III. Kapitel. Kritischer Materialismus: Adornos Verhältnis zu Marx


Adorno bezieht sich auf Kant und Hegel jeweils in der Weise, daß er die metaphysische Grundlage übernimmt, die aus ihr folgende Konsequenz aber verweigert. Gegen Adorno würde dabei Marx' Kritik an den Junghegelianern berechtigt sein, von deren Theorien er sagte: "Nicht nur in den Antworten, schon in den Fragen selbst lag eine Mystifikation" 1) Adorno teilt die Frage nach einem neben die Wissenschaft und ihre inhaltlichen Argumente getretenen "Rechtsgrund der Erkenntnis", ohne dann aber die Konsequenz einer von der Sache getrennten und damit notwendig nur subjektiven Methodologie zu akzeptieren. Er will die subjektive Anstrengung zur Bestimmung der Objektivität des Objekts als Urteil über dieses (darin als etwas objektives) verstanden wissen und faßt den "Bruch zwischen Subjekt und Objekt" nicht als Problem des Denkens, des 'für-uns', sondern als eines der Sache, als ein an-sich' auf. Die Analyse der realen "Dialektik von Subjekt und Objekt" muß das nunmehr praktische und nicht mehr nur erkenntnistheoretische "Konstitutionsproblem" lösen und darin zugleich die eben ins Praktische radikalisierte Erkenntnisproblematik mit beantworten. Die Erkenntnisproblematik besteht stets in der Suche nach einer dem Denken von außen beigegebenen Orientierung oder praktischen Bewertung, von der aus Wert oder Unwert von Bestimmungen zu beurteilen sein sollen. Gerade in dieser Hinsicht hat Adornos Philosophie einen Mangel, d.h. ein Bedürfnis nach äußerlicher Orientierung geschaffen. Adorno nahm "mit" Hegel die Erkenntnis einer Sache für ihre Rechtfertigung, die Erklärung einer Sache für ihre Ableitung aus einem allgemeinen - und wollte trotz dieser Gleichsetzung von Wissen und Legitimation auf die Trennung beider Seiten hinaus: auf Erkenntnis ohne Rechtfertigung, d.h. Erkenntnis als Kritik. Freilich war zugleich der Wunsch nach Legitimation ausgesprochen, so daß Adorno erst in der Hegelschen Logik das methodische Instrumentarium zu finden meinte, mit dem der Widerspruch zwischen der sein sollenden Legitimation und dem Ungenügen der Sache vor diesem Rechtfertigungsanspruch ausgedrückt werden könne. Adorno optiert für eine Dialektik des bleibenden, des nicht aufgelösten Widerspruchs, und er bemüht sich um einen Standpunkt, der ihm die Sicherheit der Nichtidentität verschafft; so sucht er geradezu nach einer Instanz, die das Denken vor dem Wahn der "Identität" bewahrt. Adorno selbst hat auf die Notwendigkeit einer solchen Instanz immer wieder verwiesen, wenn er betonte, daß nicht das Denken die Differenz, den Bruch zwischen sich und dem Objekt von sich aus denken könne, da es von sich aus ja nach Identität strebe, sondern eines äußeren Korrektivs bedürfe. "Erfahrung verwehrt, was immer an Widersprechendem auftrete, in der Einheit des Bewußtseins zu schlichten." 2) Gegen die schon von Hegel kritisierte Meinung, Erfahrung könne ein Einspruch gegen das Denken sein, wo doch dieses allein an der Erfahrung seinen Inhalt hat, damit die Erfahrung aber keine Instanz mehr sein kann, die irgendeine Art von Selbständigkeit gegen das Denken hätte, sucht Adorno mit der "Dialektik von Subjekt und Objekt" die "Erfahrung" der Negativität gegen das Denken der Identität als Gegengewicht zu installieren.

Damit leistet Adorno, der der Philosophie des Ersten so viel richtige Vorwürfe gemacht hat, selber seinen Beitrag zur Suche nach dem Ursprung, nach dem "unvermittelt Unmittelbaren', dessen man sich vor aller Überlegung sicher sein dürfe; und seine Kritik der Ursprungsphilosophie gilt modifiziert gegen ihn selbst:

"Die wissenschaftliche Gestalt der Ursprungsphilosophie war die Erkenntnistheorie. Sie wollte das absolut Erste zum absolut Gewissen erheben durch Reflexion auf das Subjekt, das aus keinem Begriff vom Ersten sich ausscheiden ließe." 3)

Adorno will diesen "Primat des Subjekts" durch die Dialektik von Subjekt und Objekt in Zweifel ziehen, freilich zu eben demselben Zweck: um durch Denken und gegen es einen Punkt der praktischen Orientierung 4) einen Maßstab der Bewertung der Erkenntnis zu gewinnen, von dem aus wahr und falsch sich unterscheiden ließen.

Als solcher nimmt die "Dialektik von Subjekt und Objekt" in Adornos Philosophie eine zentrale Stellung ein. Sie ist nicht nur eine Ausführung des erkenntnistheoretisch gestellten Problems, sondern will die materiale Analyse der conditio humana zugleich sein; sie ist - wie zu zeigen sein wird - eine eigentümliche Lösung des methodischen Problems und gibt sich zugleich als Beantwortung der materialen Frage der Philosophie. Darin ist sie die Modellanalyse der Modellanalysen, die Adorno von der Metaphysik fordert. Nach ihr werden die besonderen Untersuchungen ästhetischer oder soziologischer Art gebildet.

Im Materialismus, zu dem diese Dialektik am Ende sich bekennt, berührt Adorno sich mit Marx, der als Gründer des modernen kritischen oder historischen Materialismus gelten darf. Freilich - und das wird Inhalt des ersten Abschnitts dieses Kapitels sein - beruft sich Adorno auch hier weniger auf die bleibende Leistung als auf einen philosophischen Fehler von Marx, der ansonsten ja der Auffassung war,

"Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewußtsein hören auf, wirkliches Wissen muß an ihre Stelle treten. Die selbständige Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium." 5)

1. Materialismus bei Marx

Marx hatte sich durch die - teilweise oben referierte - immanente Kritik aus der Hegelschen Philosophie herausgearbeitet. Obwohl mit dieser Kritik doch schon alles Nötige gegen die Spekulation gefallen ist; obwohl die Subsumtion der Wirklichkeit unter die Logik und die Aufhebung der Entfremdung im Selbstbewußtsein, wo der Mensch nicht als praktischer, sondern nur als Philosoph das Bewußtsein der Macht seiner Subjektivität genießen kann, an sich selbst kritisiert waren, meint Marx zusätzlich zur eigenen Unterlassung derartiger Fehler das Tun dieser Unterlassung, die "richtige" Methode der Erkenntnis noch extra für sich begründen zu müssen. 6) Das Unternehmen, getrennt von der Unterlassung eines Fehlers die Möglichkeit und Richtigkeit der Unterlassung noch einmal begründen zu wollen, läßt bei Marx' Stellung zur Philosophie eine gewisse Ähnlichkeit mit Hegels Stellung zu Kant aufscheinen. Hatte dieser die immanenten Fehler der Erkenntnistheorie vollständig dargestellt und so bewiesen, daß für eine prinzipielle Schranke des Denkens nicht mittels desselben, also denkend argumentiert werden kann, so meinte er sich darüber hinaus veranlaßt, die Erkennbarkeit der Realität dennoch "ableiten" zu müssen, und zwar aus der letzten Endes logischen Natur der Objekte. Marx kritisiert nun gerade diesen Fehler Hegels und beginnt gleichwohl wiederum getrennt von der Erkenntnis, der jetzt kein Mißverständnis mehr im Weg läge, die Prinzipien einer derartigen Erkenntnis getrennt von ihr auszubreiten. Jenseits der bestimmten Untersuchung aber gerät das Beschreiben einer - und sei es der objektiven, nachträglich erst feststehenden - Methode auch bei Marx zu einer der Wissenschaft vorausgesetzten Maxime und Parteilichkeit. Eine derartige Maxime ist einerseits notwendig ein inhaltsloses Bekenntnis 7) andererseits, indem sie Resultate materialer Erkenntnis in methodische Grundsätze zukünftiger verwandelt, zugleich falsch, denn in ihr ist das bestimmte Resultat von seinem Gegenstand losgelöst und allgemein, d.h. für alle Gegenstände gültig erklärt.

Von allen Schriften von Marx ist die zusammen mit Engels verfaßte "Deutsche Ideologie", die die beiden erklärtermaßen verfaßt hatten, um "mit unserem ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen" 8), die weitaus methodischste, diejenige, die am wenigsten Wissen verbreitet und statt dessen Maximen, wie Wissenschaft zu verfahren hätte. 9) Bei dieser, nach der Charakterisierung von Alfred Schmidt noch sehr "philosophischen Negation der Philosophie" überwiegen zunächst Selbstverständlichkeiten, Bekenntnisse dazu, daß man die materielle Wirklichkeit nicht vernachlässigen dürfe etc.

"Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen..." 10)

Nun, das versteht sich! Auch Kant und Hegel hätten diesem Satz gewiß zugestimmt, obwohl er doch gegen sie und ihre Nachfolger niedergeschrieben wurde. Die Differenz zwischen einer sachlichen und einer metaphysischen Betrachtung von Mensch, Gesellschaft und Geschichte besteht nämlich keineswegs darin, daß nicht auf die Wirklichkeit Bezug genommen würde. Wie das Wirkliche erklärt wird, unterscheidet Theorien, aber doch nicht, daß es überhaupt Gegenstand wird. Ferner wird gerade bei Marx und Engels, die doch ihrerseits nicht mit dem Wirklichen, sondern mit der Philosophie ihre Studien angefangen hatten und sich durch ihre Kritik ihren Standpunkt erarbeiteten, die Art der Ableitung merkwürdig: Mit dem Wirklichen hätte man anzufangen, das sei der sichere erste Grund, das Fundament, auf das nunmehr auch die Kritiker der Philosophie nicht verzichten wollen. Die praktische Entwicklung von Marx widerlegt die Behauptung, man müsse mit der materiellen Basis anfangen, wenn man auf richtige Einsichten kommen wolle. Der Anfang, d.h. die Reihenfolge der Schritte ist durchaus gleichgültig, wenn sie nur richtige sind, und eine Kritik der Ideologien wird den Kritiker ebenso auf die praktischen Gründe derselben stoßen, wie umgekehrt die Analyse der Praxis die Notwendigkeit bestimmter Auffassungen zeigen muß. Die Darstellung des einen dünnen inhaltlichen Resultats, daß Ideologien ihre praktischen Gründe haben, als Leitfaden für die Forschung, als vorweg festgelegte Abfolge der Schritte der Wissenschaft, führt nicht nur zu absolut inhaltslosen Platitüden, wie sie sonst nur mehr die moderne Soziologie kennt 11) sondern direkt auch zu Fehlern, wenn die Antagonismen der modernen Gesellschaft aus dem nur stofflich bestimmten ursprünglichsten Lebensprozeß (Essen, Zeugen, Arbeiten, Arbeitsteilung) abgeleitet werden. 12)

Der bekannteste und problematischste Grundsatz der "materialistischen Anschauung" besteht in jenem Diktum über Sein und Bewußtsein:

"Das Bewußtsein kann nie etwas anderes sein, als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß." 13)

Dieser Satz ist so unbestimmt, daß man überhaupt nicht weiß, was man mit ihm anfangen soll. Meint er nur - und so wird er gängigerweise verteidigt - daß der Inhalt des Bewußtseins die Wirklichkeit ist, so ist er trivial und wahr und hätte nicht gesagt werden müssen, weil sich sowieso kaum einer finden dürfte, der dieses bestreiten will. Meint er aber mehr - und zwar das, was Marx später noch einmal bestimmter formulierte: "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern gekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." 14) - dann ist dieser Satz problematisch. Hier wird nicht einfach der Inhalt des Bewußtseins als der Wirklichkeit entnommen, sondern auch noch die Beurteilung der Wirklichkeit als durch das praktische Sein bestimmt angegeben. Die Strenge dieser Behauptung, die Engels später in ebenso allgemeiner Form, wie die Behauptung aufgestellt worden war, wieder zu einer unbestimmten "Wechselwirkung 15) zurückgenommen hat, hat Marx erst in den inhaltlichen Kritiken der Auffassungen von Kapitalisten und Lohnarbeitern bewiesen. Da hat er gezeigt, daß Ideologien Gedanken sind, mit denen sich die Individuen der Klassengesellschaft auf praktische Notwendigkeiten einrichten daß die Notwendigkeit der Bestimmung des Denkens durch das Sein keine epistemologische sein kann (dagegen ist die Existenz von Marx' Kapitalismuskritik immer noch der sicherste Beweis!), sondern eine der praktischen Not und von Interessen ist. Insofern hat Alfred Schmidt recht, der verlangt, man solle die Stelle als Kritik an der Gesellschaft lesen, die immer noch wie Natur die Menschen dazu zwingt, sich ihren unbegriffenen Gesetzen anzupassen. 16) Freilich, kritisch ist die Stelle in der deutschen Ideologie nicht geschrieben, sondern apodiktisch: als Grundsatz einer generellen Methodologie der Wissenschaft von den geistigen Phänomenen.

Freilich wurden diese kurzen, programmatischen Bemerkungen von Marx selbst niemals zu einer Methodologie oder Erkenntnistheorie ausgebildet, von Engels 17) kaum und erst von Lenin zu einer alternativen Metaphysik der Wissenschaft ausgebaut. 18) Das kosmologische Moment aber, das, nach Adornos Satz vom Ersten als absolut Gewissen, in der erkenntnistheoretischen Konzeption immer mitschwingt, hat auch Engels schon einmal zu einer Hymne auf die Materie verleitet, vor der der Mensch nur ein Stäubchen sei. 19)

Da die Methode, die vor und unabhängig von einer Theorie für diese fixiert wird, stets eine Parteilichkeit, d.h. eine praktische Orientierung der Theorie beabsichtigt und leistet, lag es auch nahe, im Gefolge der Bestimmungen der "materialistischen Anschauung" den praktischen Zweck in Marx' Theorien zu suchen und mit seiner Entdeckung ihnen einerseits die Objektivität zu bestreiten, andererseits ihnen eben darum philosophischen Rang zuzumessen. Besonders die Ausdrucksweise in den "Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten" von 1844 gibt dieser Suche einen gewissen Raum. Die Rede von der "Entfremdung" des Menschen läßt leicht auf ein Wesen des Menschen schließen, dem Marx zuneigt, und das sein soll, aber nicht ist. Die Rede vom "Gattungswesen", dem der Mensch entfremdet sei, wie vom "wirklichen Menschen", der nicht in seiner Wirklichkeit entsprechenden Umständen lebe, zeigt in der Tat an, daß Marx seine Kritik damals noch mit philosophischen Mitteln auszudrücken versuchte. Eine existenzialistische und anthropologische Interpretation stützt sich darauf und sucht nach dem bei Marx als Maßstab der Wirklichkeit vorausgesetzten Menschenbild. Daß sich eine Ausführung darüber nicht findet, hat unter Anthropologen zu dem Urteil geführt, daß Marx zwar einer der ihren, aber ein wenig reflektierter Anthropologe gewesen sein muß. 20)

Das an der einerseits trivialen, andererseits falsch werdenden Darlegung der "materialistischen Anschauung" liegt im Negativen. Nur als Kritik einer Theorie, die nicht die Besonderheit ihrer Objekte erforscht, sondern sich in der Theorie von der Sache entfernt, hat das Prädikat 'materialistisch', zur Theorie hinzugesetzt, überhaupt einen Sinn, nämlich: sich ans Material zu halten! 21) Desgleichen hat nur gegen Theoretiker, die gerade praktische Fragen nicht nach praktischen Kriterien, sondern von den praktischen Interessen unabhängig, "theoretisch" beantworten wollen, die tautologische Erinnerung ihr Recht, daß Fragen des Interesses eben auch als solche zu behandeln seien.

Marx hat von diesen methodologischen Maximen für Wissenschaft zunehmend Abstand genommen. Schon in der deutschen Ideologie hatte er mit Engels versucht, ihren unbedeutenden Status zu bestimmen: Es handelte sich bei dieser materialistischen Anschauung um

"allgemeinste Resultate (...) die sich aus der Betrachtung der historischen Entwicklung der Menschen (nachträglich; d. V.) abstrahieren lassen. Diese Abstraktionen haben für sich, getrennt von der wirklichen Geschichte durchaus keinen Wert. Sie können nur dazu dienen, die Ordnung des geschichtlichen Materials zu erleichtern, die Reihenfolge seiner einzelnen Schichten anzudeuten. Sie geben aber keineswegs, wie die Philosophie, ein Rezept oder Schema, wonach die geschichtlichen Epochen zurechtgestutzt werden können." 22)

Trotzdem wurden diese Abstraktionen, "die getrennt von der wirklichen Geschichte durchaus keinen Wert" haben, in diesem programmatischen und deshalb methodischen Kapitel ebenso getrennt niedergelegt, und die wirkliche Geschichte, sofern sie dabei vorkommt, zum Beleg für die Abstraktion herabgesetzt. Marx und Engels geben das selber an:

"Wir nehmen hier einige dieser Abstraktionen heraus, die wir gegenüber der Ideologie gebrauchen und werden sie an historischen Beispielen erläutern." 23)

Gleichwohl gilt auch für Marx sein Satz, daß mit der "Darstellung der Wirklichkeit" die Spekulation "ihr Existenzmedium" verliert; er überließ später die "Deutsche Ideologie" gerne "der nagenden Kritik der Mäuse" 24) und wußte wohl, warum er kein Interesse mehr an einer Veröffentlichung hatte; desgleichen "unterdrückte" er die oben angesprochene methodische Einleitung zur "Kritik der politischen Ökonomie" 25) und verzichtete in 'Kapital' völlig sowohl auf erkenntnistheoretische und methodische Präliminarien und Vorentscheidungen wie auf Werturteile. Von Philosophen wurde das allgemein als Versäumnis und als ein Verlassen seiner frühen philosophischen Bemühungen gewertet. 26) Marx dagegen wies nur noch nach, daß die kapitalistische Wirtschaftsweise die gesamte Lebenskraft einer Klasse für einen Reichtum konsumiert, von dem diese nichts hat - außer der Fortsetzung eben dieses Verhältnisses. Werturteile und methodische Prämissen schmälern nur die Objektivität dieses Urteils; und Marx konnte getrost sich heraushalten und dem Leser überlassen, dieses Ergebnis gerade so zu bewerten, wie er will.

2. Die Dialektik von Subjekt und Objekt

Adornos Frage nach der "Dialektik von Subjekt und Objekt" kommt von der Erkenntnistheorie her, verläßt aber ihren Rahmen, indem sie das Erkennen nicht nach den besonderen Bestimmungen untersucht, die dieses Verhältnis von Subjekt und Objekt hat, sondern nach Bestimmungen, die ein jedes Verhältnis hat und nur haben kann. Mit diesem Schritt in die Abstraktion ist auch schon alles festgelegt, was diese Untersuchung noch ans Licht bringen kann: eben ein Verhältnis; denn noch nicht einmal der wahrhaft dünne Inhalt der Bestimmungen Subjekt und Objekt wird für sich genommen, sondern beide werden nur als Pole des Verhältnisses bestimmt. Diese, von Anfang an notwendig unfruchtbare Suche nach dem Ersten, Gewissen und Festen trägt sich selbst freilich vor als Kritik eines bisher stets angenommenen Verhältnisses dieser Pole, welches jeweils eine der beiden Seiten als übergreifend und bestimmend ansah. Der erste Schritt dieser "konkret ausgetragenen Dialektik" besteht somit in der Konstatierung dessen, daß Erkenntnis - wie jedes andere Verhältnis von Subjekt und Objekt auch, mehr noch, wie jedes andere Verhältnis überhaupt - nicht ohne Pole auskomme.

"Denken widerspräche schon seinem eigenen Begriff ohne Gedachtes ..." 27)

Die Trivialität dieser Feststellung verdankt sich Adornos Gedankenexperiment, mit dem er versucht, die Pole des Verhältnisses aufeinander zu reduzieren, um durch das tautologische Mißlingen dieses Versuchs die Nicht-Reduzierbarkeit, d.h. die Grundtatsache eben dieses Verhältnisses unter Beweis zu stellen. Geht Denken schon nicht ohne Objekt, dann vielleicht ohne Subjekt?

"Derlei Überlegungen zeitigen den Anschein von Paradoxie. Subjektivität, Denken selber, sei nicht aus sich zu erklären, sondern aus Faktischem, zumal der Gesellschaft; aber die Objektivität der Erkennt ist wiederum sei nicht ohne Denken, Subjektivität." 28)

Paradox ist an dieser Überlegung nur das Problem, sich ein Verhältnis vorzunehmen, zu versuchen, einen Pol desselben herauszukürzen, und dann nachsehen zu wollen, ob das Verhältnis noch immer dasselbe geblieben ist. Zudem zeigt sich hier Adornos Absicht, das Scheitern der nur von ihm per Gedankenexperiment angestrebten Reduktion zu beweisen, auch noch in einer völlig unvernünftigen Aufgabe: Denken nicht einfach zu erklären, sondern aus etwas anderem zu erklären, d.h. es aus etwas anderem, nämlich dem Faktischen abzuleiten. Diesen Versuch hält Adorno nicht etwa für absurd, sondern er hält ihm sein Gegenteil entgegen: die Ableitung der Objektivität der Erkenntnis au dem Subjekt - eine ebenso unsinnige Vorstellung. Als Resultat der Demonstration des Mißlingens der Reduktion hält Adorno fest, was von Anfang an der leere Begriff des Denkens war - diesmal am Verhältnis von Begriff und Material, Allgemeinem und Besonderem ausgedrückt: er ist ein Verhältnis; die Pole gehen nicht ineinander auf, bildeten aber ohne Beziehung auch kein Verhältnis.

"So wenig das Besondere bestimmbar wäre ohne das Allgemeine, durch welches es nach kurrenter Logik identifiziert wird, so wenig ist es identisch mit ihm." 29)

Adorno geht in keiner Weise auf die Identität ein, die das Verhältnis von Subjekt und Objekt, welches Erkennen ist, bildet (nämlich Wissen) oder welches der praktische Bezug darstellt (realisierter Zweck), sondern bespricht unverwandt die jeweiligen Verhältnisse nicht nach ihren Bestimmungen, sondern nach der Abstraktion von ihrer Besonderheit, nach der Bestimmung: Verhältnis überhaupt. Die Abstraktion von der Besonderheit, selbst vom Inhalt der Bestimmungen Subjekt und Objekt, wird weitergebildet dahingehend, daß beide nur noch durch das Verhältnis bestimmt werden: Die Pole sind einander nicht durchaus entgegengesetzt und äußerlich, denn indem sie ein Verhältnis eingehen, bekennen sie ihre Neigung zur anderen Seite, ihre "Affinität":

"Subjekt ist in Wahrheit nie ganz Subjekt; Objekt nie ganz Objekt." 30)

Der Gedanke, der hinter dieser Bestimmung steckt, ist der der Vermischung: Subjekt ist in anderer Hinsicht als der der Erkenntnis auch Objekt, z.B. der Erziehung, der Heilkunde oder als unter Naturbedingungen stehendes und sie eventuell erleidendes Wesen. Das Objekt dagegen ist außerhalb des Verhältnisses, in dem es Objekt der Erkenntnis ist, subjektiv vermittelt, z.B. vom Menschen produziert und damit selbst schon verwirklichter Zweck. Was ein Pol des Verhältnisses aber in anderer Hinsicht als der des Verhältnisses ist, geht dieses durchaus nichts an. Was bleibt, ist die Bestimmung der beiden Pole des Verhältnisses durch das Verhältnis und umgekehrt:

"Aber beide Begriffe sind entsprungene Reflexionskategorien, Formeln für ein nicht zu vereinendes; kein Positives, keine primären Sachverhalte, sondern negativ durchaus, Ausdruck einzig der Nichtidentität." 31)

Mit der Formulierung "entsprungene Reflexionskategorien" spricht Adorno das Selbstbewußtsein seiner Argumentation aus: Er hat Subjekt und Objekt auf Reflexionsbegriffe reduziert, die sie nicht sind, und wirft der übrigen wissenschaftlichen Diskussion, die sie nicht so nimmt, vor, die Herkunft dieser Begriffe vergessen zu haben. Daß es sich bei Subjekt und Objekt keineswegs um Reflexionsbegriffe handelt, die wie 'Identität', 'Unterschied' und 'Gleichheit' eben nur Verhältnisbestimmungen in dem Sinn wären, daß die ganze Bestimmtheit der einen Seite in der anderen liegt, durch die sie bestimmt wird, zeigt sich schon daran, daß nicht Beliebiges die Rolle des Subjekts, bzw. des Objekts übernehmen kann. Wie schon Henrich betont 32), ist Subjekt nicht außerhalb des Verhältnisses nichts, sondern umgekehrt: Subjekt in einem Verhältnis zu Objekt, welches es auch sei, kann nur ein Mensch sein, eben ein Wesen, das an und für sich Subjekt ist und dies nicht erst relativ zum Objekt wird. Ferner wird an Adornos Resümee deutlich, wie dünn das Resultat seiner Betrachtung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt ist: "ein nicht zu vereinbarendes", "Ausdruck einzig der Nichtidentität". Nichtidentisch mit etwas anderem ist so gut wie alles auf der Welt, dazu muß man nicht erst Subjekt und Objekt betrachten. Das Resümee ist eben nur der Schluß auf "Verhältnis überhaupt". In diesem sind die Pole offenbar etwas Verschiedenes, denn sonst könnte es kein Verhältnis geben. Nachdem sich Adorno das Problem so gestellt hat, kann es keinen Fortschritt in der Untersuchung mehr geben: Die Pole des Verhältnisses kommen nicht ohne einander aus, sonst bildeten sie kein Verhältnis; das Verhältnis dagegen schließt zugleich eine Differenz der Pole ein, denn sonst wäre es eben auch keines, sondern leere Identität. Ohne Schwierigkeit kann dieses Problem, nach der Methode der "reziproken Kritik" 33) endlos gewälzt und das "Hin und Her" des gleichzeitigen Suchens nach der Selbständigkeit der Pole und des Leugnens derselben als Beweis der Unlösbarkeit des Problems erkannt werden.

"Der Geist (das Subjekt der Erkenntnis; d. V.) ist aber vom Gegebenen (Objekt; d. V.) so wenig abzuspalten wie dieses von ihm. Beide sind kein Erstes. Daß beide wesentlich durcheinander vermittelt sind, macht beide zu Urprinzipien gleich untauglich." 35)

Es ist also tatsächlich die Suche nach einem Urprinzip, die Adorno auf den Versuch brachte, vom Verhältnis von Subjekt und Objekt jeweils die eine Seite zu streichen und zu sehen, was bleibt. Sein Argument gegen die metaphysische und erkenntnistheoretische Kontroverse: 'Idealismus oder Materialismus' heißt also, sie sei unentscheidbar. Er kritisiert nicht ihren Fehler, ein einheitliches Prinzip der Welt suchen zu wollen, in dem dann alles harmonisch geborgen ist, bzw. getrennt von aller wirklichen Erkenntnis die Substanz von allem festzulegen und so der Erkenntnis einen ihr fremden, aber höchst "gewissen" Standpunkt zu sichern, sondern nur die Vergeblichkeit dieser Bemühung. Dieses Urteil über den Materialismus-Idealismus-Streit verweist noch einmal darauf, daß Adorno alle Momente des metaphysischen Versöhnungsdenkens durchaus teilt, aber die Erfüllung dieses Legitimationswunsches für problematisch erachtet.

Der zweite Schritt der Suche nach dein Urprinzip besteht in der Entdeckung eines solchen, die er durch seine Bestimmung von Subjekt und Objekt durch das Verhältnis, in das sie treten, vorbereitet hatte:

"Weder sind sie (Subjekt und Objekt; d. V.) letzte Zweiheit, noch verbirgt sich hinter ihnen letzte Einheit." 36)

Ihre Charakterisierung als Reflexionskategorien hatte schon das Gleiche ausgesagt: Subjekt und Objekt sind weder jedes für sich etwas Bestimmtes, noch ein und dasselbe; sie sind eben: Verhältnis.

"Die Lehre von der Vermitteltheit aller, auch der tragenden Unmittelbarkeit ist mit dem Impuls zur 'Reduktion' unvereinbar." 37)

Hier aber merkt Adorno den 'Soziologismus'. Kaum hat er alles auf 'Vermittlung' nivelliert, verbietet er dem Denken diese Reduktion:

"Die Universalität von Vermittlung ist aber kein Rechtstitel dafür, alles zwischen Himmel und Erde auf sie zu nivellieren ..." 38)

Adorno merkt hier das "Bodenlose", das darin liegt, alles durch ein und als ein Verhältnis zu Anderem zu bestimmen, und will nun doch "keine Allherrschaft des Funktionsbegriffs in der Erkenntnis" "stiften". 39) Er teilt seine metaphysisch-erkenntnistheoretische Suche nach dem Ersten und damit Gewissen in zwei Abteilungen auf, hält die "Vermittlung" als methodisches Prinzip, als Grundsatz des Denkens, nicht aber als einen des gedachten Gegenstands fest:

"Daß beide wesentlich durcheinander vermittelt sind, macht beide zu Urprinzipien gleich untauglich; wollte indessen einer in solchem Vermitteltsein selber das Urprinzip entdecken, so verwechselte er einen Relations- mit einem Substanzbegriff und reklamierte als Ursprung den flatus vocis. Vermitteltheit ist keine positive Aussage über das Sein, sondern eine Anweisung für die Erkenntnis, sich nicht bei solcher Positivität zu beruhigen, eigentlich die Forderung, Dialektik konkret auszutragen." 40)

Mit dieser Trennung begeht Adorno einerseits eine Inkonsequenz gegen seine ganze bisherige Argumentation, nach der die erkenntnistheoretischen Urteile über das Verhältnis von Subjekt und Objekt solche des wirklichen Verhältnisses, damit auch die entsprechenden Urteile über Subjekt und Objekt zugleich sind. Ebenso ist die Reduzierung des Stellenwerts der Vermittlung zum bloß methodischen Postulat nur der Form, nicht der Sache nach ein Bruch mit dem Funktionsdenken. Bekommt das Denken die "Anweisung", vor aller Betrachtung des besonderen Objekts dieses 'als vermittelt' zu denken, so darf man sicher sein, daß es dieses Ergebnis auch an jedem Objekt wiederentdeckt. (Nicht nur Adornos eigenen materialen Studien, mehr noch die gesamte Literatur im Umkreis der Frankfurter Schule gibt darüber Aufschluß, daß das Haupturteil aller Untersuchungen bestimmter Objekte die kritisch entdeckte "gesellschaftliche Vermittlung" bildete. Ja selbst der einst ins allgemeine Bewußtsein übergegangene Satz: 'Alles liegt am System' ist eben dieser methodische Grundsatz, als sachliche Einsicht ausgesprochen. Es wäre eine sich hier anschließende Aufgabe, an Adornos Theorie des Willens, der Weltgeschichte, der Kunst und Massenkultur nachzuweisen, daß seine Aussagen sich im wesentlichen auf dieses Urteil an beliebigem Material beschränken.)

Zum anderen jedoch macht Adorno den Übergang zu einer Ontologie, zur Bestimmung eines Seins, das gegenüber dem Denken zwar leer, aber jedenfalls immer draußen bleibt. Adorno zeigt mit diesem Übergang an, daß die als Gegensatz z.B. von Müller-Strömsdörfer diskutierten Funktions- und Seinsbegriffe weit davon entfernt sind, einen Gegensatz zu bilden, sich vielmehr ergänzen, so daß die eine wie die andere Seite das Bekenntnis zur jeweils anderen hervorbringen muß. 41)

Wenn einerseits Denken als "Vermittlung", Verhältnis in aller Inhaltslosigkeit bestimmt wird, wenn "dem Begriff Vermittlung essentiell" ist, dann ist das, worauf Denken geht, die Erkenntnis des Objekts, zwar auch vermittelt; aber dieser liegt etwas Unmittelbares zugrunde, das als Substrat oder Rest gegen die Erkenntnis übrigbleibt:

"Umgekehrt bliebe keine Vermittlung ohne das Etwas. In Unmittelbarkeit liegt nicht ebenso deren Vermitteltsein wie in der Vermittlung ein Unmittelbares, welches vermittelt würde. ... Vermittlung des Unmittelbaren betrifft seinen Modus: das Wissen von ihm und die Grenzen solchen Wissens. Unmittelbarkeit ist keine Modalität, keine bloße Bestimmung des Wie für ein Bewußtsein, sondern objektiv: ihr Begriff deutet auf das nicht durch seinen Begriff Wegzuräumende." 42)

Durch das Bekenntnis zur universellen Vermittlung als einem nur methodischen Prinzip übt Adorno Selbstkritik an seiner anfänglichen, nicht auflösbaren Suche nach dem Ersten, Unvermittelten, nach dem, was nicht nur ein Verhältnis, sondern für sich bestimmt ist. Er wiederholt also die obige Frage und versucht, Subjekt von Objekt und umgekehrt zu subtrahieren. Im Unterschied zu oben gelingt dies nun:

"Vom Subjekt ist Objekt nicht einmal als Idee wegzudenken, aber vom Objekt Subjekt." 43)

Der Versuch gelingt nun freilich nur, weil Adorno Subjekt und Objekt durchaus nicht mehr als Subjekt und Objekt der Erkenntnis denkt; diese kann ja in der Tat nicht auf einen ihrer Pole verzichten. Er unterlegt der Abstraktion Subjekt und Objekt einen materialen Sinn und fragt sich im Grunde, ob man sich den Menschen ohne Objektwelt, sowie diese ohne jenen denken könne. Letzteres, meint er, könne man sich wohl denken. Daraus schließt Adorno, daß das Objekt einen Vorrang habe. Der Sache nach handelt es sich bei dieser Überlegung einerseits um nicht weniger als ein Bekenntnis zur Wirklichkeit der Außenwelt, die nach dieser Einsicht schon vor und unabhängig von ihrer Betrachtung durch den theoretisierenden Menschen Bestand hat. Man wagt kaum die Frage, warum sich die Philosophie solche Beweisaufgaben setzt. Die Vorausgesetztheit der Außenwelt ist nicht nur jedem Tier eine Gewißheit, dem praktischen und theoretischen Menschen sowieso - denn er bräuchte sich weder die Mühe der Theorie zu machen noch sich Mittel für die Erreichung seiner Zwecke zu suchen, wenn er Gott wäre und sein Wunsch die Objektivität setzen könnte, - sogar unter den Philosophen ist keiner bekannt, dem dieser Beweis eine Aufklärung sein könnte. Zum anderen aber macht sich Adorno hier des gleichen Idealismus schuldig wie Lenin, wenn er die Außenwelt theoretisch beweist. Wenn sie erst des Beweises bedarf, um gewiß zu sein, dann erklärt dieser Beweis nicht nur der Form nach "unabdingbar Denken zum Ersten" 44) sondern auch dem Inhalt nach; denn wie anders als durch das Verhältnis zum Subjekt läßt sich seit Descartes die Außenwelt beweisen? Adorno ist diesem Fehler so wenig entgangen wie Lenins Beweis des "Primats der Materie".

Kaum aber hat Adorno dieses Resultat formuliert, bricht er die Dialektik nicht ab, sondern nimmt wieder einen neuen Standpunkt ein: hatte er soeben die Außenwelt als die prinzipielle Voraussetzung von Theorie und Praxis bestimmt, so betrachtet er nun das Objekt wieder als historisches, welches so prinzipiell nun auch wieder nicht vorausgesetzt werden kann:

"Der Vorrang des Objekts, als eines doch selbst Vermittelten, bricht die Subjekt-Objekt-Dialektik nicht ab. So wenig wie Vermittlung ist Unmittelbarkeit jenseits von Dialektik." 45)

3. Parteinahme für das Objekt

Wie stets für alle Arten von Ursprungsphilosphie, so ist auch bei Adorno die Bestimmung des "Ersten" und "Gewissen" nicht einfach die für alle weitere Erkenntnis höchst belanglose Versicherung, es gebe das Objekt der Erkenntnis, mit dem diese sich gerade beschäftigt, wirklich und unabhängig von dem Bezug, den das Subjekt darauf nimmt. Wie sonst auch ist dieses Resultat, der Vorrang des Objekts, eine bleibende Orientierung eines jeden Denkens, das seine Erkenntnis davon leiten lassen und beim Denken des Vorrangs des Objekts eingedenk bleiben soll.

Was das im Fall des "Vorrangs des Objekts" zu bedeuten hat, und wie Adorno diese weitergehende Bestimmung des Denkens ableitet, soll ein Zitat zeigen, das unter der Überschrift "Übergang zum Materialismus" steht:

"Durch den Übergang zum Vorrang des Objekts wird. Dialektik materialistisch. Objekt, der positive Ausdruck des Nichtidentischen, ist eine terminologische Maske. Im Gegenstand, zugerüstet zu dem der Erkenntnis, ist vorweg das Leibliche vergeistigt durch seine Übersetzung in Erkenntnistheorie, reduziert derart ... Wenn die der Erkenntnistheorie unauflöslichen Kategorien Subjekt und Objekt in jener als falsch, als nicht rein gegeneinander gesetzt hervortreten, so besagt das auch, es heiße das Objektive am Objekt, das nicht zu Vergeistigende daran, Objekt nur unterm Blickpunkt der subjektiv gerichteten Analyse, welcher der Primat des Subjekts fraglos dünkt. Von außen betrachtet wird, was in der Reflexion auf Geist spezifisch als nicht Geistiges, als Objekt sich darstellt, Materie. Die Kategorie Nichtidentität gehorcht noch dem Maß von Identität. Emanzipiert von solchem Maß, zeigen die nichtidentischen Momente sich als materiell, oder als untrennbar fusioniert mit Materiellem." 46)

Adorno reflektiert erneut seine Suche nach dem Ersten der Erkenntnis, die er als Verhältnis zweier Pole faßte, und bemerkt die Schwierigkeit, aus diesem Verhältnis die eine Seite als ursprünglicher über die andere zu stellen, als den Fehler des Gegenstands selber. Der Erkenntnistheorie sind Subjekt und Objekt unauflöslich, weder nur eines, noch auch getrennte und für sich bestimmte Seiten. Der erkenntnistheoretischen Suche nach der Substanz, dem Ersten steht also nichts weniger als ihr Gegenstand, Erkenntnis im Wege. Wer das Verhältnis von Subjekt und Objekt auf ein "Fundierungsverhältnis" hin untersucht, muß scheitern, weil die Pole des Verhältnisses schon durch dieses bestimmt wurden - deutlicher: weil das Verhältnis selbst Nichtidentität setzt.

Erst jenseits des Verhältnisses (damit widerruft Adorno freilich, daß das Verhältnis die Pole bestimmen würde, wie oben behauptet) verschwindet die unauflösliche Nichtidentität: Objekt ist nur, was es ist, und nicht nur seine negative Beziehung auf das Subjekt, wenn die erkenntnistheoretische Frage keine erkenntnistheoretische mehr ist, bzw., wenn dieses Verhältnis "von außen" beurteilt wird. Dann erscheint das Objekt unabhängig vom Bezug des Subjekts auf es - und damit nicht mehr als "Objekt", wie Adorno meint, sondern als "Materie". Nun stimmt es zwar, daß Materie den Bezug auf das Subjekt nicht ausdrückt, Objekt dagegen schon; Adornos Schluß aber, hier würde sich eine sachliche Differenz ereignen, die Materie werde zum Objekt (der Erkenntnis oder der Praxis) "zugerüstet" und damit würde sie sich verändern, folgt daraus keineswegs. Wie es überhaupt keinen Unterschied zwischen dem, was eine Sache für sich und was sie für anderes ist, geben kann. 47) Objekt sein heißt nicht mehr, als Material, Gegenstand irgendeiner von außen kommenden, zweckbestimmten Aktivität sein. Was die Erkenntnis anlangt, so eignet sich alles Erfahrbare, alles, was Gegenstand der Sinne und des Denkens werden kann, dazu, ohne daß die Erkenntnis diesem ihrem Objekt irgendeines seiner Momente wegnehmen würde, wie der Ausdruck "zurüsten" nahelegt. Aber auch dem praktischen Zugriff eines Subjekts auf Objekte kann dieses nicht vorgeworfen werden. Soweit der Mensch sich auf die Natur als sein Material bezieht, verändert er sie nach seinem Willen, indem er ihre Gesetze ausnützt. Ihr als Natur tut er damit aber kein Unrecht, er rüstet sich nicht gegen ihre eigene Bestimmung zu; weil sie eben keinen Zweck hat, kann ein solcher auch gar nicht verletzt werden. Eine Differenz ergibt sich (das immerhin problematische tierische Leben einmal außer Acht gelassen) erst beim Menschen. Aber auch hier wäre es absurd, den Umstand, daß er Objekt mancher Zwecke anderer Menschen ist, ohne nähere Befassung mit diesen Zwecken für ein Unrecht halten zu wollen. Der Mensch hat eine eigenen Willen; verletzt wird er, wenn er Mittel von Zwecken wird, die mit seinen Zwecken nicht vereinbar sind; das materiale Kriterium der Verletzung ist der Schaden. Keinesfalls aber rechtfertigt der Umstand, daß man Menschen zum Mittel von Zwecken machen kann, die ihnen schaden, das Verhältnis von Zweck und Mittel überhaupt oder auch nur in seiner Anwendung auf Menschen einer Kritik zu unterziehen

Adorno allerdings kommt durchaus zu einer Kritik dieser Art, nicht weil er im besonderen ein Gegner des theoretischen Materialismus (nämlich der Wissenschaft) oder des praktischen wäre, sondern weil sein Denken um den völlig abstrakten Begriff der Versöhnung zentriert ist. Völlig abstrakt ist dieser Begriff bei Adorno, weil weder die Versöhnung noch die ihr korrespondierende Entzweiung irgendeinen Inhalt haben, wie ihn die alten Metaphysiker noch konstatierten. Einer bestimmten Entzweiung des Bewußtseins entsprach ebenfalls die bestimmte Versöhnung; deshalb ging es eben um den Gottesbeweis, den Sinn des Lebens oder die Einheit der Erfahrungswelt usw. Adornos Überlegung kommt von der Erkenntnistheorie her, hat diese aber schon zum bloßen Prinzip von Verhältnis überhaupt reduziert; mit diesem Material höchster Abstraktheit formuliert er nun das metaphysische Argument rein methodisch: Verhältnis setzt jeweils einen Punkt der Identität, zugleich aber auch den Unterschied zweier Momente. Dieses ist der Begriff von Verhältnis - und es wäre nicht, wenn eines der beiden Momente fehlte. Da Identität und Unterschied zusammengehören, ist auf der Basis dieses Irrealis die Versöhnung selbstverständlich nicht mehr zu gewinnen. Adorno entdeckt nun, daß das Verhältnis selbst das einzige Hindernis für Versöhnung, bzw. der einzige Grund der "Zweiheit" ist. Von diesem Gesichtspunkt aus werden "dunkle" Sätze wie der folgende verständlich:

"Weder sind sie (Subjekt und Objekt; d. V.) letzte Zweiheit, noch verbirgt hinter ihnen sich letzte Einheit. Sie konstituieren ebenso sich durcheinander, wie sie vermöge solcher Konstitution auseinandertreten. Würde der Dualismus von Subjekt und Objekt als Prinzip zugrunde gelegt, so wäre er, gleich dem Identitätsprinzip, dem er sich weigert, abermals total, monistisch; absolute Zweiheit wäre Einheit." 48)

Einheit ist Adorno dasselbe wie Dualismus, weil er am Modell des abstrakten Verhältnisses die wechselseitige Implikation beider Seiten abliest. Das "Nichtidentische" ist nichtidentisch, fremd, äußerlich, nur unter dem Gesichtspunkt der Identität. Daß Identität sein soll, gilt Adorno als der einzige Grund der Entfremdung.

"Wem das Dinghafte als radikal Böses gilt; wer alles, was ist, zur reinen Aktualität dynamisieren möchte, tendiert zur Feindschaft gegen das Andere, Fremde, dessen Name nicht umsonst in Entfremdung anklingt; jener Nichtidentität, zu der nicht allein das Bewußtsein, sondern eine versöhnte Menschheit zu befreien wäre." 49)

Daß Identität sein soll, ist in diesem Bereich der Abstraktion aber der Begriff des Subjekts. Daß es als die aktive Seite des Verhältnisses das übergreifende ist, daß es damit einen Trieb hat, nicht mit sich zufrieden ist, sondern das andere fassen will, erscheint Adorno als der Grund aller Entzweiung. Spät also und radikalisiert geht Adorno den Weg von Hegel zu Schopenhauer, einen Weg, der dem "Versöhnungsdenken" 50) immanent ist. Hegel ging noch von dem Anspruch aus, das Bewußtsein müsse die Notwendigkeit dessen einsehen, was ihm praktisch abverlangt wird, denn nur was vor seinem Urteil standhalte, sei wert, daß es sich dafür erkläre; nur das Notwendige könne das Bewußtsein als seine Freiheit wissen und sich mit ihm versöhnen. In diesem Gedanken liegt einerseits das große Wort der Aufklärung: 'Homo mensura', andererseits schon eine merkwürdige Verwandlung: Der Entfremdung liegt doch offenbar eine praktische Unzufriedenheit, ein Scheitern beabsichtigter Zwecke zugrunde, die Frage nach der Möglichkeit der Versöhnung aber verlangt vorweg nach einer theoretischen Befriedigung, auf die hin sie sich schon beruhigen wolle: Sie will die Notwendigkeit des Leidigen wissen, damit das Bewußtsein zum Negativen Ja sagen kann. Schon in dieser Frage ist das Subjekt das Variable, das Gründe verlangt, um seine kritische Einstellung zu einer Sache aufzugeben; das Aufgeben des Bewußtseins der Unzufriedenheit ist der erste Zweck der ganzen Frage, sie zielt auf Basis einer praktischen Unzufriedenheit auf theoretische Befriedigung. Legitimationen und Sinnangebote haben wegen dieser Fragestellung stets einen Widerspruch an sich, den gerade Adorno deutlich aufdeckte (siehe das folgende Kapitel), so daß sie per se nicht befriedigen können. Die einmal gestellte Frage nach der Versöhnung schleppt die Entzweiung immer mit sich fort. Nicht erst Adorno kam auf die Lösung, daß es gerade der Wille zur Versöhnung, die Bereitschaft, Notwendigkeiten einzusehen, ist, der die Versöhnung am sichersten verhindert. Die Frage nach der Vernunft der Dinge ist der Sündenfall des Denkens, das sich damit dem Gegenstand des Bewußtseins entfremdet, daß es diesen zum Gegenstand des Bewußtseins macht. Versöhnung "wäre" nur jenseits der Suche danach.

In aller Unbestimmtheit erscheint Adorno das Verhältnis von Subjekt und Objekt als der Zustand und Ausdruck der Entfremdung; dabei ergreift Adorno für das Objekt, als das Opfer der Aktivität des übergreifen wollenden Subjekts, Partei und will es aus diesem Verhältnis befreien. Dies bedeutet ohne Zweifel eine Demontage von Subjektivität, 50) und zwar radikaler, als es Schopenhauer, der zurecht als einer der Vordenker der kritischen Theorie genannt wird, im Auge hatte. Während dieser nur den Willen der Menschen für das Übel und die Quelle der Qual ausmachte, Abstinenz vom praktischen Leben empfahl und die interesselose kontemplative theoretische Anschauung als "nicht von dieser Welt", als Reich der Freiheit vom Willen entwarf, schließt Adorno das Denken in das Schopenhauersche Urteil über den praktischen Willen mit ein, indem er es ebenfalls als Interesse faßt. 52) Da Adorno das Verhältnis von Subjekt und Objekt überhaupt als Herrschaft und Knechtschaft und damit als den Zustand der Entfremdung faßt, werden ihm im Fortschritt der Darstellung dieses auf das methodische Prinzip reduzierten Grundgedankens der Philosophie alle Verhältnisse, in denen der Mensch sich aktiv, d.h. als Subjekt benimmt, Beispiele von Unterdrückung. 53)

Damit bestimmt Adorno nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis ziemlich genau entgegengesetzt zu dem, was bei Marx Materialismus genannt wurde und worauf Adorno sich mit expliziter Namensnennung mehrfach bezieht. Adorno nimmt nämlich eine Trennung am Subjekt vor mit seiner Verurteilung von Wille und Begriff als Herrschaft. Dignität hat das Subjekt, insofern es nicht Subjekt und in diesem Jenseits wie das Objekt Materie, Natur ist.

"Irreduzibel ist das somatische Moment als das nicht rein cognitive an der Erkenntnis. ... Daß die cognitiven Leistungen des Erkenntnissubjekts dem eigenen Sinn nach somatisch sind, affiziert nicht nur das Fundierungsverhältnis von Subjekt und Objekt, sondern die Dignität des Körperlichen." 54)

Die Trennungsleistung liegt bei diesem Zitat eben in der Zusammenfügung. Einerseits ist es eine Trivialität, daran zu erinnern, daß das Denken nicht nur einen leiblich existierenden Denker voraussetzt, sondern auch ein Material, das diesem von der Außenwelt über die Sinne zugekommen ist. Andererseits liegt offenbar eine geheime Entgegensetzung von Denken und leiblicher Existenz vor, wenn die Zusammengehörigkeit beider Seiten eine eigene Aussage wert ist. Mit dieser wird nämlich zugleich behauptet, das sinnliche Material gehöre nicht zur Erkenntnis hinzu, als ob diese überhaupt etwas anderes sein könnte als die Erklärung der Erfahrungen.

"... Empfindung verrät, wie wenig die damit designierten Sachverhalte sind, als was die Erkenntnistheorie sie abhandelt, pur Momente von Erkenntnis." 55)

Mit der Trennung und nachträglichen Zusammenführung von Erkenntnis und der Empfindung, die kein "Moment von Erkenntnis" sein soll, betont Adorno nicht nur die Abhängigkeit des Subjektseins von der Materie, gegen die es sich als Subjekt meint benehmen zu können, sondern noch mehr: Während Marx sich sicher war, daß die Menschen dort einen guten Grund zum Denken haben, wo sie mit einer Sache praktisch nicht fertig werden, dann aber das Denken und sein Resultat schon auch in ihrem Interesse liegen werden, sieht Adorno im Interesse eine Einspruchsinstanz gegen das Denken, die mit ihrem Widerspruch aber nicht einfach sich als Interesse geltend machen, sondern darin ihre Sehnsucht nach Versöhnung von Körper und Geist ausdrücken will.

"Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle." "Unglückliches Bewußtsein ist keine verblendete Eitelkeit des Geistes, sondern ihm inhärent, die einzige authentische Würde, die er in der Trennung vom Leib empfing. Sie erinnert ihn, negativ, an seinen leibhaften Aspekt; allein daß er dessen fähig ist, verleiht irgend ihm Hoffnung." 56)

Während Materialismus bei Marx heißt, daß das Maß der praktischen Bedürfnisse und Interessen ihre Befriedigung ist, haben bei Adorno die Bedürfnisse negativ, im Maße ihrer Nichtbefriedigung Dignität. Als solche sind sie nicht nur leibliche Bedürfnisse, die nicht befriedigt werden, sondern das metaphysische Bedürfnis nach dem Ende des Dualismus von Körper und Geist, von Subjekt und Objekt schlechthin. Materialismus ist bei Adorno dem Begriff nach das unbefriedigte metaphysische Bedürfnis, weshalb "die Erfüllung des Materialismus zugleich das Ende des Materialismus sein wird." 57)

"Fluchtpunkt des historischen Materialismus wäre seine eigene Aufhebung, die Befreiung des Geistes vom Primat der materiellen Bedürfnisse im Stand ihrer Erfüllung. Erst dem gestillten leibhaften Drang versöhnte sich der Geist und würde, was er so lange nur verheißt, wie er im Bann der materiellen Bedingungen die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse verweigert." 58)

Adorno meint vom Doppelsinn des Wortes 'gestillt' in der Tat nicht die Seite, die "befriedigt" meint, sondern die Seite, die "beruhigt" sagt. Der leibhafte Drang, ein Wollen des Subjekts steht dem Zustand der Ruhe, der Versöhnung ist, in dem keine Art von Subjekt sich mehr über ein Objekt 'hermacht', im Wege. Erst die Beruhigung der materiellen Interessen erlaubt, sich im Zustand der Versöhnung von ihnen frei zu machen. Daß das Freiwerden von den materiellen Bedürfnissen für die dann ruhige, aber doch wohl kontemplativ-geistige Harmonie des Nichts-mehr-Wollens gemeint ist, betont Adorno ausdrücklich:

"Die Idee einer Fülle des Lebens, auch die, welche die sozialistische Konzeption des Menschen verheißt, ist darum nicht die Utopie, als welche sie sich verkennt, weil jene Fülle nicht getrennt werden kann von der Gier, ... einem Verlangen, das Gewalttat und Unterjochung in sich hat. Ist keine Hoffnung ohne Stillung der Begierde, dann ist diese wiederum eingespannt in den verruchten Zusammenhang des Gleich um Gleich, eben des Hoffnungslosen. Keine Fülle ohne Kraftmeierei." Nur durch die "Abschaffung des versagenden Prinzips verschwände am Ende auch der Zyklos von Erfüllung und Aneignung." 59)

Anmerkungen: Materialismus

1) Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3 (im folgenden MEW 3), S. 19.

2) Adorno, ND, S. 153.

3) Adorno, Metakritik, S. 30.

4) Insofern ist der von Rüdiger Bubner gegen die kritische Theorie vorgebrachte Vorwurf des Zirkels in der Bestimmung der richtigen Theorie aus dem richtigen Interesse sowie umgekehrt der Bestimmung des richtigen Interesses aus der richtigen Theorie eine treffende Charakterisierung der unvermeidlichen, aber ebenso unlösbaren Suche nach der sicheren Basis der Argumentation, wenn die Objektivität der Theorie erst einmal als die intellektuelle Orientierung aufgegeben ist:

"Die Reflexion der Interessenabhängigkeit von Erkenntnis langt also zur Kritik nicht hin, wenn nicht die Erkenntnisabhängigkeit von Interessen mit thematisiert wird, der die richtigen 'Interessen' von den falschen zu unterscheiden gestattet, und durch Einsicht das, was wirklich Interesse verdient, von seinem Scheine in den allgegenwärtigen Interessenmeinungen abhebt." (S. 218)

Dieser Aufsatz von Bubner ist im übrigen eine hervorragende immanente Kritik der Kritischen Theorie, der er nachweist, daß sie durch Vermischung von theoretischer Wahrheit und praktischer Interessiertheit weder zur Bestimmung des einen noch des anderen kommt. Der Idealismus dieser Kritik besteht einzig darin zu unterstellen, die Kritische Theorie habe das gewollt.

Rüdiger Bubner, Was ist Kritische Theorie, in: Philosophische Rundschau, 16. Jahrg. 1969, Heft 3/4, S. 213 - 249.

5) MEW 3, S. 27.

6) Der Verfasser kann sich in dieser Auffassung auf Alfred Schmidt berufen, der selbst der Ansicht ist,

"daß der Marxsche Materialismus nur in zweiter Linie aus dem 'innerphilosophischen' Gegensatz zum Idealismus zu verstehen ist; daß er zunächst eine (freilich selbst noch philosophisch belastete, nämlich bestimmte) Negation von Philosophie (einschließlich der materialistischen) bildet." (Hervorh., d. V.)

Alfred Schmidt, Postskriptum 1971 zu 'Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx', FfM 1971, S. 208.

7) Alfred Schmidt weist ebenfalls darauf hin: Materialismus sei als methodische und philosophische Maxime paradox, weil er das Bekenntnis zur Untersuchung der Besonderheit als einheitliche Methode vorträgt:

"Der Begriff einer 'materialistischen Philosophie' ist in sich paradox; denn er erhebt zum Prinzip, was sich gerade dem Charakter eines solchen entzieht: den Stoff, der als einheitliche Substanz gar nicht vorkommt. Materialismus erweist sich also als der - im strengen Sinne problematische - Versuch, zu systematisieren, was dem Systemcharakter widerstreitet."

Werner Post und Alfred Schmidt, Was ist Materialismus? München 1975, S. 12.

8) Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S. 10.

9) Diese hier formulierte Kritik an der "Deutschen Ideologie" gilt nur für die wenigen positiven" Stellen derselben, die sich fast alle im ersten Kapitel 'Feuerbach, Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung' finden. Anders als an den positiven methodischen Stellen wird an den kritischen gegen Bauer, Stirner und Feuerbach streng und treffend argumentiert. "Bekannt" geworden ist von der 'Deutschen Ideologie' allerdings nur das hier kritisierte erste Kapitel, mit ihm pflegt man Marxismus zu definieren - und zwar im Sinne dieser Schwächen.

10) MEW 3, S. 20.

11) Ein Beispiel für die Leere dieser methodischen Argumentation liefert die ausführliche Beschwörung der Bestimmtheit, die eben deshalb jede Bestimmtheit vermissen läßt:

"Die Tatsache also ist die: bestimmte Individuen, die auf bestimmte Weise produktiv tätig sind, gehen diese bestimmten politischen Verhältnisse ein. Die empirische Beobachtung muß in jedem einzelnen Fall den Zusammenhang der gesellschaftlichen und politischen Gliederung mit der Produktion empirisch und ohne alle Mystifikation und Spekulation aufweisen. Die gesellschaftliche Gliederung und der Staat gehen beständig aus dem Lebensprozeß bestimmter Individuen hervor; aber dieser Individuen, nicht wie sie in der eignen oder fremden Vorstellung erscheinen mögen, sondern wie sie wirklich sind..."

MEW 3, S. 25.

12) So wird abstrakt, ohne auf die besondere Form der privatwirtschaftlichen Arbeitsteilung einzugehen, aus dem bloßen Umstand der Teilung der Arbeit ein Interessengegensatz abgeleitet, der historisch wohl aufgetreten ist, aber eben nicht wegen der Arbeitsteilung, sondern wegen ihrer gesellschaftlichen Form.

"Die Teilung der Arbeit innerhalb einer Nation führt zunächst die Trennung der industriellen und kommerziellen von der ackerbauenden Arbeit und damit die Trennung von Stadt und Land und den Gegensatz der Interessen beider herbei."

MEW 3, S. 22.

13) MEW 3, S. 26.

14) Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort, MEW 13, S. 9.

15) Engels hatte diesen Satz eben erkenntnistheoretisch aufgefaßt und kommt deshalb selbst mit seinem apodiktischen Charakter in Schwierigkeiten; deshalb relativiert er die Marxsche Einsicht ebenso erkenntnistheoretisch:

"Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das Ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die Ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus ... Oben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung..."

Friedrich Engels an J. Bloch vom 21./22. September 1890, MEW 37, S. 463.

16) Siehe Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur, a.a.O., S. 37.

17) Wie nahe bei Engels die richtige Einsicht liegt, daß Materialismus nichts anderes im Bereich der Theorie sein kann als Theorie selber, die sich auf ihren Gegenstand, ihre Materie einläßt, zeigt ein Vergleich zweier Zitate von ihm.

"Die Materie als solche ist eine reine Gedankenschöpfung und Abstraktion. Wir sehen von den qualitativen Verschiedenheiten der Dinge ab, indem wir sie als körperlich existierende unter dem Begriff Materie zusammenfassen. Materie als solche, im Unterschied von den bestimmten existierenden Materien, ist also nichts sinnlich-Existierendes"

Der Begriff Materie meint also das Sinnlich-Existierende, welches Gegenstand des Bewußtseins wird, sonst nichts.

"Die Materie und Bewegung kann also gar nicht anders erkannt werden als durch Untersuchung der einzelnen Stoffe und Bewegungsformen, und indem wir diese erkennen, erkennen wir pro tanto auch die Materie und die Bewegung als solche."

Nachdem der Begriff der Materie schon völlig feststand, es an ihm auch weiter nichts zu erkennen gibt, weil sein Inhalt sich völlig in dem erschöpft, zu Erkennendes zu sein, soll die Erkenntnis des besonderen wirklichen Stoffes als Beitrag zur Erkenntnis der schon vollkommen bestimmten Abstraktion von ihm verstanden werden. Damit bekommt die Materie dann doch die geheimnisvolle "Substantialität", als welche sie vor dem besonderen Stoff da sein und den Stoff abgeben soll, aus dem der besondere gebildet ist.

Engels, Dialektik der Natur, Notizen und Fragmente, MEW 20, S. 519 und S. 503.

18) Lenin hat den Fehler von Engels vollendet. In seinem Bestreben, Wissenschaft auf Objektivität zu verpflichten und dazu Objektivität jenseits von der besonderen Erforschung der Gegenstände zu definieren, kommt er zu dem ironischen Ergebnis, das Wirkliche der Wirklichkeit, das, was ganz ohne die menschliche Beziehung darauf schon da ist, nur noch durch das Verhältnis des Menschen dazu bestimmen zu können. Der Versuch, die Substanz auszusagen, führt bei ihm, weil jenseits der Besonderheit, dazu, gerade sie in eine Relation aufzulösen:

"Eben das ist Materialismus: Die Materie wirkt auf unsere Sinnesorgane ein ... Die Existenz der Materie ist von der Empfindung unabhängig. Die Materie ist das Primäre.

"Die Materie ist das, was durch seine Wirkung auf die Sinnesorgane Empfindung erzeugt;"

W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, Berlin 1973, S. 47 und S. 141.

19) "Es ist ein ewiger Kreislauf, in dem die Materie sich bewegt, ein Kreislauf, der seine Bahn wohl erst in Zeiträumen vollendet, für die unser Erdenjahr kein ausreichender Maßstab mehr ist, ein Kreislauf, in dem die Zeit der höchsten Entwicklung, die Zeit des organischen Lebens und noch mehr, die des Lebens selbst- und naturbewußter Wesen ebenso knapp bemessen ist wie der Raum, in dem Leben und Selbstbewußtsein zur Geltung kommen. ... Aber (!) wie oft und wie unbarmherzig auch in Zeit und Raum dieser Kreislauf sich vollzieht; ... wie zahllose organische Wesen auch vorhergehen und vorher untergehen müssen, ehe aus ihrer Mitte sich Tiere mit denkfähigem Gehirn entwickeln und für eine kurze Spanne Zeit lebensfähige Bedingungen vorfinden, um dann auch ohne Gnade ausgerottet zu werden - wir haben die Gewißheit, daß die Materie in allen ihren Wandlungen ewig dieselbe bleibt, daß keins ihrer Attribute je verloren gehen kann..."

Engels, Dialektik der Natur, Einleitung, MEW 20, S. 327.

Siehe dazu auch das ähnliche Zitat von Tomberg, (Fußnote 69 des ersten Kapitels).

20) Ulrich Sonnemann formuliert als negativer Anthropologe, was andere an Marx positiv besprechen; er bezieht sich auf beide Seiten des 'Anthropologen' Marx:

"Die deutsche Philosophie wie auch der deutsche Staat haben vom 'Wirklichen Menschen' abstrahiert, zu ihm will Marx zurück, von ihm ausgehen; aber was ist das, der wirkliche Mensch? Offenbar dasjenige, als was er sich zeigen würde, gewännen Hegels Bestimmungen des Menschen ... auch empirische Wahrheit, ... das aber setzt voraus, daß diese Bestimmungen selbst eine empirische Wurzel haben, daß ihr Ausgangspunkt eine Anthropologie ist: ist diese Bedingung nicht erfüllt, liegt im Denken Marxens eine Ungereimtheit, mindestens Inkonsequenz vor, jedenfalls ein einfacher Selbstwiderspurch und nicht mehr."

Als negativer Anthropologe sieht Sonnemann aber auch für den Fall, daß eine Anthropologie vorliegt, eine Inkonsequenz:

"Um sie zu leisten, müßte der Geschichtstheoretiker für seine Erkenntnis einen außerhalb der Geschichte liegenden gleichsam archimedischen Punkt finden, müßte selbst ungeschichtlich werden, ..."

Ulrich Sonnemann, Negative Anthropologie, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 32 f.

21) Die Engels-Kritik ist gerade in der philosophischen Diskussion zu sehr verbreitet, als daß man es sich erlauben könnte, nicht auch auf die richtigen, wissenschaftlichen und nicht metaphysischen Steilen zum Materialismus von ihm hinzuweisen:

Der "materialistische Standpunkt" besteht nach Engels einfach in folgendem:

"Das heißt, man entschloß sich, die wirkliche Welt - Natur und Geschichte - so aufzufassen, wie sie sich selbst einem jeden gibt, der ohne vorgefaßte idealistische Schrullen an sie herantritt; ... Und weiter heißt Materialismus überhaupt nichts."

Engels, Ludwig Feurbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21, S. 292.

22) MEW 3, S. 27.

23) a.a.O.

24) Marx, Zur Kritik ... Vorwort, MEW 13, S. 10.

25) Siehe dazu Fußnote 45 des zweiten Kapitels.

26) hierfür einige wenige Beispiele:

- Ulrich Sonnemann, der positive Anthropologie für eine Festschreibung der Möglichkeiten des Menschen (darin führt er nur das Urteil Adornos aus, ND, S. 128) und deshalb für einen Fehler hält, nimmt es Marx gleichwohl übel, daß er sich in seinem späteren Werk nicht mehr darum kümmerte,

"wie der Mensch in seine Menschlichkeit komme, ja was diese zu guter Letzt sei: je bewegter in Marxens Vorstellung der 'Prozeß', seine von oben herab verhängt erscheinende 'objektive' Lineardialektik, um so starrer jenes Menschenbild, menschlich ärmer, nämlich klassizistischer, seine textanalytisch ausmachbare potentielle Substanz."

(Sonnemann, a.a.O., S. 43f.)

· J.P. Sartre, darin Adorno sehr ähnlich, hat schon 1946 an Marx den Verzicht auf erkenntnistheoretische Problematisierung vermißt. Obwohl doch der Mensch das Subjekt des Denkens, und durch Denken genug an seinem Resultat beteiligt ist, sieht Sartre eine "Unterdrückung der menschlichen Subjektivität", wenn diese nicht noch extra neben dem menschlichen Denken ins Denken hineinspielend reflektiert wird: "Indem der Materialist seine Subjektivität verneint, denkt er, sie zum Verschwinden gebracht zu haben.' usw.

Jean-Paul Sartre, Materialismus und Revolution, in: ders., Drei Essays, FfM-Berlin-Wien 1979, S. 55.

Adorno selbst hat bei aller Verehrung für Marx, wie er ihn sah, sein offensichtliches Desinteresse an erkenntnistheoretischen Problemen als ein Zurückbleiben hinter der Philosophie, keineswegs als Überwindung obsoleter Fragen verstanden und einen engen Zusammenhang zwischen dem Staatssozialismus im Osten und dem Fehlen der Erkenntnistheorie bei Marx zumindest nahelegt.

ND, S. 202 - 204; besonders auch: Metakritik, S. 35.

- Alfred Schmidt selbst, der Marx mehr verteidigt und hier mehrfach zitiert wurde, weil er eine Strecke weit ein sehr treffendes Verständnis des Marxschen 'Materialismus' vertritt, unterlegt Marx gerade angesichts des Fehlens der Erkenntnistheorie eine solche. Er geht dabei vom Fehlen derselben aus:

"Marx und Engels sind keine Erkenntnistheoretiker im traditionellen Sinn. Es gibt bei ihnen keinen von den Inhalten der politischen Ökonomie und Geschichte abgehobenen Wissenszweig, der sich mit den Quellen, dem Zustandekommen und der Gültigkeit von Erkenntnis beschäftigte." Das heißt aber nicht, daß sie keine Erkenntnistheorie für nötig gehalten hätten, sondern daß sie diese in einem mit der materialen Wissenschaft trieben; Erkenntnisse über die kapitalistische Ökonomie waren also nicht nur solche:

"... die Begründer des dialektischen Materialismus (halten sich) daran, daß nur inha1t1ich erkennend etwas über Erkenntnis ausgemacht werden kann;"

So verdoppeln sich für Schmidt in eigentümlicher Weise die Marxsche Kapitalismusanalyse in erstens sie selbst und zweitens den "spezifisch erkenntnistheoretischen Frageansatz des dialektischen Materialismus", mit dem sich die materiale Analyse und zugleich mit ihrem Vollzug ihre Bedingung der Möglichkeit beweist:

"Es kommt so - obschon unausgesprochenermaßen - zu einer materialistischen Neuauflage der Konstitutionsproblematik."

Alfred Schmidt, Einleitung, zu: ders. (Hrsg.), Beiträge zur materialistischen Erkenntnistheorie, FfM 1969, S. 7 und S. 10.

27) ND, S. 137.

28) ND, S. 142.

29) ND, S. 173.

30) ND, S. 175.

31) ND, S. 174.

32) Siehe dazu: Dieter Henrich, Diagnose der Gegenwart, a.a.O.: FN 124a des letzten Kapitels.

33) Siehe oben, S. 55.

34) Hier trifft Hegels Kritik am "dualistischen System", nicht wegen des formellen Einwands einer "Negation der Negation", nicht weil Trias sein solle statt Dualismus, sondern wegen eines inhaltlichen Arguments: Die Unauflöslichkeit des Problems ist konstruiert:

"In jedem dualistischen System ... gibt sich sein Grundmangel durch die Inkonsequenz, das zu vereinen was einen Augenblick vorher als selbständig, somit als unvereinbar erklärt worden ist, zu erkennen. Wie soeben das Vereinte für das Wahrhafte erklärt worden ist, so wird sogleich vielmehr für das Wahrhafte erklärt, daß die beiden Momente, denen in der Vereinung als ihrer Wahrheit das Fürsichbestehen abgesprochen worden ist, nur so, wie sie getrennte sind, Wahrheit und Wirklichkeit haben. Es fehlt bei solchem Philosophieren das einfache Bewußtsein, daß mit diesem Herüber- und Hinübergehen selbst jede dieser einzelnen Bestimmungen für unbefriedigend erklärt wird, und der Mangel besteht in der einfachen Unvermöglichkeit, zwei Gedanken - und es sind der Form nach nur zwei vorhanden - zusammenzubringen."

Hegel, Enzyklopädie I, WW 8, § 60, Schriftlicher Zusatz, S. 143.

35) Metakritik, S. 32.

36) ND, S. 174.

37) Metakritik 13.

38) ND, S. 171.

39) ND, S. 183.

40) Metakritik, S. 32.

41) Über Nähe und Gegensatz zu Heidegger siehe das nächste Kapitel. Schon hier aber kann daran erinnert werden, daß Heidegger seinerseits die äußere Natur mit einem Terminus bestimmt, der die funktionelle Bestimmung der Natur, ihre Definition über ihr Verhältnis zu dem sie benutzenden Menschen geradezu ausspricht: das "Zeug", welches sich durch seine "Zuhandenheit" auszeichnet.

42) ND, S. 171 f.

43) ND, S. 182.

44) ND, S. 174.

45) ND, S. 185.

46) ND, S. 191.

47) Siehe oben, S. 147ff.

48) ND, S. 174.

49) ND, S. 189.

50) Hans-Joachim Köhler verweist ebenfalls darauf:

"Die Versöhnung ist aber das eigentliche Programm der kritischen Theorie Adornos."

Köhler kritisiert an diesem Programm die Unmöglichkeit seiner Einlösung, die freilich auch Adorno nicht entgangen ist, nicht den Fehler, der schon in der Frage der Versöhnung steckt.

Köhler, a.a.O., S. 248.

51) Durchaus unkritisch resümiert Günter Holl die Philosophie Adornos in einem Begriff der "Überwindung der Subjektivität". Das denkende Subjekt begibt sich nach ihm in eine "bewußte Schizophrenie", indem es gegen sich als praktisch und theoretisch Herrschendes angeht.

Günter Holl, Subjekt und Rationalität, Eine Studie zu A. N. Whitehead und Th. W. Adorno, Dissertation am FB. Philosophie der Universität Frankfurt/M. 1975.

Ebenso H.-H. Kappner, der Adornos Theorie der Subjektivität so übersetzt:

"Worin wird die Möglichkeit von Subjektivität heute gesehen?" "In der Selbstaufgabe des herrschaftlichen Ichs..."

Hans-Hartmut Rappner, Adornos Reflexion Ober den Zufall des bürgerlichen Individuums; in: Th. W. Adorno, Sonderheft Text und Kritik, a.a.O., S. 44 - 63.

52) Über die Nähe zu Schopenhauer: siehe dieser über den praktischen Willen:

"Daß wir überhaupt wollen, ist unser Unglück: Auf das, was wir wollen, kommt es gar nicht an. Aber das Wollen kann nie befriedigt werden; daher hören wir nie auf zu wollen, und das Leben ist ein dauernder Jammer: denn es ist überhaupt nur Erscheinung des Wollens, das objektivierte Wollen. Wir wähnen ständig, das gewollte Objekt könne unserem Wollen ein Ende machen, da vielmehr nur wir selbst es können, indem wir eben aufhören zu wollen: Dies geschieht durch unsere bessere Erkenntnis ... Das bessere Bewußtsein gehört ja eben nicht zur Welt, steht ihr entgegen, will sie nicht."

Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, Einführung von Heinrich F. Hansmann, Stuttgart 1947, S. XVI.

53) Hier haben die besonderen Urteile der ethischen und geschichtsphilosophischen Schriften Adornos ihren Grund:

Daß Subjektivität gleich Herrschaft gesetzt ist, führt zu dem Urteil, daß der Wille eine Instanz der Unterdrückung der Triebe sei, daß der praktische Wille nach außen die Unterdrückung seines Objekts sei (Kritik der Naturbeherrschung), daß Praxis überhaupt ein Fluch und in doppeltem Sinne unfrei sei (nämlich als Unterdrückung der nichtbewußten Strebungen sowie als Unterwerfung unter die Gesetze des Objekts); daß schließlich der Aufstieg des Ichs, die Durchsetzung des Menschen als Subjekt zugleich sein Rückschritt sei und bleiben müsse.

Dazu: Adorno und Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, FfM 1969 (Kritik der Naturbeherrschung, Aufstieg und Niedergang des Ich).

ND, Freiheit, Zur Metakritik der praktischen Vernunft, S. 209 - 292 (Kritik des Willens).

Adorno, Marginalien zu Theorie und Praxis, in: Stichworte, Kritische Modelle, FfM 1969 (Kritik der Praxis überhaupt).

54) ND, 5. 192.

55) a.a.O.

56) ND, 5. 201.

57) Adorno, Philosophische Terminologie Bd. 2, a.a.O., S. 277.