Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 34-36 [z18buchb.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 18] [Ausgaben] [Artikel] [Themen]

Theorien gegen die Arbeit:

Moishe Postone

Die Besprechung des Buches von Moishe Postone in der Zeitschrift Capital & Class endet mit der Feststellung, daß Postone ein revisionistischer Marxist sei, aber die von ihm gelieferte Kritik der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Marx darstelle. Es ist ein interessantes Phänomen, daß heute fast jeder ernstzunehmende Versuch einer Diskussion über die Theorie von Marx an seiner radikalen Kritik der Arbeit - der Arbeit schlechthin, nicht nur der Lohnarbeit wie bei Engels! - nicht vorbeikommt. Genauso auffällig ist aber, daß diese Versuche alle »revisionistisch« in dem Sinne sind, daß sie von der bei Marx mit dieser Kritik verbundenen These, die Arbeiterklasse oder das Proletariat bilde in seiner Bewegung das historische Subjekt, das allein die Kritik der Arbeit praktisch durchführen könne, abrücken und sie zunehmend leugnen (Postone, Gorz, die Krisis-Gruppe um Kurz usw.).

Postone bemüht sich seit zwanzig Jahren (siehe die untenstehende Textliste), wieder an den kritischen Gehalt der Theorie von Marx zu erinnern und nimmt dabei den orthodoxen Marxismus oder Ansätze der kritischen Theorie aufs Korn. Wenn er dies heute noch genauso wie vor zwanzig Jahren mit dem Gestus des einsamen Kämpfers gegen die übermächtige Marxorthodoxie tut, dann wirkt das in der Tat - wie Chris Arthur bemerkt - etwas lächerlich. Postone behandelt an vielen Stellen dieselben Fragen, die den Ausgangspunkt der sogenannten »operaistischen« Theorie in Italien bildeten: Er kritisiert die Vorstellung, der Kapitalismus sei eine Marktwirtschaft und könne daher durch Planung überwunden werden. Indem er an die Marxsche Entdeckung erinnert, daß die Produktionsverhältnisse die Distributionsweisen bestimmen und nicht umgekehrt, kann er den Plan als etwas dem Kapitalismus zugehöriges kritisieren. Er betont, daß sich die kapitalistischen Verhältnisse tief in die gesamte Struktur des Produktionsprozesse eingeprägt haben, daß sie die Produktionsformen stofflich bestimmen, es mit der bloßen Änderung von Eigentumsverhältnisse nicht getan ist. Und daß es daher auch nicht um die Veränderung der Arbeit, sondern um ihre Zurückdrängung und Abschaffung geht. Die Texte von Raniero Panzieri zu Plan und Maschinerie kritisieren in ganz ähnlicher Weise die Vorstellungen des zur Partei- und Staatsideologie geronnen Marxismus (nachgedruckt in Thekla 7, siehe auch den Artikel zum Operaismus in Wildcat 64/65). Diese gesamte Theorieströmung wird von Postone an keinem Punkt erwähnt - dabei benutzt er teilweise fast identische Formulierungen, wie sie bei dem damaligen »Philosophen« der Operaismus, Mario Tronti, zu finden sind (s. Arbeiter und Kapital, nachgedruckt in Thekla 9). Daß er sie nicht kannte, ist schwer vorstellbar, da er sich in den 70er Jahren an der Frankfurter Uni aufhielt. Entweder gehorcht er mit dieser Ignoranz den Diktaten des Wissenschaftsbetriebes, der die operaistischen Strömungen schon bald als »terroristische« ausgrenzte, oder er vermeidet bewußt eine Auseinandersetzung, weil von Leuten wie Panzieri die radikale Kritik der orthodoxen Auffassungen mit einer Neubegründung des Klassenkampfs verbunden wurde. Postone sucht dagegen seine Adressaten im Kreis der »neuen sozialen Bewegungen«, so wie Gorz oder Kurz es auch tun und damit in ihren praktischen Konsequenzen unweigerlich in reformistische Vorschläge für den Kapitalismus abgleiten.

Hinter dieser theoretischen Trennung von Kritik der Arbeit und Klassenantagonismus steckt das reale politische Problem der »Spaltung zwischen Klassenbewegung und Revolte«, wie wir es in den 80er Jahren genannt haben. Über diese materielle Grundlage, die sowohl die verbreitete Kritik an der Arbeit trägt, wie auch die Verabschiedung vom Proletariat, kann sich Postone aber nicht vergewissern. In diesem Sinne ist er blind gegenüber den Konstitutionsbedingungen seines eigenen theoretischen Tuns. Überhaupt fällt es auf, daß er den philosophischen Horizont nie verläßt. Er fordert zwar an vielen Punkten dazu auf, seine theoretisch geschärfte Kritik mit der Analyse der wirklichen Entwicklungen zu verbinden, aber sowohl in dem Aufsatz in Social Research wie in dem besprochenen Buch bricht er immer genau an den Punkten ab, wo es spannend werden würde. Für Marx war alles Theoretisieren wertlos, das sich nicht auf eine genaue Untersuchung und Kenntnis der wirklichen historischen Entwicklung bezog.

Was Leute wie Postone oder Kurz kennzeichnet, ist ihre erstaunliche Unwissenheit über das wirkliche gesellschaftliche Verhalten zur Arbeit. Während ihre Theorien auf einer abstrakten leidenschaftslosen Ebene die Ablehnung der Arbeit vertreten, unterstellen sie denjenigen, die arbeiten müssen, eine ständige Liebe zur Arbeit. Und dies, obwohl sämtliche sozialen Indikatoren das Gegenteil zeigen. Arbeiterklasse oder Klassenkampf bekommen sie aufgrund ihrer empirischen Unwissenheit nur an seinen oberflächlichsten Kondensaten zu packen, an den Gewerkschaften und Resten von Arbeiterparteien. Auch hier verstoßen sie fundamental gegen ihren Pathos der Entmystifizierung, sitzen selber den im Kapitalismus zwangsläufigen verkehrten Erscheinungsformen auf. Daß diese Verkehrungen dem Kapital eigentümlich sind, beten sie als etwas intelligentere Marxepigonen beständig nach. Nur da, wo es darum ginge, diese Verkehrungen an den aktuellen gesellschaftlichen Formen und Institutionen zu kritisieren, scheitern sie, da ihre Kritik gerade so weit reicht, wie Marx es ihnen vorbuchstabiert hat, also etwa bis 1870. Die breite Institutionalisierung und Mystifizierung des Klassenkonflikts durch Sozialstaat, Gewerkschaften und Tarifautonomie gab es damals nicht. Statt nun, so wie die Marxsche Kritik es an der Ware oder am Geld getan hat, hinter diese sozialen Vergegenständlichungen zu schauen, nehmen sie den ersten Anschein für bare Münze und versuchen, die Realität aus ihren Kategorien abzuleiten.

Bei Postone führt dies zu einer für einen so tiefschürfenden Denker überraschenden sprachlichen Ungenauigkeit: in seinem Buch gebraucht er durchgehend 'Arbeit' und 'Arbeiter' als identische Begriffe und kopiert so den vulgären, für die Gewerkschaftsbewegung typischen Sprachgebrauch »Arbeit und Kapital«, »Konflikt zwischen Arbeit und Kapital«. In dieser Sprachverwirrung folgt ihm Arthur, wie der untenstehende Text zeigt. Er sieht zwar noch den Unterschied zwischen Arbeit und lebendigem Arbeiter, setzt aber einen »kritischen Standpunkt der Arbeit« umstandslos mit einem »Klassenstandpunkt« gleich. Postone und Arthur sind professionelle Philosophen - möglicherweise ignorieren sie daher die Philosophiekritik von Marx, der diese Verwandlung von Eigenschaften und Tätigkeiten in selbständige Subjekte als den Kernfehler der Philosophie benannt hat. Daß wir heute so selbstverständlich von der »Arbeit« reden und dazu neigen, sie in ein handelndes Subjekt zu verwandeln, ist selbst nur der besonderen Vergegenständlichung einer lebendigen Tätigkeit in totes Kapital zuzuschreiben.

Wildcat hat immer versucht, sowohl praktisch wie theoretisch gegen diese Spaltung von Klassenkampf und Revolte anzugehen; eine Spaltung, die der Staat durch die Ruhigstellung finanziert und auf deren materiellen Basis überhaupt erst das Phänomen der vom Proletariat isolierten »sozialen Bewegungen« zu verstehen ist (siehe die Bemerkungen zum Existenzgeld in diesem Zirkular). Diejenigen, die heute nach den Konstitutionsbedingungen eines neuen weltweiten und antagonistischen Klassenkampfs fragen, haben meistens eine radikale Kritik der Arbeit über Bord geworfen - umgekehrt sehen die radikalen Kritiker der Arbeit keinen Antagonismus mehr und flüchten sich daher entweder in die Mystifikation objektiver Gesetzmäßigkeiten, die den Zusammenbruch des Kapitalismus herbeiführen sollen (Kurz), oder in die Hoffnung auf das allgemeinmenschliche Leiden an Arbeit und Entfremdung (Postone), das zu keinem Antagonismus und daher auch zu keinem revolutionären Bruch führen kann.

Im Unterschied zu den Reformisten der Arbeit (gegen die falsche Arbeit, für mehr Zeitsouveränität, für eine sinnvolle Arbeit, für mehr Selbstbestimmung in der Arbeit, die Idee, es könne eine nicht-entfremdete Arbeit geben usw.) halten Leute wie Postone auf einer sehr abstrakten theoretischen Ebene (dort sogar André Gorz) an der radikalen Ablehnung der Arbeit fest, greifen das auf, was Marx über Befreiung als Befreiung von Arbeit gesagt hat. Aber da, wo sie zu politisch-praktischen Konsequenzen kommen wollen, landet vieles wieder in dem Mief der kleinen reformistischen Veränderung.

Trotzdem plädiere ich dafür, uns nicht aus diesen Debatten herauszuhalten, sondern die jeweiligen Bornierungen und Begrenzungen sehr genau zu kritisieren - gerade um die Kritik der Arbeit mit der Perspektive einer weltweiten revolutionären Bewegung zusammenzubringen. (F.)

 

Weitere Texte von Moishe Postone:


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 18] [Ausgaben] [Artikel] [Themen]