http://www.oekonomiekritik.de/506Radikale-Kurzschluesse.htm
jungle world 16, 10. April 2002
In einer Zeit, da der Kapitalismus als Zivilgesellschaft verharmlost wird und
Kriege als Interventionen zur Durchsetzung der Menschenrechte bezeichnet
werden, mag die Rede vom »Imperialismus« als besonders radikal erscheinen. In
der Tat haben sich in den neunziger Jahren viele ehemalige Linke, die
inzwischen die Segnungen des Marktes entdeckt haben, vom Begriff des
Imperialismus verabschiedet. Allerdings lässt sich nicht im Umkehrschluss
folgern, dass das Festhalten an den Imperialismustheorien eine radikale Kritik
des Bestehenden garantiert.
Meistens
soll der Begriff des Imperialismus deutlich machen, dass die Politik der
führenden kapitalistischen Länder nicht der Verbesserung der Welt, sondern der Durchsetzung
von Kapitalinteressen dient. Bei jeder militärischen Intervention einer
»imperialistischen Macht« wird von den Imperialismustheoretikern nach den
Rohstoffquellen oder den Routen für zukünftige Pipelines gesucht, um die es
»eigentlich« gehe.
Bei Lenin,
dessen Imperialismustheorie die Kombination des sozialdemokratischen
Vulgärmarxismus seiner Zeit mit der bürgerlichen Imperialismuskritik von John
A. Hobson war, folgte diese Auffassung aus der Vorstellung, der
»Konkurrenzkapitalismus« sei vom »Monopolkapitalismus« abgelöst worden. Nicht
mehr die Konkurrenz und das (unpersönliche) Wertgesetz, sondern die bewusste
Herrschaft der »Finanzoligarchie«, der Vertreter des Finanzkapitals, d.h. der
Verbindung von großem Industrie- und Bankkapital, charakterisiere den
gegenwärtigen Kapitalismus. Und diese »Finanzoligarchie« habe sich auch gleich
noch den Staat unterworfen, staatliche Politik nach außen diene lediglich der
Absicherung des Kapitalexports und der Kontrolle von Rohstoffquellen.
Dagegen
wurde schon oft argumentiert, dass sich der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts
keineswegs als »Herrschaft der Monopole« beschreiben lässt. Die zunehmende
Kapitalkonzentration, der »empirische Beleg« für die Monopolisierung, ist nicht
gleichbedeutend mit dem Verschwinden der Konkurrenz und mit der persönlichen
Herrschaft weniger Monopolisten. Deshalb lässt sich auch die ökonomistische
Staatsauffassung von Hobson und Lenin, denen der Staat in erster Linie als
Instrument zur Durchsetzung der Interessen der Finanzoligarchie galt, nicht
mehr aufrechterhalten. Ökonomistische Staats- und Politikauffassungen sind in
der Linken jedoch auch jenseits leninistischer Strömungen weit verbreitet, so
dass diese Seite der Imperialismustheorie auf weniger Kritik stieß.
Auf Hobson
geht auch ein anderer Aspekt der Imperialismustheorie zurück: die moralische
Kritik an der Ausbeutung fremder Völker (und nicht nur des eigenen) durch den
Imperialismus. Die Rede vom »parasitären« Charakter des Imperialismus, die bei
Lenin eine wichtige Rolle spielt, stammt wörtlich von Hobson. Für einen
bürgerlichen Imperialismuskritiker, der den schlechten, imperialistischen
Kapitalismus durch einen besseren, reformierten ersetzen will, ist eine
derartige Auffassung konsequent, aber kaum für jemanden, der eine
grundsätzliche Kritik am Kapitalismus formulieren will.
In
verschiedenen Gestalten hat sich diese moralisierende Kritik in den neueren
Versionen der Imperialismustheorie erhalten, auch wenn nicht mehr vom
»Parasitismus« die Rede ist. Und wie schon bei Lenin wurde im »nationalen«, auf
einen eigenen Staat zielenden Widerstand der vom Imperialismus ausgebeuteten
Länder ein von vornherein fortschrittliches, weil antiimperialistisches Projekt
gesehen. Zwar war dieser Widerstand in vielen Ländern verständlich, doch das
heißt nicht, dass der Kampf für einen souveränen bürgerlichen Staat irgendetwas
mit Sozialismus zu tun hätte oder gar das Funktionieren des kapitalistischen
Weltsystems unterminierte, was sich etwa die Studentenbewegung einst von den
antiimperialistischen Bewegungen im Trikont versprochen hatte.
Mit ihrer
Verbindung von Ökonomismus und moralisierender Kritik waren
Imperialismustheorien schon früher kein tragfähiges Mittel zur Analyse des
kapitalistischen Weltsystems, heute sind sie es auch nicht. Dass sich
rechtsextreme Gruppen heute als »Antiimperialisten« sehen und den Kampf
»unterdrückter Völker« bejubeln, ist nicht einfach nur ein Diebstahl von
Begriffen. Auch wenn sich linker und rechter »Antiimperialismus« nicht
gleichsetzen lassen, ist die Existenz eines rechten Antiimperialismus zumindest
ein Indiz für grundlegende Defizite der Imperialismustheorien.
Wird
jedoch versucht, jenseits ökonomistischer Verkürzungen vom Imperialismus zu
sprechen, dann bleibt meistens unklar, was mit diesem Begriff analytisch
überhaupt noch gemeint sein soll. Konsequenter wäre es, diesen mit
Vulgärmarxismus, Ökonomismus und Moral getränkten Zopf des Traditionsmarxismus
abzuschneiden.
Damit soll
nicht behauptet werden, dass Herrschaftsverhältnisse und ökonomische Abhängigkeiten
auf internationaler Ebene keine Rolle mehr spielten, wie es etwa die Rede von
einer entstehenden weltweiten Zivilgesellschaft, in der schließlich alles dem
»Recht« unterworfen sei, nahe legt. Solchen affirmativen Konzeptionen durchaus
verwandt ist auch die Überwindung der Imperialismustheorie durch Antonio Negri
und Michael Hardt, und zwar ihre Vorstellung, die verschiedenen konkurrierenden
Imperialismen, welche durch die klassischen Imperialismustheorien zutreffend
beschrieben worden seien, seien durch ein einziges Empire ersetzt worden, das
nicht nur kein Außen mehr kennt, sondern auch keinen Ort der Macht. Der
Ökonomismus der Imperialismustheorien wird damit nicht wirklich kritisiert, es
wird lediglich festgestellt, dass sich die früheren, angeblich klaren
Verhältnisse aufgelöst haben.
Auch in
einer nicht ökonomistischen Perspektive ist hervorzuheben, dass der bürgerliche
Staat als »ideeller Gesamtkapitalist« die Voraussetzungen kapitalistischer
Akkumulation einschließlich der sozialstaatlich vermittelten Existenz einer
Klasse, die ausgebeutet werden kann, zu sichern hat - nicht nur als
Funktionsbedingung des Kapitalismus, sondern als Voraussetzung der eigenen
ökonomischen Existenz des Staates, die an ausreichende Steuereinnahmen,
begrenzte Sozialausgaben und ein »stabiles« Geld gebunden ist.
Allerdings
besteht diese staatliche Sicherung einer gelingenden Akkumulation nicht in der
politischen Wahrnehmung eines bereits fertig vorliegenden kapitalistischen
Klasseninteresses. Was zu dieser Sicherung alles nötig ist, wie deren Vor- und
Nachteile verteilt werden, muss überhaupt erst innerhalb der verschiedenen
staatlichen Institutionen und der »bürgerlichen Öffentlichkeit« ermittelt und
zu einem gesellschaftlichen Konsens gemacht werden. Dieser Konsens betrifft
nicht nur die Zustimmung der großen Kapitalfraktionen zur staatlichen Politik,
er muss immer auch die Zustimmung der subalternen Klassen zu den ihnen
aufgebürdeten Lasten einschließen. Dabei ist die Herstellung dieses Konsenses
aber kein bewusstes Projekt einer alles durchschauenden Gruppe von Politikern,
sondern findet selbst noch innerhalb der Fetischformen kapitalistischer
Vergesellschaftung, der »Religion des Alltagslebens« (Marx), statt.
Auf
internationaler Ebene haben wir es nicht einfach mit einem Zusammenstoß dieser
Staaten und der von ihnen verfolgten Interessen zu tun. Nicht nur sind die
staatlichen Beziehungen inzwischen über eine Vielzahl internationaler
Institutionen vermittelt, auch die zunehmende Internationalisierung des Kapitals,
die wiederum neue, nichtstaatliche Akteure hervorbringt, legt den einzelnen
Nationalstaaten spezifische Restriktionen auf und wird andererseits aber auch
gerade durch deren Politik gefördert. In diesem komplexen Geflecht
vervielfältigen sich die Gegensätze und die Ebenen, auf denen sie ausgetragen
werden. Staaten der Nato, die Krieg gegen einen Dritten führen, verfolgen
vielleicht im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) höchst unterschiedliche
Interessen, die zu einem Handelskrieg eskalieren können.
Staatliche
Macht verschwindet jedoch nicht und wird auch nicht nivelliert. Nach wie vor
können wir von einer US-amerikanischen Hegemonie sprechen, wobei Hegemonie mehr
meint, als nur streng definierte »eigene« Interessen durchzusetzen. Es geht
stets um eine »Ordnung« des kapitalistischen Weltsystems, von der auch andere
(als Lohn für die Akzeptanz der Hegemonialmacht) mehr oder weniger profitieren.
Allerdings zeichnet sich mit der Formierung der EU in Richtung eines eigenen
Staatsgebildes ab, dass den USA langfristig ein nicht nur ökonomischer, sondern
auch politischer Konkurrent erwachsen könnte.
Für die
einzelnen Staaten ist es auf der internationalen Ebene zunächst einmal wichtig,
eigene Handlungsmöglichkeiten zu schaffen und zu erhalten - was man etwa an den
zum Teil krampfhaften Versuchen des vereinigten Deutschlands beobachten kann,
sich an militärischen Interventionen, wie in Somalia, im Kosovo oder in
Afghanistan, zu beteiligen. Die »souveräne« Verwendung militärischer Macht soll
sowohl gegenüber den misstrauischen Verbündeten als auch gegenüber der eigenen
Bevölkerung als Normalität durchgesetzt werden.
Einfluß
nehmen zu können und Dominanz auszuüben sind notwendige Voraussetzungen, um auf
der weltpolitischen Ebene mitspielen zu können. Insofern lassen sich viele
politische und militärische Aktionen, die auf die Sicherung von Einflußsphären
und die Ausschaltung möglicher Gegner gerichtet sind, gerade nicht auf die
Verfolgung bestimmter Kapitalinteressen reduzieren - auch wenn solche
Interessen im Verlaufe dieser Aktionen gerne bedient werden. Wenn man im Fall
eines militärischen Konflikts nach Rohstoffquellen und Pipelines sucht, wird
man zwar immer welche finden, nur ob es sich dabei tatsächlich um die
entscheidenden Ursachen handelt, wie die ökonomistischen Kurzschlüsse der
Imperialismustheorie behaupten, ist damit noch lange nicht ausgemacht.