Was heißt "gesellschaftliche Aneignung"?
Maintainer: Werner Imhof, Version 1, 06.12.2002
Druck: 01.07.2005, 10:10
Quelle: http://www.opentheory.org/kw48_02-1/text.phtml

(1) Seit Ende 2000 kursiert in den Reihen der Globalisierungskritiker ein Text von François Chesnais, Claude Serfati und Charles-André Udry, die damit eine Diskussion über die programmatische Orientierung dieser internationalen Bewegung anstoßen wollten: "Die Zukunft der 'Anti-Globalisierungs-Bewegung'. Einige erste Überlegungen mit dem Ziel, ihre theoretischen Grundlagen zu festigen." (Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf die deutsche Übersetzung, die von der Schweizer Attac-Gruppe im Pdf-Format zum Download ins Internet gestellt wurde; siehe http://www.attac.org/schweiz/forum/Chesnais_Serfati_Udry.htm ) Nach Ansicht der Autoren läuft die Bewegung Gefahr, "in einer Sackgasse (zu) enden", wenn sie nicht imstande ist, das "Tabu" der "Eigentumsfrage" zu brechen (9) und eine Perspektive der "gesellschaftlichen Aneignung" (12) zu entwickeln, und zwar im Sinne einer "Überwindung der Ware, des Wertgesetzes und der Lohnabhängigkeit" (13). So wichtig der Text als Diskussionsanstoß ist und so hochgesteckt seine allgemeine Zielsetzung, so enttäuschend ist er bei näherer Betrachtung, wenn man ihn an seinem eigenen Anspruch mißt. Die Orientierung, die die Autoren präsentieren, läuft nicht auf die Überwindung von Ware, Wertgesetz und Lohnabhängigkeit hinaus, sondern auf ihre - Konservierung.

(2) Um zu wissen, wie die Warenproduktion und mit ihr die Lohnabhängigkeit, das Wertgesetz usw. überwunden werden kann, muß man wissen, was sie konstituiert. Die Autoren stellen sich diese Frage gar nicht erst. Die Kritik der kapitalistischen Warenproduktion und ihres Drangs zur Expansion, zur "marchandisation" (5), scheint für sie keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Dabei sind es gerade aktuelle Losungen wie "Die Welt ist keine Ware!" (die auch die Autoren aufgreifen) oder "Gesundheit ist keine Ware!", die sie herausfordern. Was ist es denn, was "die Welt" zur Ware macht oder zu machen droht? Kann es überhaupt "die Welt" sein, die Warencharakter erhält? Oder sind es nicht vielmehr die Produkte bestimmter Industrien, derentwegen die Natur geplündert wird? Und kann wirklich "die Gesundheit" Ware sein oder werden? Oder sind es nicht tatsächlich Produkte menschlicher Arbeit, die, statt der Gesundheit zu dienen, das Kapital nur als profitable Waren interessieren? Die Losungen drücken offensichtlich nicht nur eine verbreitete Kritik an der kapitalistischen Warenproduktion aus, sondern auch Unklarheit darüber, was da eigentlich Warenform annimmt und warum. Die Autoren beseitigen diese Unklarheit nicht, sie teilen sie vielmehr und "festigen" sie noch, indem sie die Warenproduktion in Frage stellen, ohne die gesellschaftlichen Beziehungen in Frage zu stellen, die sie konstituieren.

Privatarbeit und Austausch

(3) Was Arbeitsprodukte zu Waren macht, ist die Tatsache, daß die gesellschaftliche Produktion in Form voneinander getrennter Privatarbeiten organisiert ist, die miteinander und mit der individuellen Konsumtion über den Austausch "verbunden" sind, der den Produkten Waren- oder Wertform aufzwingt. Bei kapitalistischer Produktion beruht die Privatarbeit auf der Anwendung kollektiver Arbeitskraft, die über die zur eigenen Reproduktion notwendige Arbeit hinaus unbezahlte Mehrarbeit leistet, die sich in einem Mehrprodukt verkörpert, das im Austausch als Mehrwert realisiert wird. Durch diese Produktion von Mehrwert wird Geld, das gegen Arbeitskraft und Produktionsmittel getauscht wird, zu Kapital und die Wertform der Produkte zur Kapitalform. Historisch entstand das Kapitalverhältnis als Klassenverhältnis, indem die kollektive Arbeitskraft aus doppelt "freien" Lohnarbeitern rekrutiert wurde ("frei" von eigenen Produktionsmitteln und "frei" zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft). In dieser Form hat sich die kapitalistische Produktionsweise global durchgesetzt und setzt sie sich auch noch heute durch. Die Entwicklung hat jedoch gezeigt, daß das Kapitalverhältnis nicht notwendig an das Klassenverhältnis gebunden ist. Auch Belegschaftsunternehmen oder Genossenschaften, in denen die Arbeitskräfte gleichzeitig Eigentümer der betrieblichen Produktionsmittel sind, sind gezwungen, unbezahlte Mehrarbeit für ein Mehrwert realisierendes Mehrprodukt zu leisten, wenn sie die Produktionsmittel nicht nur reproduzieren, sondern modernisieren und erweitern und sich in der Konkurrenz behaupten wollen. Der kapitalistische Charakter der Produktion oder die Kapitalform der Produkte kann also nur aufgehoben werden, wenn mit der Privatarbeit und dem Austausch die Wert- oder Warenform der Produkte überhaupt aufgehoben wird, d.h. wenn sich die getrennten Produzenten mitsamt den Produktionsmitteln zu einer gesellschaftlichen Arbeitskraft vereinigen und ihre Produktion unmittelbar der - individuellen wie produktiven - Konsumtion dient.

(4) Die Autoren dagegen halten den Austausch - und folglich auch die Privatarbeit - offenbar für eine unverzichtbare Form gesellschaftlicher Beziehungen. Denn sie meinen, der zunehmenden "Konzentration des Eigentums der Produktions-, Kommunikations- und Tauschmittel" (8) den "gesellschaftlichen Charakter der Produktion und des Handels" entgegenstellen zu müssen (12, Hervorhebung von mir; "échange", Austausch, im Original). Dabei verwechseln sie die Erscheinung mit dem darin Erscheinenden. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion kommt im Austausch zum Ausdruck, weil kaum noch etwas produziert wird, das nicht für die Befriedigung fremder Bedürfnisse bestimmt ist, und weil jede/r von den Produkten fremder Arbeit abhängig ist, ohne unmittelbar mit eigenem Produkt "zahlen" zu können. Gerade in der Notwendigkeit, alle Produkte in die allgemeine Ware, in Geld, zu verwandeln, wie auch im kommerziellen Kredit zeigt sich die Vergesellschaftung der Privatarbeiten, ihre Kombination zu einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit.

(5) Doch der Austausch selbst ist die Negation dieser Vergesellschaftung, obwohl er sie ständig voraussetzt. Als wechselseitiger Ersatz des Privateigentums ist er nur die Verkehrsform der Privateigentümer untereinander, die Form, in der sich die Privatarbeit aller Vergesellschaftung zum Trotz bestätigt und reproduziert. Gleichzeitig ist er die Verkehrsform, hinter der sich die Vermehrung des Privateigentums verbirgt, weil der Austausch von Ware und Geld notwendig den Austausch der Ware Arbeitskraft gegen Geld als Kapital einschließt oder richtiger: weitestgehend auf ihm beruht. Der Austausch ist also auch die Form, in der sich das sich verwertende Privateigentum realisiert und in der sich die Privatarbeit in den gegensätzlichen Formen von Lohnarbeit und Kapital reproduziert. Es heißt daher, die Wirklichkeit auf den Kopf zu stellen, wenn man dem Austausch "gesellschaftlichen Charakter" bescheinigt und den Widerspruch zum gesellschaftlichen Charakter der Produktion nur an der "Konzentration" des Privateigentums an Produktionsmitteln festmacht, statt an diesem überhaupt und am Austausch als seiner Verkehrsform. (Im übrigen ist die vermeintliche "Konzentration" dieses Eigentums tatsächlich die Konzentration und Zentralisation der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und lebendige Arbeit, bei relativ breiter Streuung oder "Vergesellschaftung" des Kapitaleigentums.) Die Konzentration und Zentralisation der privaten Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit ist zwangsläufiges Resultat des Austausches auf der Basis der Lohnarbeit, weshalb es widersinnig ist, das Resultat zu anzuprangern, nicht aber die gesellschaftliche Praxis, aus der es hervorgegangen ist.

(6) Verfehlt ist es auch, das Geld als "Tauschmittel" mit den Produktions- und Kommunikationsmitteln in eine Reihe zu stellen, als wäre es bloß "technischer" Vermittler von Gebrauchswerten und ebenso in "gesellschaftliches Eigentum" zu verwandeln wie die Produktions- und Kommunikationsmittel. (Übrigens ist auch die besondere Erwähnung der Kommunikationsmittel unlogisch. Denn entweder sind sie selbst Produktionsmittel, also in diesen schon enthalten, oder sie sind Mittel der individuellen Konsumtion, dann gehören sie nicht hierher.) Doch Geld, gleichgültig in welchen Händen, ist Privateigentum, private Macht über fremde, gesellschaftliche Arbeitszeit und ganz und gar nicht nur Mittel des Austauschs, sondern sein alles beherrschender Zweck, nämlich als Kapital auf der einen Seite und als Lohn auf der anderen. Die Autoren betrachten das Kapital anscheinend nicht als durch den Austausch vermitteltes Produktionsverhältnis, sondern als dem Austausch und dem Geld äußerliche Macht, die aus der zuvor "unerreichten" Konzentration des "Eigentums der Produktions-, Kommunikations- und Tauschmittel" resultiert und die "Unterwerfung" der "Tauschmittel" unter die "Strategien der Wertvermehrung des Kapitals" zur "Folge" hat (7) - als wäre das Kapital nicht von Haus aus sich verwertender Wert und das Geld nicht notwendige Durchgangsform seines Kreislaufs.

(7) Die Autoren propagieren die "Überwindung der Ware", aber sie selbst präsentieren nichts anderes als die Sichtweise von Warenproduzenten, die die Kritik des Großkapitals mit einer "Ehrenerklärung" für den Austausch verbinden. Sie wenden sich gegen das "Tabu der Eigentumsfrage", aber sie selbst reproduzieren es nur in anderer Form, als Tabu des Austauschs. Das Befremdliche daran ist, daß sie den Anspruch erheben, "sich auf die von den grundlegendsten Kritikern des Kapitalismus (gemeint sind Marx und Engels) erarbeiteten theoretischen Fundamente ... abzustützen und darauf zu bauen" (4), und diesen Anspruch durch mehrere Marx-Zitate noch unterstreichen. Dabei kann es ihnen schwerlich entgangen sein, daß sie sich mit ihrer Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" im krassen Gegensatz zur Marxschen Kritik der bürgerlichen Ökonomie befinden. Nun ist diese ja nicht sakrosankt. Aber wenn man denn meint, daß die "theoretischen Fundamente" "natürlich im Lichte der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sowie der Entwicklung des gegenwärtigen Kapitalismus und Imperialismus" "unumgänglich" (!) der "Erneuerung" (!) bedürfen (ebd.), dann sollte man auch so konsequent sein und offen aussprechen, was einem an den "Fundamenten" denn veraltet und nicht mehr tragfähig erscheint, statt den Eindruck zu erwecken, man würde sich weiterhin auf sie "abstützen und darauf bauen". Da die Autoren diese Offenheit vermissen lassen, kann ich nicht umhin, mit einer Passage aus den (von ihnen selbst zitierten) "Grundrissen" zu demonstrieren, wie weit sie mit ihrer Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" von Marx entfernt sind:

(8) "Die Notwendigkeit selbst, das Produkt oder die Tätigkeit der Individuen erst in die Form des Tauschwerts, in Geld, zu verwandeln, daß sie in dieser sachlichen Form ihre gesellschaftliche Macht erhalten und beweisen, beweist zweierlei: 1) daß die Individuen nur noch für die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2) daß ihre Produktion nicht unmittelbar gesellschaftlich ist, nicht the offspring of association, die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. Es kann also nichts falscher und abgeschmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen..."[1]

Produktionsmittel

(9) Wenn man allerdings meint, die Produzenten müßten unbedingt am Austausch - und damit zwangsläufig auch an der Privatarbeit in den Formen von Lohnarbeit und Kapital - festhalten, dann kann mit solcher Kritik wohl ebensowenig anfangen wie mit der Vorstellung eines "Verein(s) freier Menschen ..., die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben", die also "assoziiert sind auf der Grundlage der gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel".[2] Die Autoren erklären zwar, daß "die ProduzentInnen ... ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen ... selbst beherrschen" sollten, halten es aber für "verkürzt", diese Bedingungen "ihre 'Produktionsmittel'" zu nennen (6). Doch was ihnen als "Verkürzung" erscheint (deren Urheber Marx sie mit keinem Wort erwähnen), ist das Ergebnis ihrer eigenen verkürzenden Betrachtungsweise. Denn sie selbst beschränken die mögliche "Kontrolle der assoziierten ProduzentInnen" auf die Kontrolle "über die Arbeitsmittel, die durch ihre Intelligenz und ihre Arbeit angehäuft wurden" (7).

(10) Die Produktionsmittel bestehen aber ganz und gar nicht nur aus angehäuften Arbeitsmitteln, also betrieblichen Produktionsanlagen, wie Maschinen, Gebäuden u.a.m., die bei kapitalistischer Produktion stoffliche Träger des fixen Kapitals sind. Sie bestehen ebensosehr aus Arbeitsgegenständen, also Rohstoffen, Vorprodukten, Komponenten etc., wie aus "nichtanhäufbaren" Arbeitsmitteln, nämlich Energie, Hilfs- und Betriebsstoffen, die bei kapitalistischer Produktion allesamt Träger von zirkulierendem konstanten Kapital sind und ebenso laufend ersetzt werden müssen, wie sie verbraucht werden. Tatsächlich machen sie den größten Teil der jährlich erzeugten und verbrauchten Produktionsmittel aus; in der BRD zum Beispiel absorbiert ihre Herstellung weit mehr als die Hälfte der produktiven Gesamtarbeit. Ihr hoher Anteil an der Gesamtproduktion zeugt von der entwickelten gesellschaftlichen Arbeitsteilung, von den vielfältigen Beziehungen der Betriebe untereinander.

(11) All das kann den Autoren - als studierten Ökonomen! - kaum unbekannt sein. Wenn sie dennoch den größten Teil der Produktionsmittel von der möglichen Kontrolle durch die "assoziierten ProduzentInnen" ausnehmen, dann gibt es dafür nur eine Erklärung: Ihre Fixierung auf die bürgerliche Verkehrsform des Austauschs versperrt ihnen die Vorstellung, daß sich die Kontrolle der "assoziierten ProduzentInnen" nicht nur auf die vorhandenen Betriebsanlagen erstrecken könnte, sondern auch auf die Produktionsmittel, die bisher im Austausch gegen Geld ständig erst noch erworben werden müssen. Mit anderen Worten: Sie haben die Perspektive der Vergesellschaftung der (und zwar aller und nicht nur bestimmter) Produktionsmittel durch die assoziierten Produzenten dem Austausch geopfert! Darin liegt immerhin eine gewisse Konsequenz. Denn solange die Produzenten am Austausch festhalten, solange sich also Produktionsmittel für ihre Hersteller erst in Geld verwandeln müssen, bevor sie in "fremden" Händen als Produktionsmittel fungieren dürfen, solange unterliegen sie in der Tat nicht der Kontrolle "assoziierter ProduzentInnen", sondern den Zwängen der kapitalistischen Warenproduktion und -zirkulation.

(12) Die Autoren hätten das mögliche Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln nicht auf die Kontrolle über ihre "angehäuften Arbeitsmittel" beschränkt, wenn sie mit Marx ihre gemeinsame Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel im Sinn hätten. Sie müssen sich der Diskrepanz beider Perspektiven also bewußt sein. Man sollte daher erwarten, daß sie diesen Widerspruch wenigstens konstatieren. Statt dessen erwecken sie auch hier den Anschein, als würden sie sich positiv auf Marx beziehen (können). Sie erklären, daß "die Beziehung der direkten Produzenten zu ihren Arbeitsmitteln und -verhältnissen" (also wohl auch zu ihren Verhältnissen unter- und zueinander) zu den "zentralen Konzepten der Analyse von Marx" gehört, ja, "eines seiner aktuellsten Konzepte ist" (6). Aber gleichzeitig vermeiden sie es, Marx' "Konzept" dieser Beziehungen beim Namen zu nennen und mit ihrem eigenen Konzept der "Arbeiterkontrolle über die Betriebe" (wie seine geläufigere Formulierung lautet) zu kontrastieren. Wo für Marx im "Kapital" die "geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation" hinausläuft auf die Aufhebung oder Negation des Privateigentums auf der klaren und einfachen Grundlage "der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel"[3], sehen die Autoren nur eine nicht näher bestimmte "Negation der Negation", deren "Umsetzung ... komplexe politische (!) Fragen aufwirft, die bisher alles andere als gelöst sind", was - wie sie gönnerhaft hinzufügen - "die analytische Bedeutung dieses Abschnitts in keiner Weise" "schmälert" (6, Anm. 5). Doch ungelöste (und unlösbare) politische Fragen wirft die "Negation der Negation" nur für den auf, der Kooperation und Gemeinbesitz mit ihrem Gegenteil, Privatarbeit und Austausch, versöhnen möchte und deshalb sein Heil in einem Ersatzsubjekt namens Staat suchen muß.

(13) Aber sprechen die Autoren nicht ausdrücklich von "gesellschaftlicher Aneignung", von "gesellschaftlichem Eigentum" und von der Selbstherrschaft der Produzenten über "ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen"? Doch, das tun sie. Die Frage ist nur, wie denn die Produzenten ohne Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel "ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen selbst beherrschen" sollen und wer denn die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum verwandeln soll, wenn nicht die Produzenten selbst. Denn daß dazu "die Selbstverwaltung jedes Unternehmens (!) und jeder Arbeitsstätte ... für sich allein genommen" nicht genügt, sehen auch die Autoren (13). Nach ihrer Logik müßte es also eine gesellschaftliche Macht oder Instanz neben oder über den Produzenten geben, die an ihrer Stelle die Produktionsmittel in gesellschaftliche verwandeln und die ihnen die Herrschaft über ihre "Existenz- und Arbeitsbedingungen" verleihen könnte. Man braucht diese Konsequenz nur zu formulieren, um zu begreifen, daß diese Instanz nichts anderes sein kann als der Staat oder die als Staat organisierte politische Macht der Gesellschaft, daß also die "gesellschaftliche Aneignung" auf Verstaatlichung und das "gesellschaftliche Eigentum" auf Staatseigentum hinausläuft. Tatsächlich erheben die Autoren denn auch das bestehende "öffentliche Eigentum und den öffentlichen Sektor" kurzerhand zu einer "Variante" des "gesellschaftlichen Eigentums" (11). Zwar machen sie die Einschränkung, daß das "gesellschaftliche Eigentum" der "Verwaltung und Kontrolle durch alle BürgerInnen" unterliegen müsse. "Ohne wirklich kollektive und demokratische Formen der Verwaltung und Kontrolle", meinen sie, "ist das gesellschaftliche Eigentum ein Betrug." (12) Doch das ist eine Scheinsicherung. Der Betrug bzw. Selbstbetrug liegt schon darin, Staatseigentum zu gesellschaftlichem Eigentum zu erheben.

Privates, staatliches und gesellschaftliches Eigentum

(14) Die Autoren sehen im Eigentum nur das, was der Begriff vordergründig ausdrückt - ein Rechtsverhältnis gegenüber Sachen, Herrschaft über Sachen. Aber jedes Recht ist nur die Verallgemeinerung einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis, die Kodifizierung praktischer Beziehungen zwischen Menschen. Und die gesellschaftliche Bedeutung des Privateigentums an Produktionsmitteln besteht darin, daß es die Produzenten voneinander trennt. Es ist Produkt der "Dissoziierung" der gesellschaftlichen Produzenten, ihrer Getrenntheit, juristischer Ausdruck für Produktionsverhältnisse, die gekennzeichnet sind durch Privatarbeit und Austausch. Das ist die grundlegende Bestimmung des Privateigentums an Produktionsmitteln als einem sozialen Verhältnis. Sie bleibt auch grundlegend für das kapitalistische Eigentum, also für die zusätzliche Spaltung der Gesellschaft in Kapitalisten und Lohnarbeiter. Denn die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln setzt die Getrenntheit der Produzenten voneinander logisch und historisch voraus.

(15) Durch eben diese Getrenntheit ist das Privateigentum an Produktionsmitteln auch nicht nur Herrschaft über Sachen, sondern zugleich ihr Gegenteil - Beherrschung durch Sachen, Herrschaft der Produkte über ihre Produzenten bzw. über die Eigentümer der Produktionsmittel, seien sie Privatkapitalisten, Aktiengesellschaften oder Belegschaften "selbstverwalteter" Betriebe. Da sie miteinander nur über den Austausch ihrer Produkte verkehren, nehmen ihre gesellschaftlichen Beziehungen die Form ihnen äußerlicher sachlicher Verhältnisse und monetärer "Kosten" an. Die gesellschaftliche Arbeit tritt als etwas von ihr selbst Verschiedenes in Erscheinung, als Wert- und Kapitaleigenschaft der Produkte. Das Verhältnis der Teilarbeit zur Gesamtarbeit erhält die mysteriöse Form des Tauschwerts, des Preises, der gleichzeitig verbirgt, was er ausdrückt. Und diese verselbständigte Form bringt ebenso verselbständigte sachliche Zwänge hervor, der sich die Menschen nicht entziehen können, solange sie an der Produktion für den Austausch festhalten. Die Autoren selbst verweisen auf den "der Ware und dem Geld innewohnenden Fetischismus" - sie meinen wohl ihren Fetischcharakter, ihre verselbständigte Macht über die Menschen, deren Produkt sie doch sind - und nennen es eine Illusion, ihn "unter Kontrolle zu halten" (5). Aber sie selbst teilen diese Illusion, weil sie nicht im Ansatz daran denken, den Waren- und Geldfetisch mit dem Austausch in Verbindung zu bringen, und weil sie staatliches Eigentum zu gesellschaftlichem erklären, wenn es denn nur recht demokratisch "verwaltet und kontrolliert" werde.

(16) Doch so wie das Privateigentum an Produktionsmitteln auf der Trennung der Produzenten beruht, auf Privatarbeit und Austausch, so kann das gesellschaftliche Eigentum an ihnen auch nur realisiert werden durch die Vereinigung der Produzenten, durch die gemeinsame Aneignung und Nutzung der Produktionsmittel im Prozeß der Gesamtproduktion. D.h. die Aufhebung des kapitalistischen Eigentums ist unmöglich ohne Überwindung beider Trennungen, der der Produzenten von den Produktionsmitteln und der der Produzenten voneinander. Und sie können auch überhaupt nur zusammen aufgehoben werden - und zwar allein durch die vereinigten Produzenten selbst -, weil ihre gemeinsame Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel (und nicht nur der "angehäuften Arbeitsmittel") die Überwindung der trennenden Austauschbeziehungen voraussetzt.

(17) Die Autoren dagegen denken das Eigentum an den Produktionsmitteln losgelöst von der ökonomischen Praxis, die es konstituiert. So wie sie übersehen, daß der Austausch getrenntes, also privates, Eigentum an Produktionsmitteln ebenso voraussetzt, wie er es reproduziert, so übersehen sie, daß gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln ihren gleichzeitigen Austausch, also Eigentümerwechsel, ausschließt. Sie begreifen das gesellschaftliche Eigentum nicht als praktisches Verhältnis wirklicher Subjekte, produzierender und konsumierender Individuen, die ihre Produktionsmittel als gemeinsame behandeln, sondern als ein der unverändert bürgerlichen Produktionsweise übergestülptes Rechtsverhältnis, als Rechtsanspruch eines abstrakten Subjekts, das sie Gesellschaft" nennen, während es in Wirklichkeit doch nur vom Staat verkörpert werden kann. So stellen sie denn auch die bürgerlichen Formen des gesellschaftlichen Produkts ebensowenig in Frage (mit einer scheinbaren Ausnahme, auf die ich gleich eingehe) wie die bürgerliche Organisation der gesellschaftlichen Produktion. Auch auf der Grundlage "gesellschaftlichen Eigentums" besitzt der produzierte Reichtum für sie Geldform, teilt sich das Gesamtprodukt in notwendiges und Mehrprodukt (das natürlich erst in Geld verwandelt werden muß, bevor über dessen Verteilung und Verwendung "mitbestimmt" werden kann), sind die Produzenten von Unternehmen bezahlte Lohnabhängige (12 f.).

(18) Der Sprachgebrauch der Autoren reflektiert immerhin die einfache Wahrheit, daß die Verstaatlichung noch so vieler Produktionsmittel das Privateigentum an ihnen nur dem Namen nach aufheben kann, wenn sie weiterhin der Produktion für den Austausch dienen. Gesellschaftliche Verhältnisse sind jedoch nicht nach den Namen zu beurteilen, mit denen sie belegt werden, sondern nach ihrer wirklichen Praxis. Und soweit verstaatlichte Produktionsmittel weiter der Produktion für den Austausch dienen, repräsentieren sie auch als Eigentum der "öffentlichen Hände" de facto nur eine Variante des Privateigentums. Auch wenn diese Unternehmen teilweise nicht oder nur in gewissen Grenzen kapitalistisch betrieben werden, also statt Produktionspreisen nur Kostpreise (Gebühren) geltend machen, wie öffentliche Krankenhäuser oder Medien, werden sie dadurch noch lange nicht zu einer "Variante" gesellschaftlichen Eigentums. Sie bleiben faktisches Privateigentum in staatlicher Hand oder "öffentlich-rechtlicher" Form, das dem Austausch und damit der Herrschaft des kapitalistischen Eigentums unterworfen ist, durch den Verzicht auf (s)einen Anteil an der gesellschaftlichen Mehrwertmasse den dem Privatkapital zur Verfügung stehenden Anteil erhöht und dafür aus Steuermitteln und/oder über Staatsschulden subventioniert werden muß.

(19) Ihre Verwaltung und Kontrolle mag noch so demokratisch organisiert sein und noch so viele BürgerInnen einbeziehen - sie bleibt Verwaltung und Kontrolle faktischen Privateigentums, dessen Produkte sich in Geld verwandeln müssen, damit es sich zumindest erhalten kann. Ganz abgesehen davon ist die "Verwaltung und Kontrolle durch alle BürgerInnen" ein frommer Wunsch, ein untauglicher Ersatz für die fehlende Assoziation der Produzenten und die Gemeinschaftlichkeit ihrer Produktion. Zum einen würde sich jeder Versuch, "alle BürgerInnen" quasi zu Aufsichtsratsmitgliedern der "öffentlichen" Betriebe und Unternehmen zu machen, sehr schnell als reines Wunschdenken erweisen. Zum andern kann auf der anerkannten Basis des Austauschs, also des Privateigentums, auch seine Verwaltung und Kontrolle nur Ausdruck privater oder partieller Interessen sein (von Käufern und Verkäufern, Gläubigern und Schuldnern, Kapitalanlegern und Lohnabhängigen usw.). Sobald sich aber gemeinschaftliche Interessen und Ansprüche formieren, wie es ansatzweise bei den französischen Sud-Gewerkschaften der Fall ist, haben sie nur die Wahl, sich entweder zur "Fundamentalopposition" gegen das gesamte auf Privatarbeit und Austausch beruhende Wirtschaftssystem weiterzuentwickeln, die statt der Verwaltung staatlichen Privateigentums die Vergesellschaftung sämtlicher Produktionsmittel durch die assoziierten Produzenten auf ihre Fahne schreibt, oder ehrenwerte, aber hilflose Verfechter des "gesellschaftlichen Nutzens" gegen die unverstandene Herrschaft des Tauschwerts zu bleiben.

(20) Die Autoren präsentieren nun aber auch eine Idee, die den Rahmen der bürgerlichen Produktionsweise zu überschreiten scheint (und im übrigen ihrer eigenen Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" zuwiderläuft). "In einer immer stärker den Marktmechanismen unterworfenen Welt", vermerken sie in einer Fußnote, sei es notwendig, "die Forderung eines unentgeltlichen Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen wieder zu thematisieren" (11, Anm. 12). Die Forderung klingt radikal. Sie läuft hinaus auf die Einrichtung eines ausgedehnten staatlichen Sektors, dessen Produkte dem Austausch entzogen wären, in dem das Privateigentum an den Produktionsmittel also, wie heute bei öffentlichen Schulen und Straßen, nicht nur dem Namen nach, sondern sogar der Form nach ausgeschlossen wäre. Rechnet man zu den "grundlegenden Dienstleistungen" das Gesundheitswesen inclusive Altenpflege, das öffentliche Verkehrssystem, die Wasser-, Strom- und Gasversorgung sowie die Kommunikationsdienste, so würde ein unentgeltlicher öffentlicher Sektor vielleicht ein Drittel des privaten Verbrauchs von der Zahlungspflicht befreien. Für die lohnabhängige und einkommensschwache Bevölkerung eine scheinbar attraktive Perspektive... Die Forderung der Autoren hat nur einen Haken: Unter gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen ist sie ökonomisch widersinnig (und politisch naiv), weil eine Rechnung ohne den Wirt - die Herrschaft des Austauschs bzw. des Tauschwerts. Und in einer möglichen revolutionären Situation, bei Existenz einer antikapitalistischen Massenbewegung wäre sie ein Programm der Desorientierung, der Ablenkung von der Perspektive des "unentgeltlichen Zugangs" zu den Produktionsmitteln und damit auch zu sämtlichen Dienstleistungen und Gütern des individuellen und kollektiven Konsums.

(21) Doch unterstellt, es fände sich eine Regierung, die das Experiment eines erweiterten öffentlichen Sektors unentgeltlicher Dienstleistungen und Einrichtungen realisieren würde - was wären die ökonomischen Konsequenzen? Die in diesem Sektor geleistete Arbeit würde nicht mehr als Werteigenschaft ihrer Produkte in Erscheinung treten. Sie würde weder neuen Wert bilden noch vorhandenen (in Produktionsmitteln vergegenständlichten) Wert erhalten. Statt dessen würde sie nur anderweitig, im privaten Sektor nämlich, produzierten und realisierten Wert verzehren. Schließlich müßte der Staat die im öffentlichen Sektor beschäftigten Arbeitskräfte ebenso bezahlen wie den Ersatz für die verbrauchten Produktionsmittel, von den Kosten ihrer Erweiterung und Modernisierung ganz zu schweigen. Um sie bezahlen zu können, müßte er zuvor einen Teil des im privaten Sektor realisierten Wertprodukts abschöpfen, also die Steuern erhöhen oder neue Steuern einführen. Die Finanzierung des unentgeltlichen öffentlichen Sektors würde also das Florieren, sprich: die erfolgreiche Kapitalverwertung, des privaten Sektors voraussetzen. Die Geschichte würde daher über kurz oder lang darauf hinauslaufen, daß die Lohnabhängigen als Hauptnutzer des öffentlichen Sektors in ihrer Rolle als Steuerzahler und Verbraucher auch die Hauptlast seiner Betriebskosten tragen müßten. Was sie vorher direkt über den Preis der öffentlichen Dienstleistungen gezahlt haben, würden sie nun indirekt über höhere Steuern und über verteuerte Produkte des privaten Sektors zahlen. Was sie in der einen Form gespart hätten, würden sie in anderer Form mehr ausgeben. Doch das Experiment würde noch nicht einmal als Nullsummenspiel enden. Die "Unentgeltlichkeit" der "grundlegenden Dienstleistungen" würde die Gesellschaft, die ihren Reichtum allein in getauschter Arbeitszeit bemißt, ärmer machen: Ihr Wertprodukt würde schrumpfen. Auch wenn das gesellschaftliche Arbeitsvolumen unverändert bliebe - Wert und Mehrwert bildend wäre die Arbeit allein im privaten Sektor, weil nur ihre Produkte in den Austausch gehen. Mit dem gesellschaftlichen Wertprodukt würde aber auch der Anteil des Staates daran absolut schrumpfen mit der Konsequenz, daß er Personal und Leistungen abbauen oder/und Steuern erhöhen oder/und zusätzliche Schulden machen müßte...

(22) Allein schon deshalb wird das Experiment ein Gedankenexperiment bleiben. Auf dem Boden der verallgemeinerten Warenproduktion, in der der gesellschaftlich gültige Reichtum, der "Wert", nur in der Produktion für den Austausch entsteht, kann sich auf die Dauer kein Staat - wer auch immer seine Geschäftsführung stellen mag - erlauben, den Austausch einzuschränken statt ihn zu fördern, wenn er nicht seine eigene Existenz untergraben soll. Und wenn er bestimmte Produkte kauft und Einrichtungen unterhält, die er der "Allgemeinheit" zur unentgeltlichen Nutzung überläßt, dann in aller Regel deshalb, weil es sich um allgemeine Bedingungen der Warenproduktion handelt, die das Kapital selbst nicht in der notwendigen Menge, Qualität und Zuverlässigkeit vermarkten könnte. Ein rein kapitalistisch betriebenes Schulsystem z.B., im Prinzip durchaus realisierbar, wäre schwer mit der allgemeinen Schulpflicht zu vereinbaren und würde den Arbeitskräftenachwuchs kaum so breit erfassen und mit den gesellschaftlich benötigten Grundkenntnissen ausstatten, wie es das öffentliche Schulwesen immer noch tut. Noch eindeutiger liegen die Dinge beim öffentlichen Straßennetz. Die meisten Menschen würden heute noch zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen, wenn der Straßenbau sich marktwirtschaftlich hätte entwickeln müssen, d.h. über den Verkauf der Straßennutzung an die gewerblichen und privaten Autofahrer. Das "öffentliche" Eigentum erlaubte und erlaubt eine großangelegte Subventionierung des Straßenbaus aus allgemeinen Steuermitteln (weit über Kfz- und Mineralölsteuer hinaus) im Interesse des Gesamtkapitals, weil aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung praktisch alle Wirtschaftszweige direkt oder indirekt von der Automobilisierung des Verkehrs und dem damit einher gehenden Marktwachstum profitieren.

(23) Der unentgeltliche Zugang zu öffentlichen Schulen und Straßen verwandelt sie also keineswegs in gesellschaftliches Eigentum, in gemeinschaftliche Produktionsmittel. Von einer Variante gesellschaftlichen Eigentums könnte man sprechen, wenn z.B. der Staat die Schulen assoziierten Lehrern als Gemeinbesitz überließe und ihnen die nötigen Mittel zur Unterhaltung und Ausstattung der Schulen wie zur eigenen Reproduktion zur Verfügung stellte. Davon kann aber keine Rede sein. Öffentliche Schulen wie Straßen sind und bleiben Eigentum des Staates, der sie als Treuhänder der Privateigentümer plant, bezahlt, unterhält und die dazu nötige Kaufkraft organisiert, weil und soweit das Privateigentum selbst dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. Wenn also das Staatseigentum an unentgeltlichen "öffentlichen Gütern" der Form nach das Privateigentum ausschließt, als seine Negation erscheint, so doch nur, weil sein Inhalt die Förderung des Privateigentums, des Austauschs ist. Eben deshalb sind auch dieser Form des Staatseigentums Schranken gesetzt, wie auch sein Umfang abhängig ist von der erfolgreichen Vermehrung des Privateigentums. Auch diese Form des Staatseigentums ist also nicht nur keine "Variante" gesellschaftlichen Eigentums, sie ist eine Variante seiner Negation.

Der Staat als illusorische Form der Gemeinschaftlichkeit

(24) Die Verwechslung des Staatseigentums mit gesellschaftlichem Eigentum durch die Autoren ist die Konsequenz ihrer Verabsolutierung des Austauschs. Da sie sich die Vereinigung der Produzenten zu gemeinschaftlicher Produktion mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln nicht vorstellen können, gleichzeitig aber ihre Kontrolle über die "angehäuften Arbeitsmittel" "für sich allein genommen" für "ungenügend" halten (13), brauchen sie den Staat als vorgestellte Ersatzgemeinschaft oder als Gemeinschaftsersatz. Sie betrachten den Staat als das, als was er erscheint: als Repräsentant der "Allgemeinheit", als Hüter des "Gemeinwohls", als Gemeinschaft seiner "BürgerInnen". Sie selbst drücken es so aus: "Das gesellschaftliche Eigentum, von dem das öffentliche Eigentum und der öffentliche Sektor eine Variante darstellen, besitzt zwei Grundzüge: erstens den gesellschaftlichen Charakter von Produktion und Handel; zweitens die Idee eines Gemeinschaftsgutes ("bien commun", Gemeinwohl, im Original) und eines allgemeinen Interesses jenseits des Individualismus und der durch die Verherrlichung des Privateigentums hervorgebrachten engstirnigen Verteidigung von Partikulärinteressen." (11)

(25) In diesem Satz ist die ganze Philosophie der Autoren konzentriert. Da Produktion und Austausch bereits gesellschaftlich sind, muß nur noch die Idee des "Gemeinwohls" zur Herrschaft gelangen, um die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum zu verwandeln. Die Idee der Gemeinsamkeit soll die gemeinsame Praxis ersetzen, die vorgestellte Gemeinschaft "aller BürgerInnen" die wirkliche Gemeinschaft der gesellschaftlichen Produzenten. Doch die Idee ist eine Illusion und die im Staat verkörperte "Allgemeinheit" nur eine "illusorische Form der Gemeinschaftlichkeit" (Marx)[4]. Denn der Staat ist nicht "Gegenmacht" des bürgerlichen Eigentums, sein Antipode (auch wenn es dem einzelnen Bourgeois so scheinen mag), sondern seine unentbehrliche Ergänzung, sein notwendiger "Überbau". So wie die Warenproduzenten ihren privaten Anteil an der gemeinsamen Gesamtarbeit nur in der verselbständigten Form des Tauschwerts, im Geld als allgemeinem Äquivalent, ausdrücken können, so können sie ihre gemeinsamen Privatinteressen auch nur in Gestalt einer von ihnen getrennten, selbständigen "öffentlichen Gewalt" als allgemeine Interessen ausdrücken und durchsetzen. Und spätestens seit sich die Warenproduktion als kapitalistische entwickelt, ist diese Gewalt zur Existenzbedingung des bürgerlichen Eigentums und seiner Vermehrung geworden.

(26) Das Kapital hat den Staat allerdings nicht erfunden. Der Staat überhaupt ist historisches Produkt vorbürgerlichen Privateigentums und der mit ihm entstandenen Interessengegensätze zwischen Eigentümern und Nichteigentümern wie zwischen den Eigentümern selbst; und seine Formen haben sich mit denen des Privateigentums bzw. der jeweils zugrundeliegenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse gewandelt. Auch das Kapital mußte den vorgefundenen Staat erst den eigenen Bedürfnissen unterwerfen und anpassen, ein immer noch andauernder Prozeß, der bereits weit über die Ebene der Nationalstaaten hinausgeht und der ebenso unumkehrbar wie unaufhaltsam ist. Denn der Staat ist längst vollkommen abhängig vom Kapital, und nicht umgekehrt. Er hat (von Resten nichtkapitalistischer Kleinproduktion mal abgesehen) keine andere Existenzgrundlage als das fungierende Kapital, dessen Verwertungsdruck wächst mit zunehmender Masse und abnehmender Rate des Profits. Auch wenn der Staat seine Einnahmen hauptsächlich über direkte und indirekte Steuern den Lohnabhängigen abpreßt, so muß ihr Lohn sich doch zuvor als Kapital bewährt haben. Und auch die Staatsschulden, die als fiktives Kapital die privaten Geldvermögen vermehren, sind nur vorweggenommene Steuereinnahmen, die ihre vorherige Realisierung als Kapital voraussetzen. Der Staat kann und muß deshalb auch die Interessen des Kapitals als Interessen der "Allgemeinheit" ausdrücken, das allgemeine Wohl der kapitalistischen Wirtschaft, vor allem das Wachstum des Wertprodukts bzw. des "Volkseinkommens", als "Gemeinwohl" und das gemeinsame oder Durchschnittsinteresse der kapitalistischen Eigentümer als "allgemeines Interesse" (wobei dessen Bestimmung selten ohne Streit abgeht).

(27) Daran würde sich wenig ändern, wenn eine von einer Massenbewegung getragene "linke" oder "sozialistische" Regierung die Macht übernähme - solange die Lohnabhängigen weiter als Lohnabhängige für den Austausch produzieren. Auf dem Boden des Austauschs als der herrschenden und anerkannten Verkehrsform der Gesellschaft, kann der Staat auch unter einer "Arbeiterregierung" dem ökonomischen Inhalt nach nur ein bürgerlicher Staat sein, eine Organisation - wie demokratisch sie auch sein mag - zur Sicherung und Erweiterung des Austauschs, also der kapitalistischen Warenproduktion. Er mag noch so viele Betriebe verstaatlicht, die Kontrolle über sie gar den Belegschaften übertragen und ihnen "die politischen und juristischen Mittel zur Beherrschung ihrer Arbeitsbedingungen zugestanden" (6) haben - solange sie weiter für den Austausch produzierten, träten sie sich als kollektive Privatproduzenten gegenüber, die ihre Produktionsmittel und ihre eigene Arbeitskraft als Kapital behandeln, d.h. verwerten, müssen. Selbst wenn sie es nicht wollten, würde die vom Kapital ererbte Konkurrenz sie dazu zwingen. Die Preise ihrer Waren müßten also nicht nur den Wert der verbrauchten Produktionsmittel, die Löhne sowie Sozialabgaben und Steuern ersetzen, sie müßten darüber hinaus ein weiteres unbezahltes Mehrprodukt realisieren, um die Modernisierung, Rationalisierung und Erweiterung der Produktion zu ermöglichen. Und wenn sie es bis dahin noch nicht wüßten, würden sie sehr bald feststellen, daß die realisierbaren Preise von anderen Bedingungen abhängen als den realisierten Kosten, dem kalkulierten Arbeitsaufwand und dem erhofften Gewinn, so daß diese Faktoren sich als gegensätzliche Interessen geltend machen würden und insbesondere die Ausdehnung der profitbringenden Mehrarbeit auf Kosten der bezahlten Arbeit sich zum Zwangsgebot verselbständigte, dessen Mißachtung die Betriebe in den Ruin treiben würde... Daran könnte auch die Verwaltung und Kontrolle des vermeintlich "gesellschaftlichen Eigentums" durch "alle BürgerInnen" nichts ändern. Zumal "der Bürger" selbst ein Konstrukt des bürgerlichen Staats, eine juristische Abstraktion ist.

(28) Der Staat verleiht den Individuen der bürgerlichen Gesellschaft, wie Marx bemerkte[5], quasi eine doppelte Existenz. Als Bürger sind sie gleiche und freie Teilnahmeberechtigte am gesellschaftlichen Leben. Als Kapitalist und als Lohnarbeiter, als Millionär und als Tellerwäscher sind sie wirkliche Teilnehmer. Im Bürger, im Citoyen, simuliert der Bourgeois seine Verbrüderung mit dem Proletarier, dem Lohnabhängigen, und suggeriert ihm, sich ebenfalls als Glied einer abstrakten Allgemeinheit zu begreifen. Der Staat erscheint so als eine vom konkreten Besitz unabhängige Gemeinschaft, wie sie die bürgerliche Gesellschaft in ihren praktischen Produktions- und Distributionsverhältnissen negiert und die sie doch als Fiktion nötig hat, um die besonderen Interessen der Privateigentümer als allgemeine geltend zu machen. Und um die Lohnabhängigen zu zwingen, auch ihre Interessen nicht als Sonderinteressen zu verfolgen, sondern als dem "Gemeinwohl" verpflichtete. Diese Gemeinschaft besteht auch keineswegs nur in der Einbildung, als Ideologie, sondern in der Staatsbürgerschaft und im Bürgerrecht erhält sie durchaus eine wirkliche Existenz. Ihre Realität erleben am spürbarsten die, die von ihr ausgeschlossen sind, wie einst die Juden und heute illegale und "papierlose" Immigranten. Und doch bleibt sie eine illusorische Gemeinschaft, die die wirklichen Beziehungen der "Bürger" nicht konstituiert, sondern diese voraussetzt, sie allenfalls beeinflußt, indem sie von ihnen abstrahiert. Sie bliebe es auch im hier unterstellten Fall, daß die politische Macht in den Händen einer "Arbeiterregierung" läge und die lohnabhängigen Produzenten die Kontrolle über ihre "aufgehäuften Arbeitsmittel" besäßen. Auf der Grundlage der unverändert bürgerlichen Praxis von Privatarbeit und Austausch, d.h. der praktischen Herrschaft von "Partikulärinteressen", kann die Gemeinschaft "aller BürgerInnen" ebenso wie die Überwindung der "Partikulärinteressen" durch die Idee des "Gemeinwohls" nur ein frommer Wunsch sein.

Ein alternatives Szenario

(29) Man stelle sich - auch wenn das heute utopisch erscheinen mag - eine länderübergreifende Massenbewegung vor, in der die Lohnabhängigen die Betriebe besetzen und beginnen, die Produktion in eigener Regie zu organisieren. Wie sollten sie mit ihren zwischenbetrieblichen Beziehungen umgehen? Sie könnten sich sagen: Nichts zwingt uns, an den Organisations- und Verkehrsformen festzuhalten, die wir vom Kapital übernommen haben und die uns in voneinander isolierte und zum Teil konkurrierende Belegschaften auseinanderdividieren, während wir tatsächlich über die gesellschaftliche Arbeitsteilung alle miteinander verbunden sind. Assoziieren wir uns doch auf gesellschaftlicher Ebene, wie wir auf betrieblicher Ebene assoziiert sind - ohne die Produkte gegen Geld zu tauschen. Befreien wir unsere Beziehungen vom bornierten Kalkül des Privateigentums und des Betriebsegoismus, von der Fessel des Geldes, das doch nur der Verewigung und Vermehrung privater Macht über unsere Arbeit dient. Organisieren wir direkte kooperative Beziehungen zu den Belegschaften der liefernden wie der beziehenden und der bisher konkurrierenden Betriebe, verbünden wir uns mit den individuellen Konsumenten (zu denen wir selbst ja auch zählen) und bilden wir gemeinsame Organe öffentlicher Selbstverwaltung, um die gesamte Produktion in den Dienst des gesellschaftlichen Nutzens und Bedarfs zu stellen und nach humanen und ökologischen Maßstäben umzugestalten... Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten im Bündnis mit den Konsumenten auf Basis der gemeinsamen Aneignung sämtlicher Produktionsmittel - das wäre die Aufhebung von Privatarbeit und Austausch, damit auch der Warenform der Produkte, der Lohnabhängigkeit und des Wertgesetzes. Und es wäre das Ende aller verselbständigten staatlichen Sonderformen und -funktionen des gesellschaftlichen Produkts, wie Steuern und Sozialabgaben, Subventionen und Sozialleistungen, samt der davon lebenden Apparate!

(30) Anmerkungen:

[1] Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 76
[2] Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 92, bzw. Grundrisse, a.a.O., S. 77; Hervorhebungen von mir
[3] MEW Bd. 23, S. 791
[4] Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 34
[5] Zur Judenfrage, MEW Bd. 1, S. 354


Copyright (c) 2002 Werner Imhof

Permission is granted to copy, distribute and/or modify this document under the terms of the GNU Free Documentation License, Version 1.1 or any later version published by the Free Software Foundation; with no Invariant Sections, with no Front-Cover Texts, and with no Back-Cover Texts. A copy of the license is included in the section "GNU Free Documentation License".




Quelle: http://www.opentheory.org/kw48_02-1/text.phtml
(Last Software Update: 01.07.2005, 09:30)