William Morris

1834 - 1896

 

 

... Ich nahm eine Handvoll Münzen aus der Tasche, wie man es in einem fremden Lande tut, und sah übrigens, daß das Silber oxydiert war und die Farbe eines gußeisernen Ofens angenommen hatte.

Er schien immer noch verwundert, aber keineswegs beleidigt und schaute mit gewisser Neugier auf die Münzen. Ich dachte: Er ist also doch ein Fährmann und überlegt, was er wohl verlangen kann. Er scheint ein so netter Kerl zu sein, daß ich ihm eine kleine Überbezahlung bestimmt nicht mißgönne. Ob ich ihn wohl für ein, zwei Tage als Führer dingen könnte? Weil er so gescheit ist.

Da sagte mein neuer Freund nachdenklich.: "Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Sie denken, ich habe Ihnen einen Dienst erwiesen, und fühlen sich daher verpflichtet, mir etwas zu geben, was ich nicht einem Nachbarn geben soll, es sei denn, er hat etwas ganz Besonderes für mich getan. Ich habe von solchen Dingen gehört; doch verzeihen Sie mir, wenn ich sage, daß uns dieser Brauch störend und umständlich erscheint, auch kennen wir uns damit nicht aus. Wissen Sie, es ist meine Arbeit, Leute überzusetzen und sie auf dem Wasser hierhin und dorthin zu rudern, und ich würde das für jedermann machen. Dafür Geschenke anzunehmen würde also sehr seltsam aussehen. Außerdem, wenn einer mir etwas gäbe, dann könnte es ein anderer ebenfalls und noch einer und so weiter. Und ich hoffe, Sie halten mich nicht für unverschämt, wenn ich sage, daß ich nicht wüßte, wohin mit so vielen Freundschaftserinnerungen."

Und er lachte laut und herzlich, als wäre der Gedanke, für seine Arbeit bezahlt zu werden, ein sehr ulkiger Scherz.
...
"Die Waren, die wir anfertigen, werden angefertigt, weil man sie braucht. Die Menschen sind zum Nutzen der Nachbarn tätig, als wäre es für sie selbst, und nicht für einen unbestimmten Markt, von dem sie nichts wissen und über den sie keine Kontrolle haben. Da es Kauf und Verkauf nicht gibt, wäre es reiner Wahnsinn, Dinge herzustellen, an denen nur eventuell ein Bedarf besteht, denn es gibt niemanden mehr, den man zwingen könnte, sie zu kaufen. So daß alles, was angefertigt wird, gut und vollkommen zweckentsprechend ist. Es kann nichts hergestellt werden, was nicht wirklich für den Gebrauch bestimmt wäre, und daher werden keine minderwertigen Waren mehr produziert. Außerdem haben wir jetzt, wie bereits gesagt, herausgefunden, was wir möchten, und folglich stellen wir nicht mehr her, als wir möchten. Und da wir nicht genötigt sind, ungeheure Mengen nutzloser Dinge zu produzieren, haben wir genügend Zeit und Kraft, über unsere Freude bei ihrer Herstellung nachzudenken. Alle Arbeiten, die lästig wären, verrichtete man sie mit der Hand, werden durch enorm verbesserte Maschinen ausgeführt, und alle Arbeiten, die man gern mit der Hand verrichtet, machen wir ohne Maschinen. Es ist nicht schwierig, für jeden eine Arbeit zu finden, die seiner besonderen Veranlagung entspricht, so daß niemand den Bedürfnissen eines anderen geopfert wird. Von Zeit zu Zeit, wenn uns bewußt geworden ist, daß irgendeine Arbeit zu widerwärtig oder mühevoll war, haben wir sie nicht länger ausgeführt und sind durchaus auch ohne den dadurch produzierten Gegenstand ausgekommen. Jetzt verstehen Sie sicher, daß unter diesen Umständen jede Arbeit, die wir tun, eine Übung für Körper und Geist ist, die mehr oder weniger angenehm sein kann, so daß jeder nach Arbeit sucht, anstatt ihr aus dem Wege zu gehen. Und da die Menschen von Generation zu Generation immer mehr Geschick bei der Arbeit entwickelten, ist sie so leicht geworden, daß es den Anschein hat, als würde weniger getan, obwohl wahrscheinlich mehr hergestellt wird. Ich denke, daraus läßt sich die Furcht vor einem möglichen Mangel an Arbeit erklären, auf die ich gerade hinwies und die Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist; und diese Furcht wird stärker, und zwar bereits seit vielen Jahren."

"Aber glauben Sie denn", fragte ich, "daß bei Ihnen ein Knappwerden der Arbeit zu befürchten ist?"

"Nein", erwiderte er, "und ich will Ihnen sagen, warum: es ist jedermanns Aufgabe, seine eigene Arbeit immer angenehmer zu gestalten, was natürlich zur ständigen Erhöhung des Maßstabs für Qualität führt — denn niemand hat Freude daran, etwas zu produzieren, was ihm nicht zur Ehre gereicht — und auch zu mehr Nachdenken bei der Produktion. Und es gibt eine so ungeheure Anzahl von Dingen, die man als Kunstwerke betrachten kann, daß allein dies einer Unmenge von geschickten Leuten Beschäftigung verschafft. Außerdem, wenn Kunst unerschöpflich ist, so ist es die Wissenschaft auch; und obwohl sie nicht mehr als die einzig unschuldige Beschäftigung gilt, die es wert ist, daß ein intelligenter Mensch seine Zeit damit verbringt, wie es einst war, gibt es doch noch viele und wird es meines Erachtens auch noch viele Menschen geben, für die das Überwinden ihrer Schwierigkeiten einen Reiz darstellt und die sich dafür mehr interessieren als für irgend etwas anderes. Ich glaube ferner, wir werden, da die Arbeit immer mehr Freude bereitet, Tätigkeiten wiederaufnehmen, bei denen begehrte Waren produziert werden; Tätigkeiten, die wir aufgegeben haben, weil wir sie nicht auf angenehme Weise ausführen konnten..."
...
Ich betrachtete alles und war tatsächlich erstaunt über die Geschicklichkeit und die Fülle von Schönem an der Arbeit von Menschen, die es schließlich gelernt hatten, das Leben selbst als ein Vergnügen zu begreifen und die Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse der Menschheit und die dazu notwendige Tätigkeit als eine Arbeit zu sehen, die es wert ist, auch von den Besten des Geschlechts verrichtet zu werden. Ich sann schweigend nach, doch schließlich sagte ich:
"Was soll hiernach kommen?"
Der alte Mann lachte. "Das weiß ich nicht", sagte er. "Wir werden´s schon bewältigen, wenn´s kommt."
...

aus: Kunde von Nirgendwo oder Ein Zeitalter der Ruhe (1891)

 

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