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Das Arche Noah-Prinzip


Der wertkritische Angriff auf die Geschichte durch die Krisis-Gruppe

    „Aufklärung ist mehr als Aufklärung. Natur, die in ihrer Entfremdung vernehmbar wird.”
    (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung(1))

    „Diese Stimmung, diese Einstellung ist nicht mehr die unsere.”
    (Jürgen Habermas zu seiner Abkehr von der Kritischen Theorie im Sinne der Dialektik der Aufklärung(2))

    „Es ist einfach ekelhaft.”
    (Robert Kurz über das Aufklärungsdenken(3))

    „Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. (...) Der selbe Sprung unter freiem Himmel der Geschichte ist der dialektische als den Marx die Revolution begriffen hat.”
    (Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte(4))
Laut Altem Testament sieht der Vater Noahs nach der Vertreibung aus dem Paradies durch Jahwe seinen Sohn als die Hoffnung für die Menschenfamilie an. Denn ihr Leben außerhalb des Paradieses war mühselig und unattraktiv. Und so heißt es im alten Testament: „Als der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden, und alles Dichten und Trachten in ihren Herzen nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte.„ Noah wurde durch Gott auserkoren, der geplanten Vernichtung allen irdischen Lebens durch die Sintflut zu entgehen. Er sollte eine Arche bauen für sich und seine Familie sowie ein Paar von jeder Tierart und Nahrung mitnehmen. Als nach 150 Tagen die Sintflut vorüber war, kann Noah nach weiteren 21 Tagen den Erdboden betreten. Und der Herr erklärte vor Noah: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.” Die Eintracht war besiegelt. Reich und Wille des Herrn waren auf die Erde gekommen.
Da die Gruppe Krisis mit der Ausgabe Nummer 25 ihres gleichnamigen Verlautbarungsorgans nichts anderes als eine Art Ende der Vorgeschichte aller bisherigen Kritik ausgerufen hat, das, in den großen Worten ihres kleinen Vorsitzenden Robert Kurz, darin bestünde, „mit der bisherigen Geschichte von Fetisch- und Herrschaftsverhältnissen” zu brechen(5), bleibt meines Erachtens keine andere angemessene historische Analogie als die biblische Geschichte des Noah ins Feld zu führen. Denn schließlich denken und handeln die Krisis-Genossen konsequent von der Heilserwartung nach der finalen Sintflut aus, so daß ihnen das banal irdisch-materielle Leben nur noch ein allgemeines Bashing wert ist und zur Allroundbestätigung des immer schon Gewußten vom totalen Zusammenbruch taugt.
Die historische Mission der Verkündung der finalen Krise ist der Zweck des Tuns der Missionare der finalen Krisentheorie. Was früher das Klassenbewußtsein ohne Krise, ist hier zum Krisenbewußtsein ohne Klasse gewendet. Was soll man sich also an der bedrohten irdischen Existenz Israels oder des neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Denkens durch den Islamismus abarbeiten, wo man doch überhaupt arbeitskritisch und bauernschlau genug ist, um zu wissen, daß das Eine ja das Andere bedingen würde. Kurzum, weil neuzeitliches Denken als Reflexivwerden des Ichs in der Denke der Krisis nicht etwa nur unmittelbar mit seinem Gegenteil (z.B. dem Islamismus) zusammenfiele, sondern jeweils das zu sich selbst Gekommene wäre(6), und auch ein Staat Israel so oder so – egal, was er tut – in der Zwickmühle seiner sowieso zum Untergang verdammten Existenz stecke(7), muß man sich der Banalität des Alltags nur insofern annehmen, als die hochgepriesene Empirie nichts weiter ist als der Vorwand für eine in sich abgeschlossene Theoriebildung, die kaltschnäuzig von allgemein-gleichen Opfern des Wertes kündet, ohne auch nur ein Fünkchen besonderer konkreter Parteinahme vorzunehmen, weil den Theoretikern des Werts letztendlich das konkrete, besondere Leiden von Menschen in der Gegenwart und ihre Notwendigkeit konkreter, unmittelbarer Linderung scheißegal ist. Schließlich lockt den Männerhaufen der Krisis nicht mehr ewig das Weib, seit Roswitha Scholz den Wert als männlich ausgemacht hat, sondern ganz und gar das Paradies als konkrete Utopie nach der Sintflut – das Land von fließend Milch und Honig. Wohl deshalb ist man blind gegenüber der Tatsache, daß man sich mittlerweile auf Platz eins aller gesellschaftskritischen Geschichtsmetaphysik gebeamt hat und dem Sündenfall falscher Erkenntnis schon vor dem Eintritt paradiesischer Zustände auf Erden erlegen ist: der Determinismus des Traditionsmarxismus flüstert ihnen, daß die finale Krise gesetzmäßig im vollen Gange ist. Damit dies aber nicht auffällt, verabschiedet man sich mit großem Gezeter von der Kritischen Theorie, als hätte man die in Krisis-Kreisen je ernst genommen, und zugleich von der Marxschen materialistischen Geschichtsauffassung überhaupt:(8) Man läßt die Korken der Frankfurter Flaschenpost knallen, meint den Zeitkern der Kritischen Theorie geknackt zu haben und sie so zum toten Hund der Gesellschaftskritik erklären zu können. Es wird der heilige Kreuzzug gegen die Aufklärung verkündet – die „radikale emanzipatorische Antimoderne” der Krisis erklärt der Aufklärung die „emanzipatorische Feindschaft”.(9)
Wenn Antideutsche von der barbarischen Gedankenform des Bedürfnisses der Krisenbewältigung aus denken – also von der Möglichkeit des Umschlagens in Gegenaufklärung – und dafür Auschwitz und den Nationalsozialismus als Kronzeugen ins Feld führen, dann wird bei der Krisis hingegen von der finalen Krise aus gedacht, weil die Logik der gesetzmäßigen Kapitalakkumulation für sie nichts anderes nahelegt. Allerdings hat sich die Krisis gegen Kritik mittlerweile dermaßen immun gemacht, daß sich jegliche Gegenargumentation in ihren Augen sofort zur steigbügelhaltenden Rettung der Aufklärung herabwürdigt: Subjekt? Scheiße! Vernunft? Blödsinn! Moral? Wahnsinn! Menschenrecht? Mord und Totschlag! usw. usf. Die Gruppe Krisis hat die Aufklärung als das Synonym für die apokalyptischen Reiter entdeckt. Und deshalb: „Nicht nur Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit stehen zur Disposition, nein ebenso Aufklärung und Zivilisation, Vernunft und Sachlichkeit.”(10)
Was also ist in ihren Augen Aufklärung? Kurz gesagt: nichts als Dreck! Und mit einem selbstherrlich-theoretischen Wisch ist dann auch alles weg – so meint man. Das kommt besonders dort gut an, wo derlei Paukenschläge zur linken Bauernschläue qualifizieren. Kichernd und lästernd zeigt man dann theoriegestärkt zur eigenen Selbstvergewisserung auf die antideutschen Dummköpfe, die für so bekloppt gehalten werden, daß sie in Israel schon den Kommunismus sähen, unter amerikanischen Staatsbürgern emanzipierte Subjekte verstünden, im bürgerlichen Ich die Utopie verwirklicht fänden, von der US-Army dächten, sie würde den Wohlstand nach Afghanistan bomben oder sich den Kommunismus als Coca Cola-Reich ausmalten. Daß diese Vorurteile in erster Linie etwas über die unwissenden Charaktere der so Urteilenden verraten, macht die Sache leider nicht besser, sondern schlimmer.
Spätestens seit dem 11. September werden einem ständig Sachen in den Mund gelegt, die nie ein (antideutsches) Schwein je von sich gegeben hat. Daß die Leute sich selbstvergewissernd gegenseitig unter die Nase reiben müssen, daß das bürgerliche Glücksversprechen ja gar nicht identisch sei mit dem kommunistischen, ist nicht das Problem antideutscher Kritik – von der man, so man es zur Kenntnis nehmen möchte, ohne Probleme wissen kann, daß sie nie behauptet hat, das bürgerliche Streben nach Glück wäre in Wirklichkeit etwas anderes als die rücksichtslose Konstituierung des doppelt freien Konkurrenzsubjekts in der zwiespältigen Einheitsform von Citoyen und Bourgeois. Es sagt vielmehr etwas über die Schlauberger von Krisis bis sonstwohin aus: Daß nämlich jene genau diesen Punkt des Verhältnisses von bürgerlichem und emanzipatorisch-kommunistischem Glücksversprechen auf Grund ihrer notorischen Aversion gegen die Kritische Theorie überhaupt nicht richtig klar haben. Dazu kommt, daß man mit einiger Berechtigung unterstellen kann, daß die Leute, die heutzutage so eindringlich mit pseudoradikalem Endzeitpathos auf die Aufklärung eindreschen, einen immensen Nachholebedarf hinsichtlich ihrer Kritik an der Aufklärung haben: Man neidet den Antideutschen letztlich unbewußt, daß sie die Dialektik der Aufklärung konsequent zu denken versuchten, wo andere noch mit ihrer persönlichen Arbeiterbewegtheit um die Büste des jeweils heiligen großen Vorsitzenden rannten bzw. mit der neulinken Kleine-Schritte-Tippel-Tappel-Politik abrechneten und trotzdem die Kritische Theorie scheuten wie der Teufel das Weihwasser.
Die Krone der emanzipatorischen Schöpfung ist für die kritischen Schlauberger im Fahrwasser der Krisis dann erreicht, wenn sie zu der Frage vordringen, wie man denn nur das bürgerliche Glücksversprechen für gar nicht emanzipatorisch halten kann und trotzdem in besonderen Situationen für verteidigenswert. Die Mühe, die diese Frage allerdings kostet, überanstrengt scheinbar dermaßen, daß die Fragenden, kaum daß sie formuliert haben, sich gegenseitig erschöpft in den theoretische Sicherheit bietenden siebten Himmel der sogenannten allgemeinen, Meta-, Staats- oder Kapitalismuskritik wiegen. Was Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung” schrieben, muß ihnen also verborgen bleiben: „Die Angst, das Selbst zu verlieren und mit dem Selbst die Grenze zwischen sich und anderem Leben aufzuheben, die Scheu vor Tod und Destruktion, ist einem Glücksversprechen verschwistert, von dem in jedem Augenblick die Zivilisation bedroht war.”(11)
'Die schlauen Krisis-Leute geben's den Antideutschen aber mal richtig!' So oder ähnlich grinst das nicht ganz blinde, sondern einäugige bewegungslinke Fußvolk voller vermeintlicher Häme gleichzeitig ungläubig vor sich hin und devot auf die Potemkinschen Dörfer der Krisis-Theorie. Denn schließlich fühlt(!) man sich doch schon seit Jahren unangenehm berührt und penetriert von der antideutschen Hirnwichse, die nur Unfrieden säen wolle und „die Linke” spalten.
In die Niederungen des konkreten menschlichen Leidens, das nun mal konkret und nicht abstrakt gelindert gehört, und deshalb in seiner dialektischen Verfaßtheit der Vernarbung und Verhärtung zu erfassen ist(12), steigt man bei der Krisis schon lange nicht mehr hinab. Der Grund: es ginge eben objektiv absolut gar nichts mehr in dieser Hinsicht. Stattdessen gibt man lieber den selbstherrlichen Theorie-Großkotz und hämmert die „20 Thesen gegen die sogenannte Aufklärung und die 'westlichen Werte'” nicht mehr wie einst Luther an die Kirchenpforte, sondern in den Computer, um sie der Welt kund zu tun. Verkündet wird eine Art Projekt der Offenbarung, das „ein alle Ebenen der Reflexion und alle Lebensbereiche übergreifendes umstürzlerisches Großprojekt”, ein „großtheoretischer Ansatz neuer Qualität” als „sich selbst überwindende und überflüssig machende Großtheorie” sein soll.(13) In der gesellschaftskritischen Konsequenz allerdings ist solch klimpernde Phantasterei mehr nichtssagendes Geschwätz als alles andere und durchaus von der Art, die man in der Politik Populismus schimpft: Man haut mal kräftig auf die Pauke und wartet im Sinne von Franz – „Schau'n mer mal” – Beckenbauer ab, was so alles passiert.
Es gehört zum Wahnsinn der Vernunft des aufgeklärten Theoretikers, immer alles ganz genau wissen zu wollen. Deshalb sind ihm auch Begriffe wie Tausch oder Aufklärung dann höchst suspekt, wenn sie nicht eine abgeschlossene Spezifikation in Raum und Zeit erfahren, sondern als allgemeines Formprinzip nur in dialektische Relation zur jeweiligen Wirklichkeit und deren Substanz gesetzt werden. Das liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit daran, daß man bei der Krisis das Verhältnis von Begriff und Sache als miteinander nicht identisch kaum konsequent denkt. Was Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung” schrieben, scheint ihnen mehr ein Buch mit Siegeln zu sein als wirklich einzuleuchten: „Der Begriff, den man gern als Merkmalseinheit des darunter Befaßten definiert, war vielmehr seit Beginn das Produkt dialektischen Denkens, worin jedes stets nur ist, was es ist, indem es zu dem wird, was es nicht ist. Das war die Urform objektiver Bestimmung, in der Begriff und Sache auseinandertraten.”(14) Etwas auf den Begriff zu bringen bedeutet also, es zu dem zu machen, was es der Sache nach nicht ist. Die Relation von Form und Stoff, von Subjekt und Objekt wird von Horkheimer/Adorno konsequent gedacht. Denn daß Begriff und Sache nicht identisch sind, ist eines der wichtigsten variierenden Themen der Protagonisten der Kritischen Theorie. Denken bedeutet ihnen immer denken von etwas. Eine Sache auf den Begriff zu bringen heißt, daß der Begriff der Sache nicht äußerlich ist, sondern in ihm ein wahrer Gehalt über die Sache steckt. Deshalb war es auch zeitlebens der Anspruch von Horkheimer/Adorno, eine Sache nicht nur auf einen, sondern möglichst auf ihren Begriff zu bringen, ohne dabei der ontologischen Eigentlichkeit von Ursprungsphilosophie das Wort zu reden. Dieses Verhältnis von Sache und Begriff ist ein gedachter Zustand, der dem Versöhnungsgedanken der Kritischen Theorie innewohnt. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Kritische Theorie grundlegend davon ausgeht, eine Sache an sich nicht denken, sondern sie nur auf den Begriff bringen zu können.
Krisis-Autor Claus Peter Ortlieb beklagt in längst bekannter traditionsmarxistischer Manier in besagter Ausgabe Nummer 25, daß bei Adorno/Horkheimer der „Herrschaftsbegriff nicht historisch spezifiziert wurde und schwammig” bleibe. Und weil der echte Theoretiker Sicherheit im Leben braucht, denkt man auch allen Ernstes, Adorno/Horkheimer vorwerfen zu müssen, daß sie einen anderen historischen Aufklärungsbegriff hatten, als man es seitens der Krisis gern bei ihnen gesehen hätte. Und deshalb sei „ein historischer Begriff (...) erforderlich, der die Aufklärung dort verortet, wo sie entstanden ist, nämlich in der im 17. und 18. Jahrhundert sich entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft.”(15) Gerade also die Stärke der Kritischen Theorie, sich nicht auf das bürgerliche Selbstverständnis von Aufklärung einzulassen, soll ihr genommen werden. „In der Tat”, schreiben Horkheimer/Adorno, „erstrecken die Linien von Vernunft, Liberalität, Bürgerlichkeit sich unvergleichlich viel weiter, als die historische Vorstellung annimmt, die den Begriff des Bürgers erst vom Ende der mittelalterlichen Feudalität her datiert.”(16) Für Horkheimer/Adorno bedeutet einer Dialektik der Aufklärung gerecht zu werden, „ihr zwiespältiges Verhältnis zur Herrschaft” zu formulieren.(17) „Indem solcher Doppelcharakter der Aufklärung als historisches Grundmotiv hervortritt, wird ihr Begriff, als der fortschreitenden Denkens, bis zum Beginn überlieferter Geschichte ausgedehnt.”(18)
Norbert Trenkle bestätigt nachdrücklich, daß „das Grundproblem” von Adorno/Horkheimer eben „in einem historisch sehr unspezifischen Begriff von Aufklärung und Vernunft” bestünde und deshalb von einer „Rückprojektion bürgerlicher Verhältnisse in die gesamte vorangegangene Geschichte” gesprochen werden müsse.(19)
Bereits in einem Nachtrag zu dem programmatischen Aufsatz „Traditionelle und kritische Theorie” im Jahre 1937 entgegnete Max Horkheimer der reduktionistischen Lesart der Kritischen Theorie, die auch im Falle der Krisis vorherrschend ist: „Der Ökonomismus, auf den die kritische Theorie mancherorts reduziert ist, wo man sich auf sie beruft, besteht nicht darin, das Ökonomische zu wichtig, sondern darin, es zu eng zu nehmen.”(20) Der gewollt reduzierte Aufklärungsbegriff der Krisis, der Aufklärungsdenken nach genau diesem reduktionistischen Schema aus seiner historischen Genesis reißen will und damit im Gegensatz zu dem Versuch von Adorno/Horkheimer letztlich enthistorisiert, dient dem Zweck des Feldzuges gegen die Kritische Theorie. Die Katze ist spätestens jetzt aus dem Sack, wo man ihrem dialektischen Aufklärungsbegriff ans Leder will. Es ist aber nichts als der lächerliche Pathos des Brimboriums, mit dem man daran erinnert, daß Aufklärung kein Zuckerschlecken war.(21) Was hier getrieben wird, trägt starke Züge des offenen Dummenfangs. Denn man kann über Sätze wie den folgenden als Nichtwissender nur staunen, wenn es gegen die Kritische Theorie heißt: „So richtig und wichtig die Kritik des Fortschrittsdenkens auch ist, sie bleibt doch in ihm befangen; indem sie bloß seinen Optimismus (die angebliche Notwendigkeit der Befreiung) verwirft, reproduziert sie negativ das ihm zugrunde liegende geschichtsphilosophische Konstrukt.”(22) Mit Verlaub, das gehört zum Basiswissen einer ernstzunehmenden materialistischen negativen Dialektik und als solches grundlegendes Fundament unabdingbar zur Programmatik der Kritischen Theorie und kann somit wohl kaum als unreflektiertes Element innnerhalb der Kritischen Theorie gegen sie geltend gemacht werden. Schon 1937 schrieb Horkheimer in „Traditionelle und kritische Theorie”: „Indem nun in der neueren Geschichte von jedem Individuum gefordert ist, daß es die Zwecke des Ganzen zu den eigenen mache und diese im Ganzen wieder erkenne, besteht die Möglichkeit, daß die ohne bestimmte Theorie und als Resultante disparater Kräfte eingeschlagene Richtung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, an deren Wendepunkten zuweilen die Verzweiflung der Massen ausschlaggebend war, ins Bewußtsein aufgenommen und zum Ziel gemacht wird. Das Denken spinnt dies nicht aus sich heraus, es wird vielmehr seiner eigenen Funktion inne (...). Dieser Struktur wohnt jedoch eine Dynamik ein, kraft deren schließlich in einem Ausmaß, das an die alten asiatischen Dynastien erinnert, phantastische Macht auf der einen, materielle und intellektuelle Ohnmacht auf der anderen Seite sich anhäuft (...). Die Menschen erneuern durch ihre eigene Arbeit eine Realität, die sie in steigendem Maße versklavt.”(23) Hier schon also findet sich die entscheidende Denkfigur einer Dialektik der Aufklärung, die sich im Sinne der Metaphysik von Aristoteles begreift, der das von Horkheimer sich seiner Funktion innewerdende, also auf sich selbst reflektierende Denken, als eines faßte, das vom Denken zum vernünftigen Denken werden müsse, „da das Gedachte und die Vernunft nicht verschieden sind” und somit „das Denken mit dem Gedachten eines”(24) werden könne. Aristoteles nannte das „Denken des Denkens”(25), was sich, kopernikanisch gewendet, als selbstreflexives verstehen läßt. Horkheimer wies dann auch darauf hin, daß „im Gang der europäischen Gesellschaft (...) zwei Begriffe von Vernunft sich voneinander” abhöben: „Der eine war den großen philosophischen Systemen seit Platon eigen. In ihnen begriff Philosophie sich selbst als Abbild des vernünftigen Wesens der Welt, gleichsam als Sprache oder Echo des ewigen Wesens der Dinge (...). Mit der Ausbildung einer eignen Logik, mit der Verselbständigung des Subjekts, seiner Distanzierung von der Welt als bloßem Material entsteht im Widerspruch zu jener umspannenden, dem Objekt und Subjekt gleichermaßen eigenen Vernunft, die formale, ungebundene, ihrer selbst gewisse ratio.”(26) Letztere Vernunft faßte er als „autonome, ausschließende”(27), die die Möglichkeit der „Aufhebung der Entzweiung”(28) von Vernunft in naturverfallene und selbstreflexive eröffne. Sie sei aber „nicht einzig ein theoretischer Prozeß”(29). Denn „erst wenn die Beziehung von Mensch zu Mensch und damit auch die von Mensch zu Natur anders gestaltet ist als in der Periode der Herrschaft und Vereinzelung, wird die Spaltung von subjektiver und objektiver Vernunft aufgehen. Dazu aber bedarf es der Arbeit am gesellschaftlichen Ganzen, der geschichtlichen Aktivität. Die Herstellung eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem der eine dem anderen nicht zum Mittel wird, ist zugleich die Erfüllung des Begriffs der Vernunft, der in der Spaltung von objektiver Wahrheit und funktionellem Denken jetzt verloren zu gehen droht.”(30)
Wenn Krisis-Autor Norbert Trenkle Horkheimer/Adorno vorwirft, „die formalistische Vernunft und die mit ihr einhergehende spezifisch moderne Form der Zurichtung von (äußerer und innerer) Natur (...) nicht als wesentliches Moment eines ganz bestimmten, von Ware und Wert konstituierten gesellschaftlichen Verhältnisses, sondern umgekehrt als konsequente Fortsetzung und Zuspitzung einer Tendenz, deren Ursprung eben mißlungene Ablösung von Natur sein soll”, zu begreifen, dann entpuppt sich hier ziemlich deutlich, wie sehr der Krisis daran gelegen ist, die gesellschaftliche Synthesis durch den Wert geschichtlich zu hypostasieren. Man stemmt sich gegen die Dialektik der Aufklärung als negative Dialektik von Geist, Moral und Vernunft und damit auch gegen sich selbst als kritische Geister. Mit ihrer Aufklärungskritik manövriert sich die Krisis-Gruppe so ungewollt ins geschichtliche Vakuum: sie vermag zwar Horrorgeschichten über die Aufklärungsgeschichte erzählen, die wirkliche sind, aber mit einem materialistischen Geschichtsbegriff hat das nur soviel zu tun wie bei den Strukturalisten. Weil, wie Horkheimer/Adorno schreiben, „im Dienst der Gegenwart” sich Aufklärung „zum totalen Betrug der Massen” umwandelte, muß Aufklärung in den Dienst der Utopie genommen werden. Dafür aber bedarf es erstens keiner Aufklärungsentsagung, sondern eines Anknüpfens, und zweitens einer dialektischen Geschichtsbetrachtung im Sinne Walter Benjamins, dessen Angelus Novus nicht nur den „Sturm vom Paradiese her” spürt, sondern auch das Bedürfnis nach „Verweilen”.(31)
Krisis will letztlich nichts anderes als die absolute, mit sich identische Kritik, die es nicht gibt. Deshalb, und nur deshalb, geht man auch soweit, selbst die Möglichkeit eines materialistischen Geschichtsbegriffs sich zu nehmen. Das Bedürfnis nach Geschichtslosigkeit aber ist nichts anderes als ein Ontologie-Surrogat, das das ontologisches Bedürfnis entpuppt: „Man hofft, die Vermittlungen zu durchstreichen, anstatt sie zu reflektieren.”(32) Was sich bei Krisis „fundamentale Wertkritik” schimpft, enthebt sich längst – wider der eigenen Beteuerungen – einer permanenten Rückversicherung durch Empirie(33), eines Fundamentes in der Wirklichkeit, und verkommt zum Idealismus. Nicht aber um die Reinheit des selbstsicheren kritischen Gedankens ist es Kritik zu tun, sondern um die Kritik der Reinheit des idealistischen Gedankens.
Hegel hat in seiner Phänomenologie des Geistes die Möglichkeit des reflexiven Selbst-Zweifels durch die entzaubernde Aufklärung als „Freiheit des Selbstbewußtseins” gefaßt, die zugleich „das unglückliche Bewußtsein” aus sich heraus erzeugt. Die „Verdopplung des Selbstbewußtseins in sich selbst” müsse als das „unglückliche, in sich entzweite Bewußtsein” begriffen werden, das aber, „weil dieser Widerspruch seines Wesens sich ein Bewußtsein ist”, dadurch, daß das Bewußtsein „zum Siege und zur Ruhe der Einheit gekommen zu sein meint, wieder ausgetrieben werden” müsse. Was sich „früher an zwei Einzelne, an den Herrn und den Knecht, sich verteilte”, sei nun „in Eines eingekehrt”.(34) Diese Skepsis gegenüber dem eigenen Selbst, die Hegel hier dem kartesianischen Subjekt der Aufklärung attestiert, ist nichts als die endgültige und nicht erstmalige Verlagerung Gottes von der äußeren in die innere Natur des Menschen.(35) Denn „die Geschichte der Zivilisation ist die Geschichte der Introversion des Opfers. Mit anderen Worten: die Geschichte der Entsagung”(36) Sie vereint in sich Mythos, Logos und Telos, ohne daß diese drei ineinander vollends aufgingen. Denn durch „die Aufnahme des Mythos in die Zivilisation”(37) schließt „die Feindschaft des Selbst gegens Opfer ein Opfer des Selbst ein, weil sie mit der Verleugnung der Natur im Menschen bezahlt ward um der Herrschaft über die außermenschliche Natur und über andere Menschen willen.”(38) So ist die Verleugnung der Natur „der Kern aller zivilisatorischen Rationalität.”(39) Und damit wird „ nicht bloß das Telos der auswendigen Naturbeherrschung, sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig.”(40) Auch der negativ gefaßte Telos der Überwindung des Kapitalismus ist so nicht anders als teleologisch möglich. Er ist als ein nur relativ negativer somit seines notwendig positiven Gehalts nicht vollends enthoben. Denn Kritik ohne Telos ist keine und Telos ohne Negation des Bestehenden undenkbar. Teleologie ist somit Bedingung von Kritik. Nur so kann und wird (aber nicht muß) Kritik überhaupt über das Bestehende hinausweisen. Kritik muß objektiv nichts, sie kann nur subjektiv. Ihr objektiver Zweck aber ist die Negation der Zwecklosigkeit in subjektiver Sinnstiftung. Bei aller Vermitteltheit des Subjektiven unter dem Vorrang des Objekts als fortwährender Teil desselben gilt: ohne subjektive Zwecksetzung keine vernünftige Kritik und ohne Kritik keine vernünftige Zwecksetzung – der Zweck ist das Ziel, das Ziel ist der Zweck. Ein rastloses Tun dagegen ohne Sinn und Zweck ist das Ideal derer, die nichts wollen außer rastloses Tun. Kritik aber ist als das Gegenteil nicht nur dazu verdammt, sondern auch mit dem Glücksumstand gesegnet, diese Besinnungslosigkeit tautologischen Dasein des Menschen zu beenden.
Die Verinnerlichung der Reinheit Gottes als den getöteten Glauben an ihn und die gleichzeitige „Verinnerlichung des Opfers, der Entsagung”(41), ist das Schicksal des Menschen, das sich im Reflexiv-Werden des neuzeitlichen Denkens zum traumatischen Zwang des zweckmäßigen Strebens nach erlösender Reinheit der Idee auswächst. Der ständige Zweifel, den das Ich hegt, der Zweifel am Zweifel als Wille zur Wahrheit, ist unerträglich, er soll getilgt werden im unerschütterten reinen Glauben an den transzendentalen Moment: „Mit der Verlegung ins Subjekt, der Emanzipation vom mythisch vorgegebenen Inhalt, wird (...) Unterjochung 'objektiv', dinghaft selbständig gegenüber jedem besonderen Zweck des Menschen, sie wird zum allgemeinen rationalen Gesetz.”(42)
Es mutet schon sehr merkwürdig an, wenn die Krisis in ihrer Ausgabe Nummer 25 allen Ernstes ein allgemeines Bashing der Kritischen Theorie zu veranstalten gedenkt, ohne auch nur einmal auf die Substanz eines Begriffes vom Nichtidentischen und dem für die Kritische Theorie alles entscheidenden sogenannten Vorrang des Objekts einzugehen. Das „konsequente Bewußtsein von Nichtidentität”(43), also davon, daß weder der Begriff in der Sache, noch der Mensch als Individuum in der Subjektform(44) aufgeht, wird so für null und nichtig erklärt, weil man negative Dialektik wohl eher für eine vulgäre Umstülpung statischer Dialektik hält.(45) Gerade das Bewußtsein der Notwendigkeit von Selbstreflexion auf den Identitätszwang als abstrakte Herrschaft, die sich in Form des Zwangssubjektivität Ausdruck verleiht, steht dabei im Vordergrund einer Ideologie- und Erkenntniskritik. Nur unter solcherlei Vorzeichen läßt sich ermessen, was unter dem Vorrang des Objekts zu verstehen ist: „Vermöge der Ungleichheit im Begriff der Vermittlung fällt das Subjekt ganz anders ins Objekt als dieses in jenes. Objekt kann nur durch Subjekt gedacht werden, erhält sich aber diesem gegenüber immer als Anderes; Subjekt jedoch ist der eigenen Beschaffenheit nach vorweg auch Objekt. Vom Subjekt ist Objekt nicht einmal als Idee wegzudenken; aber vom Objekt Subjekt. Zum Sinn von Subjektivität rechnet es, auch Objekt zu sein; nicht ebenso zum Sinn von Objektivität, Subjekt zu sein (...). Vorrang des Objekts bedeutet die fortschreitende qualitative Unterscheidung von in sich Vermittelten, ein Moment in der Dialektik, nicht dieser jenseitig, in ihr aber sich artikulierend.”(46)
Es ist wohl das Hegelsche unglückliche Bewußtsein, an dem die Krisis darbt. Die erdrückende Wahrheit des Auseinanderfallens von ideeller Kritik und ihrer aufklärerischen Wirklichkeit ist eine unerträgliche Last, an der zerbricht, wer sie nicht aushält. Doch nur wer sie aushält, vermag aus ihr die Hoffnung zum Prinzip zu machen, die sich nicht in der geistigen Sphäre der reinen Idee Zuflucht verschafft. Nicht die Wirklichkeit der sittlichen Idee, sondern die Sittlichkeit der wirklichen Idee ist deshalb auch der Unterschied ums Ganze zwischen blendender Theorie und Kritik des Verblendungszusammenhanges. Radikale Kritik aufrechtzuerhalten, ohne das Fünkchen Gewißheit, daß sie sich durch ihre Selbstaufhebung, durch objektive Verüberflüssigung, je erledigen würde, ist die große Herausforderung für ein emanzipatorisches Bewußtsein, das sich mit der Aufklärung als Menschheitsgeschichte verbindet.(47) Das damit einhergehende unerträgliche Bewußtsein von Ohnmacht ist konstitutiv für den Gesellschaftskritiker. Wohl deshalb neigt dieser mehr zum Wahnsinn als die, die sich von der eigenen Ohnmacht und der Macht der anderen haben dumm machen lassen.(48) In Anlehnung an Adorno läßt sich sagen: Nur weil das, was ist, sich scheinbar nicht ändern läßt, ist das, was ist, nicht automatisch alles.(49)
'Seht her, wir ham's ja gleich gesagt!' So oder ähnlich klingt die Krisis-Kritik der verschränkten Arme, die an der konkreten Intervention sich nicht die Finger schmutzig machen will, weil ihr kritisches Spielchen ja Geh'auf's Ganze hieße. Wenn aber alles nur noch zum Beleg der finalen Krise gerät, ist die Kritik einem idealistischen Zirkelschluß erlegen – Kritik wird selbst zur Totalität in der Totalität. Was also einst die kritische Durchdringung des verblendenden Immanenzzusammenhanges intendierte, landete in der idealistischen Parallelwelt der Begriffstautologie und damit, um das einmal mehr festzustellen, dort, wo der Theoretiker zum Wert wird.(50) „Was jetzt noch radikale Kritik heißen will”, schreibt Robert Kurz, „kann sich nur noch mit Zorn und Ekel vom geistigen Gesamtmüll des Abendlandes abwenden.”(51) Gut gebrüllt, Löwe!, kann man da nur erwidern.(52) Aber ob es auch 'was heißen mag?
Das neuzeitliche Denken, das cogito, also das Heraustreten des reflexiven menschlichen Geistes als Subjekt aus dem Naturzusammenhang und die damit einhergehende Aufspaltung in Subjekt-Objekt-Relation als Bedingung der Möglichkeit von Selbst-Reflexion überhaupt, ist für die Krisis der Bruch aller Brüche, der selbst nicht mehr erklärt werden soll. Daß dies folgerichtig zugleich für die Erklärung der Genesis des Geldes und des Äquivalenzdenkens gelten muß, macht die Sache um so schlimmer. Auf das wirkliche Wesen einer Sache durch historische Formbestimmung zu schließen, kann bei ihnen demzufolge nur verkümmern und nicht schärfer konturiert werden. So kann der „Zusammenhang von Opfer und Tausch”(53), den Horkheimer/Adorno als zentrales Moment der Dialektik der Aufklärung stark machen, nicht wirklich erfaßt werden – man schneidet stattdessen die eigene Kritik davon ab. Wenn man sich nicht wie die Kritische Theorie vergegenwärtigt, daß Denken grundsätzlich Abstraktion von der Sache ist, weil sie nur in Begriffen möglich ist, dann kann man auch keine dialektische Bestimmung von Wertabstraktion und Heraustreten des Geistes aus Naturverfallenheit vornehmen. Denken bedeutet, daß man weder ausschließlich natürlicherweise noch ausschließlich künstlicherweise von der Sache abstrahiert, in dem man den Gegenstand reflektiert. Das Verhältnis von Geist und Natur ist nicht das Verhältnis von erster und zweiter Natur schlechthin, sondern Ausdruck einer substantiell im Menschen angelegten Fähigkeit zur geistigen Abstraktion durch reflektieren der sinnlich wahrgenommenen Gegenstände, dessen Vermittlung zu- und füreinander der blinde Fleck jeglicher menschlicher Erkenntnis ist.(54) Ist man sich dieser Konstellation von Mensch und Natur bewußt, so bekommt die Form des Denkens durch die gesellschaftliche Synthesis des Werts nicht mehr jene basale Rolle, die ihr die Krisis zuweist.
Hypostasierung durch enthistorisierende Verkürzung. So könnte man den Vorwurf gegenüber der Krisis und ihrer Kritik an der Kritischen Theorie auf den Punkt bringen. „Die Menschen hatten immer zu wählen zwischen ihrer Unterwerfung unter Natur oder der Natur unter das Selbst” schreiben Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung”(55) und verdeutlichen so, daß die Menschheitsgeschichte eine Geschichte des Verhältnisses von Selbstbehauptung des Geistes und Selbstzurichtung durch Mimesis an Natur ist, „in der das Denken der Welt sich gleichmacht.”(56) Wenn Horkheimer/Adorno ihren Gedanken der Versöhnung von Mensch und Natur nur über den Weg des unabhängigen Denkens als Ausdruck von Vernunft zu denken vermochten, dann ging es ihnen um die Rettung der Menschheit über deren Befähigung zur Vernunft.(57) Krisis dagegen will nicht die menschliche Vernunft retten, sondern, wider besserer Beteuerung, neu erfinden. Dieser unreflektierte Bruch in ihrem Denken von Aufklärung spielt die reine gegen die praktische Vernunft aus, anstatt beide wirklich historisch zueinander in das Verhältnis von Idee und Wirklichkeit zu setzen, wie es Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung” tun. „Weil Vernunft selbst zum bloßen Hilfsmittel der allumfassenden Wirtschaftsapparatur wurde”, schreiben sie, „(...) dient (sie) als allgemeines Werkzeug, das zur Verfertigung aller anderen Werkzeuge taugt, starr zweckgerichtet, verhängnisvoll wie das genau berechnete Hantieren in der materiellen Produktion, dessen Resultat für die Menschen jeder Berechnung sich entzieht. Endlich hat sich ihr alter Ehrgeiz, reines Organ der Zwecke zu sein, erfüllt.”(58)
Norbert Trenkle schreibt: „Es sind die unaufgelösten Aporien seiner eigenen Begrifflichkeiten und deren Befangenheit in der aufklärerischen Geschichtsphilosophie, die Adorno dazu bringen, die Aufklärung gegen ihre innere destruktive Dialektik noch retten zu wollen. Wird Aufklärung (...) nicht mit reflexivem Denken schlechthin gleichgesetzt, sondern als eine ganz spezifische, an eine bestimmte historische Fetischformation gebundene Form des Denkens – als neuzeitliche Vernunft – verstanden, dann läßt sich diese auch in aller negativen Konsequenz kritisieren, ohne deshalb dem absoluten Pessimismus zu verfallen”.(59) Und genau da wohl liegt der Hase im Pfeffer. Der Wunsch als Vater des kritischen Gedankens macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt, wie sie ihm in den Kram paßt. Mit dieser Art intendierter Kritik am Begriff einer Dialektik der Aufklärung der Kritischen Theorie verhält es sich damit ähnlich wie mit der Nietzsche-Rezeption seit Heidegger: „Weil sie eine Antinomie nicht von einer Ungereimtheit unterscheiden können, einen Widerspruch, in den die Vernunft selbst führt, nicht von einem, in den ihr fehlerhafter Gebrauch verwickelt, kreiden sie Nietzsche die Vernunftparadoxie, die ihn aus der Fassung gebracht hat, als seine persönliche Ungereimtheit an (...). Der gewünschte Erfolg diktiert hier der Selbstreflexion, wie weit sie gehen darf. Vernunftkritik ist ihr nur soweit gestattet, wie sie die Vernunft fit für diesen Erfolg macht. Noch aus der Selbstreflexion wird ein instrumentelles Verfahren, das genau dort abbricht, wo es kritisch wird.”(60)
Kritik ist die dialektische Darstellung des Verhältnisses von Begriff und Sache und die größten Metaphysiker, die, die nicht bereit sind, das sogenannte Vermittlungsproblem als objektiv antinomisches anzuerkennen: ihr Wille zur Aufhebung des metaphysischen Denkens verleiht sich im Willen zur unbedingten Lösung des Vermittlungsproblems Ausdruck.
Negativität bestimmt sich wie Positivität nur in der Relation von Identität und Nichtidentität. Das ist der objektive Problem- und Glücksfall von Kritik zugleich, der hinter dem Hegelschen Identitätssatz von Identität der Identität und Nichtidentität die Form von Erkenntnis vorgibt. Beide, Identität und Nichtidentität fallen objektiv unmittelbar zusammen und sind nicht subjektiv voneinander zu scheiden. Wenn aufklärerisches Denken des Selbstzweifels im Marxschen Sinne „objektive Gedankenform” ist, dann ist Kritik nicht die theoretische Überwindung der neuzeitlichen Aufklärung, sondern Selbstreflexion des vergegenständlichten Fetischbewußtseins als Selbstkritik.(61) Die Erkenntnis, daß Denken als Denken von etwas mehr ist als Denken, daß es ständig über sich hinausweisen muß, um als Gedachtes erfaßt zu werden, ist das Glück und Unglück des neuzeitlichen Selbstbewußtseins.(62) Daß der Prozeß des Denkens als gleichzeitiges Innehalten, als Reflexion auf Gedachtes, nichts anderes ist als Denken in Permanenz, wo Statik und Dynamik zwar unauflöslich ineinander verschlungen sind, ohne aber ineinander aufzugehen, ist zum Glück der unbeherrschbare blinde Fleck der Selbstreflexion, der nicht reflektieren läßt, wann der immanente Gedanke ein sich selbst und damit die Wirklichkeit übersteigender ist. Darauf gründet die ganze Hoffnung kritischen rationalen Denkens als gleichzeitige Lust und Last , das dazu verdammt ist und das Glück hat, Sachen und Gegenstande auf Begriffe bringen zu müssen und zu können: „Die Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen.”(63)
„Die Aporie, der wir uns bei unserer Arbeit gegenüber fanden”, schreiben Horkheimer/Adorno einleitend in der „Dialektik der Aufklärung”, „erwies sich (...) als der erste Gegenstand, den wir zu untersuchen hatten: die Selbstzerstörung der Aufklärung.”(64) Nichts wohl verdeutlicht hinsichtlich der Krisis besser den unreflektierten Willen des rationalen Aufklärungsdenkens als die theoretische Bestrebung, die Aporien der Kritischen Theorie zum Problem von unfertiger Theorie und nicht von Wirklichkeit zu machen: Der wahnhafte Wille zur Auflösung der theoretischen Aporie durch den sich permanent wiederholenden Vermittlungszwang läßt es gar nicht erst zu, eine theoretische Aporie vielleicht ja auch als praktische und damit als Ausdruck von objektiver Wirklichkeit zu begreifen.(65) Dagegen ist aber festzuhalten: „Die Gewalttat des Ausmerzens reproduziert den Widerspruch, den sie ausmerzt.”(66) Genau hier also wird die Theorie der Krisis gegenüber Wahrheit inkonsequent: das Dritte wird nicht etwas als ausgeschlossen anerkannt, sondern sich als ein theoretisches Vermittlungssurrogat verabreicht, so daß sich eine kritische Gesellschaftstheorie ganz im Stile der zurichtenden rationalen bürgerlichen Aufklärung als mit sich identisch halluziniert werden kann. Die gesellschaftliche Unversöhntheit wird gerade bei Leuten, die die wertkritische Fahne nicht hoch genug halten können, als Makel von Theorie anstatt als Makel von Wirklichkeit reflektiert: Der Wille zur Auflösung der Aporien ist hier nichts anderes als der Ausdruck von rationaler bürgerlicher Aufklärung in „Reinform”. Denn „im entfesselten kapitalistischen Konkurrenzkampf gibt es Selbstbehauptung nur, wo 7es Machtwillen gibt.”(67) Die Einheit von Warenform und Denkform als gesellschaftliche Synthesis wird nicht etwa dialektisch erfaßt, sondern sie wird theoretisch zugerichtet, weil man das Nichtidentische der Theorie mit ihrem Gegenstand nicht erträgt. Hier zeigt sich deutlich, wie die Krisis Selbstreflexion in einer Weise instrumentalisiert, die ihrer Theorie ganz im Sinne bürgerlicher Aufklärung der Wahrheitsfindung zu dienen hat. Daß Theorie und Kritik mit sich identisch sein sollen, ist der Wahn des Theoretikers als purer Wertausdruck. So kommt gar nicht in den Sinn, daß Selbstreflexion nur dann die Wahrheit preis geben kann, wenn sie nicht vor der Konsequenz der fundamentalen Erschütterung der eigenen Theorie zurückschreckt. Das nimmt die theoretische Sicherheit, die der Wert bietet, dient wohl aber gleichermaßen der Wahrheitsfindung wie dem subjektiven Willen zu ihr. Die theoretische Gewißheit als Gesetzmäßigkeit ist der Wert. Und darauf zu reflektieren nicht etwa poststrukturalistischer Wahrheitsverzicht, sondern die Erschütterung des bürgerlich-rationalen Theorie-Wahngebäudes der Aufklärung, daß Wahrheit nicht antinomisch sein dürfe, sondern nur mit sich identisch. Krisis findet sich an diesem Punkt gar ungewollt in der Nähe von Jürgen Habermaus wieder, der die Aporie der Kritischen Theorie ähnlich argumentierend für eine subjektive Unzulänglichkeit der Autoren der „Dialektik der Aufklärung” hält und nicht für objektiv. Er schreibt: „Wer an einem Ort, den die Philosophie einst mit ihren Letztbegründungen besetzt hielt, in einer Paradoxie verharrt, nimmt nicht nur eine unbequeme Stellung ein; er kann die Stellung nur halten, wenn mindestens plausibel zu machen ist, daß es keinen Ausweg gibt. Auch der Rückzug aus einer aporetischen Situation muß verlegt sein, sonst gibt es einen Weg, eben den zurück. Dies, meine ich, ist aber der Fall.”(68) Ein Weg zurück, den die Habermaus hier anpreist, ist nichts anderes als die Mausefalle der unkritischen Theorie, die Regression kritischen Bewußtseins, das sich als lebensweltliche Kommunikation tarnt. So wundert es auch nicht, wenn Habermaus – hier eindeutig im Gegensatz zur Krisis wohlgemerkt – der „Dialektik der Aufklärung” attestiert, „dem vernünftigen Gehalt der kulturellen Moderne, der in den bürgerlichen Idealen festgehalten (...) worden ist, nicht gerecht” zu werden.(69) Vollends von den kritischen Socken fragt er denn auch: „Wie können die beiden Aufklärer, die sie immer noch sind, den vernünftigen Gehalt der kulturellen Moderne so unterschätzen, daß sie in allem nur eine Legierung von Vernunft und Herrschaft, Macht und Geltung wahrnehmen?”(70) Dieser verfassungpatriotischen Empörung sekundieren dergestalt viele, die zu den führenden Geistesarbeitern Deutschlands zählen. So auch die Habermaus Axel Honneth, der der „Dialektik der Aufklärung” „gesellschaftstheoretischen Reduktionismus”(71) vorwirft oder Herbert Schnädelbach, der die „Verachtung der Demokratie” für eine „bedenkliche Hypothek” der Kritischen Theorie hält.(72)
Es ist grundsätzlich falsch, aus der „Entzauberung der Welt”(73) durch neuzeitliches Denken die Umwertung des Menschen an sich absolut abzuleiten, wie es Krisis macht. Weil sie es aber tut, ziehen sie auch einen höchstmerkwürdigen Schluß: „Daß es Aufklärung entgegen aller Anstrengung nicht gelingt, den Gedanken an Befreiung von Herrschaft auszulöschen, ist ihr nicht als Verdienst anzurechnen; es verweist nur auf ihre innere Unhaltbarkeit, darauf, daß sie an ihrem eigenen totalitären Anspruch katastrophisch scheitern muß (...).„(74) Wem also hat man es sonst zu verdanken, daß sich die Formen des menschlichen Denkens entsprechend der objektiven Umstände ändern? Dem lieben Gott, den die Aufklärung doch getötet hat? Den Vorfahren von Robert Kurz?
Aufklärung wird sich hier undialektisch phänomenologisch zurechtgelogen, daß es nur so im Theoriegebälk kracht: paßt, wackelt und hat Luft – fertig! Und so heißt es weiter gegen die „Dialektik der Aufklärung„: „Liest man die Sätze in dem allgemeinen Sinne, daß kritisch-reflexives Denken die Bedingung der Möglichkeit von gesellschaftlicher Emanzipation sei, wäre wenig dagegen einzuwenden. Doch da Horkheimer und Adorno die Aufklärung, das heißt die neuzeitliche Vernunft, implizit mit reflexivem Denken schlechthin gleichsetzen, ist damit auch deren Rehabilitierung vorgezeichnet, wie sie in der weiteren theoretischen Entwicklung der beiden Autoren auf unterschiedliche Weise stattfinden sollte.”(75) Daß sie das selbst-reflexive Denken, das mit der kopernikanischen Wende Einzug hielt, gerade nicht als mit jeglicher Form eines vergeistigten reflexiven gleichsetzen, wird hier insofern für falsch gehalten, als eben behauptet wird, mit der Neuzeit wäre der totale Bruch im menschlichen Denken überhaupt zu verzeichnen: „Die neuzeitliche Form des Naturverständnisses und -verhältnisses ist jedoch keineswegs bloß die Verlängerung und Zuspitzung einer mehr oder weniger kontinuierlichen und selbst-identischen Entwicklung seit die Menschen aufhörten, Affen zu sein, sondern stellt im Gegenteil einen radikalen Bruch mit allem Bisherigen dar.”(76) Entsprechend stellt Robert Kurz auch fest: „Die Kategorie des Bruchs ist entscheidend geworden, während die bisherige Kritik immer bloß ein letztlich affirmativer Bestandteil ihres Gegenstands war und daher die Kontinuität statt den Bruch betonen muß.”(77) Einem materialistischem Begriff von Geschichte ist es aber, weder in Gänze um das eine noch in Gänze um das Andere zu tun, sondern um das Verhältnis und die Relation von Kontinuität und Brüchen. Wer im Gegensatz dazu die Kategorie des Bruchs nur gegen die der Kontinuität stellt, anstatt die dialektische Verschlungenheit von beiden erfassen zu wollen, macht aus Geschichtsdetermination nur eine Art Anti-Geschichtsdetermination.(78) Dagegen ist eben zu betonen, daß es gerade darauf ankommt, Bruch und Kontinuität als ineinander verwobene Einheit des Verschiedenen zu erfassen, um nicht den materialistischen Boden unter den Füßen zu verlieren. „Da der Denkprozeß selbst aus den Verhältnissen herauswächst, selbst ein Naturprozeß ist, so kann das wirklich begreifende Denken immer nur dasselbe sein, und nur graduell nach der Reife der Entwicklung, also auch des Organs, womit gedacht wird, sich unterscheiden. Alles andere ist Faselei.”(79)
Gerade weil der Logos nicht den Mythos, der Telos nicht den Logos als absoluten Bruch beerbt oder vom Thron stößt, sondern das eine in dem anderen ablösend aufgeht und nicht auflösend abgeht, weil es eben „nur” seine jeweils vordergründige Wirkungsmacht einbüßt, ist menschliches Denken nicht das außer sich seiende Gebrochene, sondern das in sich gebrochene, kontinuierliche, das sich an die Kategorien von Zeit und Raum knüpft, ohne mit diesen an sich identisch zu sein. Wohl nichts bringt diese Geschichtlichkeit besser auf den Punkt als Marxens Formulierung vom immerwährenden Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur. Denn er bedeutet ja gerade nicht, daß man Stoffe wechselt wie das Hemd, sondern daß dieser Prozeß ein solange währender ist, wie der Mensch als vernunftbegabtes Gattungswesen existiert: „Wir müssen bei den voraussetzungslosen Deutschen damit anfangen, daß wir die erste Voraussetzung aller menschlichen Existenz, also auch aller Geschichte konstatieren, nämlich die Voraussetzung, daß die Menschen imstande sein müssen zu leben, um Geschichte machen zu können. Zum Leben aber gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges Andere. Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stündlich erfüllt werden muß, um die Menschen am Leben zu erhalten.”(80) Daß der Begriff des Stoffwechsels bei Marx in der Kritik der politischen Ökonomie zunehmend mit der Ontologisierung der Arbeit zusammen fällt, ist bei der Krisis inzwischen traditionell so überdehnt, daß man des „doppelten Boden der Marxschen Argumentation”(81) nicht mehr gewahr zu werden scheint; was also dem Begriff der menschlich sinnlichen Tätigkeit bei Marx substantiell zu grunde liegt.(82) Wenn Trenkle schreibt, daß „das Problem” darin bestünde, „daß Adorno einen Begriff von Arbeit zugrunde legt, wonach diese mit dem Stoffwechselprozeß mit der Natur identisch sein soll”(83), dann knüpft er mit dieser kritischen Würdigung zwar vollkommen richtig an die Kritik an der materialistischen Arbeitsontologisierung an, ist aber nicht in der Lage zu erfassen, daß das Verhältnis des Stoffwechsels und der menschlich sinnlichen Tätigkeit bei Marx wie Adorno eben nicht nur reine geschichtsmetaphysische Arbeitsontologie legitimiert, sondern gerade das basale Verhältnis des Menschen zu Natur umfaßt, das sich auch dadurch nicht wesentlich ändert, daß man den Begriff der Arbeit nun aus dem urgeschichtlichen Spiel läßt: ”Wie das arbeitende Subjekt natürliches Individuum, natürliches Dasein – erscheint die erste objektive Bedingung seiner Arbeit als Natur, Erde, als sein unorganischer Leib; es selbst ist nicht nur der organische Leib, sondern diese unorganische Natur als Subjekt. Diese Bedingung ist nicht sein Produkt, sondern vorgefunden; als natürliches Dasein außer ihm vorausgesetzt.”(84) Deutlich zeigen sich hier die Grenzen einer Kritik am Marxschen Arbeitsbegriff, die, wenn sie so wie im Falle der Krisis verstanden wird, dann sogar in ihr Gegenteil umschlägt: weil menschlich sinnliche Tätigkeit mit dem Arbeitsbegriff identisch gesetzt wurde, wäre die Hypostasierung derselben als Grundverhältnis von Mensch zu Natur so grundlegend falsch, daß das ganze der Arbeitsontologisierung substantiell Innewohnende hinfällig wäre. In einer solchen Denkfigur wird der Marxsche Begriff der Arbeit als ewige Naturnotwendigkeit so verstanden, als würde Marx damit das Verhältnis von Mensch und Natur tatsächlich auf das Verhältnis von Arbeit und Natur reduzieren. Daß dies falsch ist, ergibt sich eben schon aus dem Marxschen Begriff von Natur, wo er den Menschen mit Natur als identisch und nichtidentisch zugleich setzt, ihn also als Teil der Natur begreift, der nicht in ihr vollends aufgeht, und an den die Kritische Theorie mit ihrem Versöhnungsbegriff von Mensch und Natur unmittelbar anknüpfte. Marx schreibt:
„(Der Mensch) verhält sich eigentlich nicht zu seinen Produktionsmitteln; sondern ist doppelt da, sowohl subjektiv als er selbst, wie objektiv in diesen natürlichen anorganischen Bedingungen seiner Existenz.”(85) Wer allerdings diesen wesentlichen Grundgehalt des Marxschen Natur- und Menschenverständnisses sich nicht zur Grundlage eines materialistischen Geschichtsbegriffes macht, kann erstens die Dialektik der Aufklärung von Adorno/Horkheimer mit ihrem kritischen Vernunft- und Naturbegriff nur falsch verstehen und zweitens den materialistischen Geschichtsbegriff nicht nur für obsolet erklären, sondern sogar zum Teil des Problems Aufklärung hochstilisieren.(86) „Es ist zwar sehr einfach, sich vorzustellen, daß ein Gewaltiger, physisch Überlegner, nachdem er erst das Tier gefangen, dann Menschen fängt, um durch ihn Tiere fangen zu lassen; mit einem Worte sich ebenso des Menschen als einer natürlich vorgefundnen Bedingung für seine Reproduktion bedient (...) wie irgendeines andren Naturwesens”, schreibt Marx. Und fährt fort: „Aber solche Ansicht ist abgeschmackt, – so sehr richtig vom Standpunkt gegebner Stamm- oder Gemeinwesen –, daß sie von der Entwicklung vereinzelter Menschen ausgeht. Der Mensch vereinzelt sich erst durch den historischen Prozeß. Er erscheint ursprünglich als ein Gattungswesen, Stammwesen, Herdentier.”(87) Eindeutig ist hier gesagt, inwieweit es sich beim Marxschen Natur- und Menschenbegriff gerade nicht um eine geschichtsmetaphysische Hypostasierung a priori handelt. Bei der Krisis allerdings scheint tatsächlich jene „Verwechslung zweier metaphysischer Begriffe” vorzuliegen, auf die Christoph Türcke in seiner „Kritik des Didaktik-Kultes” verweist: die nämlich von „Relation und Substanz”. Weil man von der Substanz nichts wissen will, weil man „die metaphysischen Fragen danach, was Subjekt und Objekt an sich seien (unterläßt), bescheidet man sich mit der Vermittlung beider – die es an sich nicht gibt.” Türcke schlußfolgert: „In der Meinung, alle Metaphysik aus ihrem Reich zu verbannen, gerät die Didaktik in den Bann einer metaphysischen Fiktion.”(88) Die objektiven Grenzen menschlicher Erkenntnis kennzeichnen als überzeitliche – also als generelle Unmöglichkeit von Identität an sich – und nicht-überzeitliche – also gebunden an Raum und Zeit – das in ihnen enthaltende generelle Erkenntnisvermögen. Ohne das Verhältnis von uneigentlicher Rückprojektion und unmittelbarer Erfahrung auf der jeweiligen Höhe von Raum und Zeit gibt es keinerlei Begrifflichkeit. So gilt generell, was Marx in den Grundrissen als objektive Möglichkeit und Grenze von Erkenntnis benennt: „In der Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höhres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Die bürgerliche Ökonomie liefert so den Schlüssel zur antiken etc.”(89) Generell läßt sich auf Hierarchisierung in der Erkenntnis nicht verzichten, will man erkennen, was wie in dem neu Entstandenen eingegangen ist und es überhaupt ermöglicht hat. Wer auf Hierarchisierung in der Erkenntnis im Sinne von höherem und niederem generell verzichtet, landet bei der Ausmerzung des zur Vernunft befähigten Geistes, in dem der Mensch der Natur völlig gleichgemacht wird. Dieser Gedanke aber ist die antiemanzipatorische Abkehr und Begrabung jeglicher Hoffnung auf Versöhnung von Mensch und Natur: alles, eben auch Geist und Vernunft, würden so in erste, sprich: zweite Natur verwandelt.(90) Auf Hierarchisierung der Geschichte zu verzichten, bedeutet, menschliche Erkenntnis ”dümmer” zu machen, als sie objektiv im Verhältnis vom Begriff zur Sache ist.(91)
Und so genügt es auch nicht, das hierarchische Geschlechterverhältnis von weiblich und männlich als ein basales zu hypostasieren, um „das Geschlechterverhältnis als Abspaltungsverhältnis”(92) zur „übergreifenden Logik der Moderne”(93) zu erklären, ohne darauf zu reflektieren, daß der Denkprozeß des Menschen selbst eine Abspaltung von Natur darstellt, die nichts geringeres als das Heraustreten aus der Naturverfallenheit bedeutet. Der Prozeß der Vergeistigung ist ein Prozeß, der in ambivalenter Art und Weise zugleich ein natürlicher und nicht natürlicher ist. Das Heraustreten aus der Natur ist also stofflich präformiert und deshalb die Form, in der es nur möglich wird, nicht beliebig. Keineswegs zufällig koppelt sich die Ablösung matriarchaler durch patriarchale Sippenherrschaft an die Form des arbeitsteiligen Zusammenlebens, die qualitativ neue Formen reflexiven Denkens hervorbrachte. Will man das Wesen des Patriarchats wirklich ergründen, so kann man sich schwerlich vor der Frage drücken, warum das Patriarchat das Matriarchat verdrängte. Es reicht nicht, zu beschreiben, wie es passiert sein könnte. Denn daß in die patriarchale Herrschaftsform etwas Wahres von dem natürlichen Unterschied von Mann und Frau eingegangen sein muß, leugnet nur, wer die abstrakte Gleichheit der Menschen zum Ideal seines eignen Denkens macht.
Daß der Frau der gesellschaftliche Subjektstatus gänzlich verwehrt wurde, ist ein antipatriarchaler Mythos. Vielmehr ergibt sich die Männerherrschaft und Frauenunterdrückung nur als Relation zueinander innerhalb der Gesellschaften und nicht als eine von außen und innen. Anders hätte ein Gattungsbegriff vom Menschen sich niemals durchsetzen können, in dem dann wiederum die Frau der stofflichen Natur als weiblich konnotierte durch die herrschenden Männer zugeschlagen wurde, die ihrerseits die Vernunftbefähigung sich zusprachen.
Das bürgerliche Subjekt, das Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung” prototypisch an Odysseus nachzuzeichnen versuchten, war im Verständnis der beiden Autoren immer jenes männlichen Charakters, der sich mit sich selbst – als Selbst – identisch wähnen konnte. So schreiben sie: „Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.”(94) Das bürgerliche Ich als männliches Subjekt ist auch hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses nichts anderes als die Personifikation des Hegelschen Identitätssatzes. Denn die „Einheit des Mannigfaltigen”, wie Marx die Totalität der Wertvergesellschaftung faßte(95), ist nichts anderes als die durch die abstrakte Herrschaft des Kapital gesetzte. Das Weibliche ist somit nicht das Andere an sich des Mannes, sondern nur die Bestätigung der männlichen Identität. Insofern also verschiedener Teil der Einheit des Ganzen. Wenn Robert Kurz schreibt, daß das Weibliche im Kapitalismus „selber bloß die spiegelverkehrte, negative identische Figur des 'männlichen' Wertsubjekts bildet und mit diesem zusammen konstituiert ist”(96), so ist dem nicht zu widersprechen, sondern darauf zu verweisen, wie sehr er sich damit in der Tradition von Horkheimer/Adorno wissen kann, die in der „Dialektik der Aufklärung feststellen, daß die neuzeitliche Aufklärung mit der Zersetzung der alten patriarchalen Ordnung als „unvermitteltetes Herrentum”(97) diese zugleich „in der universalen Vermittlung”(98) verewigen würde. An anderer Stelle heißt es: „Was vom Fächeln, Singen und Tanzen der Sklavinnen Roms noch übrig war, wurde in Birmingham endgültig aufs Klavierspiel und andere Handarbeit reduziert, bis auch die allerletzten Restbestände weiblicher Zügellosigkeit vollends zu Wahrzeichen patriarchaler Zivilisation sich veredelt hat.”(99) Der Sturz der patriarchalen Ordnung durch die Errichtung der Kapitalherrschaft entmachtete zugleich die Männer, in dem sie durch das Kapital als doppelt freie Lohnarbeiter gesetzt wurden und die Frauen als Pflegerinnen der Lohnarbeiter. Die direkte unvermittelte Herrschaft ging in die wertvermittelte über und damit auch das persönliche patriarchale Herr-Knecht-Verhältnis von Mann und Frau in ein unpersönliches innerhalb der bürgerlichen Familie als Keimzelle bürgerlicher Ordnung – der Herrschaftsverlust des Mannes macht ihn zum machtlosen „Weib, das auf die Herrschaft blickt.”(100) So geht auch „die Identität von Frau und Sexus” verloren, schreibt Horkheimer in seinem Aufsatz „Zum Begriff des Menschen”, „sie wird zum Wirtschaftssubjekt in einem Sektor der Arbeitsteilung, auch im Haushalt.”(101) Und diese „Befreiung der Frau” bewirkt, „daß auch sie ihren Mann stellen muß.”(102)
Das Ende patriarchaler Ordnung als Ende direkter Herrschaft wuchs sich zum verinnerlichten „freiwilligen” Zwang des Individuums aus. Die Herrschaft wurde nicht nur verinnerlicht, sondern sich ihr unter dem Vorzeichen von Vernunft angepaßt. Der Konformitätszwang zur Gleichheit ist Anpassung als Kümmerform des mimetischen Momentes geistigen Eingedenkens versöhnlerischer Angleichung von Natur und Gesellschaft und damit die Entfernung von Natur. Die gesellschaftlich vermittelte zweite Natur abstrakter Gleichheit findet ihren konkreten Ausdruck in der Vereinzelung der Individuen.
Der Veränderungen des spätbürgerlichen Subjekts im Verhältnis zum bürgerlichen der liberalen Ära gewahr zu werden und daran die Kritik von Subjekt und Gesellschaft festzumachen, war eines der Hauptanliegen der Kritischen Theorie. Ihr folgend läßt sich konstatieren, daß die spätbürgerliche Subjektform mittlerweile eine nachbürgerliche Zerfallsform angenommen hat, die sich an der Implosion der bürgerlichen Familie festmachen läßt, deren institutionell-gesellschaftliche Bedeutung Horkheimer/Adorno nicht zuletzt durch die Rezeption der Psychoanalyse allzeit gegenwärtig war. Kann man für das spätbürgerliche Subjekt eine Art Vaterlosigkeit hinsichtlich des Aufwachsens des Kindes konstatieren, so läßt sich für das nachbürgerliche eine prinzipielle Elternlosigkeit konstatieren – also eine, die auch ohne Mutter auskommt – , die sich in der stetig zunehmenden Anonymität innerfamiliärer Verhältnisse ausdrückt. Der „Schwund von Innerlichkeit”(103), den Horkheimer 1957 in Bezug auf die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit des Kindes beklagte, ging seitdem ungebrochen weiter und die damit einhergehende Ich-Schwäche des Indviduums ruft nicht etwa eine Regression, sondern eine Infantilisierung des Bewußtseins als Massenphänomen hervor.
In der Generalabrechnung der Krisis mit der Aufklärung und ihrer Dialektik bestätigt sich die These, daß die Krisis-Gruppe so etwas wie den „Foucault des Werts”(104) verkörpert und somit eine Art Erbe des marxistischen Strukturalismus um Althusser und Poulantzas antritt und deren anithumanistische Aversion gegen den Marxschen „realen Humanismus” fortführt. Der materialistische Geschichtsbegriff einer Dialektik der Aufklärung soll einer Geneanologie der Aufklärung weichen, die mit dem phänomenologischen Anspruch verknüpft wird, die Wesensschau zum reinen Anschauen der dialektischen Bewegung der Gesellschaft zu machen. Diese Art wertkritischer Angriff auf die Geschichte beansprucht das Erbe des strukturalistischen und poststrukturalistischen Antihumanismus, der von Heidegger gegen das cartesiansiche cogito in Stellung gebracht wurde.(105) Er ist bei einem Menschenbild gelandet, das, wie Foucault und Konsorten, das Gattungswesen, das vernunftbegabte Tier Mensch als Maß aller Dinge, als quasi anthropologisches Teufelszeug, einfach hinwegspült.(106) So meint Norbert Trenkle feststellen zu müssen, daß Horkeimer/Adorno eine „im Kern transhistorische und letztlich anthropologisierende Sichtweise (...) mit dem Aufklärungsdenken” teilten.(107) Vernunftkritik als methodische Dezentrierung des Subjekts ist seit Hussersl Phänomenologie ein Dauerbrenner. Die Intentionalität des Objekts rückt in den Mittelpunkt, um das Wesen der Sache zu ergründen. Keineswegs zufällig ist es Nietzsches Vernunftkritik, an die Heidegger mit seine Fundamentalontologie anzuschließen meint und die den Menschen aus dem Zentrum als Maß aller Dinge rückt. Der proklamierte Tod des Subjekts gerät so zum Tod des Objekts namens Subjekt, das das Subjekt objektiv gewesen sein soll. Ganz im Stile Foucaults wird die Subjektform auch bei der Krisis nur als Hülle des Aufklärungsterrors begriffen, in die der Mensch gepreßt wurde. So wird der Zweck von Aufklärung alleinig auf Zurichtung, Folter und Disziplinierung reduziert. Hier lugt deutlich Foucaults Rede von der Disziplinargesellschaft durch, wonach der gesellschaftliche Zweck in der Anwendung von disziplinierenden, repressiven Mitteln liege. Zwar hat die Krisis die gesellschaftliche Zweckbestimmung der Selbstverwertung des Werts im Gegensatz zu Foucault klar, allerdings wird unter ihrem Begriff von Aufklärung nichts anderes subsumiert als bei Foucault: Blutbäder, Mord und Totschlag noch und nöcher als äußere Herrschaft, die den Menschen zum willenlosen Objekt degradiert. Kein Wort verlieren die Krisis-Autoren über individuelle Verinnerlichung von Herrschaft oder über die Notwendigkeit mimetischer Momente als Anpassung aus Angst, Schock, Furcht oder Schrecken. Und so muß man der Krisis unter die Nase halten, was auch Foucault nicht begreifen wollte: „Wenn man kritisiert, dann soll man auch wissen, daß die Kritisierten zuweilen nicht anders können.”(108)
Würde man bei der Krisis statt der Subjektdezentrierung die Subjektzentrierung in den Mittelpunkt des kritischen Denkens rücken – also das Denken vom konkret leidenden Subjekt aus – so würde sich ihre Kritik an der Aufklärung einer Dialektik der Aufklärung im Sinne der Kritischen Theorie nähern können. Ein guter Gradmesser wäre dafür die Rezeption Nietzsches, die ihn nicht mit Heidegger über eine Kritik schert. Man könnte dazu von der Kritischen Theorie lernen, daß es, genauso wie es keinen „doppelten” Nietzsche auch keinen doppelten Marx geben kann.(109) Denn diese strukturalistische Lesart von „exoterischer” und „esoterischer” Marxscher Kritik ist ohnehin nichts anderes als die Längsachse der Althusserschen Abtrennung des „humanistischen” Marx vom „wissenschaftlichen” – sie ist reines Wunschdenken und Ausdruck des eigenen Zurückzuckens vor der rücksichtlosen Kritik des Bestehenden. Dagegen ist wie bei Nietzsche und Heidegger darauf zu insistieren, daß Marx sich nicht nach Gutdünken auseinanderfitzen läßt. Genau das ist auch der Punkt der Unterscheidung zwischen Erkennniskritik und Erkenntnistheorie. Während Erkenntnistheorie nichts weiter will als die historische Einordnung von richtiger und falscher Erkenntnis, um nur die richtige Erkenntnis – ähnlich wie im Märchen vom Aschenputtel – ins Theorietöpfchen zu packen, geht es einer Erkenntniskritik gerade darum, sich einen Begriff von der Objektivität der jeweiligen Erkenntnis zu machen – also Werk und Autor gerade nicht voneinander zu trennen, sondern konsequent zusammen zu denken.(110)
Sich innerhalb der Krisis auch nur vorstellen zu können, daß aus der Dialektik der Aufklärung vielleicht nicht mehr erwachsen könnte als eine kritische Vernunft als Korrektiv, übersteigt den nur umgestülpten Krisis-Positivismus – also den ohne geschichtliches Transzendentalsubjekt – um Längen. So etwas gilt als Frevel und Verrat an der heiligen Kuh der revolutionären Aufhebungsbewegung und dem schönen Leben nach der finalen Krise. Dagegen ist zu betonen: Reflexion auf den Gegenstand schließt die Erkenntnis nicht aus, daß der Gegenstand objektiv antinomisch sein könnte, Aporien also nicht etwa den objektiven Zweck in ihrer Auflösung in Theorie haben, sondern tatsächlich in Wahrheit ein „hölzernes Eisen”(111) sind, wie Nietzsche es formulierte. Wer vor der Wahrheit kapituliert, weil er Aporien nicht wahrhaben will, will nicht die konsequente Darstellung als Kritik, sondern die Kritik nach Art der Hauses – also der gewünschten Darstellung. Und so sind dann auch diejenigen als die größten Metaphysiker auszumachen, die unter der Leugnung welche zu sein, nicht bereit sind, das sogenannte Vermittlungsproblem als objektiv antinomisches anzuerkennen: ihr Wille zur Aufhebung des metaphysischen Denkens entpuppt sich so als der unbedingte Wille zur Lösung des Vermittlungsproblems.(112)
Weil die Krisis sich des dialektischen Materialismus nur bedient, statt ihn sich anzueignen und konsequent zu denken, tritt bei ihnen an die Stelle eines materialistischen Geschichtsbegriffes die Geneanologie der Aufklärung, als könnten Forschung und Darstellung in der Kritik zusammenfallen. Dagegen ist zu sagen, daß es zum Hegelschen Geschichtsverständnis als Einheit von Prozeß und Resultat keine Alternative gibt, will man die Dialektik als Methode nicht aufgeben.(113)
Was sich die Krisis hinten an materialistischer Geschichte abschneidet, das klebt sie sich nach vorne hin wieder dran. So wird der gekappte Rattenschwanz des historischen Materialismus zur Galionsfigur der Arche Krisis, die die Sintflut des Zusammenbruchs meistern soll. Denn gerade diejenigen, die mit Tam-Tam jegliche bisherige materialistische Geschichtsschreibung verabschieden, wissen aber ganz genau, daß der Kapitalismus inzwischen bei einer historischen Stufe angekommen ist, wo er an sich selbst zusammenbrechen muß. Solcherlei Geschichtsmetaphysik fällt den Krisis-Leuten allerdings nicht auf. Bleibt also nach wie vor die Frage, woher die das zu wissen meinen, wenn sie weiterhin abstreiten, genauso vulgärmaterialistisch zu argumentieren, wie ihre altbackenen Möchtegern-Kontrahenten, die geliebten Volkspolitiker und -schauspieler Trampert/Ebermann, deren empiristische Gesellschafts-Analyse sich bekanntlich im Nacherzählen von Meldungen aus den Wirtschaftsseiten der FAZ erschöpft. Nimmt man die Stelle, die Norbert Trenkle gern aus der Negativen Dialektik zitiert, einmal im Bezug auf die beanspruchte empirische Absicherung der Krisis-Position unter die Lupe, blamiert sich so daran auch der empirische Versuch der Ableitung des gesellschaftlichen Gesamtzustandes aus der Betrachtung des Zustandes des Einzelkapitals: „In der totalen Gesellschaft ist alles gleich nah zum Mittelpunkt; sie ist so durchschaubar, ihre Apologie so fadenscheinig, wie die aussterben, welche sie durchschauen. Kritik könnte an jedem Verwaltungshaus der Industrie und jedem Flughafen dartun, in welchem Maß der Unterbau sein eigner Überbau wurde.”(114) Wenn aber alles mit allem vermittelt ist – also auch der Theoretiker –, dann ist weder der hehre Anspruch der Empirie die Lösung des gesellschaftskritischen Dilemmas noch der gänzliche Verzicht auf sie. Insofern trifft Adorno den Nagel auf den Kopf, wenn er einerseits die Notwendigkeit der „Physiognomik des Gesamtzustandes und ausgebreiteter Einzeldaten, andererseits (die) Analyse der ökonomischen Strukturveränderungen”(115) hervorhebt. Allerdings betont er eben, daß es „nicht länger der Ableitung einer selbständig und mit eigenem Wahrheitsanspruch gar nicht mehr vorhandenen Ideologie aus ihren kausalen Bedingungen”(116) bedürfe.
Vielleicht sollten sich die Theoretiker der Krisis einfach mal Gedanken darüber machen, daß die abstrakte Arbeit, ähnlich wie die von Roswitha Scholz bezüglich des Patriarchats als „verwildernd” bezeichnete Transformation, als gesellschaftlicher Durchschnitt – was immer die Kategorie des Durchschnitts letztlich auch mehr sein mag, als notwendige methodische Abstraktion zur Darstellung – wenn überhaupt, dann heute im Verhältnis zu Marxens reduktionistischer Darstellung in seiner Kritik wohl kaum so einfach aus dem Maß von gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit deduzierbar ist: Das Zeitmaß hat gegenüber dem, was Marx im Hinblick auf die Produktivkräfte und die Produktivität im 19. Jahrhundert verstand, längst eine Transformation erfahren, die erst recht einen diesbezüglichen Ableitungsmarxismus diskreditiert: es geht nicht um den Durchschnitt geronnener Arbeitszeit, sondern um geronnene gesellschaftliche Durchschnittsarbeit. Das heißt, der gesellschaftliche Durchschnitt als unmöglich genauer bestimmbare Größe läßt sich auch auf der Ebene des Einzelkapitals nicht auf das Maß an Zeit reduzieren, ohne die damit immer schon zwingend zu berücksichtigende gesellschaftliche Vermittlung des variablen wie konstanten Kapitals, das zur Mehrwertschöpfung benötigt wird, einfach mal außen vorzulassen: „Der Wert der Ware ist bestimmt durch die Gesamtarbeitszeit, vergangene und lebendige, die in sie eingeht.”(117)
Der Krisis-Ableitungsmarxismus einer Krise zerreißt gerade das zu denkende dynamische Verhältnis von Einzel- und gesellschaftlichem Gesamtkapital, in dem die Gesellschaft in eine statische Summe von Einzelkapitale zerlegt wird.(118) Die Summe der einzelnen Kapitale läßt aber gerade keine theoretischen Schlüsse auf den Zustand der Wertvergesellschaftung als dynamisches ständig prozessierendes automatisches Subjekt zu. Die geordnete „Zeitsparlogik des Fordismus”(119) ist eben nicht die ungeordnete – oder wie Roswitha Scholz bezüglich des hierarchischen Geschlechterverhältnisses zu sagen pflegt – „verwilderte”. Würde dieser Punkt postfordistischer Entwicklung wirklich reflektiert, so würde dies das gesamte ab- und hergeleitete Krisis-Theoriegebäude – inklusive der Kategorie von unproduktiver und produktiver Arbeit – folgenschwer erschüttern: die theoretischen Sicherheiten über den Zustand der Wertvergesellschaftung gerieten ins Wanken und die Notwendigkeit selbstreflexiver Ideologie- und Erkenntniskritik in den Blick des Krisentheoretikers.
Der reduktionistische Wertbegriff der Krisis, der sich stringent aus der abstrakten Arbeit als primäres Maß der durchschnittlichen Arbeitszeit herleitet, erfaßt nicht, daß der Wert selbst kein an sich existentes soziales Verhältnis darstellt, sondern nur ein soziales Verhältnis ausdrückt. Womöglich hat dies denselben Grund, den Hans-Georg Backhaus an der Marxschen popularisierten Wertformanalyse im „Kapital” beklagt: „Daß der 'allgemeine Gegenstand' als solcher, das heißt der Wert als Wert sich gar nicht ausdrücken läßt, sondern nur in verkehrter Gestalt 'erscheint', nämlich als 'Verhältnis' von zwei Gebrauchswerten, entzieht sich dem Verständnis des Lesers.”(120) Das Allgemeine, das an sich selbst nicht existiert, sondern nur als anderes, ist demzufolge der Bruch in der bürgerlichen Identitätslogik der Identität von Identität und Nichtidentität,(121) die Marx in der ersten Auflage seines „Rohentwurfs” zu der mittlerweile berühmten, in späteren Veröffentlichungen leider nicht mehr auftauchenden Passage veranlaßte: „Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren, die gruppiert die verschiedenen Geschlechter, Arten und Unterarten, Familien u.s.w. des Thierreichs bilden, auch noch das Thier existierte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs. Ein solches Einzelne, das in sich selbst alle wirklichen Arten derselben Sachen einbegreift, ist ein Allgemeines, wie Thier, Gott usw.”(122) Ein „einzelnes” soll „allgemeines” sein, „individuelle Incarnation”, das „in sich selbst” vereinende Viele „derselben Sachen”. Hier ist also von der logischen Schlußfolgerung die Rede, das etwas wie der Wert ein absolutes ausgeschlossenes Drittes, an sich selbst existierendes sein müsse, das es aber nach Marx nicht ist und damit als unlogisch gelten muß. Das aber heißt, daß der Wert zugleich existiert und nicht existiert, kein ausgeschlossenes Drittes ist – also nicht existiert – und dennoch Identität stiftet – also doch existieren muß. Ein solche Formbestimmung des Werts markiert schon vor der Frage nach der monetären oder prämonetären Wertbildung die Grenze jeglicher Wertableitungstheorie.
Im dritten Band des „Kapitals” schreibt Marx: „Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind.”(123) Das ernst zu nehmen heißt, Kapital als nur sich selbst genügsam nicht in Relation von „Lebensprozeß für die Gesellschaft” und „Kapital selbst” setzen zu können, um daraus genaue theoretische Rückschlüsse auf den Zustand des Kapitals vornehmen zu können. Weder also läßt sich aus dem Kapital gesichert die „Gestaltung des Lebensprozesses” ableiten, noch aus der Sicht der Produzenten die „wahre Schranke der kapitalistischen Produktion” bestimmen. Denn es fehlt der jeweils notwendige außerhalb des Kapitals als objektives Verhältnis liegende Maßstab, von dem aus bestimmt werden könnte, in welchem Zustand sich das Kapital als Einheit von Staat, variablen und konstantem Kapital, Waren-, Rechts und Denkform wirklich befindet. Das heißt allerdings nicht, man könnte keinerlei dynamischer Veränderungen hinsichtlich Produktivkraftentwicklung oder Staatstransformation gewahr werden. Allerdings ist der Standort solcherlei Bestimmung immer nur der vergangene statische Standpunkt des sich empirisch Verändernden und nicht der des dem Kapital äußerlichen absoluten Gesamtüberblicks. Für die Sicherheit der Krisis-Ableitungstheorie fehlt also schlicht und ergreifend diejenige, welche den absoluten Schluß des endgütligen Zusammenbruchs zuläßt. So ist die Bestimmung einer mikroelektronischen Revolution und deren Bedarf nach lebendiger Arbeit maximal vom Standpunkt der vorrevolutionären fordistischen Ära der Vollbeschäftigung aus möglich, von dem aus auch sich von gesellschaftlich durchsetzender postfordistischer Produktionsweise sprechen läßt.
Klar ist, daß selbst allseitige gesellschaftliche Vermittlung nicht gleichbedeutend mit dem gleichzeitigen absoluten Aufgehen in ihr ist – insofern blamiert sich Kritik nicht von vornherein vor der totalen Vermittlung.
Und dennoch ist und bleibt der immanente Schluß auf die sich gesetzmäßig eröffnende Möglichkeit von Transzendenz der entscheidende blinde Fleck in der Krisis-Theorie. Die genau bestimmte Finalität von Krise ist eine Art Ontologisierung der Selbstverwertung des Werts: auf solch eine Idee kommt man nur, wenn man den „doppelten Marx” so sich zurechtbiegt, daß die Geschichtsmetaphysik der Klassengesellschaft zwar zum Problem erklärt wird, die dargestellten Bewegungsgesetze der politischen Ökonomie allerdings so behandelt, als stünden sie nicht im unmittelbaren Zusammenhang des Marxschen Transzendentalsubjekts.(124) Und so läßt sich vielleicht an einem berühmten Benjaminschen Bild verdeutlichen, worin das Problem der Krisis-Theorie besteht, das sich dann eben auch deutlich in ihrem Aufklärungsexorzismus widerspiegelt. Man denkt zwingend die Revolution, die jetzt Aufhebung heißt, weil man sich die Selbstzerstörung durch Aufklärung nicht wirklich als Dialektik vorzustellen vermag: „Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.”(125) Das ganze Elend der Krisis-Theorie kommt wohl dann in ihrer praktischen und konkreten Interventions-Unfähigkeit zum Ausdruck, wenn man sie mit diesem Benjaminschen Satz konfrontiert: Es kommt gar nicht in den Sinn, sich auf die Plätze des Notbremsers verweisen zu lassen – egal was auch passiert –, weil man sich ja an die metaphysischen Bewegungsgesetze des Kapitals hält, das als gesellschaftliches Verhältnis logisch in sich zusammenkrachen muß, als hätte das unlogische „automatische Subjekt” einen natürlichen menschlichen Alterungsprozeß. Benjamin handelt sich wohl oder übel also seitens der Krisis den Vorwurf ein, daß er eben selbst noch der Aufklärung verhaftet sei, „Apologie des Kapitalismus”(126) betriebe, wenn er sich sein eigenes kritisches Tun nur als eine Notbremse vorzustellen vermag. Allerdings verweist das auf den entscheidenden Punkt: daß Kritik möglich ist, sagt eben weder etwas über ihren transzendentalen noch über ihren immanenten Charakter aus – nichts anders aber heißt Dialektik der Aufklärung. Wenn alle bisherige Kritik immer wieder nur als Teil der Durchsetzungsgeschichte der Aufklärung begriffen werden muß, dann ist das nicht etwa falsch, sondern inkonsequent. Denn Aufklärung endet entweder mit der Versöhnung von Mensch und Natur – also mit dem Ende der „Aporie von Subjekt und Objekt im Aufklärungsdenken”(127) und damit der ihr dienenden Dialektik – oder aber mit dem Ende der Menschheit.(128) Bei einer solchen Entgegnung auf die Krisis zeigt sich nochmals deutlich das Problem des Aufklärungsbegriffs: entweder man denkt Aufklärung als gebrochene Kontinuität einer Dialektik von Mensch und Natur oder aber als Ergebnis kontinuierlicher Brüche – also Aufklärung des 17./18. Jahrhunderts als totalen Bruch zu allem Vorhergehenden. Allerdings ist es keine Ansichtssache, wenn es im Editorial der Krisis heißt: „Daß es der Aufklärung nicht gelingt, den Gedanken an Befreiung von Herrschaft auszulöschen, ist ihr nicht als Verdienst anzurechnen, sondern verweist nur darauf, daß sie an ihrem eigenen totalitären Anspruch scheitert.”(129) Daß hier geleugnet wird, daß Aufklärung zugleich den Gedanken an Befreiung hervorbringt, stattdessen ihr Zweck einzig und allein in der Auslöschung der herrschaftsfreien Idee zu verstehen sei, ignoriert zum einen völlig den dialektischen Zeitkern jeglicher Herrschaftskritik – also ihre Gültigkeit in Abhängigkeit des objektiven Erkenntnisstandes – und betont damit zum anderen den Unterschied ums Ganze: denn hier wird nichts anderes als eindeutig festgestellt, daß es nie auch nur den Funken einer Dialektik von Aufklärung gab, sondern nur das zielgerichtete Auslöschen jeglicher Herrschaftskritik.(130)
Alfred Sohn-Rethel brachte das dialektische Verhältnis von Kritik und Wirklichkeit schon auf den Punkt, als er noch statt von Realabstraktion von „funktionaler Vergesellschaftung” sprach: „Die Negation ihrer eigenen Wirklichkeit im Verhalten der Menschen ist selbst notwendig immer die Affirmation dieser Wirklichkeit, die aber dadurch ihre Wirklichkeit gegen sie wird.”(131) Ein Begriff von Aufklärung, wie ihn die Krisis pflegt, und der sich gegen diese dialektische Einsicht sträubt, diskreditiert sich vor der wirklichen Geschichte selbst. Nur so wohl auch ist das Ansinnen der Krisis zu verstehen, diese vollends neu schreiben zu wollen.(132) Robert Kurz läßt durchscheinen, wie sehr auf den Trümmern des Aufklärungsbegriffs sich der Kritikbegriff der Krisis entfalten soll: „Es geht (...) nicht etwa darum, eine Differenz von bürgerlichem Ideal und bürgerlicher Wirklichkeit aufzumachen: sei es, um das Ideal gegen die Wirklichkeit herstellen zu wollen; sei es, daß jene Naivität scheinbar kritisiert wird, nur um dann das immer noch bürgerliche Ideal vermeintlich jenseits der bürgerlichen Verhältnisse realisieren zu wollen. Vielmehr ist es Aufgabe radikaler Kritik, den negativen zerstörerischen Charakter des bürgerlich-aufklärerischen Ideals selber und damit die faktische Identität von Ideal und Wirklichkeit gerade in der Leidens- und Zumutungsgeschichte der Moderne aufzudecken.”(133) Auch das ist schön gesagt und eine tolle Idee, die man schon bei Foucault bewundern kann. „Der nicht einmal mehr stinkende Leichnam des Aufklärungsdenkens,”(134) wie Kurz es nennt, stellt die Negativfolie für die Entfaltung einer Kritik der Aufklärung dar, die eben absolut nichts anderes mehr sein soll als „Leidens- und Zumutungsgeschichte”. Weil man ohnehin von Erkenntnis- und Ideologiekritik so wenig hält, daß zum Beispiel Roswitha Scholz sich mit der permanenten Einforderung derselben innerhalb der Krisis-Gruppe den Status des personifizierten schlechten Gewissens eingehandelt hat(135), interessiert den restlichen Krisis-Haufen auch nicht, was selbige wider des Krisis-Feldzuges gegen die Aufklärung feststellt: „Hinter die Menschenrechte darf weder zurückgefallen noch ihre Kritik als Metakritik ausgeklammert werden; vielmehr ist die Spannung zwischen diesen gegensätzlichen Anforderungen auszuhalten.” (136) In diesen weisen Worten ist das ganze Programm antideutscher Kritik in schöner kurzer Form zusammengefaßt. Warum aber der Rest der Krisis sich so unheimlich schwer damit tut und maximal eine „reale Paradoxie”(137) zu konstatieren vermag, liegt wohl weniger daran, daß Roswitha Scholz nicht die Chefin des Krisis-Ladens ist, sondern an der notorischen Abscheu vor der Kritischen Theorie und deren konsequenter „Gerhirnakrobatik”.(138) Zumindest bei der Scholz scheinen Hopfen und Malz eines kritischen Materialismus nicht verloren zu sein und eine Festellung wie die folgende eben nicht nur leeres Geschwätz und damit Schall und Rauch: „Wer die Aufklärung kritisiert, tut es notwendigerweise mit ihren Mitteln; andere stehen uns nicht zur Verfügung. Aus dieser in der Tat paradoxen Situation lassen sich nun offenbar beliebig absurde Schlüsse ziehen.”(139) Man darf an dieser Stelle ruhig mal Fragen, was diese Mittel der Aufklärung denn sein sollen? In der Logik der Krisis kann es sich ja dabei nur um Mord- und Totschlag, Pest und Cholera handeln. Denn etwas anders kann man ja nach ihren Worten wohl kaum mit Aufklärung in Zusammenhang bringen. Man ist geneigt, an dieser Stelle den Oberlehrer raushängen zu lassen und zu rufen: 'Falsch, setzen!' – und anzufügen: 'Liebe Schüler, gegen Zustände, unter denen Kritik absolut unmöglich ist und barbarisch ausgelöscht werden soll, muß man Zustände verteidigen, wo Kritik genau dieser Zustände noch möglich ist – und sei es nur deshalb, weil man sie ohnmächtigerweise üben darf. Auch unser Onkel Karl hat schon in seinem Brief „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.” geschrieben, daß dies die Voraussetzung überhaupt aller Kritik ist.'(140)
Die Krisis-Sehnsucht nach dem Ende des Kapitalismus ist so etwas wie der in Gedankenform vergegenständlichte Todestrieb des Kapitalismus: das Reich Thanatos' komme, sein Wille geschehe. Der verinnerlichte Todeswunsch des Kapitalismus findet seinen Ausdruck in der Theorie und zerreißt so das dialektische Verhältnis von Eros und Thanatos, auf das der späte Freud abhob. Die libidinöse Objektbindung kennt bei der Krisis kein Subjekt, kann also gar nicht stattfinden. So erweist man sich als unfähig, den Triebverzicht als Urform von Vernunft dialektisch zu erfassen: als gemeinsame Quelle von Selbsterhaltung und Selbstzurichtung. Folgerichtig muß der Krisis deshalb der Vernunftbegriff der Kritischen Theorie ein Greuel sein, den Horkheimer in einer der wichtigsten „Vorarbeiten” für die „Dialektik der Aufklärung” in dem Aufsatz „Vernunft und Selbsterhaltung” von 1942 so auf den Punkt brachte: „Vernunft ist die Art und Weise, wie das Individuum in seinen Handlungen den Ausgleich zwischen seinem eigenen Nutzen und der Gesamtheit herstellt.”(141) Wahrscheinlich gilt eine solche Definition in den Augen der Krisis als Hypostasierung bürgerlicher Vernunft, als Anthropologisierung der Vernunftkategorie. Denn nicht nur ist jene in den Augen von Robert Kurz nichts anderes als die „die Welt vernichtende Unvernunft der warenproduzierenden Moderne”(142), sondern als Aufklärung eben „eine Ideologie der Selbstvergewaltigung und der Selbstunterwerfung der Individuen unter den versachlichten Imperativ der 'zweiten Natur' gemäß den Kriterien der ihnen gegenüber verselbständigten Selbstbewegung der Wertform”.(143)
Mit Gunzelin Schmid Noerr sei darauf verwiesen, daß „die Kritische Theorie (...) sich dessen bewußt (war), daß ihre Gesellschaftskritik nicht nur dem unmittelbaren Imperativ der Abschaffung gesellschaftlich bedingten Leidens folgte, sondern auch einen positiven Vernunftbegriff als normativen Kern implizierte”(144), bezüglich dessen man sich aber „einer positiven Begründung des in der Kritik enthaltenen Begriffs unverkürzter Vernunft” verweigerte.(145) Schmidt Noerr brachte in Anlehnung an Marx das Programm der Kritischen Theorie so auf den Nenner: „In der Anatomie des Faschismus liegt ein Schlüssel für die Anatomie des abendländischen Denkens.”(146) Dem folgend kann wohl niemand ernsthaft bezweifeln, daß sich die Kritische Theorie gerade darin auszeichnet, den bürgerlichen Vernunftbegriff nicht als dem Faschismus äußerlich zu denken. So schreibt Horkheimer in Vernunft und Selbsterhaltung bezüglich der „Stammbegriffe der westlichen Zivilisation”: „Die Frage ist an der Zeit, wieweit die Begriffe noch haltbar sind. Zentral ist der Begriff der Vernunft. Das Bürgertum kennt keinen höheren (...).(147) Die neue, die faschistische Ordnung ist die Vernunft, in der Vernunft selber als Unvernunft sich enthüllt.”(148) Vermutlich gerade weil Horkheimer die Staatskapitalismusthese Friedrich Pollocks, daß im Nationalsozialismus das Wertgesetz stillgestellt sei, fälschlicherweise unterstützt, mißt er der Racketherrschaft eine Bedeutung bei, die ihn in „Vernunft und Selbsterhaltung” feststellen läßt: „Die These vom Gang ist ernster zu nehmen, als die Entrüstung es vermag, die an die Rückkehr normaler Verhältnisse glaubt, wenn einmal die Polizei des Alten die Auswüchse beseitigt hat. Nicht einbrechende Gangster haben in Deutschland die Herrschaft über die Gesellschaft sich angemaßt, sondern die gesellschaftliche Herrschaft geht aus ihrem eigenen ökonomischen Prinzip heraus in die Gangsterherrschaft über.”(149) Hier also steht es schwarz auf weiss, daß der Nationalsozialismus im Verständnis der Kritischen Theorie eben nicht als das ganz Andere bürgerlicher Rationalität begriffen wird. Allerdings: Zwar korrespondiert die Irrationalität der maßlosen Vernichtung aufs engste mit der bürgerlichen Rationalität maßloser Verwertung, sie fällt aber mitnichten unmittelbar mit ihr in eins. Demzufolge ist Auschwitz nicht als bloße Sonderform von bürgerlicher Rationalität zu charakterisieren, sondern als das Umschlagen von bürgerlicher Rationalität in Irrationalität, das weder zwangsläufig, noch völlig unvermittelt eingetreten ist.(150)
Die gefährliche Konstellation von massenhaftem Krisenbewältigungsbedürfnis, herrschaftskonkurrierender Rackets und pathischer Projektion resultiert grundsätzlich aus einer Krise des Kapitals. Aus dieser nur entspringt die Idiosynkrasie subjektiver Krisenerfahrung für das wertvergesellschaftete Individuum, das seine Vereinzelung als gesellschaftlichen Makel erfährt und deshalb in der Masse der Gemeinschaft aufgehen will. Die anonyme Herrschaft des Kapitals mittels Ticketdenken zu personifizieren(151), ist dabei genau jene Konstitutionsbedingung für faschistische Herrschaft, die sich nur über den Wahn der maßlosen Ausgrenzung und der Vernichtung am Leben zu halten vermag: nur die pathische Personifizierung von Schuld, der man zwanghaft ans Leder will, garantiert die eigene Unschuld. Gerade aber weil die Racketherrschaft ebenso wie der bürgerliche Staat als Souverän den Subjektstatus gegenüber der Vorrangigkeit des Kapitals als Objekt nicht zu überwinden vermag, reproduziert sich durch diese objektive Unmöglichkeit fortwährend der Wahn der Ausgrenzung und Vernichtung.
Insbesondere Krisis behauptet, Auschwitz oder ähnliches wären heutzutage nicht mehr möglich, weil sich die objektiven Bedingungen dafür geändert hätten. Nicht nur, daß der Nationalsozialismus ausschließlich als Modernisierungs- und Durchsetzungsprojekt des Kapitalismus begriffen wird, bei der die Dimension des Versuches der negativen Aufhebung des Kapitals als Ausdruck von barbarischer Krisenbewältigung nicht mal im Ansatz erfaßt wird – geschweige denn eine Rückbindung an die Kritik des Warenfetischismus und des Staates erfolgt –, gerät der Krisis die Weissagung, daß sich etwas wie Auschwitz durch den finalistischen Krisenstand der Wertvergesellschaftung objektiv nicht wiederholen könne, nicht nur zur Gewißheit darüber, wie Auschwitz objektiv möglich geworden ist, sondern zugleich zu der Gewißheit, unter welchen Bedingungen ein zweites Auschwitz heute nur möglich würde. Gesagt ist damit nichts Geringeres, als daß man Auschwitz hätte voraussagen können. Denn man weiß ja sicher, daß es sich nicht wiederholen wird. Daß Auschwitz der Bruch mit dem letzten Fünkchen emanzipatorischer Gewißheit darstellen könnte, die Möglichkeit der Aufhebung ließe sich allgemein determinieren, kommt der Krisis bekanntlich nicht in den Sinn.(152) Denn sie behandeln die Marxsche Kritik so, als hätte dort nach den Bewegungsgesetzen gesetzmäßig abgeleitet werden können, daß Auschwitz kommen mußte. Historische Singularität wird so zur allgemeinen Durchsetzungsgeschichte in Reinform.(153) So weiß man eben auch genau wie über die finale Krise über die objektiven Bedingungen von Auschwitz und dessen unmöglicher geschichtlicher Wiederholung bescheid. Deshalb sieht man auch keinerlei Notwendigkeit, konkret gegen die sich äußernde negative Aufhebungsbewegung des Islamismus zur Aufrechterhaltung der minimalen Bedingung von Emanzipation Partei zu ergreifen.(154) Festzuhalten ist also mit Nachdruck, daß Auschwitz nicht einfach aus der Kritik der politischen Ökonomie abgeleitet werden kann, sondern zugleich als Bruch in der Marxschen Kritik begriffen werden muß – als Bruch in der gesetzmäßigen dialektischen Darstellung als Kritik.
Sören Pünjer

Fußnoten:
(1) Frankfurt am Main 1969, S.46
(2) in: ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1985, S.130
(3) ders. Blutige Vernunft – 20 Thesen gegen die sogenannte Aufklärung und die „westlichen Werte”, in: Krisis # 25, Bad Honnef 2002, S.96
(4) Stuttgart 1992, S.150
(5) Robert Kurz, a.a.O., S. 67
(6) „(...) Nur in dieser unmittelbaren Identität von wertförmiger Vernunft und Vernichtung kann auch der Macher mit dem Denker zusammenfallen. Die bürgerliche Einheit von Theorie und Praxis ist das Vernichtungslager, die Atomexplosion, das Flächenbombardement. Darin besteht der gemeinsame Nenner von Kant, Hitler und Habermas, von deutscher Ideologie und US-Pragmatismus, von liberaler Zwangsfreiheit und totalitärem Autoritarismus. Trotz aller historischen Gegensätzlichkeit in der Durchsetzungsgeschichte der Wertvergesellschaftung wird dieser gemeinsame Nenner in den großen Krisen und zumal an den Grenzen des Systems sichtbar. Und in dieser Hinsicht gilt es zusammen zu denken, was zusammen gehört.” (Robert Kurz, a.a.O., S.82) Was nicht zusammengehört, soll also um Gottes Willen nicht mehr gedacht werden, weil man ja fundamental sein wolle und nichts anderes. Nicht, daß unter der gesellschaftlichen Totalität des Kapitals nicht alles mit allem vermittelt wäre und somit notwendig synthetisiert, soll an dieser Stelle bestritten werden, sondern daß man sich, durch die totale Immanenz bedingt, bedingungslos ausschließlich der transzendental-apokalyptischen Träumerei á la Krisis hinzugeben habe, gehört kritisiert. Ein Lichtblick allerdings, daß in dieser Kurzschen Aufzählung die Antideutschen fehlen. Oder wurden die nur zufällig vergessen?
(7) So schreibt Robert Kurz: „Israel geht als Krisengesellschaft der Globalisierung seinen eigenen Weg in die Barbarei, nicht anders als der Rest der Welt, aber unter besonderen Bedingungen der Bedrohung.” (aus: Die Jubelperser der Weltpolizei, in: Streifzüge 02/2002, S.20; auch auf: www.krisis.org)
(8) So schreibt Norbert Trenkle: „Schon die teleologische Geschichtsinterpretation als solche ist eine urbürgerliche Projektion. Ob sie positiv oder negativ gewendet wird, ist dem gegenüber sekundär (...). Die Rückprojektion (...) auf die gesamte Geschichte ist selbst (unbewußter) Ausdruck der Hybris und des universalistischen, herrschaftlichen Anspruchs der warenproduzierenden Moderne, der nicht einmal die vorbürgerliche Geschichte verschont.” (a.a.O. S.46)
(9) Robert Kurz, a.a.O., S.67
(10) Norbert Trenkle, Franz Schandl, Editorial in: Krisis # 25, Bad Honnef 2002, S.12
(11) Frankfurt am Main 1969, S.40
(12) Gemeint ist dies im Sinne der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno in dem Fragment Zur Genese der Dummheit: „Sind die Wiederholungen beim Kind erlahmt, oder war die Hemmung zu brutal, so kann die Aufmerksamkeit nach einer anderen Richtung gehen, das Kind ist an Erfahrung reicher, wie es heißt, doch leicht bleibt an der Stelle, an der die Lust getroffen wurde, eine unmerkliche Narbe zurück, eine kleine Verhärtung, an der die Oberfläche stumpf ist. Solche Narben bilden Deformationen. Sie können Charaktere machen, hart und tüchtig, sie können dumm machen (...).” (Frankfurt am Main 1969, S.275)
(13) Robert Kurz, a.a.O., S.67
(14) a.a.O., S.23
(15) Claus Peter Ortlieb, die Aufklärung und ihre Kehrseite a.a.O. S.25
(16) Dialektik der Aufklärung, a.a.O., S.51
(17) ebenda S.50
(18) ebenda
(19) Norbert Trenkle, Gebrochene Negativität, a.a.O., S.44
(20) in: ders, Traditionelle und Kritische Theorie, Frankfurt am Main 1992, S.266
(21) So schreibt Claus Peter Ortlieb voller inbrünstiger Überzeugung des ganz großen Wurfs: „Daß die zweifelhaften, nur um den Preis der Unterwerfung unter die abstrakte Form zu habenden Glücksversprechen der Moderne für die große Mehrheit zu keiner Zeit eingelöst wurden, ist kein Betriebsunfall, sondern liegt im Programm – dem Programm der Aufklärung.” (a.a.O., S.28)
(22) a.a.O., S.46
(23) Max Horkheimer, Traditionelle und Kritische Theorie, Frankfurt am Main 1992, S.229
(24) ebenda 1074b
(25) ebenda: „Denn das Denken und die Tätigkeit des Denkens wird auch dem zukommen, der das Schlechteste denkt. Wenn man aber das vermeiden muß, so dürfte Denken nicht das Beste sein. Füglich denkt sich die Vernunft selbst, wenn sie das Vorzüglichste ist, und ihr Denken ist Denken des Denkens.”
In der Dialektik der Aufklärung heißt es dazu: „Denken verdinglicht sich zu einem selbsttätig ablaufenden, automatischen Prozeß, der Maschine nacheifernd, die er selber hervorbringt, damit sie ihn schließlich ersetzen kann. Aufklärung hat die klassische Forderung, das Denken zu denken (...) beiseitegeschoben, weil sie vom Gebot, der Praxis zu gebieten, ablenke (...).” (a.a.O., S.31)
(26) ders., Zum Begriff der Vernunft in: ders./Theodor W. Adorno: Sociologica II, 1962, S.205 Der dort publizierte Aufsatz ist die Festrede bei der Rektoratsübergabe am 20. November 1951 in Frankfurt am Main.
(27) ebenda
(28) ebenda S. 203
(29) ebenda
(30) ebenda S. 204
(31) Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, Stuttgart 1992, S.146. Es heißt dort: Der Engel „hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.” (Hrvhbg. von mir – S.P.)
(32) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.70
(33) Womit allerdings keineswegs eine Lanze für die Empirie gebrochen werden soll. Denn sich ihr hinzugeben kann genauso dumm machen wie der gänzliche Verzicht auf sie.
(34) G.W.Hegel, Phänomenologie des Geistes Werke 3, Frankfurt am Main 1986, S. 155 ff. (Hervorhebung im Original)
(35) „Die Aufklärung der neueren Zeit stand von Anbeginn im Zeichen der Radikalität: das unterscheidet sie von jeder früheren Stufe der Entmythologisierung.” Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1969, S.99
(36) „Jeder Entsagende gibt mehr von seinem Leben als ihm zurückgegeben wird, mehr als das Leben, das er verteidigt.” ebenda S.62
(37) ebenda S.61
(38) ebenda
(39) ebenda
(40) ebenda
(41) ebenda S.65
(42) ebenda, S.63
(43) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.17
(44) Es dürfte klar sein, daß der Mensch durch die Kritische Theorie keineswegs als anthropologische Konstante gesetzt ist, sondern sich seine Bestimmung nur negativ aus dem Verhältnis von Geist, Kultur, Gesellschaft auf der einen und einem Begriff von Natur auf der anderen Seite ergibt, die sich aus der dialektischen Relation von Stoff und Form herleitet: „Was der Mensch sei, läßt sich nicht angeben (...). Die Verstümmelungen, die ihm seit Jahrtausenden widerfuhren, schleppt er als gesellschaftliches Erbe mit sich (...). Daß nicht sich sagen läßt, was der Mensch sei, ist keine besonders erhabene Anthropologie, sondern ein Veto gegen jegliche.” (Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S.130)
(45) Die m.E. entscheidende Frage hinsichtlich der Kritischen Theorie hat Alfred Schmidt formuliert: „Sind in einer materialistischen Philosophie die – den absoluten Idealismus voraussetzenden – wesenslogischen Kategorien Hegels ohne weiteres anwendbar? Ist Hegels Kant-Kritik materialistisch durchzuhalten, wenn man festhält an der prinzipiellen Differenz von Begriff und Wirklichkeit?” (in: Ludwig von Friedeburg, Jürgen Habermas (Hg.), Adorno-Konferenz 1983, Frankfurt am Main 1983, S.20) Das ist insofern von entscheidender Bedeutung, als sowohl Horkheimer als auch Adorno weder Hegel gegen Kant noch Kant gegen Hegel
auszuspielen gedachte. Schmidt macht ähnliches übrigens für Marx geltend: „In dem Prozeß zwischen Kant und Hegel nimmt Marx einen nur schwer zu fixierenden vermittelnden Ort ein. Seine materialistische Kritik an Hegels Identität von Subjekt und Objekt führt ihn zu Kant zurück, ohne daß doch bei ihm das mit dem Denken unidentische Sein wiederum als unverkennbares 'Ding an sich' aufträte (...). So hält Marx, Kants These von der Nichtidentität von Subjekt und Objekt beibehaltend, an der nachkantischen, die Geschichte nicht ausklammernden Einsicht fest, daß Subjekt und Objekt in wechselnde Konstellationen zueinander treten, ganz wie die in verschiedenen Arbeitsprodukten verwirklichte Einheit des Subjektiven und Objektiven zugleich beinhaltet, daß die 'Proportion zwischen Arbeit und Naturstoff sehr verschieden' ist.” (in: ders. Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt am Main 1962, S.103)
(46) Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S.184 u. 185
(47) „Vom Ekel vor Exkrementen und dem Menschenfleisch bis zur Verachtung des Fanatismus, der Faulheit, der Armut, geistiger und materieller, führt eine Linie von Verhaltensweisen, die aus adäquaten und notwendigen in
Scheußlichkeiten verwandelt wurden. Diese Linie ist die der Zerstörung und der Zivilisation zugleich.” Ebenda. S.99
(48) Soviel auch zur Diskussion im Zusammenhang mit den von der Krisis im Editorial der Ausgabe # 25 notwendigen Fragen: „Wie konstituiert sich der Gesellschaftskritiker? Warum neigt dieses fragile Konstrukt in seiner Negation der Charaktermasken so überproportional zum Irresein? Welchen Stellenwert hat der grassierende Obskurantismus in der radikalen Linken? Nicht, daß wir das jetzt alles wüßten, aber fragen wird man schon noch dürfen, nein müssen. (S.12, Hervorhebung im Original)
(49) „Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das was ist, nicht alles.” In: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.391
(50) Gemeint ist die Kritik seitens der Initiative Sozialistisches Forum an der Krisis-Gruppe. Erschienen im Jahre 2000 beim Ca Ira-Verlag Freiburg unter dem Titel: „Der Theoretiker ist der Wert” (www.isf-freiburg.org)
(51) a.a.O. S.67
(52) vgl. Karl Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Dort heißt es in Anlehnung an Shakespeares Hamlet: „Brav gewühlt, alter Maulwurf!” (in: Karl Marx, Friedrich Engels, Ausgewählte Werke, Moskau, unbekannt, S.175)
(53) Dialektik der Aufklärung, a.a.O. S.56. Ebenda heißt es außerdem: „Ist der Tausch die Säkularisierung des Opfers, so erscheint dieses selber schon wie das magische Schema rationalen Tausches, eine Veranstaltung der Menschen, die Götter zu beherrschen, die gestürzt werden gerade durch das System der ihnen widerfahrenden Ehrung.”
(54) „Wie der Verstand zur Sinnlichkeit und die Sinnlichkeit zum Stoff kommt, behält so sehr ein Moment des Unaufgehellten wie andererseits die Verbindung von Idee und Kategorie, Vernunft und Verstand und später von theoretischer und praktischer Vernunft.” (Horkheimer, Kants Philosophie und Aufklärung; in: ders. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1985, S.209)
(55) a.a.O. S.38
(56) Dialektik der Aufklärung a.a.O. S.32
(57) So schreibt Horkheimer in Die Revolte der Natur: „Ohne den Fehler zu begehen, Natur und Vernunft gleichzusetzen, muß die Menschheit versuchen, beide zu versöhnen (...). Der einzige Weg, der Natur beizustehen, liegt darin, ihr scheinbares Gegenteil zu entfesseln, das unabhängige Denken.” (in: ders., Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, a.a.O. S.122 u. 123)
(58) a.a.O. S.36
(59) a.a.O. S.64
(60) Christoph Türcke, Der tolle Mensch, Frankfurt am Main 1989 168 u.169.
(61) „Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion.” (Karl Marx, Das Kapital Band I, Berlin 1955, S.81)
(62) „Denken braucht nicht an seiner eigenen Gesetzlichkeit sich genug sein zu lassen; es vermag gegen sich selbst zu denken, ohne sich preiszugeben; wäre eine Definition von Dialektik möglich, so wäre das als eine solche vorzuschlagen. Die Armatur des Denkens muß ihm nicht angewachsen bleiben; es reicht weit genug, noch die Totalität seines logischen Anspruchs als Verblendung zu durchschauen.” (Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.144)
(63) Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S.21
(64) Frankfurt am Main 1969, S.03
(65) „Der dialektische Widerspruch ist weder bloße Projektion mißglückter Begriffsbildung auf die Sache noch Amok laufende Metaphysik (...). Die aporetischen Begriffe der Philosophie sind Male des objektiv, nicht bloß vom Denken Ungelösten.” Negative Dialektik, a.a.O. S. 155 u. 156
(66) ebenda S.146
(67) Christoph Türcke, Der Tolle Mensch, Frankfurt am Main 1989, S.125
(68) Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1985, S.154
(69) ebenda S.137
(70) ebenda S.146
(71) vgl. Axel Honneth, Die geschichtsphilosophische Wende der Dialektik der Aufklärung: Eine Kritik der Naturbeherrschung; in: ders., Kritik der Macht, Frankfurt am Main 1986, S.68
(72) vgl. Herbert Schnädelbach, Das kulturelle Erbe der Kritischen Theorie; in: ders., Philosophie in der modernen Kultur, Frankfurt am Main 2000, S.118. Schnädelbach macht in seinem Aufsatz außerdem eine doch recht aufschlußreiche Bemerkung hinsichtlich seines Vorwurfes, die Kritische Theorie von Horkheimer/Adorno wäre ähnlich wie Marx viel zu radikal. Er schreibt: „Vielleicht ist dies einfach eine Sache des Lebensalters, d. h. das Lebensgefühl der wirklich Jungen – derer, die aufbrechen, weil sie noch nicht wie wir resigniert haben.” (ebenda S.119)
(73) Max Weber, Wissenschaft als Beruf in: ders. Schriften 1894-1922, Stuttgart 2002, S.510
(74) Norbert Trenkle a.a.O. S.65
(75) ebenda S.51
(76) ebenda S.49
(77) a.a.O. S.68
(78) „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß.” Karl Marx, 3. Feuerbachthese
(79) Karl Marx, Brief an Kugelmann vom 11.Juli 1868, in Das Kapital Band I, Berlin 1955. Weiter heißt es da: „Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußte, gesellschaftliche Regelung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blind wütender Durchschnitt durch.” Einer materialistischen Begriffsbildung von Geschichte kann es also nur um das Erforschen und Darstellen dieses Durchschnitts gehen, was wiederum gleichbedeutend damit ist, in der notwendigen Abstraktion von der besonderen Wirklichkeit auf die allgemeine schließen zu müssen. Es geht also nicht um die Nachzeichnung der Eigentlichkeit von Geschichte in all ihren Facetten, sondern um einen notwendigen allgemeinen Begriff von ihr. Sehr schön bringt es Marx unter Verwendung einer Analogie des Mann-Kind-Verhältnisses in den Grundrissen auf den Punkt: „Ein Mann kann nicht wieder zum Kind werden, oder er wird kindisch. Aber freut ihn die Naivetät des Kindes nicht, und muß er nicht selbst wieder auf einer höhern Stufe streben seine Wahrheit zu reproduzieren? Lebt in der Kindernatur nicht in jeder Epoche ihr eigner Charakter in Naturwahrheit auf? Warum sollte die geschichtliche Kindheit der Menschheit, wo sie am schönsten entfaltet, als eine nie wiederkehrende Stufe nicht ewigen Reiz ausüben? Es gibt ungezogne und altkluge Kinder.” (in: Karl Marx, Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 30) Marx' Äußerung klingt hier geradezu wie die Vorwegnahme von Freud, Benjamin und Adorno.
(80) Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S.28
(81) vgl. den Diskussionsbeitrag von Alfred Schmidt zu Roman Rosdolskys Referat und Nicos Poulantzas Co-Referat im Rahmen des Frankfurter Kolloquiums von 1967 unter dem Titel Kritik der Politischen Ökonomie heute – 100 Jahre Kapital, Herausgegeben von Walter Euchner und Alfred Schmidt, Frankfurt am Main 1968, S.29. Schmidt sagt dort: „Der methodisch wichtigste Gedanke der materialistischen Dialektik scheint mir darin zu bestehen, daß sie Natur als erster Natur im Sinne des die menschliche Existenz begründenden Stoffwechsels von der zweiten Natur unterscheidet. Diese bildet das spezifisch kapitalistische Problem des Materialismus, während der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur eine materielle Tatsache ist, die sich zwar ändern kann, aber die Menschheitsgeschichte überhaupt durchzieht. Ich glaube, diesen doppelten Boden der Marxschen Argumentation sollten wir im Auge behalten, wenn wir von der zweiten Natur oder von der ersten Natur reden. Also ob wir die Entfremdungsproblematik, das heißt den Warenfetischismus diskutieren oder den Materialismus in einem sehr viel elementareren Sinn, wie er auch in Marx steckt. Freilich als 'aufgehobenes' Moment, nicht als weltanschauliche Globalthese.” Der wirkliche „doppelte” Marx ist also der Marx, der zwischen erster und zweiter Natur unterscheidet, ohne in eine positive Anthropologie vom Menschen an sich zu verfallen: „Auf das Marxsche Lebenswerk selbst ist der methodische Grundsatz Marxens anzuwenden, daß wir die Anatomie des Affen aus der des Menschen erklären und nicht umgekehrt. Die Frühschriften von Marx und Engels, in denen man lange den eigentlich philosophisch-humanistischen Gehalt des Marxismus sehen wollte, sind ganz nur aus der historisch-ökonomischen Analyse des Kapitals zu verstehen. – Das gilt namentlich vom historischen Materialismus.” (ders. Ebenda, S.33)
(82) Wohl deshalb verwirft Kurz mit leichter Hand den gesamten Marxschen historischen Materialismus gnadenlos – und damit inklusive Marxens Natur- und Menschenbegriff: „Hinsichtlich des 'doppelten Marx' gehört also der historische Materialismus ganz dem bürgerlich-aufklärerischen Erbe, dem Modernisierungs- und Arbeiterbewegungs-Marx an.” (a.a.O., S.83)
(83) a.a.O., S.56
(84) Karl Marx, Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 388
(85) ebenda S.391
(86) Siehe auch Wolgang Pohrt, Theorie des Gebrauchswerts, Frankfurt am Main 1976, S.165. Pohrt schreibt: „Einerseits ist das natürliche Individuum mit seiner Naturkraft und seinem kreatürlichen Bedürfnis die natürliche Substanz und materielle Basis des Gemeinwesens; andererseits aber ist das Individuum aus dem Verband, worin es immer existiert, hier gar nicht real zu lösen und daher nicht die natürliche Basis des Gemeinwesens; sondern Denkbestimmung des auf diese Verhältnisse reflektierenden bürgerlichen Bewußtseins. Unmittelbar gegeben ist gerade nicht das Individuum, sondern seine Gemeinschaft mit anderen Individuen, in der es lebt und als Individuum im strengen Sinn gar nicht zu identifizieren ist (...). Das natürliche individuelle Dasein des Menschen, das Individuum als Naturkategorie, ist daher stets schon durch seine Beziehungen zu anderen Individuen vermittelt.” Hier wohl findet sich auch ein deutlicher Hinweis auf die Akzentsetzung Pohrts bei der Betrachtung des Individuums Mensch als Gattungswesen, die sich anfang der 90er so folgenreich in der sogenannten Türcke-Debatte bemerkbar machte, wo Pohrt mehr oder weniger gegen Christoph Türcke seinen öffentlichen Abtritt – symbolisiert durch den Ausstieg bei der Zeitschrift konkret – verkündete: Weil nach ihm die Vermittlung zuvorderst als reflektierendes bürgerliches Bewußtsein gedacht werden müße, verbietet sich für ihn strikt, mehr über das Individuum auszusagen, als seine immer schon vorauszusetzende Vergemeinschaftung. Damit bringt er Natur-Erkenntnis auf einen Begriff, der sich der Tendenz nach gegen die intendierte Erkenntnis vom Entstehen des Anatomie des Menschen und dessen Verhältnis zum Sozialen richtet. Türckes intentionaler Zugang dagegen wird von ihm selbst so auf den Punkt gebracht: „Eine Sache am Punkt ihres Entstehens erfassen, heißt oftmals ihr Wesen erfassen.” (in: Sexus und Geist, Frankfurt am Main 1993, S.210)
Außerdem sei in diesem Zusammenhang auf einen Begriff von Natur verwiesen, der in der Lage ist, die Triebstruktur des Menschen als natürliche und immer schon geformte zugleich zu begreifen: Nur als gesellschaftlich vermittelte ist sie überhaupt denkbar. Das aber heißt nicht, daß die Substanz der Triebe eine gesellschaftliche wäre – sie ist vielmehr durch Gesellschaft geformt; oder unglücklicher und irreführender formuliert: strukturiert, und daher nur geformt denkbar bzw. vom Denken geformt. Substanz an sich ist undenkbar. Gedacht wir in Relation: hier in der Form von Triebsubstanz (Stoff) und Triebstruktur (Form).
(87) ebenda S.395
(88) ders., Vermittlung als Gott, Lüneburg 1994, S.16. Weiter oben heißt es außerdem: „Die Vermittlung von Geist und Natur (...) bleibt stets eine gebrochene. (Sie) gibt es nur als Vorstellung oder Gedanken; die ungebrochene Vermittlung wird nur in der Selbstreflexion wirklich. Sie kann den Riß, dem sie entspringt, nicht schließen, nur beklagen (...). Die Vermittlung ist der Erleuchtungsblitz, der sich jeder Begründung und Ableitung entzieht – der Fluchtpunkt aller didaktischen Bemühungen und zugleich ihr blinder Fleck (...). Nur wer sich vergegenwärtigt, was eigentlich Vergeistigung heißt und die Richtung erkennt, die sie in jedem ihrer Sprünge nimmt, dem eröffnet sich auch die Einsicht, daß die Vermittlung, die in jedem Erkenntnisakt geschieht, den hauchdünnen Spalt darstellt, durch den der Luftzug der Gottähnlichkeit noch in den dumpfsten Alltag hineinweht.” (S.90 u.92)
Vor einem ähnlichen Problem der Unfähigkeit, Kritik als aporetisches Verhältnis überhaupt nur zu denken, steht ein Institut für Methodenkritik (www.methodenkritik.net). Einer von dessen Protagonisten, Frank Engster, sieht in der Selbstvermittlung des Standpunktes der Kritik als immer schon vermittelte Unmittelbarkeit von Voraussetzung und Resultat (G-G'), als „automatische” Selbstverwertung, den blinden Fleck jeglicher Kritik. Der Gebrauchswert der Kritik sei eben als ein solcher, als vom Kapital gesetzter, nichts anderes als Ausdruck der Selbstvermittlung des Kapitals. Deshalb ginge es um die Zweckbestimmung von bisheriger Kritik als Reflexion darauf, daß das „bleibende, unendliche Verdienst von Gesellschaftskritik” darin bestünde, „in die Bedingung der Unmöglichkeit von Kritik geraten zu sein.” In der reflexiven Darstellung dieses Dilemmas würde sich ergeben, daß sich in dieser Unmöglichkeit „die eigentliche Stärke radikaler Kritik (...) entdecken” ließe. Indem hier als unkritisch gilt, was Kritik als objektive Antinomie nicht verwirft, was die aporetische Verhältnismäßigkeit nicht als grundsätzlich zu hintergehendes Problem begreift, also keine Zweckbestimmung dergestalt vorgenommen wird, daß Kritik über den Gegenstand der Kritik hinausweisen müsse, ereilt diese Position seitens Engsters und Co. wohl oder übel der Vorwurf, Kritik als nicht im Vorhinein schon als mit sich selbst identisch zu denken. Engster denkt den Zweck von Kritik als einen, der mit sich selbst identisch zu sein hätte und bestimmt daran, was unkritisch sei. Wer aber flüstert ihm, daß Negation wie Negation der Negation nur als Identität zu haben ist und nicht als Verhältnis von Begriff und Sache, von Relation und Substanz und damit als fortwährend nicht-identisch? Engster will unbedingt das Vermittlungsproblem lösen. Dadurch ist er gezwungen, den Zweck von Kritik als mit sich und dem Gegenstand identisch zu denken. Wer aber im Gegensatz dazu das Vermittlungsproblem als nicht lösbar begreift, weil Kritik eben nicht das vermittelnde Dritte ist, weil es ein solches ausgeschlossenes Drittes eben objektiv nicht gibt, steht nicht vor einem solchem gesellschaftskritischem Dilemma wie Engster. Das ist allerdings nicht nur eine unbedeutende Geschmacksfrage, sondern ein Unterschied ums Ganze. Denn hier entpuppt sich wieder einmal grandios, daß die größten Kritiker der metaphysischen Elche nichts weiter sind als eben selber welche: die größten Metaphysiker sind die, die nicht bereit sind, das Vermittlungsproblem als objektives Problem anzuerkennen: ihr Wille zur Aufhebung der Metaphysik drückt sich aus im Wille zur Lösung des Vermittlungsproblems – der neuzeitliche Zweifel wird überdehnt und landet tatsächlich ausgehend vom Nichts wieder im Nichts. (vergleiche: Frank Engster, Ihre Unmöglichkeit als Gegenstand der Kritik, in: Antifaschistische Aktion Berlin (Hg.), Erste Hilfe, Berlin Mai 2002, S.33-47
(89) Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S.26
(90) Versöhnung ist weder die sachliche Aufhebung von erster und zweiter Natur noch die Herstellung der Identität von erster und zweiter als ein Zu-sich-selbst-Kommen. Sie ist allerdings das Ende der Dialektik – also der Subjekt-Objekt-Relation – und damit von Erkenntnis, wie wir sie im Sinne von reflexiver wie selbstreflexiver Aufklärung bisher kennen. Man kann auch sagen, daß Emanzipation so etwas wie Abhängigkeit von Versöhnung bedeutet. (vgl. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt Main 1966, S.18 und Dialektik der Aufklärung a.a.O. S.63)
(91) Völlig richtig merkt Marx in den Grundrissen (a.a.O.) ebenda (S.28) auch an, daß die Rückprojektion von als unmittelbarer Erkenntnis erfahrene, die so zur bewußten Erkenntnis von Geschichte wird, nicht überdehnt werden darf, so daß dadurch „alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformationen bürgerliche” gesehen würden.
(92) Robert Kurz, Blutige Vernunft, a.a.O. S.74
(93) ebenda
(94) a.a.O. S.40
(95) Marx schreibt in den Grundrissen: „Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß die Produktion, Distribution, Austausch, Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totalität bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit. Die Produktion greift über, sowohl über sich in der gegensätzlichen Bestimmung der Produktion, als über die andren Momente. Von ihr beginnt der Prozeß immer wieder von neuem (...). Eine bestimmte Produktion bestimmt also bestimmte Konsumtion, Distribution, Austausch und bestimmte Verhältnisse dieser verschiednen Momente zueinander. Allerdings wird auch die Produktion, in ihrer einseitigen Form, ihrerseits bestimmt durch die andren Momente.” (Berlin 1974, S.20)
(96) in: Blutige Vernunft, a.a.O. S.79
(97) a.a.O. S.18
(98) ebenda
(99) ebenda S.267
(100) Dialektik der Aufklärung, a.a.O., S.269. Dort heißt es: „Die Welt mit ihren Zwecken braucht den ganzen Mann (...). Jetzt bleibt das Gefühl bei der auf sich als Macht bezogenen Macht. Der Mann streckt die Waffen vor dem Mann in seiner Kälte und finsteren Unentwegtheit wie zuvor das Weib. Er wird zum Weib, das auf die Herrschaft blickt.”
(101) in: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, a.a.O. S.189
(102) ebenda S.195
(103) „Daß der junge Mensch heute weniger belastet die Familie verläßt, wird mit dem Schwund der Innerlichkeit bezahlt (...). Daß nun das Kind viel unmittelbarer auf die Gesellschaft angewiesen ist, verkürzt die Kindheit und bringt andersgeartete Menschen hervor. Mit dem Schrumpfen der Innerlichkeit entschwindet auch die Freude an der eigenen Entscheidung, an Bildung und freier Phantasie.” (ebenda S.185)
(104) vergleiche diesbezüglich meinen Beitrag Der Foucault des Werts – CEE IEH #82. In einem trotz aller Kritik an der kommunikationstheoretischen Habermaus Axel Honneth sehr lesenswerten Aufsatz desselben unter dem Titel: Foucault und Adorno – Zwei Formen einer Kritik der Moderne, in dem Adorno gegenüber Foucault verteidigt wird, heißt es sehr passend bezüglich meiner Foucault-Krisis-Analogie: „Auch Foucault hätte seine Kritik der Moderne, die ja von derselben mitleidenden Aufmerksamkeit auf die Verletzungen des menschlichen Körpers motiviert scheint, in dieser Weise verstehen können: Er hätte das psychische Leiden der Individuen als einen sozialen Ausdruck für die Disziplinierungen und Unterdrückungen betrachten können, von denen der Theoretiker den menschlichen Körper betroffen sieht. Aber ein interpretierender Ansatz dieser Art findet sich in Foucaults Schriften an keiner Stelle; das psychische Leiden der Subjekte als einen individuellen Restimpuls zur Versöhnung mit sich selber zu verstehen, mußte ihm fern liegen. Daran nämlich hat ihn seine Kritik des Subjekts ebenso gehindert, wie diejenige Adornos dazu geradezu aufforderte.” (in: ders. Die zerrissene Welt des Sozialen, Frankfurt am Main 1999, S.91) Wenn Robert Kurz Sätze wie den folgenden verfaßt, dann kann es einen ähnlich wie bei der Lektüre von Foucault wirklich nur noch gruseln: 'Sinnlich' ist das aufgeklärte Wertsubjekt nur, indem es sinnbildlich oder buchstäblich die Welt zertrümmert und im Blut watet.” (a.a.O. S.82) Hier wird die Subjektform in einer statischen Weise gedacht, als wäre diese eine dem Individuum übergestülpte in dem sämtliche sinnliche Erfahrung des Widerspruchs generell abgetötet würde. Die dagegen zu betonende prozessierende Verhältnis von Statik und Dynamik der Subjekt-Objekt-Relation und das gleichzeitige Nichtaufgehen des Individuums in der Subjektform ist nicht nur eine statische Reibung, sondern ein eben unentschiedener Prozeß, der durch die Individuen hindurch funktioniert, in dem sie zugleich eben als vermittelte Subjekte als Teil des vermeintlich außer ihnen liegenden Objekts gesetzt sind. Hier zeigt sich, daß das materialistische Verständnis vom Vorrang des Objekts bei der Krisis, wenn es denn überhaupt vorhanden ist, zu einer statisch-hierarchischen Konstellation heruntergebrochen wird.
(105) Ein schlechter Scherzbold übrigens, wer meint, Heidegger hätte in seinem sogenannten Humanismusbrief seine Position zum Humanismus und zur Aufklärung revidiert und Anfang der 30er eine „Kehre” vorgenommen. Tatsächlich war der Humanismusbrief nur der Versuch der Rettung seiner Stellung innerhalb der französischen Philosophie durch Anbiederung bei Sartre und der dortige Verweis auf die ”Kehre” die Verschleierung seiner Ontologie als NS-Ideologie. Vgl. dazu u.a. Tom Rockmore, Heidegger und die französische Philosophie, Lüneburg 2000, S. 166-180 u. 282-291
(106) So schreibt Foucault bekanntermaßen in Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1974, S.462: „Eines ist auf jeden Fall gewiß: der Mensch ist nicht das älteste Problem und konstanteste Problem, das sich dem menschlichen Wissen gestellt hat (...). Es ist nicht die Befreiung von einer alten Unruhe, der Übergang einer Jahrtausende alten Sorge zu einem lichtvollen Bewußtsein, das Erreichen der Objektivität durch das, was lange Zeit in Glaubensvorstellungen und in Philosophien gefangen war: es war die Wirkung einer Veränderung in den fundamentalen Dispositionen des Wissens. Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt(...). Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn durch irgendein Ereignis, dessen Möglichkeit wir höchstens vorausahnen können, aber dessen Form oder Verheißung wir im Augenblick noch nicht kennen, diese Dispositionen ins Wanken gerieten, wie an der Grenze des achtzehnten Jahrhunderts die Grundlage des klassischen Denkens es tat, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.”
(107) a.a.O. S.49
(108) Max Horkheimer, Kritische Theorie gestern und heute; in: ders. Gesellschaft im Übergang, Frankfurt am Main 1981, S.169
(109) In der Dialektik der Aufklärung heißt es zu Nietzsche u.a.: „Nietzsches Kampf gegen den Monotheismus trifft die christliche tiefer als die jüdische Doktrin. Er leugnet freilich das Gesetz, aber er will dem 'höheren Selbst' angehören, nicht dem natürlichen sondern dem mehr-als-natürlichen. Er will Gott durch den Übermenschen ersetzen, weil der Monotheismus, vollends seine gebrochene, christliche Form, als Mythologie durchschaubar geworden sei. Wie aber im Dienste dieses höheren Selbst die alten asketischen Ideale als die Selbstüberwindung 'zur Ausbildung der herrrschenden Kraft' von Nietzsche gepriesen werden, so erweist sich das höhere Selbst als verzweifelter Versuch zur Rettung Gottes, der gestorben sei, als die Erneuerung von Kants Unternehmen, das göttliche Gesetz in Autonomie zu transformieren, um die europäische Zivilisation zu retten, die in der englischen Skepsis den Geist aufgab. Kants Prinzip 'alles aus der Maxime seines Willens als eines solchen zu tun, der zugleich sich selbst als allgemein gesetzgebenden zum Gegenstand haben könnte', ist auch das Geheimnis des Übermenschen. Sein Wille ist nicht weniger despotisch als der kategorische Imperativ. Beide Prinzipien zielen auf die Unabhängigkeit von äußeren Mächten, auf die als Wesen der Aufklärung bestimmte unbedingte Mündigkeit.” (a.a.O., S.122) „Die Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein grundsätzliches Argument gegen den Mord vorzubringen, nicht vertuscht, sondern in alle Welt geschrieen zu haben, hat den Haß entzündet, mit dem gerade die Progressiven (Marquis de) Sade und Nietzsche heute noch verfolgen.” (ebenda S.127)
Vergleiche außerdem zur Nietzsche-Rezeption von Adorno und Horkheimer: Norbert Rath, Zur Nietzsche-Rezeption Horkheimers und Adornos; in: Willem van Reijen, Gunzelin Schmid Noerr (Hg.), Vierzig Jahre Flaschenpost: 'Dialektik der Aufklärung' 1947 bis 1987, Frankfurt am Main 1987, S.73 bis 110
(110) Nichts diskrediert im übrigen Derridas „grammatologische” Dekonstruktion – also seine Suche nach der „Urschrift” als „differance” neben, hinter, über oder unter dem vernunftherrschaftlichem „Logo- und Phonozentrismus” der Schriftsprache – mehr wie sein unglaublicher Versuch, Heideggers Selbstverständnis als dem besseren, echteren Nationalsozialisten von seinen Schriften abzutrennen und so eine Ehrenrettung Heideggers vorzunehmen. Das subjektlose Verfahren der Dekonstruktion stößt dabei nicht etwa an seine Grenzen, sondern zeigt, wo es hinführt, das Werk ohne den Autor zu lesen. So schreibt Derrida in: Vom Geist – Heidegger und die Frage (Frankfurt am Main 1992) bezüglich Heideggers Lektoratsrede: „Es handelt sich nicht um eine einfache Strategie; sie ist zumindest eine doppelte Strategie und hält deshalb stets für den eine Überraschung bereit, der glaubt, er habe Gewalt darüber. Dem, woran er (Heidegger – S.P.) sich beteiligt, und denen, vor denen er sich beteiligt, alldem also, was er als das Höchste gutheißt und weiht, weist Heidegger – auf der anderen Seite – eine geistige Legitimität zu, die die größte Sicherheit verleiht und die sich am Höchsten mißt. Man könnte behaupten, daß er den Nationalsozialismus vergeistigt; man könnte ihm das vorhalten (...). Auf der anderen Seite aber hat Heidegger vielleicht, indem er das Risiko einer Vergeistigung des Nazismus auf sich genommen hat, die Absicht verfolgt, ihn durch diese Behauptung (der Geistlichkeit, der Wissenschaft, des Fragens usw.) freizukaufen oder zu retten. Dadurch zeichnet sich Heideggers Beteiligung aus, dadurch hebt sie sich ab, dadurch wird ein Einschnitt in der Zugehörigkeit markiert: dieser Diskurs scheint nicht mehr einfach dem 'ideologischen' Umfeld zuzugehören, in dem dunkle Kräfte angerufen werden. Kräfte, die nicht geistige, sondern natürliche, biologische, rassische Kräfte sind, einer nicht-geistigen Deutung des 'Blut-und-Boden'-Motivs gemäß (...). Die Kraft, auf die sich Heidegger beruft, die er anruft, und zwar am Ende der Rede – wenn er vom Schicksal des Abendlands spricht –, ist also eine 'geistige Kraft'.” (S.48 u.49; Hervorhebungen im Original) Wer sich beim Lesen dieser Zeilen des Eindrucks nicht erwehren kann, daß der an Derrida im Jahre 2001 verliehene Adorno-Preis und die Derrida-Laudatio von Jürgen Habermas wie ein kräftiges Nachtreten gegen die verfassungspatriotische Erledigung der Kritischen Theorie im Sinne Horkheimer/Adornos aussieht, liegt wohl kaum falsch. Nicht zufällig stellt Derrida ja auch das Scharnier für diejenigen dar, die sogar eine Nähe von Adorno und Heidegger betonen.
(111) „Freie Gesellschaft? Ja! Ja! Aber ihr wißt doch, ihr Herren, woraus man baut? Aus hölzernem Eisen! Aus dem berühmten hölzernen Eisen! Und noch nicht einmal aus hölzernem ...” in: Die Fröhliche Wissenschaft Stuttgart, 2000, S.257
(112) Man kann sich gar darüber streiten, ob sie nicht hinter Aristoteles und dessen Metaphysik zurückfallen, wenn sie das Vermittlungsproblem lösen wollen und damit nicht anders können, als auf das zu insistieren, was Aristoteles als „dritten Mensch” bezeichnet hat. Aristoteles schreibt: „Ich meine, daß es kein Lebewesen geben kann neben dem einzelnen Lebewesen, noch sonst etwas von dem, was sich im Begriff findet. Stellt man nun von da aus seine Betrachtungen an, so ist es klar, daß nichts von dem, das allgemein besteht, ein Wesen ist und daß nichts von dem, das gemeinsam ausgesagt wird, ein Das bezeichnet, sondern ein Derartiges. Wäre dem nicht so, würde vieles andere und auch der 'dritte Mensch' die Folge sein. (1038b/1039a)
(113) „Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.” (Karl Marx, Das Kapital Band I, Berlin 1955, S.17
(114) Frankfurt am Main 1966, S.265
(115) ebenda
(116) ebenda
(117) Karl Marx, Das Kapital Band III, Berlin 1966, S.271
(118) vergleiche hierzu auch: Michael Heinrich, Neues vom Weltuntergang; in: Streifzüge 1/2000. Er schreibt dort u.a. zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtkapital: „Der reale Zirkel besteht darin, daß sich das Gesamtkapital einerseits aus den Einzelkapitalen konstituiert, es den Einzelkapitalen andererseits aber den Rahmen ihrer Bewegung vorgibt: Voraussetzung und Resultat schlagen ineinander um.” Heinrich ist wohl der antideutschen Gesinnung eher unverdächtig, so daß er sich hier anbietet. Das umso mehr, als er auch als Althusserianer gelten muß. D. h. als einer, der den Marxschen Bruch mit Feuerbach ähnlich wie Althusser als Bruch mit der anthropologischen Sicht im Marxschen Werk begreift. Althussers strukturalistische Lesart, der Heinrich folgt, sieht mit der Marxschen Deutschen Ideologie die Begründung einer neuen „antihumanistischen” kritischen Wissenschaft und nicht die Kritik aller Wissenschaft und Theorie. Bei Heinrich heißt es in seinem Buch Die Wissenschaft vom Wert: „Insofern scheint mir Althusser, trotz manch überspitzter Formulierung, den 'Bruch' (...) noch am besten zu erfassen, wenn er im Zentrum dieses Bruches die 'Philosophie des Menschen' sieht, die Marx als ideologisch erkennen würde.” (Münster 1999, S.143) Problematisch ist das Anknüpfen von Heinrich an Althusser nicht nur deshalb, weil Althussers Antihumanismus stark von Heiddeggers Humanismusbrief beeinflußt ist, wie Althusser später eingestand, sondern vor allem deshalb, weil Althusser die Bedeutung der Hegelschen Dialektik für das Marxsche Werk als die Konstante schlechthin weitgehend leugnet. Althusser sieht bei Marx allenfalls im Sinne Kautskys ein Kokettieren mit Hegel. Bedeutsam ist die Ignoranz gegenüber der Hegelschen Dialektik für das notwendige Anknüpfen an die Marxsche Ideologiekritik des Fetischbewußtseins und eines materialistischen Geschichtsbegriffs. Gerade weil Heinrich die wesentliche Unterscheidung in der Einheit von Gesamtkapital und individuellem Kapital stark macht, ist es fatal, die Marxsche Darstellung als zuvorderst subjektiv defizitär statt als objektives Erkenntnisproblem über die Selbstverwertung des Werts aufzufassen. Heinrich schreibt: „Sowohl beim Gesamtreproduktionsprozeß als auch beim Ausgleichsprozeß zur Durchschnittsprofitrate muß ein bestimmtes Verhältnis des individuellen Kapitals zum gesellschaftlichen Gesamtkapital betrachtet werden. Die Darstellung eines solchen Verhältnisses scheint aber auf einen Zirkel hinauszulaufen. Einerseits müssen die individuellen Kapitale, da sie das gesellschaftliche Gesamtkapital erst konstituieren, unabhängig und vor diesem betrachtet werden. Andererseits setzt aber das Gesamtkapital der Bewegung der individuellen Kapitale Schranken, so daß die Darstellung der Einzelkapitale die Darstellung des Gesamtkapitals voraussetzt. Diesem Problem trägt Marx im Kapital insofern Rechnung, als er sowohl das Einzelkapital als auch die Konstitution des gesellschaftlichen Gesamtkapitals nicht nur einmal, sondern mehrmals, auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen betrachtet. D.h. weder das Einzelkapital noch das Gesamtkapital, das Marx zunächst zu seinem Gegenstand macht, sind die fertig bestimmten Phänomene, wie sie empirisch erscheinen.” (ebd. S.193; vgl. ebd. die Seiten 185-195) Zur Kritik von Althusser und dem Strukturalismus vergleiche Alfred Schmidt, Geschichte und Struktur, Frankfurt am Main 1972 und ders., Der strukturalistische Angriff auf die Geschichte, in: ders. (Hg.) Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt am Main 1969
(119) Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt am Main 1999, S.573
(120) Hans Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform; in: ders. Dialektik der Wertform, Freiburg 1997, S.44
(121) „(...) Es ist nicht zugleich es selbst und sein Anderes. Eben in dieser Weise aber ist die Beziehung von Ware und Geld beschaffen (...). Die Ware-Geld-Gleichung ist die ökonomische Aufhebung des Satzes der Identität.” (ders. ebenda, S.54 und 53)
(122) MEGA (Marx-Engels Gesamtausgabe) II/5, S.37; hier zitiert nach: Helmut Reichelt, Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien; in: Iring Fetscher, Alfred Schmidt (Hg.), Emanzipation als Versöhnung, 2002, S.150
(123) Karl Marx, a.a.O. S.260
(124) Man lese nur den Abschnitt über die Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation im ersten Band des Kapitals mal abzüglich des darin auftauchenden Kollektivsubjekts und schon breitet sich einem der ganze Schlammassel der Krisis-Theorie aus: Zwar gäbe es also schon eine gesetzmäßige Bewegung hin zur Negation der Negation und zur Expropriation der Expropriateure. Weil aber das Subjekt fehle, sei diese Frage eben offen. Wer's glaubt wird, wie gesagt, theorieseelig. Allerdings ist nochmals mit Nachdruck darauf zu verweisen, daß der Wunsch, daß es so komme, der Optimismus von Marx, auch seine Darstellung der Bewegungsgesetze des Kapitals nicht ungeschoren ließ, sondern schwerer beeinflußt hat als die strukturalistische Auftrennung des guten in den bösen Marx, wie Krisis es in der Rede vom doppelten Marx nahelegt.
(125) Walter Benjamin, Notizen und Vorarbeiten zu den Thesen Über den Begriff der Geschichte, Gesammelte Schriften, Bd.I, 3, Frankfurt am Main 1974, S.1232; hier zitiert nach: Christoph Türcke, Der tolle Mensch, Frankfurt am Main 1989, S.176
(126) Norbert Trenkle, a.a.O. S.59
(127) Robert Kurz, a.a.O., S.89
(128) „Dialektik entfaltet die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom Allgemeinen. Während sie, der ins Bewußtsein gedrungene Bruch von Subjekt und Objekt, dem Subjekt unentrinnbar ist, alles durchfurcht, was es, auch an Objektivem, denkt, hätte sie ein Ende in der Versöhnung (...). Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist. Der Versöhnung dient Dialektik. Sie demontiert den logischen Zwangscharakter, dem sie folgt (...).” Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.18
(129) a.a.O. S.14
(130) Norbert Trenkle gibt offenherzig zu, daß er die Dialektik der Kritischen Theorie gar nicht recht begreift: „Zwar sieht Adorno die Verwirklichung des 'freien und gerechten Tauschs' nicht als Endpunkt der Befreiung, aber doch (ganz im Sinne teleologischer Geschichtsmetaphysik) als historisch notwendiges Durchgangsstadium. Das Ganze läuft auf die paradoxe Forderung hinaus, die Ideale des Kapitalismus, die er selbst nicht einlösen könne, zu verwirklichen, um sie auf diese Weise zugleich aufzuheben. Diese etwas merkwürdige Dialektik ist entgegen Adornos eigenem Anspruch nicht negativ, sondern auf paradoxe Weise positiv und damit nolens volens affirmativ gegenüber der modernen Warengesellschaft.” (a.a.O., S.60 u. 61; Hrvhbg. von mir – S.P.) Als hätte Marx mit seiner Kritik als Darstellung, daß man die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen müsse, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt, je etwas anderes intendiert, scheint Trenkle hier nicht zu verstehen, daß es Adorno immer darum ging, in der Darstellung der Differenz, dem Nichtaufgehen des Begriffs in der Sache, den transzendentalen Moment offenzulegen, in dem die Kritik über das Bestehende hinausweisen könnte. Nichts anderes meint die Passage Adornos, ”daß das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren ist.” (in: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt am Main 1971, S.19). Ähnlich formuliert Horkheimer in seinem Aufsatz Zum Begriff des Menschen: „Wenn es (...) nicht angeht, den Menschen vorzureden, wie sie es machen sollten, um der Schrumpfung des Menschlichen Einhalt zu gebieten, wenn die Vorstellung Wahn ist, man könne die gefährlichen Entwicklungen in Technik, Familie und allen menschlichen Beziehungen abbrechen, die doch alle aus den Mängeln der früheren Verhältnisses entspringen und ebensosehr ein Befreiendes an sich haben wie ein Fesselndes, so kann vielleicht aus dem präzisen Wissen um das Falsche das Richtige sich durchsetzen.” (in: ders. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1985, S.202)
(131) Ders., Soziologische Theorie der Erkenntnis, Frankfurt am Main, 1985, 211; (Hervorhebungen im Original) Im Vorwort zu diesem Band ist durch Jochen Hörisch „das zentrale Problem” der Marxschen Kritik, „das Thema Verdinglichung”, sehr schön benannt worden. Hörisch schreibt: „In verdinglichten = verzauberten Gesellschaftszuständen ist eine Theorie des Erkennens nur als Theorie des Verkennens möglich.” Besser ist der Kritik-Begriff selten auf den Punkt gebracht worden. (ebenda S.11)
(132) So schreibt Robert Kurz: „Nötig geworden ist also die grundlegende Neukritik der bürgerlichen Konstitution und ihrer Geschichte. Die unbewohnbaren Ruinen der abendländischen Subjektivität verlangen nicht nach der geschmackvollen intellektuellen Innenarchitektin, sondern nach dem Baggerfahrer mit der Abrißbirne (...). Wahrscheinlich wird es bei einer wertkritischen Reformulierung von Geschichte und Geschichtstheorie nötig, auch eine andere historische Einteilung vorzunehmen.” (a.a.O. S.68 und 69)
(133) a.a.O. S.71, Wenn Adorno in der Negativen Dialektik davon spricht, „das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen” (a.a.O., S.21), dann drückt sich hier das Verständnis von Kritik als dialektische Darstellung im Marxschen Sinne aus, das sich anhand des Begriffs der Freiheit gut verdeutlichen läßt: „Der Begriff der Freiheit bleibt hinter sich zurück, sobald er empirisch angewandt wird. Er ist dann selber nicht das, was er sagt. Weil er aber immer auch Begriff des unter ihm Befaßten sein muß, ist er damit zu konfrontieren. Solche Konfrontation verhält ihn zum Widerspruch mit sich selbst.” (ebenda S.154)
(134) a.a.O. S.96
(135) vergleiche beispielsweise ihren Text Identitätslogik und Kapitalismuskritik, in: Streifzüge 3/2001
(136) ebenda
(137) Claus Peter Ortlieb, a.a.O., S.36. Ortlieb schreibt: „(...) Es handelt sich hier gar nicht um einen logischen Widerspruch, sondern um eine reale Paradoxie, nämlich die des Kritikers in der von ihm kritisierten Gesellschaft.”
(138) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S.45
(139) Claus Peter Ortlieb a.a.O. S.35
(140) „(...) Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.”, Karl Marx, MEW 1, S.378
(141) in: ders. Traditionelle und kritische Theorie – Fünf Aufsätze; Frankfurt am Main, 1992, S.275
(142) in: Die Jubelperser der Weltpolizei, aus: Streifzüge 02/2002, S.20; auch auf: www.krisis.org)
(143) ders., in: Blutige Vernunft, a.a.O., S.77
(144) ders., Gesten aus Begriffen, Frankfurt am Main 1997, S.128
(145) ebenda
(146) ebenda
(147) a.a.O. S.271
(148) a.a.O. S.299
(149) a.a.O. S.283
(150) „Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen. Sein Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre.” (Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S.355)
(151) „Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität überhaupt.” (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, a.a.O, S.217)
(152) vergleiche dazu die These Dan Diners vom Zivilisationsbruch, der damit keineswegs Auschwitz als das ganz Andere der Zivilisation meint, sondern vielmehr auf den Bruch im bürgerlichen Vernunftbegriff rekurriert. Diner schreibt: „Die bürokratisch organisierte und industriell durchgeführte Massenvernichtung bedeutet so etwas wie die Widerlegung einer Zivilisation, deren Denken und Handeln einer Rationalität folgt, die ein Mindestmaß antizipatorischen Vertrauens voraussetzt (...). Nicht (durch) die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion des Menschheitsverbrechens, sondern anhand des eingetretenen Dementis von auf Selbsterhaltung und Überleben gerichteten Denk- und Handlungsformen wird der Bruch offenbar, den Auschwitz zivilisatorisch tatsächlich bedeutet.” (ders., Hg. Frankfurt am Main 1988, S.08)
(153) So schreibt Robert Kurz in seinem Schwarzbuch Kapitalismus im Abschnitt Die negative Fabrik Auschwitz: „Auschwitz war (...) keine 'fremde' Tat, sondern eine spezifisch deutsche Konsequenz der Modernisierungsgeschichte (...). Diese 'antikapitalistische Revolution' (...) war nur die repressive Durchsetzungsform für eine neue Entwicklungsstufe der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine.” (München 2001, S.554 u. 566)
(154) Zumindest Krisis-Autor Claus Peter Ortlieb aber schreibt in besagter Krisis-Nummer einigermaßen reflektiert daher, um aber ebenso zugleich unfreiwillig einzugestehen, daß er vom Antisemitismus dann doch noch nicht ausreichend viel verstanden hat. So schreibt er: „Der sich manifestierende Fundamentalismus jeglicher Provenienz resultiert aus dem inneren Widerspruch der Warengesellschaft und hat nur in Krisenzeiten und -regionen besonderen Zulauf, kann aber gerade in der Krise materiell wenig bewirken. Er ist deshalb darauf verwiesen, sich negativ zu definieren und trägt damit die Tendenz zum Vernichtungswahn in sich (...). Das hier beschriebene Muster ist deutsch insofern, als die Deutschen es im Nationalsozialismus ins Extrem getrieben und perfektioniert haben, auch wenn es für Deutschland selbst zurzeit keine größere Rolle spielt als für andere Länder des kapitalistischen Zentrums. Zusammen mit der deutschen Ideologie, der Definition des Staates über die angeblich gemeinsame Abstammung, ist es aber ein Exportmodell, besonders für die ökonomisch bereits zusammengebrochenen Regionen, wobei es nicht zwangsläufig die Juden sein müssen, die das Ziel des Hasses und der Vernichtung bilden. Als Muster ist es verallgemeinerungsfähig und erscheint auch im Islamismus und anderen Fundamentalismen.” (a.a.O., S.33ff) Ortlieb irrt an dem Punkt, wo er die Objektwahl des Antisemitismus als zufällig charakterisiert: sie ist es eben keineswegs. Denn in erster Linie trifft es zuvorderst Juden und die, die nach dem „jüdischen Prinzip” leben würden. Außerdem ist allgemein festzustellen: Nur weil
eine moderne souveräne Staatenbildung heute objektiv nicht mehr möglich scheint, reduziert sich das Verhältnis von Racket und Ticketdenken nicht automatisch auf die Gefahr von „durchgeknallten Einzeltätern”. Die reale Gefahr einer Machtergreifung durch einzelne durchgeknallte Cliquen und damit die Möglichkeit derer, über den Ausnahmezustand eben souverän entscheiden zu können, verlangt in allererster Linie das Konkrete der entschiedenen und entschlossenen Bekämpfung der islamistischen Barbarei und nicht das Abstrakte der Kritik einer obskuren Krisenfinalität.
Im übrigen halte ich den Begriff des islamistischen Faschismus oder Nationalsozialismus nicht für den glücklichsten, weil er durch naheliegende geschichtliche Analogien Verwirrung stiftet. Das aber ändert nichts am sachlich richtigen Gehalt, dem der Begriff zugrunde liegt.
Im weiteren sei zum Verhältnis von Islamismus und Aufklärung der Horkheimer-Schüler Bassam Tibi wärmstens empfohlen. Tibi schreibt in: Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissenschaft und Technologie, Frankfurt am Main 1992 u.a.: „Der islamische Fundamentalismus weist die Prinzipien der einst für universell gehaltenen Aufklärung, besonders das der Individuation und des damit verbundenen Subjektivitätsprinzips zurück; die Fundamentalisten lehnen das Primat der menschlichen Vernunft ab (...). (S.19) Es geht darum, die von Descartes begründeten Prinzipien der Erlangung eines durch Zweifel relativierten menschlichen Wissens durch das absolute, vom Menschen unabhängige kosmologische Wissen abzulösen. In diesem Sinne prägten islamische Fundamentalisten die Formel 'Entwestlichung des Wissens' (...) Die Entzauberung der Welt soll rückgängig gemacht werden. Vor allem soll das Prinzip, daß jedes Wissen revidierbar ist, aufgehoben werden, um den Weg für den Glauben an die Autorität von Verkündung und Überlieferung und somit das sichere, einer Reflexion nicht mehr untergeordnete absolute Wissen zurückerobern.” (S.20) „Islamische Fundamentalisten beanstanden das Prinzip der abstrakten Subjektivität, das die europäische Aufklärung etabliert hat. An seine Stelle setzen sie das Kollektiv als sakrosankte Größe und schaffen damit jeden potentiellen Freiraum für subjektive Freiheit ab: Subjektive Vernunft, die Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Aktivität, wird von ihnen parallel zu ihrer Bemühung, sich westliche Wissenschaft anzueignen, abgeschafft.” (S.21) „Die europäische Selbstkritik hilft den muslimischen Fundamentalisten nicht, ihre Verabsolutierungen über das vermeintliche europäische Kollektiv zu hinterfragen. Ganz im Gegenteil, sie wird von ihnen mißbraucht, um das fundamentalistische Absolute als das einzig Richtige darzustellen (...). Islamische Fundamentalisten sind keine soziale Randgruppe einer modernen Gesellschaft, sondern Vertreter einer Hauptströmung in außereuropäischen Kulturen (...).” (S.44) „Der islamische Fundamentalismus ist eine Ideologie, die die kulturellen Symbole politisiert und neben ihren signifikant politischen Zügen eine soziale Bewegung hervorbringt.” (49) „Jeder Kenner des Islam weiß, daß die Mehrheit der Muslime heute fundamentalistisch denkt und sich der islamischen Weltsicht fügt: Den Text des Koran als sola scriptura zu akzeptieren, seine Offenbarung als unfehlbar anzusehen, d.h. jede textkritische Analyse des Koran abzulehnen, und diese Verhaltensweisen mit dem Versuch zu kombinieren, instrumentelle Errungenschaften der Modernität zu übernehmen (...) – dies sind Charakteristika, die nicht allein auf die militanten, im Untergrund tätigen islamischen Gruppen beschränkt sind.” (S.74) „Alle Muslime teilen den Glauben, daß der Mensch von sich aus nicht in der Lage ist, Wissen zu produzieren.” (S.87) „Im heutigen islamischen Orient hat die Bezeichnung 'Säkularist' ('ilmani) die inkriminierende Konnotation 'Agent des Westens', vor der jeder Muslim sich hüten muß.” (S.99); ders. in: Die Krise des modernen Islamismus, Frankfurt am Main 1991: „Der Islam benötigt bis heute eine reformatorische Neu-Formulierung, auf die dann eine Säkularisierung folgen könnte.” (S.200)


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last modified: 30.8.2002