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Arbeit Entropie Apokalypse

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(Editorische Notizen)

Wissenschaft, Kapital und Apokalypse

Die Litanei der Naturstoffe - Erdöl, Erdgas, Uran, Kohle, Holz, Wasser, Sonnenlicht; Besorgnis über ihre Begrenztheit, Freude über ihren Überfluß, Skepsis über ihren Nutzen durchzieht die Masse an "Analysen" der "Energiekrise", der "wir" gegenüberstehen. In den 50ern und 60ern war die Natur "unter Kontrolle" und die Roboter (z.B. HAL in "2001") rebellierten. Heute scheint es, als zeige uns Mutter Natur ein neues Gesicht: anstatt gehorsames, unsichtbares und unendlich gefügiges Material der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein, erscheint unsere irdische Heimstatt knausrig und verführerisch wie ein Trugbild. Die Energiekrise wird gewöhnlich auf zwei Probleme zurückgeführt:

(a) der "begrenzte" oder "endliche" Vorrat an fossilen und atomaren Brennstoffen in der Erde;

(b) die zunehmend "überraschende" Entdeckung, daß es Wechselwirkungen zwischen dem Gebrauch dieser Brennstoffe und ihren biologischen und sozialen Folgen gibt.

Auch wenn die Analytiker unterschiedliche Betonung auf diese zwei "Probleme" legen, befassen sich ihre "Lösungen" mit beiden. In der Tat ist die "große Energiedebatte" (oder das, was als solche zählt) eine Auseinandersetzung zwischen den Antilimitationisten, die wegen dem sich schnell nähernden Abgrund Nullerdölkohleerdgasuran besorgt sind und denen jeder "Ausweg", wie unerprobt auch immer, recht wäre und den Kollektivinteraktionisten, die argumentieren, daß das "Gleichgewicht" oder "Gefüge" der Natur so ausgeklügelt und zerbrechlich sei (um Bilder zu mischen), daß jeder Plan der Antilimitationisten Mutter Natur zum schizophrenen Zusammenbruch treiben würde.

Diese Debatte macht den Eindruck, als würden wir in bedeutsamen Zeiten leben. Sie sind es, aber nicht im Sinn dieser Debatte. Auf der einen Seite krümmen sich die Antilimitationisten vor Schrecken vor "dem Tag, an dem die Erde stillsteht" und wiederholen wieder und wieder, daß die "Zivilisation" (manchmal mit dem Zusatz "wie wir sie kennen") in ein Zeitalter gesellschaftlicher Anarchie stürzen wird - Hunger, Vergewaltigung, Mord (wir könnten fragen: "Was ist neu daran?"). Auf der anderen Seite stehen die gleichermaßen apokalyptischen Interaktionisten mit ihren Visionen von Überschwemmungen, die durch den CO2- Teibhauseffekt verursacht sind oder vom Ende allen Lebens durch die Zerstörung der Ozonschicht, die es einer Flutwelle von Hochenergiestrahlung erlaubt, in die Chromosomen einzudringen und die Proteine zu zerstören, oder vom schwärenden Mutantendschungel als Folge des radioaktiven Abfalls der Atomreaktoren. Fazit: entweder gesellschaftliche Anarchie oder Naturanarchie. "Du hast die Wahl", so sagt man uns. Aber müssen wir wählen? Sind das unsere Alternativen?

Diese Debatte mit ihren apokalyptischen Untertönen deutet auf eine entscheidende Krise des Kapitals und auf dessen Versuch, diese Krise mit einer umfassenden Neuordnung des Akkumulationsprozesses zu überwinden. Die Apokalypse ist kein Unfall; wann immer das jeweilige Ausbeutungsmodell unhaltbar wird, befällt das Kapital die Angst vor Sterblichkeit - begriffen als das Ende der Welt. Jede Periode der kapitalistischen Entwicklung hat ihre Apokalypse gehabt. Ich meine damit nicht die Mikroapokalypse des Todes: jeder stirbt und selbst wenn alle (ich meine alle) gleichzeitig sterben, wo ist das Problem? Die Erde wäre wie ein gelöschtes Tonband - warum sollten die Engel trauern?

Ich rede über jene funktionalen Apokalypsen, die jede bedeutende Wende der kapitalistischen Entwicklung und Denkweise kennzeichnen. Denn die Apokalypse drohte auch schon zu anderen Zeiten in der Geschichte des Kapitals, wenn (wie im letzten Jahrzehnt) der Klassenkampf ein Niveau erreichte, auf dem er das Kommando des Kapitals in Frage stellte.

Im siebzehnten Jahrhundert äußerten die "Philosophen", "Astronomen" und "Anatomen" (d.h. die Planer des Kapitals) ihre verdrehten Vorahnungen der Apokalypse angesichts der revolutionären Erhebungen des gerade entstehenden Proletariats, dem die kapitalistische Arbeitsdisziplin erst noch beigebracht werden mußte. In dieser Phase waren Fragen der Trägheit1, von Zeit und Ordnung von überragender Bedeutung. Die Arbeiterklasse, so schien es, war träge, ohne innere Kontrollmechanismen und nur durch äußere Zwänge beherrschbar. Die Sorgen des Kapitals über die apokalyptischen Möglichkeiten spiegeln sich in Newton's Theorie über das Sonnensystem: Die Planeten drehen sich um die Sonne, aber ihre Umlaufbahnen weichen zunehmend von der Gleichgewichtsbahn ab, wegen der zufälligen, regellosen Anziehungskräfte, die sie aufeinander ausüben. Der Kristall des Ptolemäus glich plötzlich einem Pöbel, der durch dieses Hin-und-her langsam, unmerklich unbeherrschbar wird, auch wenn er vorgeblich vom Gravitationsfeld der Sonne bestimmt ist. Die Abweichungen schaukeln sich bis zu dem Punkt auf, an dem einige Planeten in die Tiefen des Weltraums geschleudert werden, andere ins Inferno der Sonne stürzen. Deshalb bestand Newton auf der Notwendigkeit der Existenz Gottes: dessen Funktion im Universum war die Verhinderung der Katastrophe, indem er regelmäßig die Planeten durch ein echtes Wunder zurück auf ihre Gleichgewichtsbahnen brachte. Das Sonnensystem war das "Große Uhrwerk" und Gott war nicht nur der Uhrhersteller, sondern auch der Uhrmacher, ohne den der Mechanismus, wegen seinem blinden Gehorsam gegenüber den Gesetzen der Trägheit, verklemmen und zerbrechen würde, trotz seinem kunstvollen Aufbau. Gott mußte eingreifen, um aus der chaotischen Mischung von Trägheit und Anziehung geordnete Zeit zu schaffen. Da Gott im siebzehnten Jahrhundert überall mit dem Staat gleichgesetzt wird, fällt es nicht schwer, Newtons Rezept für die Politik des Staates gegenüber der Apokalypse zu entziffern, die von den "Wandersternen", dem Proletariat, angekündigt wird. (Ein Rezept, das Newton in seinem Amt als Inquisitor und Folterer von Falschmünzern im Namen der Königlichen Münze in die Tat umsetzte.)

Im Zeitalter Newtons besteht die Hauptaufgabe des Kapitals in der Regulierung der Zeit, als Voraussetzung für die Verlängerung des Arbeitstages. Im Mittelalter verlief die Produktionszeit zyklisch, der Wechsel von Arbeit und "Ruhe" war festgelegt durch den "ewigen" Wechsel von Gegensätzen im Ablauf von Tagen und Jahreszeiten. Sommer und Tage konnten nicht ausgedehnt, Winter und Nächte nicht verkürzt werden. Newton und die anderen Planungsspezialisten im "Jahrhundert der Genies" mußten eine nichtirdische Arbeits-Zeit erfinden, die im Sommer und im Winter gleich blieb, in der Nacht und am Tag, im Himmel wie auf Erden. Ohne eine solche Umgestaltung der Zeit mußte die Verlängerung des Arbeitstags unvorstellbar bleiben, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, den Wandel "mit Feuer und Schwert" durchzusetzen.

Im Gegensatz dazu kündigten die "Revolutionen" und Organisationsformen der Arbeiterklasse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Ende einer Epoche an, in der durch die Ausdehnung des Arbeitstages bis an seine Grenzen Profite geschaffen werden konnten. Das Kapital mußte nun die technischen und gesellschaftlichen Produktionsbedingungen so "revolutionieren", daß die proletarische Revolte gegen die Arbeit in einen intensiv produktiven Arbeitstag hineingelenkt werden konnte. Nicht mehr die absolute Zeit, sondern die Intensität der Produktion war wesentlich. Das Kapital konnte sich jetzt nicht mehr darüber beklagen, daß die Arbeiterklasse träge, unmotiviert und faul war. Die Klasse war in Bewegung, listig, energiegeladen, lebhaft. Wenn das gegen die "unsicheren Elemente" abgeschottete Arbeits- und Zuchthaus das erste Laboratorium der Arbeit war, dann sprengte die Arbeiterklasse nun ganz offensichtlich den Behälter und machte den Versuch zuschanden. Das Problem war nun nicht mehr, die Arbeiter solange wie möglich einzuschließen, sondern ihre Energie und revolutionäre Hitze in Arbeit zu verwandeln. Es überrascht nicht, daß die Thermodynamik, die "Untersuchung der Energie, vor allem in Bezug auf Wärme und Arbeit", nach 1848 zu der Wissenschaft wird.

Die Thermodynamik beginnt mit Sadi Carnots Versuch, Möglichkeiten und Grenzen der Erzeugung von produktiver Arbeit aus Wärme und Energie zu bestimmen, und zwar bei der Explosion in einem geschlossenen Raum. Sein Hauptgedanke war, daß man einer explodierenden Masse einen Ausweg lassen sollte, der so beschaffen ist, daß sie einen Kolben antreibt und so Arbeit leistet. Carnot's Untersuchung konzentrierte sich auf eine idealisierte Version der "dämonischen" Manchester- Dampfmaschine und versuchte zu bestimmen, unter welchen Bedingungen der Zyklus von Ausdehnung und Verdichtung eines Gases die maximale Menge Arbeit liefert. Der Carnot'sche Kreisprozeß wurde so eine bildliche Darstellung jenes Zyklus des Klassenkampfes, der im 19. Jahrhundert Gestalt annahm und die Lohnforderungen der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt des "Konjunkturzyklus" stellte.

Carnots Gesetze der Thermodynamik wuchsen über seine Studierstube hinaus und führten, wie der Faden der Ariadne, aus dem "Krisenlabyrinth" hinaus. Denn die Physik handelt nicht nur "von" der Natur und sie wird nicht "einfach" in der Technik angewandt. Ihre wesentliche Funktion besteht darin, Modelle der kapitalistischen Entwicklung zu liefern, d.h. Modelle für die Organisation der Arbeit. Für das Kapital bedeutet Natur letztlich immer die Natur des Menschen und der entscheidende Aspekt der Technologie ist die Arbeit. Beim Ersten Hauptsatz der Thermodynamik handelt es sich nicht einfach um die Feststellung, daß Energie in verschiedenen Formen auftritt (nicht nur in der "mechanischen"), von denen jede ohne Verlust in eine andere umgewandelt werden kann. Seine Schlußfolgerungen beeinflußten die Vorstellungen des Kapitals von der Arbeitskraft. Eine umfassende Auffassung von Energie war unerläßlich, wenn man die technischen und gesellschaftlichen Produktionsbedingungen "revolutionieren" wollte, denn die alte Produktionsweise kannte nur eine begrenzte Zahl von Energieformen, die Arbeit erzeugen konnten. Dieser neue Lehrsatz lehrte das Kapital eine derartige Allgemeingültigkeit und eine Flexibilität in seinen Produktionseinrichtungen, mit denen es in der Ersten Industriellen Revolution nicht einmal experimentiert hatte.

Wie Darwins Entdeckung, so kam auch Julius Robert v. Mayer's erste Formulierung des Energieerhaltungssatzes auf eine für das 19. Jahrhundert typische Art und Weise zustande: auf einer imperialistischen Reise in die Tropen.

"Ein Matrose zog sich eine Lungenkrankheit zu. Mayer ließ ihn zur Ader, beobachtete, daß das venöse Blut in den Tropen von hellerem Rot war, fast wie arterielles und schloß daraus, daß der Stoffwechsel in heißen Klimazonen dem Blut weniger Sauerstoff entnahm, weil die Beibehaltung der Körpertemperatur weniger Wärme erforderte."2

In Mayer's Sichtweise war der Körper des Matrosen der Vermittler zwischen vielen verschiedenen Formen der Kraft, die "unzerstörbar, wandelbar, unwägbar" sind. Obwohl sich die Erscheinungsformen von Kraft und Energie änderten, bewahrten sie doch ihre grundlegende Fähigkeit zur Verrichtung von Arbeit, nämlich die Energie. Der Begriff der Energie wurde also so allgemeingültig und abstrakt gefaßt, daß ein unternehmerischer Geist auf die Idee kommen mußte, Arbeit aus neuartigen, widerspenstigen Quellen zu schöpfen.

Während die unendliche Vielfalt der Energieformen dem Kapital bei dessen Suche nach neuen Arbeitskräften großen Optimismus einflößte, vergiftete die Thermodynamik diesen Rausch jedoch mit dem Zweiten Hauptsatz. Eine verhängnisvolle Version lautet: Ein Perpetuum Mobile, das die gesamte verfügbare Energie ohne Verlust in Arbeit umwandelt, ist unmöglich. Der Zweite Hauptsatz hat aber noch düsterere Konsequenzen, als nur den Traum des Kapitals von der Gratisarbeit (von den Arbeitern, "die von Luft leben") platzen zu lassen. DIE ENTROPIE (das Maß für die Nicht-Verfügbarkeit von Arbeit) NIMMT ZU. Clausius formulierte die kosmische Variante: "Die Energie des Universums ist konstant; die Entropie des Universums steigt bis zu einem Maximum."3

Der Zweite Hauptsatz kündigte die einem produktivitätsgierigen Kapital angemessene Apokalypse an: den WÄRMETOD. Jeder Arbeitszyklus erhöht die Nicht- Verfügbarkeit der Energie für Arbeit. Da der Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine vom Temperaturunterschied an den Punkten der Energieaufnahme und der Energieabgabe abhängt, prophezeit der Zweite Hauptsatz eine langsame Einebnung der Wärmeunterschiede, solange bis es keinen Energiefluß mehr gibt, der Arbeit verrichten könnte. "Die Welt lebt von ihrem Kapital" und drumherum ist das Flüstern der drohenden Stille zu hören. Dieses Bild einer chaotischen Welt ohne Unterschiede hatte ein zweifaches Echo: bei den Phrasendreschern der Massenkultur wie Henry Adams ("Die sogenannte moderne Welt kann die Begriffe von Kunst und Gefühl verderben und abwerten, und unsere einzige Chance ist es, sich mit einer begrenzten Anzahl Überlebender abzufinden - einer von Tausend wird Künstler und Poet - und die Kraft des Gefühls in diesem ausstrahlenden Zentrum zu verstärken"4) und im pragmatischen Denken eines Taylor. Die Henry Adams trauerten über den Verlust überkommener Werte, die bestenfalls "gerettet" werden konnten aus der Einebnung von sozialen und kulturellen Unterschieden - angekündigt durch "die Verflüchtigung der Energie" in eine Wärmetod- Apokalypse. Taylor dagegen sah den Kern einer Aufgabenstellung: Produktivität ist Wirkungsgrad. Seine Antwort (keine absolute, eine relative Antwort) auf den Zweiten Hauptsatz ist nicht "konservativ"; es ist ein "revolutionärer" Versuch, eine weit wirkungsvollere Organisation der Arbeit zu schaffen und das Zusammenwirken des Arbeiters mit seiner Umgebung zu perfektionieren. Taylor versuchte das in der Praxis, was Carnot auf der Ebene der Theorie gemacht hatte: die Grenzen einer wirkungsvollen Umwandlung von Energie in Arbeit zu bestimmen. Auf typisch amerikanische Art beschäftigte er sich mit der Mensch-Maschine anstatt mit deren Spiegelbild, der technischen Maschine. Wieder einmal schien es, als ob die Apokalypse vermieden werden könnte, wenn zur Tat geschritten würde. Diesmal jedoch war es nicht die Tat Gottes in Gestalt des Superstaat, es war die Planung des Kapitals in dem ihm eigenen Selbstbewußtsein, der wissenschaftlichen Analyse: die wissenschaftliche Betriebsführung.

Newton's Apokalypse und Clausius' Apokalypse sind nicht nur einfache Analogien zur Krise des Kapitals in ihren jeweiligen geschichtlichen Perioden. Die daraus entwickelten Theorien haben nicht nur unwesentliche oder ideologische Bezüge zur zeitgenössisch gültigen Arbeitsorganisation. Kapitalistische Krisen kommen aus der Verweigerung der Arbeit. Deshalb sind in Zeiten der Krise neue Analysen der Arbeit und neue Vorstellungen, wie der Widerstand gegen sie überwunden werden kann, so zwingend erforderlich. In diesem Zusammenhang hat die Physik keinen isolierten Inhalt; sie liefert bestimmte Analysen der Arbeit und neue Muster, sie zu organisieren. Ihre "Modelle" scheinen abstrakt, aber sie sind direkt auf den Arbeits- Prozeß bezogen.

Bei Newton's Gleichnis über die Umwandlung der Trägheit der Arbeiterklasse in Arbeitsleistung und sein Appell an Gott in Staatsgewalt, das Gleichgewicht zwischen zentrifugalen und zentripetalen Kräften wiederherzustellen, handelt es sich um einen allgemeinen methodischen Ansatz. Der Bezug der Thermodynamik ist schon wesentlich direkter. ARBEIT in der Thermodynamik und die ARBEIT des Kapitals sind nicht nur einfach die gleichen Wörter. Das Kapital hat es deshalb mit immer neuen Formen des Widerstands der Arbeiterklasse gegen die Arbeit zu tun, weil sich dieser Widerstand beständig in seiner Macht und seiner Organisationsform verändert (auch wenn er zeitweise "hilflos" und "chaotisch" erscheint). Das Kapital ist an der Arbeit im Sinne der Physik interessiert, weil der Arbeitsprozeß die Umwandlung von Arbeits- Kraft (Energie, Trägheit) in Arbeit ist. Das ist "ewige Notwendigkeit" für das Kapital. Die Physik liefert Modelle zur Überwindung von Widerständen und Maßstäbe für die Tiefe der Krisen. Die Apokalypse als extremer Maßstab zeigt den Fehlschlag von Modellen an. Das Problem des Kapitals im 19. Jahrhundert war nicht mehr das gleiche wie zur Zeit Newtons. Es veränderte sich in dem Maße, wie aus dem Widerstand träger Maschinen die chaotische Energie sich zufällig bewegender Mikropartikel wurde. Allerdings blieb die Frage grundsätzlich die gleiche: welche Möglichkeiten, Grenzen, Methoden gibt es, um aus der geradezu natürlichen Flüchtigkeit, Feindlichkeit, Widerspenstigkeit und Undurchsichtigkeit der Arbeiterklasse brauchbare Arbeit ("Ordnung") zu gewinnen.

Die Verzweiflung des Kapitals besteht zwar nur aus Vermutungen, aber sie ist eigentlich immer vorhanden. Darin besteht die vielfältige Funktion der Apokalypse. Sie dient nicht nur als Maßstab im gegenwärtigen Prozeß der Arbeitsorganisation und der damit zusammenhängenden Experimente, sie dient auch als Mahnung und als Drohung. Als Mahnung, weil die Kontrolle des Kapitals immer nur teilweise funktioniert und zu jedem Moment revolutionäre Möglichkeiten bestehen. Als Drohung, indem sie versucht, die Zerstörung des Kapitals als die Zerstörung des Universums (wie im Wärmetod) darzustellen. Solange die "Elemente" der Arbeiterklasse an das Ganze gebunden sind, solange ist die Apokalypse der extreme Punkt, an dem die Gegensätze sich treffen, um sich in Nichts aufzulösen. Das ist die Drohung des Kapitals: wenn wir zu weit gehen, wird es uns alle mit in den Untergang reißen. Wenn wir Gott zu sehr reizen, wenn wir zu heftig agitieren, wenn unsere Nicht- Verfügbarkeit für Arbeit zu groß wird, dann wird mit der "gegenseitigen Vernichtung der Klassen" gedroht, um uns zur Raison zu bringen. Aber muß sich das Molekül fürchten, wenn die Maschine stirbt?

Wie steht es nun mit der "Energiekrise" und ihren Apokalypsen? Zunächst einmal muß festgestellt werden, daß der Ausdruck "Energiekrise" irreführend ist. Energie bleibt konstant und ist mengenmäßig unerschöpflich. Es kann keinen Mangel an Energie geben. Die wahre Ursache für die Krise des Kapitals im letzten Jahrzehnt ist die Arbeit, oder genauer, der Kampf dagegen. Der richtige Name der Krise ist also "Arbeitskrise", oder, noch genauer, "Arbeits-/Energiekrise". Denn das Problem des Kapitals ist nicht die Menge der Arbeit an sich, sondern das Verhältnis dieser Arbeit zu der dafür eingesetzten Energie (oder Arbeitskraft). Kapital ist nicht einfach das Produkt der Arbeit. Kapital ist der Prozeß der Erzeugung von Arbeit, d.h. die Bedingung der Umwandlung von Energie in Arbeit. Energie hat etwas Ruheloses an sich, etwas unvorhersehbar mikroskopisch Trügerisches, widersprüchlich Gleichgültiges, aber eben auch Produktives in Bezug auf die Arbeit, die das Kapital so verzweifelt braucht. Obwohl der ewige Kreislauf der kapitalistischen Wirklichkeit aus der Umwandlung von Energie in Arbeit besteht, bleibt das Problem, daß diese im Verhältnis Arbeit/Energie ausgedrückte Beziehung zusammenbricht, falls nicht gewisse Schwellenwerte erreicht werden. Wenn die Entropie zunimmt, wenn also die Verfügbarkeit der Arbeiterklasse für Arbeit abnimmt, dann droht die Apokalypse.

Entscheidend sind die Formen, die die Apokalypse während der Krise annimmt. Sie signalisieren sowohl eine Warnung als auch eine bestimmte Drohung, so wie die Wärmetod- Apokalypse den Taylorismus anregte oder wie Newton's Anziehungs-/ Fliehkraft- Katastrophen dem merkantilistischen Staat bestimmte Formen des Eingreifens vorschrieb. Wie können wir anhand der Antilimitationisten und Interaktionisten die jetzige Krise entschlüsseln? Die Entschlüsselung muß bei der "Natur" ansetzen. Es scheint, als sei die Natur und ihre Grundstoffe vorgegeben, unabhängig und abgegrenzt vom Kapital - sein Rohmaterial sozusagen. So wie Erdöl und Erdgas aufgebraucht werden, sieht es aus, als verschwänden sie in einem Schwarzen Loch. Aber für das Kapital gibt es die Natur als solche nicht. Natur ist auch bloß eine Ware. Es gibt kein Erdöl, Erdgas oder auch nur Photonen, wenn sie nicht Warenform annehmen. Ihre Wirklichkeit als Ware ist entscheidend; sogar wenn man von der Erde oder dem Sonnensystem spricht, kann man nicht von einer außer-kapitalistischen Realität sprechen. Das Energieproblem ist ganz eindeutig ein Problem des Kapitals und nicht eines der "Natur" oder von "Mensch und Natur". UNSER Problem besteht darin, zu begreifen, daß die Schwierigkeiten des Kapitals in der Planung und Akkumulation von seinem Kampf gegen die Arbeitsverweigerung herrühren (von der vielschichtigen Untergrabung ordnungsgemäßer Umwandlung von Energie in Arbeit). Also: unserer Entschlüsselung zufolge, müssen wir das Tamtam der Apokalypse, das Rauschen des Erdgases in unterirdischen Kammern beiseite schieben, um dahinter etwas weitaus vertrauteres zu sehen: den Klassenkampf.

Des Einen Apokalypse ist des Anderen Utopia

Wenn wir die Botschaften der Apokalypse entschlüsseln wollen, müssen wir sehen, daß sowohl die Antilimitationisten als auch die Interaktionisten eine vollständige Änderung der Produktionsweise verlangen. Sie sind "Revolutionäre", weil sie in der Gegenwart etwas fürchten, das den Zusammenhang des Kapitals zersetzt: Forderungen, Aktivitäten, Verweigerungen, die nicht mehr integriert werden können.

Die Antilimitationisten konzentrieren sich auf die "Notwendigkeit", die Öl-Auto-Fließband- Ökonomie der Nachkriegszeit zu beenden. Nehmen wir den "Vater der Wasserstoffbombe", Edward Teller und sein "Energy - A Plan for Action"5 als Beispiel für ihre Position. Wir sehen, daß sie, verglichen mit den 70ern, am Beginn des nächsten Jahrhunderts eine vollständig andere Welt der Produktion haben werden. Betrachten wir einige Größenverhältnisse. 1973 wurde 25 % der Gesamtenergie der USA für die Produktion von Elektrizität, weitere 25 % für Transport (ohne die Produktion von Autos) verwendet. Im letzten Jahrzehnt gab es also ein ungefähres Gleichgewicht zwischen den beiden Sektoren. Teller entwirft ein völlig neues System, in dem die Stromproduktion 50 % der Gesamtenergie, der Transport nur noch 11 % verbrauchen würde. (Der "Rohstoff" soll durch eine weite Ausdehnung des Kohleabbaus im Westen und die Nutzung von Atomreaktoren geliefert werden). Dies würde eine völlige Neuordnung von Produktion und Reproduktion bedeuten, da die Zahl der Arbeiter, die die Brennstoffe produzieren und die Kraftwerke betreiben, nur relativ wenig ansteigen würde. Teller vertritt nicht nur eine wesentliche Zunahme des "Energie"verbrauchs, entsprechend dem historischen Trend, sondern auch eine radikale Veränderung der Struktur der Arbeit. An was er dabei denkt, enthüllt er in seinen "Anforderungen an die Arbeitskraft":

"Egal, was die öffentliche Meinung uns einreden will - die Technik wird für das Überleben der Menschheit entscheidend sein. Im Gegensatz zur gängigen Auffassung, steht die Technik und ihre Weiterentwicklung nicht im Widerspruch zu den menschlichen Werten. Genau das Gegenteil ist richtig. Das Herstellen von Werkzeugen und die davon bestimmte gesellschaftliche Organisation ist sehr tief in unserer Natur verankert. Das ist in der Tat die wichtigste Eigenschaft, die den Menschen von anderen Tieren unterscheidet. Wir müssen auch weiterhin unsere Technik den Gegebenheiten anpassen, was im Wesentlichen unsere Fähigkeit beinhaltet, die Natur so umzugestalten, daß wir die Menschheitsprobleme besser bewältigen können. Aus diesem Grund ist die Weiterentwicklung und Verbreitung der technischen Ausbildung so wichtig. Nur durch den Besitz großer Fertigkeiten und die Entwicklung eines Ausbildungssystems zum Erwerb dieser Fähigkeiten kann der menschliche Wohlstand gesichert werden."

Teller entwirft ein "Neues Atlantis"*6 mit einer Priesterschaft hochqualifizierter Wissenschaftler-Techniker, umgeben von einer Armee von "Facharbeitern", die die automatisierten Produktionsprozesse mit Computernetzen überwachen, entwickeln und beherrschen. Hier ein Beispiel, wie seine Vision funktionieren soll:

"In den zentralen Kontrollstellen sind Computer eingesetzt, um die Einheiten zu überwachen und den Energieverbrauch zu optimieren, indem die jeweils billigste Energiequelle angezapft wird. Diese Computer werden auch mehr und mehr dazu benutzt, um Daten über den Zustand der wichtigsten Teile der Kraftwerke und Leitungen zu speichern und weiterzugeben. Dem Produktionsleiter wird es somit erleichtert, die richtigen Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel lieber ein zeitweiliges oder örtlich begrenztes Herunterfahren oder Abschalten in Kauf zu nehmen, als das ganze überlastete System zusammenbrechen zu lassen."

Wir haben hier eine zentralisierte, vernetzte Gesellschaft, in der der Arbeitsprozeß in kommunizierende Rückkopplungsschaltkreise eingebunden ist, die so abgestimmt sind, daß sie den totalen Zusammenbruch verhindern. Endlich entdeckt das Kapital*7 den Ursprung seines Namens. Teller verkündet das Ende der Leckt-mich-doch-am-Arsch- Fernfahrer-Songs, der Texte über den steinigen Highway um 3 Uhr morgens; jetzt ist alles konzentriert, kontrolliert durch die Drähte eines klimatisierten Gehirns. Denn der Verbrennungsmotor war immerhin eine bedeutende Quelle der "Dezentralisierung" von Wünschen gewesen, etwas, das jetzt nicht länger toleriert werden kann, da es in die Katastrophe führt.

Tellers Apokalypse läßt das Elend einer nach Erdöl lechzenden Fließbandökonomie sichtbar werden, seine Utopie ist ein elektronisches techno- nukleares Modell des Kapitals, das einen neuen Akkumulationssprung ermöglichen soll. Aber die Apokalypse des Einen ist die Utopie des Anderen. Das erkennen wir, wenn wir uns den Interaktionisten zuwenden, die behaupten, daß jeder Schritt in Tellers Richtung zur Vernichtung der Menschheit führt. Die Odums, Ökologin und Sozialarbeiter8, liefern uns einen genauen Gegenpol, da sie sogar unter den Interaktionisten Extremisten sind. Sie stimmen Teller zu, daß die Zeit der Fließband- Ökonomie zuende ist, behaupten jedoch, daß es in der Zukunft keine technische Lösung für die abnehmende "Energie" gibt. Sie lehnen sowohl die Sonnenenergieanbeter ab, als auch die Kernfusionsfreaks. Aus ihrer Sicht "erweisen sich die verschiedenen Systeme zum Gewinn von Sonnenenergie als Einrichtungen, die hauptsächlich auf fossilen Brennstoffen aufgebaut sind, weil ihre wichtigsten Energieströme nicht wirklich durch die Sonne gespeist werden". Ihr Argument gegen die Möglichkeit der Fusionsenergie ist gewiß originell: "Die Fusion könnte für die Menschheit verheerend sein, sowohl wenn sie so ergiebig wäre, daß sie zuviel Energie liefert, als auch im Fall, daß sie all unser Kapital verbraucht und keine Nettoenergie abgibt." Wenn es schief geht und alle Energieeier im Fusionskörbchen liegen, dann folgt die Katastrophe; aber wenn es klappt, dann wird ein so heftiger Energiefluß freigesetzt, daß zu viel Energie nötig sein würde, "um die Kontrolle aufrechtzuerhalten, wenn sie sich im menschlichen System verteilt". Der Preis des Erfolgs wäre wiederum die Katastrophe.

"Wir" können also weder bei der jetzigen, auf schwindenden Energiereserven beruhenden Produktionsweise bleiben, noch kann ein "technologischer Sprung" das System retten. Sie schlagen eine neue Produktionsweise vor, eine "Nullwachstum- und Niederenergie- Wirtschaft", die die menschliche Rasse in ein sicheres Gleichgewicht mit der Natur bringt. Der Preis des Überlebens ist allerdings nicht nur der Verzicht auf Diskomusik:

"Um sich dem Nullwachstum anzupassen, werden die Menschen ihre Ruhelosigkeit und ihr Bestreben nach dem Großen, dem Neuen und Unterschiedlichen aufgeben müssen. Die jungen Leute, die versucht haben, eine Niederenergie- Subkultur aufzubauen um die Auswüchse der Hochenergie- und Wachstums- Periode zu umgehen, werden sich ebenfalls ändern müssen. Mehr Arbeit wird von jedem Individuum in der Niederenergiegesellschaft erwartet werden, weil es weniger Maschinen geben wird."

Beispiele für die Nullwachstumsutopie der Odums sind die Regenwälder, die Korallenriffe und der "gleichmäßig kalte (nahe dem Gefrierpunkt) Grund der Tiefsee" ebenso wie Bauerndörfer im vorindustriellen Indien. Das gemeinsame Element solcher Systeme ist "eine große Vielfalt; enge, hochorganisierte symbiotische Beziehungen; Organismen mit komplexen Verhaltensprogrammen, mit denen sie sich gegenseitig nützen; zeitlich gut abgestimmter Einsatz von Rohstoffkreisläufen, bei denen kein kritischer Stoff verloren geht und hoch-produktive Umwandlung zugeführter Energie".

"The Octopus' Garden in the Shade"*9 wird zur Lösung der Energiekrise.

Hier einige Grundzüge der Nullwachstumsgesellschaft, die die Vision der Odums genauer darstellen:

- wachstumstimulierende Industrien werden abgeschafft
- Einschränkung des Verkehrs
- ausgeglichene Regierungsbudgets
- Miniaturisierung der Technik, um weniger Energie zu verbrauchen
- Abnahme der öffentlichen und privaten Auswahl- und Experimentiermöglichkeiten
- mehr separate und kleinere Häuser statt Städtebau
- die Farmen setzen mehr Land, weniger Brennstoffe und mehr Handarbeit ein
- Eigentum mit hoher Energiekonzentration wird abnehmen und damit Erscheinungen wie Verbrechen, Unfälle, Justiz und Polizei, Lärm, zentralisierte Dienstleistungen, Steuern.

Keine Städte mehr, keine Reisen, keine Fabriken, keine Kraftwerke und voraussichtlich kein Staat. Nur noch das ruhige, arbeitsreiche Leben auf Jim Jones Farm*10 (nachdem das süße Leben genossen war?). Offensichtlich ist zur Verwirklichung dieser Utopie eine Neuordnung der Beschäftigung notwendig. Arbeitslosigkeit in den "Wachstums- und Luxusindustrien" wird "die Leute in die Landwirtschaft treiben", wobei die Löhne ständig gekürzt werden und die Gewerkschaften zu Agenten dieser Neuordnung werden.

Das klingt alles so vollwertig, eine Welt jenseits der Nuklear-Computer-Philosophen-Könige eines Teller! Äpfel mit Flecken! Vögel und Bienen! Das wachsame Auge der Natur garantiert ein gerechtes Tagwerk für einen gerechten Taglohn, statt daß Tellers elektronenäugige Zyklopen unsere Nervenschaltungen am Rande des Zusammenbruchs entlang dirigieren. Doch trotz aller Gemütlichkeit gibt es hier eine gewisse Kälte, die an den Vater der Wasserstoffbombe erinnert: einen Zorn, eine Furcht, die Teller und die Odums teilen. Sie bieten entgegengesetzte Umwälzungen der Produktion, Apokalypsen und Utopien, aber sie sind sich in einem einig: der gegenwärtige Zustand des Kapitals ist erledigt, nicht nur weil er seine "Energie" verloren hat, sondern weil es zuviel "Chaos" gibt, zuviel unkontrolliertes Verhalten, zuviele Ansprüche und zuwenig Arbeit.

Diese Gemeinsamkeit zeigt sich deutlich in den Nebenbemerkungen über die "Jugend" der 60er und 70er Jahre. Sowohl Antilimitationisten als auch die Interaktionisten stimmen überein: Sie sind faul! So beklagt sich Teller über die "antiwissenschaftlichen Tendenzen der jungen Leute", während die Odums (im oben zitierten Abschnitt) von den ausgeflippten jungen Rebellen erwarten, daß diese sich endlich wieder der Arbeit zuwenden. Ihre tiefste Gemeinsamkeit jedoch ist, wie bei den Propheten der Apokalypse der Vergangenheit, die Auffassung von der Natur. Da ist auf der einen Seite die natürliche Grenze der Energierohstoffe und auf der anderen Seite die "ökologische" Katastrophe durch die industrielle Entwicklung. Sie setzen eine Grenze entweder bei dem "Input" aus der Natur (Brennstoff) oder bei dem "Output" in die Natur (Verschmutzung) als gegeben voraus. Aber wiederum können wir ihre Ängste und Lösungsvorschläge nicht direkt interpretieren, denn in ihrer Schreibweise wird die Natur schlicht und ergreifend mit dem Kapital gleichgesetzt. Nie sprechen sie das Offensichtliche aus: Kapital ist ein Kampfverhältnis. Wenn diese Übersetzung erst einmal gemacht ist, dann können wir ihre sibyllinischen Visionen entziffern und ihre unheilverkündende Düsternis zerstreuen. Ihre Grenzen sind nicht die unseren.

Die Apokalypse wird entschlüsselt

Die entschlüsselte Nachricht der Apokalypse lautet: Arbeit/Energie. Beide Seiten der "Großen Energie-Debatte" wollen die Verhältnisse wieder ins Gleichgewicht bringen. Aber was war vorher im Ungleichgewicht? Wenn die "Energiekrise" 1973 begonnen hat, ist es logisch, die Zeit unmittelbar davor zu betrachten. Was war damals mit Arbeit/Energie? ...eine kapitalistische Katastrophe der Warenproduktion und das Wiedererstarken von Arbeitermacht. Müssen wir die alten Filmrollen aus dem Archiv holen? Die Riots in den Ghettos, die Black Panther, "Unruhe" an den Universitäten, SDS und die Weatherpersons, eine ausgeflippte imperialistische Armee, DRUM in Detroit und die Wildcat- Streiks in West-Virginia, das Attentat auf Andy Warhol, SCUM, Stonewall- Krawall, Attica*11. Die Schaubilder 1 und 2 sollen uns genügen.

Schaubild 1: Entwicklung von Löhnen und Profiten:


Das erste handelt von einer historischen Veränderung im Verhältnis von Löhnen und Profiten, das zweite stellt die veränderten Beziehungen zwischen Verteidigungs- und "Sozial-" Ausgaben dar. Beide zeigen an, daß sich in den späten 60ern und frühen 70ern Langzeittrends umgekehrt hatten.

Beispielsweise scheint die Entwicklung von Löhnen und Profiten in den beiden Jahrzehnten 1947 - 1967 die Erfüllung eines amerikanischen Kapitalistischen Traumes zu bedeuten: Der Klassenkampf kann umgangen werden, Löhne und Profite können zusammen wachsen, vielleicht nicht im selben Maß, aber doch auf lange Sicht im gleichgewichtigen Wachstum. Die Keynesianische Strategie, das Wachstum der Löhne an die Steigerung der Produktivität zu binden, schien erfolgreich. Jedem das Seine, so wird jedem Genüge getan. Der Schock kam 1967 - 1972: Über die erste bemerkenswert lange Periode sanken die Profite. Und, dieses Absinken erschien als Folge gestiegener Löhne. Die Wetten standen wieder offen. Wieder einmal schienen Löhne und Profite als unversönliche Gegensätze, wie in den guten alten Tagen von Ricardo und Marx (die in letzter Zeit von Sraffa wieder ausgegraben werden). Dieser Zeitabschnitt markierte das Ende des "Sozialen Friedens", der sich mit der Rückkehr der Kriegsteilnehmer aus Europa und dem Pazifik entwickelt hatte. Allerdings war es keine Zeit der Lohn"explosion" (wie etwa in Deutschland, Italien und Frankreich). Vielmehr beinhaltete sie erstmals eine mathematische Umkehr und die Rückkehr zum Nullsummenspiel der Lohnverhandlungen, das die Spieltheoretiker des Kapitals während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach überwunden zu haben glaubten.

Schaubild 2a: Verteitigungs- und “Sozial”ausgaben in Prozent des Staatshaushaltes


Schaubild 2b: Anteil des Staatshaushaltes am Bruttosozialprodukt


Das zweite Schaubild handelt von der allgemeinen Funktion des Staates, die Durchschnitts- Profitrate sicherzustellen. Dies erfordert, daß der Staat die Reproduktion der Arbeiterklasse im Auge behält und für ausreichendes Einkommen sorgt. Das untere Bild zeigt den Zuwachs des staatlichen "Anteils" am Bruttosozialprodukt. Es überrascht nicht, daß dieser während des Vietnamkriegs zunimmt. Dagegen überrascht allerdings, daß während des Krieges der Anteil für "Verteidigungs"ausgaben dramatisch abfällt.

"Krieg" und "Verteidigung" sind ein wesentlicher, oft übersehener, Teil der Reproduktion von Arbeitskraft, einer, der den Tod von Millionen Arbeitern vorschreiben kann. Auschwitz, Dachau, Bergen- Belsen waren Vernichtungsfabriken, deren Produkt - die Vergasung und Verbrennung von Millionen Körpern - ein wesentliches Element der "Arbeitspolitik" des Nazikapitals war. Die Reproduktion der Arbeitskraft darf nicht gleichgesetzt werden mit der Reproduktion der "menschlichen Körper" und "Existenzen". Überdies können "Sozialausgaben" auch Verteidigungsausgaben sein. In der Tat war dieser zweite Aspekt in den späten 60ern nur zu augenfällig. Auf den Straßen der USA wurde ein anderer heißer Krieg ausgefochten und erforderte sofortige Beachtung. Daher der überstürzte Zuwachs der "Sozialausgaben", d.h. "Umverteilung" (aber was ist nicht Umverteilung in diesem System?), um mit den Frauen, Schwarzen, Jugendlichen zurecht zu kommen, die immer heftiger die Art und Weise angriffen, in der sie reproduziert wurden. Dieses Schaubild läßt erkennen, wie der Prozeß (egal, ob er jetzt "Krieg" oder "Sozialstaat" genannt wird), die Bevölkerung sowohl den allgemeinen Lohn-, Profit- und Produktionsverhältnissen als auch den Mikrobeziehungen wie Liebe, Arbeitsplatz, Disziplin, stiller Tod anzupassen, in die Krise geraten war. Das Verhältnis Arbeit/Energie war nicht nur momentan in Schwierigkeiten, es war langfristig sogar noch ernsthafter gefährdet.

Allerdings macht Not erfinderisch und so wandten sich die Vordenker des Kapitals mit neuem Verständnis dem Verhältnis Arbeit/Energie zu. Ein Verhältnis ist aber der Ausdruck einer zweiseitigen Beziehung und kann daher auch von zwei Seiten betrachtet werden. Aus der Sicht des Kapitals ist das Verhältnis Arbeit/Energie eine verallgemeinerte Form der Ausbeutungs- (oder Profit-) Rate. Durch diese Brille erscheint die Krise als ein jahrzehntelanger (von der Mitte der 60er bis zur Mitte der 70er) Fall der Profitraten. Was waren die Gründe dieses Rückgangs? Aus den Niederungen der Branchen- Jammer- Blättchen bis in die mathematische Stratosphäre des kapitalistischen Computerbewußtseins echot die selbe Antwort: STEUERN und ÄNGSTLICHKEIT.

Der Staat besteuert "uns" zu Tode, während "wir" alle zu oft den "sicheren Weg" einschlagen, der kleine Profite (aber langsames "Wachstum") garantiert, anstatt risikoreiche, langfristige Unternehmungen zu wagen, die sich wirklich lohnen. Die Statistiken belegen dies. Die Besteuerung der Profite (berechnet auf Profite aus "laufender Produktion") stieg von 40% im Jahr 1965 auf 60% im Jahr 1974. Wenn wir als Maßstab für das "Risiko" den Zinssatz nehmen, den die Firmen auf Schulden und zur Aufnahme neuen Kapitals zahlen mußten, wird deutlich, daß das Kapital insgesamt feige geworden war. Der Zinssatz fiel von 8% im Jahre 1966 auf 4% in den Jahren 1972/73. Die "Ansprüche" des Kapitals auf seinen Anteil am Einkommen sanken, wobei davon immer mehr dem Staat überlassen werden mußte. Das US- Kapital schien sich die "Englische Krankheit" zu holen.

W.D. Nordhaus beruft sich in seinem gefeierten Artikel "Der sinkende Anteil der Profite"12 auf Keynes' subjektive Investitionstheorie, um zu erklären, warum die Investitionsrendite solch ein Rückgang erlitt. Keynes zufolge müssen die Kapitalisten ihre "Unkenntnis der Zukunft" überwinden durch zweit-, dritt- (und sogar höher-)rangige Urteile über die "Durchschnittsmeinung" anderer Kapitalisten im Investitionssektor und schließlich durch "Vitalität", d.h. durch den dem Kapital innewohnenden "spontanen Drang zum Handeln anstatt zur Passivität". In Übereinstimmung mit diesem Keynes'schen Existenzialismus behauptet Nordhaus, daß das Sinken der Profite auf eine außergewöhnliche Periode der Ruhe in Herz und Verstand des Kapitals zurückzuführen sei:

"Die Antwort scheint mir in der allgemeinen Zerstreuung der Furcht vor einer neuen Großen Depression zu liegen. Noch viele Jahre nach dem Zusammenbruch waren viele Investoren besorgt über eine Wiederholung der Ereignisse. Sogar noch im März 1955, als die Furcht vernünftigerweise hätte verschwunden sein sollen, reichte allein die Aussage von Prof. Galbraith, daß sich der Große Krach wiederholen könnte, um den Markt in eine zeitweilige Panik zu treiben - das behauptet er jedenfalls. Seit damals ist jedoch die Erinnerung an die schlechte alte Zeit verblaßt und die Freiheit von Angst liefert eine logische Erklärung für die Nachkriegsentwicklung der Kapitalkosten."

Demnach wurden also im veränderten psychischen "Klima" der Nachkriegszeit zuversichtlicher in Bezug auf die Zukunft, ein neuer Sinn für garantierte Horizonte stellte sich ein, der Risikofaktor schien verringert. Also fielen (dieser Profittheorie nach) die aus den Investitionen zu erwartenden Erträge. Denn bei hohem Risiko verlangt der Investor hohe Gewinne, wenn das Risiko gering ist, gibt er sich auch mit niedrigem Profit zufrieden. Wie war diese Freiheit von Angst zustande gekommen, welcher Psychoanalyse hatte sich der kapitalistische Kopf unterzogen? Nordhaus erklärt das nicht, aber jedem Therapeuten ist eines klar: dem Arzt muß sein Honorar bezahlt werden. In diesem Fall war der Arzt der langjährigen Ängste des Kapitals der Staat und das "Honorar" die Steuern. So bestand der maßgebliche Wandel in der Struktur des Bruttosozialprodukts im wachsenden Anteil des Staates. Der Bundeshaushalt wuchs von 10% im Jahre 1940 auf durchschnittlich 20% im Zeitraum von 1960 bis heute. In anderen Worten, der Staat investierte in die Reproduktion der Arbeitskraft und trieb somit das Trauma von einer Depression (und ihren möglichen revolutionären Folgen) aus, die steigenden Steuern auf Unternehmergewinne waren der Preis dafür. Jeder Schritt, der dazu führt, daß das Kapital sich sicherer fühlen kann, führt auch zu Einbußen am Profit.

Aber warum muß sich das Kapital fürchten, warum sind Investitionen riskant und die Zukunft ungewiß? Warum muß das Kapital vor allem "Vitalität" haben? Ist das eine metaphysische Wahrheit? Eigentlich nicht, denn es gibt Risiken unterschiedlicher Art. Einige können auf beinahe mathematische Weise behandelt werden, z.B. das Würfelspiel oder die Wettervorhersage. Zukünftige Wahrscheinlichkeiten werden aus bisherigen Daten berechnet, der Einsatz wird gemacht und das Resultat abgewartet. Über solche Risiken redet Keynes nicht. Es gibt auch Risiken bei Strategiespielen, die man dann eingeht, wenn man vom Handeln eines anderen Spielers abhängt (oder darauf reagieren muß) und zwar bei einem Spiel auf das sich alle Spieler geeinigt haben und dessen Regeln für alle gelten. Hier ist nicht so einfach alles aus bisherigem Verhalten abzuleiten; jedes Spiel mit einer ausreichenden Anzahl von Regeln und Stellungsmöglichkeiten kann zu völlig neuen Situationen führen und zwingt dadurch, die Strategie des Gegners mit einzubeziehen. Das beinhaltet ein Risiko, aber dieses Risiko ist durch das Regelwerk beschränkt, in das sowohl Gegner als auch Verbündete eingebunden sind (wer jeweils Gegner oder Verbündeter ist, kann sich ändern). Dieses Risiko, typisch für Poker, ist ebenfalls berechenbar, wie von Neumann gezeigt hat. Schließlich gibt es jedoch eine weitere Art von Risiko, das weder von mathematischen Wahrscheinlichkeiten, noch von strategischen Erwägungen abhängt, weil nämlich hier die Gegner sowohl unvorhersehbar als auch bar jeglicher Übereinkunft bezüglich der Regeln sind. Hier gibt es keine sichere Grundlage, auf der das zukünftige Verhalten als Reaktion auf die eigenen Züge eingeschätzt werden kann. Das ist eine völlig neue Art von Risiko, sie erfordert "Vitalität", "spontanen Optimismus", "Drang zum Handeln" oder vielleicht "Willen zur Macht". Das ist der Klassenkampf.

Keynes sorgte sich über die mangelnde "Zuversicht" des Kapitals während der Depression nicht, weil dies einen Abschwung im Konjunkturkreislauf beinhaltete, mochte dieser auch noch so einschneidend sein. Solche Einbrüche im Leben des Kapitals sind zu erwarten. Aus ihnen kann Kapital geschlagen werden. Keynes ging es vielmehr um den völlig neuen 'sechsten Sinn', den die Kapitalisten bei ihren Investitionsentscheidungen nach der revolutionären Welle im Anschluß an den 1.Weltkrieg entwickeln mußten. Das erforderte, die Aufmerksamkeit von den "äußeren" (Marktschwankungen, Wetter, Rohstofffunde usw.) auf die "inneren" (Verhalten der Arbeiterklasse, Ausbildung, Arbeitsgewohnheiten) Risiken des gesellschaftlichen Produktionsprozesses zu richten. Keynes' Rezept sah vor, daß der Staat eingreifen mußte. Das resultierte aus der wachsenden Einsicht, daß die Arbeiterklasse weder berechenbar, noch "Teil des Spiels" war, sondern gewaltig genug, um die Spielregeln zu zerfetzen. Die Mischung aus Steuern und Ängstlichkeit war eine direkte Folge der Empfehlungen von Keynes.

Seit dem New Deal hatte der Staat durch sorgfältigen Einsatz von Tarifverhandlungen, Atomkriegsdrohung, sozialem Wohnungsbau das Investitionsrisiko ständig gesenkt. Daher der niedrige Kapitalzins, die Beruhigung der Ängste des Kapitals minderte unweigerlich die Erträge aus seinen Unternehmungen. Die veränderte Zusammensetzung des Bundeshaushaltes - von der "Verteidigung" zum "Sozialstaat" - in den 60ern deutete jedoch nicht nur an, daß die "Obhut" des Staates immer teurer wurde, sondern auch, daß sich die Ausrichtung wegen der Auflehnung der Arbeiterklasse auf neue, unvorhersehbare Weise änderte. Der Zeitraum von 1967 bis 1972 zeigte, daß die Kosten für die Ruhe bis zu dem Punkt zunahmen, an dem die Behandlung den Patienten umbringt. Freud hat niemals darauf hingewiesen, daß die Therapie die Angst erzeugen könnte, die sie lindern sollte. Während der Kapitalismus seinem historischen Nachkriegstrend folgte, begann das Kapital die Tatsache wahrzunehmen, daß dieser Trend seine eigene Euthanasie bedeutete. Zudem verschwand das Vertrauen in die Wirksamkeit der staatlichen Therapie, als sie nicht mehr auf die traditionellen Fließbandarbeiter, die Veteranen von Flint, Guam und McCarthy angewendet werden sollte, sondern auf völlig neue Subjekte. Was wollten diese Blackpowerlanghaardoperaucherschamlosschwulenhausfraulesben eigentlich!

Von der Mitte der 60er bis zur Mitte der 70er verstärkte sich das Steuern/Ängstlichkeits- Syndrom. Das Verhältnis zwischen Staat und Einzelkapital, das Keynes vorgeschlagen hatte, war in die Krise geraten. Das Kapital war in seinem eigenen Käfig gefangen und versuchte im Oktober 1973 auszubrechen. Der Wiederaufschwung der Profitrate hing davon ab, ob das Kapital die Initiative übernahm, seine verwundbarsten Teile herausschneiden und vor allem seine alten Regeln durchbrechen konnte.

Die Krise des Keynesianismus

Wie sah das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft während der Zeit des "Keynesianismus" aus? Was die keynesianistische Planung in den USA auszeichnete war ihr Interesse am Reproduktionssektor. Und zwar weil dem US- Kapital keine erfahrene Arbeiterklasse zur Verfügung stand, deren Produktions- und Reproduktionsbedingungen über Jahrhunderte hinweg ausgehandelt worden waren. Die Wellen von Einwanderung und Völkermord führten kaum zu einer demographischen und geografischen Beständigkeit, auf die man sich verlassen konnte. Die Arbeiterklasse in den USA war unweigerlich "unbeständig" und "instabil", beinahe "eine Sache für sich".

Die grundlegende Erkenntnis des amerikanischen Keynesianismus war folgende: die enorme Akkumulation von fixem Kapital in den Fließbandfabriken erforderte eine entsprechende Kapitalakkumulation in Arbeiter ("Humankapital" wurde das später genannt). Wenn das Kapital erst einmal die Größenordnung einer Anlage wie River Rouge*13 erreicht hat, dann wird der kurzzeitige Disziplinierungseffekt der Arbeitslosigkeit durch den langfristigen Verlust an Arbeitsproduktivität mehr als ausgeglichen. Und genau diese Produktivität war Quelle des Profits. Die New-Deal- Planer befürchteten, daß die langen Phasen von Arbeitslosigkeit die "Arbeitsmoral" jener Generation Fabrikarbeiter, die durch die harte Schule der Fließbänder der 20er Jahre gegangen war, zerstören könnte. (Man lernt einen Fließbandjob an einem Tag, aber man braucht Jahre, um ein Fließbandleben zu erlernen!) Diese Disziplin konnte nicht "eingefroren" werden, bis ein Einzelkapitalist Verwendung dafür hatte; sie verlor an Wert und konnte sich auf explosive Art und Weise in ihr Gegenteil verkehren. Das Rentabilitätsstreben des Kapitals, das von der Steigerung der Arbeitsproduktivität abhängt, machte die "Massenarbeitslosigkeit" unhaltbar.

Die Arbeitskraft muß nicht nur produziert, sie muß auch reproduziert werden. Im keynesianischen Konzept wird die Hausfrau zur notwendigen Ergänzung des Fließbandarbeiters. Normalerweise wird die Hausfrau als Konsumentin betrachtet, aber die Planer der Depression interessierten sich mehr für ihre Rolle als Produzentin jener "ganz besonderen Ware" - der Arbeitsfähigkeit des Fabrikarbeiters. Das erfordert Kapital, das Zuhause. Und genau dieses Kapital löste sich während der Depression auf, denn mehr und mehr Frauen liefen von zuhause weg, ließen sich scheiden und gaben ganz allgemein "auf". Die Keynesianer erkannten, daß kein Hochintensitätsfließbandarbeiter arbeiten - oder zur Arbeit zurückkehren - würde, ohne gleichermaßen hochintensiven Reproduktionsprozeß im Hintergrund. Das Fließband ist besonders anfällig gegen individuelle Verschiedenheiten im Arbeitstempo: der Rhythmus muß während und außerhalb der Arbeitszeit aufrechterhalten werden. Regelmäßige Mahlzeiten, regelmäßiges Ficken, regelmäßiges Scheißen sind wesentlich für die Zusammenarbeit von Arbeitskraft und Kapital in einer Stanzerei.

Es war nicht genug, die Arbeitslosigkeit zu "besiegen"; der Reallohn, den die Arbeiterklasse auch in den schlimmsten Zeiten der Depression "verteidigt" hatte und später in die Höhe trieb, mußte kapitalisiert werden. Wenn Lohnerhöhungen benutzt werden konnten, um das Zuhause zu kapitalisieren, dann würde dadurch die Arbeitsproduktivität steigen und damit der Profit. Hier haben wir die Grundlage eines Klassenkompromisses: glückliche Arbeiter, glückliches Kapital, ein wahrlich glücklicher Kompromiß! Das keynesianische System ist fein ausbalanciert auf der Symbiose zwischen Heim und Fabrik und dem Einsatz des Lohnes nicht nur als Lebensunterhalt der Arbeiterklasse, sondern als Form einer Kapitalinvestition.

Das dynamische Gleichgewicht zwischen Heim und Fließband erforderte eine exakte Vernetzung der Variablen Lohn, Fabrikarbeit, Hausarbeit. Im Zeitabschnitt der späten 60er bis in die die Mitte der 70er lösten sich die Maschen dieser Vernetzung. Z.B. stieg die Scheidungsrate mit den Löhnen, was eine neue Spannung zwischen den Polen der keynesianischen Synthese offenbarte, aber "sicher nichts, das eine Krise auslösen könnte". Das Problem der keynesianischen Synthese besteht aber darin, daß sie äußerst empfindlich gegenüber solchen Fehler ist (vielleicht verwundbarer, als durch einen "kleinen" Atomkrieg). Es waren Jahre des Booms, bloß nicht fürs Kapital. Der Kampf in den Fabriken, Haushalten und auf den Straßen zwang das Kapital nicht nur, mehr für die Fabrikarbeit zu zahlen, zunehmend mußte das Kapital, vermittelt über den Staat, direkt für die Reproduktionsarbeit zahlen. Dies war früher über den Arbeitslohn des Mannes abgegolten worden. Frauen und Jugendliche leisteten jetzt nicht mehr "natürlicherweise", was sie bisher unter der Aufsicht von Ehemann und Vati geleistet hatten. Obwohl während dieser Zeit ein gewaltiges Maß an zusätzlicher Energie durch die Arbeiterklasse erzeugt wurde, erwies sich diese Energie als besonders resistent gegenüber der Umwandlung in Arbeit. Das Verhältnis Arbeit/Energie sank dramatisch, was sich als "Profitkrise" bemerkbar machte und die Voraussetzungen des Keynesianismus untergrub.

Loblied auf das Auto

Auto und Lastwagen waren der Kristallisationspunkt dieser Symbiose. Sie waren nicht nur die konkreten verkehrstechnischen Vermittler zwischen Wohnung und Fließband, sie waren an sich ein kombiniertes Wohnungs-Fließband. Ausgehend von der Auto-LKW- Wirtschaft ist das Raum/Zeit- Verständnis der amerikanischen keynesianischen Gesellschaft zu begreifen: das Auto ist ein kleines Heim auf Rädern und eine kleine Fabrik, in der du schlafen kannst. Die Arbeiter bei Flint 1936 erkannten das, als sie in den Karossen von halbfertigen Chevys schliefen und kochten.*14 Ein Auto ist ein doppelgesichtiges Stück Kapital, Werkzeug und Spielzeug: ein seriöses, teures und schweres Stück Maschinerie und Schlafzimmer, Eßzimmer, Küche; etwas hochstandardisiertes und dann zutiefst persönliches. Ausdruck dieses ökonomischen Raumverständnisses ist der nomadische Stamm der Trucker: sie schufen ein Arbeits- Leben der Geschwindigkeit auf der Grundlage dieser Kristallisation. (1950 waren die Einnahmen von Eisenbahnen und Straßentransport ungefähr gleich, 1976 nahmen die Eisenbahnen nur noch halb soviel ein wie die Straßentransportfirmen; 1960 waren mehr Leute bei den Eisenbahnen, 1977 nur noch weniger als halb soviel wie beim Straßentransport beschäftigt).

Das Auto wurde zum Muster des Zusammenwirkens von Maschine und Arbeiter für die ganze soziale Fabrik. Die Freiheit in Raum und Zeit und die Macht, die es in den Händen des männlichen Arbeiters bedeutete, die Dezentralisierung des Lebens, die es mit sich brachte, mußte erkauft werden und war erkauft worden mit einer genaueren Zeiteinteilung des Lebens. Der häusliche Zeitplan und der Zeitplan bei der Arbeit wurde immer mehr bis auf die Minute festgelegt. Es ist kein Zufall, daß das Auto für Neil Cassidy (in Kerouacs "On the Road") zum Ausdruck all dessen wurde, was antikapitalistisch, antihäuslich, antifabrikhaft war, denn er sah im Auto eine Möglichkeit, die im Metall existierte aber gleichzeitig auf allen Ebenen bedroht war (von der Ratenzahlung bis zu den Radarkontrollen): ...die Verwandlung der Produktivität der Arbeit in Freiheit von der Arbeit. Aber die 60er entwickelten sich weiter. Der Unterschied zwischen Cassidy's Flucht- Cadillac und dem Merry Prankster Bus von Kesey spiegelt die Distanz zwischen zwei Perioden der Entdeckungen durch die Arbeiterklasse wider... und Cassidy's Schwierigkeiten, damit zurecht zu kommen. LSD erlaubt Lichtgeschwindigkeit; Benzedrin und Wein bringen es nur auf 200 km/h. Ginsberg, der in diesen Dingen immer etwas weiser war, sah den Vermittler im Wohnwagen von "Wichita Sutra", vielleicht. Kerouac ging heim und starb.

Preise und Werte

Das Kapital antwortete auf dieses Vordringen entropischer Energie nicht mit "Streik", "Investitionsstop" und auch nicht mit einer Epoche "gebremster Investitionen". Mit Ausnahme der Rezession von 1974 sind die Investitionen seit 1973 (im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt) auf demselben Niveau geblieben und überstiegen sogar die Werte der 60er Jahre (trotz aller Krokodilstränen der Wirtschaftszeitschriften). Es hat aber eine Verschiebung in der Zusammensetzung der Investitionen stattgefunden, die vielen, Kapitalisten wie Arbeitern, als Investitionsrückgang erscheint. Warum? Weil weniger Leute sie sehen. (Schaubild Nr. 3)

Schaubild 3:


Alle konnten jedoch den Sprung der relativen, als auch der absoluten Preise für "Energie"- Waren sehen (in der Form von Öl, Erdgas, Kohle, Uran genauso wie in der Form von Strom). Die Inflation hatte die Reallöhne der Arbeiterklasse direkt angegriffen, aber das veränderte Verhältnis von Energiepreisen zu anderen Preisen hatte enorme indirekte Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Arbeiterklasse und die Organisation der Ausbeutung. Betrachten wir die relativen Preisveränderungen (Tabelle 4):

Tabelle 4: Preisindices; wichtige Warengruppen:

Jahr

Alle Waren

Landw. Erzg.

Ind. Erzg.

Energie

1950

81,8

106,7

78,0

87,1

1960

94,9

97,2

95,3

96,1

1970

110,4

111,0

110,0

106,2

1972

119,1

125,0

117,9

118,6

1974

160,1

187,7

153,8

208,3

1976

183,0

191,0

182,4

265,6

1978, Juni

209,4

219,5

208,5

322,8

- Während der gesamten Nachkriegszeit bis 1973 waren die Preissteigerungen im Industrie- und Energiesektor in etwa gleich. Von 1973 bis heute fand ein gewaltiger Strukturwandel statt. Zwar stiegen beide Preiskategorien, der Preisindex für Industriewaren um ca. 100%, der für Energie aber um mehr als 200%. Parallel zu diesen Preisverschiebungen fanden Veränderungen der Relationen zwischen "Umsätzen" und "Gewinnen" in den beiden Sektoren statt. Diese Zahlen sind Ausdruck der kapitalistischen Antwort auf die Kämpfe der späten 60er und frühen 70er Jahre. Sie markieren das Ende der Fließband-Auto-Heim- Politökonomie; das Ende der Politökonomie, die auf dem Zusammenhang Blue-Collar-Fließbandarbeiter/Hausfrau beruhte; das Ende des empfindlichen Mechanismus der keynesianischen Gesellschaft. Indem es dem Energiesektor Vorrang einräumt, kann das Kapital eine enorme Menge Arbeit kommandieren, weil dieses Kommando abseits des eigentlichen Schauplatzes der Ausbeutung stattfindet. Es wirkt beinahe unwirklich und es unterläuft alle Ansätze von Klassenmacht in den Fabriken, Bergwerken und auf den Straßen. Denn diese Reorganisation zentralisiert den Akkumulationsprozeß, während sie gleichzeitig den Ausbeutungsprozeß äußerst dezentralisiert. Durch die Entwicklung des Energiesektors kann das Kapital eine Art magnetisches Kommando ausüben und aus jeder "Pore" der gesellschaftlichen Fabrik Mehrwert abziehen: jedes Stehcafe, jede Wohnung, jede Hinterhofwerkstatt muß für Energie zahlen.

Das ganze Bild vom Arbeiter scheint sich mit dieser Neuzusammensetzung des Kapitals aufzulösen. Der bullige "Blue Collar"- Fließbandarbeiter verblaßt in der Ölkrise, löst sich in die weibliche Dienstleistungsarbeiterin und den abstrakten Computerprogrammierer auf. Die großen Konzentrationen von Fabrikarbeitern, die sich als dermaßen explosiv erwiesen hatten, werden zerstreut; das spezifische Gewicht der Gegenwart des Arbeiters wird dramatisch vermindert. Und alles fühlt sich so anders an! Dein Lohn steigt, aber er verdunstet, bevor du ihn ausgeben kannst, du stellst den Chef zur Rede, aber er jammert, daß er "Rechnungen zu bezahlen habe"; und, was noch einschneidender ist, du siehst deine eigene Ausbeutung nicht mehr. Am Fließband konntest du buchstäblich beobachten, wie deine Arbeitskraft sich in der Ware kristallisierte, du konntest dein Leben mit dem Fließband dahinschwinden sehen, du konntest die Materialisierung deiner Entfremdung fühlen. Aber im Dienstleistungssektor scheint deine Mehrarbeit nicht zu existieren, sogar "unproduktiv", "nur" eine bezahlte Form von "Hausarbeit" zu sein, Bettpfannen reinigen, Joggermuskeln massieren, Rührei machen. Im "Energie-/Informations"- Sektor hingegen wirst du von der riesigen Menge an Kapital um dich herum verschlungen, es fühlt sich an, als ob du gar nicht ausgebeutet werden würdest, ein Diener der Maschine, sogar "privilegiert", Teil "des Gehirn des Systems" zu sein. Diese Gefühle führen die Kämpfe in die Irre, genauso wie die gewaltigen Wanderbewegungen "um Arbeit zu finden" militante Kreise auflösen; die alten Hochburgen der Kämpfe werden isoliert und erscheinen altertümlich, beinahe lächerlich.

Schließlich fassen diese Preisindices den Beginn einer Verschiebung in der Organisation der Reproduktion zusammen. Eine "Gesellschaft" auf der Grundlage von Autos ist verschieden von einer "Gesellschaft", die auf Computern, McDonalds und Atomkraft aufgebaut ist. Mit "Gesellschaft" meinen wir hier den gesamten Reproduktionsprozeß. Die neue Lebensform, die durch die Vorherrschaft des Energie/Informationssektors bestimmt wird und auch die Kämpfe dagegen, fangen erst an, sich herauszubilden.

Die "Rationalität der Energiekrise" für das Kapital als Erwiderung (und Angriff) auf Arbeiterkämpfe gegen die Pole der keynesianischen "auto-industriellen" Gesellschaft werden wir später behandeln. Ein wichtiger Einwand gegen diese Auffassung jedoch kann hier sofort erhoben werden: wenn das Kapital nach Belieben die Energie- und Industriepreise aufgrund der Macht der multinationalen Konzerne verändern und manipulieren kann, d.h. unabhängig von der Arbeitsmenge, die in die Warenproduktion eingeht, dann müssen wir Arbeit und Mehrwert (Ausbeutung) als unsere grundlegenden Kategorien aufgeben. Marx wäre dann zwar ehrenwert, aber gestorben. Wir müßten die Position eines Sweezy oder Marcuse übernehmen, wonach Monopole und technologischer Fortschritt das Kapital vom "Wertgesetz" unabhängig gemacht haben. (Dieses Gesetz besagt, daß Preise, Profite, Kosten und andere betriebswirtschaftlichen Einheiten sich an der Arbeitszeit messen (und von dieser erklärt werden), die in die Warenproduktion und die Reproduktion der dafür benötigten Arbeiter eingeht). Scheinbar kann das Kapital seine eigenen Gesetze brechen, der Klassenkampf verlagert sich auf die Ebene des reinen Machtkampfes, des "Willen zur Herrschaft", Macht gegen Macht; und die Preise werden Teil des Gewaltverhältnisses, willkürlich ausgelöst wie das Abfeuern eines Schusses. Wir stimmen diesen Theoretikern der "Monopolmacht" nicht zu; Arbeit und Ausbeutung bleiben auch heute die Grundbestimmungen der kapitalistischen Entwicklung, ob man es nun mit Computern und Atomkraft oder Spaten und Baumwollentkörnungsmaschine zu tun hat.

Wie erklären wir dann die scheinbare Freiheit der Kapitalisten beim Festsetzen der Ölpreise, unabhängig von der Arbeit, die in die Ölproduktion (d.h. vom Wert) eingeht?

Das Auseinanderklaffen von Preisen und Werten ist nichts Neues. Im Gegenteil, dies war immer ein wesentlicher Aspekt kapitalistischer Herrschaft. Die Werte (Arbeitszeit) müssen in Preise umgewandelt werden und diese Umwandlung ist niemals eins zu eins. Das Wesen dieser Umwandlung von Werten in Preise besteht darin, daß das Kapital den Mehrwert zwar lokal auspresst, daß aber diejenigen, die diese Auspressung vornehmen, nicht auch den Mehrwert kommandieren und ausgeben. Die Hand des Kapitals ist nicht zugleich auch Mund und Arschloch. Diese Umwandlung ist real, erzeugt jedoch Illusionen, bei Kapitalisten und Arbeitern (eingeschlossen du und ich!). Alles dreht sich um das, was mir gehört, die am tiefsten verwurzelte Illusion des Systems. Denn das Kapital erscheint als kleine Maschinen, Materialkisten, ein paar kleine Teile Arbeit, alles verbunden mit winzigen Mengen von Beschwerden, Entschuldigungen und Hetze. Jeder einzelne Kapitalist jammert über "mein" Geld, jeder einzelne Arbeiter weint über "meinen" Arbeitsplatz, jeder Gewerkschaftsfunktionär sorgt sich um "meine" Industrie; die Tränen fließen überall, über anscheinend ganz verschiedene Dinge, die Welt des Kapitalismus ist eine ewige Seifenoper. Aber das "Mir-gehört" ist eine wesentliche Illusion, nichtsdestoweniger Illusion. Kapital ist gesellschaftlich, genau wie die Arbeit, und erbarmungslos wie Shiva*15 gegenüber den Klagenden, aber es braucht ihre Blindheit um sie zu fressen. Es belohnt die Kapitalisten nicht danach, wie sehr sie ausbeuten, so wenig wie es die Arbeiter nach dem Grad ihrer Ausbeutung belohnt. Es hat keine Gerechtigkeit, außer für sich selbst.

Die Umwandlung von Werten in Preise wird bestimmt durch die instinktive Forderung des Kapitals nach "der ihm zustehenden Anerkennung". Der Körper des Kapitals hat viele Gliedmaße, Organe, Arterien und Venen, Nervenstränge, Fühler und Prozessoren, jedes mit seiner eigenen organischen Zusammensetzung, seinen eigenen Versorgungsbedürfnissen. Die Bedürfnisse, Gleichgewichte, Proportionen und Verhältnisse, die diese mit sich bringen, müssen gewährleistet sein - sonst können die Illusionen nicht aufrechterhalten werden.

Wieviel Mehrwert in ein bestimmtes Organ des Kapitals geht, wird von seiner organischen Zusammensetzung bestimmt: dem Verhältnis von toter und lebendiger Arbeit, das dort besteht. Nehmen wir drei Beispiele: Ein Atomkraftwerk, eine Automobilfabrik und eine Billiggaststätte. Jedes davon ist ein Mechanismus mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Produkten. Die Gaststätte braucht Jack Daniels, wohingegen das AKW raffiniertes Uran 235 braucht; die Gaststätte braucht einen freundlichen Barmann und einen flinken Mann am Grill, die Autofabrik braucht Schweißer und Fließbandarbeiter. Alle diese "Bedürfnisse" haben ihre Kampfgeschichte. Das AKW "braucht" "doppelte Besetzung" für alle wichtigen Operationen; die Autofabrik "braucht" Wachen an den Werkstoren und Computer, die die Bandgeschwindigkeit überwachen, um Verzögerungen zu entdecken; die Gaststätte "braucht" Tellerwäscher, die kein Wort Englisch können. Die Kämpfe haben dem Mechanismus ihren Stempel aufgedrückt: sie schaffen einen Bedarf an Redundanz*16, da die Kämpfe der Lärm sind, der verhindert, daß die Botschaften der Maschine zuverlässig und unveränderlich sind. Jede dieser Zusammensetzungen aus Lebendem und Totem, Organischem und Mineralischem, Energie und Arbeit kann in einem mathematischen Verhältnis gemessen werden, das ungefähr dem Verhältnis zwischen dem Wert des konstanten Kapitals (Produktionsmittel) und dem Wert der Arbeitskraft (Löhne) entspricht. Ein typischer AKW- Arbeiter arbeitet an einer Einrichtung im Werte von ungefähr 300.000 $, ein typischer Automobilarbeiter mit Maschinen im Wert von 30.000 $, während ein typischer Arbeiter in der Gastronomie "Produktionsmittel" im Wert von 3.000 $ benutzt. Doch die Löhne des typischen Automobilarbeiters und des AKW- Arbeiters sind nahezu gleich, wohingegen der Lohn des Gastronomiearbeiters offiziell nur halb so groß ist (mit den Trinkgeldern wäre es allerdings etwas mehr). Deutlich übersteigen die Unterschiede in Kapital pro Beschäftigten die Lohnunterschiede und wir erkennen eine Unterteilung im Aufbau des Kapitals, die sich als Exponentialgröße der organischen Zusammensetzung darstellt: 103, 104, 105. Nennen wir dies die Kapitalsektoren mit niedriger, durchschnittlicher und hoher organischer Zusammensetzung und betrachten das folgende Schaubild (Kapitalsektoren):

Organische Zusammensetzung

C/V

Mehrwert

Art der Arbeit

Hoch

105

Transferiert

Programmierer

Durchschnittlich

104

Relativ

Fließband

Niedrig

103

Absolut

McDonalds

Es wäre viel über dieses Gerüst des Kapitals zu sagen, wir konzentrieren uns auf das Verhältnis Arbeit/Energie in jedem dieser Sektoren. Im mittleren Sektor gibt es einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der aufgewendeten Energie, der erzeugten Arbeit und dem Profit, der dabei herauskommt. Dem Automobilarbeiter ist es klar, daß wenn das Band schneller läuft, mehr Autos vom Band rollen und der Profit von General Motors steigt. Hier scheint es ein Verhältnis von 1 : 1 zwischen höheren Investitionen in die Maschinerie, der Produktivität und der Arbeitsintensität zu geben. Dies ist der Bereich des relativen Mehrwerts. Hier kann der Arbeiter seine Ausbeutung an der Bandgeschwindigkeit messen. Im niederen Sektor wird die Länge des Arbeitstages wichtig. Dies ist der Bereich des absoluten Mehrwerts, wo die Arbeit dadurch erzeugt wird, daß der Arbeiter seine Energie innerhalb des Jobs solange wie möglich abgibt. Das Problem dabei ist, daß der Arbeiter den Mehrwert nicht sehen kann. Die Schnellgaststätte kann die Angestellten fast umbringen und trotzdem den Eindruck erwecken, daß "kein Geld gemacht" wird. Der Chef kann genauso deprimiert sein wie seine Arbeiter und seine Energie praktisch "für nichts" verausgaben. Daher die Tränen der Kleinunternehmer, des "hart arbeitenden" Sektors des Kapitals. Schließlich gibt es noch den hohen Sektor. Hier werden gewaltige Profite gemacht, aber nicht aus den Arbeitern, die an sich die AKWs fahren. Richtig, sie verdienen ihren Lohn auf dem Weg vom Parkplatz zur Meßwarte, aber die Menge an Mehrwert, die in den darauf folgenden acht Stunden "produziert" wird, ist absolut gesehen geringfügig, wenn auch relativ gesehen enorm. Woher kommen hier also die Profite?

Über den Unterschied von Preisen und Werten wird Mehrwert in die Atomindustrie übertragen. Marx weist darauf hin, daß dem gesellschaftlichen Gesamtkapital eine Durchschnittsprofitrate entspricht, während die Einzelkapitalien gemäß dem in jedes Organ investierte Kapital versorgt werden müssen. Aber jedes Organ hat einen unterschiedlichen Betrag an konstantem Kapital in sich. Jene Organe mit hoher Kapitalinvestition pro Arbeiter benötigen einen überdurchschnittlichen Ertrag an Mehrwert, jene mit durchschnittlicher Investition pro Arbeiter brauchen einen durchschnittlichen Ertrag, während jene mit niedrigem Kapitaleinsatz nur einen geringen Ertrag "brauchen".

"Gleiche Gewichte und Gleiche Maßstäbe" entgegnet das Gesamtkapital den Wehklagen seiner Hiobs in den Restaurants, Klitschen und Baufirmen. "Ich erkenne nur mich selbst an", "Ich bin Ich" dröhnt das Kapital aus seiner Wolke und die Kleinunternehmer mitsamt ihren Furunkeln schleichen sich von dannen. Diese Ertrags- Gerechtigkeit wird über die Preise durchgesetzt. Die Warenpreise in den Industrien mit hoher organischer Zusammensetzung sind höher als ihr Wert. Die Warenpreise der niedrig zusammengesetzten Industrien liegen unter ihrem Wert. Die hochzusammengesetzten Industrien "saugen" den Mehrwert, der am Grund des Systems produziert wird, über die Preisstruktur auf. Die Trennung von Preis und Wert macht deutlich, daß die Mehrwertabpressung und die Verfügung über den Mehrwert zwei getrennte Vorgänge sind. Der Besitzer von Alice's Restaurant kann sich zwar beklagen, aber er muß trotzdem seine Strom- und Heizungsrechnung bezahlen (auch wenn er versucht, das zu umgehen). Genau wie Hiob muß der Klitschenbesitzer eine höhere Macht anerkennen. Diese verletzt ihn zwar, aber er würde völlig ausgetilgt werden, falls sie ihn verstößt. So muß er dieser Macht sein Opfer darbringen, wie ungerecht es ihm auch erscheint. Vielleicht stellt er ein winziges Mosaiksteinchen im Großen Plan des Gottes das, sollte ihn der auch zermalmen.

Die Ableitung der "Energiekrise":

Ein theoretisches Intermezzo

Das Auseinanderklaffen von Preisen und Werten zeigt, daß die Energiepreise im Verhältnis zu anderen Preisen steigen können, ohne daß die Arbeit/Ausbeutungs- Analyse des Kapitalismus aufgegeben werden muß. Wenn in den hohen Sektor investiert wird, um der Widersetzlichkeit an den Fließbändern, der Verweigerung der Hausarbeit durch die Frauen und den städtischen Aufständen zu entgehen, dann zieht das höhere Warenpreise in diesem Sektor nach sich. Aber warum erforderte die Profitkrise jetzt eigentlich eine "Energiekrise"? Warum genügten die traditionellen Instrumente des kapitalistischen Zyklus nicht mehr? Warum war der Ablauf: sinkende Profite - Arbeitslosigkeit - Senkung des Lohnanteils - steigende Profite (die "alte Religion" des Kapitals), das allgemeine Erscheinungsbild des Systems, nicht mehr angemessen?

Die Antwort auf diese Fragen ist vielschichtig, aber eins ist klar: der Ursprung der Krise liegt im Zusammenbruch des keynesianischen Fabrik/Haushalt- Zusammenhangs, auf dem die Nachkriegswirtschaft beruhte. Wie eine Amöbe zieht sich das Kapital in sauren Bereichen zusammen und dehnt sich in nahrhafteren, sanfteren Gewässern aus. Im Jahrzehnt der Profitkrise konzentrieren sich die sauren Bereiche an zwei Stellen:

(a) in der Fließbandproduktion der "mittleren" Verarbeitungsindustrien und in der Rohstoffgewinnung

(b) im "Haushalt", wo die Reproduktionsarbeit stattfindet.17

- Das Kapital erfuhr die Profitkrise sowohl als lokale wie weltweite Störung, aber auch als Niedergang seines Selbstwertgefühls und "Kastration" durch den großen, bösen Staat (das Steuern/Ängstlichkeitssyndrom).

Eine typische "vernünftige" Erwiderung auf die Fragen dieses Abschnittes lautet, daß das Steuern/Ängstlichkeitssyndrom eine chronische PRODUKTIVITÄTSKRISE herbeigeführt hat, für die die Energiekrise nur ein Beispiel ist. In den gefügelten Worten von Generaldirektoren wie in den Verlautbarungen der Wirtschaftskoryphäen wird immer wieder dasselbe Übel festgestellt und beschrieen: der Zusammenbruch der Produktivität. Sind diese Predigten völlige Mythen? JA, es sind Mythen, was die Produktivität im engeren Sinn angeht.

Wenn wir unter "Produktivität" den "realen" Ausstoß pro Arbeitsstunde meinen (wie dies die Ökonomen tun), dann hatte das Kapital kein Problem mit der Produktivität. Im Gegenteil, die Nachkriegszeit erlebte einen Produktivitätsboom, wenigstens im Vergleich mit der Zeit von 1914 bis 1947, in welcher zwei Kriege und die Depression stattfanden. Mehr noch, obwohl beide Zeitabschnitte vergleichbare Zunahmen des Ausstoßes pro Stunde aufwiesen, fand in der vorhergehenden Periode ein stärkerer Reallohnanstieg und stärkere Arbeitszeitverkürzung statt. Wenn sich der Erfolg des ersten Abschnittes im zweiten wiederholt hätte, dann würde die wöchentliche Arbeitszeit jetzt 27,8 Std. betragen und der durchschnittliche Reallohn wäre deutlich höher.

Tabelle Nr.6: Entwicklung von Löhnen, Produktivität und Arbeitszeit

Ausstoß pro Arbeitsstunde

Reallöhne

Arbeitszeit

1914-47

+107 %

+103 %

- 31 %

1947-79

+ 91 %

+ 66 %

- 11 %

Zusätzlich hinkten die Reallöhne in der Zeit der Energiekrise (1973 - heute) sogar dem Ausstoß pro Stunde hinterher, obwohl dieser langsamer als in der Vergangenheit wuchs. Aber das Kapital ist nicht am Ausstoß an sich interessiert, sondern an seinem Anteil daran. Das Verhältnis zwischen den Veränderungen des realen Profits und der Veränderung der Produktivität zeigt die statistische Besonderheit des Zeitabschnittes von 1965 - 1973 (Schaubild Nr. 7). In der Nachkriegszeit bis 1965 waren die jährlichen Steigerungen der Profite in etwa doppelt so hoch wie die Produktivitätssteigerungen: aber 1965 begannen sie sich anzugleichen. Erst nach 1973 kehrte das Verhältnis auf seinen historischen Wert zurück. Das zeigt, daß in der Zeit von 1965 bis 73 die Anziehungskraft der Profite zurückgegangen war und überdies die Beziehung Profite - Löhne zerfiel. Irgendwo war da ein Leck. Überall suchte man nach dem Profitdieb. Die Jugendlichen, die Frauen, die Schwarzen, der "Zusammenbruch der Arbeitsmoral" standen unter dringendem Verdacht. Ziehen wir die weisen Worte von Malcolm Denise, Fordmanager, vom Dezember 1969 zu Rate:

"Heutzutage machen sich die Beschäftigten 1. weniger Gedanken darüber, ob sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder bei ihrem Arbeitgeber bleiben; 2. sind sie weniger willens, sich mit schmutzigen und unbequemen Arbeitsbedingungen abzufinden; 3. wollen sie immer weniger das gleichförmige Tempo und die monotone Arbeit an den Fließbändern hinnehmen; 4. sind sie weniger bereit, sich Regeln oder Vorgesetzten zu unterwerfen. Darüber hinaus ist die traditionelle amerikanische Arbeitsmoral - die Auffassung, daß harte Arbeit Tugend und Pflicht sei - beträchtlich untergraben worden... Außerdem gibt es, wieder vor allem unter jüngeren Beschäftigten, einen wachsenden Widerstand gegen die Fabrikdisziplin. Dies ist nicht nur eine Erscheinung in den Betrieben, sondern die betriebliche Auswirkung eines Trends, den wir überall bei der heutigen Jugend antreffen."18

Schaubild 7:


Der Wind war voll solchen Gejammers! "Das LSD wird das Fließband auffressen!" "Die Feministinnen zerstören die Familie!" "Die Schwarzen wollen alles!"... bis zum Erbrechen.

Als der Ausstoß pro Stunde im Bergbau zusammenbrach und begann, sich bei Autos, Stahl und Gummi zu verlangsamen, nahm die Lautstärke des kapitalistischen Gejammers noch um einige Phon zu. Aber die Ursache war nicht der Ausstoß pro Stunde, sondern der Profit pro Arbeitsstunde. Der Profitanteil an den Produktivitätssteigerungen war in Gefahr... Daher die Notwendigkeit einer völligen Umgestaltung in der Struktur von Preisen und Arbeit. Es ging schließlich nicht um irgendeine Statistik, sondern um die Grundlage des Klassenverhältnisses zwischen Arbeitern und Kapital. Wie in der Einleitung schon dargestellt, bestand die Kapitalstrategie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts darin, die Produktivität einigermaßen an den Profit anzupassen. Jede ernsthafte Störung dieser Strategie stellt daher ein Jahrhundert jener kapitalistischen Weisheit in Frage, die in der "Grenzproduktivitätstheorie" verkörpert wird.

Der Kapitalismus ist ein System voller Grenzwerte, Beschleunigungen, Veränderungen, Gefällen; nicht von Strömen, sondern von Strömen von Strömen. Die Erscheinungen, seien sie auch noch so offensichtlich und öffentlich beklagt, erzählen deshalb nicht die richtige Geschichte. Kapital ist abstrakt, und sein Zerbrechen ist zunächst genauso abstrakt, denn das Problem ist nicht die Geschwindigkeit, sondern das Fehlen des Anstoßes. Die Profitkrise 1965 - 73 stoppte nicht den Strom, sondern den Strom der Ströme. Um die Akkumulationsstrategie zu verstehen, welche durch den Klassenkampf in jener Zeit gefährdet wurde, müssen wir die Seele des Kapitals erforschen, nicht indem wir Psychoanalyse betreiben, sondern indem wir seine Theoretiker belauschen.

Die "Grenzproduktivitätstheorie", also jene Wirtschaftslehre, die zu jedem Einführungskurs gehört, taucht bezeichnenderweise zur Zeit des Aufstandes und des Abschlachtens der Pariser Commune auf. Sie besagt, daß, um den Profit der Einzelfirmen zu maximieren und den Akkumulationsprozeß in der ganzen Gesellschaft vorantreiben zu können, Löhne und Profite mit einer andauernden Produktivitätssteigerung der gesellschaftlichen Arbeit aufeinander abgestimmt werden müssen. In anderen Worten, der Produktivitätszuwachs, erzielt durch neue Technologien, "wirkungsvollere" Arbeitsorganisation in Fabriken, Bergwerken und Landwirtschaft, "wissenschaftliche" Planung von Familie, Schule, Gesundheitswesen, mußte mit der Arbeiterklasse geteilt werden. Das Kapital konnte sich nicht alles aneignen. Die klassische Umsetzung dieser Strategie ist die frühe Lohnpolitik von Ford, bei der relativ kapitalintensive Massenproduktionstechniken mit Zuschlägen für Pünktlichkeit und "sauberes" Familienleben kombiniert wurden. Ohne diese Taktiken hätte die jährliche Fluktuationsrate von fast 300 % den Gang des Fließbandes (die Grundlage der Produktion) dauernd unterbrochen. Niemand wird als Automobilarbeiter geboren, man muß dazu gemacht werden und die Herstellung zuhause muß geplant werden. Ford begriff die andere Seite der Grenzproduktivitätstheorie: Die Löhne müssen die Arbeiter nicht nur dazu "veranlassen", die Disziplin des Fließbands zu übernehmen. Die Arbeiterklasse kann durch höhere Löhne auch ein dynamischer Verbraucher werden und so das System zu einem höheren Produktionsniveau treiben (und damit zu höherer Produktivität, da eine solche Kapitalkonzentration wie River Rouge sich nur bei permanenter Verwertung bezahlt macht). Wenn sich die Löhne erst einmal entsprechend der gesellschaftlichen Produktivität entwickeln, dann wird die Arbeiterklasse ein durch den Konsumgütermarkt in das kapitalistische System integriertes Produktionsmittel. Die Reproduktion wird zur "dynamischen Produktivkraft" anstatt lediglich das Überleben der Arbeitskraft zu garantieren.

Marxisten haben die Grenzproduktivitätstheorie kritisiert als subjektive Mathematisierung der Vulgärökonomie mit dem Ziel, Marx niederzumachen. Bucharin nennt diese Theorie die "Ideologie einer Bourgeoisie, die bereits aus dem Produktionsprozeß entfernt wurde."19 In Wirklichkeit ist sie die Strategie, die Arbeiterklasse in den Konsumtionsprozeß einzubeziehen. Die Marxisten erkannten nicht, daß die Absichten, das System zu rechtfertigen, bei der Grenzproduktivitätstheorie nur nebensächlich waren. Es ging vor allem darum, dem Kapital angesichts eines radikal veränderten Klassenkampfs eine neue Strategie zu geben. Im Laufe der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts und durch den Ausbruch der Bedürfnisse in der Pariser Commune wurde deutlich, daß die Arbeiterklasse nicht als abgegrenzte, gleichsam natürliche Spezies begriffen werden konnte, deren Bedürfnisse abhängig vom Bevölkerungswachstum befriedigt werden konnten oder auch nicht. Wie Marx 1867 in "Lohn, Preis, Profit" vorschlägt, ging der Kampf um den Normalarbeitstag in den fortgeschrittenen Sektoren langsam in den Kampf für höhere Löhne über.

Die Konstellation der Klassen hatte sich verändert. Um dies zu erkennen, müssen wir zunächst zu den Grundlagen zurück. Der Arbeitstag zerfällt in zwei Teile:

V / M

V stellt den Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit dar, der notwendig ist, die Arbeiterklasse in ihrer kapitalistischen Funktion zu reproduzieren, M ist die Mehrarbeit, die sich das Kapital aneignet. Diese unbezahlte Arbeit, das Geheimnis des Kapitals, erscheint in vielen Formen, nicht nur in der Fabrik, sondern auch in der Küche, auf der Straße des Ghettos und im Labor. Mathematisch gesehen, stellt sich der Klassenkampf für das Kapital als Verhältnis zwischen V, M und V+M dar. Das Ziel ist die Akkumulation von Mehrwert, M, wobei es nur zwei Arten gibt, diesen zu steigern: absolut und relativ. Absoluter Mehrwert wird angeeignet, indem der Arbeitstag verlängert wird, V+M, ohne V zu verändern. Diese Art von Mehrwert wurde zur Zeit Newtons entwickelt. Aber die Möglichkeiten des Kapitals, absoluten Mehrwert zu erzeugen, wurden durch den Arbeiterkampf für den "Normal"arbeitstag, d.h. die Kampagnen für den "10-Stunden-Tag" oder den "8-Stunden-Tag", untergraben. Die Antwort des Kapitals bestand im relativen Mehrwert, der dadurch angeeignet wird, daß V im Verhältnis zu M gesenkt wird, wobei V+M gleich bleibt oder sogar abnimmt. Der relative Mehrwert bestimmt jene Art von Produktion, die der thermodynamischen Erforschung von Arbeit/Energie zugrunde liegt.

Der relative Mehrwert kann nur durch ständige Umwälzungen der Produktivkräfte und -verhältnisse erzeugt werden. Dies erfordert die Anwendung von Wissenschaft, Gedächtnis und Fähigkeit bei jeder neuen Zusammenstellung. Marx sah in der Wende zum relativen Mehrwert eine notwendige Tendenz des Kapitals:

"Die Vermehrung der Produktivkraft der Arbeit und die größte Negation der notwendigen Arbeit ist die notwendige Tendenz des Kapitals, wie wir gesehn. Die Verwirklichung dieser Tendenz ist die Verwandlung des Arbeitsmittels in Maschinerie. (...) Die vergegenständlichte Arbeit erscheint in der Maschinerie unmittelbar selbst nicht nur in der Form des Produkts oder des als Arbeitsmittel angewandten Produkts, sondern der Produktivkraft selbst. (...) Wenn so einerseits die Verwandlung des Produktionsprozesses aus dem einfachen Arbeitsprozeß in einen wissenschaftlichen Prozeß, der die Naturgewalten seinem Dienst unterwirft und sie im Dienste der menschlichen Bedürfnisse wirken läßt, als Eigenschaft des capital fixe gegenüber der lebendigen Arbeit erscheint; (...) So werden alle Kräfte der Arbeit transponiert in Kräfte des Kapitals; (...)."20

Die Grenzproduktivitätstheorie spiegelt die kapitalistische Strategie im Zeitalter des relativen Mehrwerts wieder. "Produktivität" wird eine zentrale politische Kategorie, "Leistung" wird zum Schlachtruf bei der Regulierung der Klassenbeziehungen, genauso wie das frühe Bürgertum die Feudalherren als "unproduktiv" verdammt hatte. So betrachtete Jevons, der "Vater der Grenzproduktivitätstheorie", diese als statistische Thermodynamik, was die Umwandlung von Energie (in der Form von Wünschen, Genüssen und Notwendigkeiten) in Arbeit betraf. Für ihn ist das kapitalistische System eine gigantische Dampfmaschine, die Millionen verschiedener Energieimpulse der Arbeiterklasse in akkumulierte kapitalistische Kraft verwandelt. Nach relativ kurzer Zeit tauchte diese Theorie in den Lehrplänen für kapitalistische Manager auf. Ihre erzieherische Funktion wird sofort klar, sogar in ihrer abstrakten Form (auch wenn die "hemdsärmeligen" Betriebswirtschaftler über die Kollegen schimpfen, die sich mit Theorie befassen). Sie gewöhnt das Kapital an die dauernde Veränderung der produktiven Arrangements, an die Erwartung unaufhörlichen Wandels in den Produktionsverhältnissen (um Kerne proletarischer Klassenorganisation zerstören zu können) und an die Erkenntnis der eigenen Abstraktheit. Zugleich lehrte die Theorie noch eine Lektion: der Arbeiterklasse konnte nicht länger nur mit bloßer Unterdrückung und Mord begegnet werden, wenn sie kämpfte; ihr mußte eine dynamische Funktion im System der Produktionsverhältnisse und der Macht eingeräumt werden... der Kampf konnte und mußte genutzt werden.

Diese Theorie zeigte dem Kapital z.B., wie die Gewerkschaften benutzt werden konnten, anstatt sie zu verbieten und zu zerschlagen, wo immer sie auftauchten. Sie stellte fest, daß die Gewerkschaften die Löhne auf lange Sicht sowieso nicht über die Arbeitsproduktivität hinaus steigen lassen können, weil die Löhne letztendlich durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt werden. Schlimmstenfalls sind Gewerkschaften unschädlich; im besten Fall können die Gewerkschaften zwar einzelnen Kapitalisten weh tun, aber durch das Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen die Arbeitsorganisation vervollkommnen und die Produktivität anregen.

Nehmen wir Böhm- Bawerk, den österreichischen Finanzminister und Entdecker des "Irrtums im Marx'schen System" (nämlich der Abweichung von Preisen und Werten). Er schrieb 1914:

"(...); und indem der Unternehmer, dem zwar in bezug auf den Preis der Arbeit, aber nicht in bezug auf die gesamte technische Einrichtung seiner Produktion die Hände gebunden sind, die nunmehr billigste Kombination der Produktionsfaktoren wählt, wird er eine andere als die bisherige Kombination wählen müssen, und zwar eine solche, die an dem nunmehr verteuerten Produktionsfaktor spart - genauso wie man z.B. bei der Teuerung des Naturfaktors von extensiven zu intensiveren Produktionssystemen übergeht (...)"21

Wenn also die Gewerkschaften die Löhne hochtreiben, ist der Kapitalist gezwungen, die Produktion neu zu organisieren, indem er zum Beispiel die Arbeitszeit weniger extensiv, aber dafür intensiver nutzt (wenn wir die Aussage vom Boden auf die Arbeit anwenden, wird aus Raum Zeit). Die Gewerkschaften können den Übergang vom absoluten zum relativen Mehrwert erzwingen und ein Faktor der Kapitalentwicklung werden, vorausgesetzt sie haben sich dem System angepaßt: hetzen nicht zuviel, wollen nicht zuviel und vor allem, sie "kommen mit uns ins Geschäft". Die Vielzahl der Methoden, die das Kapital benutzt, um die Arbeiterklasse zur Anpassung zu bringen, wird in den Lehrbüchern kaum abgehandelt. Der "Unternehmer" sollte sie selbst herausfinden können: manchmal die Köpfe einschlagen, manchmal die Regierung übernehmen lassen. Entscheidend dabei war, und dies ist auch jeder Generation von Kapitalisten beigebracht worden: Man kann den Klassenkampf nicht mehr führen mit den Methoden eines Scrooge.*22

Solch eine Strategie, nun schon ein Jahrhundert alt, wird nicht von heute auf morgen überwunden. Sogar die sogenannte "Keynesianische Revolution" stellte nicht in Frage, daß es äußerst wichtig sei, Lohn- und Profitsteigerungen an die Produktivitätssteigerungen zu koppeln. Keynes erkannte, daß das "Gesamtkapital", der Staat, unbedingt eingreifen und diesen Zusammenhang garantieren mußte, auch wenn Einzelkapitalisten dies ablehnen sollten. Noch in den 60er und 70er Jahre wurde die Grenzproduktivitätstheorie bei Debatten über Kapitaltheorien immer wieder angegriffen. "Was?", sagten die Theoretiker der Grenzproduktivität, "können Löhne und Profite nicht miteinander wachsen und sich aneinander emporwinden wie Ranken aus dem Grab eines toten Liebespaares?"

Gerade als die Statistiken den langfristigen Erfolg der Ankopplung der Reallöhne an die Produktivität verkündeten, nahm bei den Weisen der Wirtschaft die Beunruhigung zu. In den frühen 70ern wurde es offensichtlich, daß Profite und Löhne wieder entgegengesetzt waren, genau wie in den Tagen des absoluten Mehrwerts. Die Profite konnten keinen normalen Anteil am Produktivitätszuwachs mehr sichern und, bedrohlicher noch, die Investitionen, die für das Aushandeln des Gleichgewichts wesentlich waren (Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien), waren durch die Kämpfe unterwandert oder umgangen worden. Kämpfe für Sozialleistungen, Ghettorevolten, wilde Streiks, Fabrikbesetzungen und der "Zusammenbruch" der Disziplin von der Armee bis zur Universität (was die "Unordnung" in der Familie und den Sexualbeziehungen widerspiegelte). Alles dies bewegte sich außerhalb der Sphäre der Gewerkschaftsbürokratien und Konferenzzimmer. Obwohl der eigentliche Inhalt dieser Kämpfe anscheinend widersprüchlich war:

- SCHLUSS MIT DER ARBEIT - BEZAHLUNG ALLER GELEISTETEN ARBEIT

- MACHT LIEBE, NICHT KRIEG - LIEBE IST ARBEIT

- FREIHEIT JETZT - KEINE ARBEIT MEHR UMSONST

war das Kapital mehr über ihre "Verhandlungsunfähigkeit", ihre "Unvernunft" besorgt. Der Kapitalismus lebt von der Zukunft und diese Forderungen bedeuteten unmittelbar:

- NO FUTURE, WIR WOLLEN ES JETZT!

Was als geringe statistische Schwankung hätte erscheinen können, waren böse Vorzeichen, die aus den Eingeweiden der Datenverarbeitung und den Computerausdrucken herausgelesen werden konnten. Die Produktivität wurde durch die neuen Klassenkräfte nicht länger garantiert. Sie hatten das astronomische Ausmaß der erreichten Akkumulation gerochen und verlangten nun alles und zwar sofort.

Wie in der Erkenntnistheorie des Pragmatismus führt der äußere Reiz zum Gedanken; und diese Forderungen reizten die kapitalistischen Manager ganz gewaltig. Zum Glück für das Kapital war der benötigte Gedanke schon ins Bewußtsein vorgedrungen. Piero Sraffa hatte ein System entwickelt, das eine von der Grenzproduktivitätstheorie radikal verschiedene Strategie vorschlug. Wie alle echten kapitalistischen Antworten auf die Klassenkämpfe nahm auch Sraffa deren Forderungen auf, verdrehte aber ihre Absichten. Genau wie das frühe Kapital den gegen die Großgrundbesitzer gerichteten Slogan der Digger: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!"*23 aufnahm und ihn gegen sie wandte, nimmt die neue kapitalistische Strategie die Arbeitsverweigerung der Klasse auf und bezieht sie auf sich selbst.

Sraffa's Strategie beginnt mit der Erkenntnis, daß die Krise von der Unfähigkeit herrührt, das Wachstum der Löhne und Profite ausgeglichen an die Produktivität zu koppeln. Sraffa argumentiert, daß Löhne und Profite als gegensätzliche Größen betrachtet werden müssen. In der Grenzproduktivitätstheorie ist der Lohn die Bezahlung für den Gebrauch des bestimmten "Produktionsfaktors" Arbeitskraft an dessen Eigentümer, den Arbeiter; die Profite sind die Bezahlung für den Gebrauch des investierten Kapitals (in Form von Maschinen, Rohstoffen oder Geld) an dessen Eigentümer, den Kapitalisten, d.h. Löhne und Profite sind theoretisch unabhängig voneinander. Die Grenzproduktivitätstheorie fängt bei der Einzelfirma an und jeder Faktor, Arbeit und Kapital, trägt zur Produktion bei und wird entsprechend entlohnt: "ein gerechtes Tagwerk für einen gerechten Taglohn" und "ein gutes Werkzeug ist seine Miete wert".

Sraffa jedoch betrachtet die kapitalistische Maschine als ein Ganzes, mit ihrem gesamten Input und Output, ihrer Nahrung und ihrer Scheiße. Er teilt den Gesamtoutput in zwei Teile: Löhne und Profite. Der Lohn ist der Teil des gesamten Wertes, der von der Arbeiterklasse angeeignet wird. Sein Bild ist das einer kapitalistischen Maschine (einer komplexen Vernetzung von Material- und Arbeits- Strömen, -Verschiebungen, -Erzeugungen und -Unterbrechungen), die nach jedem Zyklus anhält und das Gesamtprodukt auswirft. Dann kämpfen Kapitalisten und Arbeiter darum, wieviel jeder davon abkriegt. Das ist nicht mehr "Jedem das Seine", jetzt gilt das lex talonis (Gesetz des Stärkeren): Hunde- und Wolfsrudel balgen sich um das Aas. Aber es gibt eine Grenze für das Mindeste, was die Arbeiter abkriegen müssen. Sie müssen vom Gesamtprodukt genug abbekommen, um leben und ihre Art fortpflanzen zu können. Der Lohn muß demnach in zwei Teile aufgeteilt werden:

"Wir haben bisher unterstellt, daß die Löhne lediglich den Lebensunterhalt der Arbeiter decken und deshalb in gleicher Weise in das System eingehen wie der Kraftstoff für Maschinen oder das Futter für das Vieh. Wir müssen nunmehr den anderen Aspekt der Löhne berücksichtigen, daß sie nämlich außer dem ständig vorhandenen Element des Lebensunterhalts noch Teile der Überschußproduktion in sich einschließen können. In Hinsicht auf diesen Doppelcharakter wäre es angebrachter, nur die Aufteilung des Überschusses zwischen den Kapitalisten und Arbeitern zu betrachten. Auf diesem Wege ließe sich der Lohn in die beiden Komponenten zerlegen und einzig die >Überschuß<komponente als Variable betrachten,..."24

Der "Subsistenz"- Teil des Lohnes erinnert an den klassischen Lohnbegriff (z.B. Ricardo: "Der natürliche Preis der Arbeit ist der Preis, der nötig ist, die Arbeiter zu befähigen, one with another, zu subsistieren und ihre Race zu verewigen, ohne Wachstum oder Abnahme."25). Von seiner Natur her ist der Subsistenzlohn nicht abhängig von der Menge der geleisteten Arbeit. Er wird von den Zwängen des besonderen Produktionssystems und den angeblich feststehenden (fast biologischen) Bedürfnissen der "Arbeiterklasse" bestimmt. Die Notwendigkeit des Subsistenzlohns spiegelt jene problematische Wahrheit wieder, welcher die Einzelkapitalisten versuchen auszuweichen, der aber das Kapital als Ganzes nicht ausweichen kann: um arbeiten zu können, muß mensch am Leben bleiben, auch dann wenn mensch nicht arbeitet. Das ist die unüberwindliche "äußere Grenze" der kapitalistischen Produktion. Die Arbeit produziert immer wieder Verschmutzung durch Nichtarbeit, die jemand "wegputzen" muß.

Die klassische Wirtschaftstheorie führte zum "ehernen Lohngesetz", um dann zu entdecken, daß auch Bronze bei ausreichender Hitze schmilzt. Also räumte die Grenzproduktivitätstheorie ein, daß der Lohn variabel sein kann, solange seine Veränderung von der Arbeitsproduktivität bestimmt wird. Für Sraffa hingegen rührt der veränderliche Teil des Lohnes vom Mehrprodukt her, das vom Produktionsmechanismus über das bloße Überleben hinaus erzeugt wird. Sraffa behauptet folgendes: die "Rasse der Arbeiter" kämpft mit dem Kapital, um sich einen Teil dieses Mehrprodukts unabhängig von ihrer Produktivität anzueignen. Dieser "Mehrlohn" ist eine Art "politischer Lohn", da er nicht aus den technischen Produktionsverhältnissen ableitbar ist. Sraffa macht so die Zuversicht von Böhm-Bawerk, der Lohn sei langfristig vom "freien" Arbeitsmarkt bestimmt, schlagartig zunichte. Sraffa's System beschreibt eine Welt, in der die Arbeiterklasse die Abhängigkeit von der Produktivität erfolgreich durchbrochen hat, in der das Verhältnis von Löhnen und Profiten streng gegensätzlich ist. Mit Sraffa begreift das Kapital eine Situation, in der die Menge der Gesamtproduktion, die die Maschine liefert, nicht mehr proportional der Arbeit ist, welche der Arbeiterklasse abgepresst wird: der Lohn wird von der Arbeit unabhängig. Dies bedeutet das Ende des Versuchs der Grenzproduktivitätstheoretiker, den Profit als "gerechte Belohnung" für den Beitrag des Kapitals zum Produktionsprozeß zu rechtfertigen. Das Kapital hat Anrecht auf gar nichts, es muß um alles kämpfen. Wir erreichen hier jene Situation großer Spannung zwischen den Klassen, die Marx im vorigen Jahrhundert vorhersah:

"Der wirkliche Reichtum manifestiert sich vielmehr - und dies enthüllt die große Industrie - im ungeheuren Mißverhältnis zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Produkt, wie ebenso im qualitativen Mißverhältnis zwischen der auf eine reine Abstraktion reduzierten Arbeit und der Gewalt des Produktionsprozesses, den sie bewacht. Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält."26

Wenn die Arbeitsproduktivität über gewisse Grenzen hinaus wächst, so argumentiert Marx, schlägt jeder Versuch, die "Arbeitszeit" als Maß des Reichtums zu benutzen, fehl und der "Tauschwert ist nicht mehr das Maß des Gebrauchswerts." Das Kapital gerät in seinen tiefsten Widerspruch.

"Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der anderen Seite will es diese so geschaffenen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffenen Wert als Wert zu erhalten."27

Wenn der Kampf der Arbeiterklasse das Kapital zu einem Punkt treibt, wo die notwendige Arbeitszeit gegen Null strebt, dann kann Sraffa's System gewinnbringend angewandt werden.

Was kann in einer solchen Situation den Lohn bestimmen, wenn nicht die Produktivität? Sraffa wendet sich der alten Corn Law -Diskussion*28 zu, d.h. der Manipulation des Lohnes durch Kontrolle der relativen Warenpreise. Er argumentiert, daß die Preise durch die Lohnquote festgesetzt werden; gleichzeitig kann bei gegebener Warenproduktion die Lohnquote durch die Austauschverhältnisse zwischen den Waren bestimmt werden. Solange das Kapital die Macht hat, die Preise aufeinander abzustimmen, hat es auch die Macht zu kontrollieren, wieviel "politischen" Lohn (Mehrprodukt) die Arbeiterklasse erhält. Aber nicht jede Art von Waren ist dazu geeignet.

Sraffa unterscheidet zwei Arten von Waren: grundlegende und nicht-grundlegende. Grundlegende Waren gehen in die Produktion von allen Waren ein, nicht-grundlegende nicht.

"Diese (nicht-grundlegenden; Anm.d.V.) Produkte nehmen an der Bestimmung des Systems nicht teil. Ihre Rolle ist rein passiv. Verringerte eine Erfindung sämtliche zur Herstellung einer solchen >Luxus<gütereinheit erforderlichen Mengen an Produktionsmitteln um die Hälfte, so würde sich der Preis dieser Warenart halbieren, aber weitere Konsequenzen ergäben sich nicht; die Preisrelationen der anderen Produkte und die Profitrate blieben hiervon unberührt. Beeinflußte indes eine solche Erfindung den Herstellungsprozeß von Erzeugnissen des anderen Warentyps, die tatsächlich als Produktionsmittel wirken, so würden davon alle Preise berührt und die Profitrate änderte sich."29

In anderen Worten: Wenn die Lohnquote (und damit der Profit) beeinflußt werden soll, ist es sinnlos, den Preis von Kuckucksuhren oder sogar von Stereoanlagen und Fernsehgeräten zu ändern, d.h. von "langlebigen Konsumgütern", die sich bei der vergangenen Entwicklung des Systems als derart wichtig erwiesen haben. Eine Strategie nach Sraffa muß sich also mit den Ernergieerzeugnissen (z.B. Erdöl und Strom) beschäftigen, da diese direkt oder indirekt in die ganze Bandbreite der Produktion von Düngemitteln bis Computern eingehen. "Energie"waren sind grundlegende Waren. In einem Zeitalter, in dem die Grenzproduktivitätstheorie nicht mehr funktioniert, muß also jeder Versuch, das Verhältnis Lohn - Profit zu beeinflussen, Preisveränderungen bei grundlegenden Waren beinhalten.

Dieser Ausflug in die Theorie von Sraffa erklärt, warum die Profitkrise 1965 - 72 eine Energiekrise notwendig machte. Nur mit Preiserhöhungen bei den Energieerzeugnissen kann der durchschnittliche Reallohn gesenkt und Investitionen aus Industrien mit niedriger organischer Zusammensetzung in solche mit hoher verschoben werden. Solche Preiserhöhungen beseitigen sowohl weltweite als auch lokale Störungen der Profitrate, da sie den allgemeinen Lohn senken (ob er als Arbeitslohn bezahlt wird oder als Sozialhilfe, Rente, Arbeitslosengeld) und gleichzeitig den Anteil des Wertes senkt, der in die Industrien mit mittlerer und niedriger organischer Zusammensetzung geht. Die Energie spielt eine zentrale Rolle sowohl im Lohn"warenkorb" (Heizung, Essen etc.) als auch in der Produktion von "Kapital"gütern. Ihren Preis zu verändern, bedeutet unweigerlich, die Durchschnittsprofitrate zu beeinflussen, anstatt immer wieder neu zu einer vorherbestimmten Profitrate zurückzukehren. Die Profitkrise kündigt nicht einfach eine weitere Schwankung um eine gegebene "langfristige" Durchschnittsprofitrate an. Es geht um einen Fall dieses Durchschnitts, der auf der Grundlage des keynesianistischen Lohn-Inflations- Kreislaufes, welcher Reallöhne und Produktivität über die "Geldillusion" koordiniert, nicht mehr behandelt werden konnte. Keine "durch die Bundesbank verursachte" Inflation oder "monopolkapitalistische" Umverteilung der Lohnsteigerungen konnten mit der überraschenden Umfänglichkeit und Neuheit der proletarischen Kämpfe fertig werden. Zum wesentlichen Hebel zur Erneuerung des Systems mußte eine Energiepreisveränderung werden, welche die Profitkrise global im Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion und lokal, etwa durch Schließung widersetzlicher Fabriken, angehen würde.

Die Vielfalt der Arbeit: Reproduktion

Sraffa's Unterscheidung zwischen grundlegenden und nicht grundlegenden Waren ist wichtig für unsere Erklärung der Energiekrise als Antwort auf den Angriff der Arbeiterklasse auf die kapitalistische Akkumulation in den späten 60ern und frühen 70ern. Allerdings hat Sraffa's Theorie einen entscheidenden Fehler. Das Kapital produziert nicht Dinge, "Warenkörbe", "Kuchen in bestimmter Größe" oder körperliche Scheiße, sondern Werte, Arbeit. Es ist ein System zur Ausbeutung von Zeit, Leben und Energie. Auch wenn wir ein Niveau erreicht haben, auf dem "alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs" in den Produktionsprozeß eingeschlossen sind, ist das Kapital keineswegs über seinen Maßstab - Arbeitszeit - hinausgegangen, wie Sraffa annimmt. Das "Wertgesetz" ist nicht widerlegt, im Gegenteil: es herrscht mit der allergrößten Strenge. Genausowenig ist die Beziehung zwischen Kapital und Arbeiterklasse nur ein "reines Machtverhältnis" (wie das zwischen DeSade's Aristokraten und ihren Opfern), sondern eines, in der die Arbeit immer noch die Grundlage der Macht des Kapitals ist. Was sich durch die Veränderungen in den Preisen der grundlegenden Waren geändert hat, ist die Verlagerung von Arbeit von dem Sektor mit niedriger in den mit hoher organischer Zusammensetzung.

Für den Erfolg der Strategie der Erhöhung der Energiepreise muß eine riesige Menge Arbeit produziert und aus dem niedrigen Sektor herausgepresst werden, um sie dann in Kapital zu verwandeln, das für den hohen Sektor verfügbar ist. Um das neue kapitalistische "Utopia" der "High-Tech", der nach Kapitalbeteiligungen schreienden Industrien im Energie-, Computer- und Gentechnikbereich zu finanzieren, muß ein anderes kapitalistisches Utopia geschaffen werden: Eine Welt der "arbeitsintensiven", schlecht bezahlten, zerstreuten und dezentralisierten Produktion. Die Preissteigerungen stünden nur auf dem Papier, wenn sie nicht zu einer qualitativen Zunahme von Scheißarbeit führen würden. Das ist die Krise innerhalb der Krise. Können die Preisaufschläge für Energie mit der entsprechenden Arbeit gedeckt werden? In diesem Konflikt wird, wie immer in der Geschichte des Kapitals, ein technologischer Sprung von den technologisch am meisten vernachlässigten Arbeitern bezahlt. Jene aus der Anti-AKW-Bewegung, die den Slogan "Atomenergie zerstört, Sonnenenergie schafft Arbeitsplätze" unterstützen, haben Unrecht. Eine Atomgesellschaft erfordert gerade einen riesigen Arbeitszuwachs, nicht in den AKWs und im Brennstoffkreislauf natürlich, aber in der kapitalistischen Umgebung. Die Elektrizitätsgesellschaften können in AKWs, in Ingenieure und Wächter für ihren Betrieb investieren, doch Investitionen allein garantieren noch keinen fixen Gewinn. Damit aus solchen Investitionen in der High-Tech- Industrie Profite gezogen werden können, müssen diese aus Ausbeutung im niedrig technisierten Sektor umverlagert werden. Wie immer: "Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol ..."30 Die Lösung der Energiekrise bedingt die Vernichtung des altmodischen Fließbandarbeiters und die Schaffung einer neuen Struktur der Ausbeutung. Wo also kann diese Arbeit herausgeholt werden? Oder besser, aus wem?

Die kapitalistische Entwicklung lebt von der Energie der Arbeiterklasse, von ihrem revolutionären Widerwillen. Ironischerweise beantwortete der Kampf selber die Fragen des Kapitals. Wenn im Zentrum der Profitkrise die Trennung zwischen und die Auflehnung der Fließbandarbeiter und der Hausfrauen steht, dann muß die Lösung der Profitkrise deren Energie gegen sie selber wenden. Dieser Tanz des Kapitals nennt sich Dialektik. Den Männern, die sagten "Macht doch euern Dreck alleine", antwortet das Kapital mit der Schließung von Auto- und Stahlfabriken; auf das "Hau ab, Junge!" der Frauen antwortet das Kapital mit Jobs im Dienstleistungssektor. Die zunehmende Weigerung der Frauen und Jugendlichen, das familiare Lohnverhältnis zu akzeptieren, erzwang eine völlige Neuordnung des Lohnes und der Struktur der Arbeit. Die Energie, die durch die Revolte der Frauen gegen die unbezahlte Hausarbeit freigesetzt wurde, wurde in den Sektor mit niedriger organischer Zusammensetzung geleitet und lieferte dort die für den Energiepreistransfer benötigte Arbeit. Mit der Revolte gegen den Familienlohn eröffneten die Frauen einen neuen Pfad kapitalistischer Entwicklung.

Der Familienlohn ist der Lohn, der dem männlichen Arbeiter für seine Reproduktion bezahlt wird, der aber auch, auf verborgene und indirekte Art, seine Frau und Kinder reproduzieren soll und der ihm reale Macht über sie gibt. Die Struktur der Kleinfamilie ist durch diesen Lohn vorgegeben, alle Seiten des Kräfteverhältnisses zwischen Männern und Frauen ist in einer bloßen Zahl dargestellt. Aber auch das ist nur ein weiteres Beispiel, welch illusorischen Charakter der Lohn hat. Die Wirtschaftswissenschaftler sagen, Lohn sei der "Preis der Arbeit". Aber worauf bezieht sich dieser Preis? 5 Dollar die Stunde, 200$ die Woche, 10000$ ein Jahr, 400000$ für das ganze Leben ... was bezahlt dieses Geld für Zeit wirklich? Kann irgendein Betrag dein Leben bezahlen? Nein, es wird nur die Zeit bezahlt, die es braucht, um dich herzustellen.

"Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. (...) der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel."31

Das sagt Marx, aber hier hat er nicht Recht. Denn die Produktion der Arbeitskraft beinhaltet mehr als einen Korb voll Waren, die Lebensmittel. Auch Arbeit ist notwendig, um diesen "spezifischen Artikel" zu produzieren und muß in den Wert der Arbeitskraft eingerechnet werden. Gemeint ist diese wichtige Klein-Arbeit, weitgehend weiblich, unbezahlt und deshalb unsichtbar. Hausarbeit... kochen, waschen, ficken, beruhigen, nach dem Anschiß trösten, Lippenstift, Thermostat, gebären, den Kindern das richtige Scheißen beibringen, die Erkältung kurieren, den Krebs wachsen sehen, sogar Gedichte gegen die Schizophrenie... Sicher, Marx betonte, daß in der Menge der Lebensmittel auch "ein historisches und moralisches Element" stecke, doch seine Haushälterin und Jenny scheinen umsonst gewesen sein.

Warum ist die Hausarbeit so mikroskopisch unsichtbar, gleichwohl tatsächlich vorhanden? Einfach weil das Kapital die Bedürfnisse der Hausarbeiterinnen, solange es nicht dafür bezahlen muß, einfach unterdrücken kann und - sich so die Geschlechterpole der Arbeiterklasse gegenseitig im Schwitzkasten haben. Nur wenn die Frauen sich weigern, diese Arbeit zu machen, beginnt das Kapital, sie anzuerkennen und zu bezahlen, oder anders ausgedrückt: nur wenn die Frauen gegen diese Arbeit kämpfen, wird daraus eine Ware. Kapital erkennt sich zuallererst im Spiegel der Warenform, wobei die notwendige Bedingung, daß etwas zur Ware wird, ein "reales oder subjektives" Bedürfnis danach ist.

Allerdings besteht kein Bedürfnis nach etwas, das einfach da ist, bloße Tatsache, sozusagen natürlich. Es wird erst Bedürfnis, wenn es jemandem fehlt. Aber dem kann nachgeholfen werden. Das Kapital erzeugt Waren, indem es Natürliches un-natürlich macht, z.B. Land. Aber es gibt auch die entsprechende gegenläufige Operation: das was unnatürlich ist, zu Natürlichem zu machen. Beide Verfahren sind auf die Arbeit angewandt worden. Kapital hat das Bedürfnis nach der regulären Lohnarbeit, es braucht sie und sie kann ihm versagt werden im Kampf. Entsprechend ist sie unnatürlich, eine Ware, bezahlt. Dagegen:

"Im Fall der Hausarbeit ist die Situation qualitativ davon verschieden. Der Unterschied liegt darin, daß die Hausarbeit nicht nur uns Frauen aufgezwungen, sondern zu einer natürlichen Eigenschaft unserer weiblichen Körperlichkeit und Persönlichkeit gemacht worden ist - ein inneres Bedürfnis, eine Ambition, die angeblich aus den Tiefen unseres weiblichen Charakters kommt. Hausarbeit hat deshalb zu einer natürlichen Eigenschaft werden müssen, statt als gesellschaftlicher Vertrag anerkannt zu werden, weil sie in der kapitalistischen Strategie den Frauen gegenüber von Anfang an unbezahlt bleiben sollte."32

Wenn Frauen sich weigern, das zu tun, "was natürlich ist", dann werden ihre Dienste zu Waren für das Kapital, dann werden ganze Industrien geboren. Ähnlich erfuhr die Industrie für persönliche Schutzausrüstungen einen Aufschwung ab dem Moment, in dem die Staublunge "für Bergleute unnatürlich" wurde, d.h. als der Kampf der Bergleute den "eindeutigen Zusammenhang" zwischen ihrem Job und langsamer Erstickung zurückwies. Es sieht also so aus, als ob sowohl unser Tod, als auch unsere Ablehnung des Todes zu Momenten der Entwicklung des Kapitals werden. Die Revolution der Wünsche, die die Wellen der technologischen "kreativen Zerstörung" durch das Kapital auslöst, entsteht aus der Weigerung der Arbeiterklasse, einfach nur zu sein. Das ist die dialektische Harmonie, die den Klassenkampf an die kapitalistische Entwicklung bindet. Dieses allgemeine Schema kann auch auf diese Krise angewendet werden.

Genau in dem Moment, als die Natur "sich weigert, ihre Gaben im Überfluß auszuschütten", weigert sich die "Natur in der Gesellschaft", die Frau, den ihr zugewiesenen Platz einzunehmen. Die Kämpfe, die Besuche beim Psychiater, die Affairen, die Scheidungen, die Schlangen vor den Sozialhilfebüros und der Job im Dienstleistungssektor treffen auf die Erhöhung der Ölpreise. Die Zerstörung des Ödipuskomplexes ist keine psychoanalytische Komödie. Das Kapital muß die Revolte der Frauen und Jugendlichen und das Umherziehen der Männer zum Ausgangspunkt der Schaffung von Waren und damit von Arbeit machen, um den für diese Periode entscheidenden Mehrwert gewinnen zu können. Ein gefährliches, gar verzweifeltes Spiel? Vielleicht. Aber es sind auch "apokalyptische" Zeiten.

Nehmen wir das Jogging als Beispiel. Die Männer wissen heute, daß die Ehefrau oder gar Mama nicht unbedingt da sein werden nach der Herzoperation. Eine private Krankenschwester ist unerschwinglich. Um sie sich leisten zu können, müßte man ja eben einen jener Jobs haben, jahrzehntelange regelmäßige Arbeit, den nur eine funktionierende Familie ermöglichen würde. So rennt man also, paßt auf auf sich selber. Das Gleiche gilt für die Frauen, denn es gibt keine Versicherung, keinen gesicherten Männerlohn mit Sozialleistungen und es ist auch kein normaler Lohn in Aussicht. Teilzeitjobs bringen nicht genug. Also rennen auch sie. Sogar die Kinder rennen von Anfang an, sobald sie den Ernst des Lebens begriffen haben. Abends wird die "Stunde rund um den Park" investiert, du reproduzierst dich selbst, denn es ist niemand mehr da, der es für dich und umsonst machen würde. Rund um diese Aktivitäten in der Dämmerung entstehen ganze Industrien, neue Gesundheitstechnologien, neue regenfeste Jogginganzüge, neue Laufschuhe, Massagespezialisten, Fitness- Clubs usw.

Und tatsächlich: In dem Maße, wie die Todesangst zunimmt, entwickelt sich eine neue Industrie rund um den Tod. Zwar wartet der Sensenmann nicht, auch bleiben der Tropf und das Sauerstoffzelt, aber Todesschwestern begleiten dich ruhig durch die 5 Stadien, es ist alles vorgeplant und erforscht, ein Cocktail aus Morphium und Whiskey erleichtern den Weg. Weil die Familie sich auflöst, ist die expansivste Industrie die rund um den Körper. Nicht zufälig hat sich die Zahl der Beschäftigten der Gesundheitsdienste, unabhängig von Konjunkturschwankungen, verdoppelt, um diese Lücke zu füllen. In diesem Sektor arbeiten etwa 4 Millionen Frauen und rund eine Million Männer. Das Bild ist klar: deine ehemalige Frau, deine Mutter oder Schwester macht jetzt für Geld das, was sie früher umsonst gemacht hat. Was natürlich war, ist jetzt ungewiß - ob jemand kommt, wenn du den Knopf neben dem Bett drückst?

Es ist ein Pech für das Kapital, daß die Arbeitskraft einen Körper braucht. Sie "setzt das lebende Individuum voraus" und deshalb muß uns das Kapital am Leben erhalten, um uns an seinen Kontrollgeräten arbeiten (und sterben) zu lassen. Aber Leben funktioniert nicht automatisch, zu seiner Erhaltung ist Arbeit notwendig. Wenn die Frau in der Familie diese Arbeit liegen läßt, muß jemand dafür einspringen. Das gilt etwa auch für die Ernährung... sicher hat ihr Preis einen entscheidenden Einfluß auf den Lohn, aber genauso wichtig ist die Frage: Roh oder gekocht? Wer soll kochen, servieren, mit dir beim Essen plaudern? Mama? Immer öfter ist es die junge Vietnamesin bei McDonalds - heute werden in den USA etwa die Hälfte aller Mahlzeiten außer Haus eingenommen.

Der Bereich der Dienstleistungen wird zum Gegenstück des Energie/Informationssektors. Und sie sind der Wachstumssektor der Krise. Sie sind nichts anderes als die ausgeweitete und vergesellschaftete Arbeit der Frauen im Haushalt. In der Periode des Keynesianismus waren die "Institutionen des Staates" - Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und Armee - Ergänzungen zur Familie. Sie sollten einspringen, wenn "die Frau" versagte, beziehungsweise deren Arbeit vollenden und standardisieren... Aber insgesamt blieb die Arbeit der Frauen in der Familie die Grundlage des Unterhalts des männlichen Arbeiters. Doch mit der Arbeit/Energie- Krise kann dieses Zentrum nicht länger gehalten werden. Mehr und mehr stellt sich die vormals unsichtbare Arbeit, die sich erst über das Fließband vergegenständlichte, tatsächlich als Arbeit im Dienstleistungssektor dar. Der Familienlohn löst sich auf. Die "äußeren" Dienstleistungen und die entsprechenden Industrien expandieren und beginnen, Ersatz statt Hilfe für das Zuhause zu werden.

Der Kampf der Frauen gegen die Hausarbeit hat eine Neueinschätzung des Lohnes und der Reproduktionsarbeit in der Familie erzwungen. Vorher war sie im männlichen Lohn verborgen, jetzt beansprucht sie eine eigene Rolle. Die Unsichtbarkeit der Hausarbeit, zugedeckt durch den Lohn, ist allerdings nichts Neues, denn der Lohn ist an sich ein Mittel der Verschleierung:

"Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstages, worin der Sklave nur den Wert seiner eigenen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters."33

Die Revolte der Sklaven zwang den Herrn, die Arbeitskraft des Sklaven als etwas ihm Fremdes anzuerkennen und zwang ihn, sie zu kaufen und dafür zu bezahlen. Im Lohn wiederum ist eine andere Form der Ausbeutung versteckt. Nicht alle Spiegel lügen auf die selbe Weise. Sklaverei ist nicht dasselbe wie Lohnarbeit. Es gibt Formen der Arbeitsorganisation, die unter der Sklaverei einfach unmöglich, Arbeitsrhytmen, die nicht aufrechtzuerhalten wären. Das Kapital hat gelernt, daß Peitsche und Ketten nicht die profitabelsten Formen der Kontrolle über die Arbeit sind. Der Sklave ist "träge", "unsichtbar" und "undurchsichtig", er muß gestoßen werden, um etwas von ihm zu kriegen. Es ist die große Entdeckung des Kapitals, daß die "Befreiung" der Arbeitskraft tatsächlich höhere Stufen der Ausbeutung erlaubt; seine gelegentliche Rückkehr zur Sklaverei (Faschismus in Deutschland, Jim Jones, Südwest- Einwanderung) haben diese Wahrheit bestätigt. Die "Freiheit" der freien Lohnarbeiter verhilft dem Kapital zu größerer Beweglichkeit, während der Sklave überall hängen bleibt, mechanisch vom Produktionsprozeß abhängig ist, eine Maschine unter Maschinen bleibt und man sich dauernd um ihn kümmern muß, weil er immer wieder zusammenbricht.

Die Frauenarbeit hatte formal eine Zwischenstellung zwischen Sklave und Lohnarbeiter, denn sie ist technisch frei, aber unbezahlt. In gewisser Hinsicht ist ihre Stellung noch schlechter als die des Sklaven, denn sie ist "die Sklavin des Lohnarbeiters" und nicht einmal des Herrn. Aber indem ihre Revolte das alte Ehesystem zerstört, öffnet sie zugleich neue Ausbeutungsmöglichkeiten (aber auch für eine kapitalistische Katastrophe). Denn mit der explosionsartigen Ausdehnung der Hausarbeit in den Dienstleistungssektor schlägt das Kapital wieder eine vergessene Seite seiner Geschichte auf: die Produktion von absolutem Mehrwert.

Da die Hausarbeit immer eine "arbeitsintensive", technisch zurückgebliebene Arbeitsform gewesen ist, ist auch der Dienstleistungssektor arm an fixem Kapital (die Sexualtechnik beispielsweise hat kaum das Niveau des alten Ägypten wieder erreicht. Während Milliarden in die Erforschung besserer Empfängnisverhütung gesteckt wurden, gab es kaum offizielle Forschung über die biochemischen Ursachen von sexueller und anderer Lust). Daher die "niedrige Produktivität" im Dienstleistungssektor, die von einigen Wirtschaftswissenschaftlern als Ursache des Zusammenbruchs der gesamtgesellschaftlichen Produktivitätsentwicklung in der Krise herangezogen wird. Wenn Produktivität im Sinne von relativem Mehrwert nicht die Quelle der Ausbeutung ist, dann muß das Kapital zur Zeit und zur Länge des Arbeitstages zurückkehren, also zum absoluten Mehrwert.

Bei der Gewinnung von relativem Mehrwert aus der Hausarbeit gibt es ein Hauptproblem: sie kann zwar durchaus industrialisiert werden, aber da gibt es Engpässe und unzeitgemäße Bedingungen, die die Produktivität begrenzen. Nehmen wir die Prostitution. Es gibt zwar alle möglichen Tricks, daß der Freier schneller kommt, aber es bleibt ein zeitaufwendiger Kontakt und ein unmittelbarer Kampf um Zeit (daher braucht es den Zuhälter). Es scheint bei vielen Dienstleistungen ein Minimum an Zeitaufwand notwendig, um die Wirkung im Sinne von Reproduktion auch tatsächlich zu erreichen (wie etwa die Grenzen, die der Landwirtschaft durch die Jahreszeiten gesetzt sind). Theoretisch kann das genauso überwunden werden, wie die Landwirtschaft völlig vom Kreislauf der Jahreszeiten gelöst werden kann, aber das würde eine Geschichte von Kämpfen voraussetzen, die noch nicht stattgefunden haben. Insgesamt erlaubt die Dienstleistungsarbeit, aufgrund ihres "Eins-nach-dem-Anderen"-Charakter im Allgemeinen nur die Produktion von absolutem Mehrwert.

Diese Entwicklung der Arbeit für absoluten Mehrwert ist statistisch nicht festzustellen, weil es sich meistens um "Teilzeit"- Arbeit handelt. Das bedeutet nicht, daß sich der Arbeitstag der Frau durch Teilzeitarbeit verkürzt hätte. Im Gegenteil, es bedeutet, daß nach wie vor ein riesiger Teil der gesamten Hausarbeit der Frauen unbezahlt ist. In dieser Übergangszeit ist das Kapital immer noch daran interessiert, möglichst viel unbezahlte Arbeit aus den Frauen, sowohl über den Job, als auch über die Hausarbeit herauszuholen. So haben wir in den 70er Jahren, mitten im Dschungel der Mikrocomputer, der Gentechnologie und der Atomreaktoren Frauen, deren Arbeitsplan einen Fabrikarbeiter des Frühkapitalismus nervös gemacht hätte. 6:30 Uhr die Kinder und den Alten fertig machen; 9:00 zum "Teilzeit"- Job; 2:00 Ende des Jobs, Kinder abholen; 5:00 Abendessen machen; 8:00 Abendschule, um später vielleicht einen besseren Arbeitsplatz zu kriegen; 12:00 ficken und schlafen (?). In diesem Arbeitstag steckt eine Menge Mehrwert. Auch wenn die Energie, ihn durchzuhalten, vom Wunsch kommt, eines Tages "auf eigenen Füßen stehen" zu können.

Hausarbeit ist nach außen verlagert und entlohnt. Mehrwert wird direkt aus der Arbeitszeit der Frauen während des Jobs gezogen, zusätzlich zu ihrer Reproduktionsarbeit, die über den männlichen Arbeiter am Fließband gewonnen wird. Mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors in der Krise wurden die "Humankapital"- Experimente aus der Zeit von Kennedy und Johnson beschnitten oder gar abgeschafft. Die indirekte Methode, Hausarbeit zu kapitalisieren, wurde zu unsicher. Die Idee des Staates in den 60ern war, daß die Frauen ein angemessenes Niveau an Hausarbeit für ihre Kinder erbringen würden, wenn in das Zuhause investiert werden würde (über Wohlfahrt, Lebensmittelmarken usw.). Aber in den 70ern war der Staat immer weniger bereit, auf die Steigerung der Produktivität der Arbeitskraft zu warten, die aus den "Humankapital"- Investitionen folgen sollte und diese hätte bezahlt machen sollen.

Solange Vertrauen in die Zukunft bestand, war das Kapital bereit zu warten, vielleicht sogar eine Generation, um die Früchte der Hausarbeit zu ernten. Die Profitkrise zeigte allerdings, daß unter "Zukunft" nur kleine Zeiträume verstanden werden konnten und daß nichts mehr garantiert war. So mußte der Mehrwert unmittelbar aus der Hausarbeit realisiert werden, aufgesogen in der Minute, in der er produziert wird und nicht erst am nächsten Tag aus dem Fließbandarbeiter oder aus der nächsten Generation von neuen Arbeitern. An diesem Punkt kommt die Energiekrise ins Spiel. Die Große Mutter Natur wird als Vorwand benutzt, um die kleine Mutter auszupressen. Wenn die Große Mutter schlecht gelaunt und erkältet ist, wendet sich das Kapital zur kleinen Mama: "Hilf mir aus der Patsche, oder wir gehen zusammen unter."

Wenn die Frauen diesen Handel ablehnen, wenn sie "zuviel" für ihre Arbeit verlangen, wenn sie sich weigern, sie korrekt und wirkungsvoll zu verrichten, bricht die Energiekrise in sich zusammen. Wenn dieser letzte Schleier fällt, dann hat es das Kapital mit einer Arbeiterklasse zu tun, die nicht mehr im Gegensatz der Geschlechter zerrissen ist. Das wäre wirklich eine Apokalypse.

Vielfalt der Arbeit:

- Anti- Entropie als Information

In der Energiekrise gehört zu der weiblichen Dienstleistungsarbeiterin als Ergänzung der Computerprogrammierer und Techniker. Während durch die Erhöhung der Energiepreise die ältesten Ausbeutungsformen wieder zum Leben erweckt werden, findet am entgegengesetzten Pol eine Intensivierung in der Weiterentwicklung der Informations- und Kontrollinstrumente statt. Woher kommt der Aufstieg der Computerindustrie seit dem Höhepunkt der Energiekrise? Um diese Entwicklung verstehen zu können, müssen wir wieder auf die Arbeit/Energiekrise der späten 60er und frühen 70er zurückkommen.

Das Überströmen der Energie der Arbeiterklasse erzwang eine Energiekrise in verschiedener Hinsicht. Erstens: die Energiepreise als Preise von grundlegenden Waren machten es dem Kapital möglich, das Verhältnis Lohn/Profit zu seinen Gunsten zu kippen und die Durchschnittsprofitrate zu steigern. Zweitens: diese Preise sind das Mittel zur Reorganisation der organischen Zusammensetzung des Kapitals, da sie die Profitrealisierung unempfindlich gegenüber den "unmittelbaren" Fabrikarbeiterkämpfen machten. Drittens erlaubten es die Preissteigerungen, Mehrwert direkt aus der Reproduktionsarbeit herauszuziehen. Aber das war noch nicht genug. Die bloße Tatsache, daß Frauen zunehmend in Sektoren mit niedriger organischer Zusammensetzung beschäftigt werden, garantierte noch nicht, daß sich dies in Profit, in Kapital umsetzen würde. Die bloße Tatsache, daß Automobilfabriken geschlossen wurden, bedeutete noch nicht, daß Autos und LKWs nicht mehr produziert werden. Sie werden lediglich mit weniger Arbeitern hergestellt. Schließlich bedeutet die bloße Tatsache, daß Investitionen in High-Tech- Bereiche getätigt wurden, noch nicht, daß sich diese Investitionen auch auszahlen würden. Denn Bereiche hoher organischer Zusammensetzung sind sehr anfällig für Pannen, ja Katastrophen. So setzt die Energiekrise eine höhere Bewertung der Information, der Kontrolle und der Kommunikation durch. Die enorme Dezentralisierung der Arbeit in der Dienstleistungsindustrie erfordert neue Methoden der Übertragung von Mehrwert von einem Ende des Systems zum anderen. Die Vertreibung des Massenfabrikarbeiters wiederum führt zur Robotisierung. Schließlich erfordert die hohe Kapitalkonzentration der komplexen Maschine die Verstärkung der Selbstüberwachung und der Anstrengungen zur Erhaltung des Kapitals.

Um den gleichzeitigen Aufstieg der Informationsverarbeitungsindustrie und der Dienstleistungsindustrie besser verstehen zu können, müssen wir ins Herz des Kapitals vordringen: in den Arbeitsprozeß. Arbeit tötet - und das ist ein echtes Problem, denn das Kapital ist darauf angewiesen, den Arbeitsprozeß wiederholen zu können. Die Produktion ist gradlinig, muß aber immer wieder den gleichen Vorgang durchlaufen. Es muß einen Mechanismus der "ewigen Wiederkehr" im Arbeitsprozeß geben, der diesen wieder in die Ausgangsstellung bringt (damit er von vorne beginnen kann). Arbeit tötet, aber in jedem Tod muß der Keim der Wiedergeburt enthalten sein, ein Kreislauf aus Produktion und Reproduktion. Mengele hat entdeckt, daß man einen Menschen innerhalb weniger Minuten zu Tote arbeiten kann, aber aus den Überresten kann man dann nichts mehr machen, außer Art-Deco- Lampenschirmen oder minderwertigen Dünger. Das Kapital muß also die Reproduktion des Arbeitsprozesses auf einer beständigen Grundlage planen. Wie in Carnot's Kreislauf kann zwar nur eine Phase den Schub erzeugen, aber die anderen sind notwendig, die Maschine in eine Stellung zurückzubringen, von der aus wieder Arbeit verrichtet werden kann.

Ohne den reproduzierenden Teil des Kreislaufs auskommen zu wollen, wäre für das Kapital selbstmörderisch. Wie die Beispiele der frühen spanischen Silberminen in Amerika und der NS- Arbeitslager zeigen, gibt es keinen "Überlebensinstinkt", nur Bedingungen und Schwellenwerte. Das Kapital darf sich der Schwelle des Gerade-noch- Überlebens nur mit äußerster Vorsicht nähern: Der Selbstmord lockt immer in den Grenzbereichen des Überlebens. Die Lust am Selbstmord, der den Kapitalisten seines Wertes berauben würde, wird immer dann für den Arbeiter attraktiv, wenn ihm nichts anderes mehr übrig bleibt.

Um die Reproduktion der Produktion sicherzustellen, reicht es nicht, nur den Arbeiter zu reproduzieren. Das Kapital muß ebenfalls erhalten werden. Das konstante Kapital ist ein wesentlicher Teil des Produktionsprozesses, der gegen die zerstörerischen Energien der Arbeiter geschützt werden muß. Der Trieb des Kapitals zur Selbsterhaltung und Selbstreproduktion wird sichtbar in der klassischen Person des Kleinkapitalisten: "Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich vonstatten geht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d.h. nur so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernötigt."34

Der Kleinkapitalist ist so besorgt um sein fixes Kapital, weil er mit der ständigen Drohung lebt, daß der Arbeiter "unzweckmäßig", "schlampig" und, vor allem, verschwenderisch arbeitet. Denn die Arbeiter können in Zeiten entmutigter Kämpfe nicht nur sich selbst umbringen, sondern auch das Kapital in seiner faßbarsten und verletzlichsten Form: der Maschine. Um diese ursprünglichste Form des Klassenkampfes konrollieren zu können, reicht es nicht aus, den Kreislauf lediglich in die Ausgangsstellung zurückzubringen. Entscheidend ist, daß dies ohne "Verschwendung", "Abnützung", "Verlust von Arbeit" und "Wertminderung" geschieht. Arbeit ist nicht nur "Verausgabung" von Energie, die "reproduziert" werden muß, diese Verausgabung muß auch kontrolliert werden, damit die Arbeitsmenge zur Zurückführung in die Ausgangsstellung nicht übermäßig groß wird. Dieses Problem wird zur Höllenqual, wenn das konstante Kapital einen kritisch hohen Grad der Konzentration erreicht. Wenn die Gefahren einer raschen Wertminderung nicht gebannt werden, wird die Investition in konstantes Kapital zur Quelle gewaltiger Deakkumulation. Das setzt der Energiepreisstrategie eine präzise Grenze: wenn Arbeit, die im niedrig organisch zusammengesetzten Sektor geleistet wird, zu Kapital im hochorganischen Sektor umgewandelt wird und dadurch so konzentriert und angreifbar wird, daß es schlagartig entwertet werden kann, bricht die ganze Strategie zusammen. Der Schutz des konstanten Kapitals ist die vorrangige Funktion der Informations- und Computerindustrie.

Den Vorgang, wie die "Energiekrisen"strategie daneben gehen kann, konnte am Beispiel der Atomenergie beobachtet werden. Nehmen wir den Fall TMI (Three Mile Island bei Harrisburg). Um die verspätete Inbetriebnahme wettzumachen, hatten die Manager angeordnet, daß die Anlage mit höherer als der für Atomkraftwerke normalen Kapazität laufen sollte. Die Arbeiter wurden oft zu Überstunden eingeteilt und die Bemühungen "die Mängel in den Griff zu bekommen" ließen immer mehr nach. An einem Frühlingsmorgen, um 4 Uhr kam es dann zu einer Beinahe- Kernschmelze. Weil in den ersten Monaten ein paar Millionen Dollar Extraprofit gemacht werden sollten, stand Met Edison plötzlich einer Situation gegenüber, in der fast eine Milliarde Dollar geblecht werden mußte, um auch nur die halbe Anlage von TMI wieder in Betrieb nehmen zu können, und selbst das mit Schwierigkeiten. Die Arbeitsmenge, die erforderlich ist, um die Anlage wieder in die Ausgangsstellung von vor dem 28. März 1979, 4 Uhr, zu bringen, ist um ein Vielfaches größer als die, die vorher von der Anlage erzeugt worden war. Die allgemeinen Bedingungen dort im Inneren von Pennsylvania in Betracht gezogen, vor allem die Klassenzusammensetzung, könnte gesagt werden, daß es überhaupt nicht mehr möglich ist, die Anlage in ihre Ausgangsstellung zurückzuversetzen. TMI zeigt uns, daß die Energiekrisenoffensive gegen den Klassenkampf weit davon entfernt ist, stabil zu sein. Vielmehr führt sie zu einer neuen Form der Klassenauseinandersetzung, die eigentlich eher an den altertümlichen "Kampf zwischen Handwerker und Maschine" erinnert.

Der Unfall wird zum zentralen Begriff der politischen Ökonomie der Energiekrise - aber was ist eigentlich ein Unfall? Unfälle sind Arbeitssituationen, in denen die Arbeitsmenge zur Wiederherstellung der Ausgangsstellung (des Arbeitsprozesses) außergewöhnlich groß wird. Unfälle beweisen die Sterblichkeit des Arbeitsprozesses. Wie der Bericht der Kemeny Commission, "Der Unfall von Three Mile Island" bemerkte,

"... war der Hauptgrund, der den Zwischenfall in einen ernsten Unfall verwandelte, das fehlerhafte Handeln des Bedienungspersonals. Viele Faktoren trugen zur Handlungsweise des Bedienungspersonals bei, wie Mängel in seiner Ausbildung, mangelnde Klarheit in den Bedienungsvorschriften, das Fehlen von Strukturen zur Auswertung vorangegangener Störfälle und Unzulänglichkeiten in der Einrichtung des Kontrollraumes. (...) Die Meßwarte, von der aus die Anlage TMI-2 gesteuert wird, ist in vieler Hinsicht ungenügend. Die Kontrolltafel ist riesig, mit Hunderten von Alarmgebern. Einige der wichtigsten Anzeigen befinden sich an Stellen, wo die Reaktorfahrer sie nicht sehen können. In den ersten paar Minuten des Unfalls gingen mehr als 100 Alarme los. Es gab keine Einrichtung, die die unwichtigen Signale unterdrückt hätte, damit sich das Bedienungspersonal auf die wichtigsten hätte konzentrieren können. Die Informationen wurden nicht in klarer und deutlicher Form geliefert; z.B. wurden zwar Druck und Temperatur im Reaktorkühlsystem angezeigt, aber es gab keinerlei direkten Hinweis, daß diese Kombination von Druck und Temperatur bedeutete, daß das Kühlwasser sich in Dampf verwandelt hatte."35

Hier stimmt Kemeny, Mit-Autor der Computersprache BASIC, die moderne Version des alten kapitalistischen Klagelieds an: "Die Arbeiter sind dumm, wenn wir bloß wüßten, wie dumm sie sind, wenn wir das bloß wüßten." Maschinen gehen kaputt, das ist der Gang der Dinge, sie entwerten sich eben, aber solche Pannen sind nur "Zwischenfälle". Aus einem Zwischenfall wird aber ein Unfall, wenn der Arbeiter die Panne nicht unter Kontrolle bringt oder bringen kann, damit die Maschine ohne nennenswerte Kosten in ihre Ausgangsstellung gebracht werden kann. Der Unfall hätte nicht passieren müssen. Unfälle werden durch sofort zugängliches Wissen, Information und Voraussicht und, am wichtigsten, Kommunikation verhindert:

"Ein leitender Ingenieur der Firma Babcock & Wilcox (Zulieferer des nuklearen Dampfsystems) bemerkte bei einem früheren Unfall, der große Ähnlichkeit mit dem von Three Mile Island hatte, daß das Bedienungspersonal versehentlich das Notkühlungssystem ausgeschaltet hatte. Er erklärte, daß es unser Glück war, daß die Umstände, unter denen der Fehler begangen wurde, nicht zu einem schweren Unfall führten. Er warnte davor, daß unter anderen Umständen (wie denen in TMI) ein sehr ernster Unfall passieren könnte. Er forderte eindringlich, daß dem Bedienungspersonal klare Anweisungen gegeben werden sollten. Diese Denkschrift wurde 13 Monate vor dem Unfall von Three Mile Island verfaßt, führte aber nicht zu neuen Betriebsanweisungen."36

"Wenn wir es ihnen bloß gesagt hätten, wenn wir nur die neue Information in unsere Anweisungen aufgenommen hätten", so tönt das tränenreiche Gemecker. Aber, und das weiß auch Kemeny, es ist nur Gemecker, denn jeder einzelne Unfall kann zwar gemäß Definition vermieden werden, Unfälle im Allgemeinen sind jedoch unvermeidbar. Der Grund ist die Tatsache, daß nicht jeder Prozeß umkehrbar ist, daß Zeit eine Richtung hat.

Es besteht eine tiefe Beziehung zwischen Unfällen, Information, Zeit und Arbeit. Marx beschrieb diese Beziehung wie folgt: die Produktionsmittel schaffen keinen neuen Wert, bestenfalls wird ihr Wert auf das Produkt übertragen und dort erhalten. Maschinen nützen sich nur ab oder übertragen ihre Energie in die neue Form, die produziert wurde. Der Arbeitsprozeß hat daher zwei Komponenten: (a) Produktion von "frischem Wert" (sowohl Mehrwert, als auch Reproduktion des variablen Kapitals) und (b) Übertragung und Erhaltung des Wertes der Produktionsmittel. Wie Marx erklärt, muß die Arbeit beides, (a) und (b), gleichzeitig leisten, wenn auch aus verschiedenen Gründen:

"In ihrer abstrakten, allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werten von Baumwolle und Spindel Neuwert zu, und in ihrer konkreten, besondren, nützlichen Eigenschaft als Spinnprozeß, überträgt sie den Wert dieser Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Wert im Produkt. Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben Zeitpunkt."37

Es gibt keine Maschinen-Maschinen, die Wert aus dem Nichts erzeugen, keine Perpetuum Mobiles; der in den Maschinen verkörperte Wert nutzt sich stetig ab, er wird in "neuen Gebrauchswert verwandelt, in welchem der alte Tauschwert wiedererscheint". Alle Apparate der kapitalistischen Zauberer enden als Leichen, nicht einmal der genialste Einfall kann der Größe des Kapitals auch nur ein Stückchen hinzufügen:

"Die technischen Bedingungen des Arbeitsprozesses mögen z.B. so umgestaltet werden, daß, wo früher 10 Arbeiter mit 10 Werkzeugen von geringem Wert eine verhältnismäßig kleine Masse von Rohmaterial verarbeiteten, jetzt 1 Arbeiter mit einer teuren Maschine das hundertfache Rohmaterial verarbeitet. (...) Dieser Wechsel ändert jedoch nur das Größenverhältnis zwischen konstantem und variablem Kapital oder die Proportion, worin das Gesamtkapital in konstante und variable Bestandteile zerfällt, berührt jedoch nicht den Unterschied von konstant und variabel."38

Der Arbeitsprozeß muß nicht nur sich ausdehnen und wiederholbar sein können, er muß auch die alte Arbeit erhalten, während er neue erzeugt. Die Computerisierung eines Produktionsprozesses schafft keinen neuen Wert. Sie macht es jedoch möglich, den variablen Anteil zu verringern, indem ein zu schneller Verschleiß des konstanten Kapitals verhindert wird. Dies ist die mechanisierte Form der Geisteshaltung des "Kleinkapitalisten". Vom Produktionskreislauf darf nichts verschwendet werden, weder Arbeitszeit noch Maschinenlaufzeit. Das Kapital muß den Kreislauf so glatt, wirkungsvoll und so "umkehrbar" wie möglich machen, denn dies bestimmt, zum Teil jedenfalls, die Profitrate:

"Wenn der Mehrwert gegeben ist, kann die Profitrate nur vermehrt werden durch Verminderung des Werts des zur Warenproduktion erheischten konstanten Kapitals. Soweit das konstante Kapital in die Produktion der Waren eingeht, ist es nicht sein Tauschwert, sondern sein Gebrauchswert, der allein in Betracht kommt. (...) Ebenso hängt die Beihilfe, die eine Maschine z.B. drei Arbeitern leistet, nicht von ihrem Wert, sondern von ihrem Gebrauchswert als Maschine ab. Auf einer Stufe der technischen Entwicklung kann eine schlechte Maschine kostspielig, auf einer andern eine gute Maschine wohlfeil sein."39

Jeder Aspekt der Arbeit hat gleichzeitig seinen eigenen Gegenaspekt. Bei dem Prozeß der Erhaltung und Bewahrung des Wertes der Produktionsmittel ist die Verweigerungstaktik offensichtlich. Da das konstante Kapital mit der sich weiterentwickelnden Industrialisierung zunimmt, wird der Unterschied zwischen dem Wert der Produktionsmittel und dem Teil des Wertes, der in jedem Produktionskreislauf verbraucht wird, merklich größer (mensch denke nur an den Unterschied zwischen einem AKW und einer Spinnmaschine). Das liefert den Arbeitern, die Zugang zu den Maschinen haben, eine gewaltige Menge an Kapital als Geisel aus. Dies verstärkt sich mit jedem neuen Sprung in der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Das ist auch der Hauptgrund, warum Sklaverei in einem sehr kapitalintensiven Arbeitsprozeß nicht möglich ist. Der Unterschied zwischen variablem und konstantem Kapital würde so riesengroß werden, anders gesagt, die Bilanz zwischen dem Wert des Sklaven und dem Wert, den der Sklave zerstören könnte, würde so kritisch, daß das kleinste Anzeichen von Revolte das Kapital zum Rückzug zwingen würde. Das Kapital hat jedoch den Arbeitsprozeß mit "freien Arbeitern" so organisiert, daß dieses Geiseldrama nur selten durchgespielt wird (eine bemerkenswerte Ausnahme war der Flint- Sitzstreik, oder besser das "Live-In" von 1936.

Eine enorme Menge Arbeit wird aufgewendet, um sicherzustellen, daß der Wert der Produktionsmittel langsam, wirkungsvoll und sorgfältig auf das Produkt übertragen wird. Nicht nur, daß jeden Tag ein ausgewachsenes Geiseldrama verhindert werden muß (das Beispiel von Danzig droht überall); die unsichtbaren Momente der Revolte, die ständig durch den Arbeitsprozeß pulsieren und das konstante Kapital über das "notwendige Maß" hinaus abnutzen, müssen ebenso ständig vereitelt werden. Daher Kemeny's flehentliches Klagen für "mehr Sorgfalt", "mehr Überwachung", "bessere Ausbildung", "bessere Informationssysteme", "Notfallplanung". In einem Wort, besserer "Wirkungsgrad" bei der Abnutzung der hochkonzentrierten, vergänglichen, vielleicht "kritischen" Teile des konstanten Kapitals.

Ewige Wachsamkeit ist nötig, um den Kreislauf eines perfekten Produktionsprozesses zu erreichen. Aber ein Produktionsprozess ist niemals völlig reproduzierbar. Immer gibt es irgendeinen kleinen "Haken", irgendeine kleine "Panne", die das Zurückbringen des Systems in die Ausgangsstellung ebenfalls zum Arbeitsprozeß machen. Das Kapital träumt vom Perpetuum Mobile, von der Arbeit aus Energie ohne Verlust. Aber die Zeit ist nicht symmetrisch, die Zukunft wird nicht so sein, wie die Vergangenheit war. Durch unsere Verweigerungen, unsere Widersetzlichkeiten werden alle Pläne Makulatur, verschleißen alle Maschinen und gehen kaputt. Der Widerspruch für das Kapital besteht darin, daß diejenigen, die die Pannen verursachen, gleichzeitig die sind, deren Energie es benötigt. Nur wir sind in ständiger Bewegung: ewig energiegeladen, geschickt, gehorsam, feige, unverschämt, rebellierend, aber immer in Bewegung, der einzigen Quelle der Arbeit, Entwicklung, des Mehrwerts.

Die Notwendigkeit der beschleunigten Entwicklung der "Infomations"industrie während der Krise kann auch aus der Thermodynamik abgeleitet werden, jener Wissenschaft des späten 19. Jahrhunderts, die wir in der Einleitung diskutiert haben. Folgender Widerspruch beunruhigt die kapitalistische Wissenschaft seit der Aufstellung des Ersten und Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik: Obwohl die Energie erhalten bleibt, nimmt die in einem System für Arbeit verfügbare Energie stets ab. Energie tritt in unterschiedlichen Qualitäten auf, wesentlich ist daher nicht ihre Menge als solche, sondern ihre Struktur. Einige Typen von Energie können leicht in Arbeit verwandelt werden, andere gar nicht. Die Menge an Rohenergie im Wasser eines stillen Sees ist möglicherweise um ein Vielfaches größer als die Energie des sanften Windes, der darüberbläst. Der Wind kann jedoch wesentlich leichter in Arbeit verwandelt werden. Das Maß der Nichtverfügbarkeit für Arbeit ist die Entropie. Sie steigt in einem abgeschlossenen System bis zu einem Maximum (Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik). Dieser Hauptsatz beinhaltet den kapitalistischen Pessimismus, denn er besagt, daß der Prozeß der Arbeitserzeugung die hineingesteckte Energie entwertet, und zwar in jedem beliebigen System, einschließlich dem Menschen.

Wenn wir ein System nehmen, das aus Millionen Mikro-Partikeln besteht, dann kann der Zweite Hauptsatz ausgedrückt werden als ständige Tendenz einer geordneten Struktur von Mikropartikeln, sich in ungeordnetes Chaos zu verwandeln. In jedem System gibt es aufgrund der Zufallsbewegungen ein ewiges "Hin-und-Her" der Mikropartikel, das schließlich zum Zusammenbruch jeder hochgradig geordneten Struktur führt. Schrödinger40 gab ein bildhaftes Beispiel eines solchen "Hin-und-Her" im menschlichen Bereich. Man stelle sich eine aufständische Menge vor, die einfach aus Spaß ein Archiv von Datenbändern überfällt, diese aber nicht einfach beseitigt oder zerstört, sondern sie nur von ihren Plätzen nimmt und damit herumspielt. Am Ende der Party sind die Bänder zwar erhalten, ihre Ordnung ist aber völlig zerstört. Die Arbeit zur Wiederherstellung der vorherigen Ordnung ist genauso real wie jene zur Anfertigung neuer Bänder, sie kann sogar umfangreicher sein.

Diesem Zweig der kapitalistischen Wissenschaft zufolge besteht das Problem darin, daß die Natur spontan das Chaos liebt. Laufend werden Pläne und Ordnungen umgeworfen, ständig wird aufgehäufte Arbeit abgenutzt, genau wie bei den faulen, anarchischen, betrunkenen und aufständigen Arbeitern der Vergangenheit (Wenn Gott nicht auf der Seite der Arbeiterklasse ist, die Natur ist es bestimmt). Systeme, die Energie anscheinend aufwerten, sind schließlich doch zum Untergang verdammt; Systeme wie die Dampfmaschine oder der Kapitalismus, die Energie in Arbeit ("aufgewertete" Energie) verwandeln, sind dauernd von Unordnung, Unfällen und Katastrophen bedroht, hervorgerufen durch Einbrüche von Entropie.

Der Zweite Hauptsatz zeigt die enge Verbindung von Zeit und Unfällen. Zeit hat nur eine Richtung, weil der Arbeitsprozeß nicht umkehrbar ist, denn immer ist eine positive Menge Arbeit notwendig, um das System zum Ursprung zurückzubringen. Wie gut der Kolben auch in den Zylinder paßt, wie sorgfältig das Notkühlsystem auch eingestellt ist, damit es sich bei einer bestimmten Grenztemperatur einschaltet - es gibt doch immer Reibung und verklemmte Ventile. Unfälle geschehen, die als umkehrbar geplanten Prozesse (die eigentlich eine ewige Wiederholbarkeit ermöglichen sollen) in Vorgänge mit unumkehrbarer Richtung verwandeln und zu hochentropischen Zuständen führen. Sie erzeugen Zeit als Ablauf auf den Tod hin, denn Zeit, wie sie das Kapital kennt, ist nicht nur ein Ablauf, sondern die Auflösung dessen, was akkumuliert wurde: der Tod der toten Arbeit.

Die "aufständische Menge" der Moleküle, die den Übergang der niedrigen Entropie (hochorganisierte Strukturen) zu hoher Entropie (unorganisierte Felder) bewirkt, ist ständig am Wirken, um die Bedingungen für den Großen Unfall zu schaffen. Die Atomtechniker mögen recht haben, wenn sie behaupten, daß die Wahrscheinlichkeit, daß der Reaktorkern von sich aus kritisch wird, verschwindend gering ist; aber die Wahrscheinlichkeit eines bekifften Ingenieurs, eines vergessenen offenen Ventils, eines Windzugs, der die Kerze löscht, sind die Bedingungen zur Schaffung der Entropie für die Kernschmelze. Daß die Moleküle gewinnen werden, ist die geheime Furcht des Kapitals. "Die Zeit ist auf ihrer Seite... Sie sind die Zeit", so flüstert es durch die Direktionsetagen... Aber dagegen kann etwas getan werden, etwas, das ihnen die Möglichkeit verschafft, weiterzumachen: INFORMATION. Wenn genug Information gesammelt werden und schnell genug weitergeleitet werden kann, dann kann die Zeit verlangsamt werden. Vielleicht unbeschränkt. Daher die Wichtigkeit der Maschinen, die Informationen mit Lichtgeschwindigkeit speichern und verarbeiten.

Information darüber, wo sich Systeme niedriger Entropie befinden, ist ein wesentlicher Teil des Produktionsprozesses. Wie das Gleichnis von Maxwells Dämon zeigt, kann eine Maschine, die mit "Intelligenz" oder "Information" ausgestattet ist, die Auswirkungen des Zweiten Hauptsatzes eine Zeitlang aufheben. Als Clark Maxwell dieses Gleichnis vorbrachte, deutete er die Möglichkeit von Arbeits- Perpetuum Mobiles an, die nicht auf irgendeiner verwickelten und letztlich dummen Täuschung beruhen, sondern auf der Anwendung von Denkfähigkeit und Einordnungsvermögen. Sein Dämon arbeitet wie eine Sortiermaschine inmitten des ewigen Hin-und-Her.

Der Behälter A ist mit einem idealen Gas gefüllt, dessen Temperatur sich im Gleichgewicht befindet. Die Teile des Gases bewegen sich nicht mit gleicher Geschwindigkeit, ihre durchschnittliche Geschwindigkeit bleibt jedoch konstant. Manche bewegen sich überdurchschnittlich schnell, andere unterdurchschnittlich. Der leere Behälter B, der an den Gasbehälter A angrenzt, ist mit diesem durch eine kleine Tür und einen Torwächter verbunden. Dieser Torwächter ist klug: er öffnet die Tür nur den überdurchschnittlich schnellen Molekülen. Innerhalb kurzer Zeit füllt sich der leere Behälter mit Molekülen, deren Durchschnittsgeschwindigkeit höher als die ursprüngliche ist, während der Behälter A mit Molekülen gefüllt, deren Durchschnittsgeschwindigkeit niedriger ist als vorher. A ist jetzt also kälter, B wärmer als zuvor. Und wenn die beiden Behälter mit einer Wärmekraftmaschine verbunden werden, kann aus diesem Temperaturunterschied Arbeit erzeugt werden. Nach diesem Vorgang kann der Dämon eine neue Einteilung in schnelle und langsame Moleküle vornehmen. Wir haben hier das Rezept für ein Perpetuum Mobile: man verbinde lediglich eine Dampfmaschine mit einer intelligenten Sortiermaschine! Wenn man bloß die verantwortungslosen Arbeiter identifizieren könnte, wenn man bloß die fehlerhaften Teile herausfinden könnte, wenn man bloß die Mikro- Ereignisse der Nachlässigkeit ausschalten könnte, dann hätte man einen neuen Kreislauf, der möglicherweise bis in alle Ewigkeit läuft, indem er die verbrauchte Energie recycled, aufwertet und wiederverwendet.

Es gibt dabei jedoch einen Haken: der Dämon muß fähig sein, zu erkennen, welche der Moleküle, die auf die Tür auftreffen, schneller sind als der Durchschnitt und welche langsamer. "Die Zeit kann zurückgedreht werden, wenn wir nur genug wissen", fleht das Kapital den Sensenmann an... aber der Tod erwidert: "Wissen ist Arbeit und Arbeit ist Tod". Information gibt es nicht gratis. Es stimmt, daß durch sie die Entropie verlangsamt wird. Aber der Vorgang ihrer Akkumulation, Wiedergewinnung und Weitergabe ist ein Arbeitsprozeß. Voller entropischer Gefahren, die schließlich doch siegen. Die Frage ist bloß "Wie bald?". Wiener formuliert:

"Auf die Dauer gesehen, ist der Maxwellsche Dämon selbst Gegenstand einer zufälligen Bewegung, die der Temperatur seiner Umgebung entspricht, und wie Leibniz von einigen seiner Monaden sagt, erhält er eine große Zahl von kleinen Eindrücken, bis er 'in einen gewissen Schwindelanfall' verfällt und unfähig ist, klare Wahrnehmungen zu machen. In der Tat hört er auf, als Maxwellscher Dämon zu handeln. Nichtsdestoweniger mag es ein wahrnehmbares Zeitintervall geben, bevor der Dämon unfähig wird, und diese Zeit kann so verlängert werden, daß wir von der aktiven Phase des Dämons als metastabil sprechen können. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß metastabile Dämonen in Wirklichkeit nicht existieren; (...) Wir können in diesem Licht gut lebende Organismen betrachten, wie z.B. den Menschen selbst. Sicherlich sind die Enzyme und der lebende Organismus ähnlich metastabil: der stabile Zustand eines Enzyms ist, handlungsunfähig, und der stabile Zustand eines lebenden Organismus ist, tot zu sein."41

Der Arbeitsprozeß kann vor der Entwertung geschützt werden, indem durch richtige Information die unerbittlichen Auswirkungen des Zweiten Hauptsatzes verlangsamt werden, wenn Bereiche niedriger Entropie gefunden werden können. Daher die Explosion der Informationsindustrie, der Nachdruck, der aufs Programmieren gelegt wird, die Verbreitung des Mikrocomputers und die entscheidende Wichtigkeit einer weiteren Kostenstatistik: die Kosten der Computerisierung. Eine der wichtigsten Entwicklungen der Krise ist die dramatische Umkehrung der Preisentwicklungen von Energie und der Computerisierung.

Dies läßt die Hoffnung zu, daß die Entropiezunahme unbeschränkt aufgehalten werden kann und ein perfekter Kreislauf aus der "Schnittstelle" Arbeit/Energie erreicht werden kann. Während also die Dienstleistungsarbeiterin die für die Akkumulation im High-Tech- Bereich notwendige emotionelle Mehrarbeit bereitstellen soll, wird aus dem Computerprogrammierer der ewig wachsame Charon *42 zur Herausfindung des stabilen Arbeiters, der stabilen Situation, der stabilen Maschine: er scheidet die Lebenden von den Toten.

Daher die Sorge der Ideologen der Programmierindustrie über das Uncodierbare, das aus Vorsatz nicht zu Identifizierende und nicht zu Klassifizierende: das Zen und die kriminellen Aspekte des Kampfes. Denn genau an diesem Punkt wird es für den Erfolg der Energiekrise entscheidend, mit einem hohen Grad an Zuverlässigkeit die verschiedenen Entropieabstufungen in der Arbeitskraft der Arbeiterklasse unterscheiden zu können. Täuschen, Betrügen, Austricksen und Lügen (d.h. alle Verhaltensweisen, die beim Sklaven selbstverständlich sind) werden zum Problem. Daher die Lügendetektor- Tests, denen sich mehr und mehr Arbeiter unterziehen müssen. Sie versuchen herauszufinden, wer ein niederentropischer Arbeiter ist, indem sie eine Befragung mit einer Messung der Schweißabsonderung und des Blutdrucks koppeln. Aber immer mehr gelingt es Arbeitern mit Meditationserfahrung, die Maschinen zu besiegen und in verantwortungsvolle Posten, vor allem im Bereich des Programmierens aufzusteigen. Wie jedesmal steht das Kapital auch in dem neuen Maxwell'schen Dämon der Krise einem Problem gegenüber: "Wer wählt die aus, die auswählen sollen?"

Vielfalt der Arbeit:

- Anti- Entropie als Scheisse

Die Entropie kann durch Information vermindert werden, indem Bereiche niedriger Entropie aufgespürt und in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden. Der an sich unvermeidliche Rückgang der Verfügbarkeit für Arbeit kann so in Grenzen gehalten werden. Je mehr Informationen verfügbar und je geringer die Kosten für ihre Verarbeitung und Vermittlung sind, desto besser kann Zeit geschunden werden. Ebenso ist der umgekehrte Vorgang möglich; d.h. Bereiche steigender Entropie innerhalb des Arbeitsprozesses können entdeckt und ausgeschieden werden. Jeder Produktionsprozeß produziert Scheiße, die Frage ist "Wohin damit?". Wenn diese Scheiße, d.h. stofflicher, sozialer, körperlicher, radioaktiver und psychischer Abfall, der nicht wieder verwertet, nicht "recycled" werden kann, in der Nähe des Produktionsprozesses verbleibt, dann wird jeder neue Kreislauf der Produktion den Anstieg der Entropie beschleunigen. Die übriggebliebene Scheiße wird den Maschinenkreislauf verstopfen; die Kosten der Rückkehr zum Ausgangspunkt werden so enorm, daß sie die Arbeit, die in der Schubphase des Kreislaufs produziert wurde, übersteigen. Die Nettoarbeit wird negativ und, überflüssig es zu sagen, die Profite werden gefährdet.

Bei diesem Aspekt des Kampfes des Kapitals gegen die Entropie geht es um die Möglichkeit, Bereiche hoher Entropie in die Umwelt auszustoßen, ohne die Produktion von Nettoarbeit zu belasten. Es geht nicht nur darum, Abfälle zu kontrollieren und Unfälle zu vermeiden (das ist die Aufgabe der Kontrolleure am Computer). Wenn Abfall unvermeidlich anfällt, wenn kleine Morde zugelassen werden müssen, dann kommt es darauf an, daß die Scheiße geortet und ausgeschieden wird. Die Leichen müssen begraben oder verbrannt werden. Das ist der letzte Aspekt der Arbeit: die passive Arbeit, den Abfall des Kapitals aufzunehmen. Zusätzlich zu der Arbeit des Produzierens, Reproduzierens, Informationsverarbeitens, Kontrollierens gibt es die umfangreiche Arbeit, mit der Scheiße des Kapitals durchtränkt und abgefüllt zu werden. Das Kapital versucht nicht nur, den Wert der Produktionsmittel so vollständig wie möglich auf das Warenprodukt zu übertragen, ohne durch Abfall oder Unfall zu verlieren. Der Arbeitsprozeß muß ebenso die Entropie des einzelnen und des Gesamtarbeiters verstärken. Marx kommentiert diesen Aspekt der Arbeit so:

"Die kapitalistische Produktion, wenn wir sie im einzelnen betrachten und von dem Prozeß der Zirkulation und den Überwucherungen der Konkurrenz absehn, geht äußerst sparsam um mit der verwirklichten, in Waren vergegenständlichten Arbeit. Dagegen ist sie, weit mehr als jede andre Produktionsweise, eine Vergeuderin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn. (...) Da die ganze Ökonomisierung, von der hier die Rede, entspringt aus dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, so ist es in der Tat gerade dieser unmittelbar gesellschaftliche Charakter der Arbeit, der diese Verschwendung von Leben und Gesundheit der Arbeiter erzeugt."43

Das Kapital verhält sich beim Scheißen gezierter als eine Katze. Die ganze Debatte um die Standorte von Atomkraftwerken sind ein Bespiel für diese Empfindlichkeit. Umfangreiche Überlegungen werden angestellt über die Klassenzusammensetzung, die an einem bestimmten Ort anzutreffen ist. Wird es Krawall geben bei einem Unfall, werden sie nervös werden über den Transport und Verlust von abgebranntem Uran? Werden sie "hysterisch" werden, wenn die ersten Gerüchte über Krebs, die ersten Berichte über Chromosomenschäden auftauchen? Sind sie verzweifelt genug, um die Steuervorteile zu nehmen, aber nicht so verzweifelt, daß sie keine Rücksicht mehr nehmen und irgendwie explodieren? Es war sicher kein Zufall, daß TMI im Zentrum des Kernlandes des Patriarchats in den USA gebaut wurde, umgeben von phallischen Silos, bärtigen amischen Hiobs und Staatsangestellten.

Wenn allerdings das Kapital hochentropische Einbrüche in den Produktionsprozeß entdeckt, dann reagiert es schnell und brutal, um das wieder auszustoßen. Müssen wir an die Massaker an Arbeitern in der Entwicklung des Kapitalismus erinnern? Warum bringt das Kapital seine eigene Arbeitskraft um? Wieso gab es Auschwitz und Chiles? Ganz einfach: weil bestimmte Typen von Arbeitskraft zu entropisch für die Produktion werden, werden sie zu lebender Scheiße für das Kapital und müssen beseitigt werden. Natürlich ist das direkte Abschlachten von Arbeitern nur der dramatischste Fall im immerwährenden Kampf des Kapitals, das Spiel doch noch zu gewinnen. Diese endlose Liste von Methoden, um mit hoch- entropischen Arbeitern fertig zu werden: Aussonderung, Schwarze Listen, Gefängnis, Hunger und Mord... wir haben keine Lust mehr, es ist viel zu spät nach Mitternacht. Aber wenn es eine Institution gibt, um Entropie zu orten, das ist es das Strafrechtssystem. Seine Funktion: den Produktionsprozeß von den "Elementen" zu befreien, die völlig unverfügbar für Arbeit sind.

Es gibt nicht nur die Arbeit, Hoch- Entropie zu entdecken, nicht nur die Arbeit, sie abzustoßen, es bleibt schließlich noch der Job, sie aufzunehmen. Zum Beispiel der "Gelegenheitsarbeiter". Der zersetzende, entropische Aspekt eines Reaktorkerns ist die Strahlung, die nicht in die Produktion von Wärme eingeht, sondern "entweicht". Einer der wichtigsten Arbeitsplätze in einem Atomkraftwerk besteht darin, diese Entropie aufzunehmen.

Es gibt Atomarbeiter, die machen nichts weiter als: die Scheiße des Reaktors zu erleiden. Das sind die Teilzeit- Jobber, die eingestellt werden, um in die radioaktiv verseuchten Bereiche geschickt zu werden und die volle Menge Strahlung (die ein normaler Arbeiter in einem Jahr abkriegen soll) in ein paar Minuten einzufangen. Er nimmt seine 100 Dollar und verschwindet, nachdem er ein Ventil zugedreht hat. Vielleicht kommt er in ein paar Monaten wieder, vielleicht entdeckt er in 10 Jahren einen verdächtigen Knoten. Dieser "Gelegenheitsarbeiter" ist gewiß eine extreme Figur, ein Idealtyp, aber sicherlich hat die Vermehrung und Verteilung von Giftmülldeponien und "Lagerstätten" von radioaktivem Abfall überall im Land solche "Versager" aus uns allen gemacht. Offensichtlich geschieht die Vergeudung von Menschen nicht nur innerhalb der Werkstore des AKWs oder der Chemiefabrik, sondern genau so "sozial" und gesellschaftlich wie die Arbeit, die die radioaktive Elektrizität und die Gifte produziert.

Wenn wir uns mit dem Arschloch des Kapitals befassen, müssen wir uns unweigerlich mit dem Faulsten, Zerfallensten, Erschreckensten befassen. Leichen, Krebs, Hinrichtungen, Sklaverei. Auf der untersten Stufe der institutionellen Hierarchie und mit der tiefsten Furcht, was uns angetan werden kann, wird das unterste Niveau des Profits garantiert. Wir sind zu diesem Punkt nicht aus einer melancholischen Stimmung gekommen: Genau in diesen Abfallgruben von Materie, Körpern, Nerven finden wir die berühmte "unterste Grenze". Das ist alles wie in der Physik: Der Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine ist nicht nur proportional zur Arbeit, die sie liefert, sondern auch umgekehrt proportional zur Entropie, die verursacht wird. Je kleiner die Entropie, desto höher der Wirkungsgrad, also umso größer das Verhältnis Arbeit/Energie: der Profit.

Gefängnisse gehören so zum Produktionsprozeß wie das Benzin, das den Motor antreibt, wie das bißchen Zärtlichkeit, bevor man in die Fabrik geht, wie der Ausdruck, auf dem du lesen kannst, wie sehr du verarscht wirst. Wenn es keine Deponien für Arbeitskraft und konstantes Kapital gäbe, keine Möglichkeit, entropische Verseuchung zu beseitigen, dann würde das System ins Stocken kommen. Natürlich denkt das Kapital nicht daran, keine Scheiße mehr zu produzieren. Es will sie unter Kontrolle halten, an einsamen, widerstandsfreien Plätzen deponieren, auf wehrlose oder unsichtbare Teile der Bevölkerung abladen. Deshalb kommt mit der Energiekrise die Todesstrafe zurück.

Damit sind wir beim letzten Element der Profitkrise; und beim letzten Grund für die Gegenoffensive mit der Energiekrise. Die Arbeiterklasse hatte es in den 60ern und 70ern immer mehr abgelehnt, die Deponie der kapitalistischen Scheiße zu sein, als kollektive Jauchegrube des entropischen Drecks zu dienen. Auch dagegen mußten Maßnahmen getroffen werden. Die Energiepreiserhöhungen zwangen diese Weigerung, die Scheiße zu übernehmen, sofort in die Defensive. Die hohen Kosten für Energie schienen die Maßnahmen zur Entropiekontrolle und zur Beseitigung der hochentropischen Teile aus dem Produktionsprozeß zu rechtfertigen. So steht auch die ausdrückliche oder unausgesprochene Bewegung gegen die Atomenergie der Antwort gegenüber: Atomkraftwerke sind nur bei höheren Energiepreisen zu verwirklichen. Wenn einmal Teller's System der Elektrifizierung auf der Basis von Atomkraft und Kohle eingeführt ist, dann müssen die Maßnahmen zur Verschärfung der Kontrolle und der Verbesserung der Information über den Produktionsprozeß unvermeidlich durchgeführt werden. Schließlich kann nur mit steigenden Preisen (verursacht durch die Investitionen im hoch kapitalisierten Sektor) die "Notwendigkeit", die Ausscheidungen der Kraftwerke zu akzeptieren, den in der Nähe wohnenden Menschen aufgezwungen werden. Die Kunden des Atomkraftwerkes in Harrisburg bezahlen die Reparatur mit steigenden Stromrechnungen, während wir alle feststelen können, daß der Staat immer mehr Druck macht, um überall im Land Endlagerstätten für radioaktiven Abfall einzurichten.

Das Ende der Apokalypse

Wir haben mit dem Ende der Welt, der Apokalypse begonnen. Der ganze Lärm der kapitalistischen Propheten verkündet das Energieproblem als Ursache der bevorstehenden Katastrophe: entweder zu wenig (die Antilimitationisten) oder zu viel (die Interaktionisten). Es wird sogar "wieder" das Undenkbare gedacht, der "atomare Holocaust" und auch da ist die Energiefrage der Auslöser der Bombe, weil auch diese Kreise die Energie als knappsten natürlichen Rohstoff ansehen. Gern wird als Schauplatz des Atomkrieges der Golf von Hormuz beschrieben, weil dort eine entscheidende Quelle der internationalen Widersprüche zu sein scheint. Im Angesicht einer grundlegenden Knappheit gibt es nach den Antilimitationisten nur einen Ausweg: von der Möglichkeit einer militärischen Konfrontation auszugehen und sich darauf vorzubereiten. Auf der anderen Seite warnen die Interaktionisten: wenn wir dem drohenden Atomkrieg entkommen wollen, müssen wir uns auf eine "saubere", "stabile" Wirtschaft zurückziehen, die autark genug ist, um eine solche Auseinandersetzung unnötig zu machen. Beide Seiten akzeptieren das "Problem" als eine Vielfalt von im Grunde genommen "natürlichen, brutalen Tatsachen". Nun mögen ja die Tatsachen wirklich brutal sein, "natürlich" sind sie sicher nicht. Wann immer das Kapital eine neue Apokalypse verkündet, dann ist der Schuldige nicht die Natur, die Bombe oder irgendein selbstausgelöster bürokratischer Trieb zur "Vernichtung". Die Apokalypse wird zum Spiegelbild der Kämpfe gegen das Kapital, wenn diese kritische Ausmaße annehmen. Doch bekämpft Schatten nicht mit Schatten, schleicht nicht "vorsichtig und unprovokativ" in der Gegend herum, aus Angst, das irrationale Biest könnte losgelassen werden! An der Wurzel all der Raketen, Bomben, AKWs ist der Kampf gegen die kapitalistische Akkumulation, gegen ein Leben, das von Arbeit und Ausbeutung beherrscht wird. Dieser Kampf ist die Quelle der gegenwärtigen apokalyptischen Gerüchte. Dieser Kampf kann sie auch beenden. Was beendete die Atombombenapokalypsen der frühen 60er Jahre? Es waren keineswegs die Redeschlachten zwischen Pro- und Anti- Atombewaffnungsbewegungen. Das Kapital mußte die Bombe in den Hintergrund schieben, weil die Klassenbewegungen der frühen 60er Jahre es klar machten, daß sie durch all dieses atomare Säbelgerassel nicht eingeschüchtert werden konnten. Die Krawalle in Watts, das Wiederaufflammen der wilden Streiks in den Kohlegruben, die Verweigerung von Zivilschutzmaßnahmen sogar unmittelbar nach der Kuba- Krise zeigten den Regierungen von Kennedy und Johnson, daß die Bombe ihre Wirkung verloren hatte. Der Würgegriff des Terrors konnte die neuen Klassenbewegungen, ihre Wünsche und ihren Ekel, nicht mehr eindämmen.

Das Gleiche gilt für die Gegenwart. Die vier Reiter der Apokalypse "von denen jedem ein Viertel der Erde überlassen wird, um mit dem Schwert, der Hungersnot, der Pest und den wilden Bestien zu töten", können nur durch eben die Kämpfe aufgehalten werden, gegen die sie losgelassen wurden. Jede "Lösung" der Energiekrise, die den Kampf umgehen will, sei es nun Tellers elektronuklearer mit Raketensilos gesäumter Pfad oder Odums Pfad des landwirtschaftlichen Stillstandes und der Zurückhaltung, schlägt nur wieder die Krise vor. Wie wir gezeigt haben, kann das Kapital weder mit Teller noch mit den Odums allein auskommen. Die scheinbar entgegengesetzten Utopien der hohen oder niedrigen organischen Zusammensetzung ergänzen sich notwendigerweise, ja verstärken sich gegenseitig.

Das Kapital hat die Welt auf den Kopf gestellt, um mit dem Kampf gegen seine Muskeln, sein Herz, seine Nerven und sein Arschloch zurechtzukommen.

Gegen die vier Arten der Arbeit:

- die relative Ausbeutung in der Fabrik
- die absolute Ausbeutung in der Hausarbeit
- die Verminderung der Entropie durch Glättung des Arbeitsprozesses, indem nieder-entropische Bereiche aufgespürt werden
- die Verminderung der Entropie durch die Ausscheidung hoch- entropischer Abfälle

wird, wie wir gesehen haben, der entsprechende Kampf auf vier Ebenen geführt:

- Verweigerung von Produktivitätsabkommen am Fließband
- Zersetzung der Familie und des Reproduktionsapparates, welche die Arbeiter in den Produktionsprozess zwingen
- Weigerung, sich den Entropiesortierern des Kapitals zu unterziehen, z.B. als Krise des Schulsystems oder Zunahme der Kriminalität
- Weigerung, die Scheisse des Kapitals im biosozialen Prozeß der Reproduktion aufzusaugen, z.B. als Kampf gegen die Gefängnisse oder Atommülldepots.

Alle diese Formen der Verweigerung verursachten direkt die Profitkrise und die darauf folgende Energiekrise, die die Profitabilität wieder herstellen sollte. Diese Kämpfe bleiben unbehandelbar, mag der Angriff des Kapitals gegen sie noch so apokalyptisch aufgezogen sein. Wie die polnischen Arbeiter gezeigt haben, besteht der einzige Weg, die Raketen zu bekämpfen, darin, mehr und saftigere Würste zu fordern: "Nur wer streikt, ißt Fleisch."

Midnight Notes Collective:

George Caffentzis, Monty Neill, Hans Widmer, John Willshire; November 1980


Editorische Notizen:

Originaltitel: The Work/Energy Crisis and the Apocalypse, Midnight Notes Vol II, #1
Der Text wurde schon einmal in der Schweiz unter dem Titel “Arbeit Entropie Apokalypse – Reagans gesammelte Alpträume” veröffentlicht.
Wir haben ihn für die Thekla 12 (1989) völlig neu übersetzt. Die Fußnoten mit Sternchen haben wir hinzugefügt; die ohne sind von den Autoren.





Anmerkungen:

1 Die folgenden Zitate aus R.H.Romer, ENERGY: AN INTRODUCTION TO PHYSICS, San Francisco 1976, mögen zum Verständnis nützlich sein:

"Das Trägheitsgesetz: ein ruhender Gegenstand bleibt in Ruhe, solange keine Kraft auf ihn einwirkt; ein bewegter Gegenstand bleibt in Bewegung, in der selben Richtung und mit der selben Geschwindigkeit, solange keine Kraft auf ihn einwirkt." (S.84)
"Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik stellt fest... daß die Gesamtenergie eines Systems bewahrt bleibt. Jede Zunahme von, sagen wir, thermischer Energie muß von einer gleich großen Abnahme in der Summe aller anderen Energieformen begleitet werden. Einige oder alle Energieformen mögen wechseln, aber in einem geschlossenen System nur in einer Weise, daß die Summe aller Energieformen gleich bleibt."(S.128)
"Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß in jedem Prozeß eine universelle Tendenz in Richtung größerer Unordnung, zunehmender Entropie, eine Entwertung der Energie liegt."(S.255)
"Entropie ist oft die "Richtung der Zeit" genannt worden, weil wir mit ihrer Hilfe Vergangenheit und Zukunft unterscheiden können. Wenn wir die Beschreibungen zweier Zustände eines geschlossenen Systems haben, können wir feststellen, welcher Zustand dem anderen zeitlich vorausgeht; der Zustand mit der kleineren Entropie, der Zustand mit der geringeren Unordnung ist der frühere."(S.243)

2C. Gillespie, THE EDGE OF OBJECTIVITY, Princeton, 1960, S.376

3ebenda

4Zitiert aus: J.C. Leventon, THE MIND & ART OF HENRY ADAMS, Boston, 1957, S.377

5Edward Teller, "Energie - A Plan for Action" in E. Teller, H. Mark, J.S. Foster,Jr. (Hrsg), POWER & SECURITY, Lexington, Mass., 1976)

6* Francis Bacon, 1561-1626, "Sein utop. Roman >NOVA ATLANTIS< schildert einen auf diesem Weg (Naturbeherrschung) entworfenen technisch perfekten Zukunftsstaat." (aus: Brockhaus Enzyklopädie, 1987)

7* lateinisch: caput, (capitis): Haupt, Kopf, Hauptstadt, Mensch, Kapital

aber auch: lat.: capital, (capitalis): todeswürdiges Verbrechen (den Kopf betreffend...)

8Howard T. Odum, Elisabeth C. Odum, ENERGY BASIS FOR MAN AND NATURE, New York, 1976)

9* Das Schattenreich des Tintenfischs, entdeckt von Ringo Starr, veröffentlicht 1969 auf der Beatles-LP "Abbey Road"

10*Jim Jones: Führer jener Sekte, die 1978 in Guyana kollektiv “Selbstmord” beging (mehrere hundert Tote). Die Sektenmitglieder waren genötigt worden, unbezahlte Arbeit zu leisten und sich “freiwillig” der Repression durch die Sektenleitung zu unterwerfen, Es gab Vermutungen, daß der CIA beim Aufbau und dem Ende der Sekte beteiligt war.

11* SDS = Students for a Democratic Society, US-am. Studentenorganisation
Weatherpersons: militante Untergrundorganisation
DRUM = Dodge Revolutionary Union Movement, gegr. Herbst 1967 in der Hamtrack - Fabrik von Chrysler in Detroit, v.a. schwarze Arbeiter, die gegen Produktivitätssteigerungen u. Rassismus im Betrieb kämpften; Vorbild vieler anderer Kampforganisationen der schwarzen Arbeiter
West Virginia Wildcats: "Wilde" Bergarbeiterstreiks, s."Wildcats im Kohlerevier der Appalachen" v. W. Cleaver, Thekla 10
welfare office sit-ins: Sitzstreik auf den Sozialämtern, s.Thekla 10
SCUM: Society for Cutting Up Men, militante Frauengruppe in New York, verfaßten eines der wichtigsten Frauen-Manifeste der 70er: "Sisterhood is powerful". Eine der Autorinnen verübte später das Attentat auf Andy Warhol
Stonewall: Schwulenbar in New York City. Nach einer Polizeirazzia 1969 in der Stonewall-Bar schlugen die Gäste zurück, woraus sich ein kleiner "riot" entwickelte. Wird oft als Geburtsstunde der Schwulenbewegung betrachtet.
Attica: Gefängnisaufstand im September 1971

12W. Nordhaus,"THE FALLING SHARE OF PROFITS" in Brookings Institute Papers, 1975

13* River Rouge: größte Montagefabrik von Ford

14* Sitzstreik/Fabrikbesetzung der Karosserie-Fabrik von General Motors (s. Jeremy Brecher, Streiks und Arbeiterrevolten, S.167ff)

15* Shiva: Eine der höchsten hinduistischen Gottheiten, "der Gnädige", grausamer Gott, der den Weltuntergang bewirkt; aber auch Gott der Zeugungskraft; Gott der Asketen

16* Redundanz (lat.: redundantia: Überfluß): bezeichnet in der Informationstheorie das Verhältnis zwischen der Menge an Information und der Menge an Signalen, die zu ihrer Darstellung gebraucht werden; nützliche Redundanz liegt z.b. da vor, wo eine Information doppelt übermittelt wird, um sicherzustellen, daß sie auch vollständig ankommt. Kann auch in anderen Bereichen gebraucht werden, z.B. dafür daß in AKWs alle wichtigen Teile doppelt oder mehrfach vorkommen.

17Und die Rassenfrage? Wir stimmen mit der Lohn-für-Hausarbeit-Analyse überein: das Wesen der rassischen (wie auch der sexuellen) Spaltungen ist in der Lohnhierarchie zu suchen und es war in der Tat diese Hierarchie, die von der Bewegung der Schwarzen am direktesten angegriffen wurde: als welfare-Frauen-Bewgung, in der Bildung von schwarzen Gewerkschafts- und Fabrikorganisationen, als Jugendbanden und "Parteien" in den Ghettostraßen. Die Explosion der schwarzen Frauen, Männer und Jugendlichen attakierte das Keynes'sche Akkumulationsmodell in seinem Kern, denn der Hauptstoß kam aus dem weitgehen unentlohnten Sektor. Vgl. Maria Rosa Dalla Costa und Selma James, POWER OF WOMEN AND THE SUBVERSION OF THE COMMUNITY Bristol, Engl., 1972, was die grundlegende Arbeit in dieser Angelegenheit betrifft.

18Zitiert in: B.J. Widick "Work in Auto Plants: Then and Now" in AUTO WORK AND ITS DISCONTENTS, Baltimore, 1976, S.10

19Bukharin, THE ECONOMIC THEORY OF THE LEISURE CLASS, New York, 1970, S.10

20Karl Marx, GRUNDRISSE DER KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE, S.585ff

21Eugen von Böhm-Bawerk, GESAMMELTE SCHRIFTEN, Frankfurt 1968, S.292f

22* Scrooge: literarische Figur von Charles Dickens (1812-1870); Geizhals, Tyrann

23* Diggers ("die Graber"): England, um 1650; traten für Gemeinbesitz von Grund und Boden, Verbot des Handels und allgemeine Arbeitspflicht ein. (s. Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, Berlin 1931, S.329f)

24Piero Sraffa, WARENPRODUKTION MITTELS WAREN, Frankfurt 1976 (Original 1960), S.28

25David Ricardo, ON THE PRINCIPLES OF POLITICAL ECONOMY AND TAXATION, London 1812; hier zitiert nach: Karl Marx, Grundrisse, a.a.O., S.815

26Marx, Grundrisse, a.a.O., S.592

27ebenda, S.593

28* Corn Laws: Korngesetze, 1815 in England im Interesse der Großgrundbesitzer eingeführt. Beschränkten bzw. verboten die Getreideeinfuhren aus dem Ausland. Die industrielle Bourgeoisie bekämpfte die C. unter der Losung des Freihandels (Anti Corn Law League) und erreichte 1846 deren Abschaffung

29Sraffa, Warenproduktion, a.a.O., S.26

30Karl Marx, DAS KAPITAL, Band I, Marx Engels Werke 23, S.675

31ebenda, S.184f

32Silvia Federici, Wages Against Housework; in: E. & B. Shapiro, THE WOMEN SAY/THE MEN SAY, New York, 1979, S.57

33Marx, Kapital I, a.a.O., S.562

34ebenda, S.199f

35REPORT OF THE PRESIDENT'S COMMISSION ON THE ACCIDENT AT THREE MILE ISLAND, (John G. Kemeny, Chairman), Washington, 1979, S. 11f

36ebenda, p.10

37Marx, Kapital I, a.a.O., S.215

38ebenda, S.225

39Karl Marx, DAS KAPITAL, Band III, MEW 25, S.90

40Schrödinger, einer der Begründer der Quantenphysik um 1944, stellte einen Zusammenhang zwischen Genetik und Information her

41Norbert Wiener, KYBERNETIK, Düsseldorf/Wien 1963 (Original 1948/61), S.100f

* Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz (1646-1716) "nahm als Grundbestandteil der Welt unendl. viele individuelle seel. Kraftzentren, die Monaden, an" (Duden Lexikon)

42* Charon: aus der griechischen Mythologie; Fährmann über den Totenfluß, Wächter des Totenreichs

43Marx, Kapital III, a.a.O, S.99


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Oktober 2003