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Texte - |
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JL in seinem Arbeitszimmer (Quelle: Bancroft Library) |
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Die Nachtgeborene
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Jack
London
übersetzt von Hardy Tröster |
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Es war eine für San Francisco warme Nacht, und im alten Alta-Inyo Club war durch die offenen Fenster, gedämpft und aus der Ferne, der Lärm der Straßen zu hören. Das Gespräch war vom Vorwurf der Bestechung sowie den neuesten Anzeichen, daß die Stadt dabei war, durch all die groteske Gemeinheit und Korruptheit von Männerhaß und Männerniedertracht auf voller Breite hinabzusinken, bestimmt gewesen, bis der Name von O’Brien erwähnt wurde - O’Brien, der vielversprechende junge Faustkämpfer, der die Nacht zuvor im Ring getötet worden war. Auf einmal schien die Luft frischer geworden zu sein. O’Brien war ein anständiger junger Mann mit Idealen gewesen. Er hatte weder getrunken, geraucht noch geflucht, und sein Körper war der eines schönen jungen Gottes gewesen. Er hatte sogar sein Gebetbuch zum Ring getragen. Sie fanden es in seiner Manteltasche im Umkleideraum ... danach. Hier war Jugend, sauber und gesund, unberührt - die Sache von Herrlichkeit und Wunder, die die Männer bezaubert - nachdem sie ihnen verlorengegangen ist und sie das mittlere Alter überschritten haben. Und wir zauberten so gut, daß Romantik aufkam und uns für eine Stunde weit aus der Männerstadt und ihrem knurrenden Gebrüll hinausführte. Bardwell begann es, indem er Thoreau zitierte, aber es war der alte kahlköpfige Trefethan mit seinem Doppelkinn, der das Zitieren übernahm, und für eine Stunde wurde die Romantik leibhaftig. Zuerst fragten wir uns, wie viele Scotchs er seit dem Abendessen konsumiert hatte, aber schon sehr bald war all das vergessen. »Es war im Jahr 1898 ... Ich war damals fünfunddreißig«, sagte er. »Ja, ich weiß, ihr rechnet es aus. Ihr habt Recht. Ich bin jetzt siebenundvierzig, sehe zehn Jahre älter aus, und die Ärzte sagen ... doch zum Teufel mit den Ärzten jedenfalls!« Er hob das hohe Glas an seine Lippen und nippte langsam daraus, um seine Verärgerung zu mildern. »Aber ich war jung ... damals. Vor zwölf Jahren war ich jung, und ich hatte Haare auf meinem Kopf und mein Bauch war schmal wie der eines Läufers, und der längste Tag war nicht zu lang für mich. Ich war ein Schlittenhund damals im Jahr 1898. Du wirst dich an mich erinnern, Milner. Du kanntest mich schon damals. War ich nicht ein ganz schönes Stück von all dem, stimmt’s?« Milner nickte und stimmte dem zu. Wie Trefethan war auch er ein Bergbauingenieur, der im Klondike ein Vermögen abgesahnt hatte. »Gewiß warst du das, Alter«, sagte Milner. »Ich werde niemals vergessen, wie du in M. & M. die Holzfäller ausgenommen hast, in jener Nacht als dieser kleine Zeitungsmann den Streit anfing. Slavin war zu der Zeit im Land«, - dies sagte er zu uns gewandt - »und sein Manager wollte ein Match mit Trefethan arrangieren.« »Nun, seht mich jetzt an«, kommandierte Trefethan wütend. »Das ist es, was das Goldland mir antat ... Gott weiß wie viele Millionen, aber nichts blieb übrig, weder in meiner Seele ... noch in meinen Venen. Das gute rote Blut ist verschwunden. Ich bin eine Qualle , eine riesige, plumpe Masse zitternden Protoplasmas, ein ... ein ...« Aber ihm versagte die Sprache, und er holte sich Trost aus dem hohen Glas. »Die Frauen sahen mich damals an, und sie drehten ihre Köpfe, um ein zweites Mal zu schauen. Merkwürdig, daß ich nie heiratete. Aber das Mädchen. Das ist es, wovon ich euch zu erzählen begann. Ich begegnete ihr tausend Meilen fern von irgendwo und dann so etwas. Und sie zitierte mir genau diese Worte von Thoreau, die Bardwell vor einem Moment wiedergab ... diejenigen über die tags geborenen Götter und die Nachtgeborenen. Es war, nachdem ich meine Funde im Goldland gemacht hatte ... und ich wußte nicht, als was für ein Schatztopf sich dieses Bachbett erweisen sollte ... so daß ich diese Reise ostwärts über die Rocky Mountains machte, schräg hinüber zum Hohen Norden, wo die Rockies etwas mehr als nur ein Rückgrat sind. Sie stellen eine Grenze dar, eine Trennungslinie, eine unumstößliche und unbezwingbare Wand. Es gibt keinen Verkehr darüber hinweg, obgleich in früheren Tagen umherziehende Trapper sie gelegentlich überquert haben, wobei jedoch unterwegs mehr verlorengingen als jemals durchkamen. Und genau das war es, warum ich die Aufgabe in Angriff nahm. Es war eine Landdurchquerung, die jeden Mann stolz machen würde. Ich bin jetzt richtig stolzer darauf, als auf alles, was ich sonst jemals getan habe. Es ist ein unbekanntes Land. Große Teile davon sind niemals erkundet worden. Es gibt dort große Täler, in die der weiße Mann nie einen Fuß gesetzt hat, und Indianerstämme, so primitiv wie vor zehntausend Jahren ... fast, denn sie haben etwas Kontakt mit den Weißen gehabt. Hin und wieder kommen Trupps von ihnen heraus, um zu handeln, und das ist alles. Sogar der Hudson Bay Company mißglückte es, sie zu finden und ansässig zu machen. Und jetzt zu dem Mädchen. Ich kam einen Wasserlauf hinauf ... in Kalifornien würde man ihn als Fluß bezeichnen ... unerforscht ... und namenlos. Es war ein prächtiges Tal, erst eingeschlossen von hohen Cañonwänden und dann sich wieder verbreiternd zu herrlichen, breiten und langen Stücken mit mannshohem Weidefutter im Talgrund, Wiesen übersät mit Blumen und mit Gruppen von Waldfichten ... unberührt und prachtvoll. Die Hunde waren auf ihren Rücken bepackt, und sie waren wundfüßig und überstrapaziert, während ich nach irgendeinem Häufchen Indianer Ausschau hielt, um von ihnen Schlitten und Fahrer zu erhalten und um mit dem ersten Schnee weiterzukommen. Es war Spätherbst, aber die Art, wie jene Blumen unbeirrt weiterblühten, überraschte mich. Ich hatte angenommen, mich im subarktischen Amerika zu befinden, hoch oben inmitten der Strebepfeiler der Rockies, und doch gab es dort noch diese immerwährende Verbreitung von Blumen. Eines Tages werden die weißen Siedler dort sein und überall unten im Tal Weizen anbauen. Und dann sah ich aufsteigenden Rauch, hörte das Gebell von Hunden ... von indianischen Hunden ... und kam in ein Lager. Es müssen fünfhundert von ihnen gewesen sein, richtige Indianer dazu, und ich konnte anhand der Dörrgerüste sehen, daß die Herbstjagd gut gewesen war. Und dann traf ich sie ... Lucy. Das war ihr Name. Die Zeichensprache ... das war alles, womit wir uns verständigen konnten, bis sie mich zu einem großen Windschutz führten ... wissen Sie, zur Hälfte ein Zelt und auf einer Seite offen, wo ein Lagerfeuer brannte. Er bestand ganz aus Elchhäuten, dieser Windschutz ... aus rauchgetrockneten, handgerubbelten, goldbraunen Elchhäuten. Darunter war alles sauber und ordentlich wie es kein Indianerlager jemals war. Das Bett war auf frischen Fichtenzweigen hergerichtet. Es gab Felle in Hülle und Fülle, und über all dem lag eine Decke aus Schwanenbälgen ... weiße Schwanenhäute ... ich habe niemals etwas derartiges wie diese Decke gesehen. Und auf der Oberseite davon saß mit gekreuzten Beinen Lucy. Sie war nußbraun. Ich habe sie ein Mädchen genannt. Aber das war sie nicht. Sie war eine Frau, eine nußbraune Frau, eine Amazone, eine vollblütige, vollentwickelte Frau und von königlicher Reife. Und ihre Augen waren blau. Das war es, was mich von meinen Füßen abheben ließ ... ihre Augen ... blau, kein Chinablau, sondern ein dunkles Blau wie das Meer und der Himmel in einem verschmolzen, und sehr klug. Mehr als das, es war ein Lachen in ihnen ... warmes Gelächter, sonnenwarm und menschlich, sehr menschlich, und ... sollte ich weiblich sagen? Sie waren es. Sie waren die Augen einer Frau, die Augen einer richtigen Frau. Ihr wißt, was das bedeutet. Muß ich noch mehr sagen? Also, in jenen blauen Augen waren zur selben Zeit eine wilde Unruhe, ein wehmütiges Verlangen und eine Ruhe, eine absolute Ruhe, eine Art Allwissenheit und philosophische Gelassenheit.« Trefethan brach schroff ab. »Ihr Kerle denkt, ich wäre besoffen. Bin ich nicht. Dies ist erst mein fünfter seit dem Abendessen. Ich bin völlig nüchtern, und ich bin ernsthaft. Ich sitze jetzt hier Seite an Seite mit meiner geheiligten Jugend. Nicht ich bin das ... der alte Trefethan ... der das spricht; es ist meine Jugend. Und es ist meine Jugend, die sagt, daß jene Augen die wunderbarsten waren, die ich jemals gesehen habe ... so sehr ruhig, so sehr unruhig; so sehr klug, so sehr neugierig; so sehr alt, so sehr jung; so zufrieden und doch so wehmütig sehnsuchtsvoll. Jungs, ich kann sie nicht beschreiben. Wenn ich euch von ihr erzählt habe, könnt Ihr euch ein besseres Bild von ihr machen. Sie stand nicht auf. Aber sie streckte ihre Hand aus. „Fremder“, sagte sie, „Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen.“ Ich überlasse es euch ... dieser scharfe Westerndialekt in der Sprache. Stellt euch meine Empfindungen vor. Es war eine Frau, eine weiße Frau, aber dieser Dialekt! Es war erstaunlich, daß es eine weiße Frau geben sollte, hier, jenseits der letzten Grenze der Welt ... aber dieser Dialekt. Ich sage euch, es tat weh. Es war wie der Schmerz bei einem zu tiefen Ton. Und laßt mich euch noch sagen, daß diese Frau eine Dichterin war. Ihr sollt sehen. Sie ließ die Indianer wegtreten. Und, zum Donnerwetter, sie gingen. Sie nahmen ihre Befehle entgegen und folgten ihr blind. Sie war ihr hi-yu Skookum, ihr heiliger gottähnlicher Häuptling. Sie forderte die Kerle auf, ein Lager für mich herzurichten und sich um meine Hunde zu kümmern. Und auch das taten sie. Und sie wußten gut genug, daß nicht mal ein Mokassinschnürsenkel von meiner Ausrüstung wegkommen durfte. Sie war eine echte, unbedingten Gehorsam gewohnte Frau, und ich möchte euch sagen, daß es mir bis ins Mark fröstelte, und jene kleinen, Marathon laufenden Reize in meiner Wirbelsäule hinauf und hinunter schickte, dort draußen, tausend Meilen weg auf der anderen Seite des Niemandlandes, eine weiße Frau an der Spitze eines Stammes von Wilden zu treffen. „Fremder“, sagte sie, „ich schätze, Sie sind sicher der erste Weiße, der jemals seinen Fuß in dieses Tal setzte. Setzen Sie sich und lassen Sie uns ein Weilchen plaudern und dann werden wir einen Happen essen. Welcher Weg hat Sie nur hierher geführt?“ Da war er wieder, dieser Dialekt. Aber ich möchte, daß ihr es von jetzt an bis zum Ende des Garns vergeßt. Ich sage euch, ich vergaß es, dort auf dem Rand dieser Schwanenhautdecke sitzend und lauschend und die wunderbarste Frau ansehend, die jemals den Seiten von Thoreau oder eines anderen Mannes Buch entstiegen war. Ich blieb eine Woche dort. Es geschah auf ihre Einladung. Sie versprach, mich mit Hunden und Schlitten auszustatten sowie mir Indianer mitzugeben, die mich über die besten Pässe auf fünfhundert Meilen über die Rockies führen würden. Ihr Windschutzzelt war abseits von den anderen aufgeschlagen, auf dem hohen Ufer am Fluß, und ein paar indianischer Mädchen erledigten das Kochen für sie und die Lagerarbeit. Und so redeten wir und redeten, derweil der erste Schnee fiel und fortwährend weiter fiel und einen Belag für meine Schlitten schuf. Und dies war ihre Geschichte. Sie war als Kind von armen Siedlern im Grenzgebiet geboren worden, und ihr wißt, was das heißt ... Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit, Arbeit im Überfluß und ohne Ende. „Ich habe niemals die Herrlichkeit der Welt gesehen“, sagte sie. „Ich hatte keine Zeit. Ich wußte, sie war direkt dort draußen, irgendwo und überall rings um die Hütte, aber es galt sich stets um das Brot zu sorgen, um das Putzen und Waschen und die Arbeit, die nie geschafft wurde. Ich pflegte zu jenen Zeiten völlig krank zu sein, weil ich nicht dort in all das hinausgehen konnte. Besonders im Frühling wenn die Lieder der Vögel mich meist glatt wahnsinnig machten. Ich wünschte hinauszurennen durch das hohe Weidegras und mit dem Tau darauf meine Beine naßzumachen, und auf den Zaun an der Eisenbahnstrecke zu klettern, und weiterzugehen durch den Wald und hinauf und hinüber über die Wasserscheide um rings von all dem einen Blick zu erhalten. Oh, ich hatte alle Arten von Verlangen ... den Cañonbetten nachzugehen und von Pfütze zu Pfütze umherzuplanschen, mit den Wasserhunden und den gesprenkelten Forellen Freundschaft schließen; still und leise gucken und die Eichhörnchen beobachten und die Kaninchen und kleine pelzige Dinger und zusehen, was sie tun, und die Geheimnisse von ihren Lebensweisen lernen. Es schien mir, daß wenn ich Zeit hätte, ich zwischen die Blumen kriechen könnte, und, wenn ich gut und leise war, ihre flüsternde Unterhaltung aufschnappen könnte, wie sie über alle Arten von klugen Sachen sprachen, die normale Menschen niemals wissen.“« Trefethan pausierte, um zuzusehen, daß sein Glas nachgefüllt wurde. »Ein anderes mal sagte sie: „Ich wollte nachts rennen wie ein wildes Ding, nur durch den Mondschein und unter den Sternen laufen, weiß und nackt in der Dunkelheit laufen, von der ich wußte, daß sie sich wie kühler Samt anfühlen mußte, und laufen und laufen und immerzu laufen. Eines Abends, ich war total erschöpft ... es war ein schrecklich harter heißer Tag gewesen und das Brot wollte nicht aufgehen und das Buttern hatte nicht geklappt, und ich war ganz gereizt und zuckte ... nun, an diesem Abend erwähnte ich dies von meinem Wunsch zu laufen zu Papa. Er sah mich etwas neugierig an ein bißchen erschrocken. Und dann gab er mir zwei Tabletten zum Einnehmen. Sagte, fürs zu Bett gehen und um auszuschlafen, und am Morgen würde alles wieder in Ordnung sein. Also erwähnte ich niemals mehr meine Sehnsüchte, weder zu ihm noch zu sonst irgend jemand.“ Das Berghäuschen zerfiel ... abgewirtschaftet vermute ich ... und die Familie ging nach Seattle, um zu überleben. Dort arbeitete sie in einer Fabrik ... lange Stunden, wißt ihr, und all das Übrige, tödliche Arbeit. Und nach einem Jahr dort wurde sie Kellnerin in einem billigen Restaurant ... einer Hascheeschleuder, wie sie es bezeichnete. Einmal sagte sie zu mir: „Ich nehme an, was ich wollte, war Romantik. Aber dort in den Geschirrspülen und Waschzubern oder in den Fabriken und Kneipen schwebte keine Romantik umher.“ Als sie achtzehn war, heiratete sie ... einen Mann, der nach Juneau hinaufging, um ein Restaurant zu eröffnen. Er hatte einige Dollars gespart und schien wohlhabend zu sein. Sie liebte ihn nicht ... darauf bestand sie, aber sie war völlig erschöpft, und sie wollte von der endlosen Plackerei fortkommen. Juneau war außerdem in Alaska, und ihre Sehnsucht nahm die Form des Wunsches an, dieses Wunderland zu sehen. Aber sie sah wenig davon. Er eröffnete das Restaurant, ein kleines billiges Ding, und sie lernte schnell, wofür er sie geheiratet hatte ... um beim Lohn zahlen zu sparen. Sie kam ziemlich nahe dran, den Laden zu führen und machte vom Kellnern bis zum Geschirrspülen die ganze Arbeit. Sie kochte auch die meiste Zeit. Und das machte sie vier Jahre lang. Dieses wilde Geschöpf des Waldes, bestehend aus Fleisch mit jedem alten primitiven Instinkt, sich sehnend nach der freien Natur, und das sich vier irrsinnige Jahre in einer scheußlichen kleinen Spelunke abrackerte, abmühte und schinderte, könnt ihr euch nicht vorstellen? „Es gab keinen Sinn in irgend etwas“, sagte sie. „Was sollte das alles? Warum wurde ich geboren? War das der ganze Sinn des Lebens ... nur um zu arbeiten und zu arbeiten und immer müde zu sein ... um erschöpft ins Bett zu gehen und erschöpft aufzuwachen, und jeder Tag wie jeder andere Tag, es sei denn, er war noch schwerer?“ Sie hatte von den evangelischen Größen über das unsterbliche Leben reden hören, sagte sie, aber sie konnte nicht glauben, daß das was sie tat, eine für ihre Unsterblichkeit geeignete Vorbereitung war. Aber sie hatte noch ihre Träume, doch seltener. Sie hatte ein paar Bücher gelesen ... welche, ist ziemlich schwer zu sagen. Höchstwahrscheinlich Romane der Seaside-Buchreihe, und doch waren sie Nahrung für die Phantasie gewesen. „Manchmal“, sagte sie, „wenn mir durch die Hitze beim Kochen ganz schwindlig war und ich ohnmächtig zu werden drohte, falls ich nicht einen Atemzug frischer Luft bekäme, steckte ich meinen Kopf aus dem Küchenfenster hinaus und schloß meine Augen und sah die wunderbarsten Dinge. Urplötzlich fahre ich eine Landstraße hinunter, und alles ist sauber und ruhig, kein Staub, kein Schmutz; nur Bäche plätschern saftige Weiden hinunter, und Lämmer, spielen, Brisen wehen den Hauch von Blumen, und über allem milder Sonnenschein; und herrliche Kühe faulenzen knietief in ruhigen Tümpeln, und junge Mädchen, alle weiß und schlank und natürlich, baden an einer Bachbiegung ... und ich würde wissen, daß ich mich in Arkadien befand. Ich hatte einstmals in einem Buch über diese Landschaft gelesen. Und vielleicht würden Ritter, die in der Sonne ganz blinkten, um eine Straßenkurve herum geritten kommen, oder eine Lady auf einer milchweißen Stute, und in der Ferne könnte ich Türme eines Schlosses sich erheben sehen, oder ich wußte bloß, an der nächsten Biegung würde ich auf etwas wie einen Palast stoßen, ganz in weiß und erhaben und feenhaft, mit tanzenden Springbrunnen, und überall Blumen, und Pfaue auf dem Rasen ... und dann würde ich meine Augen öffnen, und die Hitze vom Küchenherd würde mich angreifen, und ich würde Jake sagen hören ... er war mein Mann ... Ich würde Jake sagen hören, ‘Warum servierst du ihnen nicht die Bohnen? Glaubst wohl, ich kann hier den ganzen Tag warten!’ Romantik! ... Ich schätze, das was dem jemals am dichtesten kam, war als ein betrunkener armenischer Koch durchdrehte und versuchte, meine Kehle mit einem Kartoffelmesser durchzuschneiden, und ich meinen Arm am Ofen verbrannte bevor ich ihn mit dem Kartoffelstampfer k.o. schlagen konnte. Ich wollte leichte Wege und schöne Dinge und Romantik und all das; aber es schien bloß, daß ich kein Glück hatte, in keinerlei Weise, und daß ich nur und ausschließlich fürs Kochen und Abwaschen geboren worden war. Damals in jenen Tagen gab es in Juneau einen wilden Haufen, aber ich sah die anderen Frauen an, und ihr Lebensweg reizte mich nicht. Ich glaube, ich wollte rein sein. Ich weiß nicht weshalb; ich wünschte es bloß, vermute ich, und ich schätzte, ich könnte ebensogut beim Abwaschen sterben als auf ihre Weise zu sterben.“« Trefethan hielt für einen Moment in seiner Geschichte an, den Gedankenfaden für sich selbst beendend. »Und dies ist die Frau, die ich dort oben in der Arktis traf, einen Stamm wilder Indianer anführend mit Jagdgründen von ein paar tausend Quadratmeilen. Und es geschah, ganz einfach, obwohl sie doch eigentlich auch zwischen den Töpfen und Pfannen hätte leben und sterben können. Aber es war wie im Sprichwort „Kam das Geflüster, kam die Vision.“ Das war alles, was sie brauchte, und sie bekam es. „Ich wachte eines Tages auf“, sagte sie. „Es passierte bloß durch den Fetzen von einer Zeitung. Ich erinnere mich an jedes Wort darauf, und ich kann es Ihnen wiedergeben.“ Und dann zitierte sie aus Thoreaus Schrei des Menschen: „Die jungen Kiefern, die Jahr für Jahr am Maisfeld hochkommen, sind für mich eine erfrischende Tatsache. Wir reden davon, den Indianer zu zivilisieren, aber das ist nicht der Name für seine Aufbesserung. Durch die argwöhnische Unabhängigkeit und Unnahbarkeit seines schummrigen Waldlebens hält er den Verkehr mit seinen einheimischen Göttern aufrecht, und es ermöglicht von Zeit zu Zeit eine seltene und eigenartige Gesellschaft mit der Natur. Er hat Blicke von sternenklarer Anerkennung, zu der unsere Salons Fremde sind. Die ruhige und nur wegen der Entfernung dämmerig wirkende Ausstrahlung seiner Schöpferkraft ist wie das schwache aber hinlängliche Licht der Sterne im Vergleich zu dem blendenden aber ineffektiven und kurzlebigen Feuerschein von Kerzen. Die Bewohner der Gesellschaftsinseln hatten ihre taggeborenen Götter, aber es wurde nicht angenommen, daß sie von gleich hohem Alter wären wie die ... nachtgeborenen Götter.“ Das ist es was sie tat. Sie wiederholte es Wort für Wort, und ich vergaß den Dialekt, denn es war erhaben, ein Glaubensbekenntnis ... heidnisch, wenn ihr wollt; und gekleidet mit dem lebendigen Gewand von sich selbst. „Und der Rest davon war abgerissen“, fügte sie mit einer großen Leere in der Stimme hinzu. „Es war nur ein Fetzen Zeitungspapier. Aber dieser Thoreau war ein weiser Mann. Ich wünschte, ich wüßte mehr über ihn.“ Sie stoppte für einen Moment, und ich schwöre, daß ihr Gesicht unsagbar heilig wirkte, als sie fortfuhr: „Ich hätte ihm eine gute Ehefrau sein können.“ Und dann sprach sie weiter: „Ich wußte gleich, sobald ich das las, was mit mir los war. Ich war eine Nachtgeborene. Ich, die ich mein ganzes Leben mit den Taggeborenen gelebt hatte, war ein Nachtgeborene. Das war die Ursache, warum mich das Kochen und Geschirrabwaschen nie befriedigt hatte; das war es, weshalb ich das Verlangen gehabt hatte, nackt im Mondschein zu laufen. Und ich wußte daß diese dreckige kleine Spelunke in Juneau kein Ort für mich war. Na gut, und dann sagte ich : ‘Ich steige aus.’ Ich packte meine paar Klamotten an Kleidung zusammen und brach auf. Jake sah mich und versuchte, mich aufzuhalten. ‘Was tust du?’ sagte er. ‘Mich von dir trennen’, sagte ich. ‘Ich gehe in den großen Wald, wo ich hingehöre.’ ‘Nein, das wirst du nicht’, sagte er und langte nach mir, um mich zu stoppen. ‘Das Kochen hat dich verwirrt im Kopf. Du wirst auf mich hören, statt daß du abhaust und irgend etwas Dummes anstellst.’ Aber ich zog eine Waffe - einen kleinen 44er Colt ... und sagte: ‘Der hier wird für mich sprechen.’ Und ich ging.“« Trefethan leerte sein Glas und rief nach einem weiteren. »Jungs, wißt ihr, was dieses Mädchen tat? Sie war zweiundzwanzig. Sie hatte ihr Leben über dem Abwaschbecken verbracht, und sie wußte nicht mehr über die Welt als ich von der vierten Dimension oder die fünfte. Viele Straßen führten zu ihrer Begierde. Nein; sie steuerte nicht auf die Tanzhallen zu. Auf dem Landzipfel Alaska ist es besser, auf dem Wasser zu reisen. Sie ging zum Strand hinunter. Ein Indianischerkanu fuhr gerade ab nach Dyea ... ihr kennt die Art, aus einem einzelnen Baum herausgeschnitten, schmal und tief und sechzig Fuß lang. Sie gab ihnen ein paar Dollars und ging an Bord. „Romantik?“ erzählte sie mir. „Es war Romantik vom Start an. Insgesamt befanden sich drei Familien in diesem Kanu, und es war so beengt, daß kein Platz zum Umdrehen vorhanden war. Es gab Hunde und indianische Babys, die sich überall herumlümmelten, und jedermann tauchte ein Paddel ein und trieb dieses Kanu voran. Und überall rings umher die großen ehrwürdigen Berge und verwirbelte Wolkenströmungen und Sonnenschein. Und oh, die Stille! Die große wunderbare Stille! Und, einmal, der Rauch vom Lager eines Jägers, der in der Ferne zwischen den Bäumen dahinzog. Es war wie ein Picknick, ein großartiges Picknick, und ich konnte sehen, wie meine Träume wahr wurden, und ich war bereit dafür, daß sich jederzeit etwas ereignete. Und das tat es. Und das erste Lager auf der Insel! Und die Knaben sperrten Fische in der Mündung des Baches und der große Hirsch, den einer von den Kerlen ganz in der Nähe schoß. Und es gab dort überall Blumen, und vom Strand an war das Gras dick und saftig und mannshoch. Und einige der Mädchen gingen mit mir hindurch, und wir kletterten den Hang dahinter hinauf und pflückten Beeren und sammelten Wurzeln, die sauer schmeckten aber genießbar waren. Und in den Beeren stießen wir auf einen großen Bären, der beim Abendessen war, und er sagte ‘Uff!’ und rannte weg, ebenso erschrocken wie wir es waren. Und dann das Lager und der Rauch vom Lagerfeuer und der Duft des frischen Wildbratens. Es war herrlich. Ich war endlich bei den Nachtgeborenen, und ich wußte, daß ich hierher gehörte. Und zum ersten Mal in meinem Leben, so kam es mir vor, ging ich diese Nacht glücklich zu Bett, schaute unter einem Zipfel der Zeltleinwand zu den Sternen hinauf, die dunkel von einem großen Bergrücken durchschnitten wurden, und lauschte auf die Nachtgeräusche und wußte, daß dieselbe Sache sich am nächsten Tag und immer und ewig wiederholen würde, falls ich nicht zurückging. Und ich ging nie zurück. Romantik! Ich bekam sie am nächsten Tag. Wir mußten einen großen Meeresarm überqueren ... zwölf bis fünfzehn Meilen, mindestens; und als wir in der Mitte waren, fing es an zu stürmen. Diese Nacht gelangte ich zusammen mit einem Wolfshund an die Küste, und ich war die Einzige, die noch am Leben war.“ Stellt es euch selbst vor«, unterbrach Trefethan das Erzählen. »Das Kanu war zerstört und verloren, und alle außer ihr wurden an den Felsen zu Tode zerschmettert. Sie gelangte an Land, indem sie sich an einen Hundeschwanz klammerte, sie entkam den Felsen und wurde an den meilenweit einzigen, schmalen Strand gespült. „Zum Glück für mich war es das Festland“, sagte sie. „Also ging ich geradewegs zurück durch die Wälder und über die Berge und direkt nach Irgendwo. Scheinbar suchte ich etwas und wußte, daß ich es finden würde. Ich fürchtete mich nicht. Ich wurde nachts geboren, und der große Wald konnte mich nicht töten. Und am zweiten Tag fand ich es. Ich stieß auf eine kleine Lichtung und eine verfallene Hütte. Seit vielen Jahren war niemand dort gewesen. Das Dach war eingestürzt. In den Kojen lagen verrottete Decken und auf dem Herd standen Töpfe und Pfannen. Aber das war nicht die sonderbarste Sache. Draußen, entlang des Randes der Bäume, Sie können nicht erraten, was ich dort fand. Die Skelette von acht Pferden, jedes an einen Baum gebundenen. Sie waren verhungert, vermute ich, und hatten nur hier und da verstreut, kleine Knochenstapel hinterlassen. Und jedes Pferd hatte eine Last auf seinem Rücken gehabt. Die Lasten lagen da, inmitten der Knochen ... Säcke aus übermalter Leinwand, und darin Elchledersäcke, und in diesen Elchledersäcken war ... nun, was glauben Sie?“ Sie hielt inne, langte unter eine Ecke vom Bett zwischen die Fichtenzweige und zog einen Ledersack heraus. Sie knotete die Öffnung auf und ließ einen so hübschen Goldstrom in meine Hand fließen, wie ich ihn niemals gesehen habe ... grobes Gold, Nestergold, größerer Staub, aber hauptsächlich Klumpen und es war so frisch und roh, daß es kaum Zeichen des Auswaschens zeigte. „Sie sagen, daß Sie ein Bergbauingenieur sind“, sagte sie, „und Sie kennen dieses Land. Können Sie mir einen Bach nennen, der Gold von dieser Farbe führt?“ Ich konnte nicht! Es gab keine Spur von Silber darin. Es war fast rein, und ich sagte es ihr auch. „Sie können darauf wetten“, sagte sie. „Ich verkaufe dies für neunzehn Dollar je Unze. Sie können für Eldorado-Gold nicht mehr als siebzehn erhalten, und Minook-Gold bringt nicht ganz achtzehn. Nun, das war es, was ich inmitten der Knochen fand ... acht Pferdelasten davon, und jeder Packen etwa achtundsechzig Kilo.“ „Eine Viertelmillion Dollar!“ rief ich aus. „Das ist es, was ich grob berechnete“, antwortete sie. „Wir sprechen über Romantik! Und ich, der ich all die Jahre geschuftet habe, erlebte dies, was sich ereignete, innerhalb von drei Tagen, kaum daß ich mich hinausgewagt hatte. Und was wurde aus den Männern, die all dieses Gold abgebaut hatten? Oft und immer wieder frage ich mich das. Sie ließen ihre beladenen und angebundenen Pferde zurück und verschwanden einfach vom Angesicht der Erde und hinterließen weder Haut noch Haar von sich. Ich habe nie von ihnen reden gehört. Niemand weiß irgend etwas über sie. Nun, da ich die Nachtgeborene bin, schätze ich, bin ich ihre rechtmäßige Erbin.“« Trefethan stoppte, um sich eine Zigarre anzuzünden. »Wißt ihr, was dieses Mädchen tat? Sie versteckte das Gold, abgesehen von etwa dreizehneinhalb Kilo, die sie an die Küste zurücktrug. Dann signalisierte sie einem vorbeifahrenden Kanu, machte sich auf den Weg zu Pat Healys Handelsstation bei Dyea, rüstete sich aus und ging über den Chilcoot Paß. Das war im Jahre 1888 ... acht Jahre vor dem Fund am Klondike, und der Yukon war eine Riesenwildnis. Sie fürchtete sich vor den Indianerkerlen, aber sie nahm zwei junge Squaws mit sich, überquerte die Seen und fuhr den Fluß hinab und zu all den früheren Lagern am unteren Yukon. Sie wanderte mehrere Jahre über das Land und kam dann dorthin, wo ich sie traf. Sie mochte den Anblick dort, den sie mit ihren eigenen Worten als ‘einen großen Bullenkaribu knietief in purpurroter Iris auf dem Talboden’ bezeichnete. Sie schloß sich den Indianern an, dokterte an ihnen herum, gewann ihr Vertrauen, und allmählich übernahm sie ihre Führung. Sie hatte dieses Land nur einmal verlassen und zwar mit einer Schar von jungen Indianern. Sie ging über den Chilcoot, räumte ihr Goldversteck aus und brachte es mit ihr zurück. „Und hier bin ich nun, Fremder“, schloß sie ihr Garn, „und hier ist das wertvollste Ding, das ich besitze.“ Sie zog einen kleinen Wildlederbeutel heraus, den sie wie ein Medaillon um ihren Hals trug, und öffnete ihn. Und drinnen, in geölter Seide eingewickelt, vom Alter vergilbt und abgenutzt vom Berühren, befand sich der Originalfetzen der Zeitung mit dem Zitat von Thoreau. „Und sind Sie glücklich ... zufrieden?“ fragte ich sie. „Mit einer Viertelmillion würden Sie unten in den Staaten nicht arbeiten müssen. Sie müssen eine Menge vermissen.“ „Nicht viel“, antwortete sie. „Ich würde nicht mit der Stelle irgendeiner Frau unten in den Staaten tauschen wollen. Dies sind meine Leute; hier ist es, wo ich hingehöre. Aber es gibt Zeiten“ - und in ihren Augen glimmte diese hungrige Sehnsucht auf, die ich erwähnt habe - „es gibt Zeiten, in denen ich mir meist ganz schrecklich wünsche, daß dieser Thoreau hier zufällig ankommen möge.“ „Warum?“ fragte ich. „Damit ich ihn heiraten könnte. Zuweilen fühle ich mich mächtig einsam. Ich bin bloß eine Frau ... eine richtige Frau. Ich habe über eine andere Art von Frauen reden gehört, die wie ich loszogen und eigenartige Sachen taten ... von der Art, die Soldaten in Armeen und Seemänner auf Schiffen wurden. Aber jene Frauen sind selbst eigenartig. Sie ähneln mehr den Männer als den Frauen; sie sehen wie Männer aus, und sie haben nicht die Bedürfnisse der gewöhnlichen Frauen. Sie wollen weder Liebe noch kleine Kinder in ihren Armen und um ihre Knie. Ich gehöre nicht zu dieser Art. Urteilen Sie selbst, Fremder. Sehe ich wie ein Mann aus?“ Das tat sie nicht. Sie war eine Frau, eine schöne, nußbraune Frau mit einem kräftigen, vor Gesundheit strotzenden weiblichen Körper und mit wundervollen tiefblauen Frauenaugen. „Bin ich nicht eine Frau?“ verlangte sie zu wissen. „Ich bin es. Ich bin in allem gar sehr eine Frau, und was für eine. Und die komische Sache ist, daß ich, obwohl ich sonst in allem eine Nachtgeborene bin, es nicht mehr bin, wenn es ums Paaren geht. Ich schätze, daß jede Rasse seine eigene Rasse am besten mag. So ist es bei mir jedenfalls, und so war es all diese Jahre gewesen.“ „Sie wollen mir damit sagen ...“, begann ich. „Niemals“, sagte sie, und ihre Augen schauten mit der Direktheit der Wahrheit in meine. „Ich hatte einen Ehemann, nur ... ich bezeichne ihn als Ochse; und ich schätze, daß er noch immer unten in Juneau die Kneipe führt. Schauen sie nach ihm, wenn Sie jemals zurückkehren, und Sie werden feststellen, daß es der richtige Name für ihn ist.“ Und ich schaute nach ihm, zwei Jahre danach. Er war alles, was sie sagte ... fest und stur, der Ochse ... der um die Tische herumschlurfte und bediente. „Sie brauchen eine Ehefrau, die Ihnen hilft“, sagte ich. „Ich hatte einmal eine“, war seine Antwort. „Witwer?“ „Ja. Sie wurde bekloppt. Sie sagte immer, daß die Hitze vom Kochen sie packen würde, und das tat es. Eines Tages richtete sie eine Waffe auf mich und lief fort weg mit einigen Siwashs in einem Kanu. An der Küste erwischte sie ein Sturm, und alle Mann ertranken.“« Trefethan widmete sich seinem Glas und blieb still. »Aber das Mädchen?« erinnerte Milner ihn. »Du hast mit deiner Geschichte aufgehört, gerade als sie anfing interessant zu werden, Zarter. Was tat es?« »Es geschah«, antwortete Trefethan. »Wie sie selbst sagte, war sie in allem eine Wilde, abgesehen vom Paaren, dazu zog sie ihre eigene Rasse vor. Sie war sehr nett darüber, aber sie war in diesem Punkt auch direkt. Sie wollte mich heiraten. „Fremder“, sagte sie, „ich wünsche Sie gar sehr. Sie mögen diese Art des Lebens, sonst würden Sie nicht hier sein und versuchen, die Rockies im Herbstwetter zu überqueren. Es ist ein prima Plätzchen. Sie würden nur wenige finden, die ähnlich sind. Warum wollen Sie sich nicht hier niederlassen? Ich würde Ihnen eine gute Frau sein.“ Und dann war ich dran. Und sie wartete. Ich störe mich nicht daran, zu gestehen, daß ich zutiefst in Versuchung geführt wurde. Ich war da schon halb in sie verliebt. Ihr wißt, daß ich nie geheiratet habe. Und es macht mir nichts aus, wenn ich auf mein Leben zurückschaue, hinzuzufügen, daß sie die einzige Frau ist, die mich in dieser Hinsicht jemals berührte. Aber die ganze Sache war zu absurd, und ich log wie ein Gentleman. Ich erzählte ihr, ich wäre bereits verheiratet. „Wartet Ihre Frau auf Sie?“ fragte sie. Ich sagte ja. „Und sie liebt Sie?“ Ich sagte ja. Und das war alles. Sie beharrte nie darauf ... mit einer Ausnahme, und da zeigte sie dann ein bißchen Leidenschaft. „Alles was ich zu tun hätte“, sagte sie, „wäre, ein Wort zu sagen, und schon würden Sie nicht von hier wegkommen. Wenn ich das Wort gebe, bleiben Sie weiterhin ... Aber ich werde es nicht geben. Ich würde Sie nicht wollen, wenn Sie es nicht wollen ... und, wenn Sie mich nicht mögen.“ Sie ging voran, rüstete mich aus und begleitete mich anfangs auf meinem Weg. „Es ist eine verflixte Schande, Fremder“ sagte sie beim Abschied nehmen „Ihr Aussehen gefällt mir, und ich mag Sie. Wenn Sie jemals Ihre Meinung ändern, kommen Sie zurück.“ Jetzt gab es eine Sache, die ich tun wollte, nämlich sie zum Abschied zu küssen, aber ich wußte nicht, wie ich es angehen sollte, noch wie sie es auffassen würde. - Ich sage euch, ich war halbwegs in sie verliebt. Aber sie erledigte es selbst. „Küssen Sie mich“, sagte sie. „Nur als etwas, um weiterzumachen und sich zu erinnern.“ Und wir küßten uns dort im Schnee in diesem Tal der Rocky Mountains, und ich ließ sie am Weg stehen und fuhr hinter meinen Hunden weiter. Ich brauchte sechs Wochen um den Paß zu überqueren und zur ersten Station am Great Slave Lake hinunter zu gelangen.« Der Lärm von den Straßen drang zu uns wie eine entfernte Brandung. Ein sich geräuschlos bewegender Steward brachte frische Siphons. Und in der Stille klang Trefethans Stimme wie eine Totenglocke: »Es wäre besser gewesen, wenn ich geblieben wäre. Seht mich an.« Wir sahen seinen ergrauten Schnurrbart, die kahle Stelle auf seinem Kopf, die Säcke unter seinen Augen, die herabhängenden Wangen, das wuchtige Doppelkinn, die allgemeine Müdigkeit, Schalheit und Fettheit, all den Zusammenbruch und Untergang eines Mannes, der einstmals stark gewesen war, aber der zu leicht und zu gut gelebt hatte. »Es ist noch nicht zu spät, Alter«, sagte Bardwell fast flüsternd. »Bei Gott! Ich wünschte, daß ich kein Feigling wäre!« war Trefethans antwortender Schrei. »Ich könnte zu ihr zurückgehen. Sie ist jetzt dort. Ich könnte wieder in Form kommen und noch so manches lange Jahr leben ... mit ihr ... dort oben. Hier zu bleiben, bedeutet Selbstmord zu begehen. Aber ich bin ein alter Mann ... siebenundvierzig ... seht mich an. Der Ärger ist«, er hob sein Glas hoch und sah es kurz an, »der Ärger ist, daß Selbstmord von dieser Art so leicht ist. Ich bin verweichlicht und empfindlich. Der Gedanke an lange Tagesreisen mit den Hunden entsetzt mich; der Gedanke an den scharfen Frost am Morgen und an die gefrorenen Schlittenstränge macht mir Angst ...« Automatisch schlich das Glas in Richtung seiner Lippen. Mit einer prompten Woge des Ärgers tat er, als ob er es auf dem Boden zerschmettern wollte. Dann folgten Unschlüssigkeit und sekundenlanges Nachdenken. Das Glas bewegte sich aufwärts zu nach seinen Lippen und pausierte. Er lachte hart und bitter, aber seine Wörter waren erhaben: »Nun denn, auf die Nachtgeborene. Sie war ein Wunder.« *** Anmerkung des Übersetzers : Trefethan und Lucy (bzw. Jack London) haben sich beide erheblich verrechnet. Bei 19 Dollar je Unze hatte das gesamte Gold (8 x 150 pounds = 19.200 Unzen), das Lucy fand, einen Wert von 364.800 Dollar, statt nur 250.000. ***
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