Dieter Elken

Seltsame Argumentationen, seltsame Helden
- 65 Jahre Verleumdung der POUM -


Würde Ernst Thälmann vorgeworfen werden, vor der sog. Machtergreifung Hitlers 1933 in Deutschland geblieben und dann bis 1943 "seltsamerweise" am Leben geblieben zu sein, ginge wohl ein Aufschrei durch die Linke. Eben diese Logik bot der Interbrigadist Fred Müller den Lesern der "Junge Welt" an in seiner Rezension des Buches von Fritz Teppich
"Der Fall Maurin". Die Tatsache, daß einer der Führer der spanischen POUM (Vereinigte Marxistische Arbeiterpartei) Joaquin Maurin, der vom Franco-Putsch 1936 im Machtbereich Francos überrascht wurde, nach seiner Gefangennahme überlebte, soll eine Kollaboration zwischen der POUM und Franco belegen. Noch "seltsamer" soll es sein, daß Maurin 1947 aus Spanien ausreisen durfte. Nach dieser Logik ist jeder politische Gefangene Hitlers, Francos oder Mussolinis verdächtig, der seine Gefangenschaft überlebt hat.

Atemberaubend auch der weitere Beweis Fred Müllers und Fritz Teppichs für die angebliche Kollaboration zwischen POUM und Franco: Der Artikel eines Franco-Schwagers aus dem Jahre 1979 über zwei Gespräche mit POUM-Mitgliedern in Burgos, im Machtbereich Francos gelegen. Ob diese Gespräche tatsächlich stattgefunden haben und mit welchem Inhalt, könnte dem Artikel eines faschistischen Ministers nur mit größten Vorbehalten entnommen werden. Für Müller und Teppich handelt es sich um "unwiderlegbar dokumentierte" Beweise für ihre Kollaborationsthese. Der genannte Artikel belegt jedoch nur Bemühungen um die Freilassung Maurins und die Kontaktaufnahme mit einem Gefolgsmann Francos, der zuvor in Gefangenschaft der republikanischen Seite gewesen und ausgetauscht worden war. Eine Kollaboration zwischen der POUM und dem Franco-Regime wäre nur bewiesen, wenn Müller und Teppich belegen könnten, daß die POUM-Führung ein politisches Bündnis mit Franco gesucht hätte.

Dies zu beweisen, versuchte der Geheimdienst Stalins, versuchten die Parteikommunisten Stalins, stets vergeblich. Das muß auch Fritz Teppich in seinem Buch eingestehen. Ihm gelingt nur der Beweis dafür, daß sich die Ehefrau Maurins jenseits politischer Kampagnen hinter den Kulissen über Mittelspersonen auch an Verwandte wandte, die im spanischen Bürgerkrieg im Lager Francos standen. Es gehört schon eine gehörige Portion Infamie dazu, aus dem Versuch, das Leben des eigenen Ehemannes zu retten, den Vorwurf zu konstruieren, die Partei Maurins hätte mit dem Faschismus kollaboriert.


Teppich als Geschichtsfälscher

Als Franco am 19. Juli 1936 putschte, weigerte sich die von der KP Spaniens unterstützte republikanische Regierung, die Arbeiterklasse gegen Franco zu bewaffnen. Der größte Teil der Armee lief zu Franco über. Die Arbeiterklasse half sich dann selbst. Arbeiter warfen sich der rebellierenden Armee mit allem, was greifbar war, entgegen. Arbeiter und Soldaten verbrüderten sich. Ganze Truppenteile wurden entwaffnet, Arsenale in Barcelona, Madrid und Valencia geleert. Bis zum 15. August 1936 trieben die aufständischen Arbeiter die Faschisten über 150 km weg von Madrid. In Katalonien wurden die Faschisten 250 km zurückgeworfen. In der vordersten Front der aufständischen Arbeiter kämpften Anarchisten, die Milizen der POUM, die Erste internationale Brigade, gebildet aus Nicht-Stalinisten vieler Länder. Zugleich wurden Fabriken und Ländereien besetzt. Arbeiter und Bauern organisierten sich in basisdemokratischen Komitees, die neben den offiziellen Staatsorganen insbesonders im industrialisierten Katalonien eine Situation der Doppelherrschaft schufen.

Teppich gesteht heute ein, daß Spanien damals eine soziale Revolution erlebte. Er verschweigt jedoch, daß dies von der KP Spaniens und von den Stalinisten jahrelang geleugnet worden war. Er verschweigt, daß die KP Spaniens diese Bewegung mit allen Mitteln bekämpfte. Santiago Carillo erklärte im April 1937: "Wir kämpfen für die demokratische Republik. Wir schämen uns nicht, das zu sagen. Angesichts des Faschismus und der Invasoren kämpfen wir jetzt nicht für die sozialistische Revolution. Warum Genossen, behaupten die Trotzkisten, wenn wir das sagen, wir hätten die Klassenpolitik aufgegeben?...
Weil die trotzkistischen Elemente als Agenten des Faschismus sehr wohl wissen, daß eine andere Politik als die unsrige uns in die Katastrophe führen würde; weil die trotzkistischen Elemente sehr wohl wissen, daß wir in dem Moment., wo wir die Losung der sozialen Revolution ausgeben, die Politik Francos und Molas betreiben würden." (Santiago Carillo "Auf dem Weg zum Sieg", Ed. Obrera Gurra, Valencia S. 71)

Mario Keßler schreibt in seinem Buch "Heroische Illusion und Stalin-Terror" (VSA-Verlag, Hamburg 1999), daß die sowjetischen (bezahlten) Hilfslieferungen für die spanische Republik unter der Bedingung geleistet wurden, daß auf jede revolutionäre Politik verzichtet wurde, daß alle, die die Revolution weiterführen wollten, bekämpft werden mußten. Volksfrontpolitik hieß demnach in Spanien, die soziale Konterrevolution zu betreiben.

Als Vorwand diente ein angeblicher Putsch der POUM und der Anarcho-Syndikalisten gegen die Republik. In Wirklichkeit griffen Regierungseinheiten unter stalinistischer Kontrolle im Rahmen einer Kampagne zur Entwaffnung der Arbeitermilizen am 3. Mai 1936 das unter Arbeiterkontrolle stehende Fernsprechamt in Barcelona an. W. Krivitsky, damals GPU-General, bestätigte später in seinem Memoiren, daß es sich um ein stalinistisches Komplott gehandelt hatte, das von langer Hand vorbereitet worden war. Gegen diese stalinistische Provokation erhoben sich die katalanischen Arbeitermilizen spontan. In wenigen Stunden hatten die Arbeiter Barcelonas den größten Teil der Stadt in ihrer Hand. Die Revolte brach erst zusammen, als anarchistische Minister der republikanischen Regierung zum Frieden aufriefen. Danach ging die Repression los. Eines der ersten Opfer war der italienische Anarchist Berneri, der zur stalinistischen Intervention geschrieben hatte, sie rieche nach Noske.

Triumphierend hieß es in der sowjetischen "Prawda" vom 17.12.1936: "Was Katalonien betrifft, so hat die Säuberung der Trotzkisten und Anarchosyndikalisten begonnen und wird mit derselben Energie durchgeführt werden, wie in der Sowjetunion." Im KPD-Organ "Die Inter-nationale" schrieb im September 1937 Philipp Dengel: "Der Faschismus kann nicht geschlagen werden ohne die Vernichtung des Trotzkismus." Und: "Man kann nicht gemeinsam und erfolgreich gegen Gestapo-Spitzel kämpfen, wenn man gleichzeitig als Beschützer der trotzkistischen Gestapo-Agenten auftritt".
Die Volksfront-Politik beinhaltete Repression, Terror, Folter, Verleumdungen sozialistischer Antifaschisten und nicht zuletzt die Ermordung einer ungezählten Menge nicht-stalinistischer Kämpfer gegen den Faschismus. Sie hieß Verzicht auf Revolution und schließlich Unterdrückung der Revolution im Namen eines Antifaschismus, der sich seiner einzig möglichen Basis beraubte, einer mobilisierten revolutionären Massenbewegung. Es hieß nicht, wie selbst der nachdenklich gewordene Heinz Priess in "Spaniens Himmel und keine Sterne" schreibt: "Erst siegen - dann Sozialismus". "Mundo Obrero" leitartikelte am 6. August 1938: "Es ist absolut falsch, daß die gegenwärtige Arbeiterbewegung die Errichtung einer proletarischen Diktatur zum Ziel habe, wenn der Krieg beendet ist. Man kann nicht sagen, wir hätten für unsere Teilnahme am Krieg ein soziales Motiv. Wir Kommunisten sind die ersten, die diesen Verdacht zurückweisen." "L'Humanité", die Zeitung der KP Frankreichs, schrieb Anfang August 1938, daß die KP Spaniens "nur ein Ziel kennt, die Verteidigung der Republik unter Respektierung des Eigentums".

Dafür wurden auch Schauprozesse nach Moskauer Muster inszeniert. Am 14. Oktober 1938 begann der Prozeß gegen die Führung der POUM. Doch die Prozeßregie scheitert. Die Angeklagten gestehen nicht. Das Hauptbeweismittel, eine bei einem Faschisten gefundene Landkarte mit angeblichen Anmerkungen Andreas Nins, des populärsten POUM-Führers, wird als stalinistische Fälschung entlarvt. Largo Caballero, vormaliger sozialistischer Chef der Volksfrontregierung, erklärt als Zeuge, "daß die Kommunistische Partei die Anklage wegen Spionage erzwungen" hatte. Kurze Zeit später erklärte die gesamte katalanische Regierung mit Ausnahme der Stalinisten, daß es sich bei der ganzen Sache um eine lächerliche Fälschung handelte. Die Spionagevorwürfe mußten fallen gelassen werden. Trotzdem wurden die POUM-Führer Gorkin, Andrade und Bonnet (Andres Nin war von den Stalinisten zuvor ohne Prozeß ermordet worden) zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, ausdrücklich wegen ihrer  revolutionären Aktivitäten gegen den Kapitalismus.

Bald darauf verzichtete die republikanische Bourgeoisie Spaniens auf die Dienste der Stalinisten. Die Internationalen Brigaden wurden nach Hause geschickt, die Kommunistische Partei bald danach unterdrückt. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan. Die Volksfront-Politik hatte die spanische Arbeiterklasse in die Katastrophe geführt. Sie hat den Sieg Francos vorbereitet. Diese Lehre des spanischen Bürgerkrieges werden auch die letzten Überlebenden und absolut lernunfähigen Interbrigadisten nicht vergessen machen können. Noch 60 Jahre nach dem ersten schrecklichen Desaster der Volksfront-Politik wollen sie nicht wahrhaben, daß Kampfbereitschaft, individueller Heroismus und der Glaube an die gute Sache des Antifaschismus als Basis sozialistischer Politik nicht ausreichen. Die Lebenslügen Fritz Teppichs und Fred Müller hören jedoch auf, deren individuelles Drama zu sein, wenn neue Geschichtsfälschungen verbreitet werden.