http://sozialistische-studienvereinigung.frankfurt.org/archiv/maoismus2.html
Maoismus in Ost & West: Tragödie,Farce,Lehrstück?
Beitrag zur Veranstaltung: Die "Große Proletarische Kulturrevolution" in China und
ihre ParteigängerInnen der kommunistischen Aufbauorganisationen in den 1970ern:
Die "K-Gruppen"-Bewegung in der westdeutschen Linken der BRD
(erweiterte, noch nicht abgeschlossene Fassung Ende 2002 P.C.)
Vorbemerkung:
Dieser Beitrag lag vor zum zweiten Teil unserer Veranstaltung vom Mittwoch dem 23.10.2002. Er wurde wegen der vorgerückten Zeit nicht fertig gehalten (in einer Fortsetzung der Veranstaltung als Seminar am 23. 11. 2002 weiter ausgeführt und diskutiert); auch der vorliegende schriftliche Beitrag ist nicht fertig. Wir stellen ihn hier bloß schon mal zur Verfügung, damit sich daran festhalten oder reiben kann, wer zur weiteren Diskussion kommen möchte (März 2003, THEORIE PRAXIS LOKAL Frankfurt am Main).
Die Bezeichnungen "Maoismus" und "K-Gruppen" sind vom Autor nicht pejorativ (abwertend, herabsetzend) gemeint, obwohl sie damals, in den 1970ern, von seiten des DKP-Spektrums, Gewerkschaftsapparats, Trotzkisten und anderen ParteikommunistInnen nur als Beschimpfung ("Maoisten" meist synonym mit "Chaoten") benutzt wurden bzw. von den herrschenden Medien und Soziologen, Politologen etc. als völlig leere Sammelbezeichnung "K-Gruppen", unter die nur die ML-Organisationen fielen, nicht aber etwa die DKP (der man das "K" in den Initialen garnicht erst abnahm). Verständlicherweise waren einige ältere TeilnehmerInnen der Veranstaltung unangenehm berührt ob dieser Bezeichnungen. Der Autor erklärt demgegenüber: der pejorative Beiklang scheint ihm seit einem Vierteljahrhundert hinreichend verblasst und vielmehr mit der Präsenz jener Organisationsformen im wesentlichen untergegangen; dafür bieten sie gewisse Vorteile gegenüber den Selbstbezeichnungen (wie: "Marxisten-Leninisten" und "MaoZedong-Ideen"): Den Maoismus gab und gibt es tatsächlich, wie es den Marxismus und andere Ismen gab und gibt, daran allein ist nichts Schlimmes, wenn auch die Beschränktheit jeweils zu beachten ist (Marx sah sich bekanntlich ausdrücklich nicht als Marxist, "der Leninismus" kam auch Lenin nicht ins Haus; und gerade Mao war es ja, der seine Lobpreisung durch LinBiao in den "Worten des Vorsitzenden" als "geistige Atombombe" und "der größte Marxist-Leninist unserer Zeit" wohlweislich duldete: also "ismischer" ging's nicht!); "die Maozedong-Ideen" (richtiger übersetzt: "das MaoZedong-Denken") sind fraglos für hunderte Millionen nicht nur chinesischer Volksmassen ein subjektiver Faktor kommunistischer Bewegung (Marx: "die wirkliche Bewegung, die den bestehenden Zustand aufhebt") gewesen: daran änderte auch die Missgunst der alten und neuen Revisionisten des "wahren" Sozialismus nichts (Mao dichtete treffend: "Ameisen wollen am Baum rütteln! Leicht gesagt."). Die selbsternannten "ML"-Organisationen in der BRD liessen alle mehr oder minder die Klassikerköpfchen emblematisch mit dem Mao-Profil enden (ausser dem KBW, der von diesen Emblemen überhaupt Abstand nahm) und verteidigten allemal "die MaoZedong-Ideen" (gerade auch der KBW), also steht ihnen der Ehrenname "Maoisten" längst bzw. posthum zu. Die völlig inhaltsleere Formel "K-Gruppen" halte ich hier dennoch für geeigneter als Sammelbezeichnung für das westdeutsche maoistische Phänomen, denn in dieser Adaptation erlitt das maoistische Original unzweifelhaft mehr Bruch als Kontinuität. Gerade letztere sollen ja erklärt, zumindest verständlich gemacht werden.
Irritierend könnte auch für einige der hier zu gebende Literaturverweis auf das Buch des Renegaten Koenen sein.
Gerd Koenen : Das Rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 - 1977. (Köln 2001)
Es ist -- mit Gewinn -- gegen den Strich zu lesen, denn dieses damalige KBW-Führungskader-Exemplar ist nicht bloß eine peinlich ideologisch umgedrehte Plaudertasche, sondern gerade in seiner hoffnungslosen, begriffslosen Oberflächlichkeit ein ganz guter impressionistischer Beobachter und Schilderer der damaligen Atmosphäre und Innensicht und vor allem einer der wenigen Historiker, der das APO-Archiv genutzt hat und einige handfeste Zahlenverhältnisse jener bedeutenden kommunistischen Aufbruchsbewegung in Westdeutschland endlich vor Augen rückt.
Einleitung:
Der "Deutsche Herbst" vor 25 Jahren wird in der bürgerlichen und linken Öffentlichkeit spektakulär halbiert: Das Wunder von Stammheim 1977 wurde längst zum negativen Mythos für die BRD-Repression (repression = engl. für: Verdrängung); die Verdrängung einer radikalen linken Bewegung, die den bewaffneten kommunistischen Aufstand "der Arbeiterklasse und des Volkes" für die Errichtung der Diktatur des Proletariats zu organisieren unternommen hatte (im unüberbrückbaren Gegensatz zur legalistischen, verfassungstreuen DKP und sogar der alten, verbotenen KPD des Max Reimann), setzte im gleichen Zuge ein -- mit dem Verbotsantrag gegen die "K-Gruppen" (KPD/ML, KBW, KABD, "die maoistische KPD"...)1977, gegen den am 9.10. '77 noch einmal 20 000 "machtvoll" demonstrierten, bevor der positive Mythos vom "Marxismus-Leninismus und den MaoZedong-Ideen" in seine konsequente Selbstauflösungsphase überging. Heute sind sowohl diese sehr westliche und zugleich sehr deutsche linksradikale Massenbewegung (allein im KBW organisierten sich ca. 6000 Aktive, Durchschnittsalter um 25; als Katalysator durchliefen 1974 - 80 bis zu 15 000 Linke für eine längere oder kürzere Zeit direkt diese "Schule des Klassenkampfes" -- einen "mächtigen Generator der sozialen Durchwirbelung nach oben wie nach unten" -- --so Koenen; Zahlen aus dem APO-Archiv) wie auch ihr chinesisches Original, die angeblich "zehn chaotischen Jahre"(1966 bis nach Mao's Tod 1976), jeweils Weiße Flecken auf der Landkarte linker Geschichtsschreibung-von-unten.
Und oben , wo die KriegsgewinnlerInnen der "K-Gruppen"-Bewegung angekommen sind? Ein Joscha Schmierer sitzt heute als ministerieller imperialistischer Kriegstreiber im Inneren der BRD-Festung, die er vor einem Vierteljahrhundert mit dem "demokratischen Programm der Kommunisten" zu schleifen angetreten war; der einstige frankfurter KBW-Organisator Koenen möchte "die Welt der K-Gruppen" schlicht als "Die richtigen Wahnsinnigen waren wir"-Syndrom erklären, und die saturierten Wendehälse der ML-Bewegung finden die ganze Episode ebenso peinlich wie ihr staatskapitalistischer chinesicher Counterpart. Aber auch die massenhaft irgendwo links gebliebenen nicht-akkomodierten Loser, KriegsverliererInnen des Neo-Leninismus und ihr restlinker Nachwuchs mögen oder können über jene Jahre nicht sprechen.
Dabei erweisen sich die damals aufgeworfenen Problemstellungen als hochaktuell: die Fragen der kapitalistischen Transformation von Ökonomie bis Kulturrevolution, der Proletarität in der Krise, der neuen Klassenanalyse, der politischen Macht- und Übergangsformen, des weltrevolutionären Zusammenhangs in einer kriegtreibenden Konstellation und, last but not least, effektiver revolutionärer Organisation -- sind kein bißchen obsolet geworden sondern einfach nur unabgegolten: nichts ist gelöst. Im Gegenteil: die Wiederkehr-des-Verdrängten erleben wir seit dem Aufstieg und Niedergang der Autonomen und darauffolgenden Bewegungszyklen wie der Antifa: immer wieder gibt es so etwas wie Neo-MLismus, alle Formen des Sekten-Syndroms sind auch den heutigen Linken nur allzu bekannt (Sekten sind natürlich immer nur alle anderen! aber nie die eigene "bundesweite Organisation": wie kommt man nur darauf??)... Und als Leitmotiv wird immer "die Organisationsfrage" intoniert.
Diese Melodie wurde in der BRD aber genau in jenen Jahren durchgespielt, und zwar mit dem ganzen Einsatz -- theoretisch und praktisch -- einer westlichen KommunistInnen-Generation.
Aus dieser Erfahrung heraus sollten schlußendlich einige Antworten auf alt-neue Fragen versucht werden:
Das sind nur einige Fragen und Problemanrisse, die seit der kommunistisch-organisatorischen Auf- und Abbruchsbewegung der 1970er Dekade erneut aufgeworfen und ein Vierteljahrhundert mehr liegengeblieben sind; die seitherige Entwicklung des (post-)modernen Kapitalismus hat sie zum Teil leichter, zum Teil verwirrender für eine Lösung durch die wissenschaftlichen KommunistInnen aufbereitet.
Der maoistische Impuls wirkte in der BRD damals vor allem so, weil er praktikable Antworten auf diese alten Dilemmata zu geben schien. Solange diese nicht eigenständig von den hier arbeitenden KommunistInnen entwickelt werden, wird auch dieses adaptierte "MaoZedong-Denken" bewusst oder unbewusst "notwendig" sein. (Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, ist verdammt, sie zu wiederholen.)
An dieser Stelle können die angerissenen Fragen und die notwendige Analyse des bedeutsamen Phänomens "Maoismus" nicht annähernd beantwortet werden. Das steht als eine wissenschaftlich-kommunistische Forschungsaufgabe des notwendigen "Erinnerns, Wiederholens, Durcharbeitens" (einschliesslich "Trauerarbeit"! - S.Freud) dieser KommunistInnen erst noch an. In erster Annäherung dieser Arbeit gegen die bisherige Verdrängung können wir hier nur eine thesenhafte Stichwortsammlung als Zusammenschau in analytischer Absicht versuchen, die übers Verstehen ein Erklären, über die Anschauung und Vorstellung ein verständiges Analysieren und eine begriffliche Synthesis bezweckt, ein Begreifen der eigenen Geschichte des BRD-Kommunismus (statt ein Abtun oder eine Stilisierung zum politischen "Familienroman"), das allein zum erneuten Ergreifen und praktischen revolutionären Umwälzen der kapitalistischen Totalität aus unserem Hier-und-Jetzt heraus führen kann.
Es gab Maoismus: Wie war er möglich ? Welche sozial-ökonomischen, politischen, kulturell-mentalen Beweggründe können ihn von heute aus gesehen soweit erklären, dass auch sein Mythos, dessen Wirklichkeitskern und Faszinationsfähigkeit, verstehbar wird?
Zum Boden der Klassenkämpfe um 1970 ff in BRD:
Die "wilden" Streiks September 1969: Ruhrstahl- und Kohle, auch andere BRD-Großbetriebe wurden davon gestreift; 150 000 Streikende für einen aussertariflichen Lohnzuschlag.
Anfang 1972 Metalltarifkonflikt in Baden-Würtenberg.
Ende Mai 1973 leiten die Montage-Bandarbeiter der Mannheimer Landmaschinenfabrik John Deere (zwei Drittel Arbeitsemigranten) einen der denkwürdigsten Kampfzyklen in der BRD-Klassengeschichte ein. Es folgen die ArbeiterInnen der Hella-Werke (Autozulieferer) in Lippstadt und Paderborn. Die Einschätzung aus "Die Andere Arbeiterbewegung" (von Karl-Heinz Roth und Elisabeth Behrens 1974, S.5-13) wirft ein Schlaglicht auf die neue Klassenkampfsituation in der BRD Anfang der 1970er: diese Streiks "waren nur ein Vorspiel für die Streikbewegung in der zweiten Augusthälfte ... Es waren dies erstmals Aktionen, bei denen die Massenarbeiter der metallverarbeitenden und elektrotechnischen Großindustrie, meistens Arbeitsemigranten und Frauen, bis zum letzten Tag in der vordersten Linie standen. Die dreiwöchige Kampagne in mindestens 100 Betrieben hing ausnahmslos von ihren Initiativen ab, zum erstenmal sind autonome Streikkomitees ausserhalb jeder reformistischen Bevormundung in Aktion getreten. Der Anfang wurde zunächst wieder in einem mittleren Zuliefererbetrieb der Autoindustrie, von den 2000 ausländischen ArbeiterInnen der Firma Pierburg in Neuß gemacht ... Kurz danach nahmen 1500 Arbeiterinnen bei AEG-Küppersbusch in Gelsenkirchen... den Kampf selbst in die Hand. Eine Woche später hatten die Kampfaktionen von weiteren Klein- und Mittelbetrieben auf die Automobilindustrie übergegriffen: 19 000 Bochumer Opel-Arbeiter traten 'für 300 DM mehr' gegen ihren Betriebsrat in Streik. Am 24.August reihten sich die Kölner Ford-Arbeiter mit den türkischen und italienischen Bandarbeitern an der Spitze in die Kämpfe ein und legten die Bänder still, um die Wiedereinstellung von 300 wegen Urlaubsübertretung gefeuerten türkischen Genossen, Verringerung der Bandgeschwindigkeit und '1 DM mehr für alle ' durchzusetzen. Am 24. 8. befanden sich 70 000 Metallarbeiter im Streik. Um den Kern der 40 000 Automobilarbeiter hatten sich inzwischen die ArbeiterInnen von Philips/Valvo in Aachen, von Rheinstahl in Bielefeld und Duisburg, mehrerer Eisengiessereien und der Varta-BatterieAG in Hagen, von Buderus in Lolla/Hessen und aus vielen anderen Betrieben gruppiert.
Von der sozialen Zusammensetzung ihrer Aktivisten und von den Kampfzielen her ist die Streikbewegung vom August 1973 fast nirgends mit den Septemberstreiks von 1969 vergleichbar. In den Septemberstreiks hatten die angelernten Arbeiter der Eisen- und Stahlindustrie nur ein bis zwei Tage lang das Heft in der Hand gehabt; sie hatten es schnell an reformistische Arbeiterkader verloren und die sofort einsetzenden Abwiegelungs- und Auffangmanöver der Betriebsräte widerstandslos toleriert. Jetzt, vier Jahre später, hatte sich der Schwerpunkt von Anfang bis Ende der Aktionen auf die angelernten Arbeiter der metallverarbeitenden Massenproduktion, auf die Massenarbeiter verlagert: vor allem Frauen und Arbeitsemigranten, die die größte Mehrwertmasse produzieren und am wenigsten Lohn nach Hause tragen. Im Gegensatz zu 1969 gab es keinerlei reformistische Vermittlungsmechanismen und unmittelbar gegensteuernde Tarifbewegung. Im Gegenteil: jeder Schritt, den die Arbeiter im August ... taten, war diesmal ein Schlag ins Gesicht einer vierjährigen skrupellosen und zynischen Unternehmer- und Gewerkschaftspolitik, die den Massenarbeitern die bescheidenen Konzessionen von 1969 und 1970 längst wieder entrissen hatte... Den Ruhm, die bisher brutalste Aktion gegen die Arbeiter in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte durchgeführt zu haben, können die Manager und IGMetall-Funktionäre des Ford-Konzerns für sich verbuchen. Freilich: es waren auch die Fordarbeiter, die dem Arbeiterkampf in der BRD die bisher klarsten praktischen Konturen gaben."
1974 tritt dann die Krise der BRD-Wirtschaft an den Tag mit sprunghafter Erwerbslosenzahl.
Ein gewaltiger Impetus war ursprünglich schon von der "Bewegung der Besetzungen" (Fabrikbesetzungswelle) im Mai 1968 in Frankreich ausgegangen: das moderne Proletariat war in der westlichen Welt augenscheinlich wieder aktiv da, es griff tatsächlich direkt nach den Produktionsmitteln, dem Kern des kapitalistischen privaten Klasseneigentums, und stellte damit praktisch die Systemfrage=Eigentumsfrage erneut. Diese "Wiederkehr des Proletariats" (als "die Wiederkehr des Verdrängten des 20.Jh." hatten es die französischen Situationisten schon Mitte der 1960er angekündigt) - wenn auch erst in Frankreich (-- auf "das Krähen des gallischen Hahns" verwies schon Marx als Signal für die Möglichkeit der endlich doch einmal "gründlichsten" Revolution gegen die deutschen Zustände durch das Proletariat in Deutschland) - schien jetzt plötzlich Wirklichkeit zu werden.
Die westdeutsche Studentenbewegung von 1967 kulminierte 1968/69 in den "aktiven Streiks" an vielen Unis, die Anti-Springer-Blockadeaktionen 1968 hatten aber wie ein Lauffeuer eine Art Jugendbewegung ausgelöst, die von den Schülern auf die Lehrlinge überging: ein Geist oder wenigstens Bild der Massenstimmung: "revolutionäre Rebellion ist gerechtfertigt!"(Mao).
Lehrlinge, Schüler, Studenten und viel "Volk" trugen rebellische Aktionsformen und Attitüden Anfang der 1970er buchstäblich auf die Straße bei Blockadeaktionen gegen Fahrpreiserhöhungen.
Der SDS war schon 1969 völlig überfordert mit revolutionärer Strategie und organisatorischer Antwort, empfahl mehr oder weniger den "Marsch durch die Institutionen" und zerplatzte schliesslich wie eine Seifenblase. Der herausragende revolutionäre Theoretiker und Praktiker von Format, Hans Jürgen Krahl ("Konstitution und Klassenkampf" 1966-70), kam im Februar 1970 ums Leben.
Die im Herbst 1969 an die Regierung getragene sozialliberale Koalition (Willi Brandt: "Mehr Demokratie wagen!") erliess 1970 Amnestie für "APO-Delikte".
Auf Wink aus dem Innenministerium wurde im April 1969 die DKP gegründet. - Kurz zuvor, genau 50 Jahre nach KPD-Gründung, hatte sich 1968/69 die KPD/ML gegründet und sich sofort in verschiedene Abspaltungen multipliziert. Das KPD-Verbot war faktisch aufgehoben! (Koenen 262ff,283f)
Aus den "aktiven Unistreiks" des Wintersemesters 1968/69 entstand wie ein Lauffeuer eine "Schulungstätigkeit" der "Roten Zellen": sie sahen sich praktisch als quasi-Aufbauorganisationen für eine neue, moderne revolutionäre KP.
"Die Urtexte von Marx und Engels lagen gerade zu unserer Zeit erstmals fast vollständig vor und harrten ihrer Entdeckung". (Koenen) Überhaupt " war erst jetzt nahezu alles in Textform verfügbar, was im 19. und 20. Jh. vom Sozialismus ... Anarchismus .... usw. jemals gedacht und entwickelt worden war -- eine fast einmalige und erstmalige Situation." Die Klassikerlektüre aber wirkte "nach den erstickenden Debatten im SDS ... wie ein Sauerstoffstrom"! Ein Theorieheißhunger vor allem bei Schülern, Lehrlingen, Jungarbeitern ... , denen die "abgehobenen", "unpraktischen" Studenten- und Intellektuellendiskurse überfordernd, verwirrend und organisationshinderlich schienen: die Arbeiterklasse hatte ihr Haupt erhoben und brauchte endlich wieder ihre eigene, revolutionäre Organisation -- so die Stimmungslage bei vielen. Aber welche Organisation? welche hatte in der Geschichte bisher "Erfolg" gehabt (Geschichte der Sieger - "Wehe den Ohnmächtigen!")?!
Vielfach setzte eine kurzatmige Weltanschauungs-Einverleibung ein. "Welche Wahl treffen?" Die Verlagshäuser bedienten rauf und runter das sprunghaft gewachsene Bedürfnis nach dem Bild der Revolution und des Revolutionärs, die spektakuläre Ware "Kommunismus" boomte um 1970 in der BRD (Die DDR kam mit blauen und rotgebundenen Klassikerlieferungen kaum nach; überdies wurden von ihr die gesamten Posten aus der spätstalinistischen und Ulbricht-Ära der DDR-Literatur nach Westdeutschland verramscht und fanden einen Markt von jungen Liebhabern & Kennern des sovjetischen "Goldenen Zeitalters vor dem 20. Parteitag der SU": sogar Reprints und Raubdrucke "antirevisionistischer" AutorInnen der Stalinzeit wurden von BRD-linken Druckerkollektiven besorgt) ...
Die echten TheoretikerInnen wurden weitgehend zu "Seminarmarxisten" und fanden in den nächsten Jahren ihr Auskommen im "Marsch durch die Institutionen" der technokratischen Hochschulreform (Kulminationsjahre flächendeckender, erstklassiger marxistischer Arbeiten zu fast allen gesellschaftlichen und historischen Untersuchungsfeldern wurden als Dissertationen und Habilitationen etc. um 1972-74 abgelegt, bis heute nicht wieder erreichtes polit-ökonomie-kritisches Niveau ! - dann ging fast schlagartig der Theorie-Ofen aus).
Die nicht-einakademisierte, eigenständige "Schulungsbewegung" entlang den "Fünf Köpfen" (MarxEngelsLeninStalinMao) wurde alternativ zu diesem Universitätsradikalismus zum Koordinatensystem 1969-73 für die Parteiaufbau-Initiativen; örtlich entstanden viele "Kommunistische Gruppen" (KGs) und versuchten in den Betrieben Fuß zu fassen.
Nach Umfragen 1969 (siehe Koenen S.184f) war eine "breite ideologische Linkswendung" feststellbar: 30 % der Oberschüler und Abiturienten sowie Studenten sympathisierten erklärtermaßen mit "Marxismus und Kommunismus". "Die jüngeren Brüder und Schwestern der Achtundsechziger waren häufig noch radikaler." Gewiss nicht in der Arbeit des Begriffs, aber unbedingt in der Gesinnung, die aufs Ganze ging und unmittelbar jetzt auf effektive Organisierung revolutionärer Praxis drängte.
Wie konnte der Maoismus als Mode greifen -- und als mehr ?
Es gab sozialökonomische, sozialpsychologische sowie theoriegeschichtliche Elemente des Maoismus in der BRD. Sie können mit den folgenden Thesen eher assoziativ aufgezählt als analytisch auseinandergehalten werden:
These: Der Maoismus war in den chinesischen Verhältnissen - und ermöglichte in den westdeutschen Verhältnissen - eine eigenartige Symbiose von Rebellion und Staatsfetischismus.
Beim Original hiess es allerdings: "Große Unordnung unter dem Himmel" ist ausgezeichnet und muss immer erneut gestiftet werden! In der westdeutschen ML-Adaptation wurde daraus eine Organisationsbastelei von deutscher Gründlichkeit, die in ihrer Ordnungssucht jegliche Spontaneität und Rebellion zu erdrücken geeignet war. Die Pose des "revolutionären Rebellen" diente gleichwohl als Markenzeichen gegen den traditionalistischen und streberhaften Muff (DKP-Spektrum, JuSo usw.) Ästhetisch-kulturell handelte es sich jedoch immer auch um ein mock-traditionalistisches Element: sozusagen Mao-Pop. Dies galt auch für die Regression auf die stalinistische Bilderwelt: sie war zunächst weitgehend "uneigentlich" : Binnen-Pop-Element (schräger Reiz der anti-antiautoritären Provokation-Regression. - Siehe als Retro-Exemplar das Buch "MaoDaDa" von 2000.) Diese kultur-ironische Uneigentlichkeit ging schnell verloren und in Zynismus inmitten einer kulturellen Wüste über (ernstgemeinte Spielmannszüge und ähnlicher Dekor). Die "Tümlichkeit" (Brecht) verströmte einen zunehmend rechten, ja "völkischen" Geruch ... "La Chinoise" aus dem Godard-Film der Sixties hatte in Westdeutschland mit ihrem Mao-Chic auf mittlere Frist keine Chancen (während das in Frankreich bald in die "Postmodernismus"-Reaktion überging).
(Exkurs zum Verständnis der These:) Was ist Staatsfetischismus ?
Recht, Staat und Politik sind in der Marxschen Theorie (erste Formulierung/Begründung MEW 1, 247ff, 400ff, 350-370 ...) die Kehrseite der Gesellschaft des Geldes, "des Mittlers" der warenproduzierenden Gesellschaft, also des perfekten Warenfetischismus, damit der Trennung des Menschen in Privatbürger (Warenbesitzer) und abstrakten Staatsbürger (politisches Tier). Die moderne Sphäre von Recht, Politik, Staatlichkeit ist die notwendige Entfremdung der bürgerlichen Gesellschaft von sich selbst als abstrakte Zwangsgesellschaftlichkeit. Die bürgerliche Revolution kann sich nur als politische Revolution durchsetzen, die Emanzipation, die sie ermöglicht, ist auf Freiheit-Gleichheit-Menschenrechte (allerhöchstens!) in der politisch-rechtlichen Sphäre beschränkt. Für die bürgerlich-bornierte radikale Linke ist die Illusion kennzeichnend, die gesellschaftliche Emanzipation des Menschen sei als "soziale Revolution mit einer politischen Seele" (Arnold Ruge) zu vollbringen: als demokratische Revolution, "Demokratisierung" der ganzen Gesellschaft, "Demokratie bis ans Ende" (so noch Lenin, der "Jakobiner mit dem Volk"): diese linke Staatsgläubigkeit macht sich die gesellschaftliche Allmacht des Mittlers Staat zum Fetisch - der dem Fetischismus der Warenproduktion selbst ebenso "anklebt" (Marx) wie der "König der Waren", der universelle Mittler Geld. Für Fourier und Marx aber verschränken sich letztlich das Kapital, der Staat, die (monotheistische) Religion und die (patriarchalische) Familie zum "Monopol" gegenüber der Gesellschaft selbst als ihr fremde, feindliche Macht, Schranke für die in der modernen Gesellschaft endlich mögliche frei-assoziierte Selbstbestimmung und Entfaltung des gesellschaftlichen Individuums. Marx als der bessere (weil historisch-materialistische) "Anarchist" (Maximilien Rubel) stellt schon 1844 die linke, jakobinistische Ideologie der politischen, demokratischen Revolution vom Kopf auf die Füße: "Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staats, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen. (...) So paraphrastisch oder sinnlos aber eine soziale Revolution mit einer politischen Seele, so vernünftig ist eine politische Revolution mit einer sozialen Seele. Die Revolution überhaupt - der Umsturz der bestehenden Gewalt und die Auflösung der alten Verhältnisse - ist ein politischer Akt. Ohne Revolution kann sich aber der Sozialismus nicht ausführen. Er bedarf dieses politischen Aktes, soweit er der Zerstörung und der Auflösung bedarf. Wo aber seine organisierende Tätigkeit beginnt, wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortritt, da schleudert der Sozialismus die politische Hülle weg." (MEW 1: 401,409)
Angesichts der Erfahrungen des Proletariats in der Pariser Commune 1871 hat Marx aufs schärfste und unmissverständlichste die historische Notwendigkeit des Zerschlagens, Zertrümmerns, Vernichtens, Überflüssigmachens "der Staatsmacht" schlechthin durch "die lokale Selbstregierung" konkretisiert und vertieft (MEW 17,340f): "Daher war die Kommune nicht eine Revolution gegen diese oder jene (...) Form der Staatsmacht. Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war eine Rücknahme des eigenen gesellschaftlichen Lebens des Volkes durch das Volk und für das Volk. (...) Nur die Proletarier (...) waren imstande, das Werkzeug dieser Klassenherrschaft - den Staat - , diese zentralisierte und organisierte Regierungsgewalt zu zerbrechen, (...) die staatliche Regierungsmaschine, zum großen und einzigen Angriffsobjekt der Revolution zu machen. Die Kommune - das ist die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft als ihre eigne lebendige Macht, an Stelle der Gewalt, die sich die Gesellschaft unterordnet und sie unterdrückt (...)"(MEW 17, 541-545ff) Die Marxsche Theorie begreift die politische Übergangs-, Aktionsform der proletarischen sozialen Revolution zur Emanzipation der Arbeit von der Klassenherrschaft ("Monopol") bis zur Entfaltung der kommunistischen Produktionsweise (MEW 546f) als antistaatliche "revolutionäre Diktatur des Proletariats": das ist die Dialektik der Aufhebung, die fast alle Linken, auch "KommunistInnen", nie begriffen haben. Für sie ist dieser Marx "Anarchist", oder sie stutzen ihn sich zum Jakobiner, Bolsheviken zurecht. Sie glauben, sobald der Staat zertrümmert wird, würde das Proletariat hilf- und wehrlos ausgeliefert sein, könne seine Klassenmacht nicht selbst organisieren, denn wo bleibt denn dann ihr Fetisch: "der proletarische Staat" ?! sie können sich eben die Selbstorganisation der arbeitenden Gesellschaft, der Klasse-für-sich-selbst, schlechterdings nicht vorstellen, vor allem nicht in der politischen Übergangsform mit ihrer konkret-historischen Dialektik von Nichtstaatlichkeit und Nochstaatlichkeit ("kein Staat im eigentlichen Sinne mehr", so Engels) mit der Antistaatlichkeit als dem übergreifenden Moment. "Entweder sozialistischer Staat oder Anarchie" - das bleibt nun mal ihr metaphysisch-dualistisches Ja oder Nein. Der bisherige "Marx"-Ismus war -- zeitbedingt bürgerlich borniert, links, demokratistisch -- schlichter Staatskommunismus, besonders dicke gerade in Deutschland, Russland, China ... Den eingefleischten Staatsfetischismus all dieser radikalen DemokratInnen kritisiert noch 1875 (und bis zuletzt) Marx an dem "demokratischen Geklingel" des Gothaer Programms der Sozialdemokratie: es "ist durch und durch vom Untertanenglauben der Lassalleschen Sekte an den Staat verpestet oder, was nicht besser, vom demokratischen Wunderglauben, oder vielmehr ist es ein Kompromiss zwischen diesen zwei Sorten, dem Sozialismus gleich fernen, Wunderglauben." "Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, dass gerade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist - selbst sie steht noch berghoch über solcherart Demokratentum ..." (MEW 19,S.31,29) Damit trifft Marx die vertrackte Vielschichtigkeit gerade des deutschen Staatsfetischismus: eine demokratische, bürgerliche Revolution politisch nie vollbracht zu haben, wo aber bereits die proletarische, kommunistische Revolution sozial fällig ist! Schon vor der 1848er Revolution, die an dieser Aufgabe versagen würde aufgrund der Feigheit, brutalen Dummheit und Verkommenheit des deutschen Spießbürgertums, hatte Marx diagnostiziert: "Es gilt also in Frankreich und England, das Monopol, das bis zu seinen letzten Konsequenzen fortgegangen ist, aufzuheben; es gilt in Deutschland, bis zu den letzten Konsequenzen des Monopols fortzugehen. Dort handelt es sich um die Lösung, und hier handelt es sich erst um die Kollision. Ein zureichendes Beispiel von der deutschen Form der modernen Probleme, ein Beispiel, wie unsere Geschichte, gleich einem ungeschickten Rekruten, bisher nur die Aufgabe hatte, abgedroschene Geschichten nachzuexerzieren. Ginge also die gesamte deutsche Entwicklung nicht über die politische Geschichte hinaus, ein Deutscher könnte sich höchstens an den Problemen der Gegenwart beteiligen, wie sich ein Russe daran beteiligen kann." (...) Deutschland wird sich daher eines Morgens auf dem Niveau des europäischen Verfalls befinden, bevor es jemals auf dem Niveau der europäischen Emanzipation gestanden hat. Man wird es einem Fetischdiener vergleichen können, der an den Krankheiten des Christentums siecht." (MEW 1, 382f, 382f). Wenn Marx die Deutschen Zustände mit der "halbasiatischen Despotie" der Russen vergleicht, weil beide keine demokratische Revolution geschafft haben, so drängt sich uns der Vergleich mit der Erblast der "asiatischen Produktionsweise" (Marx) in China erst recht auf, die das Problem der "Revolution in Permanenz" stellte als Doppelaufgabe: Monopol und Demokratie zu erreichen und zu überwinden zugleich! In sehr verschiedenen Ländern auf sehr verschiedenen Modernisierungsstufen bürgerlicher Vergesellschaftung waren analoge historische und psychomentale Problemstellungen gegeben, die hier wie dort den Staat und "die sozialistische/kommunistische Partei" als den zentralen Hebel und Mittler der ganzen "radikalen" Revolution - ja als "das Monopol" der Gesellschaft überhaupt - erscheinen liessen. Der Untertan als Rebell - der Fetischdiener als freier gleicher Mensch vor Gott ... Am 26.9.1868 schreibt Marx an Engels: "Für die deutsche Arbeiterklasse ist das allernötigste, dass sie aufhören, unter hoher obrigkeitlicher Erlaubnis zu agitieren. Eine so bürokratisch eingeschulte Race muss einen vollständigen Kursus in der 'Selbsthilfe' durchmachen. Andererseits haben sie unbedingt den Vorzug, dass sie die Bewegung unter viel entwickelteren Zeitbedingungen beginnen als die Engländer und, als Deutsche, Köpfe zum Generalisieren auf den Schultern haben." Diese Determinanten der Deutschen Misere für den Parteibildungsprozess des Proletariats in Deutschland hatten sich um 1970 keineswegs verändert sondern in BRD wie DDR nur kumuliert, "sozialstaatlich" modernisiert, weiter deformiert, vertieft, verschärft: aufgeschoben ist nicht aufgehoben! In dieser historischen Konstellation besonders barbarischer deutscher Reaktion in der Praxis und besonders radikaler Revolutionsgründlichkeit in der Theorie (schon ab den Jakobiner-Preussen Kant, Fichte, Hegel und ihrer Revolution-des-Geistes) gedieh der Staatsfetischismus inmitten des "Geistes der Rebellion" als anti-Autoritarismus wie in einem Treibhaus "alternativer" Demokratiegläubigkeit in all den in Bewegung geratenen Gesellschaftsklassen-Schichten und -Elementen, die auf einmal "Demokratie und proletarische Revolution wagen" wollten. Sie "durften" es jetzt, weil im maoistischen China der GPKR die mächtige "volksrepublikanische" Gewähr eines "anderen realen Sozialismus" am östlichen, westlich-medialen Horizont "greifbar" schien ("China - die konkrete Utopie", so nur einer der popularisierenden Buchtitel): der verhasste oder langweilig wirkende, unattraktive, unverarbeitete, tabuisierte "sowjetische Imperialismus" und "Sozialfaschismus" konnte gleichsam im Übersprung (per wöchentlicher Peking-Rundschau) abgefertigt, die Auseinandersetzung mit dem Weg der russischen Revolution "von links" her erleichtert und vereinfacht oder erspart werden, indem man kurzerhand das Kriterium in Anschlag brachte: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Die sich herausbildende links- und rechts-maoistische "Theorie der drei Welten" (die beiden Supermächte USA und UdSSR als Erste, ihr gegenüber die befreiungskämpferische Dritte Welt, als "Zwischenzone" von Westeuropa bis Japan die "antihegemonistische" Zweite Welt) aber ermöglichte manchem für "die Volksrevolution" entflammten deutschen Gemüt sogar das Ausscheren in "die Befreiung der (deutschen) Nation vom Hegemonismus der beiden Supermächte", dem von ihnen auferlegten Besatzungsstatus, "für die nationale und soziale Befreiung" in "einem wiedervereinigten sozialistischen Deutschland" (KPD/ML): eine Frage "der Demokratie", nicht wahr?! Sogar der strikt und hartnäckig gegen jegliche Vaterlandsverteidigung bewusst-neobolshevikisch kämpfende KBW lief nach perfektester Vollendung seiner programmatisch entfalteten "Demokratie bis ans Ende" am Ende konsequent in die BRD-staatstragende (und seine Reste in den 1990ern in die realo-imperialistisch-bellizistische) Schiene ein (ab 1980/81).
These: "Das Volk" ist die begriffliche und bildliche Leerstelle und Projektionsfläche des Maoismus: für Mao selber noch "das weiße Blatt Papier, auf dem sich die schönsten Gedichte schreiben lassen" (!), für die deutschen Maoisten etwas ganz anderes. (Dazu im theoriekritischen Abschnitt.)
Was "Exotismus" psychoanalytisch ist, beschreibt z.B. der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim gut. (Gerd Koenen weist treffend auf "die seltsame Liebe des KBW zu den Bauern. Je abstrakter sich unser Bild von der kommenden großen Gerechtigkeit in Zahlen, Daten und Kurven verpuppte - um so größer unsere Liebe zu den naiven Bauernmalereien. Die Bauernvölker als 'machtvoller Chor' (mit Engels zu sprechen) der proletarischen Revolution in den Metropolen." S.464). Die westdeutsche Provinzialität musste im maoistischen Projektionsbild nicht gänzlich dem Westen preisgegeben werden (USA), sondern konnte sich auf dem Modernisierungs- und Revolutionierungs-Umweg "Der Osten ist rot" ein unerwartetes "Vaterland der Werktätigen" und "Hinterland der revolutionären Völker" gegen den US-Imperialismus und alle seine Lakaien imaginieren - der Vietnamkrieg eskalierte sich ununterbrochen weiter! bis 1975 - , das die praktische, ja vor allem auch pragmatische Vermittlungsgröße für alle internationalen, nationalen und klassenkämpferischen realen Bewegungen darstellen konnte: kein Wahn (wie der Renegat Koenen will) sondern eine damals höchst plausible Wahrnehmungsweise der realen Widersprüche (in) der Welt: buchstäblich endlich "Anleitung zum Handeln" (zumindest schon mal als Kampagnen, Blutspenden, Waffen für die FNL)! Das kommunistische (und subjektiv vehement gewollte) "dreifache radikale Brechen", das in der maoistischen Großen Proletarischen Kulturrevolution (GPKR) vom Proletariat und "den Volksmassen" so eindrucksvoll bewerkstelligt ("bewerktätigt") schien, konnte so hierzulande statt zu überfordern (siehe die altvordern SDSler etc.) unmittelbar endlich in revolutionäre, gesellschaftsumwälzende Praxis eingespeist, umgesetzt werden -- in deutscher Ordentlichkeit und idealistisch-voluntaristischem Rigorismus ...
Die Überforderung der jungen "Achtundsechziger-Nachrücker" war aber gleichermaßen der anhaltenden Deutschen Misere geschuldet: theoretische Überforderung durch die Hypothek der linken Ideologie und Ideologiekritik vom deutschen Idealismus über den dialektischen Materialismus bis zur Kritischen Theorie (immer wieder ist hier auf das "Krahl-Niveau" hinzuweisen: das war entschieden zuviel für die antiautoritären juvenilen Rebellen und "Maos Kleine Generäle" der westdeutschen Provinz!) und Überforderung durch die Bedürfnisexplosion des consumer-capitalism der sixties, von einem linksradikalen Vitalismus ("sexuelle Befreiung" zugleich als Metapher der Verdrängung) à la "Kommune I" zum spektakulären Leitbild für "die Revolution des Alltags" als Norm des Aktionismus und Unmittelbarismus durch die BRD-Medien gesetzt: der Spontaneismus als double-bind in Permanenz ("sei doch gefälligst spontan !!"), als neuer Imperativ der Konkurrenz für eine neue Phase des Kapitalismus der Star-Ware Kultur (Design, Lifestyle, Kreativität etc). Auch hier also nur Verschärfung des alten deutschen theoretisch/psychomental/sozio-ökonomischen Widerspruchs für eine politisch-aktivistische (jakobinistische=linksradikale) Revolution:
"Einer radikalen deutschen Revolution scheint indessen eine Hauptschwierigkeit entgegenzustehn. Die Revolutionen bedürfen nämlich eines passiven Elements, einer materiellen Grundlage. Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. Wird nun dem ungeheuren Zwiespalt zwischen den Forderungen des deutschen Gedankens und den Antworten der deutschen Wirklichkeit derselbe Zwiespalt der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staat und mit sich selbst entsprechen? Werden die theoretischen Bedürfnisse unmittelbar praktische Bedürfnisse sein ? Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen. Aber Deutschland hat die Mittelstufen der politischen Emanzipation nicht gleichzeitig mit den modernen Völkern erklettert. Selbst die Stufen, die es theoretisch überwunden, hat es praktisch noch nicht erreicht. Wie sollte es mit einem salto mortale nicht nur über seine eignen Schranken hinwegsetzen, sondern zugleich über die Schranken der modernen Völker, über Schranken, die es in der Wirklichkeit als Befreiung von seinen wirklichen Schranken empfinden und erstreben muss? Eine radikale Revolution kann nur die Revolution radikaler Bedürfnisse sein, deren Voraussetzungen und Geburtsstätten [in Deutschland] eben zu fehlen scheinen." (MEW 1, 386f)
Diesem Reifekriterium für eine kommunistisch-proletarische Revolution in der BRD war auch um 1970 kaum etwas hinzuzufügen: die Deutschen Zustände waren nie aufgehoben worden. Diese Wirklichkeit schien sich zunächst mehr zur "Demokratie-bis-ans-Ende" zu drängen statt zur antistaatlichen revolutionären Diktatur des Proletariats; und hatte nicht gerade Rosa Luxemburg die Formel geprägt: Keine Demokratie ohne Sozialismus und kein Sozialismus ohne Demokratie! ? Die MaoZedong-Ideen schienen dieser Wirklichkeit näher und zugleich dem Kommunismus als volksstaatlich-konkret vorgestellter Utopie von Produktionsgemeinschaft als "Kommune" und Staatsparteistaat. Die maoistischen BRD-RevolutionärInnen versuchten also damit den salto vitale aus der Deutschen Misere heraus zu verwirklichen. Die Wirklichkeit der 1970er Jahre und die Kriterien der wissenschaftlich-kommunistischen Marxschen Theorie haben den maoistischen Großen Sprung als salto mortale in den demokratisierten Kapitalismus erwiesen. Indessen ist aber auch die Demokratie zugleich mit ihrer Durchsetzung und Verinnerlichung "bis ans Ende" gekommen ... Der post-modernisierte Kapitalismus braucht sie nicht mehr, wie sie schon der "demokratische Zentralismus" bald nicht mehr brauchte (Lenin 1921 auf dem 10.Parteitag, während der Sovjet von Kronstadt in Blut erstickt wurde: "Hier oder dort mit einem Gewehr, aber nicht mit der Opposition ... wir haben genug von der Opposition.")
These: Der Maoismus ist ein Militarismus der Partei, aber stets ideologisch von der"orthodoxen" Repräsentation des Hegemons "Proletariat" geführt: "Dem Volke dienen!" , "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen." und: "Niemals dürfen die Gewehre der Partei befehlen!" sondern immer nur umgekehrt. In Westdeutschland verselbständigte sich der maoistische Militarismus tendenziell in den "Partei"-(Aufbau-)Organisationen als Repräsentation des "Parteibildungsprozesses des Proletariats" (Marx) zu einer Stellvertreterinnenpolitik - die das "aus den Massen schöpfen, in die Massen [wieder] hineintragen"-Prinzip des chinesischen Originals ersetzte durch eine Art fichteanisch-preussisch-befreiungskriegerisch verinnerlichtes Parteisoldaten-Ideal: "dem Volke dienen", ohne dass "das Volk" diese "Diener" akzeptiert. (Konsequent sind heute viele dieser "Revolutionäre" zu Staatsdienern geworden.) - (Besonders konzentriert tritt dieser "kategorische Imperativ" im Maoismus der RAF-Ideologie zutage, die konsequent militaristisch-deutschjakobinistisch unterging. Maoismus als "innere Haltung" in den vernagelten Deutschen Zuständen. Beide Richtungen kreuzten sich im "Deutschen Herbst" für einen Augenblick.)
Die Hegelsche und Marxsche Dialektik ist in den "MaoZedong-Ideen" übertragen ("übersetzen" lässt sie sich nicht) in eine andere, höchst kunstvoll pragmatische Denkweise und Methode "der richtigen Behandlung der Widersprüche im Volke" und allererst "zwischen dem Volk und dem Feind" (Kriegskunst von SunZi, subversive antikonfuzianistische volkstümliche Dialektik des Dao ...). Letztinstanzlich stützt sich Mao immer auf "das chaotische Ganze" (Marx) der "Volksmassen": "Die Massen sind die wahren Helden, wir selbst aber sind naiv bis zur Lächerlichkeit. Wer das nicht begriffen hat, wird noch nichtmal die elementarsten Kenntnisse erwerben können" usw. Bei den deutschen Maoisten war es genau umgekehrt: alle Kenntnisse, die sie sich aneigneten, brachten sie als penetrante selbsternannte Lehrer der Massen in Einsatz ("KBWichtig" - der Spitznahme traf empfindlich).
Die historische Leistung des Maoismus war für China sicherlich: das Ausbrechen aus der "asiatischen = stagnativen Produktionsweise" (Marx) -- gegen die kapital-imperialistische Halbkolonialisierung und Durchdringung, die diese Stagnation nicht aufhob sondern in noch gewaltigeres Massenelend verwandelte -- mit den Mitteln und auf dem Boden der Tradition der Bauernaufstände wie zugleich des "Himmelskaisertums"=der asiatischen Despotie. Dieser revolutionäre Massengewaltakt war eine Quadratur des Kreises: Rebellion gestützt auf Despotismus -- und umgekehrt.
These: Das maoistische "Modernisierungsmodell" (himmlisch autorisierte Rebellion gegen alle irdischen Autoritäten) kam sozialpsychologisch den Deutschen Zuständen jener Zeit entgegen: der widersprüchlich aufgeladenen Gemengelage der 1970er: von Rebellion - Militanz - Organisation, von Bedürfnisexplosion und Über-Ich-Implosion ... Zwischengenerationen des Anti-Autoritarismus fanden in ihrer Aufgabe einer "Quadratur des Kreises" ein Paradigma beim maoistischen Lösungsversuch und seinen probaten Maximen, und dieses "Modell" wurde über seine damalige Popularität hinaus auch von ernstzunehmenden linken kritisch-wissenschaftlichen "Autoritäten" (wie z.B. Prof. Charles Bettelheim) marxistisch "ausgewiesen"...
Die maoistische Spezialideologie (die hier nicht darzustellen ist) bot den Vorzug, "das Kriegführen im Kriege zu erlernen": die wissenschaftlich-kommunistische Theoriearbeit konnte mit diesem Postulat einerseits suspendiert werden, andererseits aber scheinbar unmittelbar zur "Magd der Praxis", sprich: Parteiaufbauorganisation des Proletariats, gemacht und in diese "ordentlich" eingebaut, ja selber erst organisiert werden: als "ideologischer Aufbau" und praktisch "Schulungs"-Hierarchie. Sie konnte das deshalb, weil ihre Lehre von den "Haupt- und Nebenwidersprüchen" -- die in China selbst schon auf das Allerweltsrezept "Eins teilt sich in Zwei [und nicht umgekehrt!]" heruntergebracht worden war -- das schwierige Dialektik-Erlernen über Hegel, Marx, Lukács usw. zu ersparen schien (d.h.: offenbar "die Krahl-Sackgasse" vermeidbar erscheinen liess) und die stets und überall mögliche unmittelbare praktische Anwendbarkeit von Mao's "Über den Widerspruch" zu gewährleisten versprach. Allerdings wiederum nur, wo das handelnde Subjekt diesen Anwendungs- und Experimentier-Willen, stets im Rahmen "der Beschlüsse der Organisation", mit größter Kühnheit und Entschlossenheit verinnerlichte. Das war das letztinstanzlich entscheidende Kriterium, dass es nicht beim "Bücherwissen" blieb: "der Sprung" in jedes Praxisfeld, jedes gesellschaftliche Spektrum, in das die Partei dich schickt. Im Peking-Rundschau-Deutsch: "Die 'Wer keine Angst vor Vierteilung hat, wagt es, den Kaiser vom Pferd zu zerren'-Haltung". Diese "Haltung" war zwar so von Mao formuliert, aber ihre Verkörperung war für die westdeutschen MLer nicht so sehr Mao, sein jugendlicher Muster-Parteisoldat LeiFeng usw., sondern das kollektive Über-Ich vom "Bolshevik".
Der BRD-Maoismus war im Kern ein Neo-Leninismus. "Der Leninismus" und sein mythologisches Bild (als "Familienroman" des KomIntern-Kosmos festgeschrieben in der "Geschichte der KPdSU(B) / Kurzer Lehrgang" von 1938) aber war stets nur die Erfindung von Stalin, ist also Stalinismus pur (dazu im weiteren unten). Dieser konnte im Maoismus aber erst "poststalinistisch" nach "links" hin in einer falschen Aufhebung erträglich -- und damit erst die ganze deutsche Misere auf neue Weise für diese jungen Leute "erträglich" werden. (Die Selbstmordrate war ausserhalb der K-Gruppen in der Linken der Siebziger Jahre ungleich höher, in den ML-Organisationen fast Null (Koenen, 447f Fußnote). S.Freud würde von "Schiefheilungen " der Psychoneurosen sprechen). Man konnte sich wirklich ein paar Jahre lang wahrnehmen als "kämpfende Abteilung des Weltproletariats", und diese Selbstwahrnehmung war kein Wahn, keine Einbildung, keine "Konstruktion", wenngleich die Selbstzuschreibung, "die kommunistische Avantgarde" in der BRD zu sein, eben nur eine Verkennung der wirklichen Stelle im wirklichen Parteibildungsprozess der wirklichen Arbeiterbewegung war. Aber sie konnte sich sehen lassen, diese ordentliche und ernsthafte kleine Abteilung, und braucht sich vor den karrieristischen HalluzinatorInnen und elitistisch-etatistischen ManagerbürokratInnen des heutigen "Posthistoire"-Kapitalismus der enthemmten post-demokratischen Zivilgesellschaftsbarbarei schon mal garnicht historisch zu verstecken.
(Zur sozialpsychologischen Analyse der Deutschen Zustände in BRD Anfang der 1970er: P.BRÜCKNER; A.KROVOZA 1972 (zusammengefasst auch zit. bei H. DAHMER in "ANALYTISCHE SOZIALPSYCHOLOGIE" BAND 2, S.703): "STAATSFEINDE"-Bild & westdeutsche Selbstbilder der Proletarisierten; bundesrepublikanische Formierung der spektakulären Warenproduktion mit dem Phantom "die Terroristen" als Kern des sich herausbildenden "integrierten Spektakulären" (G.Debord 1988))
These: Die überkommene Chimäre der "kommunistischen" Parteistaatspartei ermöglichte tatsächlich die intensive Selbstausbildung / Professionalisierung eines Schubs neuer Führungskräfte für die Herrschaft übers Proletariat
Die wirkliche Schwierigkeit und Zumutung der wirklichen (=wirkenden, wirksamen) Vermittlung der wissenschaftlich-kommunistischen "Einsicht in den allgemeinen Gang und die Resultate der Gesamtbewegung" (abgesehen von der eigenständigen Erarbeitung dieser Einsicht selbst, die nicht irgendwo einfach "in der Praxis" liegt -- das natürlich auch und primär, aber eben niemals "ready cooked and dried" (Engels) --, sondern erst wissenschaftlich erarbeitet werden muss, d.h. den Erfahrungen der wirklichen Bewegung entnommen und in ihren Gesetzmäßigkeiten durchschaut, mit der Methode dialektischer analytischer Abstraktion und synthetischer Konkretion "als Wissenschaft studiert werden muss", wie die BegründerInnen des Wissenschaftlichen Kommunismus, bisher leider vergeblich, betont haben -- das ist das Gegenteil von "Schulung" und Akademie !) mit den Bewegungen "der Arbeiterklasse und des Volkes", deren common-sense-Bewusstsein usw., schien plötzlich mittels der maoistischen Parteirolle lösbar: einfach indem man die vorhandene massenhafte Rebellion (siehe oben Beispiele jener Jahre) in "den Zylinder" (Trotsky) der "Partei"-Organisation irgendwie hineinlenkte ("Massenorganisationen", "Kader"="Rahmen"), um diese "Teilkämpfe" zentral im bewaffneten Aufstand schliesslich zur maximalen Wirkung zu bringen, gewissermaßen in konzertierter Aktion. Die Fixierung auf die Eroberung "der" Staatsmacht als Dreh- und Angelpunkt für jede gesellschaftliche Umwälzung führte aber nicht zur theoretischen Auseinandersetzung mit Staatlichkeit und konkretem BRD-Staatsapparat sowie vor allem der Geschichte der Niederlagen der proletarischen Revolution gegenüber dem Staat, sondern stattdessen eher zur Ausbildung einer eigenen Gegen-Staatlichkeit-in-nuce, tendenziell einem Staat-im-Staate-Modell: Parteiaufbau als Aufbau des parteigeführten "Zukunftsstaats" (ein sozialdemokratischer Ausdruck, den Marx kritisiert hatte). Als z.B. der KBW diesen Mini-Staat schon beinahe perfekt aufgebaut hatte, liess er ihn ratlos zerplatzen und kroch direkt in den bestehenden Staatsapparat der BRD hinein.
Die Parteiaufbau-Anstrengungen führten unterm Strich zu einer grandiosen Selbstprofessionalisierung dieser "Generation" (mit den ungeheuren Verschleiss- und Reibungsverlusten solcher start-up-Unternehmungen).
Damit erfüllten diese Organisationen in der kapitalistischen Modernisierung der BRD-Gesellschaft eine Katalysatorfunktion: Koenen spricht zutreffend von einem "Professionalisierungsfanatismus" (er schildert ihn an Beispielen wie der KPD (AO), S.289, auch der MG, S.314, sogar der SDAJ, S.273, und vor allem dem KBW: damit stellte sich auch in diesen Organisationen wie in jeder Firma eine Statushierarchie der Qualifizierten und Unqualifizierten her: S.123f, 200ff, 205f, 223f, 425f, 472f). Dies natürlich vor allem als Publizistik-Betrieb: galt doch seit den Tagen der "Iskra" die Zeitung, "das Zentralorgan", als "kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator", als Zentralnervensystem des Parteiaufbaus. Während die informelle und formale Kaderhierarchie das Rückgrat war: "Ist die ideologische Linie festgelegt, dann entscheiden die Kader alles"(sic Stalin, Mao) -- d.h. nicht als Befehlsgeber, sondern als ExekutorInnen dieser Linie, möglichst gut funktionierende FunktionärInnen also, tendenziell selber "rote Experten", mit deren Qualifizierung alles steht und fällt. Dieses Organisierungskonzept aber führte tendenziell zu einem geschlossenen System der Arbeitsteilung-als-bornierte-Vollendung. Die eigentliche Aufbauleistung dieser Organisationen war mithin eine publizistisch-ideologische Rotationsmaschine, sie funktionierte sogar ohne formellen Apparat: waren z.B. schon bei der KPD (AO) frühzeitig "die Elemente der Entstehung eines Staatsapparats" innen sichtbar (Koenen S.288), so kam der KB-Nord sogar bis 1980 ohne offizielles, demokratisches "Leitungsgremium" aus (Koenen S.307)!
Insbesondere im KBW wurden die Recherche und Publizistik-Technik für Produzenten wie für Konsumenten (LeserInnen) dieser "Vermittlungsleistungen" geradezu eine "Wissenschaft für sich": in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre tummelten sich Tag und Nacht die GenossInnen "an den in großen Stückzahlen angeschafften Texas-Instruments-Rechnern und Redactron-Geräten in einem bundes- und europaweiten Netz von 'Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung' ", um der Arbeiterklasse in einem riesigen Ausstoß von Druckerzeugnissen die Notwendigkeit vorzurechnen, dem drohenden Krieg durch die Revolution zuvorzukommen: das MaoZedong-Denken verwandelte sich da in eine Denkungsart perfektionierter Rechenhaftigkeit ... "Wir wurden eine Art Computerkids lange vor den ersten PCs" fasst Koenen zutreffend dieses Bild einer sich selbst kapitalistisch modernisierenden Geschwisterhorde zusammen. Die ursprünglichen maoistischen Begrifflichkeiten wie "Arbeiterklasse" und "Volk" wurden in einem solchen Professionalisierungsprozess immer ausgehöhlter und schliesslich als leere Hülsen politisch abgestreift, durch die Formeln einer bürgerlich "zu sich gekommenen" Demokratisierung ersetzt (Leitbild kompetenter, qualifizierter "Citoyen/nes" in den 1980ern).
So nimmt sich nach dieser Seite, vom Ergebnis her betrachtet, ein Teil jener Bewegung als Selbstqualifizierung eines neuen Stabs von Führungskräften für die Bourgeoisie aus: als eine Art Selbstausbeutungstechnokratinnen und politischer KrisenmanagerInnen für den Ausgang des Jahrhunderts.
Prototypus dieser MLer aber waren die parteilich(-protostaatlichen) VolkserzieherInnen, die sich nach der Devise "Dem Volke dienen" ebenso vorbildlich-bolshevikisch aufzuopfern bereit waren, wie sie vom "Volk" für seinen Befreiungskampf jedes Opfer erwarteten (so wie die beispielgebenden "Befreiungskämpfe der Völker der Dritten Welt" es ja schliesslich ständig vor Augen führten). Die KP bzw. ihr Aufbau-Äquivalent aber bleibt als einzige revolutionäre Instanz für die Beantwortung der kitzligen Frage, die Marx neu gestellt und beantwortet hat (Thesen ad Feuerbach: MEW 3, S.5f), nämlich: Wer erzieht die Erzieher ?!
Leninisten und Maoisten vergessen zwar durchaus nicht (was Marx dem bürgerlichen Materialismus vorwirft), dass der Erzieher selbst erzogen werden muss, aber sie gehen bzw. bleiben dennoch entschieden hinter Marx' Postulat zurück, dass die revolutionäre Praxis das Werk der Arbeiterklasse selber sein muss und nicht durch eine Organisation von StellvertreterInnen repräsentiert, ersetzt werden kann. Und weil genau diese Grunddoktrin der Kautskyschen Orthodoxie, dass das revolutionäre Bewusstsein mittels der orthodoxen Theorie "von aussen" ins Proletariat hineingetragen werden müsse, um aus der spontanen und ökonomistisch beschränkten sowie bürgerlich-politisierten Praxis der Klassen- und Volkskämpfe eine allseitige revolutionäre Praxis zu machen, seit Lenin's "Was tun?" für den gesamten ML das unumstößliche, unhinterfragbare Axiom bildet, müssen sie doch wieder "die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr erhaben ist - sondieren" (MEW 3, S.6). Die Kardinalfrage "Wer erzieht die Erzieher ?" wird vom ML dann so "gelöst", dass zwar in letzter Instanz "die Partei" es ist und sein muss, die "die Massen" erzieht, aber eben dadurch ermöglicht und legitimiert, dass sie sich ja auch selber von diesen erziehen lasse und sich immerfort darum bemüht, "sich sogar bis zu einem gewissen Grade mit dem Proletariat zu verschmelzen" (man bedenke nur !!), wie Lenin diese fast schon Selbstaufgabe der ErzieherIn des Proletariats würdigt und -- fordert. Denn ob dieser hochherzige Ethos, dieser edle Selbstanspruch auch tatsächlich die Praxis der Parteikader bestimmt und kennzeichnet, steht schliesslich auf einem ganz anderen Blatt, muss bloße Selbstverpflichtung bleiben. Deshalb bedarf es ja wiederum einer weiteren Erziehung-der-Erzieher-Instanz (die Stalinschen "Kontrollkommissionen" mit ihren Kader-Akten usw. usf.) in einer Schachtelungs- und Säuberungs-Eigendynamik ohnegleichen in Raum und Zeit, womit die Selbstreinigung des Erzieherapparats und die Reinigung der zu erziehenden Klassen-Massen in Permanenz erfolgen soll. Reinigung wovon ? Von allem, was dem Proletariat und "dem Volke" fremd ist und ihm nicht wirklich dient, von verborgenen Klassenfeinden und Volksschädlingen also, von "fremden Ideologien" und "Einstellungen" usw., die ja nun gerade deshalb so gefährlich infektuös sind, weil "die proletarische Ideologie" (die sowas wie wissenschaftlichen Kommunismus, wissenschaftliches theoretisches Denken, Forschen und Diskutieren höchstens dem Namen, der Beschwörung nach auch irgendwo noch mitbehinhalten soll) und "der Klassenstandpunkt des Proletariats" ab Kautsky & Lenin eben nun einmal unumstößlich selbst als etwas den arbeitenden Klassen Fremdes, Äusserliches und eben deshalb immer nur "von aussen Hineinzutragendes" gesetzt sind: eben als "orthodoxer Marxismus", allmächtig = wahr und in-sich-abgeschlossen, den die nichtproletarische, berufsrevolutionäre Parteistaatspartei-Elite qua "Schulung" und "Erfahrung" mit Löffeln gefressen bzw. in den Genen hat. Der bolshevikische "Schwertbrüder-Orden" (sic Stalin) bedarf allein aufgrund dieser Konstruktion (Repräsentation des Proletariats als tendenziell allmächtig=allwissende Instanz der Volks(staats)erziehung, legitimiert einzig durch den Anspruch, sich selbst von den Repräsentierten erziehen zu lassen und ihnen als Kader=Rahmen für ihre Interessenorganisierung zu dienen) in allerletzter, höchster Instanz eines Erziehers-aller-Erzieher, eines Führers-als-der-Mittler (Messias, Prophet, Erleuchteter, Tribun etc.), der sowohl den "Klasseninstinkt" und "Volksgeist" am reinsten verkörpert, d.h. Fleisch vom Fleische "des Volkes" ist, als auch das "Fremde", von aussen=oben Kommende, den Heiligen Geist des Höchsten Wesens ML, welches in "die Massen" hineinzutragen sei, mithin tendenziell Allmacht=Allwissen der Orthodoxie (das Wissen der Erlösung, die höchste, magische Fähigkeit der unmittelbar-konkreten Umsetzung dieser "theoretischen Prinzipien" in "die revolutionäre Praxis" von Klassenkämpfen und "Realpolitik") hütet und reinerhält (ja sogar stets als Einziger, weil genial und mit diesem geheimnisvollen Mana ausgestattet, auch mal ein bisschen "weiterentwickeln" darf: "Wir sind keine Dogmatiker! - Hier ist Marx überholt."). Das kautsky-leninsche Modell der staatsparteilichen Erziehung-der-Erzieher stellt sich als eine Schlange, die sich in den Schwanz beisst, dar: der Avantgarde-Kopf ist die orthodoxe Führung, der Leib-Schwanz, an dem er saugt und den er wieder speist, ist "die Arbeiterklasse und das Volk". (Fast ähnelt diesem Bild unbewusst das Hammer-und-Sichel-Emblem, von den meisten ML-Gruppen geradezu als Markenzeichen geführt, mit oder ohne religioides Venus-Sternchen darüber, bei KPD/MLs gerne auch noch in mythischer Dreierverbindung mit dem Gewehr. Aber in seiner Durchbrochenheit erscheint dieses Symbol unbewusst realistischer: bleibt doch die Trennung von Avantgarde-Kopf und Massen-Leib für das ML-Modell konstitutiv.) - "Der Leninismus" -- der, man muss es immer wieder betonen, nie etwas anderes als die Kreation Stalins war -- stützte sich zunächst nur auf diesen "Kopf", der sehr schnell zum bürokratischen Wasserkopf eines kollektiven staatlichen Volkserziehers wurde. Von der ursprünglichen Leninschen Intention ausgehend (an die er glaubte), hat Georg Lukács eine Kennzeichnung des Stalinismus (den er in der SU durchlebt/überlebt hatte) versucht ("Marxismus und Stalinismus" 1970, S.172f); von dieser augenfälligen Oberfläche des "Kopfes", des "Erziehers der Erzieher" her die reale partei-staatliche Erziehungsleistung überprüfend richtete sich dabei seine Analyse über den Stalin-Kultus, "über die Person hinaus auf die Organisation: auf den Apparat, der den 'Personenkult' produzierte und ihn dann als eine unablässige erweiterte Reproduktion fixierte. Ich stellte mir damals Stalin als die Spitze einer Pyramide vor, die, sich nach unten immer verbreiternd, aus lauter 'kleinen Stalins' bestand, welche von oben aus gesehen Objekte, nach unten gerichtet Hervorbringer und Garanten des 'Personenkults' sind. Ohne reibungsloses Funktionieren eines solchen Apparats wäre der 'Personenkult' ein subjektiver Wunschtraum, ein Gegenstand der Pathologie geblieben, er hätte nie zu jener gesellschaftlichen Wirksamkeit erwachsen können, die er jahrzehntelang ausübte." Lukács relativiert zunächst, gerade auch mit Blick auf den Maoismus, den er 1963 ebenfalls als eine Erscheinungsform des kommunistischen Sektierertums kritisiert: "Wir sprechen hier natürlich nur von den höchst wichtigen, auf vielen Gebieten dominierenden subjektivistisch-sektiererischen Momenten der Stalinschen Politik und Organisation. Denn wäre dies ihr ausschliesslicher Inhalt geblieben, hätte Stalins Herrschaft sich unmöglich Jahrzehnte hindurch erhalten können. Hier handelt es sich aber nicht um die historisch gerecht abgewogene Einschätzung dieses Regimes, sondern mir geht es darum, seine sektiererischen Züge zu demonstrieren. Und diese treten auch bei an sich richtigen Verfügungen klar hervor. (...) So verzerrt der Stalinsche Dogmatismus auch Forderungen, die aus an sich richtig erfassten Prämissen gezogen wurden. Das Verhältnis von Theorie und Wirklichkeit wird völlig getrübt und wirkt gerade auch deshalb auf das selbstherrliche Subjekt des Dogmas zurück. Der sektiererische Defätismus, der ein allgemeines Kennzeichen der Stalinschen Methode ist, der defätistische Unglaube an die selbständige Aktionsfähigkeit der Massen, an die Möglichkeit, etwas von ihnen lernen zu können, schlägt hier um (...) So entsteht um das einsam gewordene Subjekt des sektiererischen Dogmatismus eine erstickende Atmosphäre des Misstrauens; die Periode der großen Prozesse kann -- wenigstens psychologisch -- nur aus einer solchen Atmosphäre verstanden werden. Aber dieses Misstrauen, das seiner inneren Struktur nach ein überspannter Subjektivismus ist, schlägt, wenn die subjektiven Wünsche sehr stark sind, in eine ebenso subjektivistisch grundlose Leichtgläubigkeit um (...) Diese innere Widersprüchlichkeit des zum herrschenden System gewordenen subjektivistischen Sektierertums produziert in seiner Praxis nicht nur diesen Widerspruch, sondern noch eine ganze Reihe ähnlicher Widersprüche. Der schon oft als grundlegend erwähnte Defätismus [was das Vertrauen auf die Selbstinitiative und revolutionäre Handlungsfähigkeit der Massen betrifft, meint Lukács] lässt z. B. die propagandistische Praxis in einen ärarischen [=staatseigenen, staatlich-staatstragenden] Optimismus umschlagen. Der Grund ist leicht einzusehen. Der dogmatische Subjektivismus der stalinschen Methode kann unmöglich -- wie bei Marx und Lenin -- die Praxis zum Richter der Theorie machen. Die Praxis muss vielmehr unter allen Umständen die subjektivistischen Dogmen bestätigen. Ist dies in der Wirklichkeit nicht der Fall, so muss der Apparat für den Anschein sorgen. So wird überall (...) die Zielsetzung, die Perspektive als Realität dargestellt. (...) Aus dieser Struktur des Denkens und des Handelns folgt auch die tiefe Inhumanität der Stalin-Zeit. (...) Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die Anhänglichkeit der chinesischen Kommunisten an die Stalinschen Methoden und deren historische Entstehung darzustellen. Uns genügt die Tatsache, dass nach der kurzen Episode der Hundert Blumen, die blühen sollten, der Stalinsche Geist des Sektierertums sich in allen Dokumenten der chinesischen Kommunisten mit steigender Eindeutigkeit äussert. Der 'Große Sprung' war bereits ganz nach diesem Muster geplant und durchgeführt; auf sein notwendiges Scheitern folgte nur eine Radikalisierung derselben Methode." (S.200ff; Lukács schrieb dies drei Jahre vor der chinesischen "Kulturrevolution", auf die selber er dann nicht mehr direkt eingegangen ist).
Doch entgeht einer solchen Fixierung auf die Stalinsche Erziehungsdiktatur durch den Apparat der parteistaatlichen Repräsentation -- eine Fixierung, die auch die Analyse der Situationisten 1966 hinsichtlich der "Kulturrevolution" als einer Art ideologischer Explosion des "konzentrierten Spektakels" im gebannten Blick auf die ultra-stalinistische Kehrseite der massenrevolutionären Fassade festhält -- gänzlich die entscheidende Modifikation, ja eigentlich konkrete Besonderheit der chinesischen Revolution in der maoistischen Form, die sie seit dem "Modell" Yen-an in den 1930/40er Jahren angenommen hatte: ursprünglich dort zwar als "Militärkolonie", aber zugleich eben entscheidend gestützt auf die Massen mit den Bauern der Dorfarmut als treibender Kraft, gestützt auf die aktive Teilnahme von Frauen und Kindern (wie es Edgar Snow und andere frühzeitig authentisch geschildert haben), und nicht zuletzt gerade gegen die Stalinsche Kollaboration mit dem konterrevolutionären Regime der chinesischen Kompradorenbourgeoisie und Großgrundbesitzer etc. praktisch wie theoretisch durchgesetzt. Gerade dem maoistischen Stalinismus (für den sicherlich Protagonisten wie Mao's enger Kampfgenosse Kang Sheng seit jener Zeit bis 1976 als Geheimpolizeichef stehen, selbst eine Kreatur des moskowitischen KomIntern-Apparats durch und durch, sich aber auf die Seite der Mao-Gruppe, später auch der Shanghaier Linken stellend, gerade weil er am genauesten wusste, womit er es zu tun hatte) ist die nach aussen hin verdeckte, nach innen jedoch offene Opposition gegen Stalins Politik und Hegemonismus von Anfang bis Ende eingeschrieben (siehe z.B. die Positionierung der Stalin-Kritik in "Mao intern" S.37ff: "Die chinesische Revolution hat gegen den Willen Stalins den Sieg errungen. ... nach der Methode von Stalin hätte die chinesische Revolution keinen Erfolg haben können. Nachdem unsere Revolution zum Erfolg geführt hatte, behauptete Stalin wiederum, es handle sich nicht um eine wahre Revolution (...) Zur Zeit jedoch, als wir dann die 'Richtige Behandlung der Widersprüche im Volk' aufbrachten, haben wir uns darüber ausgelassen [ob das eine echte Revolution war oder nicht] und sie nicht; sie behaupteten sogar noch, wir betrieben Liberalismus, anscheinend ging uns wieder die Echtheit ab. (...) Es gibt sowohl Einheit als auch Widersprüche. Die Sowjetunion betont Einheit und redet nicht von Widersprüchen, besonders nicht von Widersprüchen zwischen Führern und Geführten." so Mao 1958 (S.41f) Und schon 1956 keine besonders "stalinistische" Kritik an Chrushtshov's "Entstalinisierung" und der Geschichte des ungarischen Aufstands: "Sie [in Ungarn] haben unbesehen die Methoden der Sowjetunion kopiert und sich nicht um die konkrete Situation gekümmert; so sind Fehler aufgetreten. Daher lässt sich die Lehre ziehen, dass wir gestützt auf die allgemeine Wahrheit des Marxismus-Leninismus in Verbindung mit der konkreten Situation in China vorgehen wollen. Wir verbreiten die Parole, von der Sowjetunion zu lernen; niemals aber haben wir vorgebracht, wir sollten von deren rückständigen Erfahrungen lernen. Gibt es bei ihnen denn rückständige Erfahrungen? Die gibt es; die Liquidierung von Konterrevolutionären z.B. ist von ihren Behörden für Öffentliche Sicherheit erledigt worden. Bei uns haben das die Behörden und Schulen besorgt, sie wurden von den lokalen Parteikomitees geführt, die hauptsächliche Verantwortung hat nicht bei den Behörden für Öffentliche Sicherheit gelegen [d.h. bei der Geheimpolizei]. Wir haben alle mobilisiert, diese Aufgabe mit fliegenden Fahnen erledigt, sie [in der SU dagegen] haben es im Geheimen besorgt. (...) Ihr [die Staatspartei-Kader] habt eure Bitterkeiten, die Arbeiter haben die ihren. Die Regierung muss die Ansichten beider Seiten hören." (S.29) Mir will post festum und bei näherem Hinsehen auf die sehr weit auseinanderliegenden konkreten Bedingungen der damaligen Staatssozialismen / Staatskapitalismen in Ungarn, SU und China scheinen, der Unterschied zwischen der "marxistisch-leninistischen" ambivalenten Stalin-Apologetik und zugleich Stalinkritik eines Lukács hier und MaoZedong dort ist garnicht so riesig gewesen, wie es sich aus beider Blickwinkel damals ausnahm. Der gravierende Unterschied liegt vielmehr aufgrund des Vorhandenseins und Nichtvorhandenseins bereits einmal durchgesetzter bürgerlicher Demokratie in den jeweiligen Gesellschaften genau darin, dass Lukács den Stalinismus durch "Sozialismus und Demokratisierung" vermittelt, d.h. durch Ausbau sozialistisch-rechtsstaatlicher Gesetzlichkeit (statt perennierend gehaltener "Bürgerkriegsmethoden", die überkommene Willkür des geheimpolizeilichen Kerns des "sozialistischen" Parteistaatsapparats), also durch gesellschaftliche Selbsterziehung zu sozialistischer Zivilisierung, trockengelegt sehen möchte, während MaoZedong schon damals einen eher barbarisch gefärbten Demokratismus der "verbitterten" Massen ewig Zukurzgekommener der stagnativen chinesischen Gesellschaft artikuliert, der nur mit Brachialgewalt ("kein Deckchenhäkeln") und "notwendigen Übertreibungen", Entfesselungen eine im Leninschen Sinne "Kultivierung mit barbarischen Mitteln" stoßweise durchsetzen kann, die allerdings so gut es geht mit den stalinistisch-geheimpolizeilichen Apparatstrukturen und "sozialistischen Erziehungsbewegung"-Kampagnen und vor allem mit viel Strategie und Taktik zwischen chinesischer Kriegskunst und Palastintrigen in und von diesem Erziehungsdiktatur-Netz aus zusammengehalten und zusammengezogen werden kann.
Zu erklären ist immer noch, wie beide poststalinistischen Stalinismuskritiken in der BRD auf fruchtbaren Boden auftrafen in einer Gemengelage von anti-autoritärer Aufbruchsstimmung, nie vollendeter radikal-demokratischer Revolution in Deutschland, der Situation regierungsamtlichen Versprechens von "Mehr Demokratie wagen" und dessen gleichzeitiger Dementierung Anfang der 1970er (siehe oben zur Klassenkampfverschärfung; dazu muss dann auch der "Radikalenerlass" usw. mitbetrachtet werden) und der neo-leninistischen Wende aufgrund der massiven Frustration und Desillusionierung der "Neuen Linken", die Ekel und Wut angesichts des großangelegt greifenden sozialdemokratischen Manövers um 1970 "in Hass verwandelten" und daraus Energie für einen kommunistisch-organisatorischen Neuaufbruch bezogen. Aber die von Lukács inspirierte Stalinismuskritik konnte in der BRD bei der Generationenfolge der nicht mehr vom SDS direkt geprägten radikalen Linken nicht greifen, sie riss mit dem Tod von Krahl für den Rest des Jahrhunderts ab (das Hauptwerk von Lukács 1970 ist schon garnicht mehr rezipiert worden, bis heute nicht, wo es auch noch nichtmal mehr verfügbar ist); im schroffen, spektakulären Gegensatz dazu konnte aufgrund der Bilder von der wildbewegten Massenumwälzungspraxis der "Großen Proletarischen Kulturrevolution" hierzulande der Eindruck von einer Theorie entstehen, die unmittelbar die Marxschen Feuerbachthesen beim Wort zu nehmen schien ("Die Revolution anpacken, die Produktion fördern!" -- so das maoistische Korrektiv zur "revolutionären Rebellion"-Erlaubnis) und damit effektiv auch den hässlichen Stalinismus überwand. Für diese politische Generation aber wurde dadurch die tiefergehende Kritik, ja die Kritik am Stalinismus überhaupt gegenstandslos, hatte man einmal das neo-leninistische "Modell" gewählt. Die "30%" Stalin-mit-hässlichem-Gesicht konnte man allemal noch wegstecken, das nahm der "fundamentalen" marxistischen Stalinkritik einfach den Wind aus den Segeln; der Rest, der 70%ige Stalin aber, schien plötzlich dadurch wundersam geradezu rehabilitiert. Ebenso im Handumdrehn war mit einer neuen, "chinesischen" Stalin-Apologie plötzlich die langwierige, qualvolle und anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der NS-faschistischen Deutschen-Vergangenheit und ihrer Kontinuität in der BRD-Gesellschaft zu erledigen: damit hatte man nichts mehr zu tun, berief man sich auf die Chiffre "Stalingrad" für den welthistorischen Sieg des sozialistischen und demokratischen Fortschritts über die finsterste, deutsche Reaktion ("Stalin bricht Hitler das Genick!" hatte Thälmann lakonisch-prophetisch festgestellt): die Selbstidentifizierung mit der Stalinschen SU im Nachhinein, mit dem richtigen Großen Vaterländischen, schien flugs das ganze Problem der Deutschlinken zu lösen (so wie heute die Selbstidentifizierung mit "Bomber-Harris" etc.), erübrigte das richtige, radikale Durcharbeiten, die historisch grausam-gründliche Trauerarbeit .... Damit war wiederum die bedingungslose Apologetik der "bolschewisierten" KPD in verschiedenen positiv-kritischen bis unkritisch-legendenhaften Formen ermöglicht, deren marxistisch motivierte radikale Kritik nun einfach unter "Antikommunismus" und Opportunismus gegenüber dem NS abzubuchen war .... (Noch die neo-MListischsten aller Antifas in den 1990ern, die AABO, lebten von der ästhetischen Substanz des Bildes vom Rotfrontkämpferbund).
These: Im Kern ist das ost-westlich Gemeinsame, Verbindende und Suggestible des Maoismus die stalinistische "Ausschaltung der Vermittlungen" zwischen Theorie und Praxis (die am gründlichsten Lukács herausgearbeitet hat -- zunächst in: "Marxismus und Stalinismus" S. 177-190,195 - 201), der eine brutale Verkürzung der Theorie-Auffassung, ein pragmatistischer, voluntaristischer Unmittelbarismus der "Praxis"-Vorstellung zugrundeliegt. Es ist auch der kleinste gemeinsame Nenner von K-Gruppen- und Neo-MLismus: undialektischer Theorie/Praxis-Dualismus bei Diskriminierung der wissenschaftlich-kommunistischen Theoriebildung; Antiintellektualismus; statt Subjekt/Objekt-Vermittlung subjektivistische Manipulation.
Dieser Komplex kann hier nur benannt werden und muss letzten Endes als die entscheidende Achillesferse des alten wie neuen MLismus grausam-gründlich diskutiert werden (als Abschluss des theoriekritischen Teils), denn hier handelt es sich um das eigentliche Lehrstück der maoistischen Bewegung(en), und wir erleben in der BRD seine gespenstische Wiederkehr als Farce im Niedergang der derzeitigen "autonomen Antifa" bei jungen Leuten, die vom ML überhaupt nichts wissen wollen: genau deshalb glüht er bei ihnen auf und aus. Es ist Stalinismus ohne Stalin (heute: statt maoistischer Stalinismus eher Anarcho-Stalinismus). Im Kern heisst das: wissenschaftlich-kommunistische Theoriebildung, ja Theorie überhaupt wird diskriminiert, wie der klassenanalytische Popanz des "kleinbürgerlichen Intellektuellen" (im post-maoistischen Autonomen-Argot: des Hirnwixers, dominanten Sesselfurzers usw. usf.) als Projektionsfigur in Permanenz gezüchtigt wird, während der (damals leninistische, seither bakuninistische) Kader-der-Professionals der selbstzweckhaft fortgesetzten Pseudopraxis zur immer hilfloseren, frustrierenderen, blindwütigeren, bloß symbolisch-aktionistisch-spektakulären Reaktion-auf-die-Reaktion verkommt. Die zyklische Selbstbewegung dieser Selbstverblendung "der Militanten" hat in den vergangenen dreissig Jahren lediglich einen Formwandel von der Bezugsgröße "Volk/Völker" zur umgekippten Bezugsgröße "antivölkische Politgang" -- vom "revolutionären Kollektiv" der Sekte zum vereinzelten Einzelkämpfer im Gangland der sich professionalisierenden Polit-Poser à la frontline durchgemacht (natürlich nur als Tendenz). In den selbstausbeutenden Teams dieser politmanagerialen Selbstprofessionalisierungsbewegung der Gegenwart (den KrisenmanagerInnen und GewaltpräventionsexpertInnen von morgen), die zunehmend nur noch die dumpfesten, theoriefeindlichsten Elemente des Machertums in ihren Reihen dulden, ist die vollendete Spaltung zwischen akademischer "Theorie" einerseits und pragmatistisch-aktionistischer Manipulation auf virtuell-spektakulärer Ebene, die als emphatische Praxisvorstellung weiterspukt, andererseits, fast völlig verinnerlicht und wirkt um so "effektiver", nachhaltiger als gelockerter (coolness des Konkurrenzindividuums das sich allseitig chamäleonartig verkauft -- gerade auch politisch-korrekt, Lebenskunst der perfekten Selbstinstrumentalisierung; Militanz muss "Spass machen" und Militante müssen "nett" sein) Gruppendruck; die Schiefheilungen werden komplizierter in dieser Ichbildungsveränderung der repressiv-entsublimierten tendenziell multiplen Persönlichkeit. "Organisierung" wird nunmehr direkt und schamlos offen zum Ersatz von Theoriebildung. In dieser Tendenz liegen sowohl Kontinuität als auch Bruch mit dem Maoismus verborgen. Die Kritik des Neo-MLismus, der sich hauptsächlich in Gestalt der "autonomen Antifa" seit Anfang der 1990er blind reproduziert, ist aber erst kontrastiv zum Original und dessen Analyse möglich. (Die Reste der aus den 1970ern übriggebliebenen K-Gruppen sind fast ausnahmslos schroff in Richtung Neue Rechte gegangen -- bezeichnenderweise ist dagegen die de facto "anti"-deutsche ML-Gruppe "Gegen die Strömung" keine maoistische sondern eine "albanistische" Sonderbildung der rigorosesten Stalin-Regression, während auf dem Gegenpol des Rest-MLismus die RIM so "rein" maoistisch ist, dass bei ihr nur noch die "Weltdörfer" übrigbleiben für eine "Internationale" der antiimperialistischen "neudemokratischen" Möchtegern-Regimes nebst einer völlig zur "internationalistischen" Militärpartei verkommenen putschistischen Repräsentation "des Proletariats", wobei jedoch wiederum auf ein subproletarisches Segment gesetzt wird ("Marxism-Leninism-Maoism Is A Motherfucker" heisst für diese Neo-Gang-of-Four aus abenteuernden Angestellten und politisierten Pimps-&Hustlers-Typen schlicht: damit können Wir Alles machen = Unsere Omnipotenz- und Gewaltphantasien eines schönen Tages verwirklichen), also näher besehen eine bizarre Regression vom eigentlichen Maoismus auf Viererbandenkult und LinBiaoismus) -- indem alle deutsch-maoistischen Restbildungen ihr Leitbild der Alten Arbeiterbewegung positiv konservieren und gegen die wirkliche Neuzusammensetzung des Proletariats, besonders gegen die mental-kulturelle "Aufmischung" und "Zersetzung" der "deutschen Arbeiterklasse" sowie den welthistorischen Kern des Stalinismus, die Lebenslüge vom "Sozialismus in einem Lande" als Wunschperspektive eines irgendwo "aufzubauenden" Vaterlandes "des werktätigen Volkes" usw. mit der dazugehörigen in sich geschlossenen gesunden "sozialistischen Kultur", in der die Welt noch/wieder in Ordnung gebracht ist und gegen "fremde", "dekadente" usw. Krankheitskeime wie sexuelle Devianten, Popkultur und sonstige in ihren Augen perverse Ausschweifungen durch staatssozialistische ("national-sozialistische" nannte Trotsky diese Vision treffend) Bevölkerungspolitik und allseitige mentale Manipulation des "Arbeiterstaats" abgeschirmt und permanent gesäubert wird, krampfhaft als Utopie "einer" in den "sozialistischen" Nationalstaat eingesperrten, antiindividualistisch formierten Arbeiterklasse-der-Faust-und-der-Stirn festhalten müssen. Ökonomistisch-kulturalistisch wird die Immigration "ins deutsche Volk, in die deutsche Arbeiterklasse" von ihnen wahlweise als "Lohndumping" und "multikulturelle Zersetzung der Klasseneinheit" (oder so ähnlich) als große Überflutungs- bzw. Ausblutungsgefahr und Infektionsherd bekämpft (wie z.B. von dem Neurechten Heiner Karuscheit der ehemaligen "Neuen Hauptseite Theorie"); oder die ominöse "kleinbürgerliche Denkweise" wird in den Reihen der MLPD seit Jahren als das mentale Grundübel der proletarischen Welt ausgemerzt, weil sie das gesunde Arbeiterempfinden vergifte und dem Ungeist des Individualismus in den Volksmassen Vorschub leiste; während wieder andere Alt-MLer sich besonders auf den Kampf "gegen den aggressiven Homosexualismus", für entschiedenste Verfolgung der überall unsichtbar hinter jeder Ecke lauernden und den gesunden Bestand der Familie zersetzenden Kinderschändergefahr sowie für eine sozialistische Bevölkerungspolitik in Deutschland u.a. kapriziert hat ... Sie alle können eben Sozialismus immer nur gemäß der Formel Stalins fassen: "sozialistischer Inhalt in nationaler Form" inklusive "Nationalkultur" im antiimperialistischen Völkerfrühling, Herstellung und Wahrung von Ordnung und Sauberkeit allüberall, vor allem in der gesundzuerhaltenden Kern- und Keimzelle "der" Gesellschaft: Ehe & Familie und zwar bittesehr strikt heterosexuell und endlich wieder ganz "normal"; der Kommunismus, den Marx auf den wissenschaftlichen Begriff als "wirkliche Bewegung" und Tendenz bringt, die sämtliche Nationalität wie auch Familialität und sonstigen Bindungen und Schranken für die freie Entwicklung der selbstbestimmten assoziierten gesellschaftlichen Individualität und Hindernisse für deren gegenseitig gleichberechtigte und selbstbestimmte Bedürfnisentfaltung und -befriedigung niederreisst und darin gerade sogar das Zerstörungswerk des modernen Kapitalismus nach Kräften begrüßt und unterstützt -- dieser wissenschaftliche Begriff der communistischen Revolution ist den altvorderen ML-Miefern deutscher Provenienz sowieso immer fremd geblieben, können sie doch nur in diesem romantisch-antikapitalistischen Muff noch atmen. Den antimodernistischen Bratkartoffel-MLern, die immer nur in den Kategorien "der Nation" und "ihrer" Klassen, "ihrer" Kultur usw. denken können, weil die ML-Bewegung nie die Dialektik von demokratischer, damit auch nationaler bürgerlicher Revolution und communistischer = proletarisch-antistaatlicher und damit auch demokratie-aufhebender (!) und nationen-auflösender Weltrevolution bewältigt hat, spiegelverkehrt extrem entgegengesetzt begreift der Neo-MLismus, für den Demokratie den äussersten politischen Gesichtskreis bezeichnet und "Nation" sowieso nur als subjektives "Konstrukt" weggekürzt werden kann (schön wär's ja!), die wirkliche historische Übergangsproblematik überhaupt garnicht: der simple Subjektivismus der "anti"-deutschen Antifa bildet sich ein, "für den Kommunismus" wäre schon genug getan, indem alles, was dem/der Pop-Linken nicht passt, als politisch unkorrekter Lifestyle mit negativem Vorzeichen versehen (zum Beispiel "der Wert" als Surrogat fürs Kapital und seine wirkliche Kritik) und in den Orkus der falschen semiologisch-kulturell-moralischen (also subjektiven -- aber die Dialektik von Subjektivität und objektiver Wirklichkeit gibt es für den postmodernistischen Konstruktivismus/Dekonstruktivismus ja nun eben par décret du Mufti garnicht mehr) "Konstrukte" geworfen wird -- als da sind: Rassismus, Antisemitismus, Sexismus etc. sowie ohnehin "Politik" und "Ökonomie", ja am besten die ganze zu "dekonstruierende" miese und geschmacklose "Wirklichkeit" ... Übrig bleibt dann eben auch nur der beliebig linksnietzscheanistisch zu legitimierende "Wille zur Macht", eine durchzusetzende Definitions- und Signifikations-Macht in der Konkurrenz von Trendforschungs-Gangs, die sich gewissermaßen im ständigen "Kampf zweier Linien" befinden: was aber bei ihren historischen VorläuferInnen, der "Shanghaier Mafia" bzw. "Gang of Four" der maoistischen "Kulturrevolution", eine bizarre kulturalistische Manipulationspraxis (z.B. den Verschwörer LinBiao 1972ff mit dem Konfuzianismus zu identifizieren, den "Ultralinken" als "in Wirklichkeit Ultrarechten" zu denunzieren) im Dienste der "Weiterführung des Klassenkampfes unter der Diktatur des Proletariats" gewesen war, ist bei unseren ignoranten LinksnietzscheanerInnen die mit deutscher Gründlichkeit zur Perfektion getriebene Denunziationskunst gegenüber allen rivalisierenden "Linksdeutschen", ihr eigentlich rechtes Wesen zu entlarven (obwohl es ja im Grunde für sie gar kein Wesen geben darf, weil das "essentialistisch" wäre). Der allgegenwärtige "Kampf zweier Linien" ist beim Neo-MLismus zum Handgemenge mit der allgegenwärtigen "Querfront" geworden. In dieser völlig zur Wissenschaft und Profession für sich gewordenen "Polemik" der linksradikalen, in "Wirklichkeit" aber fast ausnahmslos rechtsradikalen, weil heimlich doch deutschen=antisemitischen Gangs soll nun wahrlich und wahrhaftig der Kampf "für den Kommunismus" ganz automatisch subkutan auch schon bereits enthalten sein. Gegenüber den "klassischen" ML-VolkserzieherInnen und Lehrern der Menschheit "in nationaler Form" sind die unbewusst auf einen Neo-MLismus regredierten "anti"-nationalen Klüngel in der BRD um die Jahrhundertwende zur Kenntlichkeit publizistischer Reeducators-in-spe gegen "die Arbeiterklasse und das Volk" geworden, die sie bestenfalls theoretisch ignorieren (praktisch sowieso), schlimmstenfalls zum Objekt längst fälliger Züchtigung durch westlich-zivilisierende Staatlichkeit zurichten helfen möchten. So sind die Neo-Leninisten mit und ohne Repräsentations-"Partei", für und gegen "das deutsche" Proletariat oder Volk, in jedem Falle über die Köpfe der Volksmassen hinweg, mit oder ohne Stalin und Mao, bewusst oder unbewusst, alle miteinander zu einem immer erhabeneren Teil der Gesellschaft geworden, die sie mit ihrer "radikalen Polemik" zurechtweisen und züchtigen wollen, und dulden nun überhaupt keine Erziehungsinstanz mehr über und unter sich: der Blitz des Gedankens ist ihre theoretische Sache endgültig nicht mehr, aber der naive Volksboden, auf den man einschlägt, hat für sie ja auch "nicht wirklich" Wirklichkeit; so kommt erst heute die schlechte Seite des alten Leninismus-Stalinismus-Maoismus in den missratenen Enkeln der Deutschen Linken Misere zu sich: der deutsche voluntaristische Jakobiner-Subjektivismus (eines J.G.Fichte:) mit seiner klassisch-idealistischen Maxime "Um so schlimmer für die Wirklichkeit."
Es gilt an dieser Stelle zur Kritik der maoistischen (=ML-) Theorie (in der BRD) überzugehen.
Das kann hier auch nur erstmal ein brainstorming entlang Stichworten sein.
(Die sicherlich elaborierteste Ausformung, nämlich die Programmatik des KBW, gibt hierzu die Folie ab):
"Arbeiterklasse" und "Volk" weitgehend begriffslose Formeln geblieben.
Bei Marx, d.h. im Fundament des wissenschaftlichen Kommunismus, ist der Begriff von "Volk" & "Volksmassen" ein klassenanalytisch geführter öffnender Begriff zur jeweils konkret-historischen Bestimmung der Gemengelage einer zu untersuchenden Totalität von Klassen und Schichten in einer besonderen, prozessierend-widersprüchlichen Konstellation und Situation; dabei bleibt er stets auch historisch-übergreifend durchgängige (aber keineswegs "metahistorische", metaphysisch-substanzialistische) "vernünftige Abstraktion", die gegen jegliches idealistische und/oder mechanische Abheben vom historisch-materialistischen Movens ("Die Volksmassen machen die Geschichte, nicht Große Persönlichkeiten oder Strukturen etc. als solche, als Determinatoren allein") immer wieder in Stellung zu bringen ist. So kritisiert Marx insbesondere die typische Formel von Lassalle, nach der "das Volk" (besonders in den deutschen Zuständen!) lediglich als "eine reaktionäre Masse gegenüber der Arbeiterklasse" zu betrachten und zu behandeln sei. Schon Marx setzt demgegenüber revolutionsstrategisch auf die Möglichkeit, "to back the proletarian revolution by some second edition of the peasants' war", was das damalige Deutschland betrifft, noch entschiedener, was die Möglichkeit eines Übergangs von der (mehr als) rudimentären russischen Bauerngemeinde zu einem modernen Kommunismus bei Überspringen des qualvollen Weges der westlichen kapitalistischen Transformation betrifft ... Gerade bei MaoZedong ist diese Flexibilität der Begrifflichkeit "Volksmassen" wieder aufgenommen, aber zugleich angesichts der chinesischen Klassenstarre (aus der "asiatischen Produktionsformation" überkommen, wie Marx sie gefasst, Stalin und Mao sie aber wiederum in "Feudalismus" umdefiniert haben) auch mythologisch verengt ("Yü-Gung versetzt Berge"): hierbei wird "das Volk" jeweils nach aussen aktuell als im Hauptwiderspruch gegen "den Imperialismus" definiert, d.h. immer zugleich als "die chinesische Nation", nach innen aber historisch gegen die Erblast des Mandarinats = staatsbürokratisches "Intellektuellen"-Beamtentum sowie im Westen studiert habende Modernisierungsintellektuelle einschliesslich KomIntern-Zöglinge/-Adepten, die vor allem den Bauernmassen fremd und überheblich gegenüberstanden (anfängliche KPCh als "Studentenpartei" und bürokratisches quasi geheimbündlerisches Anhängsel der GuoMindang="Staat-Volk-Partei" bis 1927, wo sie die Arbeiterbewegung in die Massaker geführt hatte...). Grundlegend für "den Intellektuellen" als inneren Feind des Volkes im permanenten Kampf-zweier-Linien sowie als klassenanalytisch späterhin auf den neunten Rang der Skala degradierte "stinkende Nummer 9" -- so im "Volksmund" der ausgehenden GPKR-Sprachregelung der "Shanghaier Linken" -- waren Mao's "Ansprachen in Yen-an über Literatur und Kunst" vom Anfang der 1940er: solche Intellektuellen bilden sich ein (- so Mao dort: -) Arbeiter und Bauern würden stinken, umgekehrt sei es: sie seien klassenmental selber die Stinker, solange sie sich nicht der radikalen Ummodelung durch "das Volk" (dessen degenerierten Teil, fast schon parasitären Auswuchs sie darstellen) unterwerfen, indem sie sich mental auf "den Standpunkt der Arbeiter und Bauern stellen" lernen. Dies sei nur möglich durch systematisch-rotierende körperliche Arbeitsteilnahme im unmittelbaren stofflichen Produktionsprozess sowie durch "Gedankenreform" (im Westen dann "rotchinesische Gehirnwäsche" genannt) in der Unterwerfung unters Kollektiv der "Neuen Demokratie"="demokratischen Diktatur des Volkes" und "sozialistischen Erziehungsbewegung" (später: GPKR) ...
Die chinesischen Maoisten waren immer deshalb entschiedenste Anti-Trotzkisten, weil für sie der Untersatz jeglicher proletarischen-Revolutions-Möglichkeit ihr Kult von "Volk" und "Völkern" blieb: der "Dritte-Welt"- bis "Drei-Welten"-Mythos als Basis ihrer Strategie der Weltrevolution (Lin Biao' s Konzeption: "Weltdörfer gegen Weltstädte" ins Feld führen!- Ultra-Maoismus bei KhieuSamphan & Pol Pot. - Präsident Gonzalo's "Sendero Luminoso" usw.). Der ganze "Stalinismus von unten", wie ihn vor allem die politikwissenschaftlichen Abkömmlinge der "Budapester Schule" im Australien der 1980er theoretisch-analytisch herausgearbeitet haben, beruht auf diesem Basis-Theorem und dieser fixen Vorstellung des Maoismus in allen seinen Spielarten, das monolithisch vereinheitlichte "Volk" der werktätigen unmittelbaren Produzenten des stofflichen Reichtums gegen die "Kompradoren- und bürokratische Kapitalistenklasse" fremder Blutsauger an der vom Imperialismus bedrückten Nation in den Volkskrieg unter der Hegemonie der arbeitersoldatisch organisierten Militär-KP zu führen, bei misstrauischer "Heranziehung" und (Selbst-)Umerziehung der genetisch von vornherein "bürgerlichen/kleinbürgerlichen" Intellektuellen in "proletarische", die "dem Volke dienen" lernen.
Diese Dichotomie von sauberem Arbeiter-Bauern-Volk in der unmittelbaren stofflichen Produktion auf der einen Seite und schmutzig-degeneriertem, blutleerem, abgehoben-bücherwurmigem sowie konfus-schwankendem, wirrköpfigem, unklar sich ausdrückenden wie gewunden denkenden, unberechenbarem, unzuverlässigem, undiszipliniertem, hinterhältigem, zersetzendem usw. usf. Intellektuellen auf der anderen Seite der kapitalistischen Gesellschaft, der den lebenskundigen kämpfenden Massen was womöglich marxistisch Angelesenes erzählen will aber dabei nur "naiv ist bis zur Lächerlichkeit" und in Wirklichkeit immer nur seine sesselfurzerisch-bürokratische Bequemlichkeit anstrebt, traf in der BRD auf einen anders zustandegekommenen Selbsthass von Studenten, Lehrern, Gymnasiasten und professionalisierten Intellektuellen auf, der sich nährte aus dem Umbruch der Studentenrevolte, Schülerrevolte, "technokratischen Hochschulreform", karrieristischen "Marsch-durch-die-Institutionen"-Tendenz des Haupttrosses der "Seminarmarxisten" und besonders dem Horrorbild vom "abgehoben den Arbeitern was erzählenwollenden" SDS-Aktivisten der ausgehenden 1960er Jahre, ihrem aktionistisch-organisatorischen Offenbarungseid um 1970, ihrer psychischen und existenziellen Zusammenbrüche (soweit sie nicht akademische Karrieristen und wirkliche zynisch-mandarinoide Schwätzer wurden bzw. solche berüchtigten "linken Lehrer" ab Radikalenerlass "im Lama-Pullover", denen wir zum Gutteil die unbeabsichtigte, aber verständliche Heranzüchtung der "Nazi-Kids" zu verdanken haben: das Werk staatlicher Volkserzieher deutschester Provenienz). Was die "theorieverachtende Theoriebildung" solcher durchaus noch anspruchsvoller ML-Gruppen wie KABD, KPD (AO) und vor allem KBW betrifft, so stelle ich die These auf: sie wurden vom BRD-Wissenschaftsbetrieb in seiner damaligen grundstürzenden, auf "Bildungsreform und Bildungsexpansion" ausgerichteten Reform -- gerade als Hochleistungsbetrieb des "general intellect" fürs Kapital, als auf Vordermann gebrachtes, durchmodernisiertes Ideologiekombinat (wo habermasianisierte ehemals Kritische Theorie, Systemtheorie und strukturalistisch-poststrukturalistische Reaktion auf die Herausforderung des französischen Mai 1968 sich verschränkten und einander ablösten bei der Vorbereitung und Durchsetzung der "Tendenzwende" Mitte der 1970er), insbesondere vom Linksakademismus also, massiv auf diesen Trip gedrängt. Wer nicht "so werden" wollte wie die bestallten Intellektuellen an der Akademie, sich aber bereits halbwegs schon selber in einer solchen Etappe des angesagten "Marsches durch die Institutionen" befand oder zu denen zählte, die schon damals herausfielen, aussen vor blieben oder sich nicht anpassen mochten, richtete u.U. sein intellektuelles Ideal-Ich nach dem exotischen Bilde des "Arbeiterintellektuellen" in dem damals schwärmerisch als "konkrete Utopie" gehandelten "chinesischen Arkadien" aus, von dem G. Koenen glaubhaft (als akademischer Abbrecher aus der staatstheoretischen Iring-Fetscher-Schule) heute spricht. "Vor allem die Studenten wurden gnadenlos eingespannt" stellt derselbe mit dem nüchternen Blick des KBW-Kaders ebenso zutreffend fest. Das traurige, mitleiderregende Bild der dermaßen überforderten, vor allem in ihrer Aufgabe der "Kritik der bürgerlichen Wissenschaft(en)" im Unibetrieb selbst hoffnungslos alleingelassenen kommunistischen Studenten gab den eventuell noch fortvegetierenden Ansätzen und Ambitionen -- um nicht zu sagen: Bedürfnissen ! -- nach nicht-akademischer, revolutionärer Theoriebildung in den 1970er Jahren so ziemlich den Rest, vergleichbar dem mitleid- und furcht-erregenden Anblick der "Kamikaze-LehrerInnen" des KBW ... Fazit: zusammen mit der "technokratischen Hochschul"- und sozialdemokratischen Bildungsreform auf der herrschenden Seite hat es der tiefsitzende, nie reflektierte und sich bis heute fortschleppende deutsch-maoistische Antiintellektualismus, "klassenanalytisch"-plump verbrämt ("kleinbürgerliche Intellektuelle" als der Innere Feind per se) , auf der Seite der subversiven Theoriebildung geschafft, den "theoretischen Sinn" und Heisshunger nach selbsttätiger Aneignung revolutionärer Theorie im Massenmaßstab für lange Zeit kaputt zu machen, als Absurdität und Perversität abgedrehter idealistischer linker Sonderlinge oder Möchtegernschulmeister, "ewiger Studenten" und wie die Klischees für das Bild vom abgehängten Loser des modernisierten Kapitalismus sonst noch heissen, erscheinen zu lassen. Nachdem das ML-"Schulungs"-Wesen die Theoriebildung aber jeglicher gesellschaftlichen, politischen, kommunikativen Erotik beraubt hatte, wurde ihr Rest von der Gewerkschafts- und Betriebsratslinken wiederum institutionalisiert (Fritz-Böckler-Stiftung usw.) und ging mit den Resten des Seminarmarxismus eine triste Ehe ein "bis dass der Tod uns scheidet". Theoretische Praxis, wie sie etwa von der Situationistischen Internationale als Blitz aus der Tiefe der Sixties des 19. und 20. Jahrhunderts heraus gezündet werden konnte, der zwar mit der "Bewegung der Besetzungen" in Frankreich "in den naiven Volksboden" (Marx) des modernen Proletariats einschlug und für historische Momente in "Praxis der Theorie" umschlagen konnte, hat in der BRD keinen Boden gefunden. In der Retorte der ML-Gruppen-Programme (wenn überhaupt) und Schulungen entstand dagegen mitnichten der kern-arbeiterische idealtypische Blaumann-Proletarier oder Arbeiter-Bauer mit dem Schraubenschlüssel in der einen und dem blauen oder wenigstens roten Buchband in der anderen Hand, sondern die von beiden "Utensilien" Enteigneten -- weil sie die in dieser Gestalt unzeitgemäß gewordenen "Instrumente" bald zusammen im Überdruss weggeschmissen haben. Aus dieser Retorte heraus sind viele selbst zu bürokratischen FunktionärInnen, einige zu polit-technokratischen Intellektuellen und andere direkt zu "völkischen Rebellen" in der Neuen Rechten geworden, d.h. viele sattelten von der "revolutionären" Volks-Chimäre direkt über auf die Vehikel der offen antiproletarischen Reaktion. Die alte Lassallesche deutschsozialistische Dichotomie von Volkstaat/Volkserzieher im Namen des "sozialen Zukunftsstaats" gegen "die reaktionäre Masse" Volk ... ist noch einmal zu sich gekommen. Da sind die unbewussten Neo-MLer des heutigen Antifa-Milieus diesmal ehrlicher: "Volk" und "Arbeiterklasse" werden gleich als leere Konstrukte ewiggestriger Dutschkes, Rabehls, Mahlers und sonstiger Nationalbolschewiken gehandelt, denen man/frau nicht etwa mit klassenanalytischer Kategorienarbeit zu Leibe rückt, sondern mit dem Ruf nach Bomber-Harris in spe. Auch ihnen wird das Kippen ins offen rechte Fahrwasser nicht erspart bleiben, das allen Verächtern der revolutionären Theoriepraxis vorgezeichnet ist.
Positives Staatsverständnis anstatt "Kritik der Politischen Ökonomie".
(...)
(wird fortgesetzt - im Verlauf des Seminars, das im April 2003 im THEORIE PRAXIS LOKAL Frankfurt am Main stattfindet)