwann historisch
getroffen worden wäre) mißdeutet wird, worauf im übrigen
auch bereits Rosdolsky hinweist (vgl. Rosdolsky 1968). Ist diese Möglichkeit
der Mißdeutung aber einmal weggenommen, so hat sich der Sinn des
Ganzen überhaupt nicht verändert. Tatsächlich kommt in beiden
Lesarten gleichermaßen die Marxsche Auffassung vom Wert (der dem
Tauschwert zugrundeliegt) als GEDANKENDING zum Ausdruck. Diese Auffassung
wird evident, wenn er in der Urfassung von einer „naturwüchsigen und
daher bewußtlos
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instinktiven Operation des Hirns“ spricht oder davon, daß sich
das praktische Verhältnis der Warenproduzenten „in ihrem Hirn“ als
Wert reflektiert etc. In der späteren Lesart sind auch diese Passagen
weggelassen, offensichtlich aus demselben Grund wie die Veränderungen
des Anfangssatzes. Aber die veränderten Formulierungen gehen nicht
von der grundsätzlichen Konzeption des Werts als Gedankending ab.
So etwa im Begriff der „Hieroglyphe“. Eine Hieroglyphe ist ein „Zeichen“
für etwas anderes, das sie selbst nicht ist. Die Hieroglyphe einer
Kuh ist nicht die Kuh selbst, auch nicht die zu etwas anderem formverwandelte
Kuh, sondern vielmehr ein „Quidproquo“. Als „Hieroglyphe“ wird das Arbeitsprodukt
zu einem „Zeichen“ dessen, was es selbst NICHT ist, nämlich des Quantums
gesellschaftlicher Arbeit, das auf dieses Produkt verwandt wurde, jedoch
als solches VERGANGEN und also nicht mehr real existent ist. Die Arbeit
„gerinnt“ nicht wirklich buchstäblich zu einer materiellen Eigenschaft
des Produkts, sondern das Produkt wird zum „Zeichen“, zur GESELLSCHAFTLICHEN
„Hieroglyphe“ für die real bereits vergangene Arbeit. Freilich unterscheidet
sich das Produkt als abstraktes „Zeichen“, als Hieroglyphe der gesellschaftlichen
Arbeit, durchaus von Zeichen in anderen Zeichensystemen, etwa Zahlen, Bildern
oder Buchstaben etc. Es muß nämlich in jedem Einzelfall, wo
ein Produkt als diese Hieroglyphe erscheinen kann, WIRKLICH ARBEIT AUFGEWENDET
WORDEN SEIN. Insofern ist eben die „Substanz“ des Werts, ganz im Gegensatz
zu anderen Zeichen als Gedankendingen, selber gerade KEIN Gedankending.
Mit anderen Worten: die gesellschaftliche Hieroglyphe des Werts ist im
Unterschied zu Symbolen, die VON HAUS AUS nur Gedankendinge sind, NICHT
BELIEBIG ALS GEDANKENDING REPRODUZIERBAR, sondern NUR DURCH ARBEIT, d.h.
durch einen wirklichen materiellen Prozeß. Den sonstigen gedanklichen
Abstraktionen wie Symbolen, Zeichen, Wörtern usw. liegen zwar auch
letztendlich materielle Realitäten zugrunde, einmal als Gedankending
hervorgebracht, können sie jedoch auch als ein solches Gedankending
beliebig oft reproduziert werden: ich kann beliebig oft „Haus“ denken,
sagen, schreiben oder als Symbol auf Papier malen, ohne daß jedesmal
ein wirkliches Haus da sein und jedem dieser gedanklichen „Schöpfungsakte“
entsprechen muß. Gerade umgekehrt bei der gesellschaftlichen Hieroglyphe
des Werts: das zugrundeliegende Materielle, der lebendige Prozeß
der Arbeit, muß in jedem Einzelfall dagewesen sein, damit das Gedankending,
die Wertform, „instinktiv“ im Hirn des Produzenten erscheinen kann. Dieses
zugrundeliegende Materielle ist jedoch kein „Ding“, kein toter Gegenstand,
sondern ein real bereits vergangener lebendiger Prozeß. Die ABSTRAKTION,
das GEDANKENDING, bezieht sich NICHT auf den INHALT des zugrundeliegenden
Materiellen, sondern ausschließlich auf die FORM, in der dieser Inhalt
als gesellschaftlicher den Menschen ERSCHEINT. Dies unterscheidet das Gedankending
„Wert“ von anderen abstrakten Begriffen, Zeichen, Symbolen usw. für
die (auf der jeweiligen Begriffsebene) sowohl Form als auch Inhalt abstrakt,
also Gedankendinge sind. Gerade diese Identität von Form und Inhalt
aber fällt im Wert auseinander. Der Inhalt, die gesellschaftliche
Arbeit als wirklicher materieller Prozeß, wird getrennt von der gesellschaftlichen
Form, dem Wert, dem „Reflex“, dem Zeichen, der „Hieroglyphe“, die als Abstraktion
ein Gedankending nur sein kann. DER WERT IST REINE GESELLSCHAFTLICHE FORMABSTRAKTION.
Hier haben wir den wesentlichsten, von Marx jedoch nicht argumentativ ausgeführten
Grund, der ihn zögern läßt, die schiefe und vulgärmaterialistisch
kompromittierende Ausdrucksweise von Smith bzw. Ricardo ganz fallenzulassen,
weil er fühlt, wie unmöglich es dem gewöhnlichen positivistischen
Denken sein muß, eine konkrete, widersprüchliche Identität
von „Sein“ und „Schein“ als die eigene gesellschaftliche Realität
zu akzeptieren. Daher auch die ständigen Korrekturbemühungen.
Der Wert ist also seinem wirklichen Inhalt nach KEIN Gedankending,
er ist es jedoch als gesellschaftlich fiktionale („phantasmagorische“)
abstrakte Gegenständlichkeit fiktiv „geronnener“ Arbeit bzw. Arbeitszeit.
Gerade dieses phantasmagorische Auseinandertreten von realem Inhalt und
abstrakter Form als Gegenständlichkeit, die als solche nur im Gehirn
der Menschen existiert, verweist aber darauf, daß dieses Gedankending,
diese Hieroglyphe der real vergangenen Arbeit, KEIN PRODUKT SUBJEKTIV BEWUßTEN
DENKENS IST, sonder „SOZIALES GEDANKENDING“, d.h. jedem subjektiven Denken
VORAUSGESETZTES Gedankending, wie es auch Sohn-Rethel formuliert: „Wäh-
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rend die Begriffe der Naturerkenntnis Denkabstraktionen sind, ist der
ökonomische Wertbegriff eine Realabstraktion. Er existiert zwar nirgends
anders als im menschlichen Denken, er entspringt aber nicht aus dem Denken.
Er ist unmittelbar gesellschaftlicher Natur, hat seinen Ursprung in der
raumzeitlichen Sphäre zwischenmenschlichen Verkehrs. Nicht die Personen
erzeugen diese Abstraktion, sondern ihre Handlungen tun das ...“ (Sohn-Rethel
1973, S. 42). Freilich hätte Sohn-Rethel „Wert“ sagen sollen und nicht
„Wertbegriff. Denn die Realabstraktion ist die Be-handlung des Produkts
als Wert-Ding, sein nur im Gehirn der Produzenten so existierendes gesellschaftliches
Dasein als phantasmagorische „geronnene Arbeitszeit“, und dieses abstrakte
Formdasein existiert in den Gehirnen ohne jedes bewußte subjektive
Denken „über“ diesen Gegenstand. Der Wertbegriff hingegen, wie er
seit Aristoteles und besonders seit dem 18. Jahrhundert in der theoretschen
Literatur verwendet wird, ist natürlich eine reine Denkabstraktion,
ein Produkt subjektiv bewußten Denkens „über“ das im praktischen
gesellschaftlichen Leben vorgefundene Problem dieser Realabstraktion des
Werts an jeder einzelnen Ware. Obwohl es schwer ist, diese Unterscheidung
in der Argumentation streng durchzuhalten, ist dies jedoch nötig,
um den Charakter der Realabstraktion als dem subjektiven Denken immer schon
vorausgesetztes „soziales Gedankending“ wirklich zu begreifen.
Gerade diese Erkenntnis nun ist dem bürgerlichen „positiven“ Denken
vollends unerträglich, weil sie den verborgenen Kern und somit die
Hinfälligkeit, Bedingtheit, Unselbständigkeit und Bewußtlosigkeit
der ABSTRAKTEN BÜRGERLICHEN SUBJEKTIVITÄT überhaupt aufdeckt
und erbarmungslos preisgibt. Die Illusion dieser vom „gegenständlichen
Schein“ der Warenform konstituierten und gleichzeitig verblendeten Subjektivität
ist es ja, daß ihr eigenes Gesellschaftsverhältnis sich für
sie auflöst in abstrakte subjektive WILLENSBEZIEHUNGEN auf DINGE.
Diese abstrakte Subjektivität, in Wirklichkeit das Bedingte und hervorgebrachte,
muß sich hartnäckig mißverstehen als das Unbedingte, Hervorbringende,
Zugrundeliegende, obwohl sie gerade dieses, nämlich die reale Gesellschaftlichkeit
ihrer eigenen Arbeit, nicht als Konkretes „hat“, sondern es ihr bewußtlos
als tote, gegenständlich erscheinende Abstraktion gegenübertritt.
Der bürgerliche „positive Geist“ kennt daher überhaupt kein anderes
als SUBJEKTIVES Denken, das sich auf „Gegenstände“ richtet und richtig
oder falsch sein kann. Es muß ihm als Greuel und Verrücktheit
erscheinen, daß realer materieller Inhalt und abstrakte Form als
Gedankending auseinanderfallen und dieses abstrakte, soziale Gedankending
übermächtig seinem eigenen subjektiven Denken immer schon vorausgesetzt
sein soll, weil ihm damit das Gorgonenhaupt und die Verrücktheit seiner
realen gesellschaftlichen Existenz schmerzhaft vor Augen tritt.
Wenn der Wert als abstrakte Form also Gedankending ist, so hat er doch
gleichzeitig kein bloß „ideelles“ Dasein im gewöhnlichen Sinne:
erstens ist der von dieser Form getrennte INHALT selber kein Gedankending,
sondern lebendiger materieller Prozeß, Arbeit; ebenso ist das Verhältnis
der Produzenten untereinander, die objektiv zugrunde liegende gesellschaftliche
Arbeitsteilung und auch ihre reale Beziehung aufeinander in der Zirkulationssphäre
ein MATERIELLES Verhältnis. Die durch die Wertform vermittelte Ökonomie
ist also nicht etwa eine „Scheinökonomie“ , wie es einem vulgärpositivistischen
Bewußtsein erscheinen könnte, weil die abstrakte Wertform als
solche nur ein Gedankending und „dinglicher Schein“ ist. Da wirklich materiell
gearbeitet und wirklich real ausgetauscht wird, reproduziert sich natürlich
auch diese Gesellschaft materiell; die FORM der gegenseitigen Beziehung
der gesellschaftlichen Arbeiten ist jedoch als abstrakte so nur in den
Köpfen enthalten. Zweitens aber ist diese abstrakte Form des Werts
als Gedankending kein Produkt SUBJEKTIVEN Denkens, keine „Idee“ im subjektiv-reflektierenden
Sinne, sondern „soziales Gedankending“ und jedem subjektiven Räsonnement
vorausgesetzt. Nicht umsonst verweist Marx als Analogie auf die SPRACHE.
Die grundlegenden ABSTRAKTIONEN der Sprache, so die Kopula, sind gleichfalls
zwar Gedankendinge, jedoch nicht „ausgedacht“ von subjektiver Bewußtheit,
sondern jeder Bewußtheit schon immer vorausgesetzt; die Spur ihrer
Genesis verliert sich im prähistorischen Prozeß der Menschwerdung
aus tierischen Formen heraus. Der Unterschied ist freilich, daß sich
die Basis-Abstraktionen der Sprache den Menschen nicht dinglich darstellen,
weswegen diese Analogie nur ein Stück weit trägt und daher von
Marx nur kurz erwähnt wird.
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Die zentrale Analogie in der Marxschen Darstellung des „dinglichen
Scheins“ und seiner Objektivität, ebenso berühmt wie unbegriffen,
ist der Begriff des FETISCH-Charakters der Ware: „Um daher eine Analogie
zu finden, müssen wir in die Nebelregionen der religiösen Welt
flüchten. Hier scheinen(!) die Produkte des menschlichen Kopfes mit
eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis
stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte
der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten
anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der
Warenproduktion unzertrennlich ist. Dieser Fetischcharakter der Warenwelt
entspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem
eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren
produziert“ (Marx 1965, S. 86f.).
Marx verweist hier auf die „religiöse Welt“ überhaupt und
im weitesten Sinne ist diese Analogie auch zutreffend; am schlagendsten
freilich wird sie in einem engeren Sinne, nämlich bezogen auf Verhältnisse,
in denen den Menschen BUCHSTÄBLICH ein von ihnen selbst hergestelltes
totes Ding als eine göttliche Wesenheit „enthaltend“ sich „darstellt“,
ganz wie für das Dinglichkeits-Verständnis des Werts die (vergangene)
Arbeit buchstäblich in den Produkten „enthalten“ sein soll. Solche
Verhältnisse finden sich vor allem bei sogenannten „primitiven“ Volksstämmen
in Fetischen und Totems. Daß Fetisch und Totem nicht dasselbe sind,
spielt für die Analogie zum Warenfetisch überhaupt keine Rolle,
denn die gesellschaftlich-fiktionale und gleichwohl objektive „Vergegenständlichung“
von etwas zwar Materiellem, aber nicht wirklich Gegenständlichem läßt
sich an diesen Beispielen gleichermaßen aufzeigen. In seinem einschlägigen
Standardwerk schreibt dazu Emile Durkheim: „Das Totem ist also vor allem
ein SYMBOL, ein MATERIELLER AUSDRUCK von ETWAS ANDEREM ... Es ist die Klansfahne;
das Zeichen, mit dem sich die Klane voneinander unterscheiden; das sichtbare
Zeichen ihrer Persönlichkeit; das Zeichen, das alle tragen, die zum
Klan gehören: Menschen, Tiere und Dinge. Wenn es also sowohl das Symbol
des Totems wie der Gesellschaft ist, bilden dann nicht Gott und die Gesellschaft
eins? ... Der Gott des Klans, das Totemprinzip kann also nichts anderes
als der Klan selber sein, allerdings VERGEGENSTÄNDLICHT und GEISTIG
VORGESTELLT unter der sinnhaften Form von Pflanzen und Tiergattungen, die
als Totem dienen“ (Durkheim 1984, S. 284).
Der Struktur nach paßt dieser Zusammenhang als Analogie ganz
ausgezeichnet zu dem im Warenfetisch ausgedrückten Verhältnis.
Um diese Struktur wirklich verstehen zu können, ist freilich abermals
ein Rückgriff auf die Hegelsche Begriffswelt notwendig, in deren Terminologie
sich alle beweglichen, in sich widersprüchlichen, gegensätzliche
Momente zu einer Einheit zusammenfassenden „Gegenstände“ oder Verhältnisse
unnachahmlich ausdrücken lassen. Für unseren jetzigen Zweck handelt
es sich um die Begriffe des „An SICH“ einerseits und des „FÜR SICH“
oder „FÜR JEMAND“ andererseits. Was das Totem an sich selber ist,
ein sinnlicher Naturgegenstand und nichts sonst, ist es jedoch nicht FÜR
den totemistischen Klan. Für den Klan ist es viel mehr, nämlich
„Ausdruck“ oder „Darstellung“ seiner selbst, seines blutsverwandtschaftlichen
Vergemeinschaftungs-Zusammenhangs. Dieses „Quidproquo“ sagt also, daß
der Klan auf den bestimmten Naturgegenstand etwas PROJIZIERT, was zwar
wirklich real da ist, nämlich seine menschliche Vergemeinschaftung,
jedoch FÜR IHN, den Klan, sich nicht als er selber darstellen kann,
sondern „ausgedrückt“ werden muß durch ETWAS ANDERES, ein sinnliches
Ding, das dadurch „beseelt“ erscheint. Der GRUND für dieses Verhältnis
ist KEIN SUBJEKTIVER, es handelt sich nicht um eine bewußte Handlung,
sondern das gesellschaftliche Verhältnis dieser Menschen verlangt
und erzwingt durch seine eigene Struktur genau diese fiktionale „Vergegenständlichung“
seiner selbst, die gerade dadurch zu einer wirklichen materiellen Macht
wird! Ganz ähnliche Strukturen lassen sich bei anderen, pathologischen
Formen des Fetischismus feststellen, so beim sexuellen Fetischismus. „An
sich“ tote Gegenstände, Schuhe oder Wäschestücke, stellen
sich „für“ den Fetischisten als etwas anderes dar, als Ausdrücke
seiner eigenen Sexualität und deren fiktionale „Vergegenständlichung“
FÜR IHN. Dies geschieht jedoch nicht durch eine fälschliche subjektive
Überlegung von ihm, ebensowenig durch einen irgendwann gefaßten
Entschluß. Es ist vielmehr ein „hinter seinem Rücken“ hergestelltes
reales Verhältnis, nämlich die ihm nicht bewußte reale
Geschichte seiner sexuellen Entwicklung, die ihm dieses „Quidproquo“ aufnötigt.
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Ebenso bei dem im Wert ausgedrückten gesellschaftlichen Verhältnis.
Der tatsächliche materielle Grund des Werts ist die konkrete, lebendige
Arbeit. Die wirkliche konkrete Arbeit IN IHRER GESELLSCHAFTLICHKEIT ist
das wahre „AN SICH“ des im Wert bloß „ausgedrückten“ gesellschaftlichen
Verhältnisses. Aber dieses wirkliche „AN SICH“ ist als solches NICHT
„FÜR“ die privaten Warenproduzenten. Die wirkliche gesellschaftliche
Produktion der Individuen ist so nicht die IDENTITÄT eines „AN UND
FÜR SICH“. Das „an sich“ der wirklich gesellschaftlichen Arbeit bleibt
bloß „OBJEKTIV“, kann nicht als solches „für“ die Individuen
erscheinen. „Für“ die Warenproduzenten ergibt sich vielmehr NOTWENDIG
der „gegenständliche Schein“, die „Phantasmagorie“, der „Mystizismus“
oder die „Mystifikation“ (alles Ausdrücke von Marx!), daß die
GESELLSCHAFTLICHE ALLGEMEINHEIT ihrer eigenen Arbeiten ein „AN SICH“ der
Produkte sei, eine DINGLICHE EIGENSCHAFT. Also der SCHEIN der zur Ding-Eigenschaft
überhaupt „geronnenen“ gesellschaftlichen Arbeit bzw. Arbeitszeit
ist NICHT etwas im buchstäblich-materiellen Sinne WIRKLICHES, kein
wirkliches „an sich“ der toten Produkte, sondern eben Schein - das gesellschaftliche
PHANTOMBILD oder der „Reflex“ der VERGANGENEN ARBEIT, die aber wirklich
materiell DAGEWESEN sein muß, damit dieser phantomartige Reflex „für“
den Produzenten entsteht. FÜR DIE WARENPRODUZENTEN ist dieser Schein
etwas Wirkliches, in ihrem realen Verhalten zueinander, zu der AUßER
IHNEN existierenden, objektiv realen, aber nicht FÜR SIE konkreten
Gesellschaftlichkeit ihrer selbst - und insofern „REALER SCHEIN“, ganz
wie die Macht des Totems für den Wilden realer Schein ist und die
Sexualität des Stöckelschuhs für den Sexualfetischisten.
Marx sagt daher auch in der ersten Auflage des 'Kapital' ganz klar: „Die
Verhältnisse der Privatarbeiter zur gesellschaftlichen Gesammtarbeit
VERGEGENSTÄNDLICHEN sich ihnen gegenüber und existieren daher
für sie(!!) in den FORMEN VON GEGENSTÄNDEN“ (Marx 1984, S. 40,
Hervorheb. Marx). „Für sie“ - nicht „an sich“! Auch hier wieder hat
Marx in seiner Darstellung die Bedeutung der Hegelschen dialektischen Kategorien
nicht explizit herausgearbeitet und so katastrophale Mißdeutungen
im Kopf des gewöhnlichen, im positivistischen Denken befangenen Lesers
geradezu vorausprogrammiert. Setzt man diesen Präpositionalausdruck
„für sie“ systematisch in diesem Sinne ein, dann wird erst der tatsächliche
Sinn einiger Stellen bei Marx deutlich, die sonst zu groben Mißverständnissen
herausfordern. So in der bekannten Stelle aus der geläufigen 4. Auflage
des 'Kapital', wo es heißt: „Oder die Privatarbeiten betätigen
sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch
die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst
derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die
gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind,
d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen
in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse
der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (Marx
1965, S. 87). Setzt man hier hinzu, daß den Produzenten die gesellschaftlichen
Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das erscheinen, was sie FÜR SIE
wirklich sind, nämlich aufgrund ihres gesellschaftlichen, realen Verhältnisses
als „gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“, dann ist der tatsächliche
Sinn völlig klar und in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Fetisch-Begriffs.
Läßt man dieses „Für sie“ jedoch weg, dann könnte
die Mißdeutung entstehen, daß die Sachen es wirklich „an sich“
haben, selbständige „gesellschaftliche Beziehungen“ einzugehen; dies
würde freilich auf die märchenhafte Albernheit hinauslaufen,
daß die Waren als tote Produkte wirklich „an sich“ selbständige
Wesen und Subjekte in einem buchstäblichen Sinne wären!
Es wäre jetzt nur noch zu klären, wie sich das bereits herausgearbeitete
abstrakte Handeln der Produzenten in Beziehung zum Produktionsprozeß
in diese nur „für sie“ existierende abstrakte, gesellschaftlich-fiktionale
„Gegenständlichkeit“ der vergangenen Arbeit als scheinbare, für
sie reale dingliche Produkt-Eigenschaft verwandelt und wie dieser dingliche
Schein durch die ZIRKULATIONSSPHÄRE befestigt wird und den wahren
Charakter des Vorgangs verschleiert. Die Warenproduzenten produzieren gegenseitig
füreinander, also gesellschaftlich, aber sie produzieren nicht miteinander,
sondern privat. Jeder Produzent arbeitet „für sich“ in einem rein
technischen Sinne, jedoch gleichzeitig nicht „für sich“ im Sinne des
herzustellenden Gebrauchswerts. Daß er technisch für sich (privat)
arbeitet, jedoch sozial-ökonomisch für andere (gesellschaftlich),
schlägt sich für ihn als
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Abstraktionsprozeß seiner eigenen Arbeit nieder, der sich auf
das Produkt überträgt. Der z.B. produzierte Tisch ist als solcher,
als Tisch oder „an sich“ nichts weiter als „ein ordinäres sinnliches
Ding“ (Marx 1965, S. 85). Jedoch für den Produzenten selber ist er
dies nicht, kann es nicht sein. Da er den Tisch nicht zum eigenen nützlichen
Gebrauch hergestellt hat, ist er für ihn kein Tisch, nicht das „ordinär
sinnliche“ Gebrauchswert-Ding, das er „an sich“ selber ist. Was ist der
Tisch aber dann „für“ den Produzenten? Dieser hat gesellschaftlich
gearbeitet, für andere, aber nicht mit den anderen gemeinschaftlich.
Diese Arbeit ist real vergangen, sie ist jedoch als gesellschaftliche gerade
dasjenige, was objektiv das Gemeinsame, Vergesellschaftende im Verkehr
der Produzenten untereinander nur sein kann. Für den Produzenten stellt
das „ordinär sinnliche“ Gebrauchswert-Ding Tisch daher nichts anderes
als ein abstraktes Arbeits-Ding dar; er projiziert praktisch seine eigene
vergangene Arbeit als gesellschaftliche auf das Produkt - die vergangene
Arbeit erscheint für ihn als gesellschaftliches Phantombild am Produkt
als dessen Eigenschaft, und nur in dieser Form nimmt er das Produkt für
sich wahr, weil es für ihn nicht sinnlicher Gebrauchswert ist. Freilich
tut er dies so nicht bewußt. Wir zeichnen hier analytisch einen Vorgang
nach, wie er sich „hinter seinem Rücken“ abspielt; die Produzenten
können sich über die Natur ihres gesellschaftlichen Handelns
keine Rechenschaft abgeben: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Der
AUSTAUSCH selber oder der „Tauschakt“ ist es, der im praktischen Handeln
die fetischistische Natur der „Wertgegenständlichkeit“ verschleiert
und im Bewußtsein verfestigt, statt sie zu offenbaren. Müßte
jeder Produzent ausdrücklich zwischen Produktion und Austausch bewußt
seine vergangene Arbeit als Phantom-Eigenschaft auf das Produkt projizieren,
so würde ihm die „Verrücktheit“ dieses Vorgangs sofort ins Auge
springen, der Fetisch läge offen als solcher da und wäre also
kein Fetisch mehr. Durchschaubar als bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis,
das die Fetischisierung der vergangenen Arbeit zur dinglichen Produkteigenschaft
OBJEKTIV NOTWENDIG erzeugt, wird das Wertverhältnis ja erst vom Standpunkt
seiner KRITIK aus, d.h. bei hinreichender Entwicklung seines inneren Widerspruchs
bis zur Krise der gesellschaftlichen Reproduktion und zunächst auch
nur in wissenschaftlicher Form. Für die im Wertverhältnis befangenen
Produzenten jedoch stellt sich ihr Verhältnis natürlich überhaupt
nicht analytisch aufgegliedert dar. Für sie ist es ein unmittelbares
Ganzes, das RESULTAT geht also immer schon unmittelbar in die VORAUSSETZUNG
ein. Dieses Resultat aber ist die Fortentwicklung des Werts über die
erscheinende Wertform (der zweiten Ebene in der Zirkulation) hin zum GELD.
Der Charakter des Warenfetischs verschleiert sich also für den Produzenten
dadurch, daß er die Projektion vergangener Arbeit auf das Produkt
nicht als solche vornimmt, sondern sich in seinem Hirn bereits die fertige
Geldform hineinmengt. Er sagt also nicht: ich projiziere die vergangene
Arbeit als Phantombild auf das Produkt, wodurch diese vergangene Arbeit
für mich zur dinglichen Produkt-Eigenschaft „gerinnt“. Er sagt vielmehr:
der Tisch ist „hundert Mark wert“. Dem Wesen nach beinhalten beide Aussagen
dasselbe, jedoch die zweite ist schon vom Standpunkt des Resultats aus
formuliert und erscheint daher im Unterschied zur ersten als normal und
„natürlich“. Das hier einstweilen bloß ideell vorgestellte Geld
(als Preisausdruck des Produkts) verschleiert den fetischistischen Charakter
des gesellschaftlichen Daseins vergangener Arbeit.
Im Austauschverhältnis zweier Waren manifestiert sich diese Verschleierung
dadurch, daß die Wertabstraktion, die Projektion vergangener Arbeit
auf das Produkt im Hirn der Produzenten, „übersetzt“ wird in ein Verhältnis
real dinglicher Quantitäten. Die „ordinär sinnliche“ Qualität
der Waren gilt im Austauschverhältnis als bloß abstrakte, vergangene
Arbeit „verkörpernde“ Quantität. Dies geschieht dadurch, daß
die in ÄQUIVALENTFORM stehende Ware jeweils „für“ den tauschenden
Produzenten ihre NATURALFORM, ihre NATÜRLICHE MATERIE, zur Bildung
der erscheinenden WERTFORM der anderen Ware „leiht“. Indem aber die abstrakte
Projektion vergangener Arbeit der einen Ware durch die reale sinnlich-natürliche
Materie der anderen Ware AUSGEDRÜCKT wird, erhält das gesellschaftliche
Phantombild der vergangenen Arbeit sinnliche Realität und der abstrakte
Wert, das „soziale Gedankending“, wird im TAUSCHWERT wirklich zum realen
Ding. Die natürliche Materie der in Äquivalentform stehenden
Ware ist „an sich“ weiterhin nichts als das „ordinär sinnliche“ Ding,
aber „für“ die am Tauschakt beteiligten Menschen erhält diese
Materie eine von sich selber völlig verschiedene Form und Funktion;
sie „gilt“ nicht als das, was sie „an sich“ ist, sondern als „Verkörperung“
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abstrakt menschlicher, gesellschaftlicher Arbeit, ohne daß dieser
Zusammenhang den Beteiligten bewußt wäre. „Für sie“ betätigen
sich stattdessen im Tauschverhältnis wirklich „an sich“ seiende dingliche
Eigenschaften der Produkte! Dadurch, daß die natürliche Materie
der Äquivalentform zum Wertausdruck ihres Gegenübers wird, erscheint
der Wert als Tauschwert überhaupt als eine quasi NATÜRLICHE Eigenschaft
des Produkts. Freilich ist auch das einfache Austauschverhältnis zweier
Waren noch im rein analytischen Bereich angesiedelt. Erst indem ein bestimmtes
Produkt „ausgesondert“ wird als ALLGEMEINES ÄQUIVALENT, d.h. als gesellschaftlich
fixiert und in der Äquivalentform für alle anderen Waren festgehalten,
kann sich der „dingliche Schein“ endgültig befestigen und wir erreichen
in der Analyse die Ebene der real vorgefundenen gesellschaftlichen Praxis.
Das allgemeine Äquivalent, das Geld, drückt für jeden Tauschakt
das „gemeinsame Dritte“, die real vergangene gesellschaftliche Arbeit,
durch ihre natürliche Materie (Gold) aus. „An sich“ ist auch das Gold
oder Geld nichts als ein „ordinär sinnliches Ding“, aber „für“
die Produzenten wird es als allgemeines Äquivalent gerade in seiner
natürlichen Materie zur „Materiatur gesellschaftlicher Arbeit“ (Marx)
und vollendet so den „dinglichen Schein“: „Die vermittelnde Bewegung verschwindet
in ihrem eigenen Resultat und läßt keine Spur zurück“ (Marx
1965, S. 107). Wie für den Klan sein eigenes gesellschaftliches Verhältnis
dem subjektiven Einzelbewußtsein immer schon als reale dingliche
Macht des Totems äußerlich gegenübertritt und jede Spur
des Totem-Daseins als bloßes „soziales Gedankending“ getilgt ist,
so dem Warenproduzenten immer schon die reale dingliche Macht des Geldes
in seiner gesellschaftlich-“übersinnlich“ gewordenen natürlichen
Materie, die für das jeweilige subjektive Bewußtsein jede Spur
der Konstituierung des Werts als „soziales Gedankending“ ebenso ausgelöscht
hat. Der Fetisch ist gerade dadurch Fetisch und reale Macht, daß
das PRAKTISCHE VERHÄLTNIS, dem er entspringt, in seiner BETÄTIGUNG
eben dieses Entsprungensein für die daran Beteiligten verdunkelt,
auslöscht und so dem subjektiven Bewußtsein unzugänglich
macht. In der praktischen Betätigung des Austauschs verschwindet die
„an sich“ zugrundeliegende Fetischisierung der vergangenen Arbeit zur dinglichen
Eigenschaft und der „gegenständliche Schein“ wird als reale Dinglichkeit
des Tauschwerts in der Äquivalentform bzw. im Geld unabweisbar.
Damit wäre nun die Untersuchung soweit abgeschlossen und das Problem
der „Wertgegenständlichkeit“ in seinen wesentlichen Aspekten geklärt.
Freilich hat uns diese Klärung zu einem Standpunkt geführt, der
mit dem traditionellen „Marxismus“, auch dem schein-orthodoxen, kaum noch
etwas gemein hat. Denn jetzt erst kann die Befangenheit des „Marxismus“
in der nicht aufgelösten und überwundenen Wertkategorie in ihrer
ganzen Tragweite begriffen werden. Diese Befangenheit, die sich hinter
dürren, unverstandenen Definitions-Bestimmungen des Werts versteckt
hat, geht ja soweit, daß sich sogar die Spur einer expliziten Auseinandersetzung
über das Problem in der Geschichte des Marxismus fast nicht auffinden
läßt, sieht man von wenigen Ausnahmen wie dem verschollenen
Rubin ab. Die weiter oben zitierte Klage über die fehlende Auseinandersetzung
um den Begriff der abstrakten Arbeit läßt sich unschwer ausdehnen
auf das Verständnis der Wertkategorie überhaupt, die im marxistischen
theoretischen Bewußtsein fast genauso bewußtlos vorausgesetzt
ist wie im bürgerlichen. Welcher Natur dieses Un-Verständnis
ist, kann denn auch selten explizit dingfest gemacht werden, sondern muß
sich aus dem bewußtlosen Dasein der Wertkategorie in der marxistischen
Literatur erschließen. Ein expliziter Ausdruck dieses bewußtlosen
theoretischen Daseins der Wertkategorie findet sich dankenswerterweise
in der neueren Literatur bei dem schon mehrfach zitierten Dieter Wolf,
der damit seine Verewigung der abstrakten Arbeit „krönt“. „Materialist“,
der er ist, muß er sich energisch dagegen verwahren, „daß der
Wert in ein 'Gedankending' verwandelt wird im Sinne eines 'Gedachten, bloß
dem Bewußtsein der Menschen Immanenten'; denn existierte der Wert
nicht unabhängig vom Bewußtsein der Menschen IN DEN ARBEITSPRODUKTEN
SELBST(!!), insofern diese in ihrem Austauschverhältnis untereinander
gleichgesetzt werden, dann gäbe es auch nicht den Sachverhalt, daß
das, was die Waren sind, 'sie sachlich ... sein ... oder in ihren eigenen
sachlichen Beziehungen zeigen ... müssen'. Wäre der Wert ein
'Gedachtes' in Backhaus' Sinne, dann wäre er nicht der 'bloß
gegenständliche Reflex der so verausgabten Arbeit'. Wie sollte er
sich auch im Verhältnis zweier Waren offenbaren, wenn er nicht in
diesen Waren selbst existierte“ (Wolf 1985, S. 132, Hervorheb. R.K.). An
der einzelnen Ware soll dann für Wolf der Wert
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als ein buchstäblich real „Enthaltenes“ sein Dasein „unsichtbar(!!)
hinter der sachlichen Hülle ihres Gebrauchswerts verborgen“ (ebda,
S. 133) fristen.
Kein Zweifel also, daß der „Materialist“ Wolf den Wert der einzelnen
Ware für jenes buchstäblich mitgebackene Brötchen, für
ein buchstäbliches „Ding“ hält, das er sich freilich abergläubisch
als an der einzelnen Ware „unsichtbar“ denken muß, vergleichbar etwa
der unsichtbaren „Seele“, wie sie sich das religiöse Bewußtsein
als im physischen Körper buchstäblich als „Hauch“ etc. „enthalten“
denkt. Dieser „Materialismus“ kann also nur ein religiöser genannt
werden. Es ist offenbar, daß Wolf ganz platt positivistisch denkt.
Ein „Gedachtes“ oder „Gedankending“ ist für ihn immer a priori ein
Produkt SUBJEKTIVEN DENKENS, er kennt kein „soziales Gedankending“, das
durch bestimmte VERHÄLTNISSE produziert und dem jeweils einzelnen
subjektiven Denken vorausgesetzt ist. Damit ergibt sich für seinen
„positiven Geist“ das vertrackte Dilemma gegenseitiger Ausschließlichkeit
von „Sein“ und „Schein“. Also „entweder“ sitzt im Totem wirklich buchstäblich
der Stammesgeist als eine Art kleines grünes Männchen - „oder“
die „Wilden“ täuschen sich eben subjektiv und es könnte ihnen
durch bloße „Aufklärung“ dieses subjektive „Hirngespinst“ ausgeredet
werden! „Entweder“ Stöckelschuh und Damenschlüpfer sind wirklich
selbständige sexuelle Wesen mit eigenen Sexualorganen - „oder“' der
Sexualfetischist täuscht sich eben subjektiv, vielleicht aufgrund
eines Augenleidens, und kann auf seinen „Irrtum“ ganz simpel aufmerksam
gemacht werden! Würde sich Wolf als „aufgeklärter“ Positivist
bei Totem und Sexualfetischismus natürlich für die „Aufklärung“
des vermeintlichen subjektiven „Irrtums“ entscheiden (statt den Schein
als OBJEKTIV erzeugt durch ein wirkliches MATERIELLES VERHÄLTNIS zu
begreifen, das für eine Aufhebung dieses Scheins erst selber aufzuheben
wäre), so entscheidet er sich beim Wert, seinem eigenen Stammes-Fetisch
als in der Warenlogik befangener Denker, ebenso „natürlich“ gerade
umgekehrt für die abergläubische, nicht-aufgeklärte Variante,
für das buchstäblich „enthaltene“ kleine grüne Männchen,
das „unsichtbar“ hinter der „sachlichen Hülle“ hocken soll. Daß
der „Materialismus“ Wolfs hier unmittelbar in ein quasi-religiöses
Bewußtsein umschlägt liegt, werttheoretisch gesehen, gerade
daran, daß er wie fast die gesamte bisherige Werttheorie (inklusive
der marxistischen Marx-Interpretationen) nicht den primären Übergang
von der wirklichen materiellen Grundlage, der lebendigen Arbeit, zum Wert,
sondern umgekehrt nur den sekundären Übergang vom Wert zum Tauschwert
(und Geld) im Auge hat; er befindet sich also von vornherein im Bannkreis
der gesellschaftlichen Abstraktion und deren Formwandel, ein Fehler, den
er mit dem von ihm kritisierten Backhaus teilt und der ihm den Anschein
der Berechtigung einer „materialistischen“ Kritik an Backhaus verleiht.
Denn wenn der Ausgangspunkt, der Wert (in der ersten Ebene des Wertform-Begriffs,
d.h. an der einzelnen Ware) ein bloßes „Gedankending“ ist, noch dazu
ein subjektives, dann hätten wir es tatsächlich mit einer Hegelschen
Inkarnation des Begriffs, einer Schöpfung materieller Welt aus dem
reinen Gedanken zu tun. Wenn wir aber den Wert nicht bewußtlos voraussetzen
und daher auch nicht als Ausgangspunkt nehmen, sondern die lebendige Arbeit
als wirkliche materielle Grundlage in ihrer Formdifferenz zum Wert, dann
verliert die Bestimmung des Werts als „soziales Gedankending“, als reine
gesellschaftliche Formabstraktion, ihren vermeintlich „idealistischen“
Charakter, denn die Transformation von etwas vorausgesetztem Materiellen
in ein Gedankending ist als solche eine selbst im plattesten Sinne materialistische
Bestimmung. Die Schwierigkeit, überhaupt den richtigen Anfang zu nehmen,
rührt aber offenbar von der bewußtlosen, nicht-subjektiven Natur
dieses „sozialen Gedankendings“ her, die durch die reale Dinglichkeit der
von natürlicher Materie „ausgedrückten“ Äquivalentform verschleiert
wird.
Wolf hat also nicht die wirkliche Marxsche Entdeckung des „dinglichen
Scheins“ verstanden, sondern nur die bürgerliche Werttheorie von Smith
und Ricardo bis zu ihrer letzten, bereits von Bailey aufgedeckten absurden
Konsequenz in aller positivistischen Unschuld weitergeführt und offen
ausgesprochen, was dem gewöhnlichen Marxismus bloß implizit
ist. Damit muß sich auch ein von Marx völlig verschiedenes Verständnis
des Warenfetischismus ergeben, wie es allerdings tatsächlich auch
explizit in anderer schein-orthodoxer Literatur zu finden ist. So typisch
etwa bei Sandkühler, in dessen Verständnis es auf eine aufschlußreiche
Art Marx gelungen sein soll, die gesellschaftlichen Ursachen
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„... der Falschheit des Bewußtseins und der Kategorien zu erklären
... Er löste das Rätsel des 'Fetischcharakters der Ware'. Der
'mystische Charakter der Ware' entspringt - so Marx' Entdeckung - nicht
aus ihrem Gebrauchswert. DIE WARE VERWANDELT SICH ERST IM TAUSCH(!!) IN
EIN 'ÜBERSINNLICHES DING' ...“ (Sandkühler 1973, S. 149, Hervorheb.
R.K.)
Sohn-Rethel läßt grüßen! Hier zeigt sich in aller
Deutlichkeit, daß die Sandkühlerschen und anderen „marxistischen“
Attacken gegen Sohn-Rethel, weil dieser nicht von der Produktion, sondern
von der Zirkulation ausgehe, bloß ein Verwischen der eigenen Spuren
sind. Der wirkliche Sinn des Marxschen Fetisch-Begriffs liegt darin, daß
die lebendige gesellschaftliche Arbeit selber im Bewußtsein der Warenproduzenten
zur „geronnenen“ dinglichen Produkteigenschaft fetischisiert wird: „Dieser
Fetischcharakter der Warenwelt entspringt ... aus dem eigentümlichen
gesellschaftlichen Charakter der ARBEIT, welche Waren produziert“ (Marx
1965, S. 87, Hervorheb. R.K.). Für Sandkühler (und den „Marxismus“
überhaupt) aber entspringt der Fetischcharakter der Ware keineswegs
„der Arbeit, welche Waren produziert“, sondern vielmehr erst in den Markthandlungen,
in denen Waren getauscht werden - also der Zirkulation. Während die
Zirkulation, das Tauschverhältnis der Waren, durch die reale Dinglichkeit
der Äquivalentform bei Marx die FETISCHISIERUNG DER ARBEIT gerade
VERSCHLEIERT und die Konstituierung dieses Fetischismus im Bewußtsein
auslöscht, wird bei Sandkühler u. Co. der Warenfetischismus im
Austauschverhältnis erst ERZEUGT. Während Marx Bailey kritisiert,
weil dieser sagt „Wert ist Eigenschaft der Dinge“ (womit er sich in Übereinstimmung
mit der bürgerlichen Werttheorie überhaupt, also auch derjenigen
von Smith und Ricardo befindet) und zeigt, daß diese Auffassung dem
objektiven Schein entspringt, in dem sich „der gesellschaftliche Charakter
der Arbeit als 'property' der Dinge 'darstellt' ...“, sich ferner lustig
darüber macht, daß „unser Fetischdiener“ diesen „Schein als
etwas Wirkliches nimmt“ - müssen umgekehrt „Marxisten“ wie Sandkühler
und Wolf als ebensolche Fetischdiener ausdrücklich wie Bailey u. Co.
am Charakter des Werts als buchstäblicher „Eigenschaft“ des Produkts
festhalten, wie sie den Warenproduzenten objektiv erscheint, während
der „falsche Schein“ in völliger Verkennung, Abschwächung und
Zurücknahme der Marxschen Argumentation nicht etwa damit bestimmt
wird, daß den Produzenten die vergangene Arbeit überhaupt als
Eigenschaft des Produkts erscheint, sondern bloß damit, daß
diese „Eigenschaft“ (die als buchstäbliche überhaupt nicht angezweifelt
wird!) ihnen als „natürliche“ erscheine: „Daher entsteht der falsche
Schein, daß die Werteigenschaft, d.h. die gesellschaftliche Eigenschaft
zugleich die natürliche Eigenschaft eines Dings ist. Nur dies und
nichts anderes ist darunter zu verstehen, daß der Wert in einer verkehrten
Gestalt erscheint“ (Wolf 1985, S. 134). Also nicht die ARBEIT erscheint
als WERT „in einer verkehrten Gestalt“, sondern der WERT als das bewußtlos
Vorausgesetzte soll im Tauschwert bzw. Geld in „verkehrter Gestalt“ erscheinen!
Womit wir dann beim „wahren Wert“ angelangt wären, der durch die Tücken
der Zirkulationssphäre „verschleiert“ etc. wird und somit bei einer
Auffassung, wie sie hartnäckig Positivisten wie Becker, Joan Robinson
u.a. Marx unterschieben wollen, um dann auf die Unhaltbarkeit oder sogar
Sinnlosigkeit dieser untergeschobenen Positionen verweisen zu können.
Marx macht gerade diese schwache Differenz von (vermeintlich buchstäblich
realer) „gesellschaftlicher“ Eigenschaft und (durch scheinhafte Verkehrung
erzeugter) „natürlicher“ Eigenschaft keineswegs auf, sondern spricht
von „gesellschaftlichen Natureigenschaften dieser Dinge“ (Marx 1965, S.
86), wie sich im Gehirn der Produzenten die Gesellschaftlichkeit ihrer
eigenen Arbeiten spiegelt. Marx zeigt also gerade auf, daß der Fetischcharakter
in der Erscheinung der vergangenen Arbeit als „geronnene“ Produkt-Eigenschaft
ÜBERHAUPT besteht, nicht etwa bloß in der Verkehrung einer „wirklichen“
(gesellschaftlichen) Eigenschaft zu einer „natürlichen“ Eigenschaft.
Nicht ein bloßer Zirkulations-Fetisch verschleiert den „wahren Wert“,
das „eigentliche“ Dasein buchstäblich „geronnener“ Arbeit als Produkt-Eigenschaft,
sondern das Erscheinen der vergangenen Arbeit überhaupt als „Eigenschaft“
des Produkts ist selber der in der gesellschaftlichen Privat-PRODUKTION
erzeugte Fetisch. Als quasinatürliche Eigenschaft des Produkts erscheint
der Wert nur deshalb, weil er überhaupt als Eigenschaft erscheint
und seine fetischisierte Konstituierung in der Produktionssphäre durch
das real dingliche Dasein des Tauschwerts als Äquivalentform in der
Zirkulationssphäre verschleiert wird. Hinter der
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verkürzten, den Warenfetisch nicht wirklich durchbrechenden Lesart
von Wolf und Sandkühler steht das historische Dasein des Marxismus
als Theorie auf einem gesellschaftlichen Boden, auf dem der Wert noch nicht
in seiner Entwicklung ausgeschöpft ist: der breite Strom des westlichen
sozialdemokratischen Reformismus einerseits und die östliche „sozialistische
Warenproduktion“ andererseits. Während für Marx der Fetischismus
„von der Warenproduktion unzertrennlich“ ist, trennt der „Marxismus“ à
la Wolf und Sandkühler den Fetischcharakter von der Warenkategorie
als solcher ab und ordnet sich in die Illusion der alten Arbeiterbewegung
ein, die den Fetisch verscheucht glaubt nicht etwa durch AUFHEBUNG, sondern
durch „BEWUßTE ANWENDUNG“ der Wertkategorie, was durch bloß
juristische Beseitigung des „Privateigentums“ geschehen soll.
Kein Wunder, daß auch die fortgeschrittenste bürgerliche
Theorie Marx durch die Brille dieses positivistischen „Marxismus“ liest,
freilich um gerade dadurch umso bequemer mit ihm fertigzuwerden. So hat
Schumpeter in seiner unglaublich naiven Darstellung der Marxschen Theorie
gleich zu Anfang nichts Eiligeres zu tun, als Marx von vornherein dessen
zu entkleiden, was der Positivist für „philosophische Macken“ hält
und abwertend herzuziehen über „... Marxens Philosophie, der wir uns
am besten sogleich ein für allemal entledigen“ (Schumpeter 1980, S.
24). Die von den „Marxisten“ durchgängig ignorierte oder mangels Verständnis
nicht eingelöste Forderung Lenins, Marx müsse erst durch ein
Verständnis der Hegelschen Dialektik wirklich verstanden werden, kann
dann leichtherzig abgetan werden: „Es ist kein Wunder, daß seine
deutschen und russischen Leser, durch Denkart und Schulung ähnlich
veranlagt, sich auf dieses Element stürzten und es zum Hauptschlüssel
seines Systems machten. Ich halte dies für einen Fehler und für
ein Unrecht gegenüber Marxens wissenschaftlichen Fähigkeiten(!)
... Er liebte es, von seinem Hegelianismus Zeugnis abzulegen und die Hegelsche
Ausdrucksweise zu gebrauchen. Das ist aber auch alles. Nirgends hat er
die positive Wissenschaft an die Metaphysik verraten“ (Schumpeter, a.a.O.,
S. 25). Indem Schumpeter Marx der „Hegelschen Ausdrucksweise“ entkleidet,
wirft er natürlich auch die damit ausgedrückten Inhalte beiseite,
insbesondere die KRITIK der Wertkategorie, um ihn so zu seinesgleichen
zu machen, zu einem ordinären Positivisten, der auf dieser Ebene dann
„gewürdigt“, aber auch als überholt abgekanzelt werden kann.
Wenn Schumpeter sagt, daß „... das harte Metall der Wirtschaftstheorie(!)
in Marxens Büchern in ... einen Reichtum dampfender Phrasen eingetaucht“
(ebda, S. 44) sei, dann meint er damit gerade die realen Mystifikationen
der Warenproduktion, die er als theoretische „Metaphysik“ und „Phraseologie“
bloß im Kopf von Marx angesiedelt glaubt, weil er die positiv im
praktischen Leben vorgefundenen Mystifikationen der Warenform für
„natürlich“ hält und nicht als solche erkennt (vgl. dazu die
Kritik an Weizsäcker weiter oben).
Hinsichtlich der Werttheorie kommt Schumpeter so für die Einschätzung
der Marxschen Position zu einem sehr einfachen Resultat: „Marx hatte also
einen Meister? Ja. Das wirkliche Verständnis seiner Wirtschaftslehre
beginnt mit der Erkenntnis, daß er als Theoretiker ein Schüler
Ricardos war(!) ... Seine Werttheorie ist die Ricardianische(!) ... Es
bestehen sehr viele Unterschiede in der Ausdrucksweise, in der Deduktionsweise
und in den soziologischen Schlußfolgerungen; aber es besteht kein
Unterschied im Theorem an sich(!) ... Sowohl Ricardo wie Marx sagen, daß
der Wert einer jeden Ware ... proportional zu der in ihr enthaltenen(!)
Arbeit ist ... Marxens Argumente sind bloß weniger höflich,
weitschweifiger und 'philosophischer' im schlimmsten Sinne des Wortes(!!)
...“ (Schumpeter, a.a.O., S. 44ff.).
Zweifellos hat Schumpeter nicht vollkommen unrecht, wenn wir alle Umstände
berücksichtigen. Erstens kann er daran anknüpfen, daß Marx
nicht alle Implikationen seiner theoretischen Entdeckungen auch explizit
macht. Das liegt natürlich einmal an der Neuheit dieses theoretischen
Ansatzes, der nicht auf einen Schlag und nicht von einem einzigen Menschen
völlig aufgearbeitet und ausgefeilt werden konnte, gleichzeitig aber
auch daran, daß die Implikationen dieses Ansatzes den empirischen
Zeitverhältnissen so weit vorauseilten, daß sich daraus eine
Spannung und ein gewisses Mißverhältnis ergeben mußte:
die logisch-historische Kritik der Wertkategorie traf auf reale Verhältnisse,
in denen diese Kategorie als Vergesellschaftungsschub noch im Aufstieg
begriffen war. Zweitens mußte Marx an die vorhandene theoretische
Situation anknüpfen. Die Arbeitswerttheorie von Smith und Ricardo
hatte zwei
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Problemstellungen hinterlassen, die ich als Wertform der ersten und
zweiten Ebene bezeichnet habe, nämlich einmal das Problem des Übergangs
von der Arbeit zum Wert, zum anderen das Problem des Übergangs vom
Wert zu Tauschwert und Geld. Ricardo hatte weder die Formdifferenz von
realer Arbeit und Wertgegenständlichkeit geklärt noch das Geld
aus den erscheinenden Formbestimmungen des Werts über den Tauschwert
systematisch abgeleitet. Das erste Problem war sozusagen nicht „zeitgemäß“
in einer (erst heute zu Ende gehenden) Epoche, in der die praktische Kritik
der Warenproduktion überhaupt noch nicht zur Debatte stand, während
das zweite vom wirklichen Stand der Theorie her aktuell und brennend war.
Marx mußte in der einen oder anderen Weise an diese theoretisch-gesellschaftliche
Situation anknüpfen. Dies zeigt sich darin, daß er das zweite
Problem, die Ableitung des Geldes (und damit der Grundlage des Kapitals)
aus den Formbestimmungen des Tauschwerts systematisch und erschöpfend
geleistet hat, während die Ableitung und vor allem Darstellung des
ersten, grundsätzlicheren Problems unvollständig blieb (was auch
die vielen Korrekturen zeigen) und im Fetisch-Kapitel sowie über das
ganze Werk verstreuten Stellen ein quasi „exterritoriales“ Dasein in der
Marxschen theoretischen Landschaft führt. Die Schwierigkeit der Darstellung
führte aus den genannten Gründen auch dazu, daß Marx vielfach
bezüglich des Verhältnisses von Arbeit und Wert die Smith-Ricardosche
Ausdrucksweise transportiert, die bei einem „buchstäblichen“ Verständnis
die gesamte Fetisch-Analyse eliminiert und Marx zu einem simplen Ricardianer
stempelt, der in seiner Konsequenz dem Verdikt Baileys und der späteren
subjektiven Werttheorie verfallen würde. Mit der Eliminierung dessen,
was Schumpeter für nichts als „Hegelsche Ausdrucksweise“ und einen
„Reichtum dampfender Phrasen“ hält, hat er auch den entscheidenden
wert-kritischen Ansatz bei Marx liquidiert. Dies konnte umso leichter fallen,
als die bürgerliche Politische Ökonomie sich seit langem von
jeder objektiven Arbeitswerttheorie abgewendet hat und diesen grundlegenden
Teil der klassischen bürgerlichen Theorie von Smith und Ricardo völlig
als Fremdkörper behandelt und verleugnet. Für das moderne theoretische
Bewußtsein konnte daher die Marxsche Arbeitswerttheorie unschwer
mit der Ricardoschen in einen Topf geworfen und als fremd und „überholt“
behandelt werden. Drittens aber kann sich Schumpeter darauf stützen,
daß die gesamte „marxistische“ Interpretationsgeschichte in ihren
verschiedenen Spielarten selber tatsächlich dieser bürgerlichen
Lesart entsprach und in ihrem Verständnis bis heute nicht über
die bewußtlose Ricardosche Identifizierung von Arbeit und Wert hinausgekommen
ist. Die großen Debatten der marxistischen Theoriegeschichte, so
etwa die Auseinandersetzungen über Monopol- und Imperialismustheorie,
aber auch zur Krisentheorie, haben insgesamt den Horizont der bloß
letztlich quantitativen Fragen des erscheinenden Tauschwerts nicht überschritten,
weil nie die Analyse und Kritik der Wertabstraktion selber zur Debatte
stand, sondern immer nur deren jeweilige gesellschaftliche Entwicklungsform
und das „Einwirken“ der marxistischen Parteien etc. darauf. Dies entsprach
den realen Bedürfnissen einer Arbeiterbewegung, die selber noch ein
Entwicklungsmoment des Wertverhältnisses war und, wie ich eingangs
gezeigt habe, ihre Kritik auf den Mehrwert und das „Wertgesetz“ („blinder
Markt“) beschränkte, ohne die zugrundeliegende Wertkategorie als solche
anzutasten. Die „sozialistische Politik“ auf dem bewußtlos vorausgesetzten
Boden des Wertverhältnisses bedurfte einer wirklich über Ricardo
hinausgehenden „Arbeitswerttheorie“ ebensowenig wie die „sozialistische
Warenproduktion“ des unseligen „Realsozialismus“. Natürlich konnte
die alte Arbeiterbewegung nicht etwa deswegen nicht über Ricardo hinauskommen,
weil ihre Theoretiker unfähig gewesen wären, Marx richtig zu
verstehen. Umgekehrt. Eben weil der gesellschaftliche Boden für die
Aufhebung der Wertabstraktion noch nicht entwickelt war, mußte in
der Theorie das Verständnis der Marxschen Kritik des Werts selber
verkürzt bleiben; die marxistische Theorie hat mehr an der Smith-Ricardoschen
Ausdrucksweise bei Marx angeknüpft als an einer fundamentalen Wertkritik.
So hat Schumpeter insofern nicht unrecht, als er das wirkliche Dasein des
Marxismus der letzten hundert Jahre offen ausspricht. Dies mag den verschiedenen
„Marxisten“ nicht schmecken, aber sie können sich aus dieser Kennzeichnung
nur jesuitisch herauswinden. Das Ironische der heutigen Situation besteht
gerade darin, daß mit der Krise des Kapitalismus zusammen auch die
Krise des „Marxismus“ gekommen ist. Dies erklärt sich daraus, daß
die jetzige und großenteils noch bevorstehende gesellschaftliche
Krise eine Krise der Wert-Vergesellschaftung selber ist, auf die das verkürzte
Instrumentarium des alten Arbeiterbewegungs-
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Marxismus keine Antwort mehr geben kann. Die historisch aktuelle Aufgabe ist
die theoretische und praktische Vorbereitung einer Revolution, die den Wert
und damit das Geld liquidiert. Alles andere ist nur noch theoretischer und ideologischer
Schrott. Die eigentliche Bombe als Kern des Marxschen Werkes, sein brisantes
Vermächtnis an die Zukunft, muß erst noch gezündet werden.
Anmerkungen
(1) Die Kette einschlägiger Auffassungen
ist lang. Sie beginnt mit Bernstein, der die Marxsche Werttheorie bloß
„neben“ der Grenznutzenschule als „gleichrangig' gelten lassen wollte und hört
sicher noch nicht mit Baran/Sweezy auf, die in ihrem „Monopolkapital“ (deutsch
1967) auf die Marxsche Werttheorie glaubten „verzichten“ zu müssen, um
den „gewandelten Realitäten“ des „organisierten Kapitalismus“ Rechnung
zu tragen. Explizit oder zumindest implizit hat die faktische Irrelevanz der
fundamentalen Werttheorie für den Nachkriegs-Marxismus diesen immer mehr
in eine Variante des flachen Linkskeynesianismus (Dobb, Robinson u.a.) verwandelt
(vgl. dazu Deutschmann 1973).
(2) Der Ausdruck „politizistisch“ ist bewußt
als Gegenpol zum inflationären „Ökonomismus“-Vorwurf gewählt,
der längst seine relative Berechtigung eingebüßt hat und zum
Kampfmittel eines „soziologistisch“ verplatteten akademischen Marxismus geworden
ist, der mit diesem allzu billig gewordenen Schlachtruf jeden fundamental wertkritischen
Ansatz abwehrt im Rahmen seiner reformistischen Konzepte (typisch in dieser
Hinsicht die Position von J. Hirsch; vergl. Hirsch/Roth 1986). Im Rahmen dieser
Arbeit kann auf dieses Problem nicht weiter eingegangen werden.
(3) Der westdeutsche Neo-Marxismus der Neuen
Linken macht hier keine Ausnahme. Gerade in der BRD lassen sich die Versuche,
eine Rekonstruktion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie vom werttheoretischen
Fundament aus systematisch zu leisten, an einer Hand abzählen (Reichelt,
Backhaus etwa). Das Scheitern dieser Versuche ist m.E. auf das oben angesprochene
„politizistische“ Klima im verkürzten Theoriebildungsprozeß der Neuen
Linken innerhalb wie außerhalb der Universität zurückzuführen.
(4) Lenin nannte die deutsche Kriegswirtschaft
„Staatskapitalismus“ und hielt eine solche ökonomische Form auf dem Boden
Rußlands keineswegs zu Unrecht für einen großen gesellschaftlichen
Fortschritt in Richtung Industrialisierung und „Modernisierung“. Den „sozialistischen
Inhalt“ freilich glaubte er rein äußerlich durch das abstrakte politische
Vorzeichen quasi „garantiert“, eine Grundlage (oder besser ein Ausgangspunkt)
für die spätere Ideologiebildung in der Sowjetunion: „Der Staatskapitalismus
steht ÖKONOMISCH (Hervorheb. Lenin) unvergleichlich höher als unsere
jetzige Wirtschaftsweise, das zum ersten. Zweitens aber hat er nichts Schreckliches
für die Sowjetmacht an sich, denn der Sowjetstaat ist ein Staat, in dem
die Macht der Arbeiter und der armen Bauern gesichert ist“ (Lenin 1978, S. 331).
Der Verweis auf die soziale Ausgangsbasis des „Sowjetstaats“ erhält hier
schon den Charakter einer Beschwörung gegen die geahnten Mächte einer
neuen, sich herausbildenden Reproduktionsstruktur mit kapitalistischem Inhalt,
die eben nicht von einer entgegengesetzen „politischen Macht“ beliebig als „Instrument“
eingesetzt werden kann. Immerhin unterscheidet Lenin hier noch klar zwischen
„Sowjetstaat“ einerseits und „Staatskapitalismus“ (auch in Rußland) andererseits;
d.h. er nennt nicht „Planung“ auf dem Boden der Wertkategorie umstandslos „Sozialismus“.
(5) Zum „Substanz“-Begriff vgl. ausführlich
weiter unten im 5. Abschnitt.
(6) Womit nichts prinzipielles gegen eine
auch mathematische Ausleuchtung gesellschaftlicher Probleme ausgesagt werden
soll. Aber in der zunehmenden „Mathematisierung“ nicht nur der bürgerlichen,
rein funktionell reduzierten , sondern auch der „marxistischen“ politischen
Ökonomie“ (forciert von sowjetischen und nicht zuletzt japanischen Autoren)
werden die inhaltlichen, seit langem ungelösten Probleme der Wertform zugedeckt
und ebenfalls funktionell reduziert einer formalen Scheinlösung zugeführt.
Dieses Vorgehen hat die Wertkategorie nicht minder zur blinden Voraussetzung
als die bürgerliche „Volkswirtschaftslehre“.
(7) „Es ist möglich, daß die konkrete
Arbeit, deren Resultat sie (die Ware, R.K.) ist, keine Spur an ihr zurückläßt.
Bei der Manufakturware bleibt diese Spur in der Form, die dem Rohmaterial äußerlich
bleibt. In dem Ackerbau etc., wenn die Form, die die Ware, z.B. Weizen, Ochs
usw., erhalten haben, auch Produkt menschlicher Arbeit, und zwar von Generation
zu Generation vererbter und sich ergänzender Arbeit ist, so ist das dem
Produkt nicht anzusehn. Bei andrer industrieller Arbeit liegt es gar nicht im
Zweck der Arbeit, die Form des Dings zu ändern, sondern nur seine Ortsbestimmung.
Z.B., wenn eine Ware von China nach England gebracht wird etc., so ist die Spur
der Arbeit an dem Ding selbst nicht zu erkennen (außer bei denen, die
sich erinnern, daß das Ding kein englisches Produkt ist). Also in der
Art wäre das Materialisieren der Arbeit in der Ware nicht zu verstehen
(Hier kommt die Täuschung daher, daß sich ein gesellschaftliches
Verhältnis in der Form eines Dings darstellt)“ (Marx 1965 b, S. 141f.).
(8) Natürlich ist diese Ignoranz nicht
etwa auf subjektives Unvermögen zurückzuführen. Solange sich
die Arbeiterbewegung selber noch als Moment, und zwar als vorwärtstreibendes,
der bürgerlichen Entwicklung entfalten mußte, solange konnte sich
auch der „Marxismus“ auf diesen gesellschaftlichen Grundlagen nicht über
die eingangs genannten flachen definitorischen Bestimmungen erheben. Weitergehende
theoretische Antworten wurden nicht gegeben, weil es historisch gar keine weitergehende
FRAGE gab, weil die Wertkategorie noch nicht als objektive Zerstörungspotenz
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zum akuten Problem wurde. Probleme resultierten eher noch aus der MANGELNDEN
DURCHSETZUNG der Wertform, aus den Hemmnissen ihrer Entwicklung. Inzwischen
haben sich die Verhältnisse geändert, der Wert tritt in seiner destruktiven
und krisenhaften Potenz offen hervor. Aber die „marxistische“ Theorie verharrt
noch immer in ihrem vorigen Zustand.
(9) Das Zitat selber stammt aus Lenins Hegel-Konspekt
(Lenin 1971, S. 91). Es zeigt nur ein weiteres Mal, wie die besten Theoretiker
der alten Arbeiterbewegung „überschießende“ Momente hatten, die vom
Durchschnitts-“Marxismus“ bis heute nicht eingeholt worden sind.
(10) „Franklin ist sich nicht bewußt,
daß, indem er den Wert aller Dinge 'in Arbeit' schätzt, er von der
Verschiedenheit der ausgetauschten Arbeiten abstrahiert - und sie so auf gleiche
menschliche Arbeit reduziert. Was er nicht weiß, sagt er jedoch“ (Marx
1965, S. 65).
(11) Die crux dieser Schein-Orthodoxie ist
es, daß sie sich in Übereinstimmung bringen muß mit den unbegriffenen
Resultaten der alten Arbeiterbwegung, speziell der nachholenden bürgerlichen
Entwicklung im „Realsozialismus“. Der Warenfetisch muß heuchlerisch geleugnet
werden für eine Gesellschaft, die gleichwohl noch auf abstrakter Arbeit,
Wert und Geld beruht.
(12) Die Zirkulation drängt sich nicht
nur dem Alltagsbewußtsein, sondern selbst vielen vermeintlich „materialistischen“
Theoretikern als Ausgangspunkt auf, weil sie tatsächlich in der erscheinenden
Oberflächenrealität als Voraussetzung auftritt, obwohl sie logisch
nur Resultat ist.
(13 )Sohn-Rethel wäre auch zu entgegnen,
daß die menschliche Abstraktionsfähigkeit schlechthin, die auch die
Basis des wissenschaftlichen Denkens ist (wie es sich seit der Antike herausgebildet
hat), bereits mit der Sprache gegeben ist. Spezifisch für die Herausbildung
des wissenschaftlichen Denkens hingegen könnte die Entstehung der „Substanz“-Abstraktion
sein, deren Widerspruch, zugleich als „Zugrundeliegendes“ das „Hervorbringende“
zu sein und ebenso aber das Starre, „Unveränderliche“, den gesellschaftlichen
Widerspruch der Warenlogik widerspiegelt (vgl. etwa die Herausbildung eines
abstrakten Gottesbegriffs). Dieser Widerspruch im „Substanz“-Begriff wäre
aber erkennbar eine Widerspiegelung des Widerspruchs der gesellschaftlichen
ARBEIT in der Warenform, im Gegensatz zu Sohn-Rethels Insistieren auf den bloß
zirkulativen Widerspruch von Gebrauchs- und Tauschhandlung.
Literaturliste
(Es wurden nur direkt im Text erwähnte Titel aufgenommen)
1. Althusser 1973: Louis Althusser, Marxismus und Ideologie, Berlin
1973
2. Arndt 1985: Andreas Arndt, Karl Marx - Versuch über den Zusammenhang
seiner Theorie, Bochum 1985
3. Backhaus 1969: Hans Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform,
in: Alfred Schmidt (Hrsg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie,
Frankfurt 1969
4. Backhaus 1978 : Hans-Georg Backhaus, Materialien zur Rekonstruktion
der Marxschen Werttheorie 3, in: Gesellschaft, Beiträge zur Marxschen
Theorie 11, Frankfurt 1978
5. Becker 1972: Werner Becker, Kritik der Marxschen Wertlehre, Hamburg
1972
6. Bernstein 1923: Eduard Bernstein, Der Sozialismus einst und jetzt,
Berlin 1923
7. Brand, Kotzias, Sandkühler u.a. 1976: P. Brand, N. Kotzias
, H.J. Sandkühler u.a., Der autonome Intellekt - Alfred Sohn-Rethels
„kritische“ Liquidierung der materialistischen Dialektik und Erkenntnistheorie,
Frankfurt 1976
8. Bucharin/Preobrashensky 1921: N. Bucharin, E. Preobrashensky, Das
ABC des Kommunismus, Hamburg 1921
9. Deutschmann 1973: Christoph Deutschmann, Der linke Keynesianismus,
Frankfurt 1973
10. Durkheim 19 84: Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen
Lebens, Frankfurt 1984 (Originalausgabe Paris 1968)
11. Grebing 1962: Helga Grebing, Geschichte der deutschen Parteien,
Wiesbaden 1962
12. Hegel 1969: G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik Bd. 1, Frankfurt
1969
13. Hilferding 1974: Rudolf Hilferding, das Finanzkapital, Frankfurt/Köln
1974
14. Hirsch/Roth 1986: Joachim Hirsch, Roland Roth, Das neue Gesicht
des Kapitalismus - Vom Fordismus zum Postfordismus, Hamburg 1986
15. Hoffmeister 1955: Johannes Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen
Begriffe, Hamburg 1955
16. Krause 1979: Ulrich Krause, Geld und abstrakte Arbeit, Frankfurt/New
York 1979
17. Kuczynski 1967: Jürgen Kuczynski. Die Entstehung der Arbeiterklasse,
München 1967
18. Lenin 1970: LW 21, Berlin 1970
19. Lenin 1971: LW 38, Berlin 1971
20. Lenin 1978: LW 27, Berlin 1978
108
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21. Marx 1965: Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, Berlin 1965
22. Marx 1965b: Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1,
Berlin 1965
23. Marx 1968: Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie
(1859), Berlin 1968
24. Marx 1968 b: Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3,
Berlin 1968
25. Marx 1974: Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie,
Berlin 1974
26. Marx 1984: Karl Marx, Das Kapital (Urfassung von 1867), Reprint
Hildesheim 1984
27. Neurath 1919: Otto Neurath, Durch die Kriegswirtschaft zur Naturalwirtschaft,
München 1919
28. Nutzinger/Wolfstetter 1974: H.G. Nutzinger, E. Wolfstetter (Hrsg.),
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29. Pranckel 1985: Peter Pranckel, Anmerkungen zur Marxschen Werttheorie,
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30. Rosdolsky 1968: Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des
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31. Rubin 1973: I.I. Rubin, Studien zur Marxschen Werttheorie (1924),
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32. Sandkühler 1973 : Hans Jörg Sandkühler, Praxis und
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34. Sohn-Rethel 1971: Alfred Sohn-Rethel, Materialistische Erkenntniskritik
und Vergesellschaftung der Arbeit. Berlin 1971
35. Sohn-Rethel 1973: Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche
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36. Steinvorth 1983: Ulrich Steinvorth, Stationen der politischen Theorie.
Stuttgart 1983
37. Tönnies 1979: Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft
(1887), Darmstadt 1979
38. Weber 1985: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft - Grundriß
der verstehenden Soziologie (1922), Tübingen 1985
39. Wolf 1985: Dieter Wolf, Ware und Geld, Hamburg 1985