RICHTLINIEN ZUR WIEDERHERSTELLUNG DES REVOLUTIONÄREN MARXISMUS
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Richtlinien zur Wiederherstellung des revolutionären Marxismus
Der Marxismus ist keine Wahl zwischen verschiedenen Meinungen
In welchem Sinne sich die Marxisten auf eine historische Tradition berufen
Grundlage der marxistischen dialektischen Methode
Der Kontrast zwischen den Produktivkräften und den Gesellschaftsformen
Klasse, Klassenkampf, Partei
Konformismus, Reformismus, Antiformismus
Erläuterung der Wesenszüge der heutigen geschichtlichen Periode
Dialektische Bewertung der geschichtlichen Formen
Wirtschaftliches Beispiel: die Marktwirtschaft
Gesellschaftliches Beispiel: die Familie
Politisches Beispiel: Monarchie und Republik
Ideologisches Beispiel: die christliche Religion
Der kapitalistische Zyklus
Revolutionäre Phase
Evolutionistische und demokratische Phase
Imperialistische und faschistische Phase
Die Strategie des Proletariats in der Phase der bürgerlichen Revolution
Tendenzen der sozialistischen Bewegung in der demokratisch-pazifistischen Phase
Taktik des Proletariats in der Phase des imperialistischen Kapitalismus und des Faschismus
Die russische Revolution - Fehler und Abweichungen der III. Internationale - Involution des proletarischen Regimes in Russland
Die Strategie des Proletariats in der heutigen Phase
Source
Richtlinien zur Wiederherstellung des revolutionären Marxismus
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Nachstehender Text erschien zum ersten Mal im Juli 1946 in der ersten Nummer der Zeitschrift »Prometeo« der Internationalen Kommunistischen Partei, die die Tradition und den revolutionären Kampf jener Strömung fortsetzt, die 1921 auf dem Kongress von Livorno die Kommunistische Partei Italiens gegründet hatte. Ihr gegenüber, verkörperte die offizielle Italienische Kommunistische Partei (Treibkraft der »Nationalen Befreiungskomitees« und wenig später Mitglied der bürgerlichen Regierung) die schamloseste Revision des Marxismus, die die Arbeiterbewegung in hundert Jahren je gekannt hatte: die »kommunistische« Revision. Die in Italien wie anderswo durch diesen »revisionierten« Kommunismus hervorgerufene Verwirrung, die Einwände, die im Namen des marxistischen Anti-Dogmatismus gegen den orthodoxen Marxismus formuliert wurden, waren so ungeheuerlich, dass die revolutionäre Partei zu allererst vor dieser wichtigen Aufgabe stand: in grossen Zügen, aber mit äusserster Schärfe und Klarheit die Richtlinien des revolutionären Marxismus wieder festzusetzen.
Die »Richtlinien« sind in der Tat eine knappe aber unzweideutig klare Zusammenfassung der Prinzipien unserer Lehre, des dialektischen Materialismus und deren Anwendung, nicht nur auf die Analyse des Aufeinanderfolgens der Produktionsweisen und des von jeder einzelnen durchlaufenen revolutionären, reformistischen und konterrevolutionären Zyklus, sondern auch auf die Bestimmung von Strategie und Taktik der revolutionären Bewegung des Proletariats im Laufe der mehr als hundertjährigen Parabel der bürgerlichen Produktionsweise und der Formen ihrer erbarmungslosen Herrschaft. Dieser Text ist folglich unzertrennlich ein Hinweis auf die Ganzheit der Lehre und ein Leitfaden für die aus dieser Lehre entspringende Aktion die im reellen Klassenkampf ihren höchsten Ausdruck finden wird: den Kampf für die revolutionäre Eroberung der Macht.
Er ist unser historischer, unabänderlicher Weg.
Der Marxismus ist keine Wahl zwischen verschiedenen Meinungen
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Aus offensichtlichen Gründen enthält diese Schrift nicht den Beweis dessen, was sie behauptet. Sie hat die Aufgabe, mit grösster Klarheit die Richtlinien der Partei darzulegen. Sie macht nur Aussagen, um die wesentlichen Hauptpunkte festzusetzen und um so unabsichtliche oder bewusste Verwirrungen und Missverständnisse zu vermeiden.
Bevor es darum geht, den Leser zu überzeugen, geht es darum, ihm eindeutig unsere Stellung klarzumachen. Ihn zu überzeugen und als Anhänger zu gewinnen suchen, das werden wir nachher tun.
Gemäss der hier befolgten Methode entstehen die Meinungen nicht durch das Werk von Propheten, Aposteln und Denkern, aus deren Köpfen die neuen Wahrheiten entspringen, um Heerscharen von Anhängern zu gewinnen.
Der Vorgang ist vollkommen anders. Die unpersönliche Arbeit einer Avantgarde der Gesellschaftsgruppen entwickelt und klärt jene theoretischen Stellungen zu denen die Einzelnen sich durch die reellen Lebensbedingungen getragen fühlen, lange bevor sie sich dessen bewusst sind. Diese Methode ist folglich antischolastisch, antikulturalistisch, antiilluministisch.
Wenn in der jetzigen Phase theoretischer Verwirrung, die eine Widerspiegelung der praktischen Zersetzung ist, die rigorose Wiederherstellung der Richtlinien als nächstes Resultat eher ein sich Entfernen als ein sich Nähern von Anhängern mit sich bringt, so braucht man sich darüber nicht zu wundern oder zu beklagen.
In welchem Sinne sich die Marxisten auf eine historische Tradition berufen
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Jede politische Bewegung beruft sich bei der Darlegung ihrer Thesen auf historische Präzedenzfälle und in einem gewissen Sinne auf junge oder weit zurückliegende, auf nationale oder internationale Traditionen.
Auch die Bewegung, deren theoretisches Organ diese Zeitschrift ist, beruft sich auf einen genau definierten Ursprung. Zum Unterschied von anderen aber geht sie nicht von einem übermenschlichen Quellen zugeschriebenen offenbarten »Wort« aus; sie anerkennt nicht die Autorität unabänderlicher Texte und lässt auch keinen juristischen, philosophischen oder moralischen Kanon zu, auf den man sich beim Studium jeder Frage berufen kann, und den man jedenfalls als der Denk- und Fühlweise aller Menschen angeboren und innewohnend beansprucht.
Zur Benennung dieser Richtung sind die Bezeichnungen Marxismus, Sozialismus, Kommunismus, politische Bewegung der Klasse des Proletariats akzeptabel. Das schlimme ist, dass alle diese Bezeichnungen wiederholt missbraucht worden sind. Für Lenin war 1917 die Namensänderung der Partei eine wesentliche Forderung und er kehrte zu dem kommunistischen des Manifests von 1848 zurück. Heute schafft der ungeheure Missbrauch des Namens der Kommunisten durch Parteien, die ausserhalb jeglicher revolutionären und klassengetreuen Linie stehen, noch grössere Verwirrung; ausdrücklich auf die Erhaltung der bürgerlichen Einrichtungen bedachte Bewegungen wagen es sich Parteien des Proletariats zu nennen; die Bezeichnung »Marxisten« wird dazu verwendet, die absurdesten Zusammenwürfelungen von Parteien zu benennen, wie zum Beispiel die des spanischen Anti-Frankismus.
Die historische Linie, auf die wir uns berufen, ist folgende: das Manifest der Kommunisten von 1848 (auch genauer bezeichnet als »Manifest der kommunistischen Partei«, ohne den Namen einer Nation hinzuzufügen); die grundlegenden Texte von Marx und Engels; die klassische Wiederherstellung des revolutionären Marxismus gegen alle opportunistischen Revisionen, die den Sieg der Revolution in Russland begleitete und die grundlegenden Texte Lenins; die Gründungserklärung der Moskauer Internationale am I. und II. Kongress; die Stellungen, die die Linke in den darauffolgenden Kongressen von 1922 an verfocht.
Was Italien betrifft, knüpft die historische Linie an die linke Strömung der Sozialistischen Partei während der Kriegsjahre l914-18 an, an die Bildung der Kommunistischen Partei Italiens im Januar 1921, ihrem Kongress in Rom 1922, der Aktivität der Linksströmung, die bis zum Kongress von Lyon vorherrschte, und später ausserhalb der Partei und der Komintern im Ausland wirkte.
Diese Linie deckt sich nicht mit derjenigen der trotzkistischen Bewegung der IV. Internationale. Verspätet reagierten Trotzky und dann Zinowjew, Kamenew, Bucharin und die anderen russischen Gruppen der bolschewistischen Tradition auf die falsche Taktik, die sie bis 1924 unterstützt hatten, und zu spät kamen sie zur Erkenntnis, dass die Abweichung sich so weit verschlimmert hatte, dass die grundlegenden politischen Prinzipien der Bewegung auf den Kopf gestellt waren; die Trotzkisten von heute berufen sich auf die Wiederherstellung jener Prinzipien, haben aber die zersetzenden Elemente der fälschlich als bolschewistisch und leninistisch bezeichneten »manövristischen« Taktik nicht klar von sich gewiesen.
Grundlage der marxistischen dialektischen Methode
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Grundlage jeder Untersuchung muss die Betrachtung des gesamten sich bis heute entfalteten historischen Prozesses und die objektive Untersuchung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorgänge sein.
Diese Methode ist mehrmals dargelegt worden, aber sehr oft geriet sie im Laufe ihrer Anwendung auf Abwege. Grundlage der Nachforschung ist die Untersuchung der materiellen Mittel, mit denen die menschlichen Aggregate für die Befriedigung ihrer Bedürfnissen sorgen, also die Produktivtechnik, und im Zusammenhang mit ihrer Entwicklung die wirtschaftlichen Verhältnisse.
Diese Faktoren bestimmen in den verschiedenen Epochen den Überbau der juristischen politischen und militärischen Institutionen und die Wesenszüge der herrschenden Ideologien.
Diese Methode ist klar definiert in den Bezeichnungen historischer Materialismus, dialektischer Materialismus, wirtschaftlicher Determinismus, wissenschaftlicher Sozialismus, kritischer Kommunismus.
Wichtig ist, immer positive, auf Tatsachen gestützte Resultate zur Darstellung und Erklärung der menschlichen Angelegenheiten zu verwenden, und weder den Eingriff von Mythen oder Gottheiten, noch von Prinzipien natürlichem »Rechts« oder »Ethik« zu postulieren, wie z.B. »Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit« und ähnliche leere Abstraktionen. Noch wichtiger ist es, diese oder andere ähnliche illusorische Vorurteile nicht zu postulieren ohne es zu merken, oder ohne es einzugestehen (infolge der unwiderstehlichen Einflüsse der herrschenden Ideologie) und sie nicht gerade dann wieder hochkommen zu lassen, wenn es um die brennendsten Momente und die entscheidenden Schlüsse geht.
Die dialektische Methode ist die einzige, die den geläufigen Widerspruch überwindet zwischen der strengen theoretischen Kontinuität und Konsequenz und der Fähigkeit, alle alten, in formellen Regeln und Kanons festgesetzten Schlussfolgerungen kritisch wieder anzupacken.
Sie zu akzeptieren hat weder den Charakter eines Glaubens, noch einer leidenschaftlichen Anschauung einer Schule oder Richtung.
Der Kontrast zwischen den Produktivkräften und den Gesellschaftsformen
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Die Produktivkräfte, die hauptsächlich aus den zur Produktion benutzten Menschen und deren Zusammenstellung besteht, und ausserdem aus den Werkzeugen und den mechanischen Mitteln, die sie gebrauchen, wirken im Rahmen der Produktionsformen.
Unter solchen Formen versteht man die Ordnung, die Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich die produktive und gesellschaftliche Tätigkeit abspielt. Inbegriffen in diesen Formen sind alle aus Hierarchien bestehenden Systeme (familiäre, militärische, theokratische und politische), der Staat mit all seinen Einrichtungen, das Recht und die Gerichte, die sie zur Anwendung bringen, alle Regelungen und Ordnungen wirtschaftlicher und juristischer Natur, die einem Überschreiten Gegenwehr leisten.
Eine Gesellschaftsart lebt, solange die Produktivkräfte im Rahmen ihrer Produktionsformen bleiben. In bestimmten Augenblicken der Geschichte neigt sich dieses Gleichgewicht zum kippen. Verschiedene Gründe, darunter Fortschritt der Technik, Anwachsen der Bevölkerung, Ausdehnung der Verkehrsmittel, führen zu einem Anwachsen der Produktivkräfte. Diese treten somit in Kontrast mit den traditionellen Formen und drängen, deren Rahmen zu zersprengen: wenn es ihnen gelingt, gibt es eine Revolution: die Gemeinschaft gibt sich eine neue wirtschaftliche, gesellschaftliche und juristische Ordnung, neue Formen treten an Stelle der alten.
Die marxistische dialektische Methode findet, verwendet und bekräftigt ihre Lösungen auf der Ebene der grossen kollektiven Erscheinungen mit wissenschaftlicher und experimenteller Methode (der gleichen Methode, die die Denker der bürgerlichen Epoche auf die Natur anwandten, in einem Kampf, der den revolutionären sozialen Kampf gegen das theokratische und absolutistische Regime widerspiegelte; eine Methode, die sie aber nicht auf die Gesellschaft anzuwenden wagen konnten). Die Lösung des Problems des Verhaltens des einzelnen Individuums leitet sie von den auf diesem Gebiet erreichten Resultaten ab, während dagegen alle gegnerischen Schulen (religiöse, juristische, philosophische sowie wirtschaftliche) umgekehrt vorgehen; d.h. sie bauen die kollektiven Verhaltensregeln auf der haltlosen Basis des Mythos des Individuums auf, ob es nun als unsterbliche Seele dargestellt ist oder als Rechtssubjekt und »Bürger«, oder als unveränderliche Monade der Wirtschaftspraxis und so fort (und dies heute, wo die Physikwissenschaft über ihre fruchtbare Hypothese der unteilbaren materiellen Individuen der Atome, hinausgegangen ist; wo sie diese als reiche Komplexe definiert und keineswegs auf weitere unveränderliche Typenteilchen zurückgeführt hat, sondern sie als Treffpunkte der gesamten von den äusseren Energiefeldern ausstrahlenden Dynamik betrachtet, sodass man schematisch sagen kann, nicht der Kosmos ist Funktion des Einen sondern jedes Eine ist Funktion des gesamten Kosmos).
Alle die an das Individuum glauben und von Personalität sprechen, von Würde, Freiheit, Verantwortung des Menschen oder des Bürgers haben nichts mit dem marxistischen Denken gemein. In Bewegung gesetzt werden die Menschen nicht von Meinungen, Glauben oder sonstigen Phänomenen des Denkens, die angeblich ihren Willen und ihre Handlungen inspirieren, es sind ihre Bedürfnisse die sie in Bewegung setzen, und die die Gestalt von Interesse annehmen, sobald die selbe materielle Notwendigkeit gleichzeitig ganze Gruppen berührt. Sie stossen gegen die Schranken, die die Umwelt und die soziale Struktur der Befriedigung dieser Bedürfnisse setzen. Und sie reagieren darauf einzeln und kollektiv in einer Richtung, die im Durchschnitt notwendigerweise determiniert ist bevor das Spiel der Reize und Reaktionen in ihrem Kopf jene Reflexe gezeugt hat, die Gefühle, Gedanken, Urteile heissen.
Dieser Vorgang ist natürlich äusserst komplex und kann im Einzelfall in entgegengesetzter Richtung des allgemeinen Gesetzes gehen was keineswegs die Gültigkeit dieses Gesetzes vermindert.
Auf jeden Fall haben alle die, die im Spiel der sozialen und historischen Ereignisse als Beweggrund das individuelle Bewusstsein, die moralischen Prinzipien, die Meinung und Entscheidung des Einzelnen oder des Bürgers eingreifen lassen, nicht das Recht sich Marxisten zu heissen.
Der Kontrast zwischen Produktivkräften und Gesellschaftsformen offenbart sich im Kampf zwischen den Klassen die entgegengesetzte wirtschaftliche Interessen haben. In seinen gipfelnden Phasen wird dieser Kampf zum bewaffneten Streit um die Eroberung der politischen Macht.
Die Klasse im marxistischen Sinn ist keine kalte statistische Feststellung sondern eine wirkende organische Kraft, sie erscheint dann, wenn das einfache Zusammentreffen wirtschaftlicher Bedingungen und Interessen sich zu gemeinsamen Handlungen und Kämpfen erweitert.
In diesen Situationen wird die Bewegung von Avantgardegruppen und Organismen geführt, deren entwickelte und moderne Form die politische Klassenpartei ist. Die Kollektivität, deren Aktion in der Aktion einer Partei gipfelt, bewegt sich in der Geschichte mit einer Wirksamkeit und einer reellen Dynamik die im beschränkten Rahmen der individuellen Aktion unerreichbar sind. Nur die Partei kann zu einem theoretischen Bewusstsein der Entwicklung der Ereignisse gelangen und folglich deren weitere Entwicklung beeinflussen, in der Richtung die von den Produktivkräften und deren Wechselbeziehungen determiniert ist
Konformismus, Reformismus, Antiformismus
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Um Prinzipien und Leitsätze darzulegen, ist es trotz der enormen Schwierigkeit und Verstricktheit der Probleme unumgänglich zu vereinfachenden Schemen zu greifen: zu diesem Zweck unterscheiden wir zwischen drei Typen von historischen Bewegungen, nach denen wir sie alle klassifizieren können.
Konformistisch sind jene Bewegungen, die für die volle Aufrechterhaltung der herrschenden Formen und Einrichtungen kämpfen, und jede Veränderung verbieten, wobei sie sich auf unwandelbare Prinzipien egal ob religiöser, philosophischer oder juristischer Natur berufen.
Reformistisch sind die Bewegungen die - obwohl sie die traditionellen Einrichtungen nicht abrupt und gewaltsam umstürzen wollen - doch spüren, dass die Produktivkräfte zu stark drängen und daher stufenweise und teilweise Veränderungen der herrschenden Ordnung verfechten.
Revolutionär (wir werden provisorisch den Ausdruck antiformistisch verwenden) sind die Bewegungen die den Angriff auf die alten Formen verkünden und verwirklichen, und die - selbst noch bevor sie fähig sind, die Wesenszüge der neuen Ordnung zu theoretisieren - danach drängen die alte zu zersprengen, und so die unwiderstehliche Geburt neuer Formen hervorrufen.
Jede Schematisierung birgt die Gefahr des Irrtums in sich. Man kann sich fragen, ob die marxistische Dialektik nicht ihrerseits dazu führt ein künstliches allgemeines Modell der historischen Ereignisse aufzubauen und so die gesamte Entwicklung auf ein Aufeinanderfolgen von Klassen in der Herrschaft zu beschränken, die jeweils revolutionär entstehen, reformistisch leben und konservativ enden. Die Klasse des Proletariats setzt durch ihren revolutionären Sieg einen suggestiven Endpunkt an diese Entwicklung, die klassenlose Gesellschaft (was Marx »Abschluss der Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft« nannte). Das könnte aber als finalistischer und folglich metaphysischer Aufbau betrachtet werden, wie die der trügerischen Ideologien der Vergangenheit. Hegel machte, wie Marx schon seinerzeit bewies, aus seinem dialektischem System eine absolute Konstruktion, wodurch er unbewusst in jene Metaphysik zurückfiel, die er im vernichtenden Teil seiner Kritik (philosophischer Reflex des bürgerlichen revolutionären Kampfes) überwunden hatte. Somit stellte Hegel als Krönung der klassischen Philosophie des deutschen Idealismus und des bürgerlichen Denkens die absurde These auf, die Geschichte des Handelns und Denkens müsse stehenbleiben, kristallisiert in ihrem perfekten System, in der Erringung des Absoluten. Ein solcher statischer Endpunkt wird von der marxistischen Dialektik vollkommen ausgeschlossen.
Dennoch könnte es scheinen, dass Engels in seiner klassischen Darlegung des wissenschaftlichen Sozialismus (als Gegensatz zum Utopismus, der die gesellschaftliche Erneuerung der Propaganda eines Autors oder einer Sekte anvertraute, die Projekte einer besseren Gesellschaft vorschlugen) eine Regel und ein allgemeines Gesetz der historischen Bewegungen eingestehe, als er Ausdrücke gebrauchte wie: »es gibt eine Vorwärtsbewegung«, »die Welt schreitet voran«. Solche kraftvollen Propagandaformen dürfen nicht zum Glauben verführen man habe ein Rezept gefunden, in das man all die unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten der menschlichen Gesellschaft einschliessen könne, ein Rezept, das an Stelle der üblichen bürgerlichen Abstraktionen von Evolution, Kultur, Fortschritt und ähnlichem treten würde.
Der Gebrauch der ausgezeichneten dialektischen Waffe der Forschung führt zu einem ebenfalls äusserst revolutionären Resultat der unerbittlichen Zerstörung der zahllosen theoretischen Systeme die von Mal zu Mal die Herrschaftsstrukturen der privilegierten Klassen bekleiden. An Stelle dieses Friedhofs gebrochener Idole dürfen wir nun nicht einen neuen Mythos setzen ein neues »Wort«, ein neues Credo, sondern nur den realistischen Ausdruck einer Reihe von Verhältnissen zwischen den tatsächlichen Bedingungen und deren am besten voraussehbaren Entwicklung.
Ein Beispiel dafür: die korrekte marxistische Formulierung ist nicht: Eines Tages wird das Proletariat die politische Macht ergreifen, das kapitalistische Gesellschaftssystem zerstören und die kommunistische Wirtschaft aufbauen; sondern sie lautet: Nur mittels seiner Organisation als Klasse, d.h. als politische Partei, und der bewaffneten Errichtung seiner Diktatur wird das Proletariat die kapitalistische Macht und deren Wirtschaft zerstören können und eine nichtkapitalistische und nicht auf der Warenproduktion beruhende Wirtschaft ermöglichen. Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus können wir jedoch nicht ausschliessen, dass die kapitalistische Gesellschaft anders enden könnte, zum Beispiel mit einer Rückkehr in die Barbarei, einer durch Kriegsmittel hervorgerufenen Weltkatastrophe mit dem Charakter einer pathologischen Degenerierung der Rasse (die Blinden und die zur radioaktiven Zersetzung der Gewebe Verdammten von Hiroshima und Nagasaki sind eine Mahnung), oder anderer Art, die wir heute noch nicht voraussehen können.
Erläuterung der Wesenszüge der heutigen geschichtlichen Periode:
Dialektisches Bewertungskriterium der Institutionen und der sozialen Lösungen von gestern und heute
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Die revolutionäre kommunistische Bewegung dieser verworrenen Epoche hat sich nicht nur durch die theoretische Vernichtung jedes zeitgenössischen Konformismus und Reformismus zu charakterisieren, sondern auch durch die praktische und sogenannte taktische Stellung, dass es keinen Weg mehr gemeinsam zu gehen gibt mit irgend einer Bewegung, sei diese konformistisch oder reformistisch, auch nicht bei räumlicher und zeitlicher Beschränkung. Vor allem muss sie auf der unwiderruflichen historischen Erkenntnis gründen, dass der bürgerliche Kapitalismus nunmehr jeden antiformistischen Elan verloren, bzw. dass er keinerlei allgemeine historische Aufgabe der Zerstörung vorkapitalistischer Formen und des Widerstands gegen eine Drohung von deren Rückkehr mehr hat.
Das heisst aber nicht, dass - solange die riesigen mit unerhörtem Tempo die Verwandlung der Welt beschleunigenden Kräfte des kapitalistischen Werdeganges innerhalb jener Verhältnisse wirkten - die Bewegung der Arbeiterklasse dialektisch sie nicht in der Theorie verwerfen und in der Aktion unterstützen konnte und musste.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der metaphysischen und der dialektischen Methode besteht in folgendem:
Jeder Typ von Einrichtung und sozialer und politischer Ordnung ist nicht von sich heraus als gut oder schlecht zu akzeptieren oder zurückzustossen, je nach Beurteilung seiner Charakteristiken aufgrund allgemeingültiger Regeln und Prinzipien.
Nach der dialektischen Geschichtsinterpretation hat jede Einrichtung in den aufeinanderfolgenden Situationen zuerst revolutionäre, dann fortschrittliche und zuletzt konservative Aufgaben und Auswirkungen gehabt.
Es geht darum, bei jeder Frage die Produktivkräfte und die sozialen Faktoren an ihren Platz zu setzen und den Sinn des politischen Konflikts, den sie ausdrücken davon abzuleiten.
Es ist Metaphysik sich aus Prinzip autoritär oder freiheitlich monarchistisch oder republikanisch aristokratisch oder demokratisch zu erklären, und sich in der Polemik auf Regeln zu beziehen die ausserhalb der historischen Zusammenhänge gestellt werden. Bereits der alte Plato geht im ersten systematischen Versuch politischer Wissenschaft über den mystischen Absolutismus der Prinzipien hinaus, und Aristoteles folgt ihm indem er bei den drei Typen - der Macht eines Einzelnen, Weniger, Vieler - zwischen den guten und den schlechten Formen unterscheidet: Monarchie und Tyrannei - Aristokratie und Oligarchie - Demokratie und Demagogie.
Die moderne Analyse, vor allem von Marx an, geht den Sachen viel tiefer auf den Grund.
In der heutigen historischen Phase gebrauchen nahezu alle politischen Propagandaformeln und Formulierungen die schlimmsten gebräuchlichen Motive sämtlichen religiösen, juristischen und philosophischen Aberglaubens.
Diesem ganzen Ideenchaos, diesem in die Köpfe der heutigen Menschen projizierten Chaos der Interessenverhältnisse einer sich zersetzenden Gesellschaft, müssen wir die dialektische Analyse der Verhältnisse der reellen heute im Spiel stehenden Kräfte entgegensetzen.
Zur Einführung in diese Analyse ist es notwendig, auf eine analoge Bewertung wohlbekannter Verhältnisse vorhergehender Geschichtsepochen zurückzugreifen.
Wirtschaftliches Beispiel: die Marktwirtschaft
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Es hat keinen Sinn ganz allgemein für eine gemeinschaftliche oder private liberale oder monopolistische, individuelle oder kollektive Wirtschaft Partei zu ergreifen und die Verdienste jedes Systems um den allgemeinen Wohlstand anzupreisen, bei solchem Vorgehen würde man in die Utopie zurückfallen, die ja genau das Gegenteil der marxistischen Dialektik ist.
Wohlbekannt ist Engels klassisches Beispiel des Kommunismus als »Negation der Negation«. Die ersten Produktionsformen der Menschheit waren kommunistisch, darauf erschien das Privateigentum, das ein weitaus komplexeres und wirksameres System darstellte. Hiervon ausgehend kehrt die menschliche Gesellschaft zum Kommunismus zurück.
Dieser moderne Kommunismus wäre nicht zu verwirklichen, wenn der ursprüngliche Kommunismus nicht vom System des Privateigentums überholt, besiegt und zerstört worden wäre. Der Marxist betrachtet diese anfängliche Umwandlung als einen Vorteil und nicht als einen Schaden. Was wir vom Kommunismus sagen, kann man in gleicher Weise auf alle anderen Wirtschaftsformen anwenden, wie die Sklaverei, die Leibeigenschaft, den Manufaktur-, Industrie-, und Monopolkapitalismus, und so fort.
Das Ende der Barbarei war gezeichnet durch den Übergang zur warenproduzierenden Wirtschaft, in der die Gegenstände zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse aufhörten vom ursprünglichen Erzeuger direkt erworben und verbraucht zu werden, und austauschbar wurden, anfangs mittels des unmittelbaren Tauschhandels und in der Folge mittels eines gemeinsamen Geldäquivalenten. Diese neue Wirtschaftsform stellte bei ihrem erscheinen eine grossartige soziale Revolution dar.
Sie ermöglichte es, die verschiedenen Menschen für verschiedene produktive Arbeiten einzusetzen, wodurch die Wesenszüge des sozialen Lebens enorm erweitert und differenziert wurden. Man kann den revolutionären Charakter dieses Übergangs anerkennen und jedoch gleichzeitig behaupten, dass nach einer Reihe von wirtschaftlichen Organisationsarten, die alle auf dem gemeinsamen Prinzip der Warenproduktion beruhten (Sklavensystem, Feudalismus, Kapitalismus), heute die Tendenz zu einer nicht warenerzeugenden Wirtschaft besteht und dass die These, nach der die Produktion ausserhalb des monetären Austauschmechanismus der Waren unmöglich sei, heute eine konformistische und reaktionäre These ist.
Heute kann man die Abschaffung des Systems der Warenproduktion verfechten, und zwar erst heute, aufgrund der Entwicklung der assoziierten Arbeit und der Konzentration der Produktivkräfte. Der Kapitalismus, letzte der merkantilen Wirtschaftsformen, hat durch diese Entwicklung und diese Konzentration die Möglichkeit geschaffen, jene Schranken zu brechen, in denen alle Gebrauchswerte als Waren zirkulieren und die menschliche Arbeit selbst wie eine Ware behandelt ist.
Reiner Wahnsinn wäre es hingegen gewesen, ein Jahrhundert vor diesem Stadium am System der Warenproduktion Kritik zu üben mit allgemeinen Beweisführungen philosophischer, juristischer oder moralischer Natur.
Gesellschaftliches Beispiel: die Familie
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Die verschiedenen hintereinander erschienenen Arten gesellschaftlicher Aggregate, durch die sich das kollektive Leben vom primitiven tierischen Individualismus differenziert hat, und die einen riesigen Zyklus durchlaufen haben, welcher die Verhältnisse, in denen der Einzelne lebt und handelt, immer mehr kompliziert hat, dürfen nicht - einzeln betrachtet - günstig oder ungünstig beurteilt werden. Sie müssen im Verhältnis zum historischen Verlauf betrachtet werden, der ihnen in den aufeinanderfolgenden Transformationen und Revolutionen eine veränderliche Rolle gegeben hat.
Jeder dieser Institutionen entsteht als revolutionäre Errungenschaft, entfaltet und reformiert sich in langen historischen Zyklen, und wird schliesslich zum reaktionären und konformistischen Hindernis.
Das Institut der Familie erscheint als erste Gesellschaftsform des Menschengeschlechts, als die Bindung zwischen Eltern und Kindern sich weit über die Zeit hinaus erstreckte, in der sie aus physiologischer Notwendigkeit besteht. Es entsteht die erste Form von Autorität, die die Mutter und dann der Vater über ihre Nachkommen ausüben, selbst wenn diese bereits körperlich voll ständig entwickelte und kräftige Individuen sind. Wir stehen auch hier vor einer Revolution, da sich die erste Möglichkeit eines kollektiv organisierten Lebens ergibt und die Basis für die weitere Entwicklung gelegt wird, die zu den ersten Formen von organisierter Gesellschaft und Staat führt.
In den langen darauffolgenden Phasen wird das gesellschaftliche Leben immer komplexer, und die Autorität eines Menschen über den anderen erstreckt sich weit über die Grenzen der Verwandtschaft und des Blutes hinaus. Das neue und viel weitere gesellschaftliche Aggregat enthält und diszipliniert die Einrichtung der Familie, wie es der Fall ist in den ersten Städten, den Staaten, den aristokratischen Regimes, und dann im bürgerlichen Regime, welche alle auf der fetischistischen Einrichtung der Erbschaft beruhen.
Sobald die Notwendigkeit einer über das Spiel der individuellen Interessen hinausgehenden Wirtschaft spürbar wird, wird das Institut der Familie mit ihren zu engen Schranken zum Hindernis und reaktionären Element in der Gesellschaft.
Die modernen Kommunisten leugnen also keinesfalls die historische Funktion der Familie; nachdem sie aber erkannt haben, dass das kapitalistische System selbst bereits die vielbesungene »Heiligkeit« dieses Instituts entstellt und zerrissen hat, bekämpfen sie sie offen, mit dem Ziel, sie aufzuheben.
Politisches Beispiel: Monarchie und Republik
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Die verschiedenen Staatsformen, wie Monarchie und Republik, wechseln sich in komplizierter Weise in der Geschichte ab und können beide in den verschiedenen historischen Situationen revolutionäre, fortschrittliche und konservative Kräfte dargestellt haben. Obwohl im allgemeinen anzunehmen ist, dass das kapitalistische Regime wahrscheinlich vor seinem Fall die heute noch überlebenden dynastischen Regimes liquidieren wird, darf man aber auch hier nicht mit absoluten, ausserhalb von Raum und Zeit stehenden Urteilen vorgehen.
Die ersten Monarchien entstanden als politischer Ausdruck einer Teilung materieller Aufgaben: gewisse Elemente des Familienaggregates oder des primitiven Stammes übernahmen die bewaffnete Verteidigung gegen andere Gruppen oder Völker oder auch die Eroberung deren Güter - während die anderen Stammesangehörigen der Jagd, dem Fischfang, dem Ackerbau oder den ersten Handwerksarbeiten nachgingen. Somit war das Machtprivileg der ersten Krieger und Könige auch mit grösseren Risiken verbunden. Es dreht sich auch hier um das Entstehen entwickelterer und komplexerer Gesellschaftsformen, die vorher unmöglich waren, und die daher zu einer Revolution der sozialen Verhältnisse führten.
In den darauffolgenden Phasen ermöglichte die Institution der Monarchie die Bildung und Entwicklung der grossen nationalen Staatsorganisationen gegen den Föderalismus von grossen und kleinen Satrapen und hatte eine erneuernde und reformierende Funktion. Dante war der grosse monarchistische Reformist zu Beginn der modernen Ära.
In noch jüngerer Zeit hat die Monarchie - nicht weniger aber auch die Republik - in vielen Ländern dazu gedient, die Formen strengster Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu bekleiden.
Es hat republikanische Bewegungen und Parteien mit revolutionärem Charakter gegeben, andere mit reformistischem und wiederum andere mit rein konservativem Charakter.
Beschränken wir uns auf zugängliche und leicht zu vereinfachende Beispiele:
revolutionär war Brutus, der Tarquinius verjagte; reformistisch waren die Gracchen, die versuchten, der aristokratischen Republik einen den Interessen der Plebs entsprechenden Inhalt zu geben; konformistisch und reaktionär waren die traditionellen Republikaner wie Cato und Cicero, Gegner der grossartigen historischen Entwicklung, die in der Ausbreitung des römischen Reiches und seiner juristischen und sozialen Formen in der Welt bestand.
Vollkommen entstellt wird das Problem, wenn man auf Gemeinplätze über den Cäsarismus, die Tyrannei zurückgreift, oder im gegenteiligen Fall, über die heiligen Prinzipien der republikanischen Freiheiten und ähnliche rhetorisch-literarische Motive.
Für die Neuzeit genügt es, als antiformistisches, reformistisches und konformistisches Beispiel die französischen Republiken von 1793, 1848 und 1871 zu betrachten.
Ideologisches Beispiel: die christliche Religion
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Die Krisen der Wirtschaftsformen wirken sich nicht nur auf die sozialen und politischen Einrichtungen, sondern auch auf die religiösen Glauben und philosophischen Ansichten aus.
Jede juristische, religiöse oder philosophische Stellung muss in Zusammenhang mit den historischen Situationen und den sozialen Krisen betrachtet werden, denn jede hat von Mal zu Mal als revolutionäre, fortschrittliche oder konformistische Fahne gewirkt.
Antiformistisch und revolutionär war die Bewegung, die Christus' Namen trägt.
Die Behauptung, in allen Menschen sei eine Seele göttlichen Ursprungs, die zur Unsterblichkeit bestimmt ist, unabhängig von deren sozialer Position, war gleichwertig mit einer revolutionären Erhebung gegen die Formen von Unterdrückung und Sklaverei des alten Orients. Solange das Gesetz erlaubte, dass die menschliche Person als Ware betrachtet wurde, als käuflicher und verkäuflicher Gegenstand, genauso wie ein Tier, und folglich alle juristischen Vorrechte freier Menschen und Bürger Monopol einer einzigen Klasse waren, war die Behauptung der Gleichheit aller Gläubigen eine Kampfparole, die unversöhnlich gegen den Widerstand der theokratischen Organisation der Juden und der aristokratischen und militärischen der anderen Staaten des Altertums stiess.
Nach langen historischen Phasen und nach Abschaffung der Sklaverei wird das Christentum zur offiziellen Religion und Grundlage des Staates. Im Europa der Neuzeit lebt es seinen reformistischen Zyklus, der im Kampf gegen die zu enge Bindung der Kirche mit den privilegierten und unterdrückenden Gesellschaftsschichten seinen Ausdruck findet.
Heute kann es keine konformistischere Ideologie geben als die christliche, die bereits zur Zeit der bürgerlichen Revolution mit ihrer Organisation und ihrer Lehre die mächtigste Waffe für den Widerstand der alten Regimes darstellte.
Heute mit dem kapitalistischen System versöhnt und in offizieller Eintracht, wird das mächtige Netz der Kirche und ihre religiöse Einschüchterung als wesentliches Verteidigungsmittel gegen die Drohung der proletarischen Revolution eingesetzt.
In den heutigen sozialen Verhältnissen ist es eine nun schon alte Errungenschaft, dass jedes einzelne Individuum ein wirtschaftliches Unternehmen darstellt, mit der theoretischen Möglichkeit eines Aktiv- und eines Passivsaldos. Der Aberglaube, der rund um jeden Einzelnen den geschlossenen Kreis der moralischen Bilanz seines Handelns zieht und ihm die Illusion eines von dieser Bilanz abhängigen Weiterlebens nach dem Tode gibt, ist nichts anderes als der in das Menschenhirn projizierte bürgerliche Wesenszug der heutigen auf der Privatwirtschaft beruhenden Gesellschaft.
Es ist folglich nicht möglich den Kampf zu führen, um die Schranken einer Wirtschaft von Privatunternehmen und individuellen Bilanzen zu brechen, ohne dabei offen eine antireligiöse und antichristliche Position zu ergreifen.
Die moderne kapitalistische Bourgeoisie hat in den wichtigsten Ländern bereits drei charakteristische historische Phasen aufgewiesen:
Die Bourgeoisie erscheint als offen revolutionäre Klasse und kämpft mit Waffengewalt, um die Fesseln zu sprengen, mit denen der feudale und klerikale Absolutismus die Arbeitskräfte der Bauern an den Boden und die Handwerker an die mittelalterlichen Zünfte bindet.
Die Notwendigkeit, diese Fesseln abzuschütteln, entspricht der Entwicklung der Produktivkräfte: die moderne Technik hat dieser Entwicklung so enorme Möglichkeiten geschaffen, dass die Tendenz besteht, die Arbeiter in grossen Massen zusammenzuscharen.
Damit sich aber diese neuen Wirtschaftsformen frei entfalten können, ist es notwendig, die traditionellen Regimes mit Gewalt niederzureissen. Die Bürgerklasse führt nicht nur den Erhebungskampf, sondern verwirklicht nach ihrem ersten Sieg eine eiserne Diktatur, um ihrerseits eine Erhebung der Monarchen, der Feudalherren und der kirchlichen Würdenträger zu verhindern.
Die kapitalistische Klasse erscheint in der Geschichte als antiformistische Kraft und mit ihren imponenten Energien reisst sie alle materiellen und ideellen Hindernisse nieder; ihre Denker stürzen die antiken Kanons und alten Glauben in radikalster Weise. Die Theorien der Autorität durch göttliches Recht werden durch die der politischen Gleichheit und Freiheit, der Souveränität des Volkes ersetzt, man proklamiert die Notwendigkeit vertretender Einrichtungen und behauptet, dass dank derselben die Macht Ausdruck eines kollektiven, frei bekundeten Willens sei.
In dieser Phase ist das liberale und demokratische Prinzip eindeutig revolutionär und antiformistisch, um so mehr als es nicht auf friedlichem und legalitärem Wege realisiert wird, sondern durch Gewalt und revolutionären Terror triumphiert und von der Siegerklasse gegen reaktionäre Restaurationsversuche mit der Diktatur verteidigt wird.
Evolutionistische und demokratische Phase
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In der zweiten Phase, in der sich das kapitalistische System nunmehr endgültig gefestigt hat, proklamiert sich die Bourgeoisie zur Vertreterin der bestmöglichen Entwicklung der gesamten Gesellschaftskollektivtät und deren Wohlstand; sie durchläuft eine verhältnismässig ruhige Phase der Entwicklung der Produktivkräfte, der Unterwerfung aller bewohnten Erdteile unter das eigene System und der Intensivierung des gesamten Wirtschaftstempos. Das ist die fortschrittliche und reformistische Phase des kapitalistischen Zyklus.
In dieser zweiten bürgerlichen Phase läuft der demokratische parlamentarische Mechanismus parallel zur reformistischen Tendenz, denn die herrschende Klasse hat Interesse, die eigene Ordnung so darzustellen, dass sie im Stande ist, die Interessen und Forderungen der arbeitenden Klassen auszudrücken und kundzumachen. Ihre Regierungsmänner behaupten, diese Forderungen mit wirtschaftlichen und legislativen Massnahmen befriedigen zu können, welche jedoch die juristischen Pfeiler des bürgerlichen Systems unangetastet lassen. Parlamentarismus und Demokratie haben nicht mehr den Charakter revolutionärer Kampfparolen, sondern bekommen einen reformistischen Gehalt, der die Entwicklung des kapitalistischen Systems sichert, eben weil er gewaltsame Zusammenstösse und Ausbrüche des Klassenkampfes bannt.
Imperialistische und faschistische Phase
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Die dritte Phase ist die des modernen Imperialismus, gekennzeichnet durch monopolistische Konzentration der Wirtschaft, Entstehen der kapitalistischen Syndikate und Trusts, und durch die grossen staatlichen Planungen. Die bürgerliche Wirtschaft wandelt sich und verliert die Charakterzüge des klassischen Liberalismus nach welchem jeder Unternehmer unabhängig war in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen und seinen Handelsbeziehungen. Es tritt eine immer strengere Disziplinierung von Produktion und Verteilung ein; die wirtschaftlichen Indexziffern sind nicht mehr Resultat des freien Spiels der Konkurrenz, sondern des Einflusses von kapitalistischen Assoziationen, von Organen der Bank- und Finanzkonzentrationen, und schliesslich des Staates direkt. Der politische Staat, der nach marxistischer Auffassung das Interessenkomitee der Bürgerklasse ist und als Regierungs- und Polizeiorgan diese Interessen währt, wird immer mehr zu einem Organ der Kontrolle und schliesslich sogar der Leitung der Wirtschaft.
Diese Konzentration wirtschaftlicher Befugnisse in Händen des Staates kann nur dann mit einem Übergang von der Privat- zur Kollektivwirtschaft verwechselt werden, wenn man absichtlich ignoriert, dass der heutige Staat einzig und allein die Interessen einer Minderheit vertritt, und dass jede innerhalb der Grenzen merkantiler Formen durchgeführte Verstaatlichung zu einer kapitalistischen Konzentration führt, die den kapitalistischen Charakter der Wirtschaft nur verstärkt und nicht schwächt. Die politische Entwicklung der Parteien der Bürgerklasse in dieser heutigen Phase führt, wie Lenin in seiner Kritik des modernen Imperialismus klar festgestellt hat, zu Formen schärferer Unterdrückung, die in der Machtergreifung totalitärer und faschistischer Regimes ihren Ausdruck gefunden hat. Diese Regimes stellen die modernste politische Ausdrucksart der bürgerlichen Gesellschaft dar, und der Prozess ihrer Ausbreitung über die ganze Welt wird immer klarer vor Augen treten. Eine Begleiterscheinung dieser politischen Konzentration ist die absolute Vorherrschaft weniger grosser Staaten, die die Selbständigkeit der mittleren und kleineren Staaten beeinträchtigen.
Diese dritte kapitalistische Phase kann nicht mit einer Rückkehr vorkapitalistischer Institutionen und Formen verwechselt werden, da sie von einem geradezu schwindelerregenden Wachstum der Industrie- und Finanzdynamik begleitet ist, welches der vorbürgerlichen Welt qualitativ und quantitativ unbekannt war. Der Kapitalismus scheut in der Tat das demokratische und repräsentative Gerüst und formt absolut despotische Regierungszentren: in einigen Ländern hat er bereits die Bildung der totalitären Einheitspartei und die hierarchische Zentralisierung in Theorie und Praxis realisiert; in anderen bedient er sich weiterhin der nunmehr gehaltlosen demokratischen Parolen, geht aber unabweichlich in die gleiche Richtung.
Für eine exakte Bewertung des heutigen geschichtlichen Prozesses ist folgende Stellung massgebend: die Epoche des Liberalismus und der Demokratie ist abgeschlossen und die demokratischen Forderungen, die bereits revolutionären, darauf fortschrittlichen und reformistischen Charakter gehabt hatten, sind heute anachronistisch und rein konformistisch.
Die Strategie des Proletariats in der Phase der bürgerlichen Revolution
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Dem kapitalistischen Zyklus entsprechend, haben wir auch den der proletarischen Bewegung.
Seit dem Beginn der Bildung eines grossen Industrieproletariats hat man angefangen, eine Kritik der wirtschaftlichen, juristischen und politischen bürgerlichen Formulierungen aufzubauen und hat entdeckt, dass die Bürgerklasse die Menschheit nicht befreit und emanzipiert, sondern mit der eigenen Klassenherrschaft und der eigenen Ausbeutung die der anderen vorhergehenden Klassen ersetzt. Diese Entdeckung wird zur Theorie ausgebaut.
Die Arbeiter aller Länder können jedoch nicht umhin, Seite an Seite mit der Bourgeoisie für den Sturz der feudalen Institutionen zu kämpfen und fallen nicht den Suggestionen eines reaktionären Sozialismus anheim, der vor dem Gespenst des neuen erbarmungslosen kapitalistischen Herren die Arbeiter zu einem Bündnis mit den leitenden Klassen der Monarchie und des Landadels aufruft.
Selbst in den Kämpfen, die die jungen kapitalistischen Regimes führen, um reaktionäre Rückschläge zu ersticken, darf das Proletariat der Bourgeoisie seine Unterstützung nicht verweigern.
Die erste Klassenstrategie des kaum entstandenen Proletariats hat folgende Perspektive: auf der Welle des an der Seite der Bourgeoisie geführten Erhebungskampfes selbst antibürgerliche Bewegungen realisieren, um so unverzüglich die Befreiung von der feudalen Unterdrückung und von der kapitalistischen Ausbeutung zu erreichen.
Im Keim sehen wir diese Strategie bereits zur Zeit der französischen Revolution in Babeufs »Bund der Gleichen«. Vom theoretischen Standpunkt aus ist diese Bewegung noch völlig unreif, von Bedeutung bleibt jedoch die historische Lektion der erbarmungslosen Unterdrückung, die die Jakobiner-Bourgeoisie nach ihrem Sieg gegen die Arbeiter ausübt, die mit ihr und für ihre Interessen gekämpft hatten.
Am Vorabend der bürgerlichen und nationalrevolutionären Welle von 1848 ist die Theorie des Klassenkampfes schon reiflich ausgearbeitet, denn die Verhältnisse zwischen Bourgeoisie und Proletariat sind nunmehr auf europäischer und auf Weltebene klar und unzweideutig.
Marx plant im »Manifest« gleichzeitig das Bündnis mit der Bourgeoisie gegen die Parteien der Restauration in Frankreich und des preussischen Konservativismus, und eine sofortige Entwicklung in Richtung einer Revolution, die nach der Macheroberung seitens der Arbeiterklasse zielt. Aber auch in dieser Geschichtsphase wird jeder Umsturzversuch der Arbeiter unerbittlich unterdrückt; hervorzuheben ist jedoch, dass die dieser Phase entsprechende Klassenlehre und -strategie sich vollkommen auf dem geschichtlichen Wege der marxistischen Methode bewegen.
Die gleiche Lage und die gleiche Bewertung gelten für den grossartigen Versuch der Pariser Kommune: nachdem das französische Proletariat Bonaparte gestürzt und der bürgerlichen Republik den Sieg gesichert hat, versucht es noch einmal die Machteroberung und gibt - wenn auch nur wenige Monate lang - das erste historische Beispiel seiner Klassenregierung.
Das eindrucksvollste und bedeutendste an diesem Ereignis ist das bedingungslose antiproletarische Bündnis der demokratischen Bürger mit den Konservativen und sogar mit dem siegreichen preussischen Heer, nur um den ersten Versuch der Diktatur des Proletariats im Blut zu ersticken.
Tendenzen der sozialistischen Bewegung in der demokratisch-pazifistischen Phase
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In der zweiten Phase, in der der Reformismus der bürgerlichen Wirtschaft von einem grosszügigen Einsatz repräsentativer und parlamentarischer Systeme begleitet ist, steht das Proletariat vor einer Alternative historischer Tragweite.
Vom Gesichtspunkt der Theorie aus erhebt sich die Frage der Auslegung der revolutionären Lehre, welche als Kritik der bürgerlichen Institutionen und deren ideologischen Verteidigung entstanden ist: wird der Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft und ihr Ersatz durch eine neue Wirtschaftsordnung durch einen gewaltsamen Zusammenstoss erfolgen, oder kann man ihn durch stufenweise Umwandlungen und unter Verwendung des legalitären Parlamentsmechanismus erreichen?
Auf dem Gebiet der Praxis erhebt sich die Frage, ob die Partei der Arbeiterklasse sich nun nicht mehr mit der Bourgeoisie gegen die Kräfte der vorkapitalistischen Regimes verbünden soll - die ja inzwischen verschwunden sind - sondern eher nur mit einem fortschrittlichen Teil der Bourgeoisie selbst, der dazu bereit ist, die bestehende Ordnung zu reformieren.
Im idyllischen Intermezzo der kapitalistischen Welt in den Jahren 1871-1914 entwickeln sich die revisionistischen Strömungen des Marxismus: sie verfälschen seine Richtlinien und seine grundlegenden Texte und bauen eine neue Strategie auf, der zufolge umfassende wirtschaftliche und politische Organisationen der Arbeiterklasse die Institutionen mit legalen Mitteln durchdringen und erobern und somit eine stufenweise Umwandlung des gesamten Räderwerks der Wirtschaft vorbereiten sollen.
Die diese Phase begleitenden Polemiken teilen die Arbeiterbewegung in entgegengesetzte Tendenzen; obwohl im allgemeinen das Programm des revolutionären Ansturms zur Zerstörung der bürgerlichen Macht nicht an der Tagesordnung steht, widerstehen die Linksmarxisten energisch den Auswüchsen der kollaborationistischen Taktik auf gewerkschaftlicher und parlamentarischer Ebene, dem Vorhaben, bürgerliche Regierungen zu unterstützen und die sozialistischen Parteien an ministeriellen Koalitionen teilnehmen zu lassen.
An diesem Punkt bricht die schwere Krise der sozialistischen Weltbewegung aus, bedingt durch den Kriegsausbruch von 1914 und den Übergang des Grossteils der Gewerkschafts- und Parlamentsführer zur nationalen Kollaborationspolitik und zum Kriegsbeitritt.
Taktik des Proletariats in der Phase des imperialistischen Kapitalismus und des Faschismus
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In der dritten Phase des Kapitalismus - aufgrund der Notwendigkeit, die Masse der Produktivkräfte weiter zu entwickeln, aber gleichzeitig zu verhindern, dass diese das Gleichgewicht der bestehenden Ordnung zerstören - ist er daher gezwungen, auf die demokratischen und liberalen Methoden zu verzichten, wobei er gleichzeitig die Konzentration in mächtige Staatsagglomerate verwirklicht, sowohl im Sinne der politischen Herrschaft, als auch im Sinne einer strengen Kontrolle des Wirtschaftslebens. Auch in dieser Phase steht die Arbeiterbewegung vor zwei Alternativen.
Auf dem Gebiet der Theorie ist zu betonen, dass diese strengeren Formen der Klassenherrschaft des Kapitalismus die notwendige, am höchsten entwickelte und moderne Phase darstellen, die er durchlaufen wird, um schliesslich am Ende seines Zyklus anzulangen und seine historischen Möglichkeiten zu erschöpfen. Sie sind also keineswegs eine vorübergehende Verschärfung politischer und polizeilicher Methoden, nach der man wieder zu den Formen angeblicher liberaler Toleranz zurückkehren könne und müsse.
Auf dem Gebiet der Taktik ist es falsch und illusorisch sich zu fragen, ob das Proletariat dafür kämpfen solle, den Kapitalismus zu seinen liberalen und demokratischen Konzessionen zurückzudrängen, denn das Klima politischer Demokratie ist nicht mehr notwendig zum weiteren Wachstum der kapitalistischen Produktivenergien, die ja unerlässliche Vorbedingung für die sozialistische Wirtschaft sind.
In der ersten, bürgerlich-revolutionären Phase wurde diese Frage nicht nur von der Geschichte gestellt, sondern auch ihre Lösung in einem parallelen Kampf der Kräfte des Dritten und Vierten Standes, und das Bündnis zwischen den beiden Klassen war eine unentbehrliche Etappe auf dem Weg zum Sozialismus.
In der zweiten Phase war die Frage einer gemeinsamen Aktion von reformistischer Demokratie und sozialistischen Arbeiterparteien ebenfalls gerechtfertigt, und wenn auch die Geschichte der negativen Antwort der revolutionären marxistischen Linken Recht gegeben hat, so darf man deswegen die revisionistische und reformistische Rechte (vor der fatalen Degenerierung von 1914-18) keineswegs als eine konformistische Bewegung betrachten. Sie hielt nämlich einen langsamen Umlauf des Rades der Geschichte für möglich, versuchte aber noch nicht, es nach rückwärts zu drehen. Das müssen wir den Bebel, Jaurès und Turati anerkennen.
In der heutigen Phase des gierigsten Imperialismus und der grausamen Weltkriege stellt sich die Frage einer parallelen Aktion der sozialistischen Arbeiterklasse und der bürgerlichen Demokratie geschichtlich nicht mehr; wer das Gegenteil behauptet, stellt nicht mehr eine Alternative dar, eine Version, eine Tendenz der Arbeiterbewegung, sondern deckt den totalen Übergang zum konservativen Konformismus.
Die einzige heute mögliche Alternative ist eine andere. Da die Entwicklung der Welt und des kapitalistischen Regimes in zentralistischer, totalitärer und »faschistischer« Richtung läuft, soll nun die proletarische Bewegung ihre Kräfte mit dieser Bewegung verbünden, die der einzige reformistische Aspekt der bürgerlichen Ordnung und Herrschaft geworden ist? Darf sie hoffen, die Entstehung des Sozialismus in dieses unerbittliche Fortschreiten des kapitalistischen Staatskults einzureihen, indem sie ihr hilft, die letzten, der Vergangenheit angehörenden Widerstände von Anhängern der freien Wirtschaft und Liberalen, konformistischen Bourgeois der ersten Art, zu zerschlagen?
Oder muss im Gegenteil die proletarische Bewegung - hart geschlagen und zersplittert, weil sie in der Phase der beiden Weltkriege nicht fähig gewesen war, ihre Unabhängigkeit von der Klassenkollaboration zu verwirklichen - sich nun wieder aufrichten, fern von dieser Methode, fern von der Illusion, es könnten friedliche und mit legalen Mitteln durchdringbare bürgerliche Ordnungen wiederkommen, oder solche, die wenigstens dem Ansturm der Massen standhalten (beides Formen, die durch ihren Defätismus für jede revolutionäre Bewegung gleich gefährlich sind)?
Die marxistische dialektische Methode führt zu einer verneinenden Antwort auf diese Frage eines Bündnisses mit den neuen, modernen bürgerlichen Zentralisierungsformen, aus den selben Gründen, die gestern dazu führten, jedes Bündnis mit dem Reformismus der demokratischen und friedlichen Phase zu bekämpfen.
Der Kapitalismus, dialektische Vorbedingung des Sozialismus, braucht keine Hilfe mehr, um geboren zu werden (ihm helfen, seine revolutionäre Diktatur durchzusetzen) und auch nicht, um zu wachsen (in seinen liberalen und demokratischen Einrichtungen). Unvermeidlich konzentriert er in der modernen Phase seine Wirtschaftsvermögen und seine politische Kraft in monströsen Einheiten.
Sein Transformismus und sein Reformismus sichern ihm seine Entwicklung und gleichzeitig auch seine Erhaltung.
Die Bewegung der Arbeiterklasse wird nur dann nicht seiner Herrschaft unterliegen, wenn sie sich ausserhalb des Terrains der Unterstützung der - wenn auch notwendigen - Entwicklungsphasen des kapitalistischen Werdegangs stellt und ausserhalb dieser überholten Perspektiven seine Kräfte neu organisiert: sie muss die Last der Gewohnheiten der alten Methode abschütteln und - mit bereits einer ganzen historischen Phase Verspätung - ihre taktische Übereinstimmung mit jeder Form von Reformismus kündigen.
Die russische Revolution - Fehler und Abweichungen der III. Internationale - Involution des proletarischen Regimes in Russland
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Gegen Ende des ersten Weltkrieges wird das brennende Problem der zeitgenössischen Geschichte aktuell: die Krise des russischen Zarenregimes, dieser überlebenden feudalen Staatsstruktur inmitten der vollen kapitalistischen Entwicklung.
Die marxistische Linke (Lenin, Bolschewiki) hatte bereits seit vielen Jahrzehnten ihre Strategie festgesetzt: den Kampf für die Diktatur des Proletariats gleichzeitig zu führen mit dem Kampf aller anti-absolutistischen Kräfte zum Sturz des Feudalreiches.
Der Krieg ermöglichte es, diesen grossartigen Plan zu verwirklichen und im aufs höchste beschleunigten Zyklus von neun Monaten den Übergang von der Macht der Dynastie, der Aristokratie und des Klerus - über eine Zwischenphase von Regierungen demokratischer bürgerlicher Parteien - zur Diktatur des Proletariats zu vollziehen.
In der ganzen Welt erhielten die Fragen und Stellungnahmen zum Klassenkampf, zum Kampf um die Macht und zur Strategie der Arbeiterrevolution einen mächtigen Impuls durch dieses grossartige Ereignis.
In diesem kurzen Zyklus durchlebten Strategie und Taktik der proletarischen Partei alle Phasen: Kampf an der Seite der Bourgeoisie gegen das alte Regime; Kampf gegen die Bourgeoisie selbst, sobald diese versuchte, auf den Ruinen des Feudalstaates ihren eigenen Staat aufzubauen; Bruch, und Kampf gegen alle reformistischen und gradualistischen Parteien der Arbeiterbewegung selbst, bis zum exklusiven Monopol der Macht in den Händen der Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei. Die historischen Rückwirkungen auf die Arbeiterbewegung hatten den Charakter einer vernichtenden Niederlage der revisionistischen und kollaborationistischen Tendenzen, und in allen Ländern wurden die proletarischen Parteien dazu angespornt, sich auf das Terrain des Waffenkampfes um die Macht zu begeben.
Aber falsche Auslegungen und Anwendungen gab es, als man die russische Strategie und Taktik auf die anderen Länder übertrug, wo man ein durch Koalitionspolitik erreichtes »kerenskisches« Regime abwarten wollte, um ihm dann mit mutiger Wendung den tödlichen Stoss zu versetzen.
So vergass man, dass diese Reihenfolge von Bewegungen in engstem Zusammenhang stand gerade mit der verspäteten Geburt des politischen Staates des Kapitalismus, welcher hingegen in den anderen europäischen Ländern seit Jahrzehnten stabil Fuss gefasst hatte, und der umso stärker war, je ausgeprägter seine juristische demokratisch-parlamentarische Struktur war.
Man sah nicht, dass die Bündnisse zwischen Bolschewiken und Nichtbolschewiken in den Erhebungskämpfen, und diejenigen, die dazu dienten, einige feudale Restaurationsversuche zu vereiteln, auf historischer Ebene die letzten möglichen Beispiele solcher politischer Kräfteverhältnisse waren. Die proletarische Revolution in Deutschland, zum Beispiel, hätte die gleiche Taktik befolgt wie die russische, wenn sie, wie damals Marx erwartete, aus der Krise von 1848 entsprungen wäre; während sie hingegen 1918-19 nur dann gelingen konnte, wenn die revolutionäre kommunistische Partei genügend Kräfte gehabt hätte, den Block der Kaiserlichen, der Bürger und der Sozialdemokraten zu überwältigen, der in der Weimarer Republik die Macht innehatte.
Als dann Italien mit dem Faschismus das erste Beispiel einer totalitären bürgerlichen Regierung gab, bedeutete der von Grund auf falsche strategische Plan, das Proletariat innerhalb einer antifaschistischen Koalition für die Freiheit und die konstitutionellen Garantien kämpfen zu lassen, die völlige Abweichung der internationalen kommunistischen Bewegung von der richtigen revolutionären Strategie.
Hitler und Mussolini, diese Reformatoren des kapitalistischen Regimes im modernsten Sinne, mit Kornilow oder den Kräften der Restauration und der Heiligen Allianz von 1815 zu verwechseln, war der grösste und verderbenbringendste Bewertungsfehler der Internationale und zeichnete die totale Abkehr von der revolutionären Methode.
Die imperialistische Phase, wirtschaftlich in allen modernen Ländern reif, erschien (und wird erscheinen) in ihrer politischen faschistischen Form in den verschiedenen Ländern in einer Reihenfolge, die von den jeweiligen Kräfteverhältnissen zwischen Staat und Staat und zwischen Klasse und Klasse bestimmt wird. Dieser Übergang hätte wiederum eine Gelegenheit zu revolutionären Angriffen des Proletariats bieten können; jedoch nicht im Sinne, die Kräfte seiner kommunistischen Avantgarde mit dem illusorischen Ziel in den Kampf zu schicken und zu verschwenden, die Bourgeoisie von der Übertretung der legalen Formen abzuhalten, mit der absurden Forderung der Wiederherstellung der konstitutionellen Garantien und des parlamentarischen Systems - sondern im Gegenteil, indem man das historische Ende dieses bürgerlichen Werkzeugs der Unterdrückung akzeptiert und der Aufforderung zum Kampf ausserhalb der Legalität folgt, um alle anderen polizeilichen, militärischen, bürokratischen und juristischen Pfeiler der kapitalistischen Macht und des Staates zu zertrümmern zu suchen.
Die Strategie des Proletariats in der heutigen Phase
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Der Übergang der kommunistischen Parteien zur Strategie des grossen antifaschistischen Blocks (der noch verschlimmert wurde durch die Parolen nationaler Kollaboration im antideutschen Krieg 1939-45), der Partisanenbewegungen, der nationalen Befreiungskomitees, bis hin zur Schande der Kollaboration in den Ministerien, bedeutete die zweite verheerende Niederlage der revolutionären Weltbewegung.
Sie kann nur dann in ihrer Theorie, in ihrer Organisation und Aktion wieder aufgebaut werden, wenn die ausserhalb und gegen jene Politik geschieht, die heute die sozialistischen und die an Moskau inspirierten kommunistischen Parteien vereinigt. Die neue Bewegung muss sich auf Richtlinien stützen die genau das Gegenteil der von diesen opportunistischen Bewegungen verbreiteten Parolen sind. Soviel die Propaganda auch ihre Stellungen als das Banner der antifaschistischen Weltbewegung anpreisen mag, wird im Licht einer dialektischen Kritik doch sofort klar, dass sie sich in Wirklichkeit vollkommen in die faschistische Entwicklung der Gesellschaftsorganisation einfügen.
Die neue revolutionäre Bewegung des Proletariats in der imperialistischen und faschistischen Epoche stützt sich auf folgende Richtlinien:
1 - Verneinung der Aussicht, dass sich nach der Niederlage von Italien, Deutschland und Japan eine Phase allgemeiner Rückkehr zur Demokratie eröffnet habe; Bejahung hingegen, dass das Kriegsende von einer Umwandlung der bürgerlichen Regierungen in den Siegerstaaten in Richtung des Faschismus und mit den Methoden des Faschismus begleitet ist, auch und vor allem wenn reformistische und labouristische Parteien daran teilnehmen. Ablehnung, die - illusorische - Rückkehr zu liberalen Formen als eine die proletarische Klasse interessierende Forderung darzustellen.
2 - Erklärung, dass das heutige russische Regime seinen proletarischen Charakter verloren hat, parallel zur Abkehr der III. Internationale von der revolutionären Politik. Eine fortschreitende Involution hat die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Formen in Russland dazu geführt, wiederum bürgerliche Strukturen und Charakter anzunehmen. Dieser Prozess wird aber nicht als Rückkehr zu prätorianischen Formen autokratischer oder vorbürgerlicher Tyrannei beurteilt, sondern als Erreichung - auf einem anderen historischen Weg - der gleichen fortgeschrittenen Art von Gesellschaftsorganisation, wie sie der Staatskapitalismus in den Ländern mit totalitärem Regime aufweist und in der die grossen Planungen den Weg zu einer imposanten Entwicklung öffnen und ihr ein gehobenes imperialistisches Potential verleihe. Angesichts einer solchen Situation darf man also nicht die Rückkehr Russlands zu Formen innerer parlamentarischer Demokratie fordern, welche in allen modernen Ländern in Verfall ist, sondern dass auch in Russland die totalitäre revolutionäre kommunistische Partei wiedererstehe.
3 - Ablehnung jeder Aufforderung zur nationalen Solidarität der Klassen und Parteien, zu welcher gestern aufgerufen wurde um die sogenannten totalitären Regimes zu stürzen und die Staaten der Achse zu bekämpfen, und heute, um die durch den Krieg ruinierte kapitalistische Welt im Respekt vor der Legalität wieder aufzubauen.
4 - Ablehnung des Manövers und der Taktik der Einheitsfront, d.h. der Einladung an angebliche sozialistische und kommunistische Parteien, welche nichts proletarisches mehr an sich haben, die Regierungskoalitionen zu verlassen um die sogenannte proletarische Einheit zu schaffen.
5 - Kampf bis aufs letzte gegen jede ideologische Kampagne, die die Arbeiterklassen der verschiedenen Länder im Hinblick auf den möglichen dritten imperialistischen Krieg in patriotischen Fronten mobilzumachen trachtet und von ihnen verlangt, sie sollten auf der einen Seite für ein rotes Russland gegen den angelsächsischen Kapitalismus kämpfen, und auf der anderen Seite die westliche Demokratie gegen den stalinistischen Totalitarismus verteidigen in einem als antifaschistisch hingestellten Krieg.
Source: »Internationale Revolution«, Nr.4, November 1970, S.1-19, Original in: »Prometeo«, serie I, n.1, Juli 1946 unter dem Titel »Tracciato d'impostazione«.
Diese deutsche Übersetzung wurde 1999 anhand des Originals stellenweise korrigiert und neu umbrochen. Weitere partielle Überarbeitung im April 2000. sinistra.net
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