Wildcat-Zirkular Nr. 28/29 - Oktober 1996 - S. 21-48 [z28holl1.htm]


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Der Abgrund tut sich auf:

Aufstieg und Niedergang des Keynesianismus

John Holloway (in: Bonefeld / John (Hrsg.): Global Capital, National State and the Politics of Money, 1995, Kapitel 2)

I

Keynes lümmelt gemütlich, zufrieden und freundlich in einem Sessel, neben sich einen Stapel Bücher und hinter sich eine Schautafel, die den dramatischen Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Zeitraum 1930-1960 dokumentiert: dieses Titelbild eines weitverbreiteten Buchs transportiert das populäre Bild des Keynesianismus sehr anschaulich. Während eines Großteils der Nachkriegsperiode präsentierte sich der Keynesianismus einfach als ein nützlicher, rationeller und wissenschaftlicher Fortschritt im Management der Ökonomie, als eine theoretische Entwicklung, die die Grundlagen zur Überwindung des kapitalistischen Krisenproblems und für die Schaffung einer gerechten kapitalistischen Gesellschaft lieferte. Auch wenn der Keynesianismus in den letzten Jahren breit kritisiert wurde, dieses Bild veränderte sich kaum, der Keynesianismus mag womöglich in die Irre geleitet worden sein, aber er galt weiterhin als eine ohne Zweifel gut gemeinte theoretische Entwicklung. Inmitten solcher Bilder ist es manchmal schwer, sich daran zu erinnern, daß die Einführung der keynesianistischen Politik der Höhepunkt eines langanhaltenden, grausamen, blutigen und gewaltsamen Konflikts war, wie es ihn so in der Weltgeschichte noch nicht gegeben hatte.

Keynes war natürlich Wirtschaftswissenschaftler. Der Begriff »Keynesianismus« bezieht sich im strengen Sinne auf die von ihm vorgelegten ökonomischen Theorien und die mit seinem Namen verbundene Wirtschaftspolitik, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg überall auf der Welt an Einfluß gewann. Diese Politik und Theorien sollten jedoch niemals isoliert betrachtet werden: Ihre Einführung gestaltete einen wichtigen Teil des neuen Modells der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit. Vor allem in diesem breiten Sinne soll der Begriff hier benutzt werden.

Das zentrale Merkmal des Keynesianismus war die Anerkennung der organisierten Macht der Arbeiterklasse. Der Keynesianismus machte in einer institutionalisierten Form die Abhängigkeit des Kapitals von den ArbeiterInnen deutlich, die Stärke der Präsenz der ArbeiterInnen im und gegen das Kapital.

In diesem Kapitel will ich den Aufstieg und Niedergang des Keynesianismus als einer Herrschaftsform zur Einbindung der Macht der ArbeiterInnen untersuchen.

Die Macht der Arbeiterklasse, auf die der Keynesianismus reagierte, zeigte sich im Roten Oktober von 1917 am dramatischsten. Die Russische Revolution war kein isoliertes Ereignis, sondern der Kamm einer Welle: Die Oberfläche des Kapitalismus war nicht nur in Petersburg und Moskau aufgebrochen, sondern, wenn auch nur kurz, an anderen Orten wie Berlin, Budapest, München, Turin etc. Diese revolutionären Kämpfe am Ende des Ersten Weltkriegs waren Teil einer viel breiteren Veränderung. Woodrow Wilson formulierte dies kurz vor seinem Tod so: »Die russische Revolution war das Symbol der Unzufriedenheit in diesem Zeitalter.« (Schlesinger, 1957, S. 94)

Die revolutionäre Bewegung und die Macht der Arbeiterklasse lebten voneinander, und der Aufstieg der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Parteien in allen fortschrittlichen kapitalistischen Ländern seit Ende des 19. Jahrhunderts war der Ausdruck einer daraus resultierenden langanhaltenden Welle, auch wenn sie weniger spektakulär war. Trotz aller Mängel der organisierten Bewegung (besonders des Zusammenbruchs »der sozialistischen Internationale« am Vorabend des Krieges) ist die sichtbare Kraft der Arbeiterklasse in den ersten Jahren des Jahrhunderts enorm gewachsen.

Hinter dieser sichtbaren, organisierten Kraft der ArbeiterInnen verbarg sich eine weniger sichtbare, tückische Kraft: die Macht der Ausgebeuteten, der Ausbeutung zu widerstehen. Die wachsenden Organisationen zogen viel von ihrer Kraft aus der Erkenntnis der ArbeiterInnen, daß das Ausmaß ihrer Ausbeutung Schranken hat, so schlecht ihre Bedingungen auch sein mögen. Das Kapital mochte ihr Leben kontrollieren, aber das Überleben des Kapitals hing von ihrer Arbeit ab. Die Macht resultierte genau aus der Bedingung, mit der die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse bestimmt werden kann: Arbeit. Diese Erkenntnis äußerte sich nicht nur in der Verweigerung der Arbeit durch Streiks, sondern auch im ständigen und alltäglichen Kampf um die Kontrolle des Arbeitsprozesses: die Kontrolle darüber, wie Dinge gemacht werden und mit welcher Geschwindigkeit. Auch die herrschenden Kapitalisten mußten frustriert der Tatsache ins Auge sehen, daß sie keine völlige Kontrolle über den Arbeitsprozeß hatten, der doch die Quelle ihres Profits war. Taylor hatte es am eigenen Leib erfahren, »es war einfach so, (...), tatsächlich wurde der Laden von den Arbeitern geführt und nicht von den Chefs«. Gemeinsam wurde von den ArbeiterInnen sorgfältig geplant, wie schnell jede Arbeit erledigt werden sollte (Braverman, 1974, S. 102). Taylors Lebenswerk spricht die Frustration des Kapitals deutlich aus und war der Überwindung ihrer Ursache gewidmet, der Macht der ArbeiterInnen, den Arbeitsprozeß zu kontrollieren. Mit unterschiedlichen Umgebungen, Fabriken und vor allen mit der Art der Arbeit, variierte das Ausmaß dieser Macht der ArbeiterInnen, ihre eigene Arbeit zu kontrollieren. Insbesondere die qualifizierteren ArbeiterInnen hatten im Produktions- und Arbeitsprozeß eine unentbehrliche Rolle inne, und übten die größte Kontrolle über ihren Arbeitsprozeß aus. Die Position der qualifizierteren ArbeiterInnen gab der Bewegung der Arbeiterklasse dieser Zeit einen besonderen Charakterzug, der sich in der Organisierung in Gewerkschaften (hauptsächlich nach Berufen) und auch in der Ideologie der revolutionäreren Teile der sozialistischen Bewegung in ihrer Vorstellung vom Sozialismus als Kontrolle des Arbeitsprozesses durch die ArbeiterInnen niederschlug. Die Fähigkeiten der ArbeiterInnen schlugen von einer notwendigen Bedingung für industrielle Entwicklung in ein Hindernis für die Kapitalakkumulation um (Coriat, 1982, S. 12).

Das Kapital war seit Beginn des Jahrhunderts zunehmend mit seiner Abhängigkeit von den ArbeiterInnen konfrontiert worden. Furcht vor der organisierten Arbeiterbewegung und die wachsenden Schwierigkeiten, die Mehrwertproduktion ausreichend zu steigern, um die wachsenden Investitionskosten ausgleichen zu können, waren zwei Ausdrucksformen dieser Entwicklung. Das imperialistische Ausschwärmen des Kapitals auf der Suche nach neuen Arbeitskräften, neuen Rohstoffen und neuen Märkten konnte die Schwierigkeiten zwar ausgleichen, aber gleichzeitig beförderte dies die inner-imperialistische Konkurrenz auf eine neue Stufe der inner-imperialistischen Rivalität und des Kriegs.

Die Auswirkungen des Krieges waren eine zweischneidige Geschichte. Einerseits spaltete er die internationale Arbeiterbewegung und schwächte die Stellung der Facharbeiter in den Fabriken, feststehende Gewohnheiten wurden z.B. durch das Auftauchen von Frauen zur Steigerung der Kriegsanstrengungen, »verwässert«. Andererseits entfachte er überall auf der Welt eine Welle der Unzufriedenheit, die das Kapital bedrohte wie niemals zuvor.

Die Antwort des Kapitals auf diese Bedrohung war vielschichtig. Seit dem Ende des Krieges gab es in allen führenden kapitalistischen Ländern Stimmen, die nach Reformen riefen: Politiker und Theoretiker der Bourgeoisie, die mit der Diskreditierung des alten Kapitalismus argumentierten und eine neue soziale Ordnung für notwendig erachteten. Diese Forderungen nahmen viele verschiedene Formen an, und tauchten in den 20er Jahren bei vielen verschiedenen Gelegenheiten auf.

Es gab drei grundsätzliche Streitfragen in den strategischen Debatten der 20er Jahre: die internationalen Beziehungen, die Rolle des Staates und die Kontrolle über das Geld.

Den ersten Zusammenstoß zwischen »progressiven« und »reaktionären« Kräften gab es direkt nach dem Krieg, anläßlich der Verhandlungen über den Versailler Friedensvertrag. Viele der jungen Reformer, die Teil ihrer nationalen Delegationen waren, resignierten voller Ekel und Empörung, als sie bemerkten, daß ihre Führer mehr an der »bösen, alten Verschwörung der nackten Gewalt« interessiert waren (Schlesinger,1957, S. 14) als an der Erschaffung einer neuen Ära der Weltgeschichte. Unter diesen Resignierenden befand sich auch Keynes, der als Teilnehmer der britischen Delegation dort war.

Einer der Schlüsselstreitpunkte war die Haltung der Westmächte gegenüber der neuen revolutionären Regierung in Rußland. Die Progressiven wollten eine versöhnliche Antwort auf die sowjetische Drohung. So zog Keynes in der Broschüre Die ökonomischen Konsequenzen des Friedens, in der er seinen Rücktritt begründen wollte, über die Diplomaten der alten Schule her, die »sich benahmen, als ob die Außenpolitik ein billiges Melodram wäre« (Keynes, 1971, S. 185). Keynes argumentierte, statt eines Ausschlusses Rußlands und der Rache an Deutschland sollte die Politik der Siegermächte durch den Wiederaufbau Deutschlands und die Wiedereingliederung Rußlands in den Weltmarkt bestimmt sein: »Gleichgültig ob die von der Sowjetregierung vertretene Form des Kommunismus immer zum russischen Temperament passen mag oder nicht, die Wiederkehr des Handels, der Annehmlichkeiten des Lebens und der normalen wirtschaftlichen Motive werden wohl nicht geeignet sein, die extremen Formen jener Doktrin der Gewalt und Tyrannei zu unterstützen, die Kinder des Krieges und der Verzweiflung sind« (Keynes, 1971, S. 187; auch Negri, 1988, S. 16).

Die Frage nach der neuen internationalen Ordnung wurde durch den Versailler Vertrag zügig ohne die Ansichten der progressiven Kräfte beantwortet. Das zweite Problem, die Frage nach der Rolle des Staates, blieb über die 20er Jahre hinaus bestehen. Im Krieg hatte sich die Rolle des Staates beispiellos ausgeweitet, u.a. über die erweiterte Kontrolle der Produktion. In den Jahren nach dem Krieg vertraten die Progressiven die Position, der Staat müsse eine aktive Rolle in der Wirtschaft übernehmen, dies mache die Entwicklung des Kapitalismus notwendig. Dieses Argument kleidete sich in verschiedene Formen und unterschiedliche Rechtfertigungen, von der zugegebenen Angst vor der Revolution über die wohltätige Sorge um die Armen bis hin zum einfachen Streben nach ökonomischer Effizienz, aber ein roter Faden zog sich in allen Ländern durch die Debatten. Das dringendste Problem war die Rolle des Staates in der Produktion, überall hatte der Staat während des Krieges direkt oder indirekt wichtige Sektoren der Produktion und des Transportes übernommen. Die »Progressiven« argumentierten, daß diese nicht wieder in privaten Besitz zurückgehen sollten; der moderne Staat sollte bestimmte grundlegende Industrien im Interesse des nationalen Wohls zuverlässig kontrollieren (Schlesinger, 1957, S. 37 ff.; Clarke, 1988, S. 200). Dieses Argument ging ins Leere: die im Krieg übernommenen Industrien waren in den Nachkriegsjahren wieder in private Hände zurückgegangen. Aber der Streit um die Rolle des Staates ging weiter. Viele Gründe wurden angeführt, warum der Staat aktiver bei der Bereitstellung sozialer Wohlfahrtsfürsorge sein sollte, besonders bei Arbeitslosigkeit. Durch die Unterstützung der ökonomischen »Rationalisierung« sollte der Staat eine aktive Rolle bei der Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit spielen, so lautete ein anderes Argument. Alle Aufgaben, die gewöhnlich mit dem keynesianistischen Staat nach 1945 in Verbindung gebracht werden, wurden bereits in den 20er Jahren formuliert.

Das gilt auch für die generelle Konzeption des Staates als dem verantwortlichen Agenten für das Management der Ökonomie, besonders durch die Manipulation der Nachfrage. Solche Ideen finden sich nicht nur in den frühen Schriften von Keynes, sondern z.B. auch in den Arbeiten von Foster und Catchings in den USA. In ihrem Buch The Road to Plenty, veröffentlicht 1928, attakierten sie das Say'sche Gesetz, das Fundament der orthodoxen ökonomischen Theorie, demzufolge sich die Gesamtnachfrage nach Waren zwingend dem Angebot angleiche, so daß die Finanzierung der Produktion automatisch genug Kaufkraft hervorbringe, um alle produzierten Waren zu kaufen. Foster und Catchings wiesen daraufhin, daß es so eine automatische Balance nicht gab, weil der Geldfluß ständig durch Sparen unterbrochen wurde (worauf Marx 60 Jahre vorher im 2. Kapitel des Kapitals hingewiesen hatte). Folglich war die einzige Möglichkeit der Regierung, die Prosperität aufrechtzuerhalten, die Gewährleistung eines ausreichend hohen Flusses an Geldeinkommen zu den Verbrauchern: Diese Politik sollte auf folgenden Prinzipien beruhen: Wenn das Geschäften nachläßt, muß man »den Konsumenten mehr Geld geben«, und wenn sich eine Inflation abzeichnet, weniger (Schlesinger, 1957, S. 135).

Geld war zentraler Punkt in jeder Diskussion über eine erweiterte Rolle des Staates. Pläne wie die von Foster und Catchings sahen vor, daß die Regierung in Zeiten der Rezession ein erhöhtes Haushaltsdefizit in Kauf nehmen sollte, und solche Ideen fanden die orthodoxeren Politiker und Theoretiker dieser Tage abscheulich. Der Streit um die finanzielle Orthodoxie gipfelte in dieser Periode in den Diskussionen um den Goldstandard. Die Wiederherstellung des Goldstandards, unter dem die Nationalwährungen an den Goldpreis gebunden waren, stellte für viele den Schlüssel zur Rekonstruktion des internationalen politischen Systems nach dem Ersten Weltkrieg dar und war eine der ersten Aufgaben, die sich der neue Völkerbund gestellt hatte (Clarke, 1988, S. 204). Die Bedeutung und Tragweite (sowohl symbolisch, als auch real) der Wiederherstellung des Goldstandards lag in der Unterordnung der nationalen Währung, und somit des Nationalstaats, unter die internationale Bewegung des Geldes, und damit der Festschreibung einer möglichst kleinen Rolle des Staates, was den Konservativen so sehr am Herzen lag. Sie zwang die Regierungen zu einer finanziellen Disziplin, der sie aufgrund des öffentlichen Drucks sonst womöglich ausgewichen wären. So wurde die Wiedereinführung und Erhaltung des Goldstandards zum Symbol für die Lebensfähigkeit der alten liberalen Weltordnung, die die »Progressiven« bereits für zum Untergang verdammt hielten. Die Debatten über die internationale Ordnung, die Rolle des Staates und des Gelds wurde in den 20er Jahren unter Politprofis, Beratern und Sachverständigen geführt: den Politikern, Beamten und Intellektuellen der Bourgeoisie. Dahinter stand jedoch das unausgesprochene (oder wenigstens selten erwähnte) Subjekt aller bürgerlichen Theorie: die Macht der Arbeiterklasse. Das soll nicht bedeuten, daß z.B. die von ihren nationalen Delegationen in Versailles enttäuschten Idealisten nur zynisch an wirksameren Mitteln zur Unterdrückung der ArbeiterInnen bastelten, aber die Diskussion war von der »Wirklichkeit« geprägt, und wichtigstes Kennzeichen dieser »Wirklichkeit« waren die allseits erfahrenen wachsenden Schwierigkeiten bei der Beherrschung und Ausbeutung der ArbeiterInnen. Mittelpunkt der Debatten in den 20er Jahren war der Zusammenstoß zwischen zwei strategischen Antworten auf die durch den Oktober 1917 symbolisierte neue Macht. Manchmal war sogar das Subjekt dieser Diskussionen in recht eindeutigen Aussagen zu finden. Weit weg von den Straßen St. Petersburgs, Münchens oder Berlins malte US-Generalstaatsanwalt A. Mitchell Palmer ein farbiges Bild der allgegenwärtigen Ängste des Kapitals:

»Wie ein Steppenbrand fegte vor einem Jahr die Flamme der Revolution über jede amerikanische Institution von Recht und Ordnung. Sie fraß sich ihren Weg in die Wohnungen der amerikanischen Arbeiter, die scharfen Zungen der revolutionären Hitze leckten an den Altaren der Kirche, sprangen auf die Glockentürme der Schulglocken über, krochen in die heiligen Ecken der amerikanischen Häuser, trachteten danach, das Ehegelübde durch liederliche Regeln zu ersetzen, die Fundamente der Gesellschaft einzuäschern« (Schlesinger, 1957, S. 42).

Für Politiker vom Schlage Palmers war die Antwort einfach: gewaltsame Unterdrükung von allem, was auch nur im entferntesten nach revolutionärer Drohung roch, Rückzug des Staates aus seiner im Krieg erweiterten Rolle, Ausschluß der Gewerkschafter aus dem politischen Prozeß, in den sie während des Krieges hineingeholt worden waren, und Wiederherstellung der Macht des Geldes über den Staat. In internationalen Angelegenheiten entsprach dieser Position eine unversöhnliche Haltung gegenüber der sowjetischen Revolution, zunächst militärische Intervention und dann diplomatische Isolation. Im Nachhinein wurde diese Herangehensweise oft als naiv dargestellt: Es war jedoch im großen und ganzen diejenige Strategie, die von allen wichtigen Regierungen in den 20er Jahren angewandt wurde. Die 20er Jahre basierten auf der gewaltsamen Unterdrükung jeglicher Bewegung der ArbeiterInnen auf der ganzen Welt, ob diese nun echt oder nur geträumt waren.

Die zweite Antwort war komplexer. Von einer einzigen »strategischen Antwort« zu sprechen, ist natürlich eine grobe Vereinfachung. In Wirklichkeit handelte es sich um eine ganze Fülle von politischen Richtungen, politischen Vorschlägen, unternehmerischen Vorstößen, sowie um theoretische Entwicklungen in verschiedenen Regionen der Welt, mit oft sehr unterschiedlichen Motivationen und Schlußfolgerungen. Überall stand die russische Revolution für die Welle der Unzufriedenheit, vor diesem verbreiteten Hintergrund wurde eine neuen Rolle des Staates überall zum Thema. Die Erkenntnis, daß die Dinge sich verändert hatten, war der Ausgangspunkt. Das alte Gleichgewicht war zerstört:

»Die Vorstellungen der Partei der alten Welt gehören in eine Zeit, die 50 oder 100 Jahre zurückliegt, als die Gewerkschaften noch machtlos waren und der Moloch der Wirtschaft sich noch ungehindert und sogar unter Beifall auf dem Weg des Fortschritts Bahn brechen durfte. Die Hälfte der Schulbuchvorstellungen unserer Staatsmänner basiert auf Vorstellungen, die einmal richtig oder zumindest teilweise richtig waren, aber nun werden sie von Tag zu Tag immer weniger richtig.« (Keynes, 1972, S. 305)

Das alte Gleichgewicht war unter der gebündelten Kraft der ArbeiterInnen zusammengebrochen. Die Vorstellung, daß Arbeitskraft einfach wie jede andere Ware auf dem Markt behandelt werden kann, verlor seine Gültigkeit: »Die Gewerkschaften sind stark genug, um das Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage zu stören« (Keynes, 1972, S. 395). Daher verlor das Say'sche Gesetz seine Gültigkeit: Man konnte nicht mehr davon ausgehen, daß allein die Kräfte des Marktes den effektivsten Einsatz des Kapitals sichern konnten:

»Im wirtschaftlichen Bereich heißt das vor allem, daß wir neue Strategien und neue Methoden finden müssen, um das Wirken der ökonomischen Kräfte unter Kontrolle zu bekommen, damit diese nicht in unerträglichen Widerspruch zu den heutigen Vorstellungen von dem geraten, was im Interesse von gesellschaftlicher Stabilität und Gerechtigkeit getan werden sollte.« (Keynes, 1972, S. 306)

Während die »Partei der alten Welt« das veränderte Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte nicht erkannte oder nicht erkennen wollte, traten die fortschrittlichen Kräfte für ein neues Arrangement mit den ArbeiterInnen ein. Das hieß nicht, daß sie zu den ArbeiterInnen überliefen (»Ich mag durch das beeinflußt sein, was mir gerecht und vernünftig erscheint; aber der Klassenkampf wird mich auf der Seite der gebildeten Bourgeoisie finden«, so erklärte sich Keynes in eben diesem Artikel, 1972, S. 297), sondern daß sie eine Strategie entwickelten, die auf der Anerkennung der neuen Situation beruhte, eine Strategie, die die Arbeiterklasse als Motor der Entwicklung einbinden würde (siehe Negri, 1988). Eine Strategie, die die Macht der Arbeiterklasse nicht besiegen, sondern zügeln und neu bestimmen sollte.

Nicht nur in den Debatten über die Politik des Staates machte man sich die neue Situation bewußt, sondern ebenso in der Entwicklung neuer Praktiken der Unternehmensführung. Taylor hatte sein Evangelium der »wissenschaftlichen Betriebsführung« bereits seit der Jahrhundertwende gepredigt: einen deutlichen Angriff gegen die Macht der Facharbeiter durch die detaillierte Untersuchung und Zerstückelung der handwerklichen Arbeiten in einfache und eng kontrollierte Abläufe. Henry Ford hatte die Zerstückelung weiter entwickelt; er hatte sie mit dem elektrisch betriebenen Förderband verbunden, um das Fließband zu schaffen, wo einzelne Schritte zur Produktion der Fordautos an verschiedenen Positionen entlang des Bandes verrichtet wurden. Die technologische Entwicklung von Ford wurde jedoch bald mit der Tatsache konfrontiert, daß Autos weder durch die Wissenschaft noch durch die Technik, sondern von arbeitenden Menschen produziert werden. Es war keine Überraschung, daß die ArbeiterInnen die neue Organisation der Arbeit als unerträglich langweilig empfanden und selten lange blieben. Nehmen wir beispielsweise das Jahr 1913: Um eine Belegschaft von 15 000 aufrecht zu erhalten, mußten während dieses Jahres 53 000 ArbeiterInnen eingestellt werden (Coriat, 1982, S. 56). Fords berühmter »Fünf-Dollar Tag«-Lohnvertrag wurde 1914 eingeführt, um diesen chaotischen Strom an ArbeiterInnen unter Kontrolle zu bringen.

Fünf Dollar waren mehr als das Doppelte des vorherigen Lohnes in einer Fordfabrik, aber nicht alle sollten ihn erhalten. Man mußte ein Mann sein, über 21 Jahre alt und seit mindestens sechs Monaten in der Fabrik gearbeitet haben. Zudem war es notwendig, sich solch einen hohen Lohn auch moralisch zu verdienen. Der Direktor der von Ford neu geschaffenen Abteilung für Soziologie drückte das folgendermaßen aus:

»Es ließ sich leicht voraussehen, daß fünf Dollar am Tag in den Händen bestimmter Männer zu einem ernsten Hindernis auf dem Weg zur Rechtschaffenheit und einem wohlgeordneten Leben werden und diese Männer zur Bedrohung für die ganze Gesellschaft machen konnten; deshalb wurde von Beginn an festgesetzt, daß kein Mann diese Lohnsteigerung erhalten sollte, der nicht wußte, wie man damit besonnen und vorsichtig umzugehen hatte« (Lee, 1916, S. 303, zitiert nach Coriat, 1982, S. 57).

Bei der Reduzierung der Fluktuation der ArbeiterInnen war der Fünf-Dollar Tag höchst erfolgreich: nach 1914 fiel sie auf weniger als 0,5 Prozent im Jahr (Coriat, 1982, S. 59). Dies schuf die Basis für eine neue, diszipliniertere Organisation der Arbeit in der Fabrik, eine Intensivierung der Arbeit, die trotz des Anstiegs der Lohnkosten die Produktionskosten für das Modell T von Ford um etwa 17 Prozent reduzierte (Beynon, 1973, S. 24; Coriat, 1982, S. 59). Außerdem bildete sich so eine neue Gruppe relativ wohlhabender ArbeiterInnen, die einen neuen Markt für die Massenproduktion des Modell T ergaben.

Eindruckvollstes Merkmal des Ford-Vertrages ist der Tauschhandel zwischen der Akzeptanz einer disziplinierenden, seelenzerstörenden Monotonie während des Tages und eines relativ komfortablen Konsums nach der Arbeitszeit, die strenge Trennung zwischen dem Tod in der entfremdeten Arbeit und dem »Leben« als Konsument. Was aber betont werden sollte, ist nicht einfach die grausame Natur der fordistischen Produktion, sondern daß der Ford-Vertrag eine eindrucksvolle Anerkennung der Abhängigkeit des Kapitals von der Arbeit und der Versuch war, die Macht der ArbeiterInnen (letztlich die Macht, nicht zu arbeiten) als monetäre Forderung nach Waren neu zu bestimmen. Die innovative Anerkennung und Neubestimmung der Macht der ArbeiterInnen machten Ford zu einer wichtigen Gestalt dieser Periode, zum »einflußreichsten Geschäftsmann unter allen Wirtschaftsführern« (Schlesinger, 1959, S. 73).

Aber nicht nur Ford und dessen Nachfolger führten neue Managementmodelle ein. In den 20er Jahren gab es noch mehr veränderungswillige Stimmen in den Unternehmensleitungen, da das Management versuchte, das Problem der hohen Fluktuation und des informellen Widerstands der ArbeiterInnen in den Griff zu bekommen: viele der großen Firmen begannen in dieser Zeit mit »liberaleren« Formen der Arbeitsorganisation und einer systematischeren Organisation der Produktion zu experimentieren (Gordon, 1982, S. 172 ff). All diese Methoden suchten nach Wegen, die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen in eine Form zu kanalisieren, die den Interessen des Kapitals dienen würde.

Die Veränderungen in den Führungsetagen und die neuen Ansichten über die Rolle des Staates waren ziemlich unkoordiniert, auch wenn es Leute gab, die einen »Taylor...für das gesamte ökonomische System« (Tugwell, zitiert nach Schlesinger, 1959, S. 194) für notwendig hielten, oder andere, die Verbindungen zwischen Taylor und Keynes sahen (Schlesinger, 1959, S. 201).

Die Veränderungen der Managementstrukturen befanden sich in den 20er Jahren noch in den Kinderschuhen, noch immer beherrschte die »Partei der alten Welt« die Politik. Im Rückblick werden die Ansichten der Konservativen gewöhnlich als schlicht reaktionär geschildert, ohne Tuchfühlung zur Welt der Nachkriegszeit. Es könnte jedoch eingewandt werden, daß die Zeit für die neue Herrschaftstrategie noch nicht reif war. Das alte Gleichgewicht war zusammengebrochen, aber es war nicht sicher, ob die Bedingungen zur Etablierung irgendeines neuen Gleichgewichts bereits bestanden. In der unmittelbaren Nachkriegswelt bestand in vielen Regionen der Welt noch immer die Drohung der Revolution. Erst als die Welle von revolutionären Kämpfe gewaltsam unterdrückt worden war, wuchs der Glaube an eine Strategie zur Neubestimmung der Macht der Arbeiterklasse. So kam es beispielsweise in Großbritannien erst nach der Niederschlagung des Generalstreiks von 1926 zur Entwicklung einer neuen Institutionalisierung des Kampfs der Arbeiterklasse, die später den Gegenpart zu den politischen Initiativen des Keynesianismus spielen sollte.

Nachdem die Arbeiterklasse auf der Straße besiegt worden war und die unmittelbare Drohung einer Revolution verblaßte, verbesserten sich die Bedingungen für die institutionelle Integration der Macht der Arbeiterklasse, aber die Notwendigkeit einer Veränderung erschien weniger offensichtlich. Erst nach dem Börsenkrach von 1929 und der folgenden Krise nahm der Druck nach Veränderung wieder zu.

Der Börsenkrach von 1929 war der endgültige Zusammenbruch der alten Ordnung, der endgültige Zusammenbruch des bestehenden Herrschaftsmodells. Daß der Börsenkrach einen Wendepunkt in der historischen Entwicklung darstellte, ist unbestritten, aber üblicherweise wird er als wirtschaftliches Ereignis dargestellt, in rein äußerlicher Beziehung zur Entwicklung der Klassenverhältnisse. Als unmittelbare Ursache des Börsenkrachs gilt im allgemeinen eine Überakkumulation an Kapital im Verhältnis zu einem begrenzten Markt (siehe z.B. Clarke, 1988, S. 217). Der Boom der amerikanischen Wirtschaft in den 20er Jahren basierte auf der schnellen Ausbreitung der neuen Industrien für langlebige Konsumgüter, aber der Markt war begrenzt, er beschränkte sich im wesentlichen auf die Mittelschicht. Eine Ausdehnung der Kredite ermöglichte die Fortdauer der Akkumulation nachdem der Markt sich erschöpft hatte, aber dies geschah in Form einer Wertpapierspekulation. Die Schranke des begrenzten Marktes machte sich schließlich im Zusammenbruch der Wertpapierbörse von 1929 geltend.

Aber der Zusammenbruch war mehr als das: er war das andere Gesicht der Oktoberrevolution von 1917. Oberflächlich betrachtet gibt es keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen: »es scheint offensichtlich zu sein, daß die Ereignisse von 1929 nichts mit denen von 1917 zu tun haben«, wie Negri es ausdrückt (1988, S. 22). Tatsächlich aber markieren diese beiden Daten wichtige Aspekte derselben Krise. Die Revolution von 1917 war die grellste Erklärung seitens der Arbeiterklasse gewesen, daß die alte Beziehung zwischen Kapital und ArbeiterInnen an einem Bruchpunkt angekommen war. Der Börsenkrach von 1929 machte dem Kapital endgültig klar, daß dies tatsächlich der Fall war, trotz all seiner Versuche zur Entspannung der Zwischenkriegs-Welt.

Aber warum ist dann die »innere Verbindung« zwischen 1917 und 1929 nicht deutlicher? Wenn der Börsenkrach von 1929 die Rechtfertigung für die Behauptungen der Sozialisten über die Intensität der Widersprüche des Kapitals und die darin enthaltene Zusammenbruchstendenz ist, warum geschah dies so spät, lange nachdem die revolutionäre Flut wieder verebbt war? Wenn der Börsenkrach von 1929 nur den dramatischsten Ausdruck des Zusammenbruchs der alten Modelle der Beziehung zwischen Kapital und ArbeiterInnen darstellt, wenn »die Krise von 1929 tatsächlich eine Fortsetzung der dem Ersten Weltkrieg vorangegangenen ungelösten wirtschaftlichen Krise war«, wie Mattick es ausdrückt (1978, S. 116), warum ereignete sich dieser Krach nicht zu dem Zeitpunkt, als die Macht der ArbeiterInnen am größten war? Worin bestand die Verbindung zwischen der Macht der Arbeiterklasse, die sich 1917 am deutlichsten zeigte, und dem Zusammenbruch der Kapitalismus zwölf Jahre später? Wenn die Krise der Ausdruck für die Macht der ArbeiterInnen im und gegen das Kapital ist, warum ereignete sich die Krise, nachdem die Arbeiterklasse zumindest oberflächlich gesehen entscheidend besiegt worden war?

Der Schlüssel zum Verständnis der Distanz zwischen 1917 und 1929, dem Auseinanderfallen der zwei Gesichter der Krise, liegt im Kredit. Die Macht der ArbeiterInnen bricht sich an den Formen des Kapitalverhältnisses, insbesondere am Geld und am Kredit. Wenn das vorherrschende Ausbeutungsmodell an seine Grenzen stößt, wenn das Profitstreben des Kapitals durch die errichteten Positionen der ArbeiterInnen blokiert wird, kommt es sowohl zur Nachfrage nach als auch zur Bereitstellung von Krediten. Einerseits braucht das Kapital Darlehen, um über das hinwegzukommen, was es als zeitweilige Schwierigkeiten betrachtet. Andererseits versucht Kapital, das sich schwer tut, Profite in der Produktion zu finden, sich auf den Finanzmärkten auszudehnen. In der Existenz des Geldes als einer vom Wert getrennten Form liegt die Möglichkeit (oder die Unvermeidlichkeit) eines zeitlichen Auseinanderfallens zwischen dem Zusammenbruch der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit und deren Offenbarung in Form eines Sinkens der Rentabilität des Kapitals.

Der Kredit ist immer ein Glücksspiel mit der Zukunft. Wenn das Kapital Kredite aufnimmt, setzt es eine Portion Mehrwert ein, die noch nicht produziert worden ist. Wird der erforderliche Mehrwert nicht produziert, dann verfällt das Kapital. Können die Bedingungen der Produktion genügend verändert werden, um die Mehrwertproduktion um die erforderliche Menge auszuweiten, dann ist das Spiel gewonnen. Die Ausweitung der Kredite, mit denen ein Sinken der Rentabilität aufgeschoben wird, macht die Restrukturierung der Produktionsverhältnisse objektiv noch dringender als zuvor. Zudem wird es dadurch auch schwieriger, da die Bedingungen beibehalten werden, unter denen sich die Macht der ArbeiterInnen entwickelt hatte.

Im wesentlichen geschah in den 20er Jahren genau dies. Der Lagerauffüllungsboom, eine unmittelbare Nachwirkung des Kriegs, war 1921 in Europa schon wieder vorüber (Clarke, 1988, S. 197). In den Vereinigten Staaten allerdings hielt dieser Boom durch die 20er Jahre, gestützt durch die während des Krieges erfolgten Umstrukturierungen der Produktion (Mattick, 1978, S. 116), die Entwicklung des neuen Automobils und der Gebrauchsgüterindustrie und schließlich zunehmend durch eine enorme Ausdehnung des Kredits, sowohl in Form von Bankdarlehen als durch die Schaffung fiktiven Kapitals an der Börse (Mattick, 1978, S. 119). In den Vereinigten Staaten stieg während der 20er Jahre die Produktivität steil an, aber nicht steil genug, um den Mehrwert zu produzieren, der erforderlich gewesen wäre, um die Rentabilität aufrechtzuerhalten. Schließlich offenbarte sich im Börsenkrach vom Oktober 1929 die Kluft zwischen dem tatsächlich produzierten Mehrwert und demjenigen, auf den an der Börse gesetzt worden war: »Schließlich erlagen auch die Vereinigten Staaten den Realitäten der Nachkriegszeit«, wie Mattick es ausdrückt (Mattick, 1978, S. 116).

Aber auch nach dem Börsenkrach gab es jedenfalls auf der politischen Ebene keine unmittelbare Anerkennung der Notwendigkeit einer neuen Ordnung. In den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und anderswo reagierten die Regierungen, indem sie sich eingruben. Finanzielle Orthodoxie war die Antwort auf den Druck, unter den der Staat geriet, der Druck, eine aktivere Rolle bei der Stimulation der Wirtschaft zu übernehmen und den Millionen Entlassenen Sozialunterstützung zukommen zu lassen. Der ausgeglichene Staatshaushalt wurde zum Symbol der politischen Verteidigung einer Welt, die nicht mehr existierte.

In der Sphäre der Einzelkapitale wurden Änderungen schneller erzwungen. Der Zusammenbruch der Rentabilität zwang die Einzelkapitale bei Strafe des Untergangs zu einer Reorganisierung ihrer Beziehung mit den ArbeiterInnen. Die neuen Managementsysteme, die in den 20er Jahren kaum Land gewinnen konnten, wurden bald zur Überlebensbedingung:

»Zwei Auswirkungen der Depression konzentrierten die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit neuer Systeme des Arbeitsmanagements. Erstens der Zusammenbruch der Profite, der die Firmen dazu zwang, über alle verfügbaren Methoden nachzudenken, um die Rentabilität wieder herzustellen und ihre Kontrolle über den Arbeitsprozeß zu verbessern. Zweitens führte die Depression ziemlich schnell zur Unzufriedenheit der ArbeiterInnen - und endlich natürlich zum Auftauchen von Industriegewerkschaften. Die Bewegung der Industriegewerkschaften stellte eine neue Kraft dar, mit der sich fast alle Unternehmer auseinandersetzen mußten, da sie einige der wichtigsten Bestandteile sowohl des Antriebssystems als auch der ersten Versuche mit ausgeklügelteren Strategien direkt in Frage stellte (Gordon, 1982, S. 176).

Dieser neue Druck der Arbeitermacht gab der Veränderung der kapitalistischen Herrschaftsform endlich eine Gestalt. In den Vereinigten Staaten führte die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen, der Protest gegen die durch den ausgeglichenen Staatshaushalt symbolisierte Macht des Geldes, zur Niederlage Hoovers in den Wahlen von 1932 und zum Erfolg von Roosevelt und seiner Verpflichtung auf einen »New Deal« [Neuverteilung der Karten]. Der ursprüngliche »New Deal« war allerdings unbestimmt und widersprüchlich: Erst unter dem Druck der Arbeitskämpfe der 30er Jahre und dem Aufstieg des in der CIO organisierten Gewerkschaftswesens nahm er die Form an, mit der wir ihn heute verbinden.

Das neue industrielle Gewerkschaftswesen entwickelte sich aus den neuen Arbeitsverhältnissen. Die Ausbreitung des Fordismus bedeutete die Ausbreitung eines neuen Typs von unausgebildetem Massenarbeiter, der in großen Fabriken arbeitete. Der fordistische Deal, der ausgehandelte Kompromiß zwischen Langeweile und Bezahlung, machte den Lohn deutlicher als jemals zuvor zum Brennpunkt der Kämpfe. Als Ford 1915 seinen »Fünf Dollar-Tag« verkündete, war dies ein einseitiger Akt gewesen, um die Flucht vor unerträglichen Arbeitsbedingungen einzudämmen. Aber nachdem der Lohn zum derart ausschließlichen Brennpunkt gemacht worden war, war es unwahrscheinlich, daß die ArbeiterInnen auf eine Anordnung der Unternehmensleitung warten würden. Der Druck zu kollektiven Lohnverhandlungen führte dazu, daß Anfang der 30er Jahre ein neues Gewerkschaftswesen aus dem Boden schoß. Die Forderung nach der Anerkennung der neuen Gewerkschaften als Vertreter der ArbeiterInnen in den kollektiven Verhandlungen wurde in den 30er Jahren von immer mehr Firmen akzeptiert. Dies geschah nicht ohne Widerstand, aber das Kapital erkannte auch, daß die Kanalisierung der Unzufriedenheit in Lohnforderungen einen wichtigen Baustein bei der Errichtung einer geordneteren Beziehung zu den ArbeiterInnen darstellte. Auf den Plakaten für die Rekrutierungskampagne der CIO wurde dies eindrucksvoll aufgenommen: »Präsident Roosevelt will, daß du der Gewerkschaft beitrittst.« Wie Tronti schreibt:

»Die Parole 'organisieren wir die Unorganisierten' paßte beiden gut in den Kram: dem modernen Kapital und der neuen Gewerkschaft. Es gibt solche Momente von Wahlverwandtschaft zwischen den beiden Klassenprotagonisten der modernen Geschichte, wenn beide gleichermaßen und jeweils in ihren eigenen Bereichen innerlich gespalten sind und gleichzeitig Probleme der strategischen Ausrichtung und der organisatorischen Umstrukturierung lösen müssen.« (1976, S. 117)

Diese Dynamik der ArbeiterInnen führte zur Arbeitspolitik der Roosevelt-Regierung und zur Verabschiedung des Wagner Act [Gewerkschaftsgesetzgebung] im Jahre 1935. Unter immensem sozialen Druck und gegen den Widerstand wichtiger Teile des Kapitals wurde in den USA in den 30er Jahren eine neue Beziehung zwischen Kapital und ArbeiterInnen geschmiedet, die sich auf die Anerkennung der Macht der ArbeiterInnen und den Versuch ihrer Integration konzentrierte. Der »New Deal« »bedeutete den Beginn eines neuen Spiels, aber mit denselben Spielern« (Mattick, 1978, S. 129). Später wurde dieses »neue Spiel« unter dem Namen Keynesianismus bekannt: »Lord Keynes ist in Wirklichkeit ein amerikanischer Ökonom«, um es mit Trontis treffendem Satz zu sagen (1976, S. 115).

Aber Mitte der 30er Jahre war dies neue Spiel von seiner Durchsetzung noch weit entfernt. Zum einen gab es alternative, konkurrierende Modelle für die Gestaltung des neuen Spiels. In Deutschland hatte es die Krise der alten Modelle und die Dynamik der ArbeiterInnen mit einer anderen Antwort zu tun. Die grausame Unterdrückung der revolutionären Strömungen der Nachkriegszeit war nicht so säuberlich von der institutionellen Einverleibung der Bewegung der Arbeiterklasse getrennt, so nahm dieser neue Korporatismus eine besonders blutige Gestalt an. Auch in Rußland hatte die enorme Wucht des Schlags der ArbeiterInnen im Jahre 1917 der schließlich unter Stalin erfolgten Eindämmung dieser Macht eine ganz andere Gestalt gegeben.

Die eindeutige Durchsetzung des neuen Spiels wurde jedoch nicht einfach durch die Existenz konkurrierender Modelle verhindert. Entscheidender war die Tatsache, daß die Bedingungen für eine durchgreifende Restauration der kapitalistischen Rentabilität noch nicht gegeben waren. Die wirtschaftliche Genesung der ersten »New Deal«-Jahre hatte sich als kurzlebig erwiesen. Ende 1937 kam es zu einem erneuten Konjunktureinbruch. Die Kapazitätsauslastung sank z.B. in der Stahlproduktion von 80 auf 19 Prozent. Trotz der dann folgenden Neubelebung hatten die Vereinigten Staaten 1939 immer noch 10 Millionen Arbeitslose, und die privaten Investitionen lagen noch immer ein Drittel unter dem Stand von 1929 (Mattick, 1978, S. 138 f.). Die Veröffentlichung der General Theory von Keynes im Jahre 1936 gaben zwar den Praktiken des »New Deal« eine neue theoretische Konsistenz, aber weder die theoretische Konsistenz noch die Regierungspolitik reichten, um die Restrukturierung durchzuziehen, die zur Wiedereinsetzung des Kapitalismus auf einer stabilen Grundlage notwendig gewesen wäre.

Erst der Krieg brachte diese Restrukturierung zustande. »Wieder einmal regierte der Tod die Welt, dieser größte aller Keynesianer« (Mattick, 1978, S. 142). Wo New Deal, Nationalsozialismus und Stalinismus nur auf die möglichen Linien der weiteren Entwicklung hinweisen konnten, setzte sich der Krieg erfolgreich durch. Die durch den Krieg zustande gebrachte Zerstörung und Entwertung von konstantem Kapital war sogar umfangreicher als die Bankrotte und Abschreibungen der Großen Depression. Auf der Arbeit wurden die nach dem Börsenkrach von 1929 eingeführten Veränderungen der Management-Methoden weiterentwickelt, allerdings in einer Atmosphäre größerer Disziplin: »In den Vereinigten Staaten versuchten viele Unternehmer, die Disziplin der Kriegsjahre auszunutzen, um die am Ende der Depression an die Gewerkschaften verlorene Initiative und Kontrolle wiederzugewinnen« (siehe Gordon, 1982, S. 182). Dabei konnten die Unternehmer aller wichtigen Länder auf die Mithilfe der Gewerkschaften setzen, diese predigten nämlich die Unterordnung des Klassenantagonismus unter das gemeinsame Ziel, den Krieg zu gewinnen (siehe z.B. Gordon, 1982, S. 183; Middlemas, 1979, S. 266 ff.). Die veränderten Beziehungen auf der Arbeit wurden von einer rapiden Veränderung der Produktionstechnologie begleitet, da die Regierung Ressourcen in die für strategisch wichtig gehaltenen Bereiche der technologischen Entwicklung fließen ließ. So kam es in Bereichen wie der Elektronik und der Petrochemie zu rasanten Fortschritten. Die Einberufungen und die Ermordung von Millionen brachte die Lösung des Problems Arbeitslosigkeit: eine gewaltige »Verschrottung von Arbeitskraft« (Bonefeld, 1988, S. 56).

Der Krieg war der Höhepunkt der Umstrukturierungsanstrengungen der Zwischenkriegszeit. Die »sozialen Möglichkeiten des Krieges« hatte John Dewey, schon damals einer der intellektuellen Führer des amerikanischen Liberalismus, bereits in einem Artikel von 1918 entdeckt: die Anwendung der Technologie zum Nutzen des Gemeinwohls, die Unterordnung der Produktion für den Profit unter diejenige für Gebrauchszwecke und die Organisierung der finanziellen Mittel unter öffentlicher Kontrolle (Dewey 1918, zitiert nach Schlesinger, 1957, S. 39). Die Taylorisierung der Gesellschaft, die Roosevelts Berater Tugwell im New Deal gesucht hatte, wurde während des Krieges ein ganzes Stück mehr zur Realität. Die von Keynesianern und New-Deal-Anhängern so lange herbei gesehnte Ausdehnung des Staates, wurde in einem noch nie dagewesenen Umfang verwirklicht. Der von der »Partei der alten Welt« so verbissen verteidigte ausgeglichene Staatshaushalt geriet in Vergessenheit. Und mit dem Ende des Krieges und der Etablierung der Vereinigten Staaten zur alleinigen hegemonialen Macht konnten staatliche Intervention und Geldregulation einen internationalen Siegeszug antreten, der in der Zwischenkriegszeit völlig unmöglich gewesen war. Jetzt endlich konnte das Kapital neue Karten austeilen, und auf den Leichen von 20 Millionen [nicht 55 Millionen? A.d.Ü.] Menschen konnte ein neues Spiel begonnen werden.

Zum erstenmal seit fast 50 Jahren stand nicht mehr unmittelbar der Zusammenbruch des Kapitalismus bevor, der lange Zeit sowohl das sozialistische als auch das bürgerliche Denken beherrscht hatte. Seit der Jahrhundertwende hatten sich alle marxistischen Debatten um den Streit gedreht, ob der Zusammenbruch des Kapitalismus zwangsläufig sei oder nicht. Auch für das bürgerliche Denken hatten der Krieg, die Welle der Revolutionen, der Bösenkrach und die Große Depression, der Faschismus, die Wiederbewaffnung und wiederum der Krieg einen Schock nach dem anderen für die Vorstellung von kapitalistischer Stabilität dargestellt, und 30 Jahre lang Pleite, Zusammenbruch und Revolution zu seinen größten Sorgen gemacht.

Mit dem Ende des Krieges 1945 waren die Hoffnungen auf und die Ängste vor der Revolution nicht sofort verschwunden. Im Gegenteil: die unmittelbare Nachkriegszeit war eine Periode beträchtlichen Aufruhrs. Aber das allgemeine Gleichgewicht hatte sich verschoben. Zum erstenmal seit fast 50 Jahren stand das Kapital auf einer Grundlage, von der aus es sich energisch der Akkumulation und der Ausbeutung widmen konnte, auf einer Grundlage, auf der es einen neuen Schein von Stabilität aufbauen konnte, und die Millionen, die auf dem Weg dahin niedergemetzelt worden waren, verschwanden in einem Nebel aus Gedächtnisschwund und Trauertagen.

II

Ende der 60er, Angang der 70er Jahre war das neue Spiel vorbei. Ohne Unterbrechungen war es nie gespielt worden. Selbst nachdem die Turbulenzen der unmittelbaren Nachkriegszeit unter Kontrolle waren, selbst nach der vollständigen Etablierung des »Marschallismus« in Europa und der weltweiten Herrschaft der USA machten sich in den 50er und frühen 60er Jahren antikoloniale und revolutionäre Bewegungen und Arbeitsunruhen laut bemerkbar. Aber erst Ende der 60er Jahre begann das nach dem Krieg etablierte Muster von Beziehungen zwischen Kapital und ArbeiterInnen sich aufzulösen.

Die oft so genannte »Krise des Keynesianismus« ist nicht einfach eine Krise der ökonomischen Theorie oder der Wirtschaftspolitik: Es handelt sich um Symptome einer Krise in der Beziehung zwischen Kapital und ArbeiterInnen, eine Krise des besonderen Modells der Bändigung der Macht der ArbeiterInnen. So betrachtet ist es offensichtlich, daß sich die Krise weder als Versagen der objektiven Strukturen (oder als Wirken der »objektiven Gesetze des Kapitals«) noch einfach aus der subjektiven Dynamik der ArbeiterInnen und schon gar nicht aus den Spannungen zwischen den Kapitalisten oder nationalen Kapitalen verstehen läßt. Die Beziehung zwischen Kapital und ArbeiterInnen brach zusammen: Die Spannungen, die in dieser Beziehung von Beginn an vorhanden waren, nahmen zu und brachen auf. Der durch den Keynesianismus gebändigte Antagonismus ließ sich nicht länger bändigen.

Die effektive Ausbeutung der ArbeiterInnen war die Vorbedingung für das Herrschaftsmodell der Nachkriegszeit gewesen. Nach dem Krieg waren nicht nur in den USA, sondern auch in Europa fordistische Methoden der Massenproduktion breit eingeführt worden. Dies brachte einen scharfen Produktivitätsanstieg, aber der war nicht umsonst zu haben. Die fordistische Produktion beruhte auf einem stillschweigenden Tauschhandel zwischen einem hohen Grad an Entfremdung und Langeweile bei der Arbeit und steigendem Konsum nach der Arbeit. Die Unzufriedenheit wurde in Nachfrage verwandelt und durch jährliche Lohnverhandlungen reguliert. Mit der Etablierung dieses Modells als herrschendem Muster wurden seine Widersprüche deutlicher.

Der fundamentale Widerspruch aller kapitalistischen Produktion drückt sich in der Kategorie der Entfremdung aus: dem Widerspruch zwischen dem Potential menschlicher Kreativität in der Produktion von Gebrauchswerten und der Form, die dieser Kreativität im Kapitalismus aufgezwungen wird, der Schaffung von Werten unter der Kontrolle von jemand anderem: kurz gesagt, der Reduktion der konkreten Arbeit auf abstrakte Arbeit. Die fordistischen Produktionsmethoden mit ihrem beispiellosen Ausmaß an ungelernten, monotonen Tätigkeiten verschärften diesen Widerspruch noch. Zunehmend drückte sich dieser Widerspruch nicht in Kämpfen gegen die Entfremdung (und für Arbeiterkontrolle) aus, sondern immer mehr in einer Rebellion gegen die Arbeit an sich. Die tödliche Langeweile der fordistischen Arbeit stieß auf Revolten aller Art, die alle in erster Linie das Aufbrechen der tödlichen Monotonie sinnloser Tätigkeiten zum Ziel hatten: Sabotageakte, Absentismus, kurze »wilde« Streiks und dergleichen mehr nahmen zu. Auf die Produktivität und die Rentabilität hatte dies alles eine weitaus ernstere Wirkung als die breiter publizierten Lohnstreiks.

Mit der Einbettung in eine besonders starre Arbeitsorganisation wurde die Revolte gegen die Arbeit nur noch wirksamer. Da sich der Angriff von Taylor und dann von Ford auf die Macht der Facharbeiter gegen die Flexibilität und Urteilskraft des Fachwissens richtete, führte er zu einer sehr unflexiblen Produktionsorganisation. Die Zerstückelung der Arbeit in kleine, zeitlich genau abgestimmte Arbeiten und die anschließende Zusammenführung dieser Arbeiten mit der Arbeit der Maschine in einem spezifischen Prozeß sollte ursprünglich die Macht der Facharbeiter brechen. Aber der Kampf machte sie sowohl zu einer Waffe gegen das Kapital als auch zu einer Schranke für das Befehlsrecht des Kapitals. Die Starrheit vergrößerte die Wirkung jeder Unterbrechung im Fluß im Arbeitsprozesses, da die Nichtausführung eines Teils des Ablaufs oft die Ausführung anderer Teile des Ablaufs unmöglich machte: nicht nur in einer bestimmten Fabrik oder Firma, sondern zwischen Zulieferketten und der Weiterverarbeitung. Diese Starrheit schuf auch genau definierte Arbeitsplätze, die für die ArbeiterInnen oft zu Machtpositionen wurden, von denen aus sie für höhere Löhne kämpfen konnten. So wurden Dienst nach Vorschrift und Auseinandersetzungen um die Arbeitsplatzbeschreibung zu üblichen Formen des Arbeitskampfes. Die ArbeiterInnen benutzten oder verteidigten eben jene Starrheit, die ihnen ursprünglich vom Kapital aufgezwungen worden war.

Angesichts der Starrheit und der Revolte war Geld das große Schmiermittel. Sowohl die Veränderungen durch die Unternehmensleitungen als auch die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen konzentrierten sich auf die Lohnverhandlungen. Lohnerhöhungen (oder spezielle Prämien) wurden zum wichtigsten Mittel, mit dem das Management seine eigene Starrheit überwand und Veränderungen im Arbeitsablauf einführte: »Bezahlung für Veränderung« setzte sich als Prinzip der gewerkschaftlichen Verhandlungen durch, wenigstens in den besser organisierten Branchen. Die Lohnverhandlungen wurden so auch zum Brennpunkt der organisierten Proteste der Arbeiterklasse; die Gewerkschaften wurden immer mehr zu den »Managern der Unzufriedenheit«, um einen Ausspruch von C. Wright Mill zu benutzen. Der Konflikt wurde von den Gewerkschaften in eine Geldforderung kanalisiert, um die im Lohnverhandlungsritual gekämpft werden sollte.

Die Monetarisierung des Konfliktes wurde immer problematischer, da sich die produktive Macht der ArbeiterInnen in einem immer höheren Lebensstandard ausdrückte. Mit dem Anwachsen der Revolte gegen die Arbeit wurde die Kanalisierung der Unzufriedenheit immer unwirksamer und zugleich teurer. Einerseits waren steigende Löhne ein nur ungenügender Ansporn, um eine effektive Kontrolle der Unternehmensleitung über den Arbeitsprozeß zu gewährleisten. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre häuften sich Klagen, das Management habe die Kontrolle über die Fabrik verloren (siehe Holloway 1987). Gleichzeitig drückten sich diese Schwierigkeiten bei der Durchsetzung einer wirksamen Kontrolle und die Macht des Widerstandes gegen die Durchsetzung neuer Arbeitsbestimmungen in steigenden Lohnforderungen aus, die oft mit Streikdrohungen oder Streiks geltend gemacht wurden (siehe Armstrong, 1984). Die Kontrolle über den Lohn und die Beschränkung dessen, was als Macht der Gewerkschaften erschien, wurde zu einer vorherrschenden Sorge dieser Zeit.

Mit dem Anwachsen der Revolte gegen die Ausbeutung in ihrer monetarisierten und nicht-monetarisierten Form wurde die Abpressung des Mehrwertes für das Kapital immer schwieriger. Aber es ist wichtig, hier nicht zu übertreiben. Trotz der unzweifelhaften Wirksamkeit der Kämpfe der Arbeiterklasse fiel die Ausbeutungsrate nicht: Im Gegenteil stieg sie weiterhin, da die zunehmende Mechanisierung des Produktionsprozesses die Arbeit produktiver machte, und so die Mehrwertaneignung durch das Kapital weiter anstieg. Die Veränderung bestand nicht im Sinken der Ausbeutungsrate, sondern in der Verteuerung der Ausbeutung für das Kapital: Um die ArbeiterInnen effektiv auszubeuten, mußte das Kapital immer mehr in Maschinen und Rohstoffe investieren. Dies läßt sich z.B. an der Verlangsamung des Produktivitätsanstiegs trotz steigender Investitionen in allen großen Ökonomien zwischen 1968 und 1973 ersehen (siehe Armstrong, 1984, S. 249). Somit fiel die Profitrate (die Rate des Gewinns aus dem gesamten investierten Kapital) trotz der steigenden Ausbeutungsrate.

Der Schlüssel zum Fall der Profitrate (dokumentiert z.B. bei Glyn und Sutcliffe, 1972 und Armstrong et al., 1984) war somit die Tatsache, daß die Ausbeutung für das Kapital immer teurer wurde. Diesen Anstieg der Ausbeutungskosten bezeichnete Marx als Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals: Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion kommt es zu einem tendenziellen Anstieg des konstanten Kapitals (der Teil des Kapitals, dem die in Maschinen und Rohstoffen verkörperte tote Arbeit entspricht) im Verhältnis zum variablen Kapital (der Teil des Kapitals, dem die lebendige Arbeitskraft entspricht). Die Betonung der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals wird oft den Erklärungen der Krise aus den Kämpfen der Arbeiterklasse entgegengestellt (wie z.B. in den Debatten zwischen »Fundamentalisten« und »Neo-Ricardianern«). Wenn wir jedoch die steigende organische Zusammensetzung nicht als ein dem Klassenkampf äußerliches ökonomisches Gesetz ansehen, sondern als Ausdruck der steigenden Ausbeutungskosten, dann löst sich die Polarität zwischen Klassenkampf und kapitalistischen Entwicklungsgesetzen auf.

Warum wurde eine effektive Ausbeutung der ArbeiterInnen für das Kapital immer teurer? Die Revolte gegen die Arbeit und die Kämpfe um höhere Löhne führten unmittelbar zur Einschränkung und Unterbrechung der Ausbeutung und zum Anstieg der Kosten. Mittelbar veranlaßten sie das Kapital auch dazu, »die widerspenstige Hand der ArbeiterInnen« durch die Einführung von Maschinen zu umgehen, die die widerspenstigen und unzuverlässigen ArbeiterInnen ersetzen sollten. So gesehen ist die Antwort des Kapitals auf die besondere Dynamik dieser Kämpfe schlicht ein Teil seines generellen unaufhörlichen Kampfes zur Konsolidierung und Intensivierung seiner Herrschaft durch die Aneignung der Produkte der Arbeit und ihre Verwandlung in tote Arbeit als Hebel zur Intensivierung der Ausbeutung der lebendigen Arbeit. Das Kapital lebt davon, die Produktivkraft der Arbeit gegen sie selbst zu wenden (siehe Bonefeld, 1990). Die Notwendigkeit zur Mechanisierung wird den Einzelkapitalen zwar über den wirtschaftlichen Druck der Konkurrenz vermittelt, aber die Mechanisierung ist keine vom Klassenkampf getrennte »ökonomische Tendenz«, sondern Teil des unaufhörlichen Überlebenskampfs des Kapitals: Die steigenden Ausbeutungskosten sind Ausdruck der Schwierigkeiten der kapitalistischen Reproduktion.

Historisch neu in der Krise der steigenden Ausbeutungskosten war in den 60er Jahren die Rolle der »indirekten Ausbeutungskosten«, wie man es nennen könnte. Die Ausweitung des Staates, die nach dem Krieg zu den zentralen Stabilitätsbedingungen für eine Fortsetzung der Kapitalakkumulation gehörte, brachte erhebliche neue Kosten für das Kapital mit sich. Auch wenn Steuerreformen zentral zum ständigen Kampf des Kapitals um die Senkung der Ausbeutungskosten gehören, werden die Staatsausgaben im allgemeinen vom Kapital bezahlt, und egal, in welcher Form die Steuern erhoben werden, müssen sie von der zur Akkumulation verfügbaren Mehrwertmasse abgezogen werden (siehe Bullock und Yaffe, 1975). Die Entwicklung des keynesianischen Sozialstaates nach dem Krieg trug viel zur Effektivität und Stabilität der Ausbeutung bei, aber das hatte seinen Preis.

Die Kosten der Schaffung stabiler Akkumulationsbedingungen stiegen, während ihre Effektivität gleichzeitig nachließ. Genau wie der Lohn ein immer unwirksameres Mittel zur Kanalisierung der Revolte gegen die Arbeit darstellte, war der Staat ein immer weniger wirksames Mittel zur Kanalisierung der gesellschaftlichen Unzufriedenheit. Die Vergesellschaftung des Kapitals, zu der die Ausweitung des Staates nach dem Krieg geführt hatte, verstärkte die Entfremdung in der Gesellschaft.

Ebenso wie die fordistische Produktion den Widerspruch zwischen dem Potential der menschlichen Kreativität und der fremden Form vertiefte, die dieser Kreativität durch die kapitalistische Wertproduktion aufgezwungen wird, vertiefte die Ausweitung des Staates als Sozialstaat den Widerspruch zwischen dem Potential einer bewußten gesellschaftlichen Organisierung und der Form, die diesem Potential im Kapitalismus aufgezwungen wird - dem Staat. Als der Staat immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdrang, wuchs das Bewußtsein um den Gegensatz zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Kontrolle. Zu der Revolte gegen die Arbeit gesellte sich die Revolte gegen den Staat, die sich oft schlicht in Zerstörungswut und Kriminalität ausdrückte, aber ebenso in bewußten Kämpfen, die sich nicht leicht vom Staat integrieren ließen: Kämpfe um Wohnungen, Bildung, Gesundheit, Verkehrsmittel und so weiter (siehe z.B. Cockburn 1977; LEWRG, 1979). Die gegenseitige Durchdringung von Fabrikkämpfen und Kämpfen in der Gesellschaft, die der Mai 1968 in Frankreich und der »heiße Herbst« 1969 in Italien dramatisch vorführten, drückte den späten 60er und frühen 70er Jahren in vielen Ländern ihren Stempel auf: Dies meint Negri (1988) mit der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse im gesellschaftlichen Arbeiter (operaio sociale).

Die wachsenden Schwierigkeiten, den Protest innerhalb der etablierten Mechanismen staatlicher Schlichtung zu halten, ließen sich an den steigenden Kosten des »Forderungsmanagements« ablesen. Die für den keynesianischen Staat zentrale Institutionalisierung des Protestes beruhte nicht einfach auf einer Bürokratisierung durch Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Institutionen des Sozialstaats: Ihre materielle Stütze war die Fähigkeit, dem gebändigten Druck begrenzte, aber erhebliche Zugeständnisse zu machen. Als der Druck auf den Staat zunahm, stiegen auch die Kosten der Bändigung des Druckes, umd damit auch die Steuern und die indirekten Ausbeutungskosten.

Ende der 60er Jahre wurde immer deutlicher, daß der relativ stabile Aufschwung der Nachkriegsjahre zuende ging. In allen führenden kapitalistischen Ländern fielen die Profite (siehe Armstrong et al., 1984, S. 245 ff.) und nahmen die sozialen Unruhen zu. Steigende Kosten, und vor allem die Lohnkosten, wurden für den Fall der Profite verantwortlich gemacht, und es wurde immer stärker versucht, die Lohnsteigerungen unter Kontrolle zu bekommen und gleichzeitig die Produktivität zu steigern. Zunächst aber wurde das Nachkriegsmodell der Beziehungen zwischen Kapital und ArbeiterInnen nicht in Frage gestellt. Man glaubte, daß sich der Versuch, die Löhne unter Kontrolle zu bekommen und die Produktivität zu steigern, nur im gegebenen Rahmen durchsetzen ließe, also durch die institutionalisierte Anerkennung der Macht der ArbeiterInnen, durch die Gewerkschaften. Die Bemühungen um Kontrolle der Löhne und Steigerung der Produktivität stellten die Gewerkschaften nur noch mehr ins Zentrum des ganzen politischen Systems. Sowohl auf betrieblicher Ebene, wo einschneidende Veränderungen des Arbeitsprozesses oder der Technik nur durch Verständigung mit den Gewerkschaften möglich waren (siehe Holloway, 1987), als auch dort, wo der Staat versuchte, die Lohnsteigerungen durch irgendeine Einkommenspolitik in den Griff zu bekommen. Bald wurde klar, daß nur die aktive Mitwirkung der Gewerkschaften einer staatlichen Einkommenspolitik zum Erfolg verhelfen konnte. Der »Keynesianismus in der Krise« machte die Grundlagen des ganzen Nachkriegsmodells der Beziehungen zwischen Kapital und ArbeiterInnen sichtbar: die Anerkennung und Institutionalisierung der Macht der ArbeiterInnen und somit die zentrale Rolle der Gewerkschaften.

Der Versuch, die Löhne unter Kontrolle zu bekommen, machte die widersprüchliche Position der Gewerkschaften deutlich. Sie konnten zwar ausreichend in den Staat eingebunden werden, um sie zum Mittel zur Begrenzung von Lohnforderungen zu machen, aber die Gewerkschaften konnten die Unterstützung ihrer Mitglieder nur halten, indem sie als Gegenleistung für die Lohnzurückhaltung gleichzeitig andere staatliche Zugeständnisse aushandelten (bei der Planung, bei der Beschäftigungspolitik oder bei Verbesserungen der Sozialleistungen). Je mehr die Gewerkschaften in den Staat eingebunden wurden, um so deutlicher stützte sich das staatliche System auf die Gewährung von Zugeständnissen: Das Kapital mußte die Eindämmung der direkten Ausbeutungskosten (Löhne) mit einem Anstieg der indirekten Kosten bezahlen (steigende Staatsausgaben). Daß sich die Gewerkschaften zunehmende im Herzen des Systems eingruben, machte alles nur noch starrer: Sowohl in der Organisation der Produktion oder der Organisation des Staates wurde es immer schwieriger, größere Veränderungen durchzuführen.

Die zunehmende Integration der Gewerkschaften in den Staat machte sie scheinbar mächtige. Aber ihre Macht war die institutionalisierte Macht der ArbeiterInnen, und als Institutionen standen sie immer mehr außerhalb und gegen die Macht, die sie repräsentierten. Je mächtiger ihr Einfluß im Staat erschien, desto weniger effektiv zeigten sie sich sowohl bei der Vertretung als auch bei der Zurückhaltung ihrer Mitglieder. Ihre Macht wurde immer mehr ausgehöhlt, eine institutionelle Macht ohne Substanz. Dasselbe galt in unterschiedlichem Ausmaß für die sozialdemokratischen Parteien. Die zentrale Rolle der Gewerkschaften, die ihnen nach dem Krieg bei der Kanalisierung der Arbeitermacht innerhalb der kapitalistischen Herrschaftsweise zukam, brachte den Parteien mit engen Verbindungen zu den Gewerschaften oft eine priviligierte Stellung ein. Als die Probleme der Akkumulation ab Mitte/Ende der 60er Jahre immer deutlicher wurden, favorisierten sogar Organisationen von Kapitalvertretern sozialdemokratische Parteien als einzige Parteien, die die Forderungen der ArbeiterInnen unter Kontrolle halten könnten: Ein schönes Beispiel war die kurz vor den Wahlen 1974 »durchgesickerte« Offenbarung, daß der britische Industriellenverband (CBI) auf einen Labour-Sieg setzte. Als die widersprüchliche Position der Gewerkschaften deutlicher wurde, spitzten sich aber auch die Widersprüche innerhalb der sozialdemokratischen Parteien zu. Die Konflikte zwischen »linken« und »rechten« Flügeln verschärften sich, und sie verloren immer mehr den Kontakt zu der Klasse, die sie angeblich vertraten.

Die zunehmenden Akkumulationsprobleme drückten sich in einer zunehmenden Krise der institutionellen Strukturen des Keynesianismus aus, sowohl auf betrieblicher als auch auf staatlicher Ebene. Aber selbst als die Krise sich weiter verschärfte, reagierte das Kapital vorwiegend nicht mit einem offenen Angriff auf das etablierte Muster der gesellschaftlichen Beziehungen. Die Kontrolle des Lohns, die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben und die Unterdrükung nicht-institutionalisierter Formen von Arbeitermacht wurden stärker betont; aber die Annahmen des Keynesianismus wurden immer noch von den meisten als Rahmen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung akzeptiert. Die wachsenden Widersprüche des gesamten Herrschafts- und Kampfmusters der Nachkriegszeit wurden durch die Ausdehnung des Geldes im Zaum gehalten.

Natürlich hatte die »Partei der alten Welt« schon lange vor dem Krieg vor den Gefahren der Inflation gewarnt. Als die Roosevelt-Regierung 1933 in den USA den Goldstandard aufgab, hatte Bernard Baruch, ein führender Demokrat, protestiert:

»Das läßt sich nur noch als Herrschaft des Pöbels rechtfertigen. Vielleicht hat das Land es noch nicht begriffen, aber ich glaube, wir werden feststellen, daß wir uns in einer Revolution befunden haben, die drastischer war als die französiche Revolution. Die Masse hat den Sitz der Regierung an sich gerissen und versucht nun, den Reichtum an sich zu reißen. Der Respekt vor Recht und Ordnung ist dahin.« (zitiert nach Schlesinger, 1959, S. 202).

In gewissem Sinne hatte Baruch recht. Roosevelts Entscheidung, den Goldstandard aufzugeben, sollte die Lenkung der nationalen Wirtschaft von den Zwängen des Weltmarktes befreien, um dem starken sozialen Druck begegnen zu können. Aber dies war keine Preisgabe der Herrschaft des Geldes. Ganz im Gegenteil ließ sich die Herrschaft des Geldes nur durch finanziellen Nationalismus, durch die Abkopplung der nationalen Währungen vom internationalen Fluß der Werte vor dem »Pöbel« retten. »Rette sich wer kann«, hieß das Motto des Kapitals, als es in den verschiedenen Nationalstaaten mit Forderungen konfrontiert war, die sich nicht mit dem freien Funktionieren des internationalen Marktes vereinbaren ließen. Die Preisgabe des Goldstandards bedeutete nicht den Verzicht auf die Herrschaft des Geldes: Sie bedeutete nur, daß die Herrschaft des Geldes weitaus flexibler auf den sozialen Druck in den verschiedenen nationalen Finanzgebieten reagieren konnte.

Natürlich wurden die nationalen Währungen nicht völlig abgekoppelt. Die internationalen Kapitalströme flossen weiterhin, sowohl in Form von internationalen Finanzen als von internationalem Handel, aber weniger frei als zuvor. Eine gewisse Ordnung wurde wiederhergestellt durch die Bildung verschiedener Währungsgebiete und das dreiseitige Abkommen zwischen Frankreich, Großbritannien und den USA von 1936, in dem die Regierungen vereinbarten, einzugreifen, um feste Wechselkurse zwischen den drei wichtigsten Währungsgebieten aufrechtzuerhalten. Aber eine neue internationale Geldordnung wurde erst nach dem Krieg mit dem Abkommen von Bretton Woods von 1944 eingerichtet, das 1947 in Kraft trat.

Das System von Bretton Woods sollte die Herrschaft des internationalen Geldes mit der Anerkennung der Macht der ArbeiterInnen in Einklang bringen. Dazu wurde ein System etabliert, das um die Anerkennung des Dollars als internationaler Leitwährung herum aufgebaut war. Möglich wurde das durch die überwältigende Stärke des US-Kapitals, die am Ende des Krieges ganz klar durchgesetzt war. Der Dollar und Gold sollten austauschbar als internationales Geld dienen, wobei der Dollar zu einem festen Kurs in Gold konvertierbar sein sollte. Die nationalen Währungen wurden zu festen Wechselkursen an den Dollar gebunden. Diese Wechselkurse sollten nur im Falle eines fundamentalen Ungleichgewichts verändert werden können; der neue Internationale Währungsfond (IWF) sollte Geld bereitstellen, um kurzfristige Unausgewogenheiten auszugleichen (Burnham, 1990; Bonefeld, 1993a).

Ein Effekt dieses Systems war die Überführung der inflationären Flexibilität des Dollars in den Fluß des internationalen Geldes. Wie Mandel sagt, »etablierten die siegreichen imperialistischen Mächte des Zweiten Weltkriegs in Bretton Woods ein internationales Währungssystem, das die Basis für eine internationale Version der inflationären Kreditausweitung abgeben sollte, die inzwischen auf nationaler Ebene akzeptiert war« (1975, S. 463). Die Macht des »Pöbels«, die Roosevelt 1933 zur Aufgabe des Goldstandards gezwungen hatte, wurde nun in die internationalen Kapitalströme integriert. Der Marshall-Plan und andere Dollar-Hilfsprogramme nach dem Krieg sollten der keynesianischen Lösung auch auf internationaler Ebene zum Durchbruch verhelfen: die Verwandlung von Protest in Nachfrage durch die Schaffung von Geld (vgl. Mandel, 1975, S. 463).

Ein zweites Element des Systems von Bretton Woods war die Erhaltung eines gewissen Schutzes der nationalen Volkswirtschaften vor dem Weltmarkt. Die Stärke des gesellschaftlichen Drucks in der Krise der 30er Jahre hatte die nationalen Regierungen dazu gezwungen, durch die Preisgabe des Goldstandards und die Errichtung von Zollschranken ihre nationalen Volkswirtschaften von der zerstörerischen Macht des Weltmarktes abzuschotten. Die Festlegung fester Wechselkurse bewahrte ein gewisses Maß an Abschottung und schützte die nationalen Währungen vor kurzfristigen Geldbewegungen auf dem Weltmarkt. Es ging nicht darum, die nationalen Volkswirtschaften vom internationalen Kapitalfluß abzuschotten, sondern eine Reihe von Ventilen zu schaffen, um diesen Fluß zu regulieren und einen gewissen kurzfristigen Schutz zu bewahren. Ebenso wie die Preisgabe des Goldstandards ein entscheidender Teil von Roosevelts New Deal gewesen war, so war die Bewahrung dieser Ventile ein wesentlicher Teil der keynesianischen Vorstellung von aktiver Staatsintervention.

Sowohl durch die Rolle des Dollars als auch durch das System der festen Wechselkurse wurde die Macht »des Pöbels« in das internationale Währungssystem eingebunden, um dort als Instabilität wiederaufzutauchen.

Den Kern dieser Instabilität stellt die seit dem Krieg für die Kapitalakkumulation entscheidende Ausweitung des Kredits dar. Die neue internationale Geldordnung vergrößerte den Spielraum für die Ausweitung der Kredite auf nationaler Ebene und sorgte durch die doppelte Rolle des Dollars als nationale und internationale Währung zwangsläufig dafür, daß die Kreditinflation in den USA als Element von Instabilität in das internationale System eindrang.

Die Ausweitung der Kredite zur Aufrechterhaltung der Nachfrage, zu der die Stärke des gesellschaftlichen Drucks die Regierungen in den 30er Jahren gezwungen hatte, war von Keynes theoretisch als dauerhafter Bestandteil von Wirtschaftspolitik gerechtfertigt worden. Praktisch war die Hauptursache der Kreditausweitung in der Nachkriegszeit aber nicht die Defizit-Finanzierung durch den Staat, sondern die Ausweitung von Überziehungskrediten, die die Banken dem Privatsektor gewährten: sowohl Produktionskrediten für Firmen als auch Konsumentenkrediten für Privatpersonen, hauptsächlich zum Kauf von Häusern und langlebigen Konsumgütern. Die private Verschuldung in den USA stieg zwischen 1946 und 1974 von 73,6 auf 140 Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes, während die öffentlichen Schulden tatsächlich proportional zurückgingen (Mandel, 1975, S. 418). Die nationalen Regierungen übten also nur indirekte Kontrolle über einen Großteil der Kreditausweitung aus. Hinter dieser Ausweitung stand die Kreditnachfrage des produktiven Kapitals und der Konsumenten, die nach einem höheren Lebensstandard strebten, aber auch das Angebot an verleihbarem Kapital, das sicherere Gewinne suchte, als sich durch Direktinvestitionen in die Produktion erwarten ließen.

Die Entwicklung eines Dollarmarkts außerhalb der Vereinigten Staaten, der sogenannte »Eurodollarmarkt«, verschäfte die fehlende staatliche Kontrolle über die Kreditausweitung noch erheblich. Dies lag an der Stellung des Dollars als internationaler Währung. Die Genesung der kapitalistischen Volkswirtschaften in anderen Ländern nach dem Krieg führte allmählich zu einem relativen Niedergang der Vormachtstellung der US-Wirtschaft. Die Dollars, die die Weltmärkte überfluteten und anfänglich dazu gedient hatten, aus den USA exportierte Waren zu kaufen, verwandelten sich zunehmend in Reserven in europäischen Banken (Bonefeld, 1993a). Diese Reserven dienten dann zunehmend als Quelle für Kredite sowohl an den Staat als auch an privates Kapital. Ab Anfang der 60er Jahre wuchs ein internationaler Finanzmarkt außerhalb jeder staatlichen Kontrolle und neben den nationalen, regulierten Märkten heran. Schon 1969 befanden sich 40 Milliarden Dollar (1964 waren es 11 Milliarden gewesen) in den Händen anderer kapitalistischer Länder, was die Goldreserven der USA bei weitem übertraf (Bonefeld, 1990). Unter diesen Umständen erschien die Konvertibilität des Dollars mit dem Gold nun immer brüchiger.

Die Brüchigkeit des internationalen Währungssystems wurde deutlicher, als sich die steigenden Kosten der Ausbeutung der ArbeiterInnen spürbar in fallenden Profiten und zunehmenden sozialen Spannungen ausdrückten. Die Nachfrage nach Krediten stieg, da die Staaten auf den gesellschaftlichen Druck zu reagieren und die sinkende Nachfrage zu stützen versuchten und Firmen Kredite aufnahmen, um während ihrer - so hofften sie - vorübergehenden Schwierigkeiten flüssig zu bleiben. Außerdem stieg das Kreditangebot, da das Kapital Anlagemöglichkeiten suchte, die profitabler und sicherer waren als produktive Investitionen.

Eine weitere Quelle der Instabilität entsprang der veränderten Stellung der nationalen Währungen, die im Bretton-Woods-System durch feste Wechselkurse an den Dollar gekoppelt waren. Die festen Wechselkurse schotteten die nationalen Währungen vor kurzfristigen Spekulationen auf den internationalen Geldmärkten ab. Der Preis dafür waren aber möglicherweise chronische Zahlungsbilanzprobleme und schließlich verschärfte Spekulation, als die Notwendigkeit einer Änderung der festen Wechselkurse sichtbar wurde. Die Verbindung zwischen Weltmarkt und nationaler Wirtschaft machte sich dann in der Form einer heftigen Währungskrise geltend. So ging es dem Pfund Sterling, als sich der Niedergang der britischen Wirtschaft in Zahlungsbilanzproblemen, Spekulationen und 1967 schließlich in der Abwertung des Pfunds ausdrückte.

Die Abwertung des Pfundes, das bei internationalen Transaktionen immer noch eine wichtige Währung darstellte, machte die Stellung des Dollars, die durch die Ausweitung des Eurodollarmarkts und den ungeheuren Anstieg der öffentlichen Verschuldung durch den vergeblichen Versuch, die Revolution in Vietnam zu ersticken, bereits stark angegriffen war, noch brüchiger. Die Unmöglichkeit, nationale und internationale soziale Spannungen anders als durch eine Ausweitung der Kredite in den Griff zu bekommen, drückte sich in zunehmender Instabilität des Geldes aus. Immer mehr Dollarbesitzer versuchten sich abzusichern, indem sie ihre Dollar in Gold konvertierten. Angesichts des enormen Ungleichgewichts zwischen der Dollarmenge und den Goldreserven der USA, verkündete die Nixon-Regierung im August 1971 die Aufhebung der Konvertibilität von Dollar und Gold auf unbestimmte Zeit. Durch das Smithsonian Agreement von Dezember 1971 wurde ein neues System fester Wechselkurse eingerichtet, aber auch dies geriet unter starken Spekulationsdruck, und im März 1973 wurde das Prinzip der festen Wechselkurse aufgegeben (Bonefeld, 1993a; Armstrong et al., 1984, S. 293).

Soweit das System der festen Wechselkurse die nationalen Währungen vor kurzfristigen spekulativen Kapitalbewegungen geschützt hatte, bedeutete der endgültige Tod von Bretton Woods den Wegfall dieses Schutzes. Die Politik der Staaten war wieder direkt dem Geldfluß auf den internationalen Märkten unterworfen. Bonefeld (1993b, S. 58 f.) drückt es so aus: »Letztenendes wird jeder irgendwie mit der weltweiten Akkumulation 'inkompatible' inländische Versuch von Akkumulationssteuerung durch den Spekulationsdruck auf seine nationale Währung bestraft. Dieser Druck setzte der nationalen Herrschaft über das Geld und die Ausweitung des Kredits Grenzen und ordnete die nationale Politik der internationalen Geldbewegung unter«. Das bedeutete aber keine Rückkehr zum Goldstandard, diesem Reich scheinbar sicherer Macht, das die »Partei der alten Welt« so wacker gegen Roosevelt, die Keynesianer und die Plünderungen »des Pöbels« verteidigt hatte. Das internationale Geld wurde nun nicht mehr durch das Gold dargestellt, sondern durch den Dollar, und es bewegte sich nun viel schneller und flüchtiger, als es das zu Zeiten des Goldstandards je getan hatte.

Der Druck auf das alte Nachkriegsmuster gesellschaftlicher Beziehungen stieg von allen Seiten. Fallende Profite und zunehmende soziale Unruhen verhöhnten die keynesianischen Behauptungen über eine Versöhnung der sozialen Konflikte und die Sicherung einer harmonischen, krisenfreien Entwicklung des Kapitalismus. Der Zusammenbruch des internationalen Währungssystems beseitigte die Abschottung vom Weltmarkt, einen der wesentlichen Bestandteile des keynesianischen Konzepts der Staatsintervention. Diese Spannungen schlugen sich in der scharfen Krise von 1974/75 nieder: In allen führenden Ländern sackte die Produktion in den Keller, Arbeitslosigkeit und Inflation erklommen neue Höhen (Mandel, 1978, S. 14) und der Strom der »Petrodollars« in die Eurodollarmärkte verstärkte die Unbeständigkeit des weltweiten Geldsystems.

Alle verkündeten den Tod des Keynesianismus. In den Debatten der Ökonomen verloren die Keynesianer rapide an Boden gegenüber den wieder in Mode gekommenen monetaristischen Theorien. In Großbritannien, den USA und auch anderswo attackierten Konservative die Ausweitung des Staates, die Stellung der Gewerkschaften und die »Politik des Konsenses«, und rechtfertigten ihre Positionen mit den Theorien von Leuten wie Hayek und Friedmann. Sogar sozialdemokratische Parteien, deren Stellung im politischen System von der Anerkennung der Macht der ArbeiterInnen abhing, denunzierten den Keynesianismus nun als nicht mehr realistisch. Premierminister James Callaghan faßte das 1976 auf der Konferenz der Labour Party in die Worte:

»Wir dachten immer, man könne mit Ausgaben Rezessionen überwinden und die Beschäftigung durch Steuersenkungen und verstärkte Staatsausgaben ankurbeln. Ich sage euch ganz offen, daß diese Option nicht mehr existiert, und soweit sie je existiert hat, dann hat sie nur dadurch funktioniert, daß wir der Wirtschaft jedesmal seit dem Krieg eine höhere Dosis Inflation verabreicht haben, woraufhin immer sofort die Arbeitslosigkeit gestiegen ist.«

Der New Deal war vorbei, das Spiel zuende. So sah es wenigstens aus. Aber bis dahin hatte nur einer der Spieler den Tisch verlassen. Die gesellschaftlichen Kräfte, die dem Kapital die Anerkennung der Arbeitermacht aufzwungen hatten, existierten noch immer, und zwar stärker denn je, und durch bloße Erklärungen von Politikern ließen sie sich nicht abschaffen. Und wenn das keynesianische Spiel vorbei war, welches sollten dann die neuen Regeln sein? Es hatte über 30 Jahre Kampf und Millionen von Toten gebraucht, bis der Keynesianismus etabliert war. Nach fast 30 Jahren relativer Stabilität stand der Kapitalismus wieder im Chaos. Sollte sich eine neue Ordnung einfach durch den Willen der Politiker durchsetzen lassen, oder würde die Welt erneut Zerstörung und Elend durchmachen müssen? Der Abgrund hatte sich aufgetan.


Literatur:

Armstrong, P., Glyn, A. and Harrison, J. (1984) Capitalism since World War II (London: Fontana).

Beynon, H. (1973) Working for Ford, (Harmondsworth: Penguin).

Bonefeld, W. (1988) »Class Struggle and the Permanence of Primitive Accumulation«, Common Sense 6.

Bonefeld, W. (1990) »The State Form and the Developement of the State under Monetarism«, Ph D.thesis, University of Edingburgh.

Bonefeld, W. (1993a) The Recomposition of the Britih State Duruing the 1980s, (Aldershot: Dartmouth).

Bonefeld, W. (1993b) »The Global Money Power and the Crisis of Keynesianism«, Common Sense 13.

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Foster, W.T. ans Catchings, W. (1928) The Road to Plenty, (New York: Popular Edition).

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Gordon, D. Edwards, R. and Reich, M. (1982) Segmented Work, Divided Workers: The Historical Transformation of Labour in the US (Cambridge: Cambridge University Press).

Holloway, J. (1987) »The Red Rose of Nissan«, Capital & Class 32.

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Schlesinger, A. (1959) The Age of Roosevelt: The Coming of the New Deal (Cambridge, Mass.: The Riverside Press).

Tronti, M. (1976) »Workers and Capital«, in The Labour Process and Class Strategies, CSE Pamphlet 1 (London: Stage 1).


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