Jack London: "Wolfsblut"
Jack London war ein extremer Mensch. Er schuf in seinem kurzem Leben viele Romane, beantwortete unzählige Briefe seiner Leser selbst, schaltete sich immer wieder ein, wenn es um gesellschaftlich relevante Dinge ging. Sein Lebenslauf ist alles andere denn eingleisig. Vom Fabrikarbeiter bis zum Robbenfänger und Journalisten spannt sich der Bogen. Er gönnte sich selbst nur wenig Ruhe, war ständig in Bewegung und verfiel bald dem Alkohol. Seiner angekratzten Gesundheit zum Trotz führte er sein extravagantes Leben weiter, bis er im Alter von nur 40 Jahren starb.
Das Werk von Jack London ist umfassend. Als seine bedeutendsten Romane gelten aber wohl nicht zu unrecht "Der Seewolf", und "Wolfsblut". Die kongeniale Verfilmung von "Der Seewolf" als Mehrteiler mit Raimund Harmstorf (1940 - 1998) in der Hauptrolle wird vielen Lesern bekannt sein. Der Mythos vom ausgedrückten Erdapfel ist bis heute unvergessen.
"Wolfsblut" wurde mit dem talentierten Schauspieler Ethan Hawke nicht unspannend verfilmt. Der Roman kann auf den Leser eine zwiespältige Wirkung ausüben. Einerseits ist er sehr naturalistisch und bemüht, die Welt der Wölfe in einem idealistischen Kontext zur befremdenden Außenwelt zu sehen, welche nur durch die Diktion des Fressen und Gefressen werden bestimmt zu werden scheint. Andererseits erzählt er introspektiv die Geschichte eines Wolfes und vermenschlicht dessen Dasein, mit der Einschränkung, dass die ihn umgebenden Menschen nie mehr als Schattenrisse sind und dennoch ständig als Götter wiedergekäut werden. Diese Verschlingung lässt sich nur schwer auflösen (Naturalismus kontra Vergötterung des Menschen).
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Es duellieren sich einige Wölfe um die Gunst einer Wölfin, die als Mutter von Wolfsblut ins Bild gerückt wird. Der Vater ist zu alt, um sich dauerhaft in einer brutalen Umwelt bewähren zu können, und der kleine Welpe lernt bald, sich die Regeln der Wildnis anzueignen. Seine Mutter war schon mal bei Menschen, und diese Indianer werden nicht unbedingt allerliebst beschrieben. Besonders der Herr ("Gott") von Wolfsblut zeichnet sich durch totale Brutalität aus. Er peitscht und prügelt auf den kleinen Welpen ein, bis dieser lernt, "gefügig" zu sein und diesen Kerl als seinen "Herrn" anzuerkennen, dem er sich unterzuordnen hat. Der Hauptteil der Geschichte lässt recht lange auf sich warten. Zunächst wird Wolfsblut von einem noch brutaleren Kerl gekauft, der ihn nicht als Schlittenhund, sondern als "Geldquelle" verwendet. Der Wolf muss unzählige von Hundekämpfen überstehen, wird immer wieder von seinem "Gott" verprügelt, und das zieht sich so lange hin, bis er einen Kampf gegen eine Dogge mit seinem Leben zu bezahlen sich abfindet. Doch bevor der tödliche Biss in die Kehle erfolgen kann, rettet ein Mensch, der sich als Ingenieur entpuppt, sein Leben und kauft dem Brutalinski seinerseits den Wolf ab. Hier fängt die Geschichte erst so richtig an. Wolfsblut lernt nunmehr eine vollkommen andere Welt kennen. Der Ingenieur samt seinem Hundeführer ist bemüht, Wolfsblut zu "zähmen". Der Wolf hat ja nur Prügel von Menschen einstecken müssen, und da verwundert es ihn, dass diese Menschen offensichtlich eine andere "Taktik" anwenden, um ihn zu "brechen". Es dauert jedoch nicht allzu lang, bis Wolfsblut seinem "Herrn" blind vertraut, und die Geschichte dem bekannten Happy End zusteuert. Wolfsblut stellt einen Verbrecher, der es mit seinem Leben bezahlen muss, sich mit dem Wolf angelegt zu haben. Wolfsblut wird von Kugeln durchsiebt und schwebt in Lebensgefahr. Sein Überlebenswille ist jedoch so groß, dass er sich wieder erfängt und letztlich als stolzer Vater vieler kleiner Welpen auf einen neuen friedlichen Lebensabschnitt zusteuert.
Jack London hat mit diesem Roman ein Stück "Geschichte" geschrieben. Er hat versucht, ein Tier introspektiv zu schildern, und dabei darauf vergessen, dass die Menschen rundherum auch über schlagende Herzen verfügen. Der Wolf respektiert die Menschen als "seine Götter". Und diese "Götter" kosten ihr "göttliches" Dasein voll Wonne aus. Für Hundebesitzer mag es verrückt sein, als "Gott" ihrer Hunde zu gelten. Der domestizierte Wolf ist am Ende ein Außenseiter in einer Welt voller Hunde. Er muss sich seinen Stand in dieser "Hundewelt" mit Gewalt erkämpfen, ohne diese unterlegenen Wesen zu töten, wie er es zuvor in unzähligen "Hundekämpfen" getan hat. Ungewollt hat der Autor den Anthropozentrismus des Menschen auf die Spitze getrieben. Der Mensch als Beherrscher der ihm unterlegenen Tiere. Der Mensch als unbarmherziger, selbsternannter Gott. Wolfsblut ist so etwas wie ein verkehrter "Kaspar Hauser". Anfangs lebt er ein für einen Wolf typisches Leben. Er lebt seiner Natur gemäß. Als sich seine Mutter (übrigens trägt sie Anteile eines Hundes in sich, wie Wolfsblut auch) den Indianern unterwirft, schließt er sich ihr an, und einer brutalen Domestizierung steht nichts im Wege. Seiner Natur widersprechend lebt er ein schreckliches und düsteres Leben. Er ist ein Gefangener im Dickicht der "Götter". Erst der nette Ingenieur zeigt ihm, dass Menschen auch gute Seiten ausspielen können. Die Geschichte ist alles andere als ein Märchen. Sie verdeutlicht den Unterschied zwischen Mensch und Tier auf unverhohlene Weise. Da der Mensch als Beherrscher und König der Natur, dort der Wolf als Bestandteil der Natur und dem Menschen unterlegene Kreatur.
Wenn von der beschriebenen Zwiespältigkeit abgesehen wird, ist der Roman insgesamt doch als gelungene Lebensgeschichte samt kleiner Vorgeschichte eines Wolfes zu bezeichnen. Freilich ist das Verhältnis zwischen Wolf und Mensch gewöhnungsbedürftig. Allerdings war wohl die Intention von Jack London, gerade dieses Verhältnis zu relativieren. Der Wolf ist Teil der Natur, der Mensch andererseits beherrscht die Natur. Da ist nichts gerade zu biegen. Der Anthropozentrismus zeigt sich als unzerstörbar. Das ist leider in heutiger Zeit noch eindeutiger geworden.
(Jürgen Heimlich)
Jack
London: "Wolfsblut"
Gerstenberg Verlag, 2002.
237 Seiten.
ISBN
3-8067-4765-2.
ca. EUR 19,-. Buch bestellen
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