http://clov.blogsport.de/2006/12/20/hinreichende-rechtfertigung-eines-grundsaetzlichen-idealismus-in-post-marxistischer-absicht/ Hinreichende Rechtfertigung eines grundsätzlichen Idealismus in post-marxistischer Absicht. // Endspiel

Hinreichende Rechtfertigung eines grundsätzlichen Idealismus in post-marxistischer Absicht.

(Der Text nimmt starken Bezug auf eine Diskussion, die hier tobt. Die grundsätzliche Argumentation richtet sich gegen ein Kritik-Verständnis, das wenn nicht schon dogmatisch, bestenfalls als naives zu betrachten ist. Ausgangspunkt sind hier die Thesen und Argumente, die M.Punkt und Richard in der verlinkten Diskussion vortragen haben. Zudem rede ich gegen den A-Historismus, der beinahe alle, aber insbesondere tees Positionen durchwaltet. VordenkerInnen wollen nicht nachgeplappert sondern kritisch weitergedacht werden. Sic!

These 1
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Ohne Idealismus ist menschliches Denken bestenfalls nutzlos, rein apodiktisch, d.h. zu keinem Konsens, keiner Einigung fähig, letztlich keinem Argument zugänglich. Man sagt auch naiv und/oder dogmatisch.

[Kommentar] Diese These widerspricht grundsätzlich der von Richard: “Idealistische Vorstellungen bringens nicht.”, die ich im übrigen für eine pure Luxus-Position westlicher Intellektueller, kurz für dekadent halte. Denn ich frage mich schon, wie ein in einem KZ internierter Rollstuhlfahrer noch ans Laufen denken soll. Der Vorwurf, angesichts der Situation doch mal NUR realistisch “vernünftig” zu denken, ist schlechtweg absurd und anmaßend. Trost (Trotz) und Erbauung (Widerstand) sind wichtige Kraftquellen menschlichen Handelns, ohne dass sie religiös fundiert sein müssen. Das ist die praktische Seite, die Richard ja selbst mit dem Nutzen-Argument einführt.
Theoretisch dagegen ist kaum einzusehen, wie sich die hohe Dynamik, Flexibilität unserer Begrifflichkeiten, deren Offenheit sie als inter-subjektive, also kommunizierbare auszeichnet, wie sich dieser Charakter des menschlichen Denkvermögens ohne idealistische Prämissen erklären lassen soll. Ich zweifle grundsätzlich die Kantsche These an, dass uns ein Haushalt von rein analytischen Begriffen per Geburt/via göttlichem Atem gegeben wird, aus denen wir alle Gegenstände der Erfahrung ableiten können. Hier darf man auch keineswegs die “Deduktion des Verstandeskategorien” von der “transzendentalen Idealität” der Vernunft trennen und damit die Kantsche Konzeption in zwei nichtssagende Teile zerschneiden.
Im Gegenteil bin ich der festen Überzeugung, dass alle Begriffe des menschlichen Bewußtsein, als gelernte und selbstkritisch hinterfragte, synthetisch bleiben. Noch schärfer ausgedrückt, keine Denkbewegung uns die Klarheit über den bedachten Gegenstand verschaffen kann, die die gesamte positivistische Naturforschung und/oder Analytische Philosophie (älter: Rationalismus) suggeriert. Und selbst wenn diese Einsicht gelänge, wäre sie nur halb wahr, würde von den subjektiven Bedingungen der Gegenstandskonstruktion völlig abstrahieren und damit einen für die menschliche Erkenntnis entscheidenden Teil vernachlässigen. Jenen nämlich, wie sich solcherlei verschafftes Wissen ALS PRAXIS kollektiv verwirklichen ließe.

These 2
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Kritik ohne ideologischen Überbau (Selbstkritik!) ist historisch und praktisch nicht haltbar. Insofern wurde der Materialismus in zwei intensiven Phasen der Neuzeit, im Zuge der Aufklärung und als Konsequenz in der postfaschistischen Spätmoderne eingehend widerlegt.

[Kommentar] Hier liegt überhaupt mein theoretischer Kontrapunkt. M.Punkt und Richard, ihr beide verwendet einen dogmatischen Kritikbegriff. Laut Euren Aussagen bestände Kritik darin Fehler aufzudecken bzw. verkehrte Gedanken bestenfalls “aufzuklären”, zu belehren. Kritik ist aber kein Rotstift, der eine Kette von Argumenten auf Richtigkeit korrigiert oder wie eine Wünschelrute immer das richtige Argument findet. Wahrheit operiert man nicht qua Logik in fremde Köpfe, dieses methodisch/pädagogische Problem hat der gesamte Idealismus vom kritischen Kants, über den subjektiven Fichtes, dem absoluten Hegels, dem dialektischen Marxens (richtig gehört!) bis hin zum negativen Adornos ausgeblendet. Einzig der objektive Idealismus, dem Ihr näher steht, als Ihr zu meinen glaubt, hat dies gesehen. Freilich nur rein negativ, indem Schelling behauptete, entweder man hätte eine ‘intellektuelle Anschauung’ und damit “wie aus der Pistole geschossen” (Hegel) wahre Begriffe oder eben nicht. Die notwendige, selbstkritische Reflektion auf Euren Gegenstand, seine subjektiv intendierten und Eure eigenen, diesen Gegenstand mitgenerierenden Zwecke, auf seine Entwicklungsgeschichte und auf Eure angewandten Mittel fällt zu Gunsten einer dogmatisch möglichst ausgehärteten Meinung aus.

These 3
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Kritik ohne materialistische Basis (Anschauung/Erfahrung/Empirie) ist a-historisch und blind, insbesondere gegenüber der Praxis, die sie selbst durch ihren Fortgang (re-)produziert.

[Kommentar] Sind wir uns einerseits darüber einig, dass der Gegenstand einer spekulativen (auf Wissen gerichteten) Erkenntnis nicht fiktiv, sondern real sein soll, divergieren wir doch erheblich in dem Punkt, was denn diese “Materie” unserer Erkenntnisse sein soll. Man muß allerdings schon zur Unmittelbarkeits-Metaphysik des mittelalterlichen Kontinental-Europa zurück, unter Ausblendung des gesamten skeptiszistischen Empirismus, um die Gegenstände unserer Erfahrung rein objektiv zu setzen. Kants Kritizismus ist es zuallerst, der diesen Trugschluß als dogmatischen entlarvt und damit der gesamten modernen Kritik ihren Weg weist. Er zeigt auch, dass es sehr wohl synthetische Begriffe a priori, also Begriffe fern jeder unmittelbaren Erfahrung gibt, ja geben muß, wenn Erkenntnis möglich sein soll. Für ihn ist der der Freiheit geradewegs ein solcher. Freiheit zu denken, ist für ihn die notwendige Voraussetzung um aufrecht laufen zu können bzw. sich hierfür die Mittel an die Hand zu geben. Kants Deduktion von rein analytischen Begriffen aus der Erfahrung dagegen, hat der nachfolgenden Kritik nicht standgehalten. Der bürgerliche Wissenschaftsbetrieb hat zwar unter dem Banner des “Positivismus” allerlei Götzenbilder des rein Objektiven geschaffen, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert scheint sein innerer Dogmatismus jedoch hinreichend entlarvt. Vor den kritischen Augen der historisch und praktisch arbeitenden Wissenschaften ist der positivistische Methodenstreit letztlich nichts als ein Rückzugsgefecht.
Der an Kant anschließende Idealismus war darüber immer hinaus. Hier ging es darum den Gegenstand der Erkenntnis als EINHEIT bzw. IDENTITÄT von Subjekt und Objekt (S/O) zu denken. Diese christlich inspirierte Harmonielehre des “Tübinger Stifts” (Schlegel, Hölderlin, Schelling, Hegel etc. pp.) inthronisierte den reinen Begriff und gipfelte in Hegels kühlem Heilsversprechen: Was richtig war, wird man erst wissen, wenns getan und was getan, war richtig dann. DAGEGEN richtet Marx den Zielpunkt der Kritik. Die Identität von S/O im Gegenstand läßt sich nicht harmonistisch (geistlich) lösen, sie steht praktisch in Frage, sie ist WIDERSPRUCH. Der richtige Begriff ist somit einmal immer historisch, und zum Zweiten gar nicht von den praktischen Zwecken, die ihn bewegen, ablösbar. Es gibt hier keine theoretische Demarkationslinie zwischen dem analytischen und dem historischen Marx. Dererlei Annahmen sind höchstens dogmatische Abwehrversuche gegen die postmarxistische Kritik. Ich verkürze: Der Zielpunkt einer materialistischen Kritik, wie Marx sie inspiriert, ist ein geschichtlich synthetischer Gegenstand, dessen S-O-Widerspruch entfaltet werden SOLL. Aber eben nicht rein LOGISCH, indem man nur die Begriffe “kreisen” läßt, sondern MATERIELL, indem man die “Basis” gegen den “Überbau” mobilisiert, anhand konkreter Zustände die Unzulänglichkeiten der ideologischen Begriffe aufdeckt. Reine Ideologiekritik war dem positivistisch forschenden Marx zu wider. Und auch der Zweck seiner Arbeit stand ihm klar vor Augen, hat seinen Gegenstand mit generiert und mußte selbigem nicht von späteren Generationen hinterrücks induziert werden, wie das die angebliche “Grundlagenforscher” behaupten, um dreckiger Forschung den Schein von weißer Weste zu geben.

Zur Diskussion der Thesen bitte weiter im Kommentar lesen … hier!


13 Antworten auf “Hinreichende Rechtfertigung eines grundsätzlichen Idealismus in post-marxistischer Absicht.”

  1. 1 Administrator 20. Dezember 2006 um 23:03 Uhr

    DISKUSSION DER THESEN
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    „Denken heißt identifizieren.“ sagt Adorno - und das ist, in idealistischer Quintessenz, Segen und Fluch zugleich. Ist der allgemeine Begriff in absoluto an sich wahr, weil er in concreto alle Unwahrheit in sich aufhebt (Hegel), so ist er auch umgekehrt für sich absolut falsch, weil er alle konkrete Wahrheit vernichtet (Adorno). Wahrheit ist also stets flüchtig, beweglich, vergänglich und nicht festzuhalten. Jeder universalistische Definitionsversuch ist als dogmatische Täuschung entlarvt. Diese idealistische Zäsur scheint mir bisher zu wenig gewürdigt. Aber Anarchisten wie bspw. Landauer haben das durchaus gesehen. Der Idealismus hat das Selbstverständliche, das in der Darstellungsweise der alten Griechen lag, zuallererst in kritisches Licht gerückt, indem er sich mit den Bedingungen der Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis historisch und praktisch auseinandersetzte. Moderne DISKURS-Macht-Analysen auf dem Niveau der Foucaultschen Arbeiten oder Ideologiekritik im allgemeinen bspw. wären heute undenkbar ohne die Aufarbeitung der Philosophie- und Geistesgeschichte, wie sie die historisch-idealistischen Schulen am Ausgang des 18. und Eingang des 19. Jahrhunderts leisteten. Marx undenkbar ohne den idealistisch entwickelten Begriff von ‘Bewußtsein’. Und Adornos Position ist schließlich ein reiner Wahrheitsglaube (Idealismus pur), von dem nicht abgewichen werden DARF und darin der Euren sehr ähnlich. Nebenbei ein schmales Brett, wenn man bedenkt, dass dieser bloße Glaube gegen notwendig falsches Denken mobilisiert wird. Aber soweit geht Ihr ja nicht. Ihr wollt Euch per Kritik zur Wahrheit durchschlagen, das ist auch löblich, doch bleibt ihr gegenüber Euren Mitteln/Techniken wie auch gegenüber Euren Gegenständen blind. M.Punkt, Du sagst: “…denn man muss ja erst die grundlegenden Eigenschaften eines Gegenstandes kennen (Grundlagenforschung), bevor man sich darüber Gedanken machen kann, wie man die für Zweck x oder y einsetzen könnte …” - das ist aber schlechterdings nicht möglich, da die vorgestellten Zwecke den Gegenstand wesentlich MITgenerieren. Darin besteht ja gerade die Kritik am bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb, dessen Agenten meinen im Elfenbeinturm zu residieren, während sie bewußtlos eben jene Machttechniken produzieren, die sie dann am akademischen Stammtisch anprangern. Auch Marx würde dank seiner Hegelschen Inspiration gegen Engels argumentieren, dass die Erfahrung der bürgerlichen Gesellschaft ALS Gegenstand einer Theorie bereits auf die durchs Subjekt in sie induzierten Zwecke reflektieren muß. D.h. aber auch, dass sie und damit der Gegenstand als solcher beweglich und historisch vergänglich ist. Der gesamte historisch dialektische Materialismus Marxens hat seine Geltung nur, wenn er sich auch an der konkreten, historisch gegenwärtigen Erfahrung bewähren läßt. Und genau deshalb erscheint uns heute der Begriff des “Klassenbewußtseins” so ausgedünnt, als nur fader Idealismus der gewerkschaftlichen Bewegung, die sich nicht mehr anders denn als Degeneration beschreiben läßt und darin von der bürgerlichen kaum noch unterscheidet.
    Diese entscheidende Wendung des historisch überlieferten Begriffs von ‘Kritik’ überseht Ihr einfach. Als erkenntniskritisches wurde sie über das ideologiekritische zum selbstkritischen Denkmittel. Aus der aufklärerischen Kritik am theistischen Dogma wurde die Kritik der Klassengesellschaft, und heute steht auf materialistischem Boden nichts anderes dringlicher im Vordergrund als die Selbstkritik der “Klasse”. DAS ist der Bezug aufs Ganze, nicht ein universalistischer Defintionsreflex.

    Euer Gegenstand in dem hier spezifisch exerzierten Fall von Kritik ist also synthetisch zu verstehen. Er ist nicht nur ein SELBST MIT erzeugtes oder gar fremdes Argument - das ließe sich nämlich gar nicht so einfach vom konkreten Gedanken isolieren und bliebe zudem auf dem Niveau von punktuellen Ausschnitten (Stichwort: Atomismus als Wiege des Rationalismus^^) stehen, sondern der gesetzte Gegenstand ist Euch das inter-subjektive Bewußtsein einer kleinen aber gegenwärtig sehr lebendigen Bewegung mit der Selbstbezeichnung “A-Gruppe”, dessen Kontinuität Ihr vielmehr noch fortschreibt, indem Ihr Euch kritisch darauf bezieht, als wenn Ihr schweigen würdet. Hier muß man auch tee widersprechen, denn Offenheit mit Beliebigkeit zu verwechseln, ist genauso fahrlässig, wie Wahrheit mit Dogmatismus auszutauschen und “Inspiration” kann schließlich nicht mehr als den Anfang eines gemeinsamen Bewußtseins abgeben, das zu kollektivem Handeln führt und ja auch führen SOLL. Homogenes Bewußtsein dagegen ist von lebendigem prinzipiell zu scheiden. Homogenität (Einheit/Identität) stellt sich heute nicht anders denn als Totes/Bewußtloses dar, als Formel, Rechtssatz, Verwaltungsregel und ist mithin der Restbestand des Subjektiven in jeder geselligen Institution. Der allgemeine Geist, der sie ins Werk setzte, ist “verwest”, der Funktionär oder Beamte nur noch Automat eines erblindeten Verwaltungsaktes. Diese zugegebenermaßen häufige Verfallserscheinung insbesondere von politischen Gruppen/Verbänden mit dem prinzipiellen Ausschluß jeder Konsens-Möglichkeit zu konfrontieren, halte ich dennoch eher für ein Armutszeugnis und ein Zeichen bürgerlicher Verflachung, mithin für die historisch typisch gewordene Schwäche der “linken” Bewegung im allgemeinen, also nicht für progressiv.

    Fragt man jetzt noch konkreter nach dem Gegenstand der hier geäußerten Kritik, stellt man fest, dass sogar noch tiefer gestapelt wird. Denn der Gegenstand “spezifische Argumente im Bewußtsein der A-Gruppe” wird ja hautsächlich nur anhand eines einzelnen Flyertextes markiert und abgesteckt. Gerade hier finde ich es etwas fadenscheinig, diesen Mangel mit dem Verweis auf sporadische, individuelle Erfahrungen des Kritikers bzw. mit dem Vergleich eines anderen, angeblich bereits anderswo hinreichend kritisierten Gegenstand (”das Bewußtsein des Anarchismus an sich”) zu tünchen. Anstelle dessen hätte ich von kritischen Geistern eher das selbstkritische Eingeständnis der partiellen Reichweite und schmalen Recherche-Basis des eigenen Gedankens erwartet, den Verweis auf die Schwierigkeiten, z.B. eine Kategorie wie “Anarchos” oder “Freiheitsfans” aus der Traufe zu heben, GERADE angesichts des Gegenstandes, der sich qua indoktrinierter Heterogenität einer einfachen Synthese versperrt. Und hierin zeigt sich auch die rein idealistische Basis Eurer Kritik! Denn diese hätte ja gerade in materialistischer Absicht die PRAXIS der Gruppe für eine fundierte Auseinandersetzung ernst zu nehmen. Anstelle dessen wird darauf überhaupt nicht reflektiert. Die materielle Basis mit ihren Rückwirkungen auf der Bewußtseinsebene (ideologischer Überbau) wie überhaupt die Wechselwirkung beider wird vernachlässigt. Die Folge ist eine lupenreine Ideologie-Kritik ohne Rückversicherung. Die Ihr aber gerade von anderen einfordert. Da ihr bereits den Gegenstand der Kritik im Bewußtsein (Flyertext) idealisiert und nur daran Eure Kritik meßt, bewegt diese sich rein logisch, negativ. Das ist das Fichtsche Problem! [Das absolute Ich wird in seiner Selbstidentität völlig idealistisch erfaßt und NUR rein logisch differenziert.] Und nebenbei auch das Dilemma der negativen Dialektik, das Adorno ästhetisch kaschierte, um über den Zustand bloßer Behauptung zu täuschen. Die Kritik, als rein negativ idealistische wird zur Gedankenpolizei, die von jedem konkreten Gedanken abstrahiert zu keiner postiven Bestimmung des Begriffs mehr zurückfindet. Eine Moralkeule ohne Moral. Im besten Falle bleibt Kritik so wirkungslos. Schlechterdings generiert sie einen Dogmatismus, der früher oder später jede Realität verliert.

    Nun wäre dies Maßlose Eurer Kritik, dass bestenfalls den formalen Aspekt eines schlecht gebauten “Übergangs” innerhalb eines argumentierten Gedankens betrifft, sogar noch hin- und anzunehmen, würdet Ihr nicht im Rundumschlag jeden Idealismus, insbesondere den freiheitlichen mit Bausch und Bogen abfertigen. Eure teils wilde Rhetorik gegen die Leerheit des Begriffs nähert das Unterfangen der Quichotterie:

    “Im Ideal steckt nämlich immer schon die Abstraktion von den materiellen Forderungen drin.”

    “Freiheit an sich” ist inhaltlich völlig hohl, …”

    Ja wie denn nun? Doch wohl wenn dann beides oder? Begriffe, INSBESONDERE problematische, d.h. in sich als widersprüchlich erkannte, sind immer synthetisch! Auf dem Niveau einer Erkenntniskritik könnte man ihnen IMMER ihre Insuffizienz gegenüber dem begriffenen Inhalt nachweisen. Der Gegenstand eines möglichen Wissens ist im Bewußtsein als synthetisch an sich gesetzt. In-Sich-Reflektierend hatte Hegel dazu gesagt oder einfaches Wesen^^. Doch ohne dabei die ideologische Spur seines Weltgeistes zu erkennen. Denn so wie seine tätige Vernunft die Welt erst schafft, indem sie ihr die Geschichte einschreibt, so tut sie das doch gleicherhand blind, da sie sich erst selbst erkennt (im Bewußtsein verwirklicht), wenn sie längst zuvor bittere Realität geworden ist. Und Marx ist es, der diesen ideologischen Kern der kosmopolitischen Weltanschauung, des Weltbürgertums, als solches dechiffriert. Die Welt wird immer schon gemacht, die Frage ist nur, wer die Macht hierfür in den Händen hält. Wir kennen die Ausführungen hierzu hinlänglich: es ist das Proletariat und nicht wie dem Schein der ideologischen Begriffe nach, das Bürgertum. Aber auch der Marxsche, auf Basis einer ökonomischen Analytik gewonnene Begriff und der darum eben auch bloß analytische Antagonismus der Klassen, muß sich bei seiner Anwendung auf den synthetischen Gegenstand, nämlich der bürgerliche Gesellschaft als solcher, erst noch PRAKTISCH bewähren. Das tut er allerdings in ausgezeichnetem Maße, wenn man bedenkt, welche Wortführerschaft dem “Marxismus” während der gesamten, vom A-Theismus verursachten, ideologischen Krise des 19. Jahrhunderts zugeschrieben werden muß. Dennoch blieb die Ideologiekritik auf der Ebene des Klassenantagonismus relativ flach. Das zeigt sich daran, dass uns Marx viel mehr Mittel zum Verständnis des bürgerlichen als des proletarischen Bewußtseins zur Verfügung stellt. Marx überschätzt letztlich das analytische Vermögen der menschlichen Vernunft. Bewußtseinsentwicklung ist zwar zur Praxis erklärt, ohne aber diesen dynamischen Kern auch theoretisch nachzuvollziehen. Die Opiate, die die bürgerliche Gesellschaft schließlich entwickeln sollte, vom Nationalismus und Faschismus, über die Unterhaltungsindustrie, bis zur Welt-Olympiade und zu Weltraum-Abenteuer-Phantasien haben gerade durch ihre WIRKSAMKEIT die praktische Entwicklung eines anti-bürgerlichen, also marxistisch gesprochen: proletarischen Bewußtseins, substanziell in Frage gestellt. Und genau hieraus schöpft die Kritische Theorie Frankfurter Prägung ihren Pessimismus. War die Praxis des Instituts für Sozialforschung anfänglich noch echte Selbstkritik der marxistischen Tradition und Bewegung, so hat sie sich in den eisigen Höhen der negativen Dialektik in bloße Abstraktionen eines genialen Geistes aufgelöst. Hier ist die Ideologiekritik ganz bei sich, und dadurch gerade noch total. JEDER Inhalt wird rein negativ vom bloßen Ideal der Wahrheit abgezogen. Da der Gegenstand im Begriff subjektiv vermittelt, also immer schon S/O, synthetisch ist, er damit aber auch einen ideologischen Charakter annimmt, nämlich nach diesen und jenen Zwecken ausgerichtet zu sein, andererseits diese “Gerichtetheit” des Begriffs die Objektivität desselben mit bestimmt, DADURCH Praxis ermöglicht [die Einrichtung der Welt], und da man sich gleichzeitig einer dynamischen, historischen Perspektive der genetischen Entwicklung der Welt gleichzeitig nicht verschließen kann, genau darin gründet der adorneske Skeptizismus. Das bürgerliche Bewußtsein, seine Ratio hat im 20 Jahrhundert eine verwaltete Welt geschaffen, gegen die PRAKTISCH keine Wahrheit mehr mobilisiert werden kann. Der Kritik bleibt nichts als die Demontage eines allumfassenden, als notwendig falsch behaupteten Bewußtseins. Das schmeckt mir letztlich doch sehr fade. Noch dazu wenn ich sehe, wie man auf dem Boden der Kritischen Theorie argumentierend, doch wieder “Wahrheitshorte”, “ideologische Basen” und “dogmatische Begriffsblasen” initialisiert, und dann qua Denk- und Schreibverboten hausieren geht. DIESE Kritik ist nicht post- sondern negativ gewendet prä-marxistisch. Ich hatte schon erwähnt, dass Kritik historisch betrachtet, heute nur Selbstkritik sein kann, denn das Leid der Welt ist offensichtlich (geworden). Eine postmarxistische Kritik hätte also ernstzunehmen:

    (a) Die eigenen Ziele und Zwecke der Kritik
    (b) Den geschichtlich, ideologischen Überbau der “Klasse”
    (c) Die historische und praktische Basis der “Klasse”

    Ich will zum Abschluß noch einmal versuchen, Euer Freiheitsproblem zusammen zu fassen. Also, dass der Begriff der Freiheit ein Gegenstand des bloßen Bewußtseins ist, bezweifelt hier ja keiner. Wäre dem nicht so, hätten wir ja auch nicht mal ein Wort dafür, zudem müßten wir schon mehr als zwei Augen vor der Geschichte verschließen. Als rein ideeller Gegenstand ist uns Freiheit gegeben. Es stellt sich hier also letztlich bloß die Frage nach seinem konkreten Gehalt. Eure Argumentation bezüglich des Freiheitsbegriffs der A-Gruppe blieb doch dahingehend sehr einsilbig und zudem widersprüchlich. Einmal wird behauptet, es gäbe in dem Flyertext ein Darstellungsproblem, die Vermittlung, der “Übergang” vom konkreten Inhalt zum abstrakten Ideal sei nicht gelungen. Ein handwerklicher Kommentar, den ein engagierter Kritiker an der richtigen Stelle PRAKTISCH platzieren sollte. Das reicht natürlich der anspruchsvollen Theoretikerseele kaum. Als nächstes wird jetzt behauptet, der von dem Flyer markierte Begriff von Freiheit sei überhaupt falsch, weil leer - das hieße, er stände in überhaupt keinem sinnvollen Verhältnis zum konkret markierten Inhalt. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Um diese These zu halten, identifiziert Ihr den Inhalt des Begriffs mehrmals anders. Erst rein geschichtlich, als ideologischen des Anarchismus überhaupt, dann auch noch konkret negativ, indem Ihr (insbesondere Richard) behauptet, der einzige wahre und mögliche Inhalt eines solchen Freiheitsbegriffs wäre der durchs bürgerliche Recht gesetzte, und jeder Freiheitsidealismus wäre dagegen bloße Rhetorik. Ihr habt den Freiheitsbegriff der A-Gruppe damit doppelt ideell bestimmt. Einmal als abstrakt anarchistischen, einmal als konkret liberalistischen. Der Begriff ist also gar nicht leer sondern im Gegenteil ideologisch höchst aufgeladen. Hierdurch läßt sich auch auf die konkreten Bewegungen zurückschließen, die diesen Begriffen von Freiheit, einerseits libertär andererseits liberal gedeutet haben. Hier mit Taschenspielertricks zu hantieren und mit Defintionsversuchen das Problem von einem in den nächsten Begriff zu verschieben (Freiheit–>Interesse–>Wille etc. pp.) hilft der Sache nichts, schlimmstenfalls biedert man sich dem bürgerlichen Rechtspositivismus an. Hält Eure Kritik auf der Höhe der Erkenntnis an, dass der von der A-Gruppe kolportierte Begriff von Freiheit, auf der Ebene der Ideologie beidseitig libertär und liberal beeinflußt ist, pflichte ich Euch vollen Herzens bei. Dies ist schließlich auch nicht schwer einzusehen, wenn man die Geschichte des Anarchismus betrachtet. Aus meiner Perspektive sollte der Anarchismus heute gerade deshalb gegen eine rein anti-bürgerliche Rhetorik ausgespielt werden. Darin liegt gerade sein ideologisches Potenzial.
    Den Charakter des absolut Falschen und Verkehrten kann ich darin aber beim besten Willen nicht erkennen, wenn sich eine Gruppe noch nicht über ihren ideologischen Überbau hinlänglich Wissen verschafft hat, und einen Nutzen in der daraus abgeleiteten Ideologiekritik auch nicht unmittelbar. Deswegen mobilisiert tee ja das Argument der rein theoretischen Selbstbefriedigung an der ideellen Bewegung des Begriffs, er kann sich einfach keinen anderen Zweck vorstellen. Ihr selbst gebt ja auch kaum einen anderen zu erkennen. Ein Gespräch führen, aufklären, Argumente schärfen, alles zugestanden, allein der von Euch doch so vehement eingeforderte Gehalt solcher Diskussionen bleibt doch gering, solange Ihr nicht die materielle Basis berücksichtigt, den kein lebendiger Begriff je loswerden wird. Eine fundierte postmarxistische Kritik an der A-Gruppe hätte freilich zuförderst ihren ideologischen Überbau ins Auge zu fassen und müßte daraufhin die PRAXIS der A-Gruppe selbstkritisch untersuchen. Illustrativ gesprochen: Durch historische und investigative Arbeit deckt der Kritiker einen Widerspruch zwischen einer praktischen Handhabung und theoretischen Ansprüchen auf. Beispielsweise ideell Freiheit von Herrschaft zu fordern, real aber Herrschaftsverhältnisse zu repoduzieren. Dazu ist aber mehr gefordert, als sich in seinem Studierstübchen die totalitäre Tendenz zur Totalität als solcher zu verklären, und damit jedem Idealismus den Weg komplett abzuschneiden. Das kann man gegen den politischen Feind mobilisieren, aber selbst hier wird man ziemlich schnell reichlich unsachlich werden, als Selbstkritik dagegen wird sie vollends destruktiv. Und hierin komme ich zum Schluß, als SELBSTKRITIK verstandene Kritik, kann und darf ihre Praxis, aus der sie entspringt, ebenso wie die Praxis, in die sie wirkmächtig einzutauchen trachtet, nicht vernachlässigen. Denn so wie die A-Gruppe nicht zu einem klaren Bewußtsein ihrer gemeinsamen Praxis kommt, kommt Eure Kritik nicht auf die eigene zu sprechen. Und dieser Zustand, insbesondere in der sogenannten linken Bewegung, deren konkrete Differenzierung hier müßig ist, und zu der ich mich ganz sicher auch MIT zählen lasse, diese permanente Selbstentzweiung der Aktivisten auf der einen und der Kritiker auf der anderen Seite und die Blindheit gegenüber GENAU DIESEM Zustand, einer linken Praxis ohne Theorie UND einer linken Theorie ohne Praxis, ist es, der die historisch-aktuelle Schwäche der Linken in ihren politischen Kämpfen um gesellschaftliche Gestaltungsmacht bedingt. Und hierin bewährt die soeben vollzogene Selbstkritik ganz praktisch ihren Gegenstand.

    Also: Kritiker aller Länder, Ihr seid ein Teil der Bewegung! Denkt mit, denkt nach, denkt besser - Macht mit, machts nach, machts besser. Habet Mut, die Schaufel in die Hand zu nehmen, habet Verstand sie zum rechten Zweck zu führen! Und vergesst nicht der Geschichte, die für Euch bereits vorgedacht, was alles möglich ist. Behaltet in der bittersten Stunde noch die Phantasie bei Euch, damit ihr Hoffnungsschimmer jene Kraft des Widerstandes inspiriert, die Verhältnisse ins Bessere zu stürzen! Freiheit ist einzig das Richtige zu tun. Das macht sie unbequem und gefährlich dazu!

    MsG
    clov

  2. 2 GR/ML 21. Dezember 2006 um 2:18 Uhr

    “Geschichte, die für Euch bereits vorgedacht, was alles möglich ist”

    MÖGLICH ist demnach auch, dass du total einen an der Klatsche hast. Und hey, das sage nicht ich, weil dein Text vor inhaltlichen Fehlern nur so strotzt. Nein, das sagt die Geschichte — und die gewinnt bekanntlich (Hegel!) immer.

  3. 3 Administrator 21. Dezember 2006 um 4:33 Uhr

    Die methaporische Wendung sollte nochmal den prinzipiell historischen Ansatz, um den heute keine fundierte Kritik mehr drum herum kommt, unterstreichen. Eben weil ich auf Grundlage von reiner Phantasie zu spekulieren für den falschen Ansatz halte. Und das heißt tatsächlich, dass die menschliche Geschichte uns einen Rahmen gibt, deren Grenzen wir schwerlich überschreiten können, die uns gewissermaßen veranschaulicht, was für uns überhaupt verwirklichbar ist. Das ist es eben, warum wir uns nicht einfach eine mächtige proletarische Klasse erträumen können, wenn wir der totalitäre Tendenz der verwalteten Welt gewahr werden. Angesichts der Entwicklungen im 20. Jahrhundert ist solcherlei Tagtraum einfach a-historisch.

    Tjo, und ansonsten sehe ich in Deinem Kommentar kaum Substanz. Die inhaltlichen Fehler sind nicht mal benannt. Außerdem muß man schon Hegel-Apologet sein, um nicht zu sehen, wie fehl er geht. Und hey, es ist tatsächlich möglich, dass ich total falsch ticke. Vielleicht aber auch nicht. Finds raus!

    clov

  4. 4 pro_kommunismus 21. Dezember 2006 um 10:59 Uhr

    Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass du mit deinem Text eine Diskussion in Gang bekommst. Du bewegst dich mit deinen Überlegungen auf einem total nutzlosen Feld, nämlich dem Nachsinnen über Denkmethoden und Denkvorschriften - ob die nun von Hegel oder Kant kommen ist gleich. Doch weder mit dem Willen zum Idealismus noch mit dem Willen zum “dialektischen” Denken entlockt der Mensch seinem Hirn einen richtigen Gedanken über das, was sein Leben bestimmt: Staat, Kapital und Moral.

    Sich eine Sache als Ideal zu denken ist immer schädlich für den Betreffenden. Wenn ich mir als Arbeiter beispielsweise das Kapitalverhältnis als Arbeitsteilung (der eine organisiert den Arbeitsplatz, den der andere ja wohl braucht…) denke und nicht als Gegensatz der seinen Grund im objektiven Zweck des Kapital (Verwertung) hat, dann werde ich jede Lohnkürzung und Entlassung immer als Abweichung vom guten Zweck des Kapitals beweinen und mich mit mitsamt meines Ungerechtigkeitsgefühls ewig in meiner Rolle als Lohnknecht einhausen.

    Die vernünftige Kritik an etwas hat ihren Grund in der richtigen Erklärung ihrer objektiven Bestimmungen. Haftet es einem Gegenstand objektiv an mir zum Schaden zu gereichen, so begründet dies meine Gegnerschaft. Unabänderliche und zufällige Schäden kann man nicht kritisieren, wohl aber notwendige, wie den besagten der Lohnarbeit im Kapitalismus. Dafür muss ich mir den Kapitalismus erklären, Auskunft über dessen objektive Bestimmungen gibt Marx in seinen drei blauen Kapital-Bänden. Insofern ist Kritik kein Rotstift sondern mit der Erklärung der Sache bereits geleistet. Wenn ich als Lohnarbeiter das Kapital kapiert habe kann ich unmöglich dafür sein, außer ich würde meinen Schaden wollen - und wer will den schon. Wenn man sich eine Sache korrekt erklärt hat, dann kann man auch sämtliche Ideologien über sie abweisen, also den “Rotstift” walten lassen. In Ideologiekritik erschöpft sich Kritik aber, wie gesagt, keineswegs, die Erklärung des Kapitalismus ist bereits seine Kritik und Ideologiekritik ein quasi Derivat dieser Erkenntnisse. Etwas anderes würden MPunkt und Richard meines Wissens auch nicht behaupten, deswegen liegst du mit der Charakterisierung ihrer “Kritik rein als Rotstift” daneben.

    So, mehr methodische Einlassungen mach ich nicht. Methodisches Denken ist verkehrt und nutzlos. Du kannst mit mir gerne über die objektiven Bestimmungen von relevanten Dingen in dieser Welt diskutieren (z.B. wie geht Imperialismus heute? Was hat es mit dem Prekariat auf sich etc. etc.) , aber nicht übers Denken.

  5. 5 tee 22. Dezember 2006 um 3:17 Uhr

    na toll, hab ja schon aus dem buschfunk vernommen, dass sich da was zusammenbraut.

    schenk gr/ml lieber keine beachtung, der/die ist entweder auf reine aufmerksamkeit aus oder (was ich vermute) das ist so’n kommunikationsguerilla-ding. einfach ignorieren …
    oder kommt da doch was? na, gr/ml?!?

    hab das hier erstmal ausgedruckt (1. mal bei blogware) und les’ es mal. ich lasse mir etwas zeit, damit du dich auch wieder mal (subjektiv) wichtigeren dingen widmen kannst (ich meine nicht weihnachten). bin auch gespannt, ob mpunkt und/oder richard (oder gar libelle) sich auf dieses niveau herüberlassen. ich versuche es, auch wenn es mir durch fehlende vorkenntnisse schwerer fällt einige bezüge zu deuten, die ich dann wohl oberflächlich aus zweiter hand recherchieren muss. sofern notwendig …
    letzlich ziehst du auch nur die konsequenz dieser diskussion, die ich zwar schon angedeutet hatte, der sich aufgrund der verleugnung/verdrängung der philosophischen komponente aber alle entzogen. nicht zuletzt deswegen rechne ich mit eher mässiger partizipation hier.

    es grüsst mit doppel-s:

    des tee

  6. 6 Administrator 29. Dezember 2006 um 20:38 Uhr

    @pro_kommunismus

    Zuförderst muß ich mich entschuldigen, dass Dein Beitrag nicht sofort freigeschaltet wurde, aber offensichtlich arbeitet mein Spam-Filter auch mit ideologischen Scheuklappen^^, und ich warte den Blogg nicht so regelmäßig, dass ich das zeitnah erkannte. Dein Beitrag gibt mir die Gelegenheit, noch einmal kurz zu erläutern, warum der Gegenstand meiner Kritik (durchaus auch für Dich) ernst zu nehmen ist.

    “Du bewegst dich mit deinen Überlegungen auf einem total nutzlosen Feld …”

    Über den Nutzen meiner Kritik kann man tatsächlich vielfältig spekulieren, allein der Zweck steht mir klar vor Augen. Es ist eben der, den vulgarisierten Marxismus an der Schwelle des 21. Jahrhunderts in seinem Dogmatismus anzugreifen und bestenfalls in die Archive der Geschichte einzusortieren. Dabei geht es eben nicht in erster Linie um den Anstoss einer Diskussion, sondern um die Entlarvung einer dogmatisierten Position, die der marxistische Dogmatiker selbst verkennt. Ein vorstellbarer Nutzen wäre hierbei bspw. der Aufschwung der post-marxistischen Kritik, die den Ansatz Marxens nach über 150 Jahren endlich mal wieder aktualisiert und so zuallerst wieder zu einem Gegenstand durchdringt, um den es sich zu theoretisieren wirklich lohnt. Dieser Gegenstand allerdings findet seine objektiven Bestimmungen NICHT in den drei berühmten Bändchen zum Kapital, sondern in der realen Alltagswelt der sozialen Bewegung.
    Jede/r marxistisch inspirierte Denker/in wird sich heute eingestehen müssen, dass die idealistischen Kategorien “Staat”, “Kapital” und “Moral” im ersten Schritt nichts als SUBJEKTIVE Bestimmungen des Gegenstandes sind, Beigaben eines politisierten Bewußtseins, die erst NACH ihrer historisch-kritischen und praktischen Vermittlung einen OBJEKTIVEN Gehalt ausdrücken können. Und die omnipräsente Un-Glaubwürdigkeit der meisten marxistischen Rhetorik liegt gerade hier begründet. Der Dogmatiker zerreißt den historischen Zusammenhang von Theorie und Praxis, indem er VOR der konkreten Vermittlung seiner Kategorien schon einen objektiven Gehalt derselben behauptet und dann meint, diese Vermittlung wäre völlig überflüssig bzw. die Kategorien wären schon an sich wahr oder richtig. In den meisten Fällen wurde hier die historische Rede von der “Dialektik” einfach nicht verstanden. Die Folgen sind weitreichend, denn je weiter sich die Geschichte fortbewegt, um so unglaubwürdiger wird dieser Trick der “faulen” Vernunft. Sicheres Indiz einer kompletten Dogmatisierung der eigenen Position ist die aufsteigende Einsicht, tendenziell ALLE anderen Positionen innerhalb des inter-subjektiven Bewußtseins der Bewegung wären notwendig falsch. Der adorneske Pessimismus entspringt ja gerade an dem individualisierten Indifferenz-Punkt von Dogma und Wahrheit, und nur durch beständige Bewegung im Denken (”Dialektik kein Standpunkt.”) bleibt solcherart Theorie noch selbstkritisch. Negative Dialektik, die als bloße Bewegung des Denkens, zu keiner positiven bzw. objektiven Bestimmung ihres Gegenstandes zurückfindet, weil jeder Stillstand als Dogma erkannt ist, wird so haltlos wie der subjektive Relativismus des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebes. In der verwalteten Welt wird gar keine reale Bewegung mehr erkannt, geschweige denn eine Möglichkeit zur Besserung der Verhältnisse. Der Zweck einer solchen rein negativen Kritik ist eben auch dasselbe: rein negativ bzw. destruktiv.
    Solcherlei Selbstkritik, als absolute Idelogiekritik gegenüber der verwalteten Welt, reicht aber weder dem marxistischen Kritiker, noch der marxistischen Dogmatikerin, noch einer Mischung aus beidem zu. Und dieses Unbehagliche gegenüber der Kritischen Theorie motiviert die post-marxistische Kritik. Zu Recht, wie ich meine. Doch finde ich es naiv und a-historisch dazu, wenn man durch dieses Befremden gegenüber reiner Ideologie-Kritik, meint, berechtigt zu sein, an den dumpfen Materialismus des 16. Jahrhunderts anschließen zu können und jeden kritischen Gedanken in Bausch und Bogen von sich weist. Das tut man aber, wenn man von einer “richtigen Erklärung” spricht und meint, diese würde sich ohne subjektives Zutun, einfach von der Sache her selbst aufdrängen. Ob Arbeitsteilung bspw. als Gewinn oder Schaden empfunden bzw. gedacht wird, hängt immernoch an der SUBJEKTIVEN Bestimmung des Begriffs derselben. Wer das bestreitet fällt zumindest in einen Prä-Marxismus zurück.
    Bei der Selbstkritik der Klasse als post-marxistischem Ansatz, der seine eigene Geschichte ernst nimmt, geht es in keinster Weise mehr um einen positivistischen Methodenstreit, ich hatte das schon weiter oben, bei der Diskussion meiner Thesen, angedeutet. Für heutige post-marxistische Anschlüsse an Marx ist nicht die “Theorie seiner Methode” entscheidend, sondern ihre PRAXIS und was wir für unsere eigenen Analysen daraus lernen können. Es geht mir also gar nicht darum, über das Für und Wider irgendwelcher Denkmethoden nachzusinnen! Selbstkritik ist für mich eine Haltung, die uns die Geschichte aufdrängt, wenn wir die historische Genese des Marxismus betrachten. Und diese HALTUNG impliziert ein Verhältnis zur PRAXIS, welches einerseits die ideologischen bzw. idealistischen Prämissen, kurz die subjektiven Bestimmungen der praktischen Gegenstände im Auge behält, um einen Dogmatismus und damit ein Erstarren der Bewegung zu vermeiden; andererseits aber auch den aufgefundenen objektiven Bestimmungen derart mit-konstruierter Gegenstände Geltung verschafft, indem man sie praktisch wirksam werden läßt. Ersteres zielt gegen einen marxistischen Dogmatismus, der sich eine nicht vorhandene Klasse aus der Vergangenheit herbei halluziniert, zweiteres gegen eine materialistische Kritik, die an einer Theorie bastelt, deren Handlungsträger bestenfalls noch in fernster Zukunft erträumt werden können, mithin gar nicht existieren.

    Letztlich: Käme der Arbeiter oder die Arbeiterin wie “aus der Pistole geschossen” durch seine/ihre Stellung im Produktionsprozeß auf die “richtige Erklärung” derselben und bestenfalls gleich noch zu den notwendigen Handlungsanweisungen, wie diese zu verbessern wäre, gäbe es längst keinen Kapitalismus mehr und mithin wäre Marxens Bemühen völlig überflüssig gewesen. Dass dem eben nicht so ist, davon gibt uns die Geschichte ein lebendiges Bild. An dieser Erkenntnis zu verzweifeln und gegen den gelebten Idealismus der Menschen zu agitieren, darin erkenne ich nicht die aufgeklärte Haltung eines modernen Marxisten sondern nichts als jenen betagten Ritter, der mit hölzerner Lanze im Anschlag, den Helm weit über die Augen geschoben und sich dabei gegen das mahnende Wort seines Gefährten verschließend, anschickt, noch ehe der vielstimmige Schlachtenruf erschallt, in den sicheren Untergang zu reiten. Der Marxismus heutiger Tage, der sich vielerorts bewußtlos dogmatisiert, erscheint SO nicht mehr als wirkmächtige Ideologie der Massen, sondern als haltlose Selbstbespiegelung sich separierender Intellektueller, als eine dem Untergang geweihte Flucht nach vorn.

    MsG
    clov

  7. 7 neoprene 30. Dezember 2006 um 18:51 Uhr

    “Jede/r marxistisch inspirierte Denker/in wird sich heute eingestehen müssen, dass die idealistischen Kategorien “Staat”, “Kapital” und “Moral” im ersten Schritt nichts als SUBJEKTIVE Bestimmungen des Gegenstandes sind, Beigaben eines politisierten Bewußtseins, die erst NACH ihrer historisch-kritischen und praktischen Vermittlung einen OBJEKTIVEN Gehalt ausdrücken können.”

    Äh hem, wieso müssen die das denn, wenn da so gar keine nachvollziehbar vernünftigen und richtigen Argumente dafür vorgebracht wurden oder werden?

  8. 8 Administrator 30. Dezember 2006 um 23:42 Uhr

    @neoprene

    Das gehört meines Erachtens zu den Quintessenzen der gesamten historisch-kritischen Wissenschaften der Moderne. Zu denen der Marxismus auch zählt. Zumindest insofern er sich als DIALEKTISCHEN Materialismus versteht. Der Staat ist nämlich ein bürgerlicher, wie Kapital und Moral es auch sind. Vielleicht siehst Du das hier deutlicher. Der Staat, das Kapital, die Moral sind nur als S/O-Widersprüche erfahrbar, d.h. der SUBJEKTIVE Zweck, der ihrer Entwicklung induziert ist, prägt ihre konkrete Gestalt. Marx kritisierte die herrschen National-Ökonomik seiner Zeit gerade hinsichtlich ihrer praktischen Zweckbestimmungen, und ganz praktisch hieß diese Kritik Klassenkampf, Genosse. Und auch Marx wollte keine Ökonomie “an sich”, sondern eine RICHTIGE, d.h. an den Zwecken des Humanismus orientierte.
    Nimmst Du jetzt den Begriff von Staat, Kapital, Moral REIN aus der Erfahrung, bleibt Dein Begriff von Staat immer an seiner bürgerlichen Beschränkung stehen, kommt mithin nicht mehr zu einer Erkenntnis, was denn Staat, Kapital, Moral REIN OBJEKTIV sei. Den Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts bewegt gerade dieser kritische Gedanke. Und der grundsätzliche Skeptizismus neuerer Tage gründet eben hier. Freilich wäre es irrig, anzunehmen, wir kämen rein aus der Erfahrung zum vernünftigen Begriff. Viel einleuchtender ist, dass wir immerfort mit synthetischen Begriffen operieren. D.h. ihnen ein Verhältnis von objektivem Gehalt und subjektiven Setzungen inhäriert. Unsere Begriffe besitzen eine “Idealität zur Objektivierung”, das ist der Grundgedanke des Kantschen Formalismus. Deswegen sind Kritik, Bildung, Selbstbestimmung usw. ja so wichtig. Manche Bauern glaubten noch an den Zar, als der schon lange tot war, und hatten ihn dabei nie gesehen. Versteht man diese Synthesis praktisch, psycho-logisch, also aufs individuelle Bewußtsein gerechnet, zeigt sich, dass der Begriff von Staat, dessen sich ein pubertierender Jugendlicher mit allem Engagement, das nicht klein zu reden ist, bewußt ist, doch nicht anders denn als im höchsten Maße subjektiv idealistisch geprägt sein kann. Die Signatur der Erfahrung ist von Anfang an defizitär. Rein logisch betrachtet, würde das bedeuten, dass die subjektiven Setzungen innerhalb eines synthetischen Begriffs dem objektive Gehalt VORAUSgehen.

    Nun zeigt die bürgerliche Gesellschaft aber in ausgezeichneter Weise auch, wie sich Erfahrungsdefizite idealistisch kompensieren lassen. Ein Mangel an Solidarität durch verstärkten Nationalismus, ein Mangel an Bildung mit einer Idealisierung der Inhalte, ein Mangel an Selbstbestimmung mit der Vereinfachung der Gesetze, ein Mangel an praktischer Kampferfahrung mit der Ästhetisierung des Widerstandes, ein Mangel am Gegenstand mit überhitzter Theorie. Und letzteres war ja gerade Zielpunkt der hier angestrengten Selbstkritik. Ideologiekritik auf der Basis mangelnder Erfahrung muss sich um die PRAXIS bemühen, um sich durch die so selbst-vermittelte Erfahrung zuallerst einen objektiven Gehalt sichern, letztlich um sich überhaupt einen vernünftigen Begriff machen zu können - bliebe sonst beim Dogmatismus bloß idealer Begriffe stehen. Das ist mein post-marxistisches Alphabet.

    nen jesundes neues
    clov

  9. 9 MPunkt 31. Dezember 2006 um 13:11 Uhr

    1.) Skepitizismus ist immer Quatsch. Mal ganz praktisch (extra für Dich ;) ), weil da ohne ein Argument gegen die jeweilige Bestimmung einer Sache mal ebenso grundlos wie prinzipiell Zweifel gegen sie gestreut werden. Und theoretisch, weil der Skeptizismus aus seinem eigenen Grundwiderspruch nicht herauskommt: Ausgerechnet die Erkenntnis, dass Erkenntnis nicht geht, soll als einzige möglich sein???

    2.) Weil der Skeptizismus so quatschig ist, merkt man auch Deinen Begründungsversuchen für ihn an, wie herbeikonstruiert die sind:

    Nimmst Du jetzt den Begriff von Staat, Kapital, Moral REIN aus der Erfahrung, bleibt Dein Begriff von Staat immer an seiner bürgerlichen Beschränkung stehen, kommt mithin nicht mehr zu einer Erkenntnis, was denn Staat, Kapital, Moral REIN OBJEKTIV sei. Den Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts bewegt gerade dieser kritische Gedanke. Und der grundsätzliche Skeptizismus neuerer Tage gründet eben hier.

    Um Deinen Skeptizismus zu begründen (und daraus einen Idealismus zu rechtfertigen???), wirfst Du nämlich alles durcheinander.

    Wenn man “Staat an sich” bestimmen will, muss man sich selbstverständlich nicht nur den bürgerlichen Staat anschauen, sondern auch den realsozialistischen und den vorbürgerlichen und dann die Gemeinsamkeiten festhalten. Da braucht es auch keine Erfahrungen, weil im Zweifelsfall ein Blick in die Geschichtsbücher genügt. Viel mehr als “Herrschaftsapparat zur Durchsetzung der Zwecke der Herrschenden”, wird bei dieser Operation vermutlich nicht übrig bleiben. Das ist insofern hohl, weil durch diese ja gerade die jeweiligen Besonderheiten, also wer sind die Herrschenden? Was sind ihre Zwecke? Wie werden sie durch den jeweiligen Staat durchgesetzt?, durchgestrichen werden, zur Kritik an einem so prinzipiellen Staatsidealismus würde es dennoch ausreichen. Wenn es einer Herrschaft zur Durchsetzung dieser Zwecke bedarf, werden die wohl diejenigen schädigen, gegen die sie durchgeherrscht werden (sollen). Die Vorstellung, dass “der” Staat eigentlich ne prima Sache für einen wäre, wenn nur die Richtigen am Ruder säßen, geht daher logisch nie auf; das Ideal einer “guten Herrschaft” ist ein Widerspruch in sich.

    Freilich bilden sich (üblicher Weise) die Leute ihr Ideal einer guten Herrschaft gar nicht an dieser Abstraktion vom “Staat an sich”, sondern an der Herrschaft, der sie unterstehen. So wird ein leibeigener Bauer sich die gute Herrschaft wohl kaum als die Instanz vorstellen, welche dafür sorgt, dass jeder seiner vermeintlichen Aufgabe für eine nationale Gemeinschaft - arbeiten und Arbeit ‘geben’ - verrichtet, der moderne Arbeiter hingegen schon … eben aus seiner Erfahrung heraus. Oder genauer: weil der einerseits merkt, dass er in dem Laden hier schlecht wegkommt, andererseits jedoch seinem willigen Mitmachen in ihm eine Rechtfertigung geben will, weshalb er diesem und damit auch dem Laden hier einen höheren Sinn zuspricht, findet der es eben unheimlich einleuchtend, dass alles prima wäre, wenn nur alle ihre Pflichten erfüllen und der Staat das endlich mal so richtig durchherrschen würde(n). Wenn man mal methodisch werden will, kann man also sagen, dass der den methodischen Fehler macht, sich gar nicht anzuschauen, welche Interessen vom bürgerlichen Staat wie durchgesetzt werden und welche Rolle er dabei spielt, sondern all dem erst einen höheren Sinn samt ‘eigentlicher’ Tauglichkeit für einen unterzuschieben, um an diesem Ideal dann die Wirklichkeit zu blamieren. Daher erklärt er sich sein schlechtes Wegkommen in ihr verkehrt.

    Fehler kann man jedoch bleiben lassen. Es steht, außer eben dass man diesen methodischen Fehler erkennt und fortan unterlässt, dem überhaupt nichts im Wege, sich klarzumachen, was der bürgerliche Staat ist und wie man in ihm vorkommt. Und daran ändert auch ein Subjekt-Objekt-darum-geht-Erkenntnis-nicht-weshalb-der-idealistische-Fehler-zu-rechtfertigen-ist-Geschwafel nicht die Bohne.

    3.) Was tee als Dein “Niveau” abfeiert, sind nichts als Stützargumente für Deinen logisch notwendig auf sehr wackeligen Beinen stehenden Skeptizismus, welche freilich keine Argumente sind. Schließlich sprechen weder eine philosphische Ahnenreihe, noch die Geschichte, noch ihr Erfolg für eine Theorie. Die philosophischen Ahnen nicht, weil die ja auch falsch gelegen haben können. Die Geschichte nicht, weil die kein Subjekt ist, welches etwas zeigen könnte. Vielmehr wird ihr immer nur zwecks höherer Begründung das entnommen, was man von ihr gezeigt bekommen haben möchte. Und der Erfolg nicht, weil der eine Frage der Durchsetzung und nicht der Richtigkeit ist. (Wenn der “real existierende Sozialismus” sich mit seiner Alternativen Vernutzung der Proleten zwecks Gewinnung von abstraktem Reichtum aus ihrer Arbeit durchgesetzt hätte, würdest Du den Idealismus also nicht mehr rechtfertigen wollen? Wohl kaum, weil das eben völlig verschiedene Themen sind.)

    4.) Deine Abgrenzung von einem “dogmatischen Marxismus” ist insofern zuätzlich amüsant, weil Du die ganzen Fehler des marxistisch-leninistischen Weltanschauungsmarxismus wieder aufwärmst. Das fängt schon damit an, dass Du Dir eine Weltanschauung zusammenbasteln willst, statt Dir Klarheit über Gegenstände zu verschaffen. Weiter geht es damit, dass Du Geschichte und Erfolg als höhere Rechtfertigungen für diese in Anschlag bringst und findet seinen Abschluss darin, dass Du genau dafür die Praxis betonen musst. Und indem man die Theorie an diese ganzen sachfremden Maßstäbe anpasst, wird sie notwendig verkehrt.

    Wenn die Geschichte für sie sprechen soll, dann muss jede Entwicklung als Beleg dafür (sei es positiv als Entwicklung in die richtige Richtung, sei es negativ als besondere Dringlichkeit zum Handeln, sei es das auch noch beides zusammen) umgedeutet werden. Wenn der Erfolg für sie sprechen soll, muss sie “reale Tendenzen” ausmachen, auf die sich positiv beziehen kann, als auch wieder entsprechende Umdeutungen vornehmen. Diese “reale Tendenzen” unterstellt man dann v.a. den gerade angesagten Kämpfen und Bewegungen. Weil selbst Weltanschauungsmarxisten klar ist, dass deren Inhalte sauaffirmativ sind, wird sich dann eben auf deren Praxis gestürzt. Am Vorgehen dabei kann man übrigens gut erkennen, in was für theoretische Albernheiten ein solches Vorgehen führt: weil ja die Praxis der Bewegung entscheidend zu sein hat, wird diese auch als das neue Maß aller Dinge gehyped, z.B. sich netzwerkförmig zu organisieren. Und das nur, um die Bewegung anschließend dafür abzufeiern, dass sie diesem neuen Maß aller Dinge entspricht. Na was denn sonst, wenn es doch aus ihr gewonnen wurde? Ein Zirkelschluss wie aus dem Lehrbuch für Zirkelschlüsse.

    Doch damit nicht genug: weil die Bewegungspraxis das neue Maß aller Dinge ist, sehen es die Weltanschauungsmarxisten als ihre Aufgabe, in der Bewegung dafür zu sorgen, dass diese Bewegung wächst und sich weiter bewegt. Und entsprechend opportunistisch verbiegen sie dann auch ihre Theorie. Du gehst ja sogar noch einen Schritt weiter, weil es bei Dir nicht mal die Bewegungs-, sondern schlicht die Normalpraxis ist, der Du Deine Theorie anbiederst. Weil die Leute idealistische Verdoppelungen vornehmen, muss man diese rechtfertigen, weil man sonst wie ein veralteter Besserwisser wirkt, statt sich mit der Mehrheit einig zu wissen:

    An dieser Erkenntnis zu verzweifeln und gegen den gelebten Idealismus der Menschen zu agitieren, darin erkenne ich nicht die aufgeklärte Haltung eines modernen Marxisten sondern nichts als jenen betagten Ritter, der mit hölzerner Lanze im Anschlag, den Helm weit über die Augen geschoben und sich dabei gegen das mahnende Wort seines Gefährten verschließend, anschickt, noch ehe der vielstimmige Schlachtenruf erschallt, in den sicheren Untergang zu reiten. Der Marxismus heutiger Tage, der sich vielerorts bewußtlos dogmatisiert, erscheint SO nicht mehr als wirkmächtige Ideologie der Massen, sondern als haltlose Selbstbespiegelung sich separierender Intellektueller, als eine dem Untergang geweihte Flucht nach vorn.

    5.) Es wird Dich sicherlich trösten, dass Du damit nicht nur in einer Ahnenreihe (Marx/Engels-Lenin-Nachfolger) stehst, sondern tatsächlich auf den neuesten Stand des neo- und postmarxistischen Blödsinns fortgeschritten (statt hinter irgend etwas “zurückgefallen”) bist. Tatsächlich machen dessen Vordenker, heißen sie nun Joachim Hirsch, John Holloway, Christoph Spehr oder Michael Hardt/ Antonio Negri ja nichts anderes, als zeitgemäße Varianten des “veralteten” Weltanschauungsmarxismus zu präsentieren. Und zu dieser Zeitmäßigkeit gehört nicht nur, die alten weltanschauungsbedingten Fehler auf die aktuellen Verhältnisse anzuwenden, sondern tatsächlich auch die Anwendung von idealistischen Verdoppelungen der Verhältnisse. Weil nach dem Ende des Ostblocks “Demokratisierung” so angesagt ist, dass man erst recht nicht mehr gegen die Demokratie anstinken will, muss eben eine “eigentliche” Demokratie, eine “eigentliche” Freiheit und eine “eigentliche” Gleichheit gegen die je reale hochgehalten werden, welche selbstverständlich in der Bewegungspraxis zu finden sei. Wie gesagt: Dich wird das vermutlich trösten oder gar bestätigen - Blödsinn bleibt es aber trotzdem.

  10. 10 Administrator 31. Dezember 2006 um 15:23 Uhr

    @M.Punkt

    Nur ganz kurz, später mehr, ich muß gleich lohnarbeiten:

    Meine Position ist eben keine skeptische sondern eine selbstkritische. Ich denke sehr wohl, dass wir zu Erkenntnissen über unsere Welt durchdringen können. Ich meine sogar, dass unsere Erkenntnisse praktisch werden, eine bessere, humanere, freiere Welt in Gang setzen sollten. Mir jetzt “Welt-Anschauungs-ML” (what the hell?) unterstellen so wollen, ist zu billig. Denn diese “reine Ideologie-Kritik” werfe ich gerade dem Dogmatiker vor, der sein bloß idealistischen Kategorien von jedem objektiven Gehalt fern hält und sich so im Fichtschen Reich der reinen Negation der Negation bewegt. Sehr schön bei Dir zu sehen: Herrschaft ist in der verwalteten Welt total, ergo muß es auch einen Schaden geben. Der wird aber bloß negativ bestimmt und hat diese negative Richtung auch nur, weil Herrschaft zuvor schon von Dir selbst als Negatives besetzt wurde. Im ML-Slang: Herrschaft ist das Interesse der Bürger, also ist unseres Nicht-Herrschaft. Kein Quantum der real erfahrbaren Herrschaft hat solches Denken erfaßt. Selbstkritik dagegen bliebe nicht stehen bei der selbstspiegelenden Erkenntnis, dass Herrschaft rein negativ zu begreifen ist, sondern würde die eigene Praxis danach befragen, WAS denn dies nur “Vorgefühlte” oder idealistisch Gedachte praktischer Weise auch an Schaden verursacht. Und erst LOGISCH DANACH hätte ein so entwickelter Begriff von “Herrschaft” einen objektien Gehalt und damit zuallerst die Möglichkeit, auch als wahrer erkannt zu werden. Und genau deshalb, weil Ideologie-Kritik dogmatischer Prägung nicht zu dem Gegenstand durchdringt, den sie sie recht eigentlich, zumindest Eurer Rede nach, begreifen will, genau darin ist das Kopflose der linken Bewegung begründet.

    so long
    clov

  11. 11 clara 31. Dezember 2006 um 16:54 Uhr

    so, zwischen den jahren häng ich mal kurz die nase in den laden und schon muss ich feststellen, dass die ablenkungsmaschinerie auch hier auf hochtouren läuft, wünsche statt sehnsüchten, thesenwälder statt magisterarbeiten…
    dies ist ein privater einschub direkt an clov: du hast was anderes zu tun, also nimm die beine in die hand bzw. hau die grauen zellen in den richtigen ordner!!!manchmal bleibt eben nur ein marge-mäßiges rmmmmh!

  12. 12 MPunkt 31. Dezember 2006 um 18:38 Uhr

    1.) Das mit dem Weltanschauungsmarxismus passt schon. “Dogmatisch” im Sinne der bewegungs- oder sonstwie linken Beschimpfung von Kritik, die darauf beharrt, dass ihrer Bestimmung der Gegenstände argumentativ widerlegt, oder übernommen wird, ist ja nun wirklich nicht, ganz im Gegenteil. Schließlich werden die jeweiligen Gegenstände von ihm völlig beliebig seiner Weltanschauung passend gemacht. Und genau diese interessierte Beliebigkeit gegenüber den zu bestimmenden Gegenstände predigst Du ebenso als Methode, wie der restliche Postmarxismus auch … lustiger Weise in strikter Abgrenzung zum ML, aber dabei seine strukturellen Fehler nur an Hand eines neuen Materials anwendend. (Und um der Selbstwidersprüchlichkeit noch eins draufzusetzen: gerade das geht selbstverständlich nicht ohne einen wirklichen Dogmatismus, der “Primat der Praxis”, “die Geschichte ist auf unserer Seite” etc. vor jeder Bestimmung eines Gegenstandes einfach setzt.)

    2.) Klar ist das eine skeptizistische Position, die Du da propagierst: objektive Erkenntnis über den jeweiligen Gegenstand geht sowieso nicht, weil es Subjekte sind, die was erkennen wollen; also richtet man sich besser danach, was die Mehrheit der Subjekte macht, damit man bei denen als ihresgleichen sich beliebt machen und so mit ihnen gemeinsam Praxis, auf die es ohnehin ankommt, betreiben kann. Soll ich Dein Zitat jetzt noch einmal hier posten?

    3.1) Ich schrieb in der Passage eben nix von “Herrschaft in der verwalteten Welt” (bin ich Adorno, oder was?), noch nicht einmal von Herrschaft des Bürgertums, sondern von (staatlicher) Herrschaft ganz allgemein. Und diesen allgemeinen Begriff (welcher in diesem Fall einigermaßen hohl ist) erhält man eben nur, wenn man die ganzen jeweiligen Besonderheiten herausstreicht. Es trifft aber eben nicht nur auf “Herrschaft in der verwalteten Welt” zu, dass mit ihr einem gegensätzliche Interessen durchgesetzt werden; wären es nämlich die Gleichen, oder sich ignorierende, dann bräuchte es nämlich schlicht keine Herrschaft. Wenn die Herrschaft also gegensätzliche Interessen gegen einen durchsetzt, dann ist das kein Abweichen von ihrer ‘eigentlichen’ Güte, sondern ihr immanent.

    3.2) Dass das insofern hohl ist, weil die Zwecke, welche die Herrschaft durchsetzt, und ihre Methoden dazu, so gerade herausgestrichen wurden sind, hatte ich schon selbst zugestanden. Nur Du warst es ja, der Skepsis gegenüber der Kritik am bürgerlichen Staat damit begründet hat, dass diese keine Kritik am Staat an sich wäre und man eine solche mangels Erfahrung auch nicht leisten könne. Dem wollte ich doppelt widersprochen haben: zum einen ist eine prinzipielle Staatskritik sehr wohl möglich, indemn man sich das Gemeinsame aller Staaten vornimmt (diese Abstraktion ist abstrakt … na sowas) und zum anderen kommt es in der bürgerlichen Gesellschaft sowieso auf die Kritik des bürgerlichen Staates an; von daher ist es kein Mangel, dass sie nicht die Kritik des “Staats an sich” ist.

    3.3) Keine staatliche Herrschaft = automatisch gut ist damit überhaupt nicht gesagt; wenn Du schon unbedingt eine Übersetzung der Kritik ins Positive willst, hätte die eher so auszusehen: wenn man gemeinsam für seine Interessensbefriedigung produziert, dann braucht es eben auch keine Herrschaft, die das gegen einen durchsetzt … weil es ja das eigene Interesse ist.

    3.4) Die Kritik an der jeweiligen Herrschaft muss man gar nicht mit der Erfahrung der Schädigungen “vermitteln”, weil sie in ihnen schon ihren Grund (mehr aber auch nicht) hat. Deren Ursache(n) will man sich schließlich erklären, um sie beseitigen zu können. Da ist es auch klar, dass die erfahrenen Schädigungen je nach Gesellschaft verschiedene sind (Feudalherr frisst einem die Ernte weg/ bürgerlicher Staat herrscht allen die Achtung des Privateigentums auf und zwingt seine Bürger so dazu, sich dem Geldverdienen zu widmen, also normaler Weise lohnarbeiten zu gehen/ …).

    3.5.) Über die Erklärung der Gründe für die Schädigungen muss man sich eben mit den Leuten streiten, die sich das verkehrt erklären, z.B. mit der Abweichung von einem Ideal der guten Herrschaft. Das macht man, indem man ihnen die Funktionsweise der jeweiligen Herrschaft erklärt, um so aufzuzeigen, wie die Schädigungen zu ihr notwendig dazugehören. Selbst wenn die eine prinzipiell andere Herrschaft wollen (z.B. eine realsozialistische statt einer bürgerlichen), muss man eben erklären, warum und wie diese die Leute schädigt. Die allgemeine Kritik des Staates braucht es echt höchstens, wenn man sich auf auf Rechtfertigung zielende Gegenstandswechsel der Marke: ‘eine staatliche Herrschaft muss es ja immer geben, da kann es ruhig auch diese sein’ einlassen will. Staatliche Herrschaft muss es eben nicht immer geben, sondern nur, wenn mit ihr Interessen gegen ihnen gegensätzliche durchgeherrscht werden sollen.

  13. 13 MPunkt 02. März 2007 um 9:32 Uhr

    So, die Ausführung dazu, warum der Neomarxismus, gerade in seiner Bewegungsaffirmation, die Fehler des ML nur variiert, gibt es jetzt endlich ausgeführt und in Textform (pdf-Format).

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