Bei Lysis findet zur Zeit eine lesenswerte Diskussion über Adornos Kapitalismuskritik und insbesondere dessen Idealisierung des Tauschprinzips statt. Da trifft es sich gut, dass ein aufmerksamer Leser ein passendes Kapitel aus der Broschüre Kritik der “Kritischen Theorie” zugesandt hat:
Die schlechte Wirklichkeit ist zugleich ihre bessere Möglichkeit
oder: Wie die Kritische Theorie das Denken auf die Maßstäbe erlaubter Kritik verpflichtet und sich mit den herrschenden Verhältnissen versöhnt
Die Kritische Theorie beherrscht das Verfahren bürgerlicher, affirmativer Kritik, welches darin besteht der Realität Ideale vorzuhalten. Das Messen der Realität an Idealen ist noch stets der Auftakt zur Versöhnung mit ihr. So wird aus der Gesellschaft, die abgrundtief schlecht ist und das Denken lückenlos in beschlag nimmt, zugleich ein Hoffnungsträger. Es kommt nur darauf an die Sache so zu sehen; das Objekt nicht nach seiner Realität zu betrachten, danach, was es ist, sondern danach, was es sein könnte. Als Beleg muß wieder der Tausch herhalten.
„Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß das Ideal freien und gerechten Tausches, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch.“ (III, 150)
Der Tausch, laut Kritischer Theorie der Inbegriff der Verdinglichung das schlechthin Schlechte der bürgerlichen Gesellschaft, existiert jetzt doppelt: als schlechte Realität und als gute Potenzialität. Nach dem erzbürgerlichen moralischen Strickmuster, daß jedes Ding zwei Seiten habe, wird ohne viel Umstände aus dem kritischen Gegenstand das Versprechen auf Überwindung seiner selbst. Und wenn man das Objekt nicht mehr danach beurteilt, wie es beschaffen ist, sondern sich auf den Standpunkt stellt, es könnte auch anders, besser sein, um von dieser Warte einen Blick auf die Realität zu werfen, dann erscheint diese gleich in viel rosigerem Licht: als das noch nicht realisierte Gute. So verschafft das Denken sich Hoffnungspunkte, für die es die Realität, die noch kritikable, als Zeugen reklamiert. Ja, wenn der Tausch noch etwas anderes ist, als er ist, dann gilt es ihn nicht mehr zu verwerfen, sondern ihn als die Berufungsinstanz für die Berechtigung des eigenen Idealismus hochzuhalten.
Der Tausch ist dabei stets nur ein Beispiel für dieses Verfahren der Kritischen Theorie, Kritik konstruktiv zu wenden. Andererseits ist er nicht zufällig das Beispiel für die Fabrikation kritischer Hoffnung, haftet ihm doch das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft par excellence, Gerechtigkeit nämlich, an. So und nur so bespricht der Frankfurter Geist den Tausch, unbekümmert darum, daß es sich hierbei um einen ökonomischen Sachverhalt dreht. Dessen Analyse würde ergeben, daß die Gleichheit, der Tausch von Äquivalenten, als Gesetz des Tausches keinesfalls verletzt ist, wenn in seinem Gefolge die Menschheit in Arm und Reich sortiert wird. Genau so funktioniert nämlich Ausbeutung in der bürgerlichen Gesellschaft. Beim Tausch geht es sehr gerecht zu, und es ist das Pech der einen, daß sie ihre Arbeitskraft veräußern müssen, deren Einsatz mehr Wert produziert als zu ihrer Reproduktion notwendig ist, und das Glück der anderen, daß sie über das Eigentum an Produktionsmitteln verfügen, um aus der Mehrarbeit kapitalistischen Reichtum zu machen. Nichts billiger als die Form des Tausches gegen seinen Inhalt auszuspielen, welcher durch jene vermittelt wird, und mit dem frommen Ideal hausieren zu gehen, wie schön der Tausch sein könnte, wenn er nicht der Tausch wäre, der den Klassengegensatz hervorbringt.
So erklärt sich auch, warum Kritische Theoretiker nie aufmüpfig werden und ihre Ideale gegen die Realität geltend machen. Sie legen wert darauf, zu betonen, daß es sich um Ideale der Realität selbst handelt, die man demzufolge nicht „voluntaristisch“ bekämpfen könne. Sie pflegen das antikritische Dogma, daß, wer kritisieren will, schon die Realität als Berufungsinstanz auf seiner Seite haben muß. Kritik macht sich ganz bewusst davon abhängig, daß die von ihr kritisierte Sache selbst für ihre Änderung schon bürgt, also jene berühmte Sorte „immanenter Kritik“ erlaubt, welche die „Konkretheit“ der „Utopie“ verbürgt. Kein Wunder also, daß die Ideale, die dann ins Feld geführt werden, immer wieder die herrschenden und die der Herrschenden sind. Aber die ach so kritische Kritik bekräftigt nicht nur kursierende Ideologien. Sie warnt sogar ausdrücklich vor einer Kritik des Gegenstandes, die sich nicht seinen Gesetzen unterwirft und gar praktisch werden will:
„Annulierte man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so träten anstelle der Rationalität, die ideologisch zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip innerwohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt.“ (III, 150)
Ohne Tausch – so die Diagnose – gäbe es nur Mord und Totschlag. So gesehen, gemessen also an der zielgerichteten Erfindung eines gesellschaftlichen Negativideals, ist die Realität von Ausbeutung und Gewalt nicht nur begrüßenswert, sondern vor jedem Angriff zu schützen. So mündet die dialektische Wichserei in den faden und stockaffirmativen Moralismus, daß die bürgerliche Gesellschaft immerhin noch die beste aller schlechten Gesellschaften ist.
Hier wird die Wahrheit dessen geständig, was in linksintellektuellen Kreisen großspurig als utopisches Denken hochgehalten wird: Dieses hat sich am Riemen zu reißen und davor zu hüten, die durch die bürgerliche Gesellschaft gesetzten Maßstäbe zu überschreiten. Ideale sind erlaubt – wenn es die sind, die diese Gesellschaft und ihre ökonomische und politische Gewalt vor sich hertragen. Betrachtet man die bürgerliche Scheiße einmal vorurteilslos von einem ihr nicht im vorneherein verpflichteten Standpunkt, erlässt die Kritische Theorie einen geistigen Ordnungsruf –
„Nur am Widerspruch des Seienden zu dem, was zu sein es behauptet, läßt Wesen sich erkennen.“ (III, 169) -,
verlangt also im Namen der Wahrheit intellektuelles Parieren: Nur solche Kritik darf Anerkennung beanspruchen, die die „seiende“ bürgerliche Welt mit deren guten Meinungen über sich vergleicht. Und das „Wesen“ des Kapitalismus hat einzig, wer ihm alle Beschönigungen prinzipiell zugute hält.
Alle Zitate mit Seitenangaben aus: Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt 1973.
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