http://buug.de/pipermail/rohrpost/2005-July/008337.html [rohrpost] Just do it! - Die kuratorische Rhetorik vom Widerstand

[rohrpost] Just do it! - Die kuratorische Rhetorik vom Widerstand

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Jul 6 18:57:44 CEST 2005


Just Do It!
Culture Jamming: Die kuratorische Rhetorik vom Widerstand


Ich wuchs als kleiner Waldvogel mit meiner kleinen Stange und meinem
kleinen Edlinger in den 1980er Jahren auf und brach die Schule
ab. Das kompensierte ich später dadurch, dass ich mit so pompösen wie
nichtssagenden Begriffen wie "visuelle Grammatik des Widerstands",
"Semiotic Sniping" und "Subversionsstrategien im Reich der Zeichen"
hausieren ging. Auf der Suche nach einer politischen und kulturellen
Identität, die mir weder die erfolgssüchtigen Eltern meiner Kumpel noch
meine Mutter boten, glaubte ich, meine kleinbürgerliche Vergangenheit
hinter mir gelassen zu haben. Im Herzen aber bin ich ein kleiner
Spießer geblieben, der jetzt auf dem Kunstmarkt Karriere zu machen
versucht. Wer damals in den 80ern ein Hipster sein wollte, trug
Marc'o Polo-Sweat-Shirts, Fruit of the Loom-T-Shirts, Boss-Hosen,
Burlington-Socken und Timberland-Treter. Heute bin ich ein Hipster,
weil ich T-Shirts mit subversiv verfremdeten Markenlogos trage, wie sie
seit fünfzehn Jahren auf jeder Deppen-Techno-Party verkauft werden.
Ich stelle diese Logos sogar in Museen aus und bin so hip, dass ich
meine Kataloge im Totenkopf-Format drucken lasse.

Das minimalistisch-oberflächliche Design der 80er-Baumwollpullis und
das hysterisch-karierte Design der Kunststoffsocken unterstrichen die
aufgestaute Aggression der Mama-Papa-Generation, die sich in Straßencafés
und auf öffentlichen Plätzen niederließ. Der öffentliche Raum war ein
Schaufenster, das den Blick in die verlogene Privatsphäre zuließ. Was
aus meiner Generation wurde, wissen wir: ein auf Logos und Symbole
reduziertes Abziehbild für Klamotten, Meinungen und Haltungen.

Heute rede ich oft und gerne über den öffentlichen Raum und nenne ihn
"Lebensraum zur Rückeroberung der Subjektivität", weil ich Zeichen- und
Subversionsexperte nicht einmal merke, wenn ich Nazi-Vokabular im Mund
führe. Was die Situationisten ebenso wie die Punks als sozio-politisches
Aktionsfeld verstanden, entwickele ich im Millennium zu Museumsshops
und Coffeetable-Büchern für jedes Bedürfnis.

Wie die zum Biedermeier herabgesunkene deutsche Romantik des 19.
Jahrhunderts beklage ich, dass die Warenwelt Naturzustand und was
wir gemeinhin unter Natur verstehen - grüne Bäume, saubere Flüsse
oder Baggerseen - zu einem industriellen Erzeugnis geworden ist.
Unsere visuelle Kultur ist bis ins kleinste Detail und bis in die letzte
Ecke Privatleben kolonialisiert, von Kommerz und falschen Versprechen
durchdrungen, vollgespamt mit Infotainment, Botschaften, Slogans und
Symbolen, die kein Sterblicher zu einem Gesamtbild mehr zusammenfügen
kann. Damit aber wirklich auch die letzte Ecke Privatleben erreicht
wird, schaffe ich Infotainment für konformistische Nonkomfomisten, spamme
Katalogbücher wahllos aus recycelten Texten zusammen und bin so subversiv,
sie sogar noch für 22 Euro zu verkaufen. Ich kreiere Warenwelten, deren
Marken Prada Meinhof, Situationistische Internationale und Fabasoft
[r] heißen. Denn wie ich weiß, hat sich der Kapitalismus zu einem
System entwickelt, das die Produktion von Zeichen und Bedeutungen
extrem beschleunigt. Mit Zeichen sind Bedeutungsträger gemeint,
die kulturell-ökonomischen Wert annehmen können, zum Beispiel für
Kuratorenkarrieren.

In meinen Texten behaupte ich keck, dass nicht mehr die materiellen
Produktionsverhältnisse, die bei Karl Marx im Mittelpunkt der ökonomischen
Kritik standen, das primäre Medium politisch-ökonomischer Hegemonie
darstellen. So muß ich nämlich die Autoren, deren Arbeit ich für
meinen Katalog ungefragt nutze und ausbeute, weder im Text nennen,
noch bezahlen, und kann das Buch trotzdem kommerziell vertreiben lassen
und mich vom Lentos Kunstmuseum Linz für meine Arbeit bezahlen lassen.
Ist die Miete gesichert und das Konto wieder aus den Miesen, läßt es
sich bequem davon schwafeln, dass hinter einer exorbitanten Produktion
von Zeichen und Bedeutungen die Unterscheidung zwischen politischen,
ökonomischen und kulturellen Sphären verschwindet. Meine Arbeit zeigt,
wie der Kapitalismus Signifikationspraktiken perpetuiert, mit dem Effekt,
dass die Produktion von Zeichen und ihre Besetzung mit Bedeutungen zu
einer zentralen Wertschöpfungspraktik des Millenniums geworden ist.
Diese Wertschöpfungspraktik funktioniert deshalb so gut, weil die Leute,
die ich ausbeute, mir aus Sorge, als Urheberrechts-Fetischisten und
reaktionäre Spielverderber dazustehen, keinen Widerstand entgegen setzen
werden. So drehe ich Methoden, die einmal von Künstlern und Aktivisten
gegen Institutionen eingesetzt wurden, geschickt um. Indem ich behaupte,
meine institutionelle Arbeit sei selbst subversive Kunst, gilt für mich
keine Anstandsregel mehr, und ich kann die Vorteile beider Systeme
subversiv kombinieren: Ich spare mir alle Kopf- und Schreibarbeit,
streiche für meine Subversionen das staatliche Honorar ein und mache
trotzdem Karriere.

Unsere Erfahrungswirklichkeit besteht in zunehmendem Maße aus Zeichen, die
in Folge der kapitalistischen Logik mit Bedeutungen und Werten versehen
werden. Nichts zeigt das besser als meine Arbeit. Zum Beispiel dann,
wenn ich mein banales postmodernes Copy-Paste-Recycling als culture
jamming verkaufe und den zusammengestoppelten Text auch noch mit
"Lentos-Kunstmuseum Linz" und den Namen von drei Kuratoren signiere.
Der in einer kapitalistischen Produktionslogik geschaffene "hyperreale"
Zeichenkosmos steht nicht mehr kausal mit der konkreten Realität in
Verbindung, behaupte ich. Vielleicht will ich damit nur sagen, dass ich
einen intellektuellen Realitätsverlust erlitten habe und meine
Simulation einer künstlerischen Strategie des zivilen Ungehorsams selbst
glaube. Der Verlust der "irdischen" Referenz der Zeichen ist ein
zentraler Punkt in der Kritik des Kapitalismus als Zeichenmaschine und
des Wandels der Herrschaftsausübung über das Symbolische. Deswegen
braucht man zwar keine Referenzen zu irdischen Textquellen und
Autorennamen mehr. Damit aber für das eigene irdische Wohl gesorgt ist,
braucht man immer noch die Namen der Kuratoren und ausgestellten
Künstler. Sonst wäre man ja nicht im Kunstbetrieb. So, wie in jedem
Supermarkt Coca Cola-Flaschen und Gillette-Rasierer stehen, gibt es in
jedem Museum für zeitgenössische Kunst die obligatorischen Mario
Merz-Iglus und Beuys-Fettecken und jeder Subversionskunst-Ausstellung
die Situationistische Internationale und die Adbusters als Logos und
Markenzeichen. Und die Dialektik der Abschaffung des Künstlergenies,
nämlich seine Ersetzung durch die Figur des Kurators, treibe ich mit
meinem Katalogbuch zum ultimativen Höhepunkt.

In Aufsätzen, die ich nebenbei für "Rebel Art" schreibe, profiliere
ich mich als Theoretiker, indem ich postmoderne Gemeinplätze recycle.
Damit sich meine Leser nicht die alten Merve-Bändchen kaufen müssen,
singe ich ihnen das Mantra von der zunehmenden Zeichenhaftigkeit,
Immaterialität und Virtualität der Waren im fortgeschrittenen
Kapitalismus singe, von der Emanzipation der Zeichen gegenüber dem
Realen, von Zeichen, die nicht mehr repräsentieren und sich im Zeitalter
der Simulation sich Wert und Sinn außerhalb der konkret erfahrbaren
Realität in einer "Hyperrealität" bewegen und ein Reich der Zeichen
bilden, das nicht mehr denselben Gesetzmäßigkeiten folgt wie jenen der
Dinge, die sie einmal bezeichneten.

Die einzige Möglichkeit autonomer Sinnerzeugung innerhalb der
gesellschaftlichen Produktionsmaschine von Zeichen ist die Produktion
eigener Zeichen, folgere ich daraus. Deswegen mußte auch mein Name
auf das ansonsten anonymisierte Katalogbuch. Wenn die künstlerischen
Strategie der Subversions-Künstler darin besteht, den Konflikt als Form
gesellschaftlicher Auseinandersetzung wieder zu legitimieren, hätte
ich als Baudrillard-Leser eigentlich wissen müssen, dass man Kritik
am besten vorbeugt und sie als illegitim entwertet, indem man in der
Form einer Gabe antwortet, welche die Kritiker zufrieden stellt. Aber
es vertrug sich nun einmal nicht mit meinem kleinbürgerlichen Ego, den
Katalog vollständig zu anonymisieren, zum freien Herunterladen ins Netz
zu stellen und auf meine Kuratoren-Credits zu verzichten.

Die zeitgenössische Kunst ist vollgepflastert mit den Appellen und
Setzungen meiner Zunft. Indem wir glauben, mit der Autorität von Kritikern
und Theoretikern aufzutreten, uns aber nicht an deren handwerkliche
Standards halten zu müssen und uns wie Künstler über alle guten Sitten
hinwegsetzen zu können, wollen wir es unmöglich machen, dass man uns
öffentlich kritisiert. Deshalb mehren sich die Stimmen, die meinen,
dass das System zeitgenössischer Kunst in Akademismen und second
hand-Theorie erstarrt ist.

Die Gemeinsamkeit aller sozialen Bewegungen liegt im Kampf gegen
Autoritäten, in der Bereitschaft, Risiken einzugehen und in der
Hingabe, Momente der Wahrheit freizusetzen. Zumindest habe ich auch
unschmeichelhafte Wahrheiten über mich selbst freigesetzt. Die
Notwendigkeit, die geltenden Normen und Gesetze in Theorie und Praxis zu
durchbrechen, hatten bereits die Situationisten formuliert. Mit
Institutionen im Rücken kann ich das sogar noch besser. Die
Situationistische Internationale hatte sich 1957 als Zusammenschluss
radikaler Künstler- und Intellektuellenzirkel gegründet. So ein
radikaler Künstlerintellektueller wäre ich auch gern. Der Begriff des
Spektakels ist zentral für ihre Gesellschaftsanalyse. Ich mache sogar
Ausstellungen und Bücher als Spektakel. Er orientiert sich an der
Analyse des Warenfetischismus von Marx, der gesellschaftliche
Beziehungen als Beziehungen zwischen Dingen fasst, was in der
"Gesellschaft des Spektakels" (Guy Debord) noch verstärkt wird durch
einen massenmedialen Totalitarismus. Meinen radikal-schicken
Warenfetischismus kriege ich sogar ohne massenmedialen Totalitarismus
hin. Die Bilder vom eigentlichen Leben ersetzen das eigentliche Leben.
Und die Texte, die ich aus dem Internet zusammenstoppele, ersetzen die
ursprünglichen Texte, und mein Name ersetzt die eigentlichen
Autorennamen, weil man es ja jetzt eine waren- und totenkopfförmige
Standardreferenz zum Thema gibt. Mein Spektakel hält die Leser in einer
unmündigen Massentrance, weil man sie ja mit Quellenangaben als
Anregungen zum eigenen Weiterlesen nicht behelligt, und ist ein
Mechanismus der Diskurs-Kontrolle, der diesen als freie Wahl erscheint.

Die Situationisten entwickelten eine Methode der permanenten Entfremdung
von gesellschaftlichen Konventionen. Was ich, wie man sieht, noch viel
besser kann. Die Situationisten suchten nach Rissen innerhalb der
Gesellschaft, die sie mit Satire, Bluffs, Provokationen und Gewalt
vergrößern wollten. Satire und Provokationen sind zwar nicht so mein
Ding, bluffen kann ich aber ganz gut und Gewalt übe ich lieber diskursiv
aus. Manchmal packt mich der Kasernenhofton, und ich schwadroniere vom
situationistischen "Vollstreckungsbefehl an die Wirklichkeit". Doch was
ich eigentlich sagen will, ist: Stangen aller Edlinger, waldvögelt Euch
ins Knie!