Die Ware (IV) (Erstes Kapitel)
4. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis
I] Das praktische Betätigungsfeld der Warenbesitzer
I.I) In den Unterabschnitten 1-3 ist der sachliche Gehalt des gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus in allgemeiner Form bestimmt worden. Das Resultat dieser Erklärung ist befremdlich: Der gesellschaftliche Zusammenhang der Warenbesitzer, ihre Arbeitsteilung, erscheint als gesellschaftliche Gegenständlichkeit (als Wertgegenständlichkeit) der Arbeitsprodukte.
Der gegenständliche Schein dieses Produktionsverhältnisses, den Marx den Fetischcharakter der Ware nennt entspringt der Warenform selbst:
(1) Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte
(2) , das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte,
(3) endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. (KI, 86)
I.II) Dabei ist zunächst nicht von einem falschen Bewusstsein die Rede, sondern die Insassen dieser Gesellschaft betätigen ihre Interessen, indem die sich zu ihren Arbeitsprodukten als Gegenständen mit gesellschaftlichen Eigenschaften verhalten. Praktisch, objektiv, also gerade unabhängig davon, ob sie sich dessen, dass sie ihren arbeitsteiligen Zusammenhang auf der Grundlage privater Produktion herstellen, bewusst sind oder nicht, betätigen sie ihr Interesse als Exekution dieses gegenständlichen Scheins. Das Wissen um den Inhalt der Wertbestimmungen hebt deshalb die verdinglichte Erscheinung dieses Produktionsverhältnisses nicht auf, sondern isoliert sie bestenfalls als Erklärungsgegenstand.
I.III) Die Art, wie die Privatproduzenten ihr Interesse betätigen zieht eine ganz bestimmte, praktische Stellung der Produzenten zueinander nach sich d.h. ihre Beziehungen erscheinen ihnen als:
„…sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (KI, 87)
Die Personen gelten einander in diesem Produktionsverhältnis also nur als Repräsentanten ihrer Waren – und zwar unabhängig davon, was sie darüber denken - und darin ist ihre Beziehung aufeinander die, dass ihr Wille in den Produkten haust. Ihren gesellschaftlichen Zusammenhang betätigen sie dabei, indem sie ihre Produkte in Beziehung zueinander setzen.
In den Grundrissen schreibt Marx ausführlicher über dieses Verhältnis der Individuen:
„Soweit nun diese natürliche Verschiedenheit der Individuen und der Waren derselben ….. das Motiv bilden zur Integrierung dieser Individuen, zu ihrer gesellschaftlichen Beziehung als Austauschende, worin sie sich als Gleiche vorausgesetzt sind und bewähren, kommt zur Bestimmung der Gleichheit noch die Freiheit hinzu. Obgleich das Individuum A das Bedürfnis fühlt nach der Ware des Individuums B, bemächtigt es sich derselben nicht mit Gewalt, noch vice versa, sondern sie erkennen sich wechselseitig an als Eigentümer, als Personen, deren Willen ihre Waren durchdringt.“ (Grundrisse Berlin 1953 S.155)
Hierbei geht es weniger um die Aufklärung über Freiheit und Gleichheit, die Marx leistet, sondern darum, wie die Privateigentümer ihren arbeitsteiligen Zusammenhang betreiben: Sie sind sich wechselseitig als Eigentümer, als Personen, deren Willen die Ware durchdringt Mittel und Schranke (Freiheit). Ihren gesellschaftlichen Zusammenhang betätigen sie, indem sie sich gegenseitig von ihren Arbeitsprodukten ausschließen, also gerade nicht als Zusammenhang, als gemeinsamen Willen, sondern als Gegensatz von Eigentümern. Ihre Arbeitsteilung kennzeichnet Marx als „naturwüchsig“. Sie ist also gerade kein Ergebnis planvollen Vorgehens, sondern Abprodukt ihres Bereicherungsinteresses.
I.IV) Dass die Warenbesitzer ihr Interesse praktisch nicht unmittelbar als Teil einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung betätigen, die Verfügung über gesellschaftlichen Reichtum aber genau davon abhängt sich in dieser naturwüchsigen Arbeitsteilung zu bewähren, macht sich nach der Seite der Produktion als Produktion für den Austausch geltend. Die Arbeitsprodukte müssen Gebrauchswerte sein – und zwar für andere, also gesellschaftliche Gebrauchswerte. Zugleich müssen sie sich in ausreichender Quantität als austauschbar mit anderen Arbeitsprodukten, also als werthaltig erweisen, was sich als Verausgabung von menschlicher Arbeit schlechthin, als „Leistung“ im Produktionsprozess mit dem Zweck den im Austausch durchgeführten Vergleich mit anderen Produzenten zu bestehen bemerkbar macht.
I.V) Das Verhältnis ihrer Privatarbeit zu allen anderen Privatarbeiten bekommen die Warenbesitzer in der Werthaltigkeit ihrer Waren, anonym, im „Urteil des Marktes“ über ihre Produktion usw.. mitgeteilt. Darin macht sich ihr eigener gesellschaftlicher Zusammenhang als Bewegung von Sachen unter deren Kontrolle sie stehen bemerkbar (die Konjunktur, der Ölpreis, der Arbeitsmarkt etc…). Sie sind also praktisch bloße Anhängsel der Verhältnisse die sie zunächst selbst als gemeinsame Aktion aller Privatproduzenten herstellen und die sich dann ihnen gegenüber als objektive, unpersönliche Sachzwänge, als blind wirkende Gesetze usw… geltend machen.
II] „Sie wissen das nicht, aber sie tun es“ (KI 88) – Vom notwendig falschen Bewusstsein.
II.I) Marx selbst ist der Beweis, dass daraus, wie man sein Interesse in dieser Gesellschaft betätigen muss kein bestimmtes Bewusstsein folgt. Aber: Gerade der Umstand, dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung – oder auch: die gesellschaftliche Arbeit – das Produkt von Interessen ist, die sie überhaupt nicht zum Gegenstand haben, sondern die gesellschaftliche Arbeit ihnen vielmehr als gegenständliche Eigenschaft ihrer Arbeitsprodukte gegenüber tritt, beweist, dass dieses Verhältnis mit einem falschen Bewusstsein hergestellt wird. Die Erklärung des Kapitalismus wie bis hierher geleistet verträgt sich nicht mit dieser interessierten Bewusstlosigkeit, sondern ihre Konsequenz wäre die Herstellung bewusster, planmäßiger Kontrolle über die gesellschaftliche Arbeitsteilung – gleichgültig zu welchem Zweck.
II.II) Das Wissen darum, dass die Produzenten sich auf diese verdinglichte Weise als arbeitsteiliger Zusammenhang, als gesellschaftliche Einheit betätigen ist für die Verfolgung ihres Interesses als Warenbesitzer irrelevant:
„Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich.“ (KI,88)
Notwendig ist das falsche Bewusstsein also darin, dass ihnen ihre Gesellschaft bei der Verstandestätigkeit, die dazu notwendig ist ihr Interesse als Privatproduzenten zu verfolgen nicht als ihr Reproduktionszusammenhang mit der Natur, als ihre Arbeitsteilung unterkommt, sondern als Ansammlung von Wertdingen, denen der Wille fremder Eigentümer innewohnt.
Ihr sich praktisch betätigender Verstand ist also im gegenständlichen Schein dieses Produktionsverhältnisses befangen.
II.III) Dieser Verstand fragt sich, wenn er sich dem Interesse dienstbar macht auch nicht, was Wert ist, sondern…..
„Was die Produktenaustauscher zunächst praktisch interessiert, ist die Frage, wieviel fremde Produkte sie für das eigne Produkt erhalten, in welchen Proportionen sich also die Produkte austauschen.“ (KI, 89)
Das notwendig falsche Bewusstsein ist dementsprechend nicht nur eines, dem bei der Bearbeitung seiner praktischen Fragestellung der Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhang entzogen ist, sondern es bezieht sich auf den Wertcharakter der Arbeitsprodukte als seine Voraussetzung. Darin wird sich auf die Werthaltigkeit der Arbeitsprodukte in der gleichen Form bezogen, wie auf das natürliche Substrat, das die stoffliche Grundlage der Warenkörper abgibt: Als (gesellschaftliche-) Natureigenschaft, die es in zweckdienlicher Weise zu modifizieren gilt.
„In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen.“ (KI, 89)
II.IV) Dieser Bezug auf die Ware als natürliches Ding verleiht auch der kapitalistischen Ökonomie den Schein der Natürlichkeit. Selbst die Kenntnis des Inhaltes der Wertbestimmungen hat daher nicht den naturhaften Schein der Wertgegenständlichkeit zerstört, da es sich dabei um wissenschaftliche Tätigkeit handelte, die sich der praktischen Kontrolle der „natürlichen“ Sachgesetzlichkeiten des Wirtschaftens verpflichtet sah, also selbst dem gegenständlichen Schein der Verhältnisse verhaftet war.
II.V) Exkurs Anthropologie:
Leuten, die ihren arbeitsteiligen Zusammenhang, also ihre Gesellschaft überhaupt nicht als bewussten Zusammenhang wahrnehmen und betätigen, erscheint der in wechselseitiger Abhängigkeit vollzogene Stoffwechsel mit der Natur dementsprechend auch nicht als das sie verbindende (und konstituierende) Moment, sondern die Gesellschaft erscheint ihnen als etwas ganz anderes: Als „Zusammenleben“ des „gesellschaftlichen Wesens“ Mensch, als ein Haufen Individuen, die irgendein Bedürfnis nacheinander haben und dabei ständig übereinander herfallen. Die gesellschaftlichen Momente des Menschen erscheinen also gerade nicht als Ergebnis dessen zu welchem Zweck er in eine Arbeitsteilung eingebunden ist, welchen Bedingungen seine Interessen unterworfen sind und auf welcher Grundlage er sich daher betätigen muss, sondern der Mensch als vereinzeltes Wesen verfügt über die (natürliche) Eigenschaft „Gesellschaftlichkeit“, die er z.B. als guter oder verdorbener Charakter, Homo oeconomicus, Zoon politikon etc… in Form der ihm entsprechenden Gesellschaft realisiert. Charakterkunde, Personalisierung und Rassismus sind also notwendiger Bestandteil des Bewusstseins einer Waren produzierenden Gesellschaft.
Daher kommt auch die immer wiederkehrende Thematik, dass „der Mensch“ sich wegen seiner Natur nicht für eine vernünftige, geplante Gesellschaft eigne – klar, was sollen ein Homo oeconomicus, oder ein Zoon politikon auch im Kommunismus – die gehören in den bürgerlichen Gedankenzoo.
II.VI) „Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen.“ (KI, 94)
Marx spricht hier einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Religiosität und Stoffwechsel mit der Natur aus: Eine Welt, die man nicht begriffen hat, die ist einem auch nicht wirklich Mittel. Leute, denen es an Wissen über ihre gesellschaftlichen Beziehungen, oder ihre natürliche Umwelt mangelt sind unfrei, weil sie ihre Interessen mangels Wissen nicht realisieren können – ihr Unwissen ist ihnen Schranke. Sich diese Unfreiheit, den unbegriffenen Umständen ausgeliefert zu sein, als Mittel zu denken ist Religiosität. Es ist der Schluss auf ein hinter den Naturgewalten oder den beschwerlichen gesellschaftlichen Umständen wirkendes Prinzip oder Subjekt das man durch Wohlverhalten (Opfer, Befolgung religiöser Regeln etc…) für sich zu funktionalisieren hofft.
„Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehn als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform.“ (KI, 93)
Dass auch der Kapitalismus voller Religion ist, ist also nicht das Problem, das Marx umtreibt, sondern die Frage ist, welche Religionsform am besten zu ihm passt. Auf jeden Fall keine, in der der Mensch sein Leben einer Religiosität unterordnet, sondern Religionsformen, die in der Anbetung dessen, was es gibt als göttlicher Ratschluss bestehen.
Vorerst genug zum ersten Kapitel angemerkt. Falls sich da draußen jemand findet, der das letzte Zitat ausführlicher erklären kann, dann wären seine Anmerkungen hier herzlich willkommen.