http://www.utopie1.de/Z/Zacharias/w108.htm   Der Alptraum vom perfekten Staat    ----   Zacharias, 1985, Utopia       -

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Der Alptraum vom 

perfekten Staat ...

 

Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle. 
(Karl Popper)

»Ich muß es ablehnen, mit dieser Sache hier identifiziert zu werden, weil ich damit nichts zu tun habe. Hätte ich damit etwas zu tun, buona, ich würde es übernehmen. Ich würde mir dann sagen: Bitte sehr, Himmler selbst war drin gewesen, was kann ich machen? Ich habe den Befehl bekommen, und die Sache ist, ist egal, machen Sie bitte mit mir, was Sie wollen. Denn ich konnte nicht anders, ich hatte Befehl. Aber ich hatte mit der Sache nichts zu tun.«   
(Judenreferent Adolf Eichmann bei den israelischen Verhören 1960/61)

<... Und dann fingen wir an, sie runterzustoßen, und wir fingen an, sie zu erschießen, und so haben wir sie alle da runtergestoßen und haben dann mit den Automatiks auf sie geschossen. Und dann ...>
<Wieder Männer, Frauen und Kinder? Antwort: Männer, Frauen und Kinder. Frage: Auch Säuglinge?>
<Auch Säuglinge. Und wir fingen also an, sie zu erschießen, und jemand befahl uns, auf Einzelfeuer umzustellen, um Munition zu sparen. Also stellten wir auf Einzelfeuer und ballerten noch ein paar Kugeln rein ...>
<Warum taten Sie das?>
<Warum tat ich das? Weil ich den Befehl dazu hatte und glaubte, es tun zu müssen, und zu der Zeit sah es für mich so aus, daß ich das Richtige tue ...> 
(Interview mit einem an dem Massaker von My Lai, Vietnam, beteiligten Soldaten, 1969)

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Drei Viertel der Durchschnittsbevölkerung können durch eine (pseudo-)wissenschaftliche Autorität dazu gebracht werden, in bedingungs­losem Gehorsam einen ihnen völlig unbekannten, unschuldigen Menschen zu quälen, zu foltern und zu töten. Drei Viertel. Das ist das Ergebnis des Milgram-Experiments, das in den sechziger Jahren in den USA durchgeführt wurde. Bei diesem Experiment sollten die Testpersonen einen Menschen immer stärker werdenden Elektroschocks aussetzen – ohne daß sie wußten, daß die Schocks nur simuliert waren. Nur ein Viertel der Testpersonen widersetzte sich.

Was hat das mit Utopia zu tun? Daß die Konstruktion eines perfekten Staates, wie sie die Utopisten jahrhundertelang im Sinn hatten, im 20. Jahrhundert zum Alptraum geworden ist. Ein Staat, der seine Autorität dazu gebraucht, Menschen vergasen oder Säuglinge erschießen zu lassen – auf so einen Gedanken wären die Utopisten allerdings niemals gekommen. Wir wissen es heute jedoch besser, und deshalb erscheinen uns nach zwei Weltkriegen Träume vom perfekten Staat bedrohlich. Werfen wir also auch einmal einen Blick auf die nachtdunkle Seite der Utopien.

Die Grundsituation: Der utopische Staat wird entworfen, (möglichst) realisiert und dann bis ans Ende aller Welten in diesem perfekten Zustand erhalten. Denn wie könnte das Beste noch verbessert werden? Jede Veränderung kann nur zum Schlechteren führen. Ein Gebilde aber, das so statisch und starr ist, trägt bereits den Keim zum Totalitarismus in sich, denn: Was geschieht mit dem, der das Beste doch nicht für das Beste hält?

Einige Utopien versuchen, dieses Problem mit dem Trick zu umgehen, daß es in ihrem Idealstaat eben niemanden gibt, der unzufrieden ist – und das ganz ohne Gewaltanwendung. In B.F. Skinners Futurum Zwei sind die Menschen zum Beispiel verhaltens­psychologisch seit ihrer Geburt so konditioniert, daß sie genau das wollen, was sie bekommen. Die Frage der Freiheit »stellt sich gar nicht mehr«. Denn: »Wenn die Menschen für die Freiheit kämpfen, kämpfen sie gegen Kerker und Polizei oder deren Drohung, sie kämpfen gegen Unterdrückung. Nie kämpfen sie gegen Kräfte, die sie dazu bringen, ihr Handeln zu wollen.« Futurum Zwei ist eine positive Utopie.

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In Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt werden Menschen durch Drogen dazu gebracht, das zu wollen, was sie haben. Schöne neue Welt ist eine negative Utopie.

Besteht zwischen psychologischer Konditionierung und Manipulation durch Drogen ein so großer Unterschied, daß das eine eine Idealvorstellung und das andere eine Horrorvision ist? Auch wenn Skinner ausdrücklich jede Gewaltanwendung ablehnt – weil sie bei seiner Methode auch ganz überflüssig ist –, bleibt ein Unbehagen bei seiner »Vision einer aggressionsfreien Gesellschaft« bestehen. Wenn es um die Konstruktion eines perfekten Staates geht, der ausnahmslos alle Menschen zufriedenstellt, scheinen positive und negative Utopien nahezu identisch zu werden ... Vollkommenheit ist eben unmenschlich.

Das zeigt Anthony Burgess in seinem Roman Uhrwerk Orange: Einem Gewalttäter werden – mit seiner eigenen Einwilligung – alle Gelüste durch Konditionierung wegtherapiert. Alex wird nie wieder etwas Böses tun – aber er kann auch keine Beethoven-Musik mehr lieben. Ein Mensch muß sich freiwillig zwischen Gut und Böse entscheiden können, sonst ist er kein Mensch, so interpretiert der Autor selbst sein Buch. Das heißt, daß ein Staat inhuman ist, selbst wenn er nur das Beste im Sinn hat, falls er so konstruiert ist, daß sich die Frage der Freiheit »gar nicht mehr stellt«.

Es besteht eine merkwürdige Korrespondenz zwischen dem Postulieren allgemeiner, abstrakter Ideale wie Gleichheit, Ordnung, Freiheit und einer geradezu lächerlichen Fixierung auf unwichtige Details. Die utopischen Staatsromane baden sich in akribischen Beschreibungen von Belanglosigkeiten. So gibt es in fast jedem utopischen Staat genaue Kleidervorschriften, zum Beispiel in Campanellas Sonnenstaat: »Auf der Haut tragen sie ein weißes Hemd, darüber ein Kleid, das zugleich Rock und Hose, faltenlos, und von den Schultern bis zu den Schienbeinen geschlitzt ist und ebenso vom Nabel um die Hüften bis zum Gesäß; hier wird der Schlitz mit Knöpfen, dort mit Bändern geschlossen. Die Hosenbeine gehen bis zu den Knöcheln hinunter. Die Füße bekleiden sie mit hohen Schnürstiefeln, unter die sie Strümpfe ziehen.« 

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In Skinners Futurum Zwei bleibt dem Leser nicht erspart, präzise über das Aussehen der Tabletts in der Kantine informiert zu werden: »Die Tabletts waren von elliptischer Form mit einer Abflachung an jedem Rand. Kleine Unterteilungen sowie eine Vertiefung für die Tasse bildeten die Mitte ... Einer ihrer zahlreichen Vorzüge sei ihre Durchsichtigkeit, die in der Küche viel Mühe beim Abwaschen spare, weil man von beiden Seiten sehen könne, ob sie sauber seien.« In Platons Staat ist vorgeschrieben, wie lachlustig Jünglinge sein dürfen, in Thomas Morus' Utopia wird das Würfelspielen als ein »törichtes Vergnügen« gegeißelt, und Samuel Butler vermerkt ausdrücklich in seinem 1872 erschienenen satirischen Utopia-Roman Erewhon, daß es keine Katzen gibt.

Gemeinsam ist der Versessenheit auf Details und der pathetischen Anrufung des hehren Ideals das Zwanghafte: Genau so und nicht anders muß die Welt sein, sonst droht das Chaos. Da das Beste nicht verbessert werden kann, kennt die (positive) Utopie nur Skeptiker, die noch überzeugt werden müssen, aber keine Außenseiter. Sie kennt kein Geheimnis, kein Unglück, keine Einsamkeit, keine Tragik, kein Leid, kein Schicksal.

Was ist das überhaupt, Schicksal, wird in Franz Werfels Stern der Ungeborenen gefragt. Wir kennen die Antwort: »Das, was beim Dividieren nicht aufgeht und was zurückbleibt ... Wolke, Staub, Sturm, Erkältung, Dschungel und Ähnliches ...« Schicksal, das ist das Eigene, Individuelle, Unverwechselbare. »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich«, so beginnt Tolstois Roman Anna Karenina. Die gesamte Weltliteratur beschreibt Schicksal. Madame Bovary, Raskolnikoff, Doktor Faustus, Mutter Courage, David Copperfield – sie alle sind unglücklich, aber auf ihre »eigene Art«. Die Bewohner der utopischen Idealstaaten dagegen sind glücklich, doch auf eine allgemeine, unpersönliche Art, und weil sie es gar nicht anders wissen.

 

In Huxleys negativer Utopie rebelliert ein Außenseiter so gegen die »Schöne neue Welt«:

<Ich brauche keine Bequemlichkeiten. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde.>
<Kurzum>, sagte Mustafa Mannesmann, <Sie fordern das Recht auf Unglück.>

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>Gut denn<, erwiderte der Wilde trotzig, >ich fordere das Recht auf Unglück.<
>Ganz zu schweigen von dem Recht auf Alter, Häßlichkeit und Impotenz, dem Recht auf Syphilis und Krebs, dem Recht auf Hunger und Läuse, dem Recht auf ständige Furcht vor dem nächsten Tag, dem Recht auf typhöses Fieber, dem Recht auf unsägliche Schmerzen jeder Art?<
Langes Schweigen.
>All diese Rechte fordere ich<, stieß der Wilde endlich hervor.«

 

Den Preis, den die Utopier für ihr vollkommenes Glück zahlen müssen, ist also der Verlust an dem, »was beim Dividieren nicht aufgeht«. Sie sind satt und schön, haben weder Krebs noch Läuse — aber sie ähneln sich auch wie ein Ei dem anderen, weil ihr Leben kein persönliches Risiko birgt. Deshalb können sie mit Anna Karenina, Madame Bovary, Raskolnikoff, Doktor Faustus, Mutter Courage oder David Copperfield auch gar nichts anfangen. 

In Edward Bulwer-Lyttons Utopia-Roman Das kommende Geschlecht (1870) wird das aufs Stimmigste begründet: »Wir finden, daß die großen Meisterwerke dieser Literaturgattung ... in der Portraitierung von Leidenschaften bestehen, die uns fremd geworden sind, wie z. B. Ehrgeiz, Rache, unkeusche Liebe, Durst nach Kriegsruhm usw. Die alten Dichter lebten in einer Atmosphäre, die mit diesen Passionen geschwängert war, und sie fühlten eindringlich, was sie in so glühende Worte kleideten. Heutzutage ist niemand mehr fähig, solche Leidenschaften noch auszudrücken, denn niemand spürt sie ...«

Ersucht Platon in seinem Staat die Dichter noch höflich, davon abzusehen, die Schrecken der Unterwelt darzustellen, weil sonst niemand mehr den Heldentod sterben will, so verfährt Louis-Sebastien Mercier mit seiner Bibliothek des Jahres 2440 in noch ganz anderer Weise: In einer großen Bücherverbrennung läßt er alle Werke in den Flammen aufgehen, die gegen »Moral und Sitte« verstoßen, also Sappho, Anakreon und den »gemeinen« Aristophanes. Auch Lukrez und Catull sind aus der >sauberen< Bibliothek verschwunden, und Cicero, Ovid und Horaz gibt es in zensierten Fassungen.

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Wieder ist die Grenze von der >positiven< zur > negativem Utopie verwischt: In Ray Bradburys Horrorvision Fahrenheit 451 ist es Aufgabe der Feuerwehr, alle Bücher, die sie nur finden kann, zu verbrennen ...

Ob Bücher, die Manifestationen des freien Geistes, unnötig sind oder sogar verbrannt werden – sie passen einfach nicht in einen Idealstaat.

Ist also alles, was bisher zum Ruhme der Utopisten gesagt wurde, falsch? Sind sie in Wahrheit Konstrukteure totalitärer Staaten, faschistoide Planungsbeamte?

Hier liegt der Unterschied zwischen dem Entwerfen eines Idealstaates bis ins kleinste Detail und dem utopischen Bewußtsein, das der Antrieb dazu war. Ein idealer Staat ist ein statisches, fixiertes, unmenschliches, totes Gebilde, ein Endpunkt. Das utopische Bewußtsein dagegen ist offen, dynamisch, entwicklungsfähig, ist ein Weg. Damit entsteht das große Paradox aller utopischen Anstrengungen: Eine Utopie ist nur dann eine Utopie, wenn sie die Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung in sich trägt — aber genau in dem Augenblick, da sie tatsächlich verwirklicht ist, hört sie auf, Utopie zu sein.

 

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... und der Traum von der perfekten Gesellschaft:  

Sozialismus und Utopie  

 

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert,
 es kommt aber darauf an, sie zu verändern.   (Karl Marx)

 

»Wir halten folgende Wahrheiten für selbstverständlich: Daß alle Menschen gleich geschaffen sind, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt sind, daß dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören: daß zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, die ihre rechtmäßigen Befugnisse von der Zustimmung der Regierten herleiten ...«

 

Die Menschenrechte, 1776 der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vorangestellt, sind ein Ideal, ein Ideal, das, so schlicht, wie es dasteht, noch nie in der Geschichte verwirklicht wurde. Deshalb halten manche unsere Verfassungen für einen Zynismus.

Umgekehrt ist eine Utopie, welche die Menschenrechte außer acht läßt, heute für uns unannehmbar. Besonders Platon und Campanella verfuhren noch gänzlich ungeniert mit dem Menschen->Material<, das man zur Errichtung eines perfekten Staatswesens benötigt — Thomas Morus war da vergleichsweise wirklich liberal. Doch seit dem 18. Jahrhundert sind alle utopischen Entwürfe idealer Gemeinwesen von der Entdeckung geprägt, daß ein einzelner (arbeitender) Mensch ein Wert an sich und nicht nur Mittel zu den Zwecken anderer ist. Seitdem lautet die Preisfrage aller politisch und sozial denkenden Menschen: Wie kann ein Staat geschaffen werden, in dem kein einziger seine Freiheit aufgeben muß und dennoch in die Gemeinschaft eingegliedert ist?

Rousseau beantwortete diese Frage 1762 in seinem Contrat social so: Wenn jeder einzelne freiwillig zustimmt, sich der Allgemeinheit bedingungslos zu verpflichten, so ist jeder ein gleicher Teil der Gemeinschaft und muß an niemanden seine Freiheit abtreten. Und er kann das »unveräußerliche« Recht der Freiheit gar nicht veräußern, da eine Unterwerfung unter einen Herrscher keinerlei rechtliche Verbindlichkeit besäße.

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Ein solcher Staat, der seinem Volk dient, ja, der das Volk selber ist und es nicht versklavt, entfachte Begeisterungsstürme — von der Französischen Revolution bis zur deutschen Frühromantik. In seinem Essay Die Christenheit oder Europa beschwört Novalis die Vision dieses idealen Staates:

»Es wird solange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt, und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Werke des Friedens vornehmen ...«

Man mag das alles als unangenehm pathetisch abtun, doch ohne die Träume des 18. Jahrhunderts vom idealen Staat könnten wir heute nicht davon träumen, wie man dem perfekten Staat entkommen kann.

Der Theorie des klassischen Naturrechts wurden seit der Industriellen Revolution die Sozialutopien an die Seite gestellt. Im Prinzip Hoffnung erklärt Ernst Bloch den Unterschied: Das Naturrecht beherrschte das Denken des 18. Jahrhunderts, während die Sozialutopien erst im 19. Jahrhundert ihre volle Kraft entfalten konnten. Ersteres war »scharf nachgedacht«, die Sozialutopien waren »ausgemalt«. Das Naturrecht verhält sich zu den Sozialutopien »wie ein strenger Kanon zu einem Lied oder wie ein Racinesches Drama zu einem Vaudeville«. Die revolutionäre Kraft des Naturrechts blieb jedoch geschichtlich begrenzt und reichte viel weniger als die der Sozialutopie in die Zukunft. Bloch: »Der Traum von geschützter menschlicher Würde ersetzte auf die Dauer nicht den dringenderen, wo nicht zentraleren Traum vom menschlichen Glück.«

 

Auf die utopischen Sozialisten, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das namenlose Elend der arbeitenden Massen lindern wollten, fällt heute ein Glanz größter Sympathie zurück, waren sie doch ganz dem bürgerlichen Ideal der allgemeinen Menschenliebe verpflichtet und fernab jeglicher Klassenkampf-Parolen.

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Robert Owen, der Besitzer einer Baumwoll-Fabrik in Schottland, also selbst ein Unternehmer, wollte die frühkapitalistische Gesellschaft humanisieren. Er erkannte etwas, das heute für uns selbstverständlich ist, nämlich daß die Umwelt, die Gesellschaft den Menschen prägt und daß die sozialen Umstände den Menschen zum Wolf machen. Owens Ziele: Abschaffung des inhumanen Wettbewerbs, kürzere Arbeitszeiten, höhere Löhne, Einrichtung von Schulen.

Charles Fourier entdeckte, daß die Armut aus dem Überfluß entsteht, also keine zufällige, vorübergehende Erscheinung ist. Verelendung ist die notwendige Kehrseite des kapitalistischen Reichtums.

Etienne Cabet verwandte als erster das Wort »communiste«. In seinem utopischen Staatsroman Reise nach Ikarien beschreibt er eine zentralistisch organisierte, hochindustrialisierte Arbeiternation.

Henri de Saint-Sinion »glüht noch mehr als Cabet vom Lob des industriellen Lebens« (Bloch). Er setzte sich gegen die alten feudalistischen Vorrechte für die Arbeitenden ein, wozu er auch Bankiers und Unternehmer zählte.

Pierre-Joseph Proudhon griff den bürgerlichen Eigentumsbegriff an und stellte den berühmten Satz »Eigentum ist Diebstahl« auf – womit er natürlich das Eigentum an Produktionsmitteln und nicht den Besitz einer Zahnbürste meinte.

Wilhelm Weitling, Handwerksbursche aus Magdeburg, war die proletarische Stimme des deutschen Vormärz. Der Titel seiner ersten Schrift: Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte (1838). Er beschwor in überschwenglichen Herzens­ergießungen den großen Familienbund der Menschheit, forderte geregelte Arbeitszeiten und eine Anpassung der Produktion an den Verbrauch. Er kritisierte den Sozialismus von oben, glaubte nicht an die Hilfe der herrschenden Klasse. Bloch: »Weitlings Traum hat, mit viel Bitterkeit und Reinheit, in ein Gelobtes Land geblickt, als Marx und Engels gerade begonnen hatten, die wirklichen Zugänge dahin zu entdecken und zu eröffnen.«

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Dem utopischen Sozialismus setzten Marx und Engels den wissenschaftlichen Sozialismus entgegen. »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen«, heißt es im Kommunistischen Manifest. Marx und Engels untersuchten die Bedingungen, unter denen Unterdrücker und Unterdrückte entstehen, und forderten die Unterdrückten dazu auf, ihre Lage zu ändern. Den utopischen Sozialisten warfen sie vor, daß sie sich über den Klassengegensatz erhaben glaubten. Die Utopisten »appellieren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die herrschende Klasse«. 

Weitere Kritikpunkte: Die Utopisten würden auf die »Philanthropie der bürgerlichen Herzen« und deren »Geldsäcke« setzen, sie würden zwischen Gegensätzen — entstanden aufgrund einer bestimmten bürgerlichen Organisationsform — idealistisch vermitteln und dadurch den Klassenkampf, der sich durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht, hintertreiben. Die gesellschaftliche Fortentwicklung könne sich aber nur durch die Abschaffung der wirtschaftlichen Organisationsform durch jene ergeben, die in ihr »nichts als ihre Ketten« zu verlieren haben.

 

 

Über das Thema »Sozialismus und Utopie« sprachen wir mit dem Marxisten Karl Held; in München lebender Autor (Der bürgerliche Staat, Das bürgerliche Individuum).

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Interview mit Karl Held  

 

Im Kommunistischen Manifest wird den utopischen Sozialisten vorgeworfen, sie würden den Klassengegensatz ignorieren und sich für die Befreiung aller stark machen, statt den Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zu unterstützen. Was ist so schlimm daran, daß man sich für die ganze Menschheit einsetzt?

Einer der erfolgreichsten Ehrentitel, in dessen Namen so gut wie alles verbrochen und verhindert werden darf, ist >die Menschheit<. Nein, Marxisten haben mit diesem Subjekt, das durch die Geschichte von Druck und Papier geistert, nichts im Sinn. Es existiert nämlich nur in der Einbildung, dieses kollektive Subjekt mit lauter gemeinsamen hehren Anliegen, und zwar deswegen, weil es lange vor seiner philosophischen Aufbereitung zur Berufungsinstanz taugt, die moralisch gebildete Zeitgenossen des Kapitals immer brauchen. 

Im Namen der Menschheit stellen die einen Atomwaffen auf — und in demselben Namen warnen andere vor dem Kältetod. Letztere schätzen ihre Glaubwürdigkeit als Kritiker höher als die Anstrengung, einen effektiven Widerstand auf die Beine zu stellen. Die Glaubwürdigkeit beweisen sie durch eine Abstraktion, die es in sich hat: Die politischen und ökonomischen Gegensätze, die ihre schöne Welt bevölkern, sind vergessen. Der Glaube, die Einbeziehung aller in die eigenen Sorgen würde einem Einwand die Wirkung verleihen, die ihm sonst abgeht, ist offensichtlich.

So richtig glaubwürdig wird die Berufung auf die Menschheit immer nur bei Leuten, die durch ihr Amt befugt sind, Moral zu verabreichen und auf die Erfüllung ihrer Rechte zu dringen. Wenn sie den sozialen Frieden und den Frieden überhaupt für unabdingbar und den Klassenkampf für überholt erklären, wissen sie sehr wohl, daß das Verbot, Gegensätze auszutragen, ihre Manier der Durchsetzung ist! Und ihnen steht es auch gut zu Gesicht, ihre Gegner zu Feinden der Menschheit zu stempeln. So etwas haben Marxisten nicht nötig. Ihnen genügt das bißchen Wissen darüber, wer was wie auf wessen Kosten anrichtet, vollauf.

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Die praktischen Konsequenzen betreffen dann auch einmal jene Sorte >Menschheit<, die beim freien Wirtschaften so merkwürdig konsequent zu kurz kommt, weil sie fremdem Reichtum dient.

Uns geht es darum, daß sich ein gewisser Teil der >Menschheit< nicht mehr gefallen läßt, sich für ein illusionäres gemeinsames Interesse verheizen zu lassen.

 

Dem utopischen Sozialismus haben Marx und Engels den wissenschaftlichen Sozialismus gegenübergestellt. Warum kann eine wissenschaftlich begründete Lehre in ihren Zielen nicht trotzdem utopisch sein?

Davon, daß sich Utopie mit Wissen nicht so recht verträgt, hat sogar der Menschenverstand etwas mitbekommen, der sich so stolz >gesund< nennt. Er liebt es, Kritik daran zu messen, ob sie >machbare< Alternativen bietet, und er hält es für eine gekonnte und unwidersprechliche Polemik, wenn er im Streit der Meinungen eine Position der Utopie überführt. Mit dem Stichwort »Utopie« wird ja nichts Geringeres charakterisiert als der Fehler, Sachen anstellen zu wollen, die gar nicht gehen. Berufen wird sich auf Notwendigkeiten, die sich nicht ändern lassen, so daß man umgekehrt auf sie Rücksicht zu nehmen hat.

Wo die Anklage auf »Utopie« lautet, stützt sich die Beweisführung noch stets auf unabänderliche Zwänge, die sich wie Naturgesetze nicht außer Kraft setzen lassen.

 

Das klingt ja so, als würden Sie doch eine Lanze für die Utopie brechen!

Nein, unsere Kritik an diesem Begriff ist nur eine andere. Gegen die frommen Wünsche und Träume von einer besseren Welt wird die Wissenschaft gesetzt, die mit Kenntnissen antritt. Die Kenntnisse betreffen eherne Notwendigkeiten, an denen sich bloße Absichten blamieren. Deshalb lohnt es sich allemal, die behaupteten Kenntnisse auf ihre Stichhaltigkeit hin zu begutachten. Und deshalb ist es grundverkehrt, sich auf seine >Phantasie< zurückzuziehen und mehr oder minder stolz seine Fähigkeit zu utopischem Denken zur Schau zu stellen. Mit dieser Kunst, sich manches oder gar alles ganz anders vorzustellen, ist es nämlich so weit gar nicht her.

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Die Übung, theoretisch alles ungeschehen zu machen oder wenigstens halb so schlimm, ist in Kunst und Religion seit Jahrhunderten schwer in Mode – und als erbauliche Begleitmusik wird sie von jeher von den Machern der Wirklichkeit geschätzt und genossen. Das aller Utopie innewohnende Bekenntnis, mit der Einbildungskraft die Lasten des jeweils praktizierten Geschäfts zu überwinden, also in der Möglichkeitsform da zu sein, wo noch niemand war, macht ihren Genuß so bequem. Da, wo solches Bekenntnis Programme setzen will, wird es nicht minder bequem für untauglich erklärt, eben mit dem >Realismus<, der weiß, daß für wirtschaftliche und politische Belange noch lange nicht zählt, was das Gemüt beflügelt.

 

»Realismus« ist ein Wort, das wohl eiserner Bestandteil der sozialistischen Lehre ist. Doch auch ihre erbitterten Gegner, die kapitalistischen Machthaber, nehmen diesen Begriff gern für sich in Anspruch.

Mit deren Realismus hat es seine eigene Bewandtnis. Aus der Geschichte der Bundesrepublik sind mir nur sehr wenige Fälle bekannt, daß in öffentlichen Auseinandersetzungen Utopien vertreten und zum politischen Programm erhoben wurden. Und sofern es geschah und geschieht, erfolgte keineswegs die Abqualifizierung der >Idealisten< die sich da an der Realisierung von Projekten versuchen, die zum Scheitern verurteilt sind, weil >wirklichkeitsfremd<.

Bis auf den heutigen Tag billigen die Vertreter des Reichtums und der politischen Macht in schöner Regelmäßigkeit und im Fernsehen jedes Ideal: ob es nun »Frau« oder »Symbiose von Menschen und Baum« heißt, ob nun ein »Friedensgedanke« oder eine »Vollbeschäftigungsinitiative« propagiert werden, stets schlagen sich die Zuständigen, ungerührt von der ihnen zugedachten Rolle des Angeklagten, auf die Seite der Idee eines besseren Zustands — allerdings mit dem kleinen Zusatz, daß das jeweilige Programm, der beschworene Wert bei ihnen in den besten Händen sei.

Entschieden zurückgewiesen wird da keine Illusion, sondern jeglicher Anspruch.

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Mit dem Wort »Sachzwang« wurde diesem Verfahren ein wahrhaftes Sprach-Denkmal errichtet. Leute, denen sonst nichts leichter fällt, als die philosophische Doktrin nachzuplaudern, ein sicheres Wissen gäbe es wohl nicht, werden im politischen Grundsatz und in Tagesfragen plötzlich sehr dogmatisch. Sie >wissen< dann sehr genau, daß >die Wirtschaft< eine vernünftige Lohnerhöhung nicht verträgt. Noch viel genauer wissen sie, daß Freiheit ohne das größte Waffenarsenal der Geschichte nicht zu haben ist und die Drohung mit seinem Einsatz ebenso wie seine Anwendung den Frieden sichern. Gegenteilige Anträge und Bemühungen schmettern sie locker als >utopisch< und >Traumtänzertum< ab. Weder wollen sie ihre Behauptungen über die von ihnen favorisierte >Ordnung< als deren Armutszeugnis anerkennen, noch kümmert sie dabei der offenkundige Tatbestand, daß sie sich sehr parteilich auf die Seite gewaltsam inszenierter >Sachzwänge< schlagen, die mit ihrer Ordnung stehen und fallen.

Solche Wahrheiten auszusprechen, steht radikalen Kritikern besser an als die ins Reich der Schöngeisterei gehörige Pflege von Utopien, die es sich noch als >Wagnis< anrechnet, >das ganz Andere< zu denken.

 

Ideale und deren Pflege gehören möglicherweise ins Reich der Schöngeisterei, aber das Wesen der Utopie besteht doch gerade darin, aufgrund der Kritik an den herrschenden Verhältnissen diese Verhältnisse zu verändern, die Träume zu verwirklichen.

Daß utopischen Vorstellungen eine kritische Bedeutung zukommt, ist eine Täuschung, die ihre Liebhaber gerne hegen, denn der Nachweis, daß sie mit ihren Ideen allemal ihre Unzufriedenheit mit dem Bestehenden zum Ausdruck bringen, hat es ihnen angetan. Nur ist mit diesem Nachweis herzlich wenig geleistet, was sich leicht an der Gesinnung von maßgeblichen Gegnern von <Weltverbesserern> ersehen läßt. Auf ihre Weise sind die Herrschaften des Pentagon und des Weltwährungsfonds ebenfalls kritisch: Ihre Unzufriedenheit bezieht sich eben auf den ihrer Meinung nach zu begrenzten Erfolg ihrer Geschäfte. Und ihre Vorstellungen von einer besseren Welt – ohne störende Russen oder Krisen in ihren Bilanzen – stehen täglich in der Zeitung.

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Umgekehrt ist am Utopismus >von links< jene traurige Seite nicht zu übersehen, die bereits Marx zu seiner Absage an den utopischen Sozialismus geführt hat. Ohne Wissen über die Notwendigkeiten, die per Gewalt verfügt werden, gerät so mancher alternative Entwurf zur eifrigen Bemühung, ausgerechnet diejenigen Ideale auszumalen, die den Taten der herrschenden Instanzen entspringen und ihnen sogar zur Zierde gereichen – Ideale, die also, getrennt von den verworfenen Zuständen, jede Daseins­berechtigung verlieren und als schiere Dummheiten dastehen.

Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Versöhnung mit der Umwelt und so weiter sind Ideen, die zu utopischen Bildern einer besseren Gesellschaft nicht mehr aufstacheln, sobald sie logisch und historisch auf ihren banalen Kern und ihre Herkunft zurückgeführt sind. Es steht nicht ihre >produktive< Übernahme an, sondern Kritik an ihnen und das praktische Bemühen, denjenigen das Handwerk zu legen, die nicht nur das Sagen haben, sondern auch Geld und Gewalt.

 

Ernst Block beendet sein Prinzip Hoffnung mit der Feststellung, daß das letzte Anliegen von Marx »die Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur« gewesen sei. Kann man ihn damit nicht des utopischen Denkens überführen?

Nein, nicht einmal in so gern zitierten Phrasen wie der von der »Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur« huldigt Marx einem utopischen Motiv. Die Sache ist — trotz der Metapher von der menschlichen Natur — recht einfach und schon in den Frühschriften recht ökonomisch zu begreifen.

Reichtum – objektiv vorhanden und in wachsendem Maß mit den Fortschritten der kapitalistischen Produktionsweise erzeugt – war schon zu Marx' Zeiten kaum zu übersehen. Vom feinen Tuch bis zum guten Buch, vom portugiesischen Portwein bis zur Dampfmaschine gab es manches, das sich sehen lassen konnte.

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Reichtum — subjektiv als »Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse« — ließ damals und laßt auch heute einiges zu wünschen übrig. Daß die Mittel für immer mehr und immer vielfältigere Bedürfnisse auf den Markt kommen, konnte nicht einmal Marx verborgen bleiben. Daß diese Mittel als Geschäftsartikel – rentabel, gewinnbringend – und sonst aus keinem anderen Grund in die Welt kamen, kontrastierte für den guten Mann sehr unerfreulich mit ihrer Brauchbarkeit.

Der Zugang zu ihnen war und ist eine Frage des Geldes – und dabei sahen die Produzenten des ganzen Krams, also die Arbeiter, schlecht aus. Ausgerechnet wegen des Wachstums waren schon früher die Lohnkosten immer zu hoch und die Kaufkraft immer zu niedrig, ganz abgesehen von der Leistung in den rentablen Fabriken, die weder auf Gesundheit noch auf Genußfähigkeit abzielt.

Kurz: Auch Marx war bereits Zeuge einer zerstörerischen Abstraktion — der Trennung zwischen dem Reichtum und denjenigen, die ihn produzierten. Daß beide gut zusammenpassen, war insofern kein übermäßig utopischer Einfall.

 

Der Sieg des Sozialismus soll einerseits eine historische Notwendigkeit sein, andererseits ist mit dem real existierenden Sozialismus der Ostblockstaaten außer den Parteifunktionären bislang noch niemand zufrieden. Wie verträgt sich das, wenn man utopisches Denken ausklammern will?

Eine »historische Notwendigkeit«, an die man glauben kann und auf die Verlaß ist, stellt dieses Programm keineswegs dar. Die alberne Tour, Marx die Prophezeiung der proletarischen oder der Welt-Revolution nachzusagen und ihn dann sogleich des Irrtums zu überführen, verwechselt zielstrebig zwei Dinge. Etwas für notwendig zu erachten, weil der Befund über gesellschaftliche Verhältnisse ergibt, daß man sich für sie nicht hergeben will, ist die eine Sache. Eine ganz andere ist es, wenn jemand daran glaubt, daß die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse demnächst oder dereinst realisiert wird. Im ersten Fall wird argumentiert, überzeugt und gekämpft — im zweiten Fall wird geschichtsphilosophisch spekuliert.

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Leider ist dieser entscheidende Unterschied auch manchen Leuten, die Marxist sein für eine Ehre oder sonst etwas halten und unbedingt diesen Titel am Revers haben wollen, nicht geläufig. Sie denken dann nicht selten recht bewußt utopisch über den >Gang der Geschichte< nach. Dabei bemühen sie sich um die Zustimmung eines weiteren Geistersubjekts, das gar nicht anders kann, als seinen Interpreten zuzustimmen: Es heißt >Geschichte< und lehrt jedermann haargenau das, was er in sie hineinliest.

Sich im Einklang mit einer selbständig waltenden historischen Tendenz zu bewähren, erinnert mehr an die Weltanschauung von Anpassungs­künstlern denn an Revolutionäre.

Die maßgeblichen Staatssozialisten drüben haben samt ihrem Volk, bei allen programmatischen Dumm- und Gemeinheiten ihrer Sorte Herrschaft, kaum Gelegenheit, mehr als ein Minimalprogramm ihrer alternativen politischen Ökonomie abzuwickeln. Sie werden nämlich ständig an den Interessen der >freien Welt< gemessen und mit der historischen Perspektive konfrontiert, daß bald deren nächstes und letztes Kapitel (Reagan) geschrieben wird. In der Geschichte, versteht sich.

 

Selbst wenn man Ihre marxistische Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse für richtig hält, kommt man als »bürgerliches Individuums immer an einen Punkt, der verstört. Sie wollen Ihre Ziele durch Revolution, also mit Gewalt durchsetzen. Kann man denn Menschen zu ihrem Glück zwingen?

Bei der Gretchenfrage nach der Gewalt ist man ausnahmsweise versucht, Marx zu zitieren: »Wenn die Sache an uns ist, so werden wir nichts beschönigen ...« Nun hält das jeder gebildete Demokrat für ein Eingeständnis – und für ein entlarvendes dazu. Deshalb sei der kleine Hinweis angefügt, daß nichts, aber auch gar nichts im Reich der >Freiheit< – von der Familie bis zum Wirtschaftsgipfel, von der Lohnsteuer bis zur Bundesliga – ohne Gewalt zustandekäme und abläuft. Daß sich deshalb Kritiker dieser vor Gewalt strotzenden Art von Herrschaft mit einem Bekenntnis zur Gewaltfreiheit legitimieren müssen, ist überhaupt nicht einzusehen.

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Daß dennoch die peinliche Veranstaltung unterbleibt, die mit »Andere zu ihrem Glück zwingen« umschrieben wird, kann zugesichert werden. Von Glück – der psychologischen Utopie des schieren Wohlbefindens – war ja im Marxismus nie die Rede. Und wenn sich genug von denen zusammentun, die Gründe dafür haben, wird sich auch der Zwang in Grenzen halten. Zu befürchten ist nur, daß es bereits ein ansehnliches Arsenal von Gewalt gibt, das sich für die Geschichte, die Menschheit, die Nation und andere Werte zuständig hält...

 

 

 

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