II. Kapitel. Negative Dialektik: Adornos Verhältnis zu Hegel
Die
Beziehung auf Kant stellt im Denken Adornos das negative Moment dar,
die Seite der Kritik des üblichen naiven, positivistischen oder
metaphysischen Denkens. Die festgehaltene inhaltliche und formelle
Differenz von Sache und ihrem Begriff wendet Adorno gegen alle
Theoretiker, die, wie auch immer, meinen, "die Sache ganz zu haben" -
auch gegen Hegel. Trotzdem, und gerade weil er diese Auffassung immerzu
an Hegel "sich abarbeiten" läßt, kann gesagt werden, daß sich im
Verhältnis zu Hegel die Methode der 'Negativen Dialektik' positiv
definiert.
Adorno bestimmt jedes Moment seines Verfahrens in Bezug auf Hegel, er
beansprucht, dem Gedanken der Dialektik treuer zu sein als dieser und
somit das Kritische und Wahre im Denken Hegels und gegen ihn gerettet
zu haben. Nun hat Dialektik im Reich der modernen Wissenschaft einen
ausgesprochen schlechten Klang - vielleicht nicht zu unrecht. Daß
Adorno sich zur Dialektik bekennt, hat ihm, wie schon oben erwähnt, die
härtestem Vorwürfe eingetragen, die von seiner Seite dann postwendend
mit dem Verdikt beantwortet wurden, der Kritiker könne und wolle eben
nicht dialektisch denken. 1) Der Begriff der Dialektik hat die
Diskussion im 'Positivismusstreit' so verhärtet und zu einem Streit um
Worte gemacht, daß man gar nicht sah, wie wenig unvereinbar die
Positionen auch damals schon waren. 2) Dialektik ist - und zwar nicht
nur durch eine etwaige Unbeweglichkeit der damaligen Schulhäupter - zu
einer Glaubensfrage geworden. Es soll hier gezeigt werden, daß dieser
Umstand in der Verfassung dessen liegt, was nach Hegel Dialektik
geheißen wurde, und wie sich dieses methodische Ideal zu Hegels eigenen
Argumenten verhält, bzw. inwieweit Hegel selbst schuld an den gängigen
Auffassungen von Dialektik geworden ist.
Wenn "Dialektik" heute in der wissenschaftlichen Diskussion ins Feld
geführt wird, so geschieht dies mit Berufung einerseits auf Engels, auf
Lenin und ihre Schüler, und andererseits vornehmlich auf die
Frankfurter Philosophie. Hatten die ersteren ihr philosophisches
Bedürfnis nach einer "marxistisch" gesehenen Einheit der Welt durch die
Entdeckung einer Anti-Geist-Metaphysik befriedigt, die Materie zum
Innersten der Welt gemacht und als ihre Haupteigenschaft die
dialektische Bewegung genannt, mit der sie nun jeden Zustand der Welt
als irgendeinen Punkt in der dialektischen Bewegung des Fortschritts
interpretieren können, so leisteten die Frankfurter - soviel sei noch
vor der besonderen Untersuchung gesagt - allein durch ihre Wirkung auf
das Geistesleben einen Beitrag zur Sozio1ogisierung des Denkens. Daß
alles "vermittelt" sei, in gesellschaftlichen Zusammenhang stehe,
"nicht für sich betrachtet werden dürfe", wird heute so sehr für eine
Einsicht in die Natur irgendeiner Sache gehalten, daß man sicher sein
darf, daß die Berufung auf die Dialektik, nach der sich die Begriffe
und historischen Entwicklungen verhielten, nichts anderes ist als ein
gelehrter Ausdruck dafür, daß die Bestimmtheit einer Sache oder ihrer
Beziehung zu anderem nicht gewußt wird. 3)
Dieses Kapitel soll folgende Fragen erörtern: 1. Was ist rationell an
Hegels Dialektik, in welcher Hinsicht ist von ihm zu lernen? 2. Worin
besteht sein Fehler, mit dem er der späteren, weit unter seinem
"Niveau" stehenden Verwendung seiner Dialektik Vorschub leistet? 3.
Worin besteht die gang und gäbe Hegelrezeption der Gegenwart? Und 4.
Wie führt Adorno in seinem philosophischen Denken die
Auseinandersetzung mit Hegel? Welche Bedeutung haben bei ihm die
Kategorien von Negation, Widerspruch, System und Beziehung zu anderem?
Im Anschluß daran soll versucht werden, eine allgemeine
Charakterisierung der philosophischen "Methode" Adornos zu geben, durch
die auch seine Besprechung wirklicher Gegenstände geprägt ist.
Der Darstellung Hegels im folgenden wird verhältnismäßig großer Platz
gewidmet, und zwar nicht ohne Grund. Die sachliche und förmliche
Berufung auf Hegel durchzieht die Frankfurter Philosophie nämlich in
all ihren wesentlichen Positionen.
1. Das "Rationelle" an Hegels Dialektik
Daß an Hegels Dialektik "etwas dran" ist, daß man von ihm durchaus noch
etwas lernen kann, ist Gemeingut in der Philosophie des 20.
Jahrhunderts und der Grund dafür, daß man ihn nicht mehr wie einen
"toten Hund" behandelt. Was man aber von ihm zu lernen habe, darüber
herrscht vollkommene Unklarheit, und zwar auch bei denen, die den
Verweis auf Hegels Dialektik ihrer Marxlektüre verdanken, also der
Beschäftigung mit dem Mann, von dem Theunissen meint, er sei vielleicht
der einzige im 19. Jahrhundert, der die Hegelsche Logik verstanden
habe. 4) Von Marx weiß man, daß er selbst mit der "Methode der
Hegelschen Dialektik" "kokettierte" 5) ja daß er ihr vieles verdankte:
"In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, daß
ich by mere accident ... Hegels Logik wieder durchgeblättert hatte.
Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in
zwei oder drei Druckbogen das Rationelle an der Methode, die Hegel
entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand
zugänglich zu machen." 6)
Für Marx ist die Zeit nicht mehr gekommen, und so blieb es nicht nur
dabei, daß das Rationelle und das Mystische der Dialektik ungeschieden
über1ieft sind, sondern man gewöhnte sich, vielleicht sogar in
Anlehnung an das Marx-Zitat, daran, Hegels Dialektik für eine Methode,
Theorie zu treiben, zu nehmen, deren man sich bedienen könne oder auch
nicht. Hegel aber hatte immer wieder darauf insistiert, daß die
Dialektik die Methode des Denkens sei, nicht irgendeine. Diese
Differenz soll zunächst näher bestimmt werden.
Nach den Empfehlungen der Wissenschaftstheorie und auch in der Praxis
der Geisteswissenschaften werden Methoden konstruiert, 7) hermeneutisch
vorgreifend der Sache "entsprechend" gewählt 8) oder einfach frei
erfunden 9), um dem Denken einen Leitfaden bei der Erforschung seiner
Gegenstände oder eines bestimmten Gegenstandes zu geben. Die
Objektivität dieses Denkens ist damit schon vor aller besonderen
Ausgestaltung der Methode ad acta gelegt, denn das Denken bekommt damit
eine nicht von ihm selbst stammende Richtschnur, die als sachfremde ja
kaum den richtigen Gang dessen sicherstellen kann, was ihr fremd ist.
Soll die Angemessenheit der Methode an die Sache irgend noch
nachgewiesen werden, so verwickelt sich dieser Versuch notwendigerweise
in Widersprüche: entweder man verweist auf die "Fruchtbarkeit" der
Methode, auf ihre Resultate, mit denen man zufrieden ist, dann hat man
sich freilich eines Zirkels schuldig gemacht; denn ob man Grund zur
Zufriedenheit hat, ob die gefällten Urteile auch die Sache treffen, ist
keineswegs eine Frage einer subjektiv gewählten Methode, die natürlich
immer das herausbringt, was man vorher als formales Erkenntnisinteresse
in sie hineingepackt hat. Wer andererseits die Notwendigkeit, die
Angemessenheit der Methode zu prüfen, anerkennt, wird nie zu ihrer
Anwendung kommen, denn ohne eine Kenntnis der Natur der zu
untersuchenden Sache wird sich die angemessene Methode nicht bestimmen
lassen; hat man diese Kenntnis aber einmal, dann wird die Bestimmung
der Methode, die dazu führt, nicht mehr nötig sein.
Präskriptive oder normative Erstellung von Methoden für die
Wissenschaft ist also von vornherein ein Bekenntnis zur
instrumentellen, nicht objektiven Theorie. Die Methode des Denkens kann
offenbar weder vor der Erforschung von Gegenständen "freihändig"
erstellt werden, noch nützlich sein für dieselbe. Das Gegenteil
behauptet Hegel demnach richtigerweise von seiner 'Logik': die Methode
des Denkens ist der Gang der Gedanken selbst, und damit - in der Logik
- der Gegenstand der Logik.
"Die Exposition dessen aber, was allein die wahrhafte Methode der
philosophischen Wissenschaft sein kann, fällt in die Abhandlung der
Logik selbst; denn die Methode ist das Bewußtsein über die Form der
inneren Selbstbewegung ihres Inhalts." 9a)
Die "Wissenschaft der Logik" entwirft sich das Denken nicht und tut
nicht so, als ob es erst noch erfunden werden müßte, sondern untersucht
das stattgehabte Denken und hebt an ihm die allgemeinen Momente, seine
Gesetze heraus. Im Gegensatz zu Kant, der das Denken vor seiner
Anwendung, also vor seiner Wirklichkeit untersuchen will, legt Hegel
Wert darauf, daß die Untersuchung der Kategorien des Denkens selber
Denken ist, sie also ihre eigene Selbstuntersuchung betreiben:
"Die Denkformen müssen an und für sich betrachtet werden; sie sind der
Gegenstand und die Tätigkeit des Gegenstands selbst; sie selbst
untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und
ihren Mangel aufzeigen. Die ist dann diejenige Tätigkeit des Denkens,
welche demnächst als Dialektik in besondere Betrachtung gezogen wird
und von welcher hier nur vorläufig zu bemerken ist, daß dieselbe nicht
als von außen an die Denkbestimmungen gebracht wird, sondern vielmehr
als derselben innewohnend zu betrachten ist." 10)
Bei dieser Untersuchung macht sich das Denken zum Gegenstand von sich;
wie sich jede Wissenschaft einen ihr vorausgesetzten Gegenstand wählt,
so auch die Wissenschaft vom Denken. Sie schafft sich ihr Objekt nicht,
sondern findet es in der Wirklichkeit der Wissenschaften schon vor.
"Vors erste aber ist es schon ungeschickt zu sagen, daß die Logik von
allem Inha1te abstrahiere, daß sie nur die Regeln des Denkens lehre,
ohne auf das Gedachte sich einzulassen und auf dessen Beschaffenheit
Rücksicht nehmen zu können. Denn da das Denken und die Regeln des
Denkens ihr Gegenstand sein sollen, so hat sie ja unmittelbar daran
ihren eigentümlichen Inhalt; sie hat daran auch jenes zweite
Bestandstück der Erkenntnis, eine Materie, um deren Beschaffenheit sie
sich bekümmert. " 11)
Deshalb ist sie auch keine Anweisung für das Denken, sie ist vom
Standpunkt der Wissenschaften aus sogar unnütz, weil sie ihnen erst
hinterherkommt und zu ihrem Erfolg nichts mehr beitragen kann. Hegel
ist sich dessen vollkommen bewußt, wenn er Aristoteles dafür
kritisiert, die logische Wissenschaft unter die Mittel, die nützlichen
Wissenschaften und Verhaltensweisen gerechnet zu haben. 12) Der Mensch
braucht für seine praktische und theoretische Arbeit die Wissenschaft
der Logik nicht, denn er betätigt ihre Gesetze längst, "so sehr
natürlich ist ihm das Logische." 13) Die wissenschaftliche Bildung kann
durchaus auf die Logik verzichten und sie andererseits erst nach der
Kenntnis des Kreises der einzelnen Disziplinen richtig schätzen. Für
den Neuling in den Wissenschaften gilt die Logik
"... für eine isolierte Beschäftigung mit den Denkbestimmungen, neben
der die anderen wissenschaftlichen Betätigungen ein eigener Stoff und
Gehalt für sich sind, auf welche das Logische etwa einen formellen
Einfluß hat, und zwar einen solchen, der sich mehr von selbst macht...
" 14)
"So erhält das Logische erst dadurch die Schätzung seines Werts, wenn
es zum Resultate der Erfahrung der Wissenschaften geworden ist; es
stellt sich daraus als die allgemeine Wahrheit, nicht als eine
besondere Kenntnis neben anderem Stoffe und Realitäten, sondern als das
Wesen alles dieses sonstigen Inhalts dem Geiste dar." 15)
In der letzten Formulierung Hegels kündigt sich schon der Umschlag der
logischen Wissenschaft ins Irrationelle an, denn es ist vor der Hand
nicht einzusehen, warum die Analyse des Denkens nicht eine besondere
Kenntnis neben anderen hervorbringen sollte - und, wie die Erkenntnis
der Mechanismen des Verdauungsapparates, wie uns Hegel wissen läßt,
nichts zur Verdauung beitragen und doch interessant zu wissen sind, so
trägt eben auch die Logik nichts zum Gelingen der Wissenschaft bei und
ist doch ein zusätzliches wissenswertes Gebiet, dem sich der Geist
zuwendet, wenn er nichts Nützliches mehr leisten muß, wenn er "Muße"
16) hat. Diese nutzlose Luxuswissenschaft ist eben "der Sonntag des
Lebens". 17)
Ohne sich schon an dieser Stelle um das bemerkte Problem zu kümmern,
ist zunächst dieses Richtige aus dem Bisherigen festzuhalten: Die
Dialektik muß streng und ausschließlich als Erklärung des Denkens, als
Erkenntnis der Erkenntnis aufgefaßt werden - und als sonst nichts. Alle
Weiterungen auf eine sogenannte "Realdialektik" der Historie, der
Produktivkräfte oder von sonst etwas sind zunächst völlig fernzuhalten.
Sie werden sich später ergeben - und zwar als Fehler, auch wenn sie
sich bei Hegel selber und sogar in den Frühschriften von Marx finden.
Festzuhalten ist dagegen der Anspruch Hegels, mit der 'Dialektik eine
Wissenschaft des Denkens zu liefern, die die allgemeinen Bestimmungen
des Denkens angibt und sozusagen erläutert, was beim Denken passiert.
Die Wissenschaft der Logik hat damit drei Abteilungen, deren
Überschriften - modern ausgedrückt - heißen müßten:
1. Die Kategorien, in denen die Wissenschaft die unmittelbar vorfindlichen Objekte auffaßt - 'Seinslogik'.
2. Die Kategorien, in denen die Wissenschaft die Verhältnisse erfaßt,
in denen sich diese Objekte präsentieren - 'Wesenslogik' (beide Teile
zusammen bilden die 'objektive Logik', weil die Bestimmungen der
Objekte betreffend).
3. Die Tätigkeit des Denkens, das seine Objekte bestimmt, über sie
urteilt und ihre Eigenart ersch1ießt - Begriffslogik' (dies gilt nur
für die Abteilung der Logik des 'subjektiven Begriffs'; was darüber
hinausgeht, verläßt den Standpunkt der Analyse des Denkens, so richtig
und interessant es im einzelnen auch sein mag).
Nur in diesem Bereich haben die geheimnisvollen und fast nur
mißbrauchten Bestimmungen der Negation, des Widerspruchs sowie der
Negation der Negation usw. ihr Recht.
Es soll hier keine Interpretation zur Logik gegeben werden 18); aber um
einige Andeutungen davon zu geben, was man aus der Logik Hegels lernen
kann, wenn man sie rationell liest und sich die große Mühe macht, das
Wissenschaftliche vom philosophischen Mißbrauch Hegel zu unterscheiden,
sollen hier drei Beispiele besprochen werden, ehe zum Fehler, zum
weltanschaulichen Umgang mit dem "Universalschlüssel" der Dialektik
übergegangen wird. Gewählt wird ein Beispiel aus der Wesens- und eines
aus der Begriffslogik, sowie das allgemeine Beispiel Hegels, die
dialektische Methode des Denkens.
a) Das Verhältnis von Kraft und Äußerung
Die 'Kraft' ist in allen Wissenschaften ein "Erklärungsbegriff";
Erklärungsbegriff deshalb, weil er das unmittelbar vorfindliche Objekt
nicht einfach bestimmt, sondern als bewirkt, aus etwas Anderem
"hervorgegangen" darstellt.
"Die einzelnen Äußerungen einer Kraft treten uns zunächst in
unbestimmter Mannigfaltigkeit und in ihrer Vereinzelung als zufällig
entgegen; wir reduzieren dann dieses Mannigfaltige auf seine innere
Einheit, welche wir als Kraft bezeichnen, und werden uns des scheinbar
Zufälligen, indem wir das darin herrschende Gesetz erkennen, als eines
Notwendigen bewußt." 19)
Eine Erklärung ist die Reduktion auf die innere Einheit, weil eine
Sache dann in ihrer Notwendigkeit gewußt ist, oder weil so das "Warum
zu beantworten" ist, "und die Beantwortung dieser Frage ist es
überhaupt, welche die gemeinschaftliche Aufgabe der Wissenschaft,
sowohl der empirischen als auch der philosophischen, bildet." 20) Ob
der Begriff der Kraft diese Antwort auf die "Warum"-Frage zu geben
vermag, ist Gegenstand der Analyse; soviel aber steht von vornherein
fest, die Beantwortung der Frage nach der Erklärungsleistung ist nicht
gleichgültig. Denn außer den Naturwissenschaften, die eine mechanische
Kraft, eine magnetische, eine Anziehungskraft und andere kennen,
verzichtet so gut wie keine Geisteswissenschaft auf die Benutzung
dieses Begriffs - unter verschiedenen Namen:
Die Politologie leitet den Staat aus einer natürlichen Kraft der
Menschen zu ihm ab, wenn sie als Erklärung vorträgt, der Mensch sei ein
'zoon politikon', ein "von Natur staatenbildendes Wesen".
Die Psychologie leitet so gut wie jede Lebensäußerung des Menschen aus
einer Kraft zu eben dieser ab und weiß im Fall des Streites um einen
Aggressionstrieb, im Fall der Liebe um einen Sexualtrieb, um den
Mutter-, Zerstörungs- und Todestrieb. Chomsky hat dieses
Erklärungsmodell in die Linguistik eingeführt und erklärt die Sprache
einfach zu einer Performanz der Kompetenz zu ihr, diese wiederum leitet
er aus einer "black box" ab, einer Kraft, die man selber nicht
bestimmen könne und deren man deshalb nur über ihre Äußerung habhaft
werde. 21) Schließlich hat Kant diesen Begriff auch noch in der
Philosophie angewendet, wo er das Erkennen aus den Bedingungen des
Erkenntnisvermögens bestimmte. 22) Die Kritik des erklärenden Begriffs
der "Kraft" müßte die Schwäche aller dieser Erklärungen aufdecken.
Hegel erklärt zunächst einfach, was der Inhalt des Begriffs 'Kraft'
ist: Kraft ist nicht eine Sache für sich, sondern ein Verhältnis;
genauer ist sie das bewegende Moment in diesem Verhältnis und zugleich
das ganze Verhältnis. Sie schließt ihre Äußerung notwendig ein, denn
nur durch diese betätigt und bewährt sie sich als Kraft.
"Die Kraft ist als das Ganze, welches an sich selbst die negative
Beziehung auf sich ist, die, sich von sich abzustoßen und sich zu
äußern. Aber da diese Reflexion-in-Anderes, der Unterschied der Teile
ebensosehr Reflexion-in-sich ist, so ist die Äußerung die Vermittlung,
wodurch die Kraft, die in sich zurückkehrt, als Kraft ist. " 23)
Zugleich ist die Kraft "negative Beziehung auf sich", weil sie nur
Kraft ist und sein kann, indem sie sich als solche aufgibt, zur
Äußerung wird und damit nicht mehr Kraft ist. Die Kraft hat also ihre
wahre Existenz nur in ihrer Äußerung, in der sie als Resultat, aber
eben gar nicht mehr als das Bewegende vorliegt. Die als Äußerung
bestimmte Sache soll durch die Kraft erklärt, in ihrer Notwendigkeit
bestimmt werden; die ganze Bestimmtheit der Kraft aber liegt selber
wieder nur in der Äußerung. Durch die Äußerung - die Kraft einmal
gedanklich als Subjekt genommen - nimmt die Kraft selber die bloß
behauptete Differenz zur Äußerung zurück und zeigt die inhaltliche
Identität von Kraft und Äußerung.
"Ihre Äußerung ist selbst das Aufheben der Verschiedenheit der beiden
Seiten, welche in diesem Verhältnisse vorhanden ist, und das Setzen der
Identität, die an sich den Inhalt ausmacht." 24)
Für eine Erklärung der Äußerung also taugt der Begriff der Kraft nicht.
Denn wenn auch zum Gesetz die Identität von Ursache und Wirkung gehören
- die Ursache muß mit Notwendigkeit immer die Folge einschließen, sonst
ist sie keine Ursache - so gehört dazu doch umgekehrt auch die
Differenz: wenn das Bewegende und das Bewegte ein und dasselbe sind,
dann ist eben nicht eines das Erste und das andere das daraus Bewirkte.
"Man pflegt zu sagen, daß die Natur der Kraft selbst unbekannt sei und
nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze
Inha1tsbestimmung der Kraft ebendieselbe als die der Äußerung; die
Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine leere
Tautologie. Was unbekannt bleiben soll, ist also in der Tat nichts als
die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein die Kraft von der
Äußerung unterschieden ist. Diese Form tut zum Inhalte und zum Gesetze,
welche nur aus der Erscheinung allein erkannt werden, im geringsten
nichts hinzu. Auch wird überall versichert, es solle damit über die
Kraft nichts behauptet werden; es ist also nicht abzusehen, warum die
Form von Kraft in die Wissenschaften eingeführt worden ist." 25)
Hegel ist mit dieser Widerlegung der behandelten Erklärungsweise aber
noch nicht fertig; er nimmt den offenbar mißlungenen Erklärungsversuch
auch nach Aufdeckung seiner Haltlosigkeit noch ernst und will das
retten, was gemeint war, aber nicht gesagt wurde. Überdies war der oben
angeführte Vergleich mit dem Gesetz ein Vorgriff; Hegel führt den Leser
erst durch die bestimmtere Kritik der Kraft auf diesen Begriff hin. Er
bemerkt in der Behauptung von Unerkennbarkeit der Kraft die Erinnerung
an das Richtige, daß es ein Mangel einer Erklärung sei, wenn man von
dem Grund einer Sache nichts wisse, und sieht darin auch das
Bekenntnis, daß man eine Determination der Äußerung, Notwendigkeit
gemeint hatte und die Tautologie nur sagte.
"Andernteils ist aber die Natur der Kraft allerdings ein Unbekanntes,
weil sowohl die Notwendigkeit des Zusammenhangs ihres Inhalts in sich
selbst als auch desselben, insofern er für sich beschränkt ist und
daher seine Bestimmtheit vermittels eines Anderen außer ihm hat, noch
mangelt." 26)
Hegel untersucht also die formelle Vorstellung von Grund und Folge, die
aber inhaltlich in die Tautologie geraten ist, weiter, um zu zeigen,
wie die Kraft die Äußerung gar nicht mit Notwendigkeit determinieren
kann: Die Kraft hat nur Wirklichkeit durch ihre Äußerung und in ihr,
aber diese hängt von ihr gar nicht ab. Die Kraft bringt die Äußerung
gar nicht von sich aus hervor, sie äußert sich nicht immer und
notwendig, sondern ist abhängig von Umständen. Zunächst ist die Kraft,
die als wesentlich gegen ihre Äußerung vorgestellt wird, unwesentlich
vorgestellt, insofern sie "für sich" ist. Dies "zeigt sich zunächst
darin, daß eine jede Kraft bedingt ist und zu ihrem Bestehen eines
Anderen bedarf, als sie selbst ist. So hat z.B. die magnetische Kraft
bekanntlich ihren Träger vornehmlich am Eisen, dessen sonstige
Eigenschaften ... von dieser Beziehung zum Magnetismus unabhängig
sind." 27)
"Es liegt in ihm (dem Träger der Kraft; d.V.) nach dieser Bestimmung
kein Grund, eine Kraft zu haben; die Kraft hingegen als die Seite des
Gesetztseins hat wesentlich das Ding zu seiner Voraussetzung. Wenn
daher gefragt wird, wie das Ding oder die Materie dazu komme, eine
Kraft zu haben, so erscheint diese als äußerlich damit verbunden und
dem Dinge durch eine fremde Gewalt eingedrückt." 28)
Die Erklärung einer Sache durch eine Kraft, die dann aber nur durch
ihre Äußerung bestimmt ist, kann also gar nicht erklären, warum und wie
denn nun z.B. der Mensch den Trieb zur Aggression an sich hat. Er
erscheint als "blinder Zufall", ebenso wie der Fall seiner Äußerung
nichts mit dem Trieb selber zu tun hat:
"Die Endlichkeit der Kraft zeigt sich ferner darin, daß dieselbe, um
sich zu äußern, der Sollizitation bedarf. Dasjenige, wodurch die Kraft
sollizitiert wird, ist selbst wieder Äußerung einer Kraft, welche, um
sich zu äußern, gleichfalls sollizitiert werden muß. Wir erhalten auf
diese Weise wieder den unendlichen Progreß." 29)
Hegel hält nun das Resultat seiner Kritik des Kraft-Begriffs und seiner
Weiterführung des wissenschaftlichen Denkens fest:. Zunächst ist die
Vorstellung einer inneren und die Äußerung bewirkende Kraft aufzugeben,
- denn da sie keinen anderen Inhalt haben kann als die Äußerung, ist
sie auch nichts anderes als sie. Die Idee des ganz Inneren, das von der
Äußerung verschieden ist und sich doch nicht von ihr unterschieden
geltend macht, ist der Fehler:
"Ihre Wahrheit (von Kraft und Äußerung, d.V.) ist darum das Verhältnis,
dessen beide Seiten nur als Inneres und Äußeres unterschieden sind." 30)
"Das Äußere ist daher fürs erste derse1be Inha1t als das Innere. Was
innerlich ist, ist auch äußerlich vorhanden; umgekehrt: die Erscheinung
zeigt nichts, was nicht im Wesen ist, und im Wesen ist nichts, was
nicht manifestiert ist." 31)
Im Weitern ist dann der Gedanke des Grundes und der Notwendigkeit als
ein Verhältnis zwischen Erscheinenden, zwischen äußeren Dingen
aufzufassen (nicht zwischen innen und außen), und zwar nach der
Bestimmtheit der beiden selbständigen Seiten, die im Verhältnis der
Notwendigkeit zugleich aber notwendig verbunden sind.
Die Frage, was man aus derartigen logischen Analysen der Begriffe der
Wissenschaft lernen kann, ist leicht beantwortet: man entdeckt Fehler;
nicht einzelne, zufällige, sondern solche, die allgemein gemacht werden
und deshalb schon in den Begriffsapparat der Wissenschaften eingegangen
sind. Damit ist aber - und das ist wichtig in anbetracht des
Luxuscharakter der Logik - kein Argument für die Notwendigkeit der
Logik gefallen. Gewiß ließe sich der Fehler einer Erklärung nach dem
besprochenen Muster in seiner "Anwendung" seitens der Psychologie oder
der Linguistik entdecken. Notwendigerweise kommen alle Momente der
falschen Erklärung auch bei der "Anwendung" wieder vor; sie sind da
weder schwerer noch leichter zu kritisieren als bei der abstrakten
Betrachtung der Begriffe ohne den besonderen einzelwissenschaftlichen
Inhalt. Wer sich allerdings einmal den allgemeinen Begriff dieses
Fehlers vergegenwärtigt hat, ist in dem Vorteil, ihn an vielerlei
Beispielen nur noch wiederentdecken zu müssen.
b) Das Urteil
Vielleicht zurecht könnte Hegel der Vorwurf gemacht werden, die
rationellen Ergebnisse seiner Logik seien Trivialitäten - und bestimmt
wäre Hegel der erste, der diesen Vorwurf akzeptieren würde. Tatsächlich
wird von ihm ja nur bewußt gemacht, was jeder denkende Mensch ohne viel
Nachdenken beim Denken tut. Allerdings scheint in der modernen
Gesellschaft, der ersten, die die Wissenschaft universell durchsetzte
und auf ihrer Anwendung beruht, ein unwiderstehlicher Drang zu
herrschen, sich über sein Tun zu täuschen; deshalb hat der Versuch zu
sagen, was das Denken ist und was das Denken tut, noch immer etwas
keineswegs Selbstverständliches an sich.
Mehr noch als von dem oben behandelten Beispiel für die
Erklärungsbegriffe könnte der Vorwurf der Trivialität von der
Darstellung des Tuns des Denkens in der 'Logik des subjektiven
Begriffs' gelten. Urteile werden laufend gefällt, und keiner meint, er
wisse nicht, was er damit tut. Mehr noch - ein gesondertes Wissen von
diesem Tun wird jedenfalls nicht beim Urteilen helfen und auch nicht
dafür sorgen, daß in Zukunft nur noch richtige Urteile gefällt werden.
Die Darlegung dessen, was ein Urteil ist, taugt nur zur Kritik eines
ebenso luxuriösen, jedoch falschen Selbstbewußtsein dieses Tuns. Diese
Klärung kann zur Bekämpfung des bereits charakterisierten
instrumentellen Denkens höchstens insofern beitragen, als es das zu ihm
gehörige Selbstbewußtsein der Theorie, die Methodologie der
instrumentellen Wissenschaft aus den Angeln hebt. Als ein solches, den
Umweg wählendes Verfahren ist es gewiß wenig zweckmäßig und um so mehr
ein Luxus des Geistes. Hier wurde das Urteil als Beispiel auch nicht
wie das erste gewählt, um den Nutzen der Kritik von falschen
Erklärungsbegriffen vorzuführen, sondern um einmal am besonderen Fall
durchzuspielen, was das 'ominöse' Dialektische bei Hegel ist.
"Das Urteil wird gewöhnlich in subjektivem Sinn genommen, als eine
Operation und Form, die bloß im selbstbewußten Denken vorkomme." 32)
Selbstverständlich kommt das Urteilen nur im Denken und nicht im
Tierreich vor, schließlich war ja auch das Denken der Gegenstand der
'Logik'. Das Richtige, was Hegel mit 'bloß subjektiver' Auffassung des
Urteils meint, präzisiert er im folgenden (im nächsten Zitat): Es
besteht darin, daß der Versuch, das Urteil als Tätigkeit des
erkennenden Subjekts zu bestimmen, gerade darüber hinwegsehen läßt, was
das Subjekt da tut. So wird das Urteil nur als Resultat einer Tätigkeit
bestimmt, durchs Verhältnis zum Urteilenden, nicht an sich selbst. Mit
dieser Betonung der Tätigkeit, ohne sich auf ihren Inhalt weiter
einzulassen, bestimmt man das Urteil dem Inha1t nach als etwas "bloß"
subjektives, nicht in der Sache begründetes, gerade weil man sich auf
seinen Inhalt nicht eingelassen hat. Nichtbestimmung und Auffassung des
Urteils als etwas bloß Subjektiven gehören zusammen.
"Diese äußerliche Auffassung zeigt sich dann noch bestimmter, wenn von
dem Urteil gesagt wird, daß dasselbe dadurch zustande komme, daß einem
Subjekt ein Prädikat beigelegt werde. Das Subjekt gilt hierbei als
draußen für sich bestehend und das Prädikat als in unserem Kopf
befindlich. Dieser Vorstellung widerspricht indes schon die Kopula
'ist'. Wenn wir sagen: 'Die Rose ist rot', ... so ist damit
ausgesprochen, daß wir es nicht sind, die es der Rose äußerlich antun,
rot zu sein, sondern daß dies die eigenen Bestimmungen dieser
Gegenstände sind." 32a)
Das Urteil wird so aber nicht nur als bloß subjektiv genommen; die
Unbestimmtheit der Charakterisierung verhindert auch, daß abgesehen
wird, was sich im Urteil tut - damit aber wird eben das Argument für
die Objektivität des Urteils unterschlagen.
"Nach dieser subjektiven Betrachtung werden daher Subjekt und Prädikat,
jedes als außer dem anderen für sich fertig, betrachtet; das Subjekt
als ein Gegenstand, der auch wäre, wenn er dieses Prädikat nicht hätte;
das Prädikat als eine allgemeine Bestimmung, die auch wäre, wenn sie
diesem Subjekt nicht zukäme. Mit dem Urteilen ist hernach die Reflexion
verbunden, ob dieses oder jenes Prädikat, das im Kopfe ist, dem
Gegenstande, der draußen für sich ist, beigelegt werden könne und
solle; das Urteilen selbst besteht darin, daß erst durch dasselbe ein
Prädikat mit dem Subjekte verbunden wird, so daß, wenn diese Verbindung
nicht stattfände, Subjekt und Prädikat, jedes für sich doch bliebe, was
es ist, jenes ein existierender Gegenstand, dieses eine Vorstellung im
Kopfe."
"Vornehmlich ist in jener Erklärung das Wesentliche des Urteils, nämlich der Unterschied seiner Bestimmungen übergangen." 32b)
Dieser Unterschied besteht nämlich darin, daß das Urteil selber die
beiden Bestimmungen des Subjekts und des Prädikats weder als jedes für
sich bestimmt und außer dem Urteil Festes zeigt, noch die beiden Pole
des Urteils als gleichberechtigte gelten läßt. Hatte schon der
Ausgangspunkt des Urteils das Subjekt als den wirklichen Gegenstand,
"das Bestimmte" und das Prädikat als bloßen Gedanken, "das Allgemeine,
das Wesen oder Begriff ausdrückt" 32c) unterstellt, so zwingt das
Urteil selber, indem ja das Subjekt durch das Prädikat bestimmt wird,
zur Umkehrung, zum geraden Austausch dieser Bestimmungen:
"So ist das Subjekt als solches zunächst nur eine Art von Name; denn
was es ist, drückt erst das Prädikat aus, welches das Sein im Sinne des
Begriffs enthält."
"Das Subjekt ohne Prädikat ist, was in der Erscheinung das Ding ohne
Eigenschaften, das Ding-an-sich ist, ein leerer unbestimmter Grund; es
ist so der Begriff in sich selbst, welcher erst am Prädikate eine
Unterscheidung und Bestimmtheit erhält; dieses macht hiemit die Seite
des Daseins des Subjekts aus." 34)
So erscheint in der Polarität des Urteils das Subjekt als der
Bestimmung bedürftiges, als die Abstraktion, als bloßes Gedankending;
das Prädikat aber, welches bestimmt, macht Objektivität und
Wirklichkeit des Subjekts aus.
"Das Subjekt hat erst im Prädikate seine ausdrückliche Bestimmtheit und
Inhalt; für sich ist es deswegen eine bloße Vorstellung oder ein leerer
Name ... was das Subjekt ist, ist erst im Prädikate gesagt." 35)
Somit weist Hegel nach, daß die beiden Pole des Urteils keineswegs vor
und außerhalb des Urteils fertig und für sich bestehend sind, sondern
daß im Urteil die Wahrheit beider Bestimmungen erst hergestellt wird:
"Es (das Urteil; d.V.) enthält erstlich also die beiden Selbständigen,
welche Subjekt und Prädikat heißen. Was jedes ist, kann eigentlich noch
nicht gesagt werden; sie sind noch unbestimmt, denn erst durch das
Urteil sollen sie bestimmt werden." 36)
Vor dem Urteil sind beide Pole etwas "bloß Subjektives", das Subjekt
leere, abstrakte, bloß gemeinte Wirklichkeit; das Prädikat aber eine
allgemeine, freilich unwirkliche Bestimmtheit.
"Es ist für einen verwundernswürdigen Mangel an Beobachtung anzusehen,
das Faktum in den Logiken nicht angegeben zu finden, daß in jedem
Urteil solcher Satz ausgesprochen wird: 'das Einzelne ist das
A11gemeine'." 37)
Erst durch das Urteil wird das Einzelne für das Denken etwas Bestimmtes
und die allgemeinen Bestimmungen zu etwas Objektivem und Gültigem
erklärt:
"alle Dinge sind ein Urteil, - d.h. sie sind Einzelne, welche eine
Allgemeinheit oder innere Natur in sich sind, oder ein Allgemeines, das
vereinzelt ist." 38)
Diese Stelle aus der 'kleinen Logik' setzt die obige (siehe FN 19)
problematische Stelle des § 167 fort. Auch hier soll noch nicht auf den
Fehler Hegels eingegangen, sondern nur seine Überlegung dahingehend
referiert werden, daß der rationelle Gehalt klargestellt wird. Nicht
die Dinge sind Urteile, sondern das Denken der Dinge besteht im
Urteilen: im Denken sind alle Dinge Urteile, denn anders kommt das
Denken nicht über den leeren Namen, den schon die Sprache ohne
besondere Wissenschaft weiß, hinaus. Der Name aber ist ja die bloße
Versicherung, die subjektive Gewißheit, das, was er bezeichnet, sei
schon irgend etwas Bestimmtes, Objektives und damit mit sich
Identisches. Im Urteil wird aber eben diese Gewißheit widerrufen, die
Identität mit sich, die im Gedanken des Gegenstands liegt, wird
"negiert". Das Subjekt im Urteil ist das "negativ sich auf sich
Beziehende". 39) Es hat als leerer Name das gar nicht zum Inhalt, was
es ist; der Name ist noch gar kein Begriff; was er meint, kann er
allein gar nicht sagen. Die Bestimmtheit einer Sache hat das Denken
also einzig darin, daß es diese Sache ungleich mit sich selber setzt
und gleich mit etwas, was sie nicht ist, mit dem Prädikat. Erst durch
die Identität mit Anderem wird sie für den Gedanken das
Für-sich-seiende und Bestimmte, das sie ist. Hegel kritisiert also
zurecht die sogenannte statische Auffassung der Begriffe, denn sie
sind, was sie sind - die Sache in Gedanken -nur durch ihre
Verhältnisse, in denen sie sich mit sich nicht-identisch setzen, um
ihre Identität zu bestimmen. (Auch hier muß vorläufig über die
Hegelsche Redeweise hinweggesehen werden, die nicht das Denken, sondern
seine Begriffe Subjekte der Tätigkeit werden läßt.)
"Nun ist aber der Begriff als solcher nicht, wie der Verstand meint,
prozeßlos in sich verharrend, sondern vielmehr, als unendliche Form,
schlechthin tätig, gleichsam das punctum sa1iens aller Lebendigkeit und
somit sich von sich selbst unterscheidend." 40)
c) Die dialektische Methode
Die dialektische Methode, die so viel falsches Interesse gefunden und
sich ebenso viele falsche Feinde erworben hat, kann nach dem bisher
Besprochenen in nichts anderem bestehen als in der nachträglichen und
zur Analyse der einzelnen Gedanken und Tätigkeiten des Denkens
zusätzlich hinzutretenden allgemeinen Bestimmung dieses Ganges. Es ist
wichtig zu verstehen, daß mit der Bestimmung des allgemeinsten
Fortschreitens aller möglichen besonderen Gedanken so gut wie nichts
mitgeteilt wird - schon gar keine Anleitung, was man in der
Wissenschaft zu tun habe - ja daß sich die bei Hegel so
leidenschaftlich diskutierte Charakterisierung des "Dialektischen"
wahrhaftig der Tautologie nähert:
"Das Einzige, ein den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, - und
ein dessen ganz einfache Einsicht sich wesentlich zu bemühen ist, - ist
die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr
positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in
das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation
eines besonderen Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle
Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst,
somit bestimmte Negation ist, daß also im Resultate wesentlich das
enthalten ist, woraus es resultiert; - was eigentlich eine Tautologie
ist, denn sonst wäre es ein Unmittelbares, nicht ein Resultat." 41)
Der wissenschaftliche Fortgang bewirkt, so wird richtig und trivial
festgestellt, daß man am Ende der Wissenschaft mehr von der Sache, die
in Rede stand, weiß als am Anfang; daß das Resultat der Wissenschaft
zwar immer noch das unmittelbare Objekt der Anschauung ist, von dem die
Untersuchung ausging, aber nicht mehr als unmittelbares, sondern als
Resultat des Bestimmens. Grund der Wissenschaft also war der Mangel an
Bestimmtheit, der im Namen für das unmittelbare, bloß bezeichnete
Objekt der Anschauung liegt. Dieser Mangel für sich festgehalten ist
die "Negation" des eben nur scheinbar für sich bestimmten Namens. Sie
gibt zugleich das Argument für die präzisere Bestimmung ab.
"Indem das Resultierende, die Negation, bestimmte Negation ist, hat sie
einen Inhalt. Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere reichere
Begriff als der vorhergehende." 42)
Die Negation ist also keineswegs als eine kritische Tätigkeit gegen das
Objekt aufzufassen - oder höchstens als kritisch gegen den Namen, der
erst durch die Gleichsetzung mit dem von ihm unterschiedenen Prädikat
zum Begriff erhoben wird. Die Negation, von der hier die Rede ist, kann
man also - je nach Einstellung - nicht etwa treiben oder vielleicht
auch lassen, wenn man mehr dem Positiven zuneigt, sie ist die Tätigkeit
des Denkens und die andere Seite des Bestimmens.
Es gibt nun aber auch noch das Moment, daß die "absolute Methode des
Denkens", die man nicht bewußt zu wählen braucht, weil man gar nicht
anders denken kann, selbstbewußtes Moment des Theorietreibens wird: Als
eine Methode der Darstellung wissenschaftlicher Einsichten bestimmt
sich mit ihr das wissenschaftliche System. Es besteht darin, daß hier
die Urteile nicht einzeln als objektive gewußt werden, sondern alle
Urteile über eine Sache in ihrer Notwendigkeit, damit in ihrer
Beziehung zu dem Ganzen, dem sie angehören, dargestellt werden. Das
vollendete Wissen, sagt Hegel, sei System.
"Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das
wissenschaftliche System derselben sein. ... Die innere Notwendigkeit,
daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in seiner Natur, und die
befriedigende Erklärung hierüber ist allein die Darstellung der
Philosophie selbst." 43)
Die Besonderheit des wissenschaftlichen Systems besteht darin, daß es
nicht ein Agglomerat von richtigen Urteilen ist, sondern diese
untereinander mit notwendigen Argumenten verbunden sind, d.h., daß auf
jeder Stufe der Argumentation der Mangel der so erreichten Bestimmung
der Sache explizit gemacht wird und so zu einer weiteren reicheren
Bestimmung überzugehen Anlaß gegeben ist.
"Die Methode, wie in der Wissenschaft de Begriff sich aus sich selbst
entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten ist -" "heiße ich
Dialektik." 44)
Hier stellt sich dann das bekannte Problem des Anfangs, da erst
herausgefunden sein will, welche Bestimmung die allgemeinste und damit
einfachste ist, aus der alle weiteren abgeleitet werden. 45) Im
vollendeten System sind dann alle Momente einer Sache, z.B. alle
Einrichtungen, Maßnahmen und Gesetze des Staates, schon durch ihre
Stellung im System in ihrem Verhältnis zu ihrem allgemeinen Zweck
dargestellt.
Wichtig ist hier nicht die Entfaltung der Eigenschaften des Systems,
sondern noch einmal eine Klarstellung dessen, was damit geleistet ist
und was nicht; vor allem aber, ob dies als Methode im üblichen Sinn
aufzufassen ist oder nicht. Der Umstand, daß die systematische
Darstellung eine Trennung von Forschung und Darstellung 46) nötig
macht, hat dazu geführt, daß mit diesen beiden Seiten, die bei Hegel
Analyse und Synthese heißen, ein besonderer Inhalt und Sinn verbunden
wurde, so als ob die Analyse ein kritisches, die Synthese ein
affirmatives Tun des Denkens wäre. Dabei muß aber der Inhalt der
Systembestimmung vergessen worden sein. Im Resultat der Analyse ist der
Begriff einer Sache doch herausgefunden, ihm gegenüber aber stehen noch
die vielen, chaotischen Einzelurteile über dieselbe Sache. (Ob diese
nun wahr sind oder nicht, tut nichts zur Sache.) Werden sie nun in eine
systematische Ordnung gebracht, und es sieht so aus, "als habe man es
mit einer Konstruktion a priori zu tun", dann mag diese Ordnung
schwierig zu bewerkstelligen sein, wenn das Material falsche Urteile
über die Sache sind, richtiger oder falscher werden sie so nicht. Die
systematische Darstellung ist also die adäquate Präsentation des
vollständigen Wissens über eine Sache, Kriterium der Wahrheit ist sie
keinesfalls. Der Vorzug dieser Darstellung löst sich schlicht auf in a)
größtmögliche Einfachheit 47) - denn die einfachste Art, eine
vielfältig bestimmte Sache zu entwickeln, ist eben die logische - und
größte Sachlichkeit 48) - denn in der Systematik "spiegelt sich das
Leben des Stoffs ideell wider".
2. Der Fehler Hegels
Hegel weiß, wie erwähnt, alle seine Einsichten in die Natur des Denkens
als Luxus gegenüber den nützlichen Wissenschaften, als den Sonntag des
Intellekts, an dem er frei von Aufgaben und Pflichten es sich leisten
kann, sich mit sich zu befassen. Trotzdem aber läßt er das Wissen des
Denkens von sich nicht als ein gegenüber den nützlichen Kenntnissen der
geistigen und natürlichen Welt weniger wichtiges, oder wenigstens als
eben ein anderes Wissen neben anderem gelten, sondern behauptet es als
das höchste Wissen - das "Wissen von Wissen" als das Wissen überhaupt,
als alles Wissen. 49) Während es im Unterschied zu
den Wochentagen am Sonntag nicht darauf ankommt, was einer tut,
bestimmt Hegel das luxuriöse Wissen des Denkens von sich als
Selbstzweck - soweit richtig - und als Ziel und Zweck des nützlichen
Wissens:
"So ist die Philosophie Bewußtsein - Zweck für sich selbst - und aller Zweck für sie."
"Die Wahrheit ist um ihrer selbst willen, und alle weitere Wirklichkeit
ist eine Verkörperung, äußerliche Existenz derselben." 50)
Die ganze "weitere" Wirklichkeit erscheint Hegel als Verkörperung des
Wissens; das Wissen als alle Realität. Diese sogenannte Vergeistigung
der Wirklichkeit, die Erklärung der ganzen Welt zur Äußerung der
Subjektivität "des" Begriffs, ist bekannt und kann wörtlich in der
Einleitung zur 'Logik' nachgelesen werden:
"Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich
des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie
ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen
ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in
seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen
Geistes ist." 51)
Dieses Resultat aufzudecken und zu mißbilligen, ist wirklich nichts
besonderes - in unserer Zeit wird das Resultat Hegels zurecht allgemein
für abwegig gehalten. Von größerem Interesse dürfte aber die Frage
sein, wie Hegel, von dem man doch einiges lernen kann, auf diese
Eigentümlichkeit kommt, denn für Hegels Fehler fehlt in der modernen
Wissenschaft beinahe jedes Verständnis, weil in ihr die Grundlage für
diesen Fehler völlig abhanden gekommen ist.
Hegels Anliegen bei der Untersuchung des Denkens - und zwar sowohl in
der positiven Darstellung der Logik wie auch gegen Kant - bestand stets
darin zu zeigen, daß die erkenntnistheoretische Konstruktion einer
inhaltlichen Differenz zwischen den Bestimmungen der Objekte und denen
des Denkens in sich zusammenfällt, bzw. daß das Denken die "bloße"
Subjektivität seiner Begriffe - siehe das Urteil - selber überwindet
und zur Objektivität emporhebt. Die Gedanken sind objektiv - ist sein
Resultat.
Wenn aber die Gedanken dem Inhalt nach objektiv sind, dann gibt es
Allgemeinheit, Gesetz, Begriff ja wirklich, dann bestimmen sie den
Gegenstand - dann, so schließt Hegel, kann auch von einer formellen
Differenz nicht die Rede sein. Er meint, man könne sich dazu
"auf die eigenen Vorstellungen der gewöhnlichen Logik berufen; es wird
nämlich angenommen, daß z.B. Definitionen nicht Bestimmungen enthalten,
die nur ins erkennende Subjekt fallen, sondern die Bestimmungen des
Gegenstands, welche seine wesentlichste Natur ausmachen. Oder wenn von
gegebenen Bestimmungen auf andere geschlossen wird, wird angenommen,
daß das Erschlossene nicht ein dem Gegenstand Äußerliches und Fremdes
sei, sondern daß es ihm vielmehr selbst zukomme, daß diesem Denken das
Sein entspreche. - Es liegt überhaupt bei dem Gebrauche der Formen des
Begriffs, Urteils, Schlusses, Definition, Division usf. zugrunde, daß
sie nicht bloß Formen des selbstbewußten Denkens sind, sondern auch des
gegenständlichen Verstandes." (Hervorh. vom Verf.) 52)
Für Hegel ist dieser Übergang so selbstverständlich, das er gar kein
Argument dafür anführt: wo er zurecht darauf verweisen kann, daß das
"Denken dem Sein entspreche", glaubt er sich berechtigt zu behaupten,
daß darum das Sein ein Denken sei. Weil die Begriffe objektiv sind,
hält er die Objektivität für einen Begriff; während der Verstand die
Welt begreift, sieht Hegel die Welt als einen "gegenständlichen
Verstand".
Der Fehler dieses Übergangs liegt auf der Hand, Marx hat ihn schon sehr
treffend kritisiert: 53) Hegel nimmt die Weise, wie der Verstand sich
einzig die Welt aneignen kann, nämlich durch die urteilende und
schließende gedankliche Reproduktion des Konkreten, als die -
gedanklich nachvollzogene - Konstitution des Konkreten selbst. In
dieser Gleichsetzung ist Hegel selbst noch im scholastischen
Nominalismus-Realismusstreit befangen: Er hatte gegen Kant emphatisch
auf der Objektivität der Wissenschaft beharrt und verlangt, Philosophie
habe endlich wissenschaftlich zu werden. Kant hatte seinerseits die
Objektivität des Denkens lediglich mit dem Argument bestritten, daß wir
es sind, die uns Gedanken machen, unsere Bestimmungen also auf schon
vor und unabhängig von den Gedanken existierende Gegenstände und damit
von außen angewendet werden. Hegel wandte dagegen ein, daß Kant die
Differenz des Gedankeninhalts von den Dingen gar nicht wisse und nicht
wissen könne, kritisierte also die Skepsis endgültig - und geht dann
doch noch dazu über, nicht an den Gedanken (das macht er in der Logik),
sondern an den Objekten zu erklären, warum diese den Gedanken, die sie
doch wissen, überhaupt zugänglich seien. Sie können nach Hegel nur
deshalb gedacht werden, weil sie schon von sich aus verwirklichte
Gedanken sind. Hegel bleibt also mit all seinen Einsichten in die Natur
des Denkens innerhalb des metaphysischen Streits, der die Gedanken
entweder als inhaltlich bloß subjektiv oder als letzte metaphysische
Weltursache gelten läßt.
Verständlich wird Hegels Fehler - ähnlich wie der Kants - daraus, daß
er nicht einfach mit der Praxis des wissenschaftlichen Denkens, sondern
mit der Logik, dem Beweis seiner Objektivität befaßt war, um - nicht
mehr, wie Kant, die Möglichkeit, sondern - die Notwendigkeit der
Wissenschaft zu beweisen. Wer, um einmal die aus der Tradition Hegels
stammende Metapher zu gebrauchen, die 'Logik des Kapitals' studiert,
der kennt hinterher das Kapital, nicht die Logik; der weiß dann aber
auch, daß in dieser Produktionsweise der Profit regiert, nicht der
Begriff. Wer aber dieses wie alles andere Wissen logisch untersucht,
der weiß, daß sein Wissen gilt und daß die Logik das Gesetz des
Wissens ist. Und wenn er die Leistung des Denkens feiern will, die
"Macht des Begriffs" verehrt und die Identität von Begriff und Sache
wörtlich als eine vom Geist erzeugte versteht, so "erschließt" er die
seinem Denken vorausgesetzte Objektivität als Werk der Idee - so daß
für ihn die Logik die Welt der Erscheinungen "regiert". 54)
Mit diesem Fehler hat Hegel seiner philosophischen Wissenschaft ein
neues Erkenntnisziel gesetzt. Sie soll nicht mehr einfach die Sache
erkennen, sondern immerzu sich in der Sache. Hegel sieht zwischen
diesen beiden Formulierungen freilich keinen Unterschied.
"Die Methode ist deswegen als die ohne Einschränkung allgemeine,
innerliche und äußerliche Weise und als die schlechthin unendliche
Kraft anzuerkennen, welcher kein Objekt, insofern es sich als ein
äußerliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhängiges präsentiert,
Widerstand leisten, gegen sie von besonderer Natur sein und von ihr
nicht durchdrungen werden könnte." "Sie ist darum die höchste Kraft
oder vielmehr die einzige und absolute Kraft der Vernunft nicht nur,
sondern auch ihr höchster und einziger Trieb, durch sich selbst in
allem sich selbst zu finden und zu erkennen." 55)
Die erkennende Vernunft entdeckt immerzu - und zwar unabhängig von der
Eigenart des Objekts - sich, einzig durch die Erkenntnis; denn alles,
was erkannt wird, hat eben in seinem Erkanntwerden seine
Vernünftigkeit, d.h. seine Geist-Gleichheit unter Beweis gestellt.
Entgegen Hegels Meinung besteht dagegen nicht nur in der Bewertung der
Vernünftigkeit des Objekts, sondern auch im Erkenntnisziel eine
erhebliche Differenz zwischen der Erkenntnis der Sache und der
Wiederfindung der Vernunft in der Sache. Als Beispiel sei hier die
Weise erwähnt, wie Hegel die klassische politische Ökonomie (Smith,
Ricardo und auch den nicht dazugehörigen Say) kommentiert:
"Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke aus der
unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die
einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie
regierenden Verstand herausfindet." 56)
Im mündlichen Zusatz spricht Hegel noch deutlicher aus, daß ihm das
ökonomische Gesetz nicht weiter wichtig ist, sofern nur ein Gesetz
gefunden wird, das dann der Verstand des Ganzen ist.
"Aber dieses Wimmeln von Willkür erzeugt aus sich allgemeine
Bestimmungen, und dieses anscheinend Zerstreute und Gedankenlose wird
von einer Notwendigkeit gehalten, die von selbst eintritt. Dies
Notwendige hier aufzufinden, ist Gegenstand der Staatsökonomie, einer
Wissenschaft, die dem Gedanken Ehre macht, weil sie zu einer Masse von
Zufälligkeiten die Gesetze findet." 57)
Hegel ist mit einer Sache schon fertig, wenn gewährleistet ist, daß
irgendein Gesetz gefunden wird. Zugleich ist damit auch die Sache mit
Vernunft begabt, denn es regiert Sie ein Gesetz.
Das neue Erkenntnisziel, durch Abstraktion vom Inhalt die Logik als das
Wesen aller Dinge zu denken und sich durch Abstraktion von ihnen in
ihnen wiederfinden zu lassen, 58) genügt Hegel allerdings keineswegs.
Er hält im Fehler noch an der richtigen Einsicht fest, daß das Wesen
der Wirklichkeit, das er durch Abstraktion vom Inhalt des Wissens
gewonnen hatte, darin mangelhaft ist, daß es eben bloß das Wesen und
nicht seine Wirklichkeit ist. Auf Basis seiner Abstraktion bemerkt er
die Abstraktion als Problem: die Logik, die von allem Inhalt befreit
bloße Form ist, muß doch Logik von etwas sein; Hegels Logik ist, mit
seinen Worten, Gott vor der Erschaffung der Welt. 59)
Die Wissenschaft muß also nicht durch Reduktion, sondern durch
Konstruktion die Wirklichkeit aus der Logik deduzieren; ihr Beweis
besteht in der Darstellung aller natürlichen und geistigen Dinge als
"Selbstvergegenständlichungen der Logik" 60) Daher braucht die
Hegelsche Philosophie die Enzyklopädie: erst das vo11ständige System
ist der Realitätsbeweis der Logik die sich als Demiurg in alle Welt
entäußert und durch die Erkenntnis diese ihre Äußerlichkeit und
Gegenständlichkeit zurücknimmt. 61)
"Nun ist aber in der Tat das Objekt an sich der Begriff, und indem
derselbe, als Zweck, darin realisiert wird, so ist dies nur die
Manifestation seines eigenen Innern. Die Objektivität ist so gleichsam
nur die Hülle, unter welcher der Begriff verborgen liegt ... Die
Vollführung des unendlichen Zwecks ist so nur, die Täuschung
aufzuheben, als ob er noch nicht vollführt sei. Das Gute, das absolut
Gute, vollbringt sich ewig in der Welt, und das Resultat ist, daß es
schon an sich vollbracht ist und nicht erst auf uns zu warten braucht.
Diese Täuschung ist es in der wir leben ... Die Idee in ihrem Prozeß
macht sich selbst jene Täuschung, setzt ein Anderes sich gegenüber, und
ihr Tun besteht darin, diese Täuschung aufzuheben. Nur aus diesem
Irrtum geht die Wahrheit hervor." 62)
Aus dem Realitätsbeweis der Logik ergeben sich für die
wissenschaftliche Analyse der geistigen und natürlichen Gegenstände,
die aus den Bestimmungen der Logik deduziert werden, folgende Fehler
und Probleme im einzelnen:
a) Die Erklärung wirklicher Gegenstände besteht in ihrer Subsumtion
unter die logische Kategorie, ebenso werden die Übergänge nach dem
Muster der Logik, nicht nach der "Logik der Sache" gewonnen. 63) Der
Sache nach richtige Übergänge werden im Nachhinein noch einmal ins
Logische übersetzt und so auf das hin interpretiert, was sie leisten
sollen.
b) Ein besonderer Fall dieser Weise der Erklärung besteht darin, daß
Gegenstände als ihr Prädikat logische Kategorien erhalten: "Alle Dinge
sind ein Urteil" oder "Die Strafe ist Negation". 64)
c) Das wissenschaftliche System bekommt einen anderen Stellenwert. War
es oben bestimmt als die adäquate Weise, den begriffenen Gegenstand
darzustellen, nicht aber Kriterium der Wahrheit, so wird es unter der
Anforderung, den Realitätsbeweis der Logik zu liefern, zum Kriterium
schlechthin. Nicht, was wie zusammenhängt, ist wichtig, sondern daß
alles darunterpaßt. Denn jede Feder, wie der nur dadurch berühmt
gewordene Wilhelm Traugott Krug spitzfindig bemerkte, die nicht unter
die Logik paßt, d.h. nicht aus ihr deduziert werden kann, ist ein
Einwand gegen die Verwirklichung der Logik in "ihrem Anderen". 65)
d) Diese Systemnot schlägt auch auf die Logik, das "eigentliche"
Subjekt des Systems zurück. Sosehr die Erklärungen der logischen
Kategorien immanent stimmen, sosehr sind andererseits die Übergänge
zwischen den Bestimmungen der Seins- und Wesenslogik zur Begriffslogik
sowie die Übergänge innerhalb dieser fragwürdig. Z.B. ist der Gedanke
aus der Seinslogik, daß jede Qualität eine quantitative Bestimmung
einschließt, daß es eine Qualität ohne Quantität nicht geben kann, so
einfach wie notwendig; ebenso die besprochene Notwendigkeit der
Erklärungsweise der 'Kraft', sich zum Begriff der Kausalität zu
entwickeln. Warum aber das Gesetz zum Zweck und die Teleologie zum
Erkennen übergehen müssen, ist dunkel. In der Natur herrschen Gesetze,
aber keine Zwecke; nur vom Standpunkt der Idee, also vom Schluß der
Logik her erscheint ein bloßes Gesetz als eine Notwendigkeit geringerer
Dignität als der Zweck. Ebenso fehlt jeder Grund, vom praktisch
verwirklichten Zweck zum Erkennen überzugehen. Freilich ist der
verwirklichte Zweck "nur äußerlich am Objekt" 66) aber mehr wollte er
ja auch gar nicht: wenn ein Mittel nützlich, wenn der bekannte
philosophische Pudding gegessen ist, dann ist der Zweck mit sich
"zusammengeschlossen"; nur die von außen hinzutretende Forderung, der
Zweck habe aber nicht nur Sache des Subjekts, sondern auch innerstes
Moment des Objekts zu sein, - also die Forderung der Idee - macht den
Fortgang.
e) Der angestrebte Realitätsbeweis der Logik ist schließlich auch der
Grund dafür, daß Hegel affirmativ ist. 67) Sein Beweis der Objektivität
des Denkens, weil er nicht nur kritisch Kant überwand, sondern positiv
die Übereinstimmung von Denken und Sache aus der Natur der Dinge
begründen wollte, hängt eben von der Umkehrung des Beweissatzes ab: Nur
wenn die Objektivität Gedanke ist, ist der Gedanke objektiv. Erst auf
Basis dieser notwendigen Affirmation 68) erhalten die einzelnen
Schritte des Denkers Attribute, die auf die Beurteilung der
Wirklichkeit gehen: Der mit sich selbst identische und ruhige Geist der
Logik ist im empirischen Bewußtsein im Zustand der Entzweiung; er ist
als Subjekt darin negiert, daß es außer ihm noch etwas Anderes gibt.
Indem er nun sich in sein Anderes versenkt, hebt er die
Gegenständlichkeit des ihn negierenden Objekts noch einmal auf und
affirmiert sich so als das Subjekt von allem Seienden. 69) Nur, weil
Erkenntnis und wissenschaftliches System bei Hegel der Beweis der Logik
sind, erhalten die Charakterisierungen des Denkens (Identität,
Negation, Affirmation) eine Bedeutung, die nicht das Denken selber,
sondern die Einstellung des Denkers zur Wirklichkeit betrifft. In
diesem Sinn kritisiert Hegel den "abstrakten Verstand" und die
"einfache Negation" als praktische Haltungen des Denkenden, sich
kritisch gegenüber der Realität und diese von sich fern zu halten. Die
Argumente, die er gegen den "subjektiven Kritizismus" anführt, haben
aber wieder beide Seiten seiner Philosophie an sich: einerseits wirft
er z.B. Kant vor, er meine, man könne bloß unterscheidend und trennend
denken, als ob nicht jedes Urteil die in Rede stehende Sache von sich
unterscheide und zugleich mit dem Prädikat und damit mit sich selbst
verbinde; andererseits nimmt Hegel auch hier die Erkenntnis als
Realitätsbeweis der Logik und beklagt, daß sich solche Denker mit der
Entzweiung von Subjekt und Objekt, mit dem Faktum der
Gegenständlichkeit, die dem Subjekt als etwas anderes gegenübersteht,
ja mit der Unvernunft sich abfinden würden.
Diese beiden Momente sind in Hegels Philosophie immer vereint, keines
findet sich rein ohne die andere Seite. Das erschwert die Beurteilung
dieser Philosophie.
Dabei ist es ein Idealismus, Hegel die Vermischung vorzuhalten, hat er
doch die ganze treffende Analyse des Denkens überhaupt nur zuwege
gebracht, um sie für seine Versöhnungsphilosophie zu mißbrauchen.
Für uns ist die Unterscheidung dieser beiden Momente daher um so
wichtiger, als nicht nur Adorno, sondern m.E. bis auf Marx die gesamte
Hegelrezeption auf der Nichtunterscheidung dieser beiden Momente beruht.
Exkurs: Probleme der Hegel-Rezeption
Wenn von irgendeiner wissenschaftlichen oder philosophischen
Argumentation Adornos Behauptung, sie sei ohne Verzerrungen nicht
referierbar, gilt, dann von Hegels Logik. Sosehr Adornos Satz im
Allgemeinen fragwürdig ist, sosehr scheint er mir auf die Logik
zuzutreffen. Denn diese ist nicht etwa die Analyse eines Gegenstands,
dessen Begriff zu wissen am Ende das einzige Interesse war - ein
Interesse, das sich auch durch ein abkürzendes Referat befriedigt
sieht, sondern der Gegenstand der Logik ist das Denken selber, d.h.
nach Abstraktion von allem besonderen Inhalt des Denkens sein logisches
"Gerippe". Wird nun von diesem besonderen Inhalt der Logik noch einmal
abstrahiert und nur der allgemeine Begriff derselben oder ihr
systematisches Gerippe festgehalten, dann hat man buchstäblich nichts
mehr in der Hand: 'Das Denken ist Scheiden und Verbinden'; eine
'Triplizität: Position, Negation und Negation der Negation'; oder gar
die Schulbuchverflachung dieser leeren Bestimmung: 'These, Antithese
und Synthese'. Einer auf diese Erkennungsmarke des Hegelianismus
heruntergebrachten Bestimmung des Resultats der 'Logik' fehlt so gut
wie alles, was die wissenschaftliche Erklärung des Denkens ausmacht:
Argument und Notwendigkeit.
Diese sogenannte logische Figur hat sosehr alle Notwendigkeit verloren,
erscheint damit sosehr als eine dem Hegelschen Belieben und seiner
Neigung zu Systemen geschuldete Willkür, daß auch Gelehrte, die
Hegelkenner sind und Verständnis für dessen Einsichten wecken wollen,
diese "Methode" mit einem Brettspiel vergleichen, für das man Regeln
formulieren könne. 70)
Als dieses willkürliche Konstrukt ist die Dialektik nicht mehr die
abso1ute Methode des Denkens und wird auch nicht mehr so aufgefaßt. Man
meint allgemein nicht eine Analyse des Denkens nach dem vollzogenen
Denken vor sich zu haben, sondern eine Methode, deren man sich bedienen
kann, um das Denken in bestimmter Weise zu lenken, oder auch nicht.
Denkmethoden werden, im Bewußtsein der Parteilichkeit dieser Verfahren,
üblicherweise untersucht und ausgewählt nach den Resultaten, die sie zu
bringen versprechen, und nach dem Wunsch des Wissenschaftlers, dieses
Resultat erzielen zu wollen.
Anhänger der so verstandenen Hegelschen "Methode" haben seit Friedrich
Engels den Fehler ausgeprägt, sich Beispiele auszudenken, auf die das
obige Schema Anwendung finden könnte. Daher scheint mir Adornos
Bemerkung zur allgemeinen Schwäche der Hegelrezeption die Sache nicht
zu treffen. Seine Kritik trifft den ersten Schritt der Interpretation
der dialektischen Methode: die Reduktion auf das inhaltslose Schema:
"Der häufigste Mangel der Hegelinterpretation ist, daß die Analyse
nicht inhaltlich mitvollzogen wird, sondern bloß der Wortlaut
paraphrasiert." 71)
Für den Zweiten Schritt, gerade der wohlwollenden Hegelinterpretation,
scheint das zu gelten, was Hegel explizit abwehren wollte: da wird der
Versuch gemacht, Gedanken plausibel zu machen, nicht sie nachzudenken,
sondern Verständnis für sie zu wecken:
"Es wird unter Verstehen dann dies gemeint, daß die philosophischen
Ideen von dem ausgehen und sich an das anknüpfen sollen, was man sonst
im Gemüt, Gedanken oder Vorstellung besitzt; was diesem dem gemeinen
Menschenverstande gemäß ist, sich anpassend zeigt, versteht man am
leichtesten, wie man überhaupt das am leichtesten versteht, was man
schon weiß." 72)
Hegel nennt hier treffend das Problem, das aus der guten Absicht
entsteht, einen Gedanken plausibel zu machen: es ist seine Rückführung
auf bisher Bekanntes. So sehr mit dieser Bemühung um Verständnis ein
Gedanke Zustimmung finden mag, hat er doch durch die Rückführung auf
Bekanntes zugleich auch schon seine Überflüssigkeit bewiesen. Das
Argument für ihn war ja geradezu gewesen, daß man mit ihm nichts Neues
zu lernen brauche - damit aber von ihm auch nichts Neues lernen könne.
Alle Versuche, sich bei der Logik "etwas" zu denken, sind also ebenso
hilflos, wie Engels "Beweis" des Übergangs zum Maß (das er das "Gesetz
des Umschlags von Quantität in Qualität" nennt) mit dem Verweis auf
gefrierendes Wasser oder tauendes Eis, je nachdem wie die Grade auf der
Temperaturskala variieren. 73) Ruhen kann sich sogar auf Marx berufen,
wenn er in der Logik einen mystifizierten Ausdruck der
gesellschaftlichen Arbeit vermutet; 74) Popper gibt sich, ehe er die
Dialektik als ein immunisierendes Instrument der falschen Propheten
verwirft, Mühe, sie als Beschreibung des Fortschritts der Wissenschaft
vorzustellen; und sogar neuere, sehr detaillierte Untersuchungen zur
Logik Hegels krönen ihre nicht unbedeutende Kenntnis der Argumente mit
einer Deutung der Logik als einer "geheimen Sozialtheorie", die nicht
das Denken untersucht haben soll, sondern die Herrschaft - und
angeblich einer "kommunikativen Freiheit" das Wort redete. 75)
Auf der anderen Seite lehnen aber auch die Kritiker Hegels ihn nicht
wegen seiner metaphysischen Ausbeutung der Analyse des Denkens ab,
sondern wegen seiner richtigen Seite: Ihm wird vorgeworfen, er habe es
unterlassen, das Denken als bloße Meinung und bleibende Ungewißheit
darzustellen, um seiner Metaphysik der Subjektivität eine Philosophie
der praktischen und theoretischen Bescheidung und Verantwortung
entgegenzustellen. 76)
So ist das allgemeine und m.E. problematische Urteil über die Hegelsche Dialektik, daß sie eine Methode der Metaphysik sei.
3. Begriff und Kategorien der Negativen Dialektik
Adorno folgt dem allgemeinen Urteil der Hegelrezeption über die
Dialektik, hält sie ebenfalls nicht für die Analyse des Denkens,
sondern für eine Methode der Metaphysik und erweist sich selbst gerade
darin als Metaphysiker - mit Ausnahme einer Fußnote - daß er selbst an
keiner Stelle die wissenschaftliche Leistung Hegels von seiner
Benutzung derselben zur "Versöhnung" des Geistes mit der Wirklichkeit
unterscheidet. Adorno nimmt, wie in den Fragen der Erkenntnistheorie
das Denken, Hegels Dialektik als Metaphysik und versucht auf dieser
Basis Dialektik und Affirmation voneinander zu trennen, was freilich
scheitern muß. 77)
Hegels Kontamination von Erkenntnis und Legitimation, seine Metaphysik,
daß, was erkannt wird, eben dadurch, daß es dem Denken zugänglich ist,
auch als vernünftig und gerechtfertigt zu gelten habe, bleibt bei
Adorno vollkommen erhalten. Allerdings "schließt" er aus Hegels
Gleichung: Erkenntnis = Legitimation, die konforme Umkehrung: Kritik =
Nicht-Erkenntnis. Adorno versucht mit den Kategorien der Hegelschen
Dialektik eine Methode des kritischen Denkens anzugeben und kommt damit
ganz wie Hegel, der selber keine Methode entwarf, sondern das
praktizierte Denken analysierte, dazu, Methodologe zu werden. Hegel
machte seine richtige Erkenntnis zur Methode, indem er sie nachträglich
doch zum Instrument machte und die Gegenstände der materialen
Wissenschaften unter die Logik einfach subsumierte. Adorno hat das an
Hegel kritisiert 78) und kommt im Versuch, die Dialektik kritisch
"anzuwenden", in ebendenselben Fehler der Trennung von Sache und
Methode, den er an anderer Stelle entdeckt. 79)
a) Negation
Nach Adornos nichtaffirmativer Metaphysik ist das Scheitern der
Erkenntnis, seine Unfähigkeit, mit sich selbst ins Reine zu kommen, das
Indiz seiner Wahrheit sowie der Unvernunft des Objekts. Der Widerspruch
im Denken ist nicht das Zeichen eines Fehlers, sondern Garant der
kritischen Wahrheit: die Sache ist nicht logisch, sie läßt sich vom
Gedanken nicht fassen. Adorno meint hierin Hegel zu folgen, der selbst
den Widerspruch als den Motor des fortschreitenden Denkens bezeichnet
hatte:
"Das Motiv des Widerspruchs ... gilt allgemein als das Gesamtprinzip
seiner Philosophie. Nach ihm trägt die dialektische Methode ihren
Namen." 80)
Doch ganz anders als bei Hegel, bei dem der Mangel einer Bestimmung der
Sache, d.h. der Einwand gegen diese, der Widerspruch zu ihr eine
Auflösung verlangt, damit die Sache erst noch richtig bestimmt wird,
bleibt bei Adorno der Widerspruch im Denken als das Urteil über die
Sache stehen:
"Dialektik als Verfahren heißt, um des einmal an der Sache erfahrenen
Widerspruchs willen und gegen ihn in Widersprüchen zu denken.
Widerspruch in der Realität, ist sie Widerspruch gegen diese. Mit Hegel
aber läßt solche Dialektik nicht mehr sich vereinen." 81)
Der letzte Satz ist nun aber nicht so gemeint, daß hier ein
Mißverständnis dessen vorläge, was Hegel mit dem Widerspruch als dem
Motor des Denkens meinte, sondern, daß Adorno Hegel bei der Auflösung
des Widerspruchs im Denken nicht folgen will, weil der Widerspruch des
Gedankens als Protest gegen die dem Gedanken nicht konforme
Wirklichkeit Ziel seiner Theorie ist.
"Den dialektischen Widerspruch, Ausdruck des unauflöslich
Nichtidentischen wiederum durch Identität glätten heißt soviel wie
ignorieren, was er besagt." 82)
Adorno beteuert immer wieder: "Solcher Widerspruch ist kein subjektiver
Denkfehler", 83) und hat doch zugleich mit dem Bekenntnis zum
bleibenden Widerspruch eine Ahnung davon, daß damit das Bewußtsein sich
aufgibt, daß das Denken sich nicht mehr versteht und in Verwirrung
gerät. Hier findet sich auch die heikle Stelle, an der Adorno mit dem
Wahn kokettiert, 84) da ihm diese Kritik der Wirklichkeit über die
Selbstzerrissenheit des Denkens eine solche Preisgabe des
Selbstbewußtseins nötig erscheinen läßt. Gleichwohl sind Psychologische
Deutungen völlig fehl am Platz, 85) denn wenn ein Philosoph mit dem
Wahn rechnet, so ist der Philosoph deswegen nicht wahnsinnig, sondern
leistet sich nur die sonderbare Idee, daß man verrückt sein müßte,
damit man das einsieht, was die Philosophie sich bei Sinnen als
Desiderat der Erkenntnis einfallen ließ. Ebenso unangebracht ist
Poppers Kritik, 86) daß nun der Bereich der Willkür eröffnet sei: Der
Satz 'ex falso quod libet' trifft eben auch auf Adorno nicht, 86a) da
er keineswegs Beliebiges erschließt und auch nicht jeden Widerspruch
zuläßt; eine Kritik an diesem Konzept erforderte also schon ein
Eingehen auf den bestimmten Widerspruch, den Adorno einzig zuläßt. Ehe
jedoch hier der Inhalt "des" Widerspruchs untersucht werden soll,
bedarf die Stellung Adornos zu Hegel noch einiger Anmerkungen.
Die Aufnahme des Widerspruchs und Adornos Festhalten desselben gegen
die Auflösung zeigt schon, daß Adorno die Dialektik trotz aller
Versicherungen, daß der berühmte Dreischritt eine leere Hülse sei, 87)
die nichts besagt, doch nach diesem Muster rezipiert und bespricht. Er
verbindet, wie allgemein die Hegelrezeption, mit der Kategorie der
Negation, die Denken sei, einen anderen als den bloß formellen Inhalt,
daß das Denken das unmittelbar sinnlich Gegebene für sich nicht als
bloß Sinnliches bestehen läßt, sondern nach seinen allgemeinen
Bestimmungen wissen will. Negation, die das Denken damit ist, hat
nichts mit Kritik oder Affirmation zu tun; denn nur die besondere
Beschaffenheit des Objekts ist schließlich der Grund für eine
"Bewertung" der Sache. Adorno aber nimmt die im Denken geleistete
Negation als Kritik der Sache - und glaubt sich darin mit Hegel einig.
88) Konsequent gilt ihm die Negation der Negation, im rationellen Sinne
also auf das Denken als Ganzes bezogen die Aufhebung der Unbekanntheit
des Objekts, auf das Urteil bezogen die Bestimmtheit durch die
Unterscheidung usf., nicht als das, was sie jeweils ist: Wissen oder
Bestimmtheit des in Rede stehenden Satzsubjekts, sondern als Negation
der Entzweiung, Rücknahme der Kritik. 89) 89a) Adorno will also - und
das wird sich insgesamt noch als bedeutsam für seine Stellung zur
Ontologie erweisen - dein in seinem Sinne gedeuteten "zweiten Schritt"
der Dialektik treu bleiben, indem er Hegels dritten Schritt nicht
mitmacht: er will das Bewußtsein der Entzweiung, das in Negation als
Kritik liegen soll, erhalten und nicht durch die Überwindung derselben,
die in Entzweiung ja als Desiderat ausgesprochen ist, "was immer an
Widersprechendem auftrete, in der Einheit des Bewußtseins schlichten.
90)
"Ist das Ganze der Bann, das Negative, so bleibt die Negation der
Partikularitäten, die ihren Inbegriff an jenem Ganzen hat, negativ. Ihr
Positives wäre allein die bestimmte Negation, Kritik, kein
umspringendes Resultat, das Affirmation glücklich in Händen hielte." 91)
Bestimmte Negation ist also das Zauberwort der Dialektik geworden, das
Hegel doch nur prägte, um auszuschließen, daß mit der Negation einer
Bestimmung auf einmal alle Bestimmtheit verloren ginge und alles
zugelassen werden müßte, weil nichts mehr gewußt wird. 92) Adorno aber,
dank seiner Auffassung der Dialektik als Methode, gibt der "bestimmten
Negation" einen besonderen Inhalt:
"Der Nerv der Dialektik als Methode ist die bestimmte Negation. Sie
basiert auf der Erfahrung der Ohnmacht von Kritik, solange sie im
Allgemeinen sich hält, etwa den kritisierten Gegenstand erledigt, indem
sie ihn von oben her einem Begriff als dessen bloßen Repräsentanten
subsumiert. Fruchtbar ist nur der kritische Gedanke, der die in seinem
eigenen Gegenstand aufgespeicherte Kraft entbindet; für ihn zugleich,
indem sie ihn zu sich selber bringt, und gegen ihn, insofern sie ihn
daran mahnt, daß er noch gar nicht er selber sei." 93)
Bestimmte Negation denkt Adorno also doppelt; zugleich als Kritik der
noch ungenügenden Bestimmung einer Sache, z.B. durch die bloße
Subsumtion unter Oberbegriffe, 94) und ebenso als Kritik der Sache
selber, die mit diesen ungenügenden Oberbegriffen offenbar doch schon
angemessen bestimmt ist, einer Sache somit, die tatsächlich nicht sie
selbst ist. Adornos metaphysische Sehnsucht nach Versöhnung entdeckt
nicht nur erkenntnistheoretisch einen Bruch zwischen dem denkenden
Subjekt und Seinem Objekt; er sieht die Zerrissenheit sowohl im Subjekt
95) als auch als eine des Objekts. Diese - schon erwähnte
-Radikalisierung des erkenntnistheoretischen Problems entnimmt Adorno
der Hegelschen Kantkritik.
"Bleibt bei Kant die Kritik eine der Vernunft, so wird bei Hegel, der
die Kantische Trennung von Vernunft und Wirklichkeit selber kritisiert,
Kritik der Vernunft zugleich zu einer des Wirklichen." 96)
Kritik des Wirklichen, die seinen objektiven Widerspruch benennen soll,
sieht sich zunächst stets und nicht zu unrecht dem Bedenken ausgesetzt,
daß ein 'Widerspruch der Objektivität eine sinnlose Rede sei. 97) An
diesem Einwand ist denn auch in jedem Fall das Richtige, daß
Widerspruch schon im Wortsinn eine Gegenrede, einen Einwand meint. Als
Bestimmung des Objekts gedacht, hieße 'Widerspruch der Sache zu sich'
ihre Aufhebung, ihre Vernichtung. Ist sie nämlich nicht eine Einheit
ihrer Momente, bilden diese nicht eine Einstimmigkeit, dann fällt die
Sache auseinander und hat keinen Bestand; dann ist sie eben nichts! Der
objektive Widerspruch ist somit richtig verstanden eine Metapher - wie
der schon erwähnte Satz Hegels "Das Ding ist ein Urteil" ebenfalls -
für Dinge, besser Verhältnisse, in denen gegensätzliche sich
bekämpfende und wechselseitig behindernde Tendenzen und Zwecke
herrschen. Berechtigt ist die Anwendung dieser Metapher, weil eben
solche Gegensätze in der Tat die Sache zu einer machen, die nicht aus
sich Bestand hat. 98)
Adornos objektiver Widerspruch" ist aber gar keiner zwischen
verschiedenen wirklichen Momenten einer Sache, sondern zwischen ihrer
Wirklichkeit und ihrem Ideal, zwischen ihrem Sein und einem Sollen.
"Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdringt, ist
die Möglichkeit, uni die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch
aus einem jeden blickt." 99)
Nun ist freilich 'Möglichkeit' per se deswegen nur Möglichkeit, weil
sie nicht Wirklichkeit ist; die Wirklichkeit dagegen ist eine - und
läßt sich deshalb ohne weiteres als die Verhinderung irgendwelcher
Möglichkeiten auffassen. Nur existiert deswegen noch kein Widerspruch
zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, wenigstens nicht objektiv; denn
die Wirklichkeit läßt sich von der Möglichkeit, die ja nur möglich und
nicht wirklich ist, durchaus nicht stören. Damit ist die eine Seite des
Widerspruchs formuliert, den Adorno behauptet, wenn er die Dialektik
als etwas sowohl Objektives als auch bloß Subjektives bezeichnet. Der
Widerspruch von Wirklichkeit und Möglichkeit ist "kein schlicht Reales:
denn Widersprüchlichkeit ist eine Reflexionskategorie, die denkende
Konfrontation von Begriff und Sache." 100)
Hierher gehören deshalb Adornos merkwürdige Bekenntnisse zur subjektiven Willkür als dem Garanten einer objektiven Erkenntnis:
"In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal bedarf die
Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weniger, sondern
eines Mehr an Subjekt. Jedenfalls behalt der subjektive Anteil an
Philosophie, verglichen mit der virtuell subjektlosen Rationalität
eines Wissenschaftsideals ... einen irrationalen Zusatz." 101)
Adorno denkt beim "Mehr an Subjekt" nicht an das denkende Subjekt, das
er vielmehr einer "virtuellen Subjektlosigkeit" bezichtigt, sondern
verlangt, daß das kritische, die unverwirklichten Möglichkeiten
bedenkende Subjekt eines sein müsse, das beim Denken nicht nur
analysiert, sondern sich spielerisch unernst, 102) wünschend 103) und
künstlerisch, mimetisch gestaltend 104) verhält. Dieses Wünschen ist
zudem nicht nur ein bloß subjektives, sondern vor allen Dingen der
Sache nach ein frommen, da - auch schon auf der Ebene so abstrakter
Bestimmungen - der "Widerspruch" von Möglichkeit und Wirklichkeit ein
prinzipiell unaufhebbarer ist. Die Kritik an Adorno, die - durchweg auf
dem Standpunkt des Fehlers von Hegel, also des metaphysischen
Mißverständnisses der Logik stehend - sein "negatives Denken" für einen
unhaltbaren Einfall befindet, hat hier wohl recht gegen Adorno. 105)
Adornos Idee eines "Widerspruchs von Wirklichkeit und Möglichkeit" soll
im folgenden an einem Beispiel inhaltlich präzisiert und erläutert
werden.
Exkurs: Realität und Ideal des Tausches
Daß Adornos Analyse des Tausches tatsächlich keine Untersuchung der
ökonomischen Keimzelle des Kapitalismus ist, daß Adorno in ihr nicht
nur den Kapitalismus nicht entdeckt, 106) sondern daß er den Tausch
vornehmlich als das praktische Exempel für Abstraktion in der Realität,
als die Wirklichkeit abstrakten Denkens auffaßt, braucht nach den
diesbezüglich treffenden schon vorliegenden Untersuchungen sowie nach
den oben angeführten Zitaten 107) nicht mehr gesondert aufgewiesen zu
werden. Hier interessiert nur die Besprechung des Tausches als eines
Widerspruchs von seiner Wirklichkeit und seiner Möglichkeit:
"Der Tausch hat als Vorgängiges reale Objektivität und ist zugleich
objektiv unwahr, vergeht sich gegen sein Prinzip, das der Gleichheit."
108)
Die Objektivität dieses Widerspruchs sieht Adorno darin, daß der Tausch
seinem eigenen Prinzip, dem der Gleichheit, widersprechen soll. Hierbei
fällt auf, daß Adorno den Tausch von vornherein nicht als eine Form der
Organisation in der Ökonomie auffaßt, sondern als das Prinzip der
Gerechtigkeit; als ökonomischer ist er nämlich keineswegs verletzt,
wenn einmal nicht Äquivalente ausgetauscht werden, sondern der eine
beim Austausch gewinnt, was der andere verliert. Zweitens aber hat
Marx, dessen Warenanalyse auch Adorno als 'Kritik der politischen
Ökonomie' kennt, dessen 'Fetischkapitel' er jedoch "wahrhaft" für "ein
Stück Erbe der klassischen deutschen Philosophie" ansieht, immer wieder
darauf hingewiesen, daß Äquivalente nur im Durchschnitt der Fälle,
nicht in jedem einzelnen ausgetauscht werden, daß die Kritik der
Ausbeutung wie ihre Erklärung davon aber völlig unberührt bleiben.
Gerade der gerechte Austausch vermittelt die Ausbeutung, und der
Umstand, daß die vollbezahlte Arbeitskraft mehr Wert schafft, als ihre
Herstellung und Wiederherstellung kostet, "ist ein besonderes Glück für
den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer". 109) Auch
die zahllosen Bemühungen von Marx, die Forderung nach einem gerechten
Tausch zwischen Kapital und Arbeit als leere Illusion aus den
Programmen der Arbeiterbewegung auszuräumen, weil der Lohn als Lohn
doch gerecht sei, 110) werden von Adorno nicht bemerkt. Adorno hält
sich an das affirmative Ideal des Tausches, die Tausch"gerechtigkeit",
um ihn dann als leider nur bedingte Verwirklichung dessen, was er
ohnehin ist, erscheinen zu lassen. 111) Vom Gesichtspunkt seines Ideals
aus wird der Tausch die Vernunft selber - und ist deshalb noch nicht
verwirklicht:
"Würde als Ideal verkündet, es solle, zur höheren Ehre des irreduzibel
Qualitativen, nicht mehr nach gleich und gleich zugehen, so schüfe das
Ausreden für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der Äquivalententausch
bestand von alters her gerade darin, daß in seinem Namen Ungleiches
getauscht, der Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde. Annullierte man
simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so träten anstelle der
Rationalität, die ideologisch zwar, doch auch als Versprechen dem
Tauschprinzip innewohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt." 112)
Es ist kein Verstoß gegen den Tausch, daß "in seinem Namen Ungleiches
getauscht" wird - das ist sogar das Prinzip des Tausches, sonst würde
nicht getauscht werden - ebenso wie es kein Mißbrauch "seines Namens"
ist, daß durch und über den Tausch der Mehrwert angeeignet und die
Produzenten von ihrem Produkt getrennt werden; Adorno aber ist um des
Ideals von Gerechtigkeit willen so sehr für den Tausch, daß er zu dem
alten Argument der Soziologen greift, die die Zwänge der Gesellschaft
damit rechtfertigen, daß, wollte man sie abschaffen, Chaos und damit
noch mehr Gewalt herrschen würde. Adorno sieht in der Beseitigung des
Tausches als Prinzip des Zusammenhangs der arbeitsteiligen, aber nicht
unmittelbar gesellschaftlichen Arbeiten die Abschaffung des Ideals der
Gerechtigkeit, das er doch nur vom Tausch gewonnen hatte, und
befürchtet den Raub. Deshalb ist seine Kritik vom Ideal her auch der
Vervollkommnung des Tauschprinzips auf sein Ideal hin verpflichtet:
"Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will,
daß das Ideal freien und gerechten Tausches, bis heute bloß Vorwand,
verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch." 113)
Dieses Ideal aber ist durchaus schon verwirklicht - und eben weil der
gerechte Tausch Arm und Reich hervorbringt, wird er von dem Ideal
begleitet, er solle es nicht, und es dürfe nicht an ihm, sondern müsse
an seiner Verfälschung liegen, wenn er es doch tut. Der Unterschied des
wirklichen Tausches zum konzipierten idealen ist also nur ausgedacht,
er stellt eine falsche Kritik dar. 113a) Zwischen dem Ideal und seiner
Wirklichkeit ist der Widerspruch immer nur ein frommes Wünschen, die
Sache solle eine Konsequenz, die notwendig mit ihr verbunden ist, nicht
zeitigen. 114)
b) Nichtidentität
Da Adorno aber dieses subjektive, unerfüllbare - und sogar von ihm als
unerfüllbar gedachte 115) - Wünschen eben als objektiv ausdrücken will,
entwirft er eine Theorie des Dings. Es selber soll den Wunsch des in
der Utopie schwelgenden Subjekts herbeiwünschen
"In der Sache wartet das Potential ihrer Qualitäten auf das qualitative Subjekt." 116)
Das qualitative Subjekt ist das an anderer Stelle "unreduziert"
genannte, welches sich bei der Analyse der potentiellen Qualitäten
nicht auf das Denken beschränkt, sondern einen Blick entwickelt, "der
deutend am Phänomen mehr gewahrt, als es bloß ist, und einzig dadurch,
was es ist." 117) Das Ding ist also nach Adorno mehr als es bloß ist,
seine wesentliche Eigenschaft ist dieser Widerspruch: das negative
Verhältnis zu sich:
"Das Innere des Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es
nicht selber ist und was seine veranstaltete, eingefrorene Identität
mit sich ihm vorenthält." 118)
Dieser Satz ist eine Tautologie und stimmt unter der Voraussetzung des
Satzsubjekts: Das Ding sei das mit sich nicht identische. Dies
widerspricht, wie schon öfters erwähnt, nicht nur der einfachen
Erfahrung, daß die Dinge jeweils eines sind, also wohl auch eine
Einheit ihrer Bestimmungen bilden, d.h. mit sich identisch sein werden,
sondern auch den Erfordernissen des Denkens, das jeweils eine
Bestimmung meint und gibt und dabei auch notwendigerweise ein Ding
festzuhalten pflegt. Gleichwohl bildet dieser Widerspruch den Hauptsatz
von Adornos Dialektik: Das Wesen des Dings ist nicht seine Beziehung zu
sich, und seine Eigenart liegt nicht im Verhältnis seiner
Eigenschaften. Seine Identität dagegen, seine Beziehung auf sich ist
eine "veranstaltete, eingefrorene", die dem Ding von außen oktroyiert
wird und seinem inneren Wesen gar nicht entspricht. Wieder meint Adorno
irrtümlich damit einer Einsicht der Hegelschen Logik zu folgen.
"Nach dem dauerhaftesten Ergebnis der Hegelschen Logik ist es (das
Existierende, d. V.) nicht schlechthin für sich, sondern in sich sein
Anderes und Anderem verbunden. Was ist, ist mehr als es ist. Dies Mehr
wird ihm nicht oktroyiert, sondern bleibt, als das aus ihm Verdrängte,
ihm immanent. Insofern wäre das Nichtidentische die eigene Identität
der Sache gegen ihre Identifikation." 119)
Adorno formuliert hier sein Verständnis haarscharf an Hegel vorbei:
Während dieser in der Tat z.B. das 'Etwas' als ein An-sich-Sein und
darin zugleich Sein-für-Anderes bestimmt 120) und gerade Wert auf die
Identität beider Bestimmungen legt, löst Adorno die Identität auf und
macht dadurch "mehr" aus den Dingen, "als sie bloß sind". Hegel wendete
gegen Kant die Kritik der ewigen Trennung von An- sich und Für-anderes
(bzw. Für-uns) und unterstrich, daß die Dinge für uns nichts anderes
sind als an sich selber:
"Dies führt zu einer weiteren Bestimmung. Ansichsein und
Sein-für-Anderes sind zunächst verschieden; aber das Etwas dasselbe,
was es an sich ist, auch an ihm hat und umgekehrt, was es als
Sein-für-Anderes ist, auch an sich ist, - dies ist die Identität des
Ansichseins und Seins-für-Anderes, nach der Bestimmung, daß das Etwas
selbst ein und dasselbe beider Momente ist, sie also ungetrennt in ihm
sind." 121)
Die Auflösung der Identität dieser beiden Bestimmungen durch Adorno
kündigt sich in seiner Formulierung schon durch das "nicht schlechthin
für sich" an, womit Adorno gegen Hegel das mehr als "bloß" Fürsichsein
als die wesentliche Einsicht ins Auge faßt. Hegel dagegen will sagen,
daß etwas nur durch seine Bestimmtheit, durch das, was an ihm "daran"
ist, seine negative Beziehung auf das, was es nicht ist, eingeht. Hegel
sieht hier kein 'mehr', nichts Zusätzliches zum Ansichsein, sondern ein
'dadurch'. Adorno macht daraus ein 'mehr', indem er den wieder
richtigen Satzteil: "Das Existierende ist in sich sein Anderes" (das
sagt Hegel in Bezug auf die Bestimmtheit des zunächst leeren Etwas),
mit "und Anderem verbunden" ergänzt. Anderem ist die so für sich
bestimmte Sache höchstens negativ verbunden, d.h. sie ist von ihr
abgegrenzt.
Adorno kommt so aber zu einer Bestimmung des Dings, die seine
Identität, sein Fürsichsein "schlechthin" auflöst in Verhältnis,
Beziehung, Kommunikation. 122) Noch einmal ist dazu an das obige Zitat
zu erinnern, das behauptet, das Wesen des Dings, "das Innere des
Nichtidentischen ist sein Verhältnis zu dem, was es nicht ist". Die
Vorstellung, die Dinge seien ein Verhältnis untereinander; was sie
sind, seien sie nicht durch sich, sondern durch das Verhältnis, in das
sie als unbestimmtes Nichts treten, kehrt das Verhältnis der Extreme
irgendwelcher Beziehungen zu dieser Beziehung exakt um: Während sich in
der Tat die Art der Beziehung aus den für sich selbst bestimmten Polen
derselben ergibt, sollen bei Adorno die Pole aus dem Verhältnis, das
sie eingehen, erst entspringen. Diese Vorstellung der Identität einer
Sache macht Adorno zu einer methodischen Vorschrift für die Analyse und
zeigt gerade darin noch einmal den Fehler dieser Idee:
"... die Erforschung zumindest eines sozialen Gegenstandes wird falsch,
wo sie sich auf Abhängigkeiten innerhalb seines Bereichs begrenzt, die
den Gegenstand begründeten und dessen Determination durch die Totalität
ignorieren." 123)
Als ob sich die "Determination durch die Totalität" nicht an dem
sozialen Gegenstand selbst zeigen würde - und zwar durchaus innerhalb
"seines Bereiches" - fordert Adorno den Wissenschaftler auf, er solle
sich die Determination durch die Totalität äußerlich hinzudenken. Diese
Aufforderung weckt Zweifel an der objektiven Determination durch die
Totalität, anstatt sie zu beweisen; sie gebietet, alle sozialen
Phänomene als durch die "Totalität vermittelt" anzusehen; ja die
Theorie der Nichtidentität der Dinge ist gar nichts anderes als eben
diese Methode der soziologischen Systemtheorie.
Eine derartige Betrachtung wird natürlich ohne Schwierigkeiten zutage
fördern, was methodisch vorweg in die Sache gelegt wurde: die
Vermittlung der Einzeldinge der Gesellschaft durch die Totalität.
Problematisch ist diese methodische Anleitung deshalb, weil die
Betrachtung einer jeden Sache im Verhältnis zum Ganzen niemals die
Eigenart dieser einen Sache zu bestimmen in der Lage ist; stets wird
die Bestimmung in das Verhältnis zum Ganzen gelegt - "das Ganze"
umgekehrt als die leere Totalität auf dem anderen Pol des Verhältnisses
aufgefaßt - so daß eintönig immer nur das Im-Verhältnis-Stehen als
einziges Prädikat verkündet wird. Das klassische Beispiel für diese
Reduktion der Gesellschaftstheorie auf die Wiederholung der
vorausgesetzten Gewißheit, daß alles einzelne eine Funktion für das
Ganze hat, sind Talcott Parsons' Theorien, die daher bei ihren
materialen Untersuchungen selbst nicht über die Wiederentdeckung des
methodischen Urteils am Stoff hinauskommen. 125)
c) Konstellation
Diese methodische Gemeinsamkeit mit dem Systemdenken, das weniger bei
Hegel als bei modernen Soziologen auf die bloß formelle Beschwörung des
Verhältnisses von Teilen und Ganzem reduziert worden ist, veranlaßt
Adorno, seine Stellung zum System noch einmal zu bestimmen. Er sieht
einen "Doppelcharakter des Systems": Einerseits war es die universale
Herrschaft des Denkens, Hegels "schiefe Projektion eines befriedeten,
nicht länger antagonistischen Zustands auf die Koordination
herrschaftlichen, unterdrückenden Denkens", 126) die freilich der Welt,
in der praktisch abstrakte Begriffe regieren, adäquat sei. Andererseits
aber "liquidiert" "Kritik nicht einfach das System", 127) welches auch
eine erhaltenswerte Sache ist:
"Die Konzeption des Systems erinnert in verkehrter Gestalt an die
Kohärenz des Nichtidentischen, die durch die deduktive Systematik
gerade verletzt wird." 128)
Die Kohärenz des Nichtidentischen der Zusammenhang der
gesellschaftlichen Dinge, ist zunächst einmal gar nichts anderes als
das System, denn was sollte System anderes sein als der Zusammenhang,
die Einheit der Momente. 129) Adorno wendet auch nichts gegen den
Zusammenhang ein, sondern nur gegen sein theoretisches Zustandekommen:
Die deduktive Systematik verletzt die eigene Kohärenz der Dinge, weil
sie die Einheit von "oben her" konstruiert. Von oben her aber, meint
Adorno, wird die Beziehung der Dinge nicht selber berücksichtigt,
sondern sie werden in einen ihnen äußerlichen Zusammenhang gepreßt. So
werden sie tatsächlich mehr getrennt denn vereinigt.
"Wohl aber transzendiert das in keinem vorgedachten Zusammenhang
Auflösliche als Nichtidentisches von sich aus seine Verschlossenheit."
130)
Also muß das System, das sich nicht dem herrschaftlichen Denken
verdankt, statt von oben her von unten nach oben konstruiert werden.
"Das einigende Moment überlebt dadurch, daß nicht von den Begriffen im
Stufengang zum allgemeineren Oberbegriff fortgeschritten wird, sondern
sie (die Begriffe; d.V.) in Konstellation treten." 131)
Adorno gibt hier einen Unterschied zwischen dem kritisierten System und
der von ihm vorgeschlagenen 'Konstellation' an, der eine
wissenschaftliche Unterscheidung nicht erlaubt. Die Frage, wie ein
Zusammenhang von Elementen auszusehen habe, ist doch nicht jenseits
dieser "Elemente" zu entscheiden. Das System der Tierarten und
Gattungen z.B. wird in der Tat durch die Reduktion auf immer
allgemeinere gemeinsame Merkmale einer Tierklasse gewonnen; das System
der politischen Ökonomie gewiß anders. Die Qualität dieser Systeme
entscheidet sich aber an der Notwendigkeit ihrer Argumente und nicht am
"deduktiven" oder "induktiven", am abstrahierenden oder
synthetisierenden Gang derselben. Marx' schon erwähnte Unterscheidung
von Forschungs- und Darstellungsweise deutet sogar an, daß der Weg des
Denkens, eben weil Notwendigkeit herrscht, immer sowohl vorwärts als
auch zurück gegangen werden kann und im Interesse einer stringenten
Darstellung auch muß. Die Differenz aber, die Adorno zwischen dem
System und der Konstellation sieht, ist für dieses wissenschaftliche
Kriterium belanglos. Er will wohl eine Beschreibung des sachgerechten
Verfahrens geben und dieses von einer Konstruktion, die über die
Besonderheit der Objekte hinweggleitet, abgrenzen. Aber mehr als die
Versicherung, er wolle schon die Systemkonstruktion, aber eine, die der
Sache nicht Gewalt antue, kommt bei seiner Unterscheidung nicht heraus.
Etwas anderes aber als dieses Ideal des harmonischen System soll nach
Adornos Absicht auch gar nicht erreicht werden. Er beschreibt seine
metaphysische Sehnsucht nach der Hegelschen Versöhnung im alles
umfassenden und zur Einheit verbindenden System, das allerdings keine
Zwangsgemeinschaft der Elemente sein darf, sondern - quasi wie in
Rousseaus conctract social - durch die Elemente aus freien Stücken
gebildet. So kommt Adorno zu dem paradoxen Urteil, daß sowohl "Das
Ganze ... das Unwahre" 132) ist, wie auch das Einzelne:
"Er (Hegel; d. V.) demonstrierte, daß Begriff, Urteil, Schluß,
unvermeidliche Instrumente, um mit Bewußtsein eines Seienden überhaupt
sich zu versichern, jeweils mit diesem Seienden in Widerspruch geraten;
daß alle Einzelurteile, alle Einzelbegriffe, alle Einzelschlüsse nach
einer emphatischen Idee von Wahrheit, falsch sind." 133)
Darin - wie überhaupt - folgt Adorno Hegels Fehler, der nur manchmal
zurecht den Übergang von einer Kategorie zu einer anderen macht,
manchmal aber auch diesen Übergang nur durch die Vergleichung mit
seinem vorausgesetzten Resultat - der Idee. 134) Adorno gibt hier aber
das Motiv seiner 'bestimmten Negation' an, wenn er "die Einzelheit"
nicht nur bei Begriffen und Urteilen kritisiert:
"Die Unzulänglichkeit aller isolierten Einzelbestimmungen ist immer
zugleich auch die Unzulänglichkeit der partikularen Realität, die von
jenen Einzelbestimmungen gefaßt wird." 135)
So zeigt sich, daß die Unwahrheit des Ganzen von der des Einzelnen
durchaus verschieden ist. Ist das Ganze unwahr, weil es (leider) noch
gar nicht wirklich die Einheit der Momente der Realität zu sein
beanspruchen darf, sondern nur der durch Abstraktionen im Bewußtsein -
also bloß in der Einbildung - versöhnte Bruch der Entfremdung, so ist
das Einzelne per se "Unwahr", denn es hat sich mit anderem zu vereinen,
hat Moment eines größeren Ganzen zu sein, und will dies auch, wenn es
sein ihm gemäßes Ganzes auch noch nicht verwirklicht hat.
"Das negative Motiv der Identitätsphilosophie hat seine Kraft behalten;
nichts Partikulares ist wahr, keines ist, wie seine Partikularität
beansprucht, es selber." 136)
Adorno ist also durchaus ein treuer Hegelianer - aber nur in Bezug auf
den Fehler Hegels. Auch er geht vom Bewußtsein der Entzweiung aus, auch
er richtet sein Denken sehnsüchtig auf Versöhnung, auch er ist bereit,
die Erkenntnis der Realität für ihren Vernunftbeweis zu nehmen, und
auch er strebt daher ein System von Einheit, Einstimmigkeit und
Harmonie an, obwohl oder gerade weil er die Identität als Ideologie
begriffen haben will.
Allerdings hält die Philosophie Adornos diesen Ausgangspunkt der
Entzweiung fest, gegen die in ihm schon angestrebte Versöhnung. Darin
liegt sein Unterschied zu Hegels metaphysischer Seite. Adorno ist daher
ein Philosoph der Sehnsucht nach philosophischer Versöhnung, nach
Trost, den er - stellt er sich ein - auch gleich wieder als Lüge
durchschaut. 137)
Anmerkungen
1) Siehe: Adorno, Der Positivismusstreit, a.a.O., besonders S. 78 f.
2) Ein Hinweis auf die weitgehende Vereinbarkeit der Grundpositionen
von Frankfurter Schule und kritischem Realismus liegt in der
Entwicklung der zweiten Generation ihrer Vertreter. Hatte Habermas den
kritischen Anspruch der Dialektik weiterentwickelt zu einem
Demokratiemodell der Erkenntnis, in dem die Kommunikation der
Wissenschaftler und ihr Konsens das Kriterium der Wahrheit und zugleich
das in der Wissenschaftlergemeinschaft vorweggenommene Ideal der
"vernünftigen Identität" bilden, so kam ihm von der anderen Seite
Michael Theunissen, noch 1969 ein Kritiker der Frankfurter Schule, den
ganzen Weg entgegen. Nicht nur der von der Frankfurter Schule
beachtete, von den kritischen Rationalisten aber angegriffene Hegel
wurde von Theunissen zum Hauptgegenstand seiner neueren Forschungen
gemacht, er entdeckte in Hegels Logik Habermas' Wissenschafts- und
Gesellschaftsmodell der "kommunikativen Freiheit".
Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der
kommunikativen Kompetenz, in: Habermas/Luhmann, Theorie der
Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?,
FfM 1971.
Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, Zur Kritik der kritischen Theorie, Berlin 1969.
ders., Sein und Schein, Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, FfM 1978.
3) Siehe dazu Abschnitt 3 dieses Kapitels zu Adornos Begriff der Vermittlung.
4) Theunissen, Sein und Schein, a.a.O., S. 474.
5) Marx, Kapital Bd. I, MEW 23, S. 27.
6) ders., Brief an Fr. Engels um den 16. Januar 1858, MEW 29, S. 260.
7) Siehe: Paul Lorenzen / Oswald Schwemmer, Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Einleitung, Mannheim 1973.
Desgleichen: Jürgen Mittelstraß, Die Möglichkeit von Wissenschaft, FfM 1974.
8) Diesen Widerspruch, daß man schon vor der Erkenntnis der Sache eine
ihrer Besonderheit angemessene Methode soll wählen können, fordert
Habermas; er bezweifelt,
"daß die Wissenschaft in Ansehung der vom Menschen hervorgebrachten
Welt ebenso indifferent verfahren darf, wie es in den
Naturwissenschaften mit Erfolg geschieht. Die Sozialwissenschaften
müssen sich vorgängig der Angemessenheit ihrer Kategorien an den
Gegenstand versichern, weil Ordnungsschemata, denen sich kovariante
Größen nur zufällig fügen, unser Interesse an der Gesellschaft
verfehlen."
Jürgen Habermas, Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik,
Nachtrag zu einer Kontroverse (1963), in: Adorno u.a., Der
Positivismusstreit..., a.a.O.
9) Popper vertritt diese kühne These:
"Die Methode der Wissenschaft ist die Methode der kühnen Vermutung und
der sinnreichen und ernsthaften Versuche, sie zu widerlegen."
Popper, Objektive Erkenntnis, Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1973, S. 95.
Noch deutlicher sein Schüler Helmut Spinner:
"Diese epistemologisch-methodologischen Kriterien und Regeln, die
unsere Erkenntnis normieren, indem sie Ziele setzen und methodische
Anweisungen zum Handeln geben, werden nicht ge- sondern erfunden."
Helmut Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, FfM 1974, S. 11.
9a) Hegel, Logik I, a.a.O.
10) ders., Enz. I, WW 8, § 41 mündl. Zusatz I, S. 114.
11) ders., Logik I, S. 24.
12) a.a.O., Vorrede, S. 13.
13) a.a.O. S. 10.
14) a.a.O., S. 40.
15) a.a.O.
16) Siehe Hegels Ausführung des Stichworts 'Muße zur Logik':
"In der Tat setzt das Bedürfnis sich mit dem reinen Gedanken zu
beschäftigen, einen weiten Gang voraus, den der Menschengeist
durchgemacht haben muß, es ist, kann man sagen, das Bedürfnis des schon
befriedigten Bedürfnisses der Notwendigkeit, der Bedürfnislosigkeit, zu
dem er gekommen sein muß, der Abstraktion von dem Stoffe des
Anschauens, Einbildens usf., der konkreten Interessen des Begehrens,
der Triebe, des Willens, in welchem Stoffe die Denkbestimmungen
eingehüllt stecken. In den stillen Räumen des zu sich selbst gekommenen
und nur in sich seienden Denkens schweigen die Interessen."
a.a.O., Vorrede, S. 12.
17) Hegel, Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes
an der Universität Berlin vom 22. Oktober 1818, WW 10, S. 412.
18) Es wird hier auch nicht behauptet, daß der Verfasser eine
Interpretation der Logik geben könnte; zu viele Stellen sind noch
unaufgelöst.
Mit Marx wäre aber zu bemerken, daß die Aufklärung der richtigen
Einsichten der 'Logik' sowie die Unterscheidung von dem mit ihnen
verbundenen Fehler eine der wenigen lohnenden Aufgaben darstellen
würde, die eine eigenständige Philosophie noch bietet.
19) Hegel, Enz. I, WW 8, § 136, mündl. Zusatz 2, S. 271 f. Die Stellen
der 'kleinen Logik' eignen sich in unserem Fall für die der logischen
Analyse besser als die entsprechenden Stellen der 'großen Logik'. In
der kleinen, besonders in den mündlichen Zusätzen drückt Hegel nämlich
auch in der Darstellung aus, daß er in den Kategorien des Denkens
spricht, mit denen wir uns die Gegenstände der Anschauung erklären und
deren Erklärungskapazität in der Logik geprüft wird. Siehe in obigem
Zitat: "die innere Einheit, welche wir als Kraft bezeichnen..."
In der großen Logik dagegen spricht Hegel - dieses Umstands eingedenk
und des richtigen Verständnisses seiner Leser sicher - nur noch von der
Kraft, ihrer Bewegung, den Verhältnissen, in die sie tritt, als sei sie
ein Subjekt für sich. Diese Komplizierung wird durch die Ausdrucksweise
in der 'kleinen Logik' vermieden.
20) a.a.O., S. 273.
21) Chomsky begründet seine Trennung von geäußerter Sprache und dahinterstehender, aber nicht zugänglicher Kompetenz explizit:
Noam Chomsky, Aspekte der Syntaxtheorie, FfM 1969, S. 32.
22) Zu Kant siehe den ersten Abschnitt des Kapitels 'Erkenntnistheorie'; besonders Fußnote 19.
23) Hegel, Enz. I, § 137, S. 273.
24) a.a.O., S. 273 f.
25) a.a.O., § 136, schriftl. Zusatz, S. 270.
26) a.a.O.
27) a.a.O., mündl. Zusatz, S. 270.
28) Hegel, Logik II, S. 145.
29) ders., Enz. I, § 136, mündl. Zusatz I, S. 271.
30) a.a.O., § 137, S. 274.
31) a.a.O., § 139, S. 274.
32) a.a.O., § 167, S. 318.
32a) a.a.O., § 166, mündl. Zusatz, S. 317 f.
32b) ders., Logik II, S. 267/268.
32c) a.a.O., S. 266.
33) a.a.O.
34) a.a.O., S. 269 f.
35) ders., Enz. I, § 168, schriftl. Zusatz, S. 320.
36) ders., Logik II, S. 365.
37) ders., Enz. I, § 166, schriftl. Zusatz, S. 317.
38) a.a.O., § 167, S. 318 f.
39) a.a.O., § 169, S. 320.
40) a.a.O., § 166, mündl. Zusatz, S. 318.
41) ders., Logik I, S. 35 f.
42) a.a.O., S. 36.
43) ders., Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 12.
44) ders., RPh, § 31, S. 46.
45) Hegels Bemerkung zu diesem Problem der Darstellung ist weniger bekannt als Marx' fast wörtliche Übernahme derselben.
"Der dem Begriff angehörige Fortgang vom Allgemeinen zum Besonderen ist
Grundlage und Möglichkeit einer synthetischen Wissenschaft, eines
Systems und systematischen Erkennens. Die erste Erfordernis hiefür ist,
wie gezeigt, daß der Anfang mit dem Gegenstande in der Form eines
Allgemeinen gemacht werde. Wenn in der Wirklichkeit, es sei der Natur
oder des Geistes, die konkrete Einzelheit dem subjektiven, natürlichen
Erkennen als das Erste gegeben ist, so muß dagegen in dem Erkennen, das
wenigstens insofern ein Begreifen ist, als es die Form des Begriffs zur
Grundlage hat, das Einfache, von dem Konkreten Ausgeschiedene das Erste
sein...
Hegel, Logik II, S. 458; ferner S. 459.
Dazu Marx:
"Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der
wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der
Bevölkerung, die Grundlage und Subjekt des ganzen gesellschaftlichen
Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung als
falsch. ... Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine
chaotische Vorstellung des Ganzen, und durch nähere Bestimmung würde
ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem
vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den
einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. ... Sobald die einzelnen
Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die
ökonomischen Systeme, die von den einfachen, wie Arbeit, Teilung der
Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der
Nationen und Weltmarkt. Das Letztere ist offenbar die wissenschaftlich
richtige Methode."
Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 13, S. 631 f.
Es ist interessant, daß Marx diese völlig richtigen Bemerkungen über seine Darstellungsweise nicht veröffentlicht hat:
"Eine allgemeine Einleitung, die ich hingeworfen hatte, unterdrücke
ich, weil mir bei näherem Nachdenken jede Vorwegnahme erst zu
beweisender Resultate störend erscheint, und der Leser, der mir
überhaupt folgen will, sich entschließen muß, von dem einzelnen zum
allgemeinen aufzusteigen."
Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S. 7.
Wie gut Marx daran tat, die Methode seiner Darstellung nicht zu einem
möglichen Thema zu machen und von seinen Lesern den sachlichen und
damit eben nicht methodischen Nachvollzug seiner Theorie zu fordern,
zeigt nichts deutlicher als die 'Kapital'-Diskussion zum Beginn der
siebziger Jahre, als die "hingeworfene Einleitung" längst
veröffentlicht war. Zahllose Versuche, Marx' 'Kapital' mit Hegels
'Logik' zu parallelisieren und als Anwendungsbeispiel der Logik zu
lesen, leisteten alles andere, als die harten ökonomischen Urteile
dieses Buches einem gebührenden Interesse zuzuführen. Selbst Beiträge,
die innerhalb der Methodendiskussion noch auf den ökonomischen Inhalt
verweisen wollten, wollten und konnten nicht vermeiden, als Fortsetzung
des methodischen Interesses zu erscheinen.
Siehe dazu: Rüdiger Bubner, Logik und Kapital, in: ders., Dialektik und Wissenschaft, FfM 1973.
Jindrich Zelený, Die Wissenschaftslogik und 'Das Kapital', FfM/Wien 1969.
Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, FfM/Wien 1970.
Vgl. auch die Aufsätze von Backhaus und Krahl.
46) Siehe dazu wiederum Marx:
"Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der
Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im
Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren
und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit
vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt
werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell
wieder, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a
priori zu tun."
Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW 23, S. 27.
47) Hegel hebt selbst hervor, daß die logische Darstellung zugleich die für den Nachvollzug bequemste ist:
"Wenn bloß nach der Leichtigkeit gefragt ist, die abstrakte einfache
Gedankenbestimmung zu fassen als das Konkrete, welches eine vielfache
Verknüpfung von solchen Gedankenbestimmungen und deren Verhältnisse
ist."
Hegel, Logik II, S. 459.
48) Marx macht sich über F. Lange lustig, der weder die Hegelsche
'Methode' verstanden hat, noch weiß, daß sie dasselbe wie Sach1ichkeit
ist:
"Was derselbe Lange über Hegelsche Methode und meine Anwendung
derselben sagt, ist wahrhaft kindisch. Erstens versteht er rien von
Hegels Methode und darum zweitens noch viel weniger von meiner
kritischen Weise, sie anzuwenden. ... Lange ist so naiv zu sagen, daß
ich mich in dem empirischen Stoff 'mit seltenster Freiheit bewege'. Er
hat keine Ahnung davon, daß diese 'freie Bewegung im Stoff' durchaus
nichts anderes als Paraphrase ist für die Methode, den Stoff zu
behandeln - nämlich die dialektische Methode..."
Marx, Brief an Kugelmann vom 27. Juni 1870, MEW 32, S. 658 f.
49) Siehe S. 113.
50) Hegel, Enz. III, Konzept der Rede..., WW 10, S. 412/413.
51) ders., Logik I, S. 31.
52) a.a.O., S. 32.
53) "Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung
verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur
Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf
die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich
zusammenfassenden, sich in sich vertiefenden und aus sich selbst sich
bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode. vom Abstrakten zum
Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das
Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren.
Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. ... Für das
Bewußtsein daher - und das philosophische Bewußtsein ist so bestimmt -
dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die
begriffene Welt als solche erst das Wirkliche ist, erscheint daher die
Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt ... dessen
Resultat die Welt ist; und dies ist - dies ist aber wieder eine
Tautologie - soweit richtig, als die konkrete Totalität als
Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des
Denkens ist... Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint,
ist ein Produkt des denkendes Kopfes, der sich die Welt in der ihm
einzig möglichen Weise aneignet..."
Marx, Einleitung zur Kritik..., MEW 13, S. 632 f.
54) Marx hatte entdeckt, daß diese Lösung nur für denjenigen
'naheliegt', der noch die Not verspürt, die Objektivität des Denkens
beweisen zu müssen, anstatt - siehe das Kapitel 'Erkenntnistheorie' -
den Fehler dieser Frage zu erkennen. Hegel wollte nicht nur darstellen,
wie das Denken einzelne, einseitige und darum nur subjektive
Bestimmungen und Kategorien immanent überwindet, sondern ebenso aus der
logischen Natur der Objekte die Möglichkeit der Übereinstimmung
ableiten, und dokumentierte darin noch die Unsicherheit des Denkens,
das nicht einfach Angriffe widerlegt, die selber vom Denken Gebrauch
machen müssen, sondern noch zusätzlich meint, sich beweisen zu müssen.
Marx berichtet, daß Feuerbach der Hegelschen 'Negation der Negation',
durch die doch nur die Dinge für das Bewußtsein bestimmt werden, das
"auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete
Positive entgegenstellt"; denn:
"Die Position oder Selbstbejahung, die in der Negation der Negation
liegt, wird für eine ihrer selbst noch nicht sichere, darum mit ihren
Gegensatz behaftete, an sich selbst zweifelnde und darum des Beweises
bedürftige, also nicht durch ihr Dasein sich selbst beweisende, als
nicht eingestandene Position gefaßt und darum ihr indirekt und
unvermittelt die sinnlich gewisse, auf sich selbst gegründete Position
entgegengestellt."
Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsband I, S. 570.
55) Hegel, Logik II, S. 486 f.
56) ders., RPh., § 189 schriftl. Zusatz, S. 170.
57) ders. (Wegen des mündlichen Zusatzes wird die Werkausgabe in diesem
besonderen Fall hinzugezogen), RPh, § 189, mündl. Zusatz, WW 7, S. 347.
58) Daß die Operation des Denkens, sich durch Abstraktion von allem
Inhalt in jedem besonderen Stoff wiederzufinden, keine Schwierigkeit
ist, bemerkt Marx ironisch in der Kritik an Proudhon:
"Ist es zum Verwundern, daß in letzter Abstraktion - denn es handelt
sich um Abstraktion, nicht um Analyse - jedes Ding sich als logische
Kategorie darstellt? Ist es zum Verwundern, daß, wenn man nach und nach
alles fallen läßt, was die Individualität eines Hauses ausmacht, wenn
man von den Baustoffen absieht, woraus es besteht, von der Form, die es
auszeichnet, man schließlich nur noch einen Körper vor sich hat; daß,
wenn man von den Umrissen dieses Körpers absieht, man schließlich nur
einen Raum hat; daß, wenn man endlich von den Dimensionen dieses Raumes
abstrahiert, man zum Schluß nichts mehr übrig hat als die Quantität an
sich, die logische Kategorie der Quantität? Wenn wir solchermaßen
konsequent abstrahieren, von jedem Subjekt, von allen seinen belebtem
und unbelebten angeblichen Akzidentien, Menschen und Dingen, so haben
wir ein Recht zu sagen, daß man in letzter Abstraktion nur noch die
logischen Kategorien als Substanz übrigbehält."
Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 127.
59) So hatte Hegel den Anaxagoras einerseits sehr dafür gelobt, daß er
als erster den "NOUS" zur Substanz der Welt erklärte, und ihn
andererseits dafür kritisiert, daß er bei der Bestimmung des Wesens
jenseits der Erscheinungen stehenblieb; denn so blieben die
Erscheinungen ein Jenseits gegen ihr angebliches Wesen, und Anaxagoras
hatte statt des einheitlichen Prinzips einen Dualismus installiert:
"Was nun die einfache spekulative Beziehung des NOUS auf diese Materie
betrifft: so sind beide spekulativ nicht als Eins gesetzt! Denn diese
ist nicht als Eins gesetzt, der Begriff ist nicht in sie selbst
eingedrungen."
Hegel, Vorl. über die Geschichte der Philosophie I, W 18, S. 392.
60) Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsband I, S. 571.
61) Die Aufhebung der 'Entfremdung' bedeutet für Hegel nicht die
Beseitigung einer nicht vernünftig zu bejahenden Objektivität, sondern
die Aufhebung des Objektcharakters der Wirklichkeit im Geiste:
"Die Aneignung des entfremdeten gegenständlichen Wesens... hat für
Hegel zugleich oder sogar hauptsächlich die Bedeutung, die
Gegenständ1ichkeit aufzuheben, weil nicht der bestimmte Charakter des
Gegenstands, sondern sein gegenständ1icher Charakter für das
Selbstbewußtsein das Anstößige in der Entfremdung ist. Der Gegenstand
ist daher ein Negatives, ein sich selbst Aufhebendes, eine Nichtigkeit.
Diese Nichtigkeit hat für das Bewußtsein nicht nur eine negative,
sondern eine positive Bedeutung, denn jene Nichtigkeit des Gegenstands
ist eben die Selbstbestätigung der Ungegenständlichkeit, der
Abstraktion seiner selbst."
Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., a.a.O., S. 579f.
62) Hegel, Enz. I, WW 8, § 212 mündl. Zusatz, S. 367.
63) Dies ist der wesentliche Einwand von Marx gegen Hegels Argumentationsweise in der Analyse des Staates (Rechtsphilosophie).
Zum § 267, in dem die Staatsorgane und die Verfassung als der
Organismus des Staates bestimmt werden, sodann aber aus [einem
abstrakten] Organismus, nicht aus dem bestimmten des Staates, die
einzelnen Momente deduziert und den abstrakten Bestimmungen der
Einzelheit dann wieder die bestimmten, wirklichen Staatsgewalten
unterschoben werden, meint Marx:
"Der Wahrheit nach hat Hegel nichts getan, als die 'politische
Verfassung' in die allgemeine abstrakte Idee des 'Organismus'
aufgelöst, aber dem Schein und seiner eigenen Meinung nach hat er aus
der 'allgemeinen Idee' das Bestimmte entwickelt. Er hat zu einem
Produkt, einem Prädikat der Idee gemacht, was ihr Subjekt ist. Er
entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand
nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit
sich fertig gewordenen Denken. Es handelt sich nicht darum, die
bestimmte Idee der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es
handelt sich darum, der politischen Verfassung ein Verhältnis zur
abstrakten Idee zu geben."
Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, S. 213.
Subsumtion unter die Logik aber gibt gar nicht die Besonderheit der Sache an:
"Eine Erklärung, die aber nicht die differentia specifica gibt, ist
keine Erklärung. Das einzige Interesse ist, 'die Idee' schlechthin, die
'logische Idee' in jedem Element, sei es des Staates, sei es der Natur,
wiederzufinden, und die wirklichen Subjekte, wie hier die 'politische
Verfassung', werden zu ihren bloßen Namen, so daß nur der Schein eines
wirklichen Erkennens vorhanden ist."
a.a.O., S. 210 f.
64) Diese Bestimmungen der Dinge sind Subsumtionen unter die Logik,
insofern gilt die Kritik des obigen Punktes für sie genauso. Allerdings
ist damit für den Leser noch nicht alle Erkenntnis verloren; diese
Bestimmungen sind, als Metaphern gelesen, Bestimmungen des
Verhä1tnisses von Ding und seinen Eigenschaften, von Recht, Rechtsbruch
und Strafe usw. Damit ist das Ding freilich kein Urteil, aber es
verhält sich zu seiner Eigenschaft wie das Subjekt des Urteils zum
Prädikat; wie dieses erst durch das Prädikat bestimmt wird als das, was
es ist, so ist das Ding auch selber das Verhältnis, der Zusammenhang
seiner Eigenschaften.
65) Hegel weist Krugs Ansinnen, der neueste Idealismus solle ihm doch
einmal seine Schreibfeder deduzieren, einerseits als ein unter der
Philosophie stehendes Begehren und die Schreibfeder als einen der
Philosophie nicht würdigen Gegenstand zurück; andererseits gibt er,
eine Seite später, Krug durchaus Auskunft darüber, an welcher Stelle
des Systems er die 'leichte Aufgabe' der Deduktion "von einem
derjenigen Dinge, die er vorschlägt, von Eisen finden" kann.
Hegel, Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie nehme, - dargestellt an den Werken des Herrn Krug, WW 2, S. 194 f.
66) Siehe Hegels Bestimmung des Mangels der praktischen Zweckmäßigkeit:
"Als Resultat ergibt sich hiemit, daß die äußere Zweckmäßigkeit, welche
nur erst die Form der Teleologie hat, eigentlich nur zu Mitteln, nicht
zu einem objektiven Zwecke kommt, - weil der subjektive Zweck als eine
äußerliche, subjektive Bestimmung bleibt."
Hegel, Logik II, S. 402.
Sowie sein Übergang zur Idee, den Hegel nur durch die Ersetzung der
"Aufhebung der Äußerlichkeit" des nützlichen Gegenstandes durch seinen
Ge- und Verbrauch in die "Aufhebung der Äußerlichkeit überhaupt"
übersetzt:
"Diese Reflexion aber, daß der Zweck in dem Mittel erreicht und im
erfüllten Zwecke das Mittel und die Vermittlung erhalten ist, ist das
letzte Resultat der äußerlichen Zweckbeziehung, worin sie selbst sich
aufgehoben und das sie als ihre Wahrheit dargestellt hat. - Der zuletzt
betrachtete dritte Schluß ist dadurch unterschieden, daß er erstens die
subjektive Zwecktätigkeit der vorhergehenden Schlüsse, aber auch die
Aufhebung der äußerlichen Objektivität, und damit der Äußerlichkeit
überhaupt durch sich selbst, hiemit die Totalität in ihrem Gesetztsein
ist."
a.a.O., S. 405.
67) Marx bestimmt den Grund für Hegels affirmative Stellung zu Staat,
Religion usf. damit, daß sich bei Hegel das "Bewußtsein als nur
Bewußtsein nicht an der entfremdeten Gegenständlichkeit, sondern an der
Gegenständlichkeit als solcher seinen Anstoß hat." Damit aber ist sie
herzlich gleichgültig gegen den bestimmten Charakter des Gegenstands
und akzeptiert ihn durchaus, sofern er nur sich unter die Logik
subsumieren, also den Realitätsbeweis der Logik zuläßt.
"Hier ist die Wurzel des falschen Positivismus Hegels oder seines nur scheinbaren Kritizismus."
"Von einer Akkomodation Hagels gegen Religion, Staat etc. kann also
keine Rede mehr sein, da diese Lüge die Lüge seines Progresses ist."
Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., MEW Ergänzungsband I, S. 581.
68) Man sieht an diesem Prinzip der Affirmation, wie sekundär die
zusätzlichen politischen Rücksichten einzuschätzen sind, die Ilting in
den verschiedenen Versionen der Vorlesung zur Rechtsphilosophie
zwischen 1817 und 1820 nachweist.
Karl-Heinz Ilting, Die 'Rechtsphilosophie' von 1820 und Hegels
Vorlesungen über Rechtsphilosophie, in: ders. (Hrsg.), G.W.F. Hegel,
Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818 bis 1831, Stuttgart 1973, Bd.
I, S. 23-126.
69) Noch einmal Marx' Bestimmung dieses Aufhebens der Gegenständlichkeit:
"Alle Wiederaneignung des entfremdeten gegenständlichen Wesens
erscheint daher als eine Einverleibung in das Selbstbewußtsein; der
sich seines Wesens bemächtigende Mensch ist nur das der
gegenständlichen Wesen sich bemächtigende Selbstbewußtsein."
Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., a.a.O., S. 576.
70) Hans Friedrich Fulda, Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, in:
Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie
Hegels, FfM 1978, S. 48.
"Charakteristisch ist für die dialektische Logik gerade dies, daß sich
die behandelten Termini im Fortgang der Untersuchung erst allmählich an
die ihnen zukommende systematische Stelle schieben. Man könnte diesen
Vorgang in einem Brettspiel abbilden, für das die entsprechenden Regeln
formulierbar sind."
71) Adorno, Drei Studien zu Hegel, FfM 1963, S. 147.
72) Hegel, Konzept der Rede..., WW 10, S. 416.
73) Fr. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S. 350 ff.
74) Peter Ruben 'deutet' ebenfalls die Logik und denkt sich die gesellschaftliche Arbeit darunter:
"Die von Sir Charles mit Betrübnis festgestellte Tatsache, daß der
Marxismus Hegels 'Logik' wärmstens dem aufmerksamen Studium empfiehlt,
ist nichts anderes als der Ausdruck des Interesses der Philosophie der
Arbeiter die wesentliche Natur der Arbeit wissenschaftlich zu
begreifen."
"Unsere Annahme für die nachfolgenden Überlegungen also lautet: Hegels
Philosophie liefert die Theorie der konkreten Arbeit in mystischer
Form."
Peter Ruben, Von der 'Wissenschaft der Logik' und dem Verhältnis der
Dialektik zur Logik, in: Rolf-Peter Horstmann, Seminar: Dialektik...,
a.a.O., S. 71/72.
Ruben kann sich auf den frühen Marx zur Unterstützung seiner Deutung
berufen, da auch Marx Hegels Analyse des Denkens nicht nur als solche
nehmen, davon lernen und sie als solche kritisieren wollte, sondern
meinte, die Form der Dialektik für seine "materialistische Philosophie"
als Beleg benützen zu können: Hegel sprach vom Denken wie von einem
Demiurgen, dabei müßte an seiner Stelle materialistisch die Arbeit
stehen.
"Das Große an der Hegelschen Phänomeno1ogie und ihrem Endresultate -
der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden
Prinzip - ist also einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen
als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als
Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufheben dieser
Entäußerung; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den
gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als
Resultat seiner eigenen Arbeit begreift."
Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik..., MEW Ergänzungsband I, S. 574.
Da erhebt sich allerdings schon die Frage, warum Hegel das Verhältnis
von Subjekt und Objekt, welches die Arbeit ist, noch extra, nämlich im
Teleologie-Kapitel abgehandelt hat, wenn er überall "im mystischer
Form" von nichts anderem als von Arbeit sprach? Zu Marx'
"materialistischer Philosophie" siehe das folgende Kapitel.
75) Michael Theunissens Untersuchung der Hegelschen Logik hat eine
eigentümliche Doppelstruktur: Er behandelt alle Abschnitte der Seins-
und einige der Wesenslogik mit jeweils zwei Kapiteln, deren eines unter
der Überschrift 'Interpretation' sich detailliert und kenntnisreich um
das Verständnis des Textes bemüht, deren anderes aber die
Interpretation des logischen Resultats übernimmt und dabei in dem
Verhältnis, das die Kategorien der Seinslogik untereinander einnehmen,
Selbständigkeit und Relativität, Herrschaft liest (S. 28 f.); in den
Bestimmungen des Urteils aber, da Subjekt und Prädikat sich
wechselseitig bestimmen, die Idee "Kommunikativer Freiheit"
niedergelegt sieht (S. 60). Die Schwierigkeit, daß von dergleichen
Sozialidealen in der 'Logik' nichts zu lesen steht, bewältigt
Theunissen folgendermaßen:
"Nun soll keineswegs behauptet werden, Hegel verknüpfe Liebe und
Freiheit in dieser explizit sozialphilosophischen Weise. ... Hegels
Logik wehrt sich grundsätz1ich gegen jede unmittelbare Inanspruchnahme
für gesellschaftstheoretische oder auch intersubjektivitätstheoretische
Programme. Sie tut dies allerdings keineswegs bloß deshalb, weil sie
weniger ist als Sozialphilosophie..., sondern durchaus auch insofern,
als sie mehr bietet. Anknüpfend an die oben gebrauchte Formulierung
könnte man sagen: Nach ihrem 'normativen Ideal' setzt die Freiheit des
einzelnen Subjekts, als das 'der Begriff' sich schließlich offenbart,
nicht nur die Freiheit aller voraus, nämlich aller anderen Subjekte,
sondern auch die Freiheit von allem von allem, was ist. Eine spezielle
Intersubjektivitätstheorie präsentiert die Hegelsche Logik darum nicht,
weil sie als universale Kommunikationstheorie angelegt ist."
Michael Theunissen, Sein und Schein, Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, FfM 1978, S. 46.
76) Popper hat keine Scheu, Hegel eine Überschätzung der Leistung des
Denkens und seiner Begriffe vorzurechnen, die Dialektik einen billigen
Taschenspielertrick zu nennen und Hegel für Stalinismus und Faschismus
verantwortlich zu machen.
Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 2, München 19754, S. 27 und passim.
77) Diesen Widerspruch rechnen Adorno Vertreter der affirmativen Metaphysik und "Rechts"-Hegelianer vor:
Bernard Willms, Theorie, Kritik, Dialektik, in: Über Th. W. Adorno, Hit Beiträgen von K. Oppens u.a., FfM 1968.
"Das Denken des Ganzen entzieht dieses der Kategorie der Veränderbarkeit." (S. 71)
"Wenn das Wahre das Ganze ist, dann muß Geschichte als begriffene zur
Weltgeschichte werden. In diesem Punkt kann die kritische Sozialtheorie
die Last der Theorie, die sie mit der Dialektik aufnahm, anscheinend
ein wenigsten tragen. ... Die Unmöglichkeit des Durchhaltens des
dialektischen Anspruchs angesichts der Unwahrheit einer für das Ganze
genommenen - weil als das Ganze sich abstrakt bestimmenden -
geschichtlichen Erscheinung führte, wie oben zu zeigen versucht wurde,
zum Herausspringen aus der Dialektik in die Verfestigung - Abstraktion
- des subjektiven Freiheitspostulats." (S. 83)
Ilse Müller-Strömsdörfer, Die 'helfende Kraft bestimmter Negation'. Zum
Werke Th. W. Adornos, in: Philosophische Rundschau Jahrg. 8/1960, Heft
2/3, S. 81-105:
"Es bleibt beim 'Münchhausenkunststück' von der Annahme eines
Hegelschen Resultats (des Erlöschen des Subjekts in der Erkenntnis der
Sache; d. V.) bei gleichzeitiger Ablehnung seiner Prämisse (der
Versöhnung von Subjekt und Objekt; d. V.), beim Versuch einer Revision
... der an Hegel zerbricht." (S. 105)
"Philosophische Dialektik ist nicht zu trennen vom Gedanken der Synthesis, der Aufhebung von Gegensätzen." (a.a.O.)
"Veränderung als philosophische Aufgabe aber widerstreitet der Idee einer prima philosophia." (S. 86)
Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, Zur Kritik der kritischen Theorie, Berlin 1969:
Theunissen kommt nicht von Hegel, sondern von Aristoteles her zum
gleichen Urteil: Die Frankfurter Philosophie verwechsle 'theoria' und
'phronesis', deren letztere praktische Lebensklugheit sei und damit
kritisch gegen Lebensumstände auftreten könne, ohne aber als "weniger
strenge Disziplin" die Objektivität der Wissenschaft für sich
beanspruchen zu dürfen. 'theoria' dagegen
"... ist weder selbst Praxis..., noch drängt sie auf praktische
Verwirklichung hin. Ihre doppelte Praxisferne hängt, wie es immer um
den Vorwurf des Objektivismus bestellt sein mag, jedenfalls eng damit
zusammen, daß an dem schon immer vollendeten Sein, dessen
Selbstgenügsamkeit sie ihre eigene Autarkie verdankt, nicht mehr
aussteht." (S. 7)
78) Siehe Adorno, ND, S. 146.
"Kritiker der Kantischen Trennung von Form und Inhalt, wollte Hegel
Philosophie ohne ablösbare Form, ohne unabhängig von der Sache zu
handhabende Methode, und verfuhr doch methodisch."
79) Siehe dazu: Adorno, Drei Studien zu Hegel, FfM 1963, S. 81 (im folgenden: 3 Studien)
80) a.a.O., S. 91.
81) Adorno, ND, S. 146.
82) a.a.O. S. 160.
83) a.a.O., S. 152.
84) So behauptet Adorno von sich selbst, daß sein Denken sich der
"Clownerie" nähere (ND, S. 24), daß der "Gedanke, der vor dem elend
Ontischen nicht kapituliert", sondern widerspricht, "vor dessen
Kriterien zunichte" wird, "Wahrheit zu Unwahrheit, Philosophie zur
Narretei". (ND, S. 394) Ja er geht noch weiter und behauptet
tatsächlich die Verwirrung des Denkens als Bedingung der Wahrheit:
"Wahr sind nur Gedanken, die sich selber nicht verstehen.
(ND, S. 55 f.)
85) Arnold Künzli "psychiatrisiert" Adorno geradezu, indem er versucht,
seine Philosophie als die Ausgestaltung einer Paranoia zu deuten. Diese
psychologische Betrachtung von Theorie verfehlt freilich ihren
Gegenstand, weil sie nicht die Qualität der Argumente prüft, sondern
hinter diesen ihre Gesetze meint auffinden zu müssen. Arnold Künzli,
Linker Irrationalismus. Zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule,
in: ders., Aufklärung und Dialektik. Politische Philosophie von Hobbes
bis Adorno, Freiburg 1971.
Heiner Höfener weist diese Betrachtungsweise zurecht und scharf zurück,
räumt dann aber Künzlis Behauptung ein, daß Adorno einem Wahn
unterworfen gewesen sei, und bewertet nur diese fast klinische Diagnose
umgekehrt:
"Daß Adorno einen neuen Mythos formulierte - den des 'Wahns' - muß allen aufgeklärten Aufklärern als purer Wahn erscheinen."
Höfener dagegen erscheint es als dasselbe wie Wahrheit:
"Für Adorno wie auch für Horkheimer kommt dem Wahn eine Würde zu, wie
sie sonst nur der Wahrheit zu eigen ist. In ihrer Philosophie ist die
Differenz zwischen Wahrheit und Wahn minimalisiert, ja, sie halten sie
für identisch gemäß dem Satz, daß Extreme sich berühren."
Heiner Höfener, Funke, Wahn und Feuerwerk. Wie verrückt ist die
kritische Theorie?, in: Der Monat, Heft 1, 31. Jahrg. 1979, S. 113.
86) Siehe die schon besprochene Stelle aus Karl Popper, Was ist Dialektik; Fußnote 27 des Einleitungskapitels.
Auch Müller-Strömsdörfer spielt auf eine Unfaßbarkeit des Adornoschen
Denkens an, weil es sich gegen den Widerspruch nicht wehre:
"Denn - wie es scheinen will - entzieht sich ein Denken dem Zugriff,
für das Widerspruch nicht Not ist, die gewendet, nicht Unrichtigkeit,
die aufgelöst werden muß, und das selbst eigene Widersprüchlichkeit
noch methodisch bewußt als 'Unmöglichkeit um der Möglichkeit willen'
einplant."
Allerdings widerlegt sie praktisch die Unfaßbarkeit Adornos.
Ilse Mtiller-Strömsdörfer, a.a.O., S. 81
86a) Dieser Satz verrät seine Herkunft aus einer "formalen Logik", die
keine inhaltlichen Zusammenhänge zwischen Urteilen mehr zur Kenntnis
nehmen will: das "sequitur" steht nicht für einen Schluß, den das
Antecedens erlaubt bzw. notwendig macht, und das Consequens wird als
grundlose "Implikation" aufgefaßt, so daß per Wahrheitswert(!)tafel für
jedes falsche Antecedens der Wahrheitswert "falsch" und der Schluß als
gleichgültig behauptet werden kann.
87) Siehe Adorno, 3 Studien, S. 91:
"Daß Hegel gegen das klappernde Schema der Triplizität Thesis,
Antithesis, Synthesis als eines der bloßen Methode die schneidendsten
Einwände äußerte; daß es in der Vorrede zur Phänomenologie heißt,
solange es Schema, also bloß den Gegenständen von außen aufgeprägt
bleibe, erlerne der 'Pfiff' sich rasch",
zeigt Hegels und Adornos Selbstverständnis der Dialektik, daß sie solches jedenfalls nicht sein sollte.
88) "Die Universalität der Negation ist keine metaphysische Panazee,
der sich alle Türen öffnen sollen, sondern einzig die zum
Selbstbewußtsein gediehene Konsequenz aus Jener Erkenntniskritik,
welche die Panazeen zerschlug. Mit anderen Worten, Hagels Philosophie
ist in eminentem Sinn kritische Philosophie."
Adorno, 3 Studien, S. 93.
89) An dieser Stelle unterscheidet Adorno in einer Fußnote einmal die
theoretische, denkanalytische Bedeutung dieser Kategorien von dem
sonstigen metaphysischen Verständnis als Schema der Triplizität:
Unmittelbarkeit, Kritik derselben und Kritik dieser Kritik:
Einverständnis.
"Wie fast eine jegliche der Hegelschen Kategorien hat auch die der
negierten und dadurch positiven Negation einigen Erfahrungsgehalt.
Nämlich für den subjektiven Fortgang philosophischer Erkenntnis. Weiß
der Erkennende genau genug, was einer Einsicht fehlt oder worin sie
falsch ist, so pflegt er kraft solcher Bestimmtheit das Vermißte
bereits zu haben."
Adorno, ND, S. 159, Fußnote.
Aus dem folgenden ebenfalls richtigen Satz -
"Nur darf dies Moment der bestimmten Negation, als seinerseits ein
Subjektives, nicht der objektiven Logik und gar der Metaphysik
gutgeschrieben werden." -
folgert Adorno allerdings eine Seite weiter, die "positive Negation der
Negation" müsse um der Kritik willen unterbleiben. Auf diesen Schluß
kommt er nur dadurch, daß er selbst sie 'der Metaphysik gutgeschrieben'
hat.
89a) Auf dem Standpunkt dieser Gleichsetzung von Denken und
Legitimation, dieses metaphysischen Mißverständnisses der Hegelschen
Logik, steht nicht nur Adorno, sondern praktisch die gesamte
zustimmende und ablehnende Rezeption Adornos. Die einfache Negation,
die nicht bis zur Identität der Sache weiterbestimmt wird, gilt
Vertretern und Anhängern der Frankfurter Schule nicht als mangelhaftes
Denken, sondern als Garant von 'Nicht-Affirmativität'; der Gegenseite
fällt meist der Denkfehler auf, aber nur um daran das Kritische, den
Mangel an Versöhnung zu monieren.
So nennt Carlo Pettazzi (Studien zu Leben und Werk Adornos bis 1938,
in: Text und Kritik Sonderband 'Theodor W. Adorno', Hrsg. Heinz Ludwig
Arnold, München 1977, S. 35) das Stehenbleiben des Denkens im
Widerspruch den "diadischen Charakter" von Adornos Dialektik, die
jedoch, aber eben nur in der Zukunft, "danach strebt, sich in der Trias
auf zulösen.
Für Ulrich Sonnemann (Jenseits von Ruhe und Unordnung, Zur Negativen
Dialektik Adornos, in: Über Th. W. Adorno, FfM 1968, S. 122/121) gilt
der gleiche Fehler als Dialektik überhaupt; sie sei nämlich "das
Prinzip, mit welchem Denken sich ins Wort zu fallen ... sich gebietet."
Als solches erst ist es Kritik:
"Daß Denken sich in Widersprüchen entfaltet; von seiner Sache her
gesehen die Bewegung ist, die deren Konflikt aus sich selbst und über
ihre Grenzen hinaustreibt, liegt seit Platon einem Begriff von ihm,
dessen Name Dialektik ist, zugrunde."
Auf der anderen Seite wird genau dieselbe Feststellung getroffen - und umgekehrt bewertet.
Ilse Müller-Strömsdörfer:
"Indem statt des Begriffs der Aufhebung, der des Widerspruchs in den
Mittelpunkt des Denkens rückt, ist die Bewegung gegenüber dem Ziel
verselbständigt. Die Tendenz zur Polarisierung, zur Zweistufigkeit
gegenüber dem Hegelschen Dreischritt, springt überall ins Auge."
Allerdings, fährt sie dann fort,
"ist zu fragen, ob ein Denken, dessen Synthesis die Nichtsynthesis ist,
noch seinen Platz unter dem Terminus 'Philosophische Dialektik' hat."
(a.a.O., S. 105)
Entschiedenere Vertreter der eher ontologischen Richtung gehen weiter:
Härting (a.a.O., S. 291) vermißt an der 'einfachen, nicht positiven
Negation' Adornos, daß sich dieses Denken nicht selber negiert, dann
wäre der kritische Impuls auch wieder gestillt:
"Die 'Negation des Negativen', nämlich des eigenen kontradiktorischen Denkvollzugs, wird gar nicht erst in Angriff genommen."
Joseph E. Schmucker (Adorno - Logik des Zerfalls, Stuttgart/Bad
Cannstatt 1977) verfaßt ein ganzes Buch mit dem einen Gedanken, daß
eine Theorie, die die universelle Negativität behauptet, die also
kritisiert und nicht versöhnt, zuerst einmal an sich selbst zu denken
habe:
"Das Ergebnis der Adornoschen Gesellschaftstheorie: daß da Ganze das
Unwahre ist, ist ... zugleich der systematische Punkt, von dem aus
Erkenntnis kritisch zur Frage nach der Möglichkeit ihrer eigenen
Wahrheit übergehen muß. ... Die Frage nach der Möglichkeit einer
Theorie, die inmitten des Unwahren der Wahrheit sich versichern will."
(S. 133)
"Vollendet kritisches Denken bewährt sich damit als 'offenes', als
'Negation der Negation, welche nicht in Position übergeht'. Ist dann
aber das Ganze noch als das Unwahre zu behaupten, wenn eingesehen wird,
daß Dialektik als Methode und als eine der Sache divergieren?" Sodann
fordert Schmucker eine "Selbstnegation der Theorie". (S. 144)
Weitere Beispiele dieser grundsätzlichen Ineinssetzung von Negation im
Denken und Kritik, bzw. Erkenntnis und Affirmation finden sich in den
Fußnoten 77 und 105 dieses Kapitels, sowie Fußnote 98 des vorigen
Kapitels.
Selbst Autoren, die sich hier um eine Differenzierung bemühen, stehen
so unter dem Einfluß von Adornos Gleichsetzung, daß sie schließlich
auch auf sie verfallen. Eine solche Ausnahme bildet Hans Heinz Holz
(Mephistophelische Philosophie, in: Die neue Linke nach Adorno, Hrsg.
Wilfried F. Schoeller, München 1969). Er beginnt seine Bestimmung des
dialektischen Denkens mit einer Bestimmung der Negation des
Unmittelbaren, die nicht mehr besagt als "Prüfung", d.h. Kritik oder
Affirmation durchaus noch abhängig von der besonderen Natur des Objekts
sieht:
"Nun kommt allem Denken das Moment des Negativen zu, ein Bestehendes
und Geltendes in seine Elemente und Bestimmungsgründe aufzulösen, indem
die darin vereinten Gegensätze unterschieden und so aus der
Unentschiedenheit herausgetrieben werden, bis Bestand und Geltung
zerfallen." (S. 178)
Indem er jedoch diese Tätigkeit der Prüfung zu einer universellen und -
unabhängig vom Objekt - auch nie zu beendenden Tätigkeit des Denkens
erklärt, fällt er in die Methodik der negativen Dialektik zurück:
"Diese Grenze, innerhalb deren Denken einen Halt haben kann, bringt die
Kritik wieder zu Fall, macht es haltlos und setzt die Bewegung des
Denkens wieder in Gang. Dergestalt gibt es ... eine philosophia
perennis als die ewige Selbstzerstörung der Philosophie im Fortgang
ihres Aufbaus." (S. 179)
90) Adorno, ND, S. 153.
91) a.a.O., 5.159.
92) Siehe dazu oben S. 124; sowie Adornos richtige Verteidigung Hegels:
"Von allen Verdrehungen Hegels durch die dümmliche Intelligenz ist die
armseligste, Dialektik müsse unterschiedslos alles gelten lassen oder
nichts."
Adorno, 3 Studien, S. 93.
93) a.a.O., S. 96 f.
94) Noch einmal ist gegen Adorno einzuwenden, daß abstrakte Ober- und
Gattungsbegriffe nicht per se fehlerhafte wissenschaftliche Erklärungen
anzeigen. Z.B. ein Tier als Exemplar seiner Gattung erkennen, heißt
alles über es wissen. Das Beispiel, das Adorno für abstrakte
Oberbegriffe anführt, "Industriegesellschaft" (ND, S. 153 Fußnote), ist
freilich falsch, aber nicht weil abstrakt oder weil Oberbegriff,
sondern weil in dieser Abstraktion gar nicht die abstrakte Bestimmung
unserer Produktionsweise angegeben wird. Der abstrakte Begriff hätte
eben nur den Zweck der Produktionsweise getrennt von allen seinen
besonderen Momenten anzugeben, anstatt wie hier - und wie Adorno selbst
kritisiert - die Identität der Produktionsweise in ihr Mittel zu legen,
ein Mittel zudem, dem diese Produktionsweise nicht uneingeschränkt
positiv gegenübersteht. Adorno aber beweist hier am fa1schen abstrakten
Begriff seinen Vorbehalt gegen abstrakte Begriffe.
95) Siehe dazu: Adorno, 3 Studien, S. 60.
"Er (Hegel; d. V.) hat als erster wohl, in der Phänomenologie,
ausgesprochen, daß der Riß zwischen Ich und Welt durchs Ich selber
nochmals hindurchgeht."
96) a.a.O., S. 93.
97) Tugendhat z.B. bezeichnet schon bei Hegel die "These vom realen
Widerspruch" als "Skandalon", mehr aber noch die "Art, wie die Begriffe
Identität, Negation usw. zunächst deskriptiv angesetzt werden." Er
sieht hier eine "an primitiven Modellen orientierte Unbekümmertheit,
mit der im deutschen Idealismus die logischen Kategorien deskriptiv in
Ansatz gebracht wurden und immer noch ... werden." Tugendhat betont
richtig: "Nur Prädikate kann man negieren, und diese weisen ihrerseits
auf Negationen von Sätzen zurück." Trotzdem geht diese Kritik am
"objektiven Widerspruch" zu weit. Dies kündigt sich schon in obiger
Formulierung an, wo Tugendhat sich dagegen wendet, logische Kategorien
"deskriptiv" zu verwenden. Es fragt sich doch, was da beschrieben
werden soll. Geht es um das Denken, dann sind logische Kategorien eben
die treffende Beschreibung; die Differenz hängt also nicht an
"deskriptiv", sondern am jeweiligen Gegenstand. Daß im Falle des
"realen Widerspruchs" eine "gegenständliche Interpretation der
Bestimmungen, die in Wirklichkeit sprachliche sind", vorliegt, mag
(abgesehen davon, daß alle Bestimmungen sprachliche sind und sein
müssen - diese formelle Unterscheidung von Wirklichkeit und Sprache
trennt absolut -) noch eher angehen als die ähnliche Charakterisierung
des gleichen Fehlers, hier würde "der propositionale Charakter der
Negation übersprungen." Hier wird, anders ausgedrückt, der Umstand, daß
Negation ein Urteil ist und kein Ding, zum Anlaß genommen, auch schon
den Versuch aufzugeben, dieser metaphorischen Redeweise ihren doch oft
rationellen Inhalt abzugewinnen.
Alle Zitate: Ernst Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, FfM 1979, S. 303-305.
98) Siehe FN 90 des vorigen Kapitels.
99) Adorno, ND, S. 60.
100) a.a.O. S. 146.
101) a.a.O., S. 48 f.
102) "Gegenüber der totalen Herrschaft von Methode enthält Philosophie,
korrektiv, das Moment des Spiels, das die Tradition ihrer
Verwissenschaftlichung ihr austreiben möchte."
ND, S. 23 f.
103) "Dazu muß sie (Metaphysik; d. V.) sich auf das Wünschen verstehen."
ND, S. 397.
104) "Nicht anders vermag der Begriff die Sache dessen zu vertreten,
was er verdrängte, der Mimesis, als indem er in seinen eigenen
Verhaltensweisen etwas von dieser sich zueignet, ohne an sie sich zu
verlieren."
ND, S. 24.
105) Mit der richtigen Erinnerung gegen Adorno, daß ein "negatives
Denken", das seine Sache bloß in Gegensätze zerlegt und sie im Gedanken
nicht mehr zusammenbringt, in jedem Fall ungenügend ist, wird zumeist
auch schon der metaphysische Zusatz mitgedacht: wenn das Denken sein
Objekt ganz hat, dann sei es auch schon versöhnt. Mit dem richtigen
Einwand gegen die Leistung des Denkens bei Adorno wird also zugleich
das kritische Resultat in Zweifel gezogen. Siehe die Fußnoten 77 und
89a dieses Kapitels. Andererseits aber hat diese Kritik auch gegen
Adorno recht, da seine, durch die Negation konstruierten Gegensätze
keine wirkliche, also weder theoretisch noch praktisch aufhebbare
Opposition bilden. Am härtesten hat dies Thomas Härting formuliert:
"Sein (Adornos; d. V.) Verneinen ist undialektisch, weil es nicht aus
Gründen der Sache hervorgeht, sondern lediglich das eigene abseitige
Unwesen betreibt." "Das Vorgehen der negativen Reflexion erschöpft sich
so vor allem darin, kontradiktorische Allgemeinheiten zu setzen, die
ins schlechte Unendliche ihres Widerspruchs vermittelt werden. Dem je
Gesetzten wird das Entgegengesetzte vorgehalten. Dabei kommen oft nur
'sogenannte' kontradiktorische Begriffe (Hegel) zustande. Die Reflexion
findet das nicht weiter anstößig; ihr ist es um Festmachung irgendeines
Gegenteils zu tun, das sich nicht aufheben läßt. Widerspruch soll sein,
Affirmation hingegen nicht."
"Das Allgemeine steht wider das Besondere, Abstraktes wider Konkretes,
Subjekt wider Objekt, Ich gegen Man, Geist gegen Gesellschaft - und so
weiter und so fort; lauter disparate Gedankendinge."
Thomas Härting, Ideologiekritik und Existenzphilosophie. Philosophische
Stellungnahme zu Th. W. Adornos 'Jargon der Eigentlichkeit', in:
Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 21, Heft 2 1967, S. 290 f.
106) Zur Frage der ökonomischen Qualität von Adornos Untersuchung des Tausches siehe z.B. Christel Beyer, a.a.O., S. 93-99;
Giacomo Marramao, Zum Verhältnis von Politischer Ökonomie und
Kritischer Theorie, in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 11/1973 FfM,
S. 79-83.
Otwin Massing (a.a.O., S. 43) erwähnt ebenfalls, daß Tausch nicht als
die Vermittlung der Privatarbeiten, sondern als universeller Abstraktor
die Welt nivelliert und zugleich entfremdet; er schreibt, bei Adorno
findet sich an ökonomischen Einsichten kaum mehr, als daß "das
Tauschprinzip alles verhext habe."
Karl-Heinrich Birzele nennt es deshalb einen richtig mythischen "Weltbewegungsgrund" (a.a.O., S. 147 ff).
107) Siehe oben S. 68 f.
108) Adorno, ND, S. 188.
109) Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW 23, S. 208.
110) Siehe ders., Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 18.
111) In der Kritik an Proudhon bespricht Marx den englischem
Sozialutopisten Bray als den Vater des Proudhonschen Ideals eines
gerechte als Gegenbild zur Ausbeutung. Diese Stelle könnte direkt an
Adorno gerichtet sein.
"So entspricht auch der individuelle Austausch einer bestimmten
Produktionsweise, welche selbst wieder dem Klassengegensatz entspricht;
somit kein individueller Austausch ohne Klassengegensatz.
Aber das Biedermannsgewissen verschließt sich dieser evidenten
Tatsache. Solange man Bourgeois ist, kann man nicht umhin, in diesem
Gegensatz einen Zustand der Harmonie und ewigen Gerechtigkeit zu
erblicken, der niemandem erlaubt, sich auf Kosten des anderen Geltung
zu verschaffen. Für den Bourgeois kann der individuelle Austausch ohne
Klassengegensatz fortbestehen.
Herr Bray erhebt die Illusion des biederen Bürgers zum Idea1 das er
verwirklichen möchte. Dadurch, daß er den individuellen Austausch
reinigt, daß er ihn von allen widerspruchsvollen Elementen, die er in
ihm findet, befreit, glaubt er, ein ega1itäres Verhältnis zu finden,
das man in die Gesellschaft einführen müßte.
Herr Bray ahnt nicht, daß dieses egalitäre Verhältnis, dieses
Verbesserungsideal, welches er in die Welt einführen will, selbst
nichts anderes ist als der Reflex der gegenwärtigen Welt und daß es
infolgedessen total unmöglich ist, die Gesellschaft auf einer Basis
rekonstituieren zu wollen, die selbst nur der verschönerte Schatten
dieser Gesellschaft ist. In dem Maße, wie der Schatten Gestalt annimmt,
bemerkt man, daß diese Gestalt, weit entfernt, ihre erträumte
Verklärung zu sein, just die gegenwärtige Gestalt der Gesellschaft ist."
Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 105.
112) Adorno, ND, S. 148.
113) a.a.O.
113a) An anderen Beispielen entdecken auch Tomberg und H.J. Köhler die
notwendige Irrealität des Ideals. Utopisch entwirft Adorno
"eine Welt des Glücks, aber ohne Macht, eine Welt des Lohnes, aber ohne
Arbeit; Heimat ohne Grenzstein, Religion ohne Mythos. Die Gewalt ist
abgeschafft, und der Gedanke hat sich von der Herrschaft befreit.
Kurzum: es ist eine Welt, die es als materielle niemals geben kann,
eine Welt, die als bloß geistige zu denken ist, d.h. die gar nicht zu
denken ist - außer vielleicht im Gefolge einer Philosophie des
Deutschen Idealismus."
Friedrich Tomberg, Utopie und Negation. Zum ontologischen Hintergrund
der Kunsttheorie Adornos, in: Das Argument, Heft 26, S. Jahrg. Juli
1963, S. 42.
"So konstruiert Adorno mit seiner Theorie der bürgerlichen Rationalität
einen unaufhebbaren Zirkel von Herrschaft, der mit der
gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion unabdingbar gesetzt ist."
Hans-Joachim Köhler, Th. W. Adornos Konzeption einer kritischen Theorie
der Gesellschaft; Diss. am FB Philosophie und Sozialwissenschaften der
Freien Univers. Berlin 1974.
114) Das Verdienst, den affirmativen Charakter der Ideale aufgezeigt zu
haben, kommt vor Marx Hegel in einem doppelten Sinn zu. Einerseits
konnte er in der Tat nachweisen, daß die Ideale des Bürgertums,
Freiheit und Gleichheit, im modernen Rechtsstaat verwirklicht sind, wie
sie es ihrem Begriff entsprechend einzig sein können; zum anderen hat
er klargestellt, daß über die Wirklichkeit hinausgehende Vorstellungen
von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, an denen ihre eigene
Wirklichkeit dann kritisch gemessen werden müßte, absurd sind.
Siehe dazu die Kritik der absoluten Freiheit: ders., Phänomenologie des Geistes, a.a.O., S. 414-422.
Zur Kritik der "nicht bloß formalen, sondern materialen Gleichheit": Rechtsphilosophie, WW 7, § 49,.mündl. Zusatz:
"Die Gleichheit, die man in Beziehung auf die Verteilung der Güter
einführen möchte, würde, da das Vermögen vom Fleiß abhängt, ohnehin in
kurzer Zeit wieder zerstört werden. Was sich aber nicht ausführen läßt,
das soll auch nicht ausgeführt werden."
115) Adornos Sprache verrät dieses Wissen um die Unerfüllbarkeit seiner
utopischen Wünsche. Die bevorzugte Kopula seiner Urteile ist nicht die
des Aussagesatzes, nicht das 'ist', sondern sein Irrealis, das 'wäre' -
die Form für den unerfüllbar gedachten Wunsch.
Ein Beispiel mag für die zahllosen stehen: "Der Begriff des
intelligiblen Bereichs wäre der von etwas, was nicht ist und doch nicht
nur nicht ist." (Hervorh. d. V.) Adorno, ND, S. 383.
116) a.a.O., S. 52.
117) a.a.O., S. 36 f.
118) a.a.O., S. 163.
119) a.a.O., S. 162.
120) Hegel untersucht die abstrakteste Kategorie, mit der versucht
wird, bestimmtes Seiendes zu fassen: das "Etwas". "Jedoch ist Etwas
noch eine sehr oberflächliche Bestimmung." (Logik I, S. 102)
"Um den Unterschied (von Etwas und etwas Anderem; d. V.) und das als
affirmativ zu nehmende Etwas zu fixieren, dient das Dieses. Aber Dieses
spricht eben es aus, daß dies Unterscheiden und Herausheben des einen
Etwas ein subjektives, außerhalb des Etwas selbst fallendes Bezeichnen
ist. In dieses äußerliche Monstrieren fällt die ganze Bestimmtheit;
selbst der Ausdruck: Dieses enthält keinen Unterschied; alle und jede
Etwas sind gerade so gut Diese als sie auch Andere sind. Man meint
durch 'Diese' etwas vollkommen Bestimmtes auszudrücken..."
(a.a.O., S. 104)
Etwas hat also nur den abstrakten und allgemeinsten Inhalt, daß mit ihm
Bestimmtes, damit für sich seiendes gemeint ist, das eben nicht
zugleich und von vornherein auch schon etwas anderes einschließt.
"Somit ist Ansichsein (des Etwas; d.V.) erstlich negative Beziehung auf
das Nichtdasein, es hat das Anderssein außer ihm und ist demselben
entgegen; insofern Etwas an sich ist, ist es dem Anders-sein und dem
Sein-für-Anderes entnommen."
(a.a.O., S. 107)
Insofern aber das Etwas noch keinen Inhalt hat, besteht - ehe der
Übergang in die bestimmte Qualität in Betracht gezogen wird - seine
Identität einfach darin, nicht das Andere zu sein; somit in der
negativen Beziehung auf das andere:
"Aber zweitens hat es das Nichtsein auch selbst an ihm; denn es selbst
ist das Nichtsein des Seins-für-Anderes." (a.a.O.) Seine Bestimmung
macht "das immanente und zugleich negierte Sein-für-Anderes, die Grenze
des Etwas aus." (a.a.O., S. 104)
121) Hegel, Logik I, S. 107.
122) Gerade vom entgegengesetzten Fehler aus, von der Versicherung
einer von keinem Denken aufzulösenden Substanz, dem 'Sein' her, wird
der Fehler Adornos, die Auflösung des An-sich der Dinge im Denken in
Verhältnis, Vermittlung, Funktion, kurz: Sein-für-Anderes bemerkt. Ilse
Müller-Strömsdörfer sieht bei Adorno "die Reduktion des Seinsbegriffs
auf den Funktionsbegriff sozialer Existenz" - als "Erbsünde immanenter
Kritik" (was ihr Fehler ist). Sie hat völlig recht, wenn sie schreibt,
daß bei Adorno ein "de facto soziologisches Denken" vorliegt und er den
Funktionsfehler der "Soziologie zum Denkmodell" macht.
(Müller-Strömsdörfer, a.a.O., S. 84 und 103)
123) Adorno, ND, S. 164.
124) Dieter Henrich weist darauf hin, daß die Behauptung, die Pole
seien, was sie sind, nur durch das Verhältnis, zu "dürrsten" Resultaten
bei Adorno führen muß, da das - und sei es negative - Verhältnis die
einzige Bestimmung der Sache bleibt:
"Adorno arbeitet mit dem Minimalinventar alles Hegelianismus, mit den
beiden Wechselimplikationen Allgemeines-Besonderes und Subjekt-Objekt.
Daß jedes nur in Beziehung auf sein Gegenteil zu denken sei, ist dessen
These. Daß die Negation beider ein Besonderes, das nicht der Fall ist,
oder ein Ding, das nicht mehr Objekt ist, ergebe, macht Adornos
Revision aus. Die Kargheit dieses Resultats offenbart die Dürre dessen,
aus dem es gezogen wurde: ein formaler Vorbegriff von Subjekt und
Allgemeinheit und eine unaufgelöste Gleichung zwischen beiden."
"Mit ihr (der These von der Negativität und Kritik der Dialektik; d.
V.) befindet er (Henrich; d. V.) sich in Übereinstimmung. ... Auf die
Bestimmtheit ihres Sinnes kommt es aber an. .. Es widerstreitet der
Logik jeglichen Gedankens, der sich dialektisch nennen kann, jenseits
der Konkretion, welche ihm die Analyse verleiht, auf die bare
Duplizität hinauszulaufen, daß 'Herrschaft' sei und Freiheit sein
solle."
Dieter Henrich, Diagnose der Gegenwart - Th. W. Adorno: 'Negative Dialektik', Rezension in der FAZ vom 10.10.1967.
125) Als Beispiel für das "Funktionsdenken" von Parsons und das
Zusammenfallen von methodischen Strategien mit den materialen
Resultaten soll die Erklärung wirtschaftlichen Handelns von Parson
herausgegriffen und kurz erörtert werden.
Die Analyse beginnt mit dem Bekenntnis, daß alle besonderen Handlungen
zunächst auf gesellschaftliches Handeln reduziert werden - um dann als
solches zu erscheinen; sie macht den Anfang mit der
"Feststellung, daß wirtschaftliches Handeln sich in dem
'institutionellen' Rahmen einer Gesellschaft abspielt; wirtschaftliches
Verhalten ist, konkret gesehen, ein Aspekt des institutionellen
Verhaltens."
(Parsons, Die Motivierung des wirtschaftlichen Handelns, in: ders., Soziologische Theorie, Neuwied/Berlin 1964, S. 146)
Hat man sich für diese Sichtweise entschieden, dann gilt das besondere
Handeln mit seinen besonderen Zwecken als eine Art des allgemeinsten
auf Gesellschaft gerichteten Handelns. Dieses wird von Institutionen
"kanalisiert", damit auch funktioniert:
"Von diesem Standpunkt aus gesehen, stellt die institutionelle Struktur
einen 'Integrationsmodus' für die Handlungen der ihr zugeordneten
Individuen dar. Die Integration eines sozialen Systems, das stabil
bleiben und tödliche innere Konflikte vermeiden soll, scheint
funktional erforderlich." (a.a.O., 5, 149)
Nach seiner Reduktion auf das gesellschaftliche Handeln wird das
ökonomische nicht mehr als das, was es ist, sondern noch relativ,
funktional in Bezug auf das soziale System bestimmt. Was es ist, ist
für Parsons seine Funktion für das System. Weil dieses die einzige
Bestimmung des Ökonomischen Handelns ist, kommt auch keine Aufklärung
mehr darüber, wie es nun dem großen Ganzen dient. Allein daß es eine
Funktion hat, die - was Wunder - das Funktionieren des Ganzen bewirkt,
daß es diese Funktion aber auch zuverlässig tragen muß, weil sonst das
Ganze nicht funktionieren würde, ist noch zu erfahren.
Über die Reproduktion des methodisch schon vorweg sicheren Standpunkts,
daß das wirtschaftliche Handeln funktional für die Gesellschaft
betrachtet werden sollte, kommt die Analyse dem Inhalt nach also an
keiner Stelle hinaus; und zwar auch dann nicht, wenn Lohn, Gewinn und
andere besondere Momente des Wirtschaftens in diesen Betracht gezogen
werden.
128) Adorno, ND, S. 33.
127) a.a.O.
128) ders., ND, S. 34.
129) Wulf Rehfus sieht ebenfalls, daß für die "Konstellation"
ebendieselben Bestimmungen gelten wie für das kritisierte "System":
"Das Modelldenken in Konstellationen statt der Deduktion innerhalb
eines Systems impliziert genau das, wovon er sich polemisch abheben
will: das Modell ist die Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem in
ihrer Nichtidentität." (a.a.O., S. 32)
130) Adorno, ND, S. 163.
131) a.a.O., S. 162.
132) Adorno, Minima Moralia, FfM 1951 (im folgenden: MM), S. 57.
133) Adorno, 3 Studien, S. 92.
134) Siehe oben Abschnitt 2 "Der Fehler Hegels", Punkt d).
135) Adorno, 3 Studien, S. 93.
136) ders., ND, S. 153.
137) a.a.O., S. 101.