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Hinweise und Ergänzungen zu Winfried Wolfs SoZ-Thema “Fusionitis: Gier nach Größe“
Die Frage, die sich wie ein roter Faden durch das genannte SoZ-Thema zieht, lautet: Welchen Charakter tragen die gegenwärtig stattfindenden Fusionsprozesse und die dort entstehenden Großunternehmen, einen nationalen oder einen globalen, transnationalen Charakter? Diese Frage zielt direkt auf die Beständigkeit der Nationalstaaten: Im Falle eines nationalen Charakters würden die Grundlagen für den Nationalstaat bestehen bleiben, während sie im anderen Fall zerbröseln müssten, mit der Folge, dass der Nationalstaat noch im Rahmen des Kapitalismus tendenziell überwunden würde zugunsten eines Weltstaates.
Die gestellte Frage ist alles andere als banal oder von bloß akademischer Bedeutung. Verschwindet nämlich die Vielzahl der Nationalstaaten, dann würden auch deren äußere Gegensätze, die immer wieder zu Nationalismus, Protektionismus und Kriege führen, an Bedeutung verlieren.
Winfrieds These dazu ist eindeutig. Seiner Meinung nach tragen die Fusionsprozesse und die daraus entstehenden Konzerne einen nationalen Charakter. “Global ist dieser Kapitalismus nur insofern“, schreibt er in SoZ 7/30-3-00, “als seine Tendenzen weltweit vorherrschen. Konkret setzen sich jedoch diese kapitalistischen Gesetze nicht in einem ‘globalen', sondern im nationalen Rahmen verschiede-ner Nationalstaaten...durch. ‘Transnational' sind...die großen Konzerne ‘nur' insofern, als sie in aller Herren Länder produzieren lassen...Hinsichtlich des Kapitaleigentums...existiert jedoch ein solcher ‘kapitalistischer Internationalismus' nicht mehr. Das Eigentum an den größten Konzernen der Welt ist zu 95% insofern national, als es an einen der neun wirtschaftlich mächtigsten Staaten gebunden ist.“
Eine solche Begründung erscheint wenig stichhaltig:
Zunächst eine mehr grundsätzliche Bemerkung zum Verhältnis von Kapital und den Personen, die sich als Funktionäre oder Eigentümer des Kapitals erweisen. Winfried geht nicht vom Kapital und seinen Bestimmungen aus, sondern vielmehr von den Personen. Die Personen bestimmen demnach den Charakter des Kapitals, nicht umgekehrt das Kapital den Charakter seiner personellen Träger.
Zweitens wird der nationale Charakter der Einzelkapitale in Gestalt der Konzerne durch die besondere Nationalität der Eigentümer definiert. Woher kommt aber diese Nationalität? Winfried bemüht sich um eine solche Herleitung, findet dann aber nur solche Gründe, die für einen Staat, nicht aber für die Vielzahl der Nationalstaaten sprechen. “Gute Infrastruktur“ im weitesten Sinne sowie “Justiz und Poli-zei“ können nicht, wie er zurecht meint, vom Einzelkapital sondern nur vom “ideellen Gesamtkapitalis-ten“, dem Staat, allgemein bereit gestellt werden. Mehrere Staaten bedarf es dazu aber offensichtlich nicht. Das schließlich genannte “Bedürfnis des Kapitals nach äußerer Sicherheit“ unterstellt bereits ein Außenverhältnis und damit eine Pluralität von Nationalstaaten, ohne dass dadurch eine Erklärung zu dieser Vielzahl beigesteuert wird. Die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass sich das Kapital für die drei genannten Zwecke “Nationalstaaten schuf“ entbehrt also jeder Logik.
Drittens bleibt Winfrieds These vom “nationalen Charakter der Fusionitis“ zirkulär. Die Konzerne tra-gen, wie er feststellt, einen nationalen Charakter. Entsprechend müssen auch deren Fusion und das Resultat daraus, der neue Großkonzern, einen nationalen Charakter tragen. Das Resultat war also schon durch die Ausgangsbedingungen unterstellt. Die mit Zahlen belegte Auffassung, dass fast alle der “neuen Riesen“ die “Mehrheit des Aktienkapitals in einem Nationalstaat haben“, enthält eine Selbstverständlichkeit: Die Eigentumstitel eines börsennotierten Konzerns, die Aktien also, sind in der Hand der Aktionäre, und je nachdem, wie sich diese Eigentümer über den von nationalen Grenzen durchschnittenen Erdball verteilen, wird die Mehrheit mal in dem einen, dann in dem anderen Land zu finden sein. Auch hier ist die Existenz eines nationalen Charakters unterstellt, nicht aber erklärt.
Viertens ist die Vorstellung schwer verständlich, dass ausgerechnet die Aktionäre, die jenseits aller operativen Geschäfte des Konzerns stehen, also nur das Eigentum nicht aber die Kapitalfunktion selbst vertreten, den nationalen Ausschlag geben sollen.
Abschließend noch ein paar grundsätzliche Überlegungen zum nationalen Charakter der modernen Konzerne einschließlich deren Fusionsprozesse.
1. Dieser nationale Charakter lässt sich nicht aus dem Einzelkapital oder den Gegebenheiten des Fusionsprozesses herleiten. Auch die geschichtliche Tradition liefert nicht die Nationen als histori-sches Relikt. Eine solche bloß historische Größe wäre längst verschwunden, würde sie nicht stets von neuem reproduziert. Der Schlüssel für den nationalen Charakter des Kapitals liegt im Kapital selbst, in dessen Gesamtreproduktionsprozess.
2. Gesamtreproduktion bedeutet Reproduktion eines gesellschaftlichen oder Gesamtkapitals, das aus der Summe miteinander verzahnter Einzelkapitals besteht, zugleich aber in Gestalt der Durch-schnittsprofitrate als tatsächlich agierende Einheit auftritt. Dass ein solches Gesamtkapital wirklich existiert, hat Marx insbesondere im Zweiten Band des Kapitals nachgewiesen und wird auch von der Volkswirtschaftslehre unter dem Titel “Makroökonomik“ anerkannt, wenngleich nicht verstanden.
3. Grundlegend für die Bestimmung des nationalen Charakters des Kapitals ist der Nachweis, wie es zu einer Vielzahl solcher Gesamtkapitale kommt, die dann ihre politischen Interessen in Form des Staates sowohl nach innen als auch nach außen hin organisieren und durchsetzen. Die Begrün-dung setzt an der Hauptgestalt des Kapitals an. Kapital ist wesentlich Industriekapital, das als Arbeitsmittel territorial fixiert ist. Dieser Umstand weist dem fixen Kapital eine, wie Marx es nannte, “eigene Rolle in der Ökonomie der Nationen zu“. Die Verwertungsbedingungen der in verschiedenen Regionen fixierten Kapitale sind je nach Art der dort vorhandenen natürlichen oder gesell-schaftlichen Produktivkräfte verschieden, und auch nicht - wie innerhalb einer Region - durch entsprechende Kapitalbewegungen ausgleichbar. Diese Verschiedenheit der Verwertung steht im Wi-derspruch zur Gleichheit des Kapitals, die hauptsächlich in der prinzipiellen Gleichheit der Profitrate besteht. Aus der Gleichheit des Kapitals und der Ungleichheit der allgemeinen Verwertungsbedingungen entsteht die Notwendigkeit, dass sich die Kapitale entlang ihrer Verwertungsgrenzen separieren. Mit den verschiedenen Verwertungsbedingungen sind verschiedene Interessen ver-bunden. Die Verwertungsgrenzen werden Bestimmungsmomente für Ländergrenzen. Die Kapitale, einschließlich der Menschen sind auf solche Weise territorial separiert.
4. Die gemeinschaftlichen Kapitalinteressen eines Landes werden nicht in der sonst im Geschäftsleben gewohnten rohen, materialistischen Art, sondern vornehm als gemeinschaftlich höheres Anliegen ausgewiesen. Durch solche Klassenübergreifende Gemeinsamkeiten lässt sich die Bevölke-rung viel besser einbinden. Im Außenverhältnis dienen dazu alle möglichen Merkmale wie etwa Kultur, Sprache, gemeinsame Tradition, Hautfarbe/Blut, geographische Gegebenheiten etc., die der Standort eines gesellschaftlichen Gesamtkapitals im Unterschied zu anderen Standorten gerade mal liefert. Solche an sich harmlose kulturelle und natürliche Unterschiede verwandeln sich durch die Konkurrenz in einen Gegensatz: Sein Inhalt ist ökonomisch, seine Form national. Marx hat die Geburtsstunde der modernen Nationen mit der Eroberung der Produktion durch das Kapital in Verbindung gebracht. “Mit der Manufaktur“, schreibt er in der Deutschen Ideologie und meint damit den Beginn der Vorherrschaft des industriellen Kapitals, "traten die verschiedenen Nationen in ein Konkurrenzverhältnis, in den Handelskampf, der in Kriegen, Schutzzöllen und Prohibitionen durchkämpft wurde, während früher die Nationen, soweit sie in Verbindung waren, einen harmlo-sen Austausch miteinander hatten. Der Handel hat von nun an politische Bedeutung." Die Kapitale inklusive ihrer Träger und Produzenten bewohnen nicht nur verschiedene Landstriche, gehören nicht nur verschiedenen Territorialstaaten an, sondern erhalten zusätzlich eine nationale Färbung. Verkleidet in ihre Nationaluniformen treten die Kapitale als französisches, deutsches, japanisches etc. und nicht einfach als Kapital auf.
Winfried Wolfs These vom “nationalen Charakter der Fusionitis“ und der Wiedergeburt des ordinären, in nationalen Konkurrenzkämpfen verstrickten Kapitalismus wird durch die genannten vier Punkte bestätigt - wenngleich mit anderen Argumenten. Die wachsende Weltmarktkonkurrenz, die sich nicht zuletzt in der aktuellen Fusionswelle niederschlägt, erhält die politische Form eines wachsenden nati-onalen Gegensatzes zwischen den jeweiligen Nationalstaaten bzw. deren Wirtschaftsblöcke Nafta, Japan und EU. Der Konkurrenzkampf um Weltmarktanteile und politisch-wirtschaftliche Einflusssphären fördert Rüstung, Militarisierung und Krieg, ändert Grundlagen bestehender Bündnissysteme, wie die Risse innerhalb der Nato und das gestärkte militärisch-strategische Bewusstsein der EU offenbaren. Kriege sind nach den Nato-Angriffen auf Jugoslawien wieder eine tolerable Form der Außenpolitik geworden. Dabei liegt es an uns, dass nach den Übernahmeschlachten zwischen den konkurrierenden Einzelkapitalen keine Völkerschlachten zwischen den konkurrierenden Gesamtkapitalen entstehen. “Krieg dem Kriege“ ist heute angesichts der gewaltigen Zerstörungsmittel wichtiger denn je. Um aber dauerhaft “Schwerter in Flugscharen“ umzuschmieden, bedarf es der Beseitigung des schrecklichen kapitalistischen Konkurrenzkampfes, der auf der Weltbühne auch weiterhin die Form nationaler Kämpfe annehmen wird.
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