http://buug.de/pipermail/rohrpost/2005-July/008337.html
Just Do It! Culture Jamming: Die kuratorische Rhetorik vom Widerstand Ich wuchs als kleiner Waldvogel mit meiner kleinen Stange und meinem kleinen Edlinger in den 1980er Jahren auf und brach die Schule ab. Das kompensierte ich später dadurch, dass ich mit so pompösen wie nichtssagenden Begriffen wie "visuelle Grammatik des Widerstands", "Semiotic Sniping" und "Subversionsstrategien im Reich der Zeichen" hausieren ging. Auf der Suche nach einer politischen und kulturellen Identität, die mir weder die erfolgssüchtigen Eltern meiner Kumpel noch meine Mutter boten, glaubte ich, meine kleinbürgerliche Vergangenheit hinter mir gelassen zu haben. Im Herzen aber bin ich ein kleiner Spießer geblieben, der jetzt auf dem Kunstmarkt Karriere zu machen versucht. Wer damals in den 80ern ein Hipster sein wollte, trug Marc'o Polo-Sweat-Shirts, Fruit of the Loom-T-Shirts, Boss-Hosen, Burlington-Socken und Timberland-Treter. Heute bin ich ein Hipster, weil ich T-Shirts mit subversiv verfremdeten Markenlogos trage, wie sie seit fünfzehn Jahren auf jeder Deppen-Techno-Party verkauft werden. Ich stelle diese Logos sogar in Museen aus und bin so hip, dass ich meine Kataloge im Totenkopf-Format drucken lasse. Das minimalistisch-oberflächliche Design der 80er-Baumwollpullis und das hysterisch-karierte Design der Kunststoffsocken unterstrichen die aufgestaute Aggression der Mama-Papa-Generation, die sich in Straßencafés und auf öffentlichen Plätzen niederließ. Der öffentliche Raum war ein Schaufenster, das den Blick in die verlogene Privatsphäre zuließ. Was aus meiner Generation wurde, wissen wir: ein auf Logos und Symbole reduziertes Abziehbild für Klamotten, Meinungen und Haltungen. Heute rede ich oft und gerne über den öffentlichen Raum und nenne ihn "Lebensraum zur Rückeroberung der Subjektivität", weil ich Zeichen- und Subversionsexperte nicht einmal merke, wenn ich Nazi-Vokabular im Mund führe. Was die Situationisten ebenso wie die Punks als sozio-politisches Aktionsfeld verstanden, entwickele ich im Millennium zu Museumsshops und Coffeetable-Büchern für jedes Bedürfnis. Wie die zum Biedermeier herabgesunkene deutsche Romantik des 19. Jahrhunderts beklage ich, dass die Warenwelt Naturzustand und was wir gemeinhin unter Natur verstehen - grüne Bäume, saubere Flüsse oder Baggerseen - zu einem industriellen Erzeugnis geworden ist. Unsere visuelle Kultur ist bis ins kleinste Detail und bis in die letzte Ecke Privatleben kolonialisiert, von Kommerz und falschen Versprechen durchdrungen, vollgespamt mit Infotainment, Botschaften, Slogans und Symbolen, die kein Sterblicher zu einem Gesamtbild mehr zusammenfügen kann. Damit aber wirklich auch die letzte Ecke Privatleben erreicht wird, schaffe ich Infotainment für konformistische Nonkomfomisten, spamme Katalogbücher wahllos aus recycelten Texten zusammen und bin so subversiv, sie sogar noch für 22 Euro zu verkaufen. Ich kreiere Warenwelten, deren Marken Prada Meinhof, Situationistische Internationale und Fabasoft [r] heißen. Denn wie ich weiß, hat sich der Kapitalismus zu einem System entwickelt, das die Produktion von Zeichen und Bedeutungen extrem beschleunigt. Mit Zeichen sind Bedeutungsträger gemeint, die kulturell-ökonomischen Wert annehmen können, zum Beispiel für Kuratorenkarrieren. In meinen Texten behaupte ich keck, dass nicht mehr die materiellen Produktionsverhältnisse, die bei Karl Marx im Mittelpunkt der ökonomischen Kritik standen, das primäre Medium politisch-ökonomischer Hegemonie darstellen. So muß ich nämlich die Autoren, deren Arbeit ich für meinen Katalog ungefragt nutze und ausbeute, weder im Text nennen, noch bezahlen, und kann das Buch trotzdem kommerziell vertreiben lassen und mich vom Lentos Kunstmuseum Linz für meine Arbeit bezahlen lassen. Ist die Miete gesichert und das Konto wieder aus den Miesen, läßt es sich bequem davon schwafeln, dass hinter einer exorbitanten Produktion von Zeichen und Bedeutungen die Unterscheidung zwischen politischen, ökonomischen und kulturellen Sphären verschwindet. Meine Arbeit zeigt, wie der Kapitalismus Signifikationspraktiken perpetuiert, mit dem Effekt, dass die Produktion von Zeichen und ihre Besetzung mit Bedeutungen zu einer zentralen Wertschöpfungspraktik des Millenniums geworden ist. Diese Wertschöpfungspraktik funktioniert deshalb so gut, weil die Leute, die ich ausbeute, mir aus Sorge, als Urheberrechts-Fetischisten und reaktionäre Spielverderber dazustehen, keinen Widerstand entgegen setzen werden. So drehe ich Methoden, die einmal von Künstlern und Aktivisten gegen Institutionen eingesetzt wurden, geschickt um. Indem ich behaupte, meine institutionelle Arbeit sei selbst subversive Kunst, gilt für mich keine Anstandsregel mehr, und ich kann die Vorteile beider Systeme subversiv kombinieren: Ich spare mir alle Kopf- und Schreibarbeit, streiche für meine Subversionen das staatliche Honorar ein und mache trotzdem Karriere. Unsere Erfahrungswirklichkeit besteht in zunehmendem Maße aus Zeichen, die in Folge der kapitalistischen Logik mit Bedeutungen und Werten versehen werden. Nichts zeigt das besser als meine Arbeit. Zum Beispiel dann, wenn ich mein banales postmodernes Copy-Paste-Recycling als culture jamming verkaufe und den zusammengestoppelten Text auch noch mit "Lentos-Kunstmuseum Linz" und den Namen von drei Kuratoren signiere. Der in einer kapitalistischen Produktionslogik geschaffene "hyperreale" Zeichenkosmos steht nicht mehr kausal mit der konkreten Realität in Verbindung, behaupte ich. Vielleicht will ich damit nur sagen, dass ich einen intellektuellen Realitätsverlust erlitten habe und meine Simulation einer künstlerischen Strategie des zivilen Ungehorsams selbst glaube. Der Verlust der "irdischen" Referenz der Zeichen ist ein zentraler Punkt in der Kritik des Kapitalismus als Zeichenmaschine und des Wandels der Herrschaftsausübung über das Symbolische. Deswegen braucht man zwar keine Referenzen zu irdischen Textquellen und Autorennamen mehr. Damit aber für das eigene irdische Wohl gesorgt ist, braucht man immer noch die Namen der Kuratoren und ausgestellten Künstler. Sonst wäre man ja nicht im Kunstbetrieb. So, wie in jedem Supermarkt Coca Cola-Flaschen und Gillette-Rasierer stehen, gibt es in jedem Museum für zeitgenössische Kunst die obligatorischen Mario Merz-Iglus und Beuys-Fettecken und jeder Subversionskunst-Ausstellung die Situationistische Internationale und die Adbusters als Logos und Markenzeichen. Und die Dialektik der Abschaffung des Künstlergenies, nämlich seine Ersetzung durch die Figur des Kurators, treibe ich mit meinem Katalogbuch zum ultimativen Höhepunkt. In Aufsätzen, die ich nebenbei für "Rebel Art" schreibe, profiliere ich mich als Theoretiker, indem ich postmoderne Gemeinplätze recycle. Damit sich meine Leser nicht die alten Merve-Bändchen kaufen müssen, singe ich ihnen das Mantra von der zunehmenden Zeichenhaftigkeit, Immaterialität und Virtualität der Waren im fortgeschrittenen Kapitalismus singe, von der Emanzipation der Zeichen gegenüber dem Realen, von Zeichen, die nicht mehr repräsentieren und sich im Zeitalter der Simulation sich Wert und Sinn außerhalb der konkret erfahrbaren Realität in einer "Hyperrealität" bewegen und ein Reich der Zeichen bilden, das nicht mehr denselben Gesetzmäßigkeiten folgt wie jenen der Dinge, die sie einmal bezeichneten. Die einzige Möglichkeit autonomer Sinnerzeugung innerhalb der gesellschaftlichen Produktionsmaschine von Zeichen ist die Produktion eigener Zeichen, folgere ich daraus. Deswegen mußte auch mein Name auf das ansonsten anonymisierte Katalogbuch. Wenn die künstlerischen Strategie der Subversions-Künstler darin besteht, den Konflikt als Form gesellschaftlicher Auseinandersetzung wieder zu legitimieren, hätte ich als Baudrillard-Leser eigentlich wissen müssen, dass man Kritik am besten vorbeugt und sie als illegitim entwertet, indem man in der Form einer Gabe antwortet, welche die Kritiker zufrieden stellt. Aber es vertrug sich nun einmal nicht mit meinem kleinbürgerlichen Ego, den Katalog vollständig zu anonymisieren, zum freien Herunterladen ins Netz zu stellen und auf meine Kuratoren-Credits zu verzichten. Die zeitgenössische Kunst ist vollgepflastert mit den Appellen und Setzungen meiner Zunft. Indem wir glauben, mit der Autorität von Kritikern und Theoretikern aufzutreten, uns aber nicht an deren handwerkliche Standards halten zu müssen und uns wie Künstler über alle guten Sitten hinwegsetzen zu können, wollen wir es unmöglich machen, dass man uns öffentlich kritisiert. Deshalb mehren sich die Stimmen, die meinen, dass das System zeitgenössischer Kunst in Akademismen und second hand-Theorie erstarrt ist. Die Gemeinsamkeit aller sozialen Bewegungen liegt im Kampf gegen Autoritäten, in der Bereitschaft, Risiken einzugehen und in der Hingabe, Momente der Wahrheit freizusetzen. Zumindest habe ich auch unschmeichelhafte Wahrheiten über mich selbst freigesetzt. Die Notwendigkeit, die geltenden Normen und Gesetze in Theorie und Praxis zu durchbrechen, hatten bereits die Situationisten formuliert. Mit Institutionen im Rücken kann ich das sogar noch besser. Die Situationistische Internationale hatte sich 1957 als Zusammenschluss radikaler Künstler- und Intellektuellenzirkel gegründet. So ein radikaler Künstlerintellektueller wäre ich auch gern. Der Begriff des Spektakels ist zentral für ihre Gesellschaftsanalyse. Ich mache sogar Ausstellungen und Bücher als Spektakel. Er orientiert sich an der Analyse des Warenfetischismus von Marx, der gesellschaftliche Beziehungen als Beziehungen zwischen Dingen fasst, was in der "Gesellschaft des Spektakels" (Guy Debord) noch verstärkt wird durch einen massenmedialen Totalitarismus. Meinen radikal-schicken Warenfetischismus kriege ich sogar ohne massenmedialen Totalitarismus hin. Die Bilder vom eigentlichen Leben ersetzen das eigentliche Leben. Und die Texte, die ich aus dem Internet zusammenstoppele, ersetzen die ursprünglichen Texte, und mein Name ersetzt die eigentlichen Autorennamen, weil man es ja jetzt eine waren- und totenkopfförmige Standardreferenz zum Thema gibt. Mein Spektakel hält die Leser in einer unmündigen Massentrance, weil man sie ja mit Quellenangaben als Anregungen zum eigenen Weiterlesen nicht behelligt, und ist ein Mechanismus der Diskurs-Kontrolle, der diesen als freie Wahl erscheint. Die Situationisten entwickelten eine Methode der permanenten Entfremdung von gesellschaftlichen Konventionen. Was ich, wie man sieht, noch viel besser kann. Die Situationisten suchten nach Rissen innerhalb der Gesellschaft, die sie mit Satire, Bluffs, Provokationen und Gewalt vergrößern wollten. Satire und Provokationen sind zwar nicht so mein Ding, bluffen kann ich aber ganz gut und Gewalt übe ich lieber diskursiv aus. Manchmal packt mich der Kasernenhofton, und ich schwadroniere vom situationistischen "Vollstreckungsbefehl an die Wirklichkeit". Doch was ich eigentlich sagen will, ist: Stangen aller Edlinger, waldvögelt Euch ins Knie!