Da kommt Spannung auf. Wolfgang Clement und Gerhard Schröder wollen die Vorzüge und Annehmlichkeiten von Hartz IV werbend noch besser erklären als bislang. Wie werden sie den bisherigen Beziehern von Arbeitslosenhilfe erklären, dass es für sie und ihre Kinder von Vorteil ist, wenn sie ab nächstes Jahr weniger Stütze bekommen?
Der Superminister hatte schon, als er Chef in Nordrhein-Westfalen war, ein Händchen für Werbliches. So wird ihm auch diesmal etwas einfallen. Unvergessen ist die Plakat- und Anzeigenaktion "Teamarbeit für Deutschland". Da riefen seiden und halbseiden gewandete Personen lächelnd zu einer gemeinsamen Anstrengung zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit in Deutschland auf. Vielleicht ist der Kampagne seit letztem Herbst das Geld knapper geworden. Jedenfalls wirbt sie viel verhaltener als ehedem. Vielleicht auch findet Herr Clement, das Problem Arbeitslosigkeit sei nicht mehr so dringend.
Volkswirtschaftlich werden weder Clement noch Schröder argumentieren. Sie werden, ehrlich wie sie gelegentlich sein können, nicht behaupten, die Einschnitte in den sozialen Sicherungsleistungen für Millionen von Bürgern schüfen mehr Arbeitsplätze. Sie werden den von der Reform Beglückten nur eröffnen, sie müssten jetzt eifriger nach Arbeit suchen, denn ihre finanzielle Lage werde schließlich weniger leicht erträglich und müsse umso dringlicher geändert werden. Zuletzt aber werden Schröder und Clement dem zustimmen, was Georg-Paul Hefty in der FAZ klar so ausgedrückt hat: "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Hartz-IV-Reform die Zahl der Arbeitslosen senken wird."
Zwei Gründe für Hartz IV
Die Gründe für Hartz IV sind schließlich auch ganz andere. Der eine ist die erhoffte Entlastung der Staatsfinanzen. Der andere ist der gewünschte Effekt der Lohnsenkung. Die Staatsfinanzen werden entlastet, weil die bisherigen Empfänger von Arbeitslosenhilfe künftig nur noch Sozialhilfe erhalten. Das ist erheblich weniger Geld. Es kann eingespart oder an anderer Stelle ausgegeben werden.
Der Effekt der Lohnkürzung stellt sich ein, weil künftig jede Arbeit für jeden zumutbar ist. Wenn Arbeitslose schlecht bezahlte Arbeit nicht mehr ablehnen können, weil ihnen sonst sogar die Sozialhilfe gestrichen wird, entfällt jede Veranlassung für die Unternehmen, einigermaßen auskömmliche Löhne anzubieten. Der Lohndruck macht dabei nicht bei einfachen Beschäftigungsverhältnissen Halt. Er setzt sich überall durch. Die von Regierung und Arbeitgebern bei Löhnen und Gehältern gewünschte "Flexibilität" - nach unten - wird durch Hartz IV auf allen Ebenen des Arbeitsmarktes gefördert.
Diese Sachverhalte in Magdeburg, Leipzig, vielleicht auch Gelsenkirchen oder Hannover jeden Montag den Demonstranten werbend zu erläutern wird Clement und Schröder keinen großen Spaß machen. Tatsächlich stellt sich Hartz IV als unsozialster Bestandteil der unsozialen Agenda 2010 und als klassische Konfliktlinie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Arm und Reich und politisch zwischen Links und Rechts heraus. Auch mit den tollsten PR-Tricks wird es da schwer sein, die von der Reform Benachteiligten von ihrer wohltuenden Wirkung zu überzeugen und den Interessengegensatz zu verschleiern.
Fest an die rechte Seite gestellt
Zu sehr hat sich unter Kanzler Schröder die SPD auf die rechte Seite gestellt. Während seiner ersten Regierungsperiode vermittelte Kanzler Schröder selbst nach Oskar Lafontaines Abgang noch den Eindruck, es sei das primäre innenpolitische Regierungsziel, die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen. Mit der Ernennung von Wolfgang Clement zum Superminister, spätestens aber seit März 2003, als die Agenda 2010 dem Publikum und der Partei als Programmersatz präsentiert wurde, hat Gerhard Schröder Regierung und Regierungspartei fest an die Seite der Arbeitgeberverbände, der Unternehmensvorstände und der konservativen Politikberater geführt.
Unter diesen Umständen ist erfreulich, dass mehr und mehr Menschen begreifen, dass diese Art Politik ihnen nicht nur kurzfristig Opfer abverlangt, sondern dass diese Opfer sinnlos, ja schlimmer noch, für den Zustand des Landes insgesamt schädlich sind. Erfreulich ist auch, dass in den Gewerkschaften ein Umdenken beginnt und die einst gut begründete Präferenz für eine sozialdemokratisch geführte Regierung einer kritischen Haltung weicht. Erfreulich sind die Montagsdemonstrationen und die an Franz Müntefering geschickten Parteibücher von langjährigen SPD-Mitgliedern. Erfreulich sind die Versuche, links von der SPD tragfähige politische Strukturen zu konstruieren. Es ist ja auch der gegenwärtigen SPD-Führung völlig klar, dass sie umso mehr mit Konkurrenz von links rechnen muss, je mehr rechts gestrickt die von ihr betriebene Politik wird.
Unerfreulich allerdings sind die Perspektiven. Für diese rot-grüne Regierung kommen nämlich alle erfreulichen Protestaktionen und jede Hilfe zu spät. Schröder kann zwar Clement noch feuern, aber die unsoziale und ineffiziente Wirtschaftspolitik, die als "Reform" bezeichnet wird, ist seine. So wendig ist selbst Schröder nicht, dass er seine Agenda 2010 eigenhändig zurücknehmen könnte. Da müsste er schon, wie ihm in Magdeburg und Leipzig vielfach empfohlen wird, einfach zurücktreten.