| | |
|
05.04.2005
| | Feuilleton |
Reimar Paul |
|
Der Papst brüllte: »Ruhe!« |
|
Wie Johannes Paul II. einmal das revolutionäre Nikaragua in Ordnung bringen wollte |
|
Willkommen im freien Nikaragua, dank Gott und der Revolution«. Dieser Satz stand auf einem großen Transparent am Flughafen von Managua, als die Maschine des Papstes am 3. März 1983 in der Hauptstadt Nikaraguas landete. Dort waren die Sandinisten knapp vier Jahre an der Macht, ihre Revolution hatte die Diktatur des Somoza-Clans hinweggefegt. Kulturminister war damals der Priester und Dichter Ernesto Cardenal, auch weitere Geistliche gehörten der Regierung an.
Zeigefingerprügel
Johannes Paul II. war darüber nicht amüsiert. Im Vorfeld seines Besuchs, erinnert sich Cardenal, habe der Papst darauf bestanden, daß keiner der Priester aus der Regierung ihn am Flughafen empfange. Die Regierung erklärte zunächst, alle Minister müßten beim Empfang dabei sein. Als Kompromiß wurde schließlich ausgehandelt, daß der Papst die Regierungsmitglieder von weitem grüßen sollte. Doch er überlegte es sich offenbar anders. Nach der protokollarischen Begrüßung durch Präsident Daniel Ortega, ging der Papst auf die etwas weiter entfernt stehende Ministerriege zu.
Was dann geschah, beschreibt Ernesto Cardenal: »Ich nahm ehrerbietig die Baskenmütze ab und kniete nieder, um ihm den Ring zu küssen. Er erlaubte nicht, daß ich den Ring küßte, und während er den Zeigefinger wie einen Stock schwang, sagte er in vorwurfsvollem Ton: ›Sie müssen Ihre Situation in Ordnung bringen‹«. Die Fernsehkameras übertrugen die Demütigung in alle Welt.
Am nächsten Tag versammelten sich 700000 Menschen – ein Viertel der Bevölkerung Nikaraguas – auf der Plaza de la Revolución in der Hauptstadt, um der Messe des Papstes beizuwohnen. Viele waren tagelang unterwegs gewesen, auf überfüllten Lastwagen kamen sie aus allen Ecken des Landes. Die Regierung gab eine Million Dollar aus, um den Platz voll zu kriegen. Johannes Paul II. aber sprach zu Beginn der Messe von Leuten, die an der Anreise gehindert worden seien.
Nicht für die Armen
Thema der päpstlichen Predigt war zunächst die Einheit der Kirche – nach Cardenals Bewertung ein »Angriff auf die Volkskirche«: »Die revolutionären Christen wurden angeklagt, diese Einheit zerstören zu wollen … Er glaubte, es gäbe eine unpopuläre Regierung, die von der großen christlichen Mehrheit abgelehnt würde, und daß seine kämpferische Anwesenheit einen Aufstand des Volkes gegen die Comandantes der Frente Sandinista provozieren würde«.
War der Beifall der Menge während der Rede mehr und mehr verebbt, so wandte sich die Stimmung vollends gegen den Papst, als er sich weigerte, 17 am Vortag von der Contra getötete Jugendliche in seine Fürbitten einzubeziehen. »Die Mütter der Ermordeten baten ihn um ein Gebet, aber er kümmerte sich nicht darum«, erzählt Cardenal. Die Menschen hätten »Queremos la Paz – Wir wollen Frieden«, später auch »Poder Popular« und »No pasarán« gerufen, der Papst daraufhin aus vollem Halse »Ruhe!« in das Mikrofon geschrieen. »Das irritierte das Volk am meisten, denn sie waren es nicht gewohnt, daß jemals einer ihrer Führer ihnen ›Ruhe!‹ befahl«. Auf einem Video von der Messe hört man eine Frau rufen: »Das ist kein Papst der Armen, sieh’ nur, wie er sich kleidet«. Cardenal: »Am Ende der Messe konnte er kaum den päpstlichen Segen erteilen, dreimal setzte er dazu an, vor einer Menschenmenge, die bereits die Hymne der Frente Sandinista sang«. Ein unerhörter Vorgang.
»Der Papst kam nach Nikaragua, um die Revolution zu destabilisieren«, ist Cardenal im Rückblick überzeugt. »Es war offensichtlich, daß der Papst die sandinistische Revolution haßte und er nach Nikaragua gekommen war, um gegen sie zu kämpfen«. Dabei habe dem Papst an der Revolution am meisten mißfallen, daß sie nicht die Kirche verfolgte. »Was er am wenigsten wollte, war eine Revolution, die massiv von den Christen unterstützt wurde wie die unsere und die deshalb eine sehr populäre Revolution war.«
Einige Monate später verbreiteten Zeitungen ein geheimes Dokument, das den Auftritt des Papstes in Nikaragua vorab festschrieb. Autoren sollen US-Geheimdienstler sowie der Nikaraguaner Humberto Belli gewesen sein. Belli war ein rechter Fanatiker, der zunächst innerhalb Nikaraguas an der Seite der katholischen Kirchenhierarchie gegen die sandinistische Revolution hetzte und später in den USA Diffamierungskampagnen gegen Nikaragua organisierte. |
| | |
Dieser Artikel war nicht umsonst. Unterstützen Sie dieses Angebot mit einem Online-Abo. |
|
|
| | | | |
| | |